Umsetzung und Kontrolle des Mindestlohns

Umsetzung und Kontrolle des
Mindestlohns
11. Workshop Europäische Tarifpolitik:
Ein Jahr Mindestlohn in Deutschland – Erfahrungen und
Perspektiven
28./29. Januar 2016
(Streit)fragen um das MiLoG
• Verfassungsrechtliche Bedenken
• Fragen der Rechtsanwender:
– Anwendung des Gesetzes
– Anrechnungsfälle
– Mindestlohn und Arbeitszeit
– Änderungen im Arbeitsvertrag – Unabdingbarkeit des
Mindestlohns
– Entgeltfortzahlung und Mindestlohn
• Kontrolle des MiLoG
• Mindestlohnkommission
• Mindest- und Arbeitslohn von Flüchtlingen
Kerstin Jerchel, ver.di
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MiLoG verfassungsgemäß?
• Verfassungsrechtliche Bedenken:
– Verstoß gegen Art. 12 und 14 GG – Transportund Logistikunternehmer (§§ 16, 17, 20 MiLoG)
– Verstoß gegen Art. 3 GG – Jugendliche
– Verfassungswidrigkeit § 24 Abs. 2 MiLoG?
• BVerfG, Beschlüsse vom 25.6.2015, 1 BvR 20/15;
1 BvR 37/15; 1 BvR 555/15: Beschwerden nicht
angenommen - Rechtswegverweisung
Kerstin Jerchel, ver.di
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Anwendung des Gesetzes
• Grundsatz: ArbeitnehmerInnen erhalten Mindestlohn
– Nicht zu zahlen an: Strafgefangene/Sicherungsverwahrte –
Beschlüsse des OLG Hamburg
– Menschen, die in Werkstätten für Behinderte arbeiten –
arbeitnehmerähnliche Personen – ArbG Kiel, 19.6.2015
• Sonderregelung Zeitungszustellung: § 24 Abs. 2
MiLoG „..ausschließlich periodische Zeitungen…“
– bei Werbung, Briefen etc. greift diese Ausnahme nicht: ArbG
Nienburg, 13.8.2015: „§ 24 Abs. 2 ist restriktiv auszulegen“
Kerstin Jerchel, ver.di
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Vorrang anderer Mindestlöhne
• MiLoG schafft eine allgemeine Lohnuntergrenze für
Arbeitsentgelt branchenweit
• Verhältnis MiLoG zu anderen Mindestlöhnen regeln §§ 1 Abs. 3
und 24 Abs. 1 MiLoG
• Vorrang niedrigerer Branchenmindestlöhne bis 31.12.17,
aber ab 2017 Mindestentgelt von 8,50 € - eine mögliche
Erhöhung des MiLo wirkt dort noch nicht
• Branchenmindestlöhne über 8,50 € gehen MiLoG vor,
allerdings nur in Bezug auf die Entgeltregelungen
• Fall aus der Rechtsprechung: ArbG Hamm, 11.9.15 –
fehlerhafte Auslegung von Sinn und Zweck des MiLoG
Kerstin Jerchel, ver.di
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Anrechnungsfälle(1)
• Wortlaut des § 1 Abs. 2 MiLoG: 8,50 € brutto pro
Zeitstunde
• Gesetzgeber: Rechtsprechung des BAG und des
EuGH sind anzuwenden
• BAG 16.4.2014, 4 AZR 802/11 – Mindestlohn in
Abfallentsorgung – Zulage wurde angerechnet, VL
und Nachtarbeitszuschlag nicht → Entscheidung ist
nicht vollständig auf MiLoG anzuwenden:
– „Anzurechnen sind die Leistungen, die in ihrer
Zwecksetzung dem Mindestlohn funktional gleichwertig sind“
Kerstin Jerchel, ver.di
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Anrechnungsfälle(2)
• Ist jede (Über)stunde 8,50 € wert? → dafür spricht
der Gesetzeswortlaut
• A.A: Durchschnittsbetrachtung im Referenzzeitraum
• Anrechnung nach folgenden Urteilen unzulässig:
–
–
–
–
Nachtzuschläge: ArbG Bautzen, 25.6.2015
Akkordzuschläge: ArbG Herford, 11.9.2015
Urlaubsgeld/Sonderzahlung: LArbG Berlin-Brbg, 25.9.2015
Anwesenheitsprämie: Arbeitsgericht Bremerhaven, 5.11.15
Kerstin Jerchel, ver.di
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Anrechnungsfälle(3)
• Sonderfall: nur Weihnachtsgeld, das monatlich
anteilig und unwiderruflich gezahlt wird, kