Der Einfluss eines bewegungsbezogenen

LSB (Berlin)
55(2014)2, 214–219
Stefan Leonhardt
(3. Preisträger Posterpräsentation)
Der Einfluss eines bewegungsbezogenen musikalischen
Feedbacks auf den motorischen Lernprozess einer posturalen Aufgabenstellung12
Summary
A movement-produced feedback is essential for an effective motor learning
process (cf. Schmidt & Lee, 2011). By the support of computer-based methods
musical information can also be provided as concurrent augmented feedback.
On the foundation of an extensive research regarding the positive effects of
music on movements (cf. Karageorghis & Priest, 2012) this research explicitly
investigated the influence of a musical feedback on movements. The present
results clearly demonstrate the positive effects of a real-time transmitted musical feedback on the motor learning process of a stabilometer exercise. Nevertheless, the statistical analysis of behavioral change indicates only a slight improved retention performance.
Zusammenfassung
Für einen effektiven motorischen Lernprozess ist ein bewegungsbezogenes
Feedback unabdingbar (vgl. Schmidt & Lee, 2011). Mit Hilfe von computerge1
Betreuerin der Arbeit ist Frau Dr. Heike Streicher, Institut für Gesundheitssport und
Public Health, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig.
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Die Untersuchung entstand am MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften
(Abteilungsleiter: Prof. Arno Villringer; Arbeitsgruppenleiter: Dr. Tom Fritz).
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stützten Verfahren lassen sich auch musikalische Informationen in Form eines
concurrent augmented Feedbacks vermitteln. Auf der Grundlage eines umfangreichen Forschungsstandes über die positiven Effekte von Musik auf Bewegung (vgl. Karageorghis & Priest, 2012) wurde in diesem Forschungsprojekt
explizit der Einfluss eines musikalischen Feedbacks untersucht. Die vorliegenden Ergebnisse belegen eindeutig die positiven Effekte durch ein in Echtzeit
übertragenes musikalisches Feedback auf den motorischen Lernprozess einer
Stabilometeraufgabe. Allerdings deutet die statistische Analyse der Verhaltensänderung auf eine gering verbesserte Behaltensleistung hin.
Schlagworte: motorischer Lernprozess, concurrent augmented Feedback,
Stabilometertraining, Behaltensleistung
1.
Theoretischer Hintergrund
Auf Grundlage einer sehr umfangreichen KR-Forschung ist bekannt, dass ein
augmented Feedback den Fertigkeitserwerb entscheidend verbessern kann.
Zumindest werden Fertigkeiten schneller oder auf einem höheren Niveau erlernt, wenn solch ein erweitertes Feedback verwendet wird (vgl. Magill, 2010).
Allerdings ist die Lernleistung von verschiedenen Variablen abhängig. Zu diesen Variablen zählen die Präzision, Frequenz, Timing und die Darbietungsform
(vgl. u. a. Edwards, 2011). Zu den Kernfragen im Feedbacktraining gehört vor
allem die Häufigkeit eines augmented Feedbacks. Ein concurrent augmented
Feedback wird in der Literatur häufig mit einem negativen Lerneffekt beschrieben (Guidance-Hypothese). Allerdings relativieren einige Autoren diese Aussage und verweisen auf Untersuchungen mit positiven Effekten (vgl. u. a. Magill, 2010; Schmidt und Lee, 2011). Nach Auffassung von Edwards (2011)
werden vor allem beim bewegungsbegleitenden akustischen Feedback positive Lerneffekte erzielt. In der Literatur ist man sich einig, dass die akustische
Zusatzinformation eine schnelle, einfache und präzise Bewertung der Bewegung für den motorischen Lernprozess ermöglicht (vgl. u. a. Effenberg, 2011).
