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BZB September 15
Praxis
KZVB
Die Seiteneinsteiger: Erst Schraubenschlüssel, dann Kürette
Dr. Erich Göltl ist gelernter Kfz-Mechaniker
Zahnarzt gilt als handwerklicher Beruf. Das kann
Dr. Erich Göltl bestätigen, der vor seinem Studium
eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker gemacht hat.
Mit 17 entschied er sich, nochmal die Schulbank
zu drücken. Mittlerweile führt er seit 40 Jahren
seine eigene Praxis in Bad Wiessee.
Foto: KZVB
BZB: Sie waren 13, als Sie die Lehre zum Kfz-Mechaniker begannen. Wie kam es dazu?
Göltl: Ich bin im Dezember geboren und war zu
Beginn des Schuljahres eben erst fünf. Bei einer
zufälligen Begegnung eines Lehrers mit meiner
Mutter befand er, dass ich ja durchaus schon kräftig genug wäre, um eingeschult zu werden. Meine
Mutter willigte ein, und so kam es, dass ich die
Volksschule bereits mit 13 Jahren abschloss. In dieser Zeit entwickelte sich auch mein Berufswunsch
Zahnarzt. Trotz unserer bescheidenen Lebensumstände war ich ein glückliches Kind, bis kurz nach
meinem elften Geburtstag meine Mutter völlig unerwartet starb. Mein Vater war nicht aus dem Krieg
zurückgekehrt und so lebte ich mit meiner Schwester und meiner Großmutter in einer kleinen Wohnung zusammen. Trotz guter Noten bekam ich
nur mit Mühe die Lehrstelle als Automechaniker.
Bald wurde mir gezeigt, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Es waren harte Jahre, auch finanziell – das Lehrgeld betrug 5,76 DM die Woche.
Davon waren Arbeitskleidung, Verköstigung, Zug-
fahrt und alle sonstigen Dinge des täglichen Gebrauchs zu bezahlen.
BZB: Mit 17 fiel die Entscheidung, nochmal auf die
Schulbank zurückzukehren – erst Abendschule zur
Mittleren Reife, dann Hochschulreife und abschließend
Ihr Wunschstudium der Zahnmedizin. Was hat Sie veranlasst, diesen Schritt zu gehen?
Göltl: Ich schloss, vor allem dank meiner Familie,
meinem Vormund und seiner Mitarbeiterin, die
Lehre nach 3,5 Jahren erfolgreich ab. Kurz darauf
verließ ich meinen Ausbildungsbetrieb und trat
eine Stelle bei Audi in Ingolstadt an. Auch dort
wurde mir mein Korsett bald zu eng. Insgesamt
war ich mit den Perspektiven meines erlernten Berufes nicht mehr zufrieden und fühlte mich unterfordert. Ich hatte von der Möglichkeit gehört, die
Mittlere Reife innerhalb eines Jahres zu erlangen,
was Voraussetzung für ein Ingenieurstudium am
Polytechnikum war. Als ich die Mittlere Reife, mit
inzwischen 21 Jahren, in der Tasche hatte, war
der Ingenieur nicht mehr so interessant und mein
alter Berufswunsch flammte wieder auf. Nach
2,5 Jahren hatte ich das Abitur und konnte anschließend nach einer einsemestrigen Ehrenrunde
im Fach Naturwissenschaften ab dem Wintersemester 1968 Zahnmedizin studieren. Allerdings hatte
ich zu Beginn des neuen Weges, also mit damals
18, natürlich nicht die geringste Ahnung, was auf
Bevor Dr. Erich Göltl Zahnarzt
wurde, lernte er Kfz-Mechaniker. Auch heute noch weiß er
sich bei kleinen Autoreparaturen selbst zu helfen.
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Post und als Maschinenführer im Tiefbau finanziert. Ich bekam zudem eine kleine Waisenrente,
später ein Studiendarlehen und habe während der
Ferien und später auch im Nachtdienst in einem
Krankenhaus gearbeitet.
Foto: privat
BZB: Gibt es Parallelen zwischen dem Beruf als Mechaniker und dem als Zahnarzt?
