46 BZB September 15 Praxis KZVB Die Seiteneinsteiger: Erst Schraubenschlüssel, dann Kürette Dr. Erich Göltl ist gelernter Kfz-Mechaniker Zahnarzt gilt als handwerklicher Beruf. Das kann Dr. Erich Göltl bestätigen, der vor seinem Studium eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker gemacht hat. Mit 17 entschied er sich, nochmal die Schulbank zu drücken. Mittlerweile führt er seit 40 Jahren seine eigene Praxis in Bad Wiessee. Foto: KZVB BZB: Sie waren 13, als Sie die Lehre zum Kfz-Mechaniker begannen. Wie kam es dazu? Göltl: Ich bin im Dezember geboren und war zu Beginn des Schuljahres eben erst fünf. Bei einer zufälligen Begegnung eines Lehrers mit meiner Mutter befand er, dass ich ja durchaus schon kräftig genug wäre, um eingeschult zu werden. Meine Mutter willigte ein, und so kam es, dass ich die Volksschule bereits mit 13 Jahren abschloss. In dieser Zeit entwickelte sich auch mein Berufswunsch Zahnarzt. Trotz unserer bescheidenen Lebensumstände war ich ein glückliches Kind, bis kurz nach meinem elften Geburtstag meine Mutter völlig unerwartet starb. Mein Vater war nicht aus dem Krieg zurückgekehrt und so lebte ich mit meiner Schwester und meiner Großmutter in einer kleinen Wohnung zusammen. Trotz guter Noten bekam ich nur mit Mühe die Lehrstelle als Automechaniker. Bald wurde mir gezeigt, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Es waren harte Jahre, auch finanziell – das Lehrgeld betrug 5,76 DM die Woche. Davon waren Arbeitskleidung, Verköstigung, Zug- fahrt und alle sonstigen Dinge des täglichen Gebrauchs zu bezahlen. BZB: Mit 17 fiel die Entscheidung, nochmal auf die Schulbank zurückzukehren – erst Abendschule zur Mittleren Reife, dann Hochschulreife und abschließend Ihr Wunschstudium der Zahnmedizin. Was hat Sie veranlasst, diesen Schritt zu gehen? Göltl: Ich schloss, vor allem dank meiner Familie, meinem Vormund und seiner Mitarbeiterin, die Lehre nach 3,5 Jahren erfolgreich ab. Kurz darauf verließ ich meinen Ausbildungsbetrieb und trat eine Stelle bei Audi in Ingolstadt an. Auch dort wurde mir mein Korsett bald zu eng. Insgesamt war ich mit den Perspektiven meines erlernten Berufes nicht mehr zufrieden und fühlte mich unterfordert. Ich hatte von der Möglichkeit gehört, die Mittlere Reife innerhalb eines Jahres zu erlangen, was Voraussetzung für ein Ingenieurstudium am Polytechnikum war. Als ich die Mittlere Reife, mit inzwischen 21 Jahren, in der Tasche hatte, war der Ingenieur nicht mehr so interessant und mein alter Berufswunsch flammte wieder auf. Nach 2,5 Jahren hatte ich das Abitur und konnte anschließend nach einer einsemestrigen Ehrenrunde im Fach Naturwissenschaften ab dem Wintersemester 1968 Zahnmedizin studieren. Allerdings hatte ich zu Beginn des neuen Weges, also mit damals 18, natürlich nicht die geringste Ahnung, was auf Bevor Dr. Erich Göltl Zahnarzt wurde, lernte er Kfz-Mechaniker. Auch heute noch weiß er sich bei kleinen Autoreparaturen selbst zu helfen. Praxis BZB September 15 47 KZVB Post und als Maschinenführer im Tiefbau finanziert. Ich bekam zudem eine kleine Waisenrente, später ein Studiendarlehen und habe während der Ferien und später auch im Nachtdienst in einem Krankenhaus gearbeitet. Foto: privat BZB: Gibt es Parallelen zwischen dem Beruf als Mechaniker und dem als Zahnarzt? Göltl: Über Parallelen zwischen den