Aufgrund der mangelnden Studienlage über die Effekte eines musikalischen
Feedbacks werden folgerichtig themenrelevante Studien vorgestellt. Die Forschungsgruppe um Dozza konnte in einigen Studien nachweisen, dass ein
akustisches Biofeedback (ABF) zu einer signifikanten Verbesserung der posturalen Stabilität führt (vgl. u. a. Dozza, Chiari, Peterka, Wall & Horak, 2011).
Wissenschaftler von den Universitäten Hamburg und Hannover untersuchten
hingegen die zyklischen Bewegungsmuster im Rennrudern mit Hilfe einer Real-Time Sonification (vgl. u. a. Schaffert, 2010). Dabei wurde der Bootsbeschleunigungs-Zeit-Verlauf des Rennbootes zu einer Klangsequenz vertont
und online als akustisches Feedback den Kanuten per Kopfhörer bereitgestellt.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Athleten durch den Klang ihre Aufmerksamkeit besser auf einzelne Bewegungsabschnitte lenken konnten. Das akusti215
sche Feedback hatte demnach eine unterstützende Funktion im motorischen
Lernprozess einer Ruderbewegung. Eine weitere Forschungsgruppe um Gabriele Wulf untersucht seit Jahren mit einem Stabilometer den Aufmerksamkeitsfokus eines Lernenden. Neben der signifikanten Verbesserung der Balancierleistung konnten sie einen effektiveren motorischen Lernprozess durch einen externalen Fokus feststellen (vgl. Wulf, 2009). Untersuchungsergebnisse
oder Hinweise über den positiven Einfluss eines musikalischen Feedbacks
blieben bei dem derzeitigen Forschungsstand aus. Aus diesem Grund stellte
sich die Frage, inwieweit ein musikalisches Feedback durch instrumentalisierte
Musikstücke den motorischen Lernprozess beeinflusst? Insbesondere die
Verwendung eines concurrent augmented Feedbacks in Form einer musikalischen Rückmeldung verspricht einen innovativen Charakter.
2.
Untersuchungsmethodik
Die gesamte Versuchsreihe bestand aus 34 Versuchspersonen (Vpn) im Alter
von 20-34 Jahren. Alle Vpn waren Rechtshänder, übten keine professionellmusikalische Tätigkeit aus, trieben weniger als vier Stunden pro Woche Sport
und besaßen keine Bewegungserfahrung in gleichgewichtsrelevanten Sportarten. Aufgrund der Vielfalt der Sportarten wurde zur Einhaltung einer homogenen Stichprobe die Auswahl der Vpn anhand der Systematik der Fertigkeitstypen nach Roth auf Typ bis zwei beschränkt (vgl. Meinel & Schnabel, 2007).
Für fMRT-Experimente gelten zusätzlich medizinische Ausschlusskriterien. Die
akquirierten Probanden wurden unter Berücksichtigung der Geschlechtsverteilung in drei pseudorandomisierte Versuchsgruppen, (a) musikalisches Feedback (FG) mit 13 Vpn (7♀; Alter M = 25.8; SD = 3.3), (b) ohne Feedback
(OMG) mit 11 Vpn (6♀; Alter M = 25.0; SD = 3.6) und (c) mit Musik ohne
Feedback (MMOFG) mit 10 Vpn (6♀; Alter M=23.8; SD = 2.8) aufgeteilt. Das
Projekt wurde als Panelstudie mit zwei Versuchsreihen zu jeweils drei Trainingstagen (15 Versuche/Tag) und einer Pause von einem dreiviertel Jahr
durchgeführt. Mit einem Gesamttrainingsumfang von 90 Durchgängen á 30s
Übungszeit mit jeweils zwei Minuten Pause versuchten die Probanden eine
zeitlich maximale Positionierung der Plattform innerhalb des ±3° Intervall von
der Horizontalachse zu erreichen. Als Parameter für die Balancierleistung
wurde die Zeit in der Mittelposition ermittelt. Es handelt sich hierbei um die
Summe der Zeit, in der sich die Stabilometerplattform innerhalb des ±3° Intervalls zur Horizontalachse über 30 Sekunden befand. Die Probanden der FG
sowie MMOFG hörten während des Gleichgewichtstrainings über einen Kopfhörer 15 verschiedene instrumentalisierte Musikstücke in der gleichen Reihenfolge. Für die FG wurde das Stabilometer zusätzlich mit einem Audiofeedbacksystem ausgerüstet, welches bei Verlassen der Mittelposition zu einem Verzerren/Rauschen der Musikstücke führte.