Göltl: Über Parallelen zwischen den beiden Berufen habe ich mir keine großen Gedanken gemacht.
Allerdings ist handwerkliches Geschick eine Grundvoraussetzung sowohl für den Zahnarzt als auch
für den Kfz-Mechaniker. Ebenso das Bemühen, Probleme systematisch zu analysieren und zu lösen.
Mit gerade einmal 13 Jahren begann Göltl seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker.
mich zukommen würde und auch nicht, wo ich
schließlich enden würde. Aber der Drang, sich mit
dem Erreichten nicht zufriedenzugeben, hat mich
mein Leben lang begleitet.
BZB: Ist Ihnen das Studium mit Ihren Lebenserfahrungen leichter oder schwerer gefallen als den Studienkollegen?
Göltl: Das Studium selbst ist mir am Anfang sehr
schwergefallen, weil ich die Art des selbstständigen Lernens ohne klare Führung nicht kannte.
Später war das kein Problem mehr und ich sah
keinen Unterschied zu meinen Kommilitonen. Viel
schwerer empfand ich aber die ersten Jahre meiner schulischen Ausbildung bis zur Mittleren Reife.
Die Voraussetzungen, die ich aus der Volksschule
mitbrachte, waren mehr als dürftig, und die Fülle
der neuen Informationen konnte ich oft nur schwer
verarbeiten.
BZB: Und wie ist es, einer der Ältesten im Studium
zu sein?
Göltl: In meinem Semester waren noch zwei weitere Seiteneinsteiger, sodass ich gar nicht der Älteste war. Aber natürlich war ich teils viel älter
als die meisten meiner Studienkollegen, was aber
nach anfänglichem Beschnuppern nie ein Problem
war. Oft war ich eben sogar wegen meiner Erfahrungen und vor allem wegen meiner handwerklichen Fähigkeiten sehr geschätzt. Auch haben sich
Freundschaften entwickelt, die bis heute bestehen.
BZB: Haben Sie je die Arbeit mit Schraubenschlüssel
und Hebebühne vermisst oder die Entscheidung für die
Zahnmedizin bereut?
Göltl: Vermisst habe ich die Arbeit nie. Allerdings
habe ich noch viele Jahre nach meiner Lehre immer wieder in meinem alten Beruf gearbeitet und
konnte und kann mir mit meinen Autos auch oft
selbst helfen. Übrigens ist mir da auch der Zahnarztberuf von Nutzen. Kürzlich habe ich bei einer
Reparatur Abgussmasse genommen statt das Originalmaterial – klappt viel besser.
BZB: Seit 1975 führen Sie eine eigene Praxis. Wie geht
es für Sie weiter, wenn Sie eines Tages die Tür zu Ihrer
Praxis schließen?
Göltl: Gute Frage! Leider muss ich kurz vor Ende
meiner beruflichen Laufbahn noch neue Räume
suchen, weil mein Mietvertrag gekündigt wurde.
Wenn ich die gefunden habe, suche ich nach einem Assistenten, der dann hoffentlich meine Nachfolge antritt. Bis es soweit ist, habe ich aber noch
gut zu tun!
Die Fragen stellte Ilka Helemann.
Seiteneinsteiger?
Sind auch Sie über „Umwege“ zur Zahnmedizin gekommen? Haben Sie vor dem Studium einen anderen
Beruf erlernt, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg
gemacht oder erst etwas anderes studiert? Wir interessieren uns für die Seiteneinsteiger im Fach Zahnmedizin. Auch weil sie anderen Mut machen können,
ihren Wunschberuf doch noch zu ergreifen. Wir freuen
BZB: Wie haben Sie Abendschule und Studium finanziert?
Göltl: Die Abendschule habe ich mir mit Jobs als
Mechaniker bei BMW und Bosch, aber auch bei der
uns, wenn Sie sich bei uns melden: KZVB-Pressestelle,
Leo Hofmeier, Fallstraße 34, 81369 München, E-Mail:
[email protected], Telefon: 089 72401-184, Fax: -276.