Wie gelangt neues Wissen in die Praxis der Pflege?

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Pflegewissenschaft. Einzelbeitrag | ISSN 1662-3029 | Verlag hpsmedia GmbH | D-63667 Nidda
Pflegewissenschaft
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angewandte
PFLEGEFORSCHUNG
Wie gelangt neues Wissen in
die Praxis der Pflege?1
Hermann Brandenburg
Prof. Dr. Hermann
Brandenburg
Fachbereich Pflege und
Management
Katholische Fachhochschule
Freiburg
Karlstr. 63
D-79104 Freiburg
[email protected]
Es geht in der Pflegewissenschaft nicht nur darum neues Wissen zu generieren,
sondern auch Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie neues Wissen in die
Praxis überführt und konkret in der täglichen Arbeit genutzt werden kann. Man
könnte diese Problematik als „Theorie-Praxis-Transfer“ bezeichnen. Grundsätzlich sind alle anwendungsorientierten Wissenschaften mit dieser Thematik
konfrontiert, die Pflegewissenschaft aber im Besonderen, denn sie versteht sich
explizit als Praxiswissenschaft (vgl. Brandenburg et al. 2005, 2006). In dem
vorliegenden Beitrag möchte ich wie folgt vorgehen2. Zunächst sollen die nationalen Expertenstandards angesprochen werden. Diese sind aus meiner Sicht
wichtig und hilfreich und ein wichtiger Ansatz für den Theorie-Praxis-Transfer
in Deutschland. In einem zweiten Schritt geht es mir um ein theoretisches Modell für die Umsetzung von Forschungsbefunden. Dieser Aspekt ist deswegen
bedeutsam, weil man ein Implementierungsmodell, d.h. Abläufe, Verfahren und
Vorgehensweisen braucht, um neues Wissen in die Praxis überführen zu können.
Hierüber wird viel zu wenig nachgedacht und geforscht. In einem dritten Schritt
gehe ich detaillierter auf die amerikanische Debatte ein und stelle eine Möglichkeit der Nutzung von neuem Wissen (in diesem Falle durch Forschungsbefunde)
vor. Als Beispiel dienen die an der Universität von Iowa (College of Nursing) entwickelten „forschungsbasierten Protokolle“. Den Abschluss bilden Aussagen zu
den Grenzen von Wissenschaft und Forschung in der Pflege alter Menschen. Ziel
meiner Ausführungen ist es für eine intensive und kritische Beschäftigung mit
dem Theorie-Praxis-Transfer in der Pflege zu motivieren und konkrete Hinweise
für die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu geben. Insgesamt
thematisiert der Beitrag ein ganz zentrales Problem der professionellen Pflege
alter Menschen: Wie kann es gelingen die Praxis am „state of the art“ auszurichten und welche Schwierigkeiten sind dabei zu erwarten?
1. Expertenstandards in Deutschland und
die Implementierungsfrage
Schlüsselwörter
Theorie-Praxis-Transfer
Expertenstandard
Evidence based nursing
Implementierung
Die Pflegewissenschaft kann in Deutschland erst auf eine kurze Geschichte zurückblicken. In
den letzten 20 Jahren sind jedoch erhebliche Anstrengungen unternommen worden sowohl
die akademische Ausbildung der Pflegeberufe zu ermöglichen wie auch die Forschung voranzutreiben (vgl. hierzu Brandenburg 2004b). Im Unterschied zu anderen Ländern (insbesondere den USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern) kann man in Deutschland
gegenwärtig noch nicht von einem „anerkannten Stand pflegerischer Erkenntnisse“ sprechen
(vgl. hierzu den gleichnamigen Beitrag von Entzian & Klie 2000). Insbesondere im Hinblick
auf Fragen der Qualitätsentwicklung in der Pflege ist dies aber entscheidend – nicht zuletzt
aufgrund politischer Auswirkung einer pflegefachlich qualifizierten Diskussion. Um so bedeutsamer ist es einzuschätzen, dass es in den letzten fünf Jahren gelungen ist Expertenstandards in der Pflege zu entwickeln und deren Einsatz in der Praxis zu erproben. Dabei ist zu
betonen, dass die vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)
verantworteten Standards auf wissenschaftlicher Grundlage basieren und im Rahmen von
Konsensveranstaltung einer großen Fachöffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden. Die
Expertenstandards sind nicht zu verwechseln mit der großen Vielfalt jener Standards, die in
Krankenhäusern und Pflegeheimen selbst entwickelt wurden, in der Regel aber methodischen
Prüfkriterien nicht standhalten. Pflegestandards im Sinne der Expertenstandards sind ein
„professionell abgestimmtes Leistungsniveau, das den Bedürfnissen der damit angesprochenen Bevölkerung angepasst ist und Kriterien zur Erfolgskontrolle der Pflege mit einschließt.
Standards müssen innovative und komplexe Inhalte transportieren, eignen sich also für
Pflegeprobleme mit erheblichem Einschätzungsbedarf und Pflegehandlungen mit hohem In-
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PRINTERNET 09/05