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3.
Ergebnisse
In dieser Untersuchung konnte dargelegt werden, dass (1) ein Stabilometertraining mit musikalischem Feedback zu einer signifikant besseren Balancierleistung führt als ohne Feedback [F (21) = 2.258, p = 0.035] und (2) für alle
Versuchspersonen eine Veränderung im Lernverlauf zu erkennen war (Abb.1.).
Abb. 5.
Lernverlauf der Balancierzeiten in der Mittelposition
Die anderen Gruppenkonstellationen ergaben keine eindeutigen Ergebnisse.
Die Untersuchung zeigte außerdem, dass (3) bei allen Versuchspersonen eine
äußert stabile Veränderung im motorischen Verhalten zu erkennen war. Mit
der Weiterführung des Treatments konnte nach der Retentionsphase eine
schnellere Wiederherstellung des ursprünglichen Lernniveaus beobachtet
werden.
4.
Diskussion und Ausblick
Die Untersuchungsergebnisse verdeutlichen, dass ein zusätzlich zur motorischen Aufgabenstellung integriertes musikalisches Feedback den Lernprozess
positiv beeinflusst. Diese besondere Form des concurrent augmented Feedbacks sollte allerdings nicht als Knowledge of performance verstanden werden, da es sich um einen musikalischen Input und nicht um verbalisierte Informationen handelt (vgl. Schmidt & Lee, 2011). Aufgrund der sichtlich hohen Anforderungen an die posturalen Kontrollsysteme schien die FG in der Anfangs-
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phase nicht in der Lage, neben den intrinsischen Informationen das musikalische Feedback in ihren Informationsverarbeitungsprozess zu integrieren.
Demzufolge bestätigten sich die Aussagen von Wulf (2009) und Edwards
(2011), dass ein zu häufig gegebenes Feedback negative Auswirkungen auf
die Lernleistung hat. Hingegen haben Marschall und Daugs (2003) beim concurrent augmented Feedback keine Bedenken, sofern ein Mess- oder Aufzeichnungsverfahren die bewegungsbezogenen Informationen online zur Verfügung stellt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Übungsbedingungen der Kontrollgruppen kurzfristig zu besseren Balancierleistungen führten, langfristig jedoch weniger effektiv waren. Mit der FG verhielt es sich hingegen umgekehrt.
Infolgedessen ließ sich zwischen den Versuchsgruppen ein Umkehreffekt des
Leistungsbildes erkennen. Ata (2005) weist darauf hin, dass das Phänomen
des Umkehreffekts unter anderem beim Üben mit niedriger gegenüber hoher
Feedbackfrequenz auftritt. Des Weiteren zeigte sich der Zusammenhang zwischen Rückinformationsgenauigkeit und Lernniveau (vgl. Hirtz, Kirchner &
Pöhlmann, 1994). Aufgrund der Komplexität der Übung erwies sich der Vorteil
der Informationsgenauigkeit für die FG erst gegen Ende der Trainingsphase.
Im zweiten Teil der Untersuchung wurde nach einer neunmonatigen Retentionsphase die Behaltensleistung überprüft. Die auf dem Stabilometer erworbene Verhaltensänderung erwiesen sich bei allen Versuchsgruppen als äußert
stabil (vgl. u. a. Taubert, 2012). Nach den aktuellen Erkenntnissen von Edwards
(2011) kann aber davon ausgegangen werden, dass ein concurrent augmented Feedback zu einer verbesserten Behaltensleistung beiträgt.