beiden Berufen habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Allerdings ist handwerkliches Geschick eine Grundvoraussetzung sowohl für den Zahnarzt als auch für den Kfz-Mechaniker. Ebenso das Bemühen, Probleme systematisch zu analysieren und zu lösen. Mit gerade einmal 13 Jahren begann Göltl seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. mich zukommen würde und auch nicht, wo ich schließlich enden würde. Aber der Drang, sich mit dem Erreichten nicht zufriedenzugeben, hat mich mein Leben lang begleitet. BZB: Ist Ihnen das Studium mit Ihren Lebenserfahrungen leichter oder schwerer gefallen als den Studienkollegen? Göltl: Das Studium selbst ist mir am Anfang sehr schwergefallen, weil ich die Art des selbstständigen Lernens ohne klare Führung nicht kannte. Später war das kein Problem mehr und ich sah keinen Unterschied zu meinen Kommilitonen. Viel schwerer empfand ich aber die ersten Jahre meiner schulischen Ausbildung bis zur Mittleren Reife. Die Voraussetzungen, die ich aus der Volksschule mitbrachte, waren mehr als dürftig, und die Fülle der neuen Informationen konnte ich oft nur schwer verarbeiten. BZB: Und wie ist es, einer der Ältesten im Studium zu sein? Göltl: In meinem Semester waren noch zwei weitere Seiteneinsteiger, sodass ich gar nicht der Älteste war. Aber natürlich war ich teils viel älter als die meisten meiner Studienkollegen, was aber nach anfänglichem Beschnuppern nie ein Problem war. Oft war ich eben sogar wegen meiner Erfahrungen und vor allem wegen meiner handwerklichen Fähigkeiten sehr geschätzt. Auch haben sich Freundschaften entwickelt, die bis heute bestehen. BZB: Haben Sie je die Arbeit mit Schraubenschlüssel und Hebebühne vermisst oder die Entscheidung für die Zahnmedizin bereut? Göltl: Vermisst habe ich die Arbeit nie. Allerdings habe ich noch viele Jahre nach meiner Lehre immer wieder in meinem alten Beruf gearbeitet und konnte und kann mir mit meinen Autos auch oft selbst helfen. Übrigens ist mir da auch der Zahnarztberuf von Nutzen. Kürzlich habe ich bei einer Reparatur Abgussmasse genommen statt das Originalmaterial – klappt viel besser. BZB: Seit 1975 führen Sie eine eigene Praxis. Wie geht es für Sie weiter, wenn Sie eines Tages die Tür zu Ihrer Praxis schließen? Göltl: Gute Frage! Leider muss ich kurz vor Ende meiner beruflichen Laufbahn noch neue Räume suchen, weil mein Mietvertrag gekündigt wurde. Wenn ich die gefunden habe, suche ich nach einem Assistenten, der dann hoffentlich meine Nachfolge antritt. Bis es soweit ist, habe ich aber noch gut zu tun! Die Fragen stellte Ilka Helemann. Seiteneinsteiger? Sind auch Sie über „Umwege“ zur Zahnmedizin gekommen? Haben Sie vor dem Studium einen anderen Beruf erlernt, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht oder erst etwas anderes studiert? Wir interessieren uns für die Seiteneinsteiger im Fach Zahnmedizin. Auch weil sie anderen Mut machen können, ihren Wunschberuf doch noch zu ergreifen. Wir freuen BZB: Wie haben Sie Abendschule und Studium finanziert? Göltl: Die Abendschule habe ich mir mit Jobs als Mechaniker bei BMW und Bosch, aber auch bei der uns, wenn Sie sich bei uns melden: KZVB-Pressestelle, Leo Hofmeier, Fallstraße 34, 81369 München, E-Mail: [email protected], Telefon: 089 72401-184, Fax: -276.
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