Eine Weiterführung des Forschungsthemas sollte unbedingt stattfinden. Ein
mit Hilfe von computergestützten Verfahren akustisch erzeugtes Feedback
ermöglicht nicht nur eine sehr hohe dynamisch-zeitliche Auflösung, sondern
kann den motorischen Lernprozess entscheidend unterstützen. In aktuellen
Untersuchungen wird bereits das akustische Feedback in Echtzeit sonifiziert
(vgl. u. a. Hermann, Hunt & Neuhoff, 2011). Das Potential solch einer RealTime Sonfication ist vor allem für das Wiederlernen von verlorenen Bewegungsmustern von großer Relevanz. In den bisherigen Untersuchungen wurden ausschließlich zyklische oder einfache Bewegungsmuster verwendet. Zukünftig sollte der Anspruch auf die Anwendung und Umsetzung von komplexen
azyklischen Bewegungen gelegt werden.
Literatur
Ata, S. (2005). Zum Kontext-Interferenz-Effekt beim Fertigkeitserwerb im Bodenturnen. Ein Experiment unter praxisnahen Bedingungen. Darmstadt: Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Humanwissenschaft.
Dozza, M., Chiari, L., Peterka, R. J., Wall, C. & Horak, F. B. (2011). What is
the most effective type of audio-biofeedback for postural motor learning? Gait
Posture, 34 (3), 313–319.
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Edwards, W. H. (2011). Motor Learning and Control. From Theory to Practice.
Belmont: Wadworth CENGAGE Learning.
Effenberg, A. O. (1996). Sonification – ein akustisches Informationskonzept
zur menschlichen Bewegung. Schondorf: Verlag Hofmann.
Effenberg, A. O. (2011). Enhancing Motor Control and Learning by Additional
Movement Sonification. In T. Hermann, A. Hunt & J. Neuhoff (Hrsg.) The Sonification Handbook (S.549–552). Berlin: COST Office and Logos Verlag.
Hermann, T. Hunt, A. & Neuhoff, J. (Hrsg.) The Sonification Handbook. Berlin:
COST Office and Logos Verlag.
Hirtz, P., Kirchner, G. & Pöhlmann, R. Hrsg. (1994). Sportmotorik. Grundlagen,
Anwendungen und Grenzgebiete. Kassel: Universität-Gesamtschule.
Karageorghis, C. I. Priest, David-Lee (2012). Music in the exercise domain: a
review and synthesis (Part I). International Review of Sport and Exercise Psychology, 5 (1), 44–66.
Magill, R.A. (2010) Motor Learning and Control: Concepts and Applications.
Columbus: McGraw-Hill Book Co.
Marschall, F. & Daugs, R. (2003). Feedback. In Mechling Heinz & Munzert Jörn
(Hrsg.) Handbuch Bewegungswissenschaft – Bewegungslehre (S.281–294).
Schondorf: Hofmann Verlag.
Meinel, K. & Schnabel, G. (2007). Bewegungslehre – Sportmotorik. Abriss einer Theorie der sportlichen Motorik unter pädagogischem Aspekt (11. Aufl.).
Aachen: Meyer & Meyer.
Schaffert, N. (2010). Sonifikation des Bootsbeschleunigungs-Zeit-Verlaufs als
akustisches Feedback im Rennrudern. Berlin: Logos Verlag.
Schmidt, R. A. & Lee, T. D. (2011). Motor control and learning. A behavioral
emphasis (5. Aufl.). Champaign, IL: Human Kinetics.
Taubert, M. (2012). Plastizität im sensomotorischen System – Lerninduzierte
Veränderungen in der Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns. Dissertation. Leipzig: Universität Leipzig.
Wulf, G. (2009). Aufmerksamkeit und motorisches Lernen. München: Urban &
Fischer.
Verfasser
Leonardt, Stefan, Institut für Gesundheitssport und Public Health, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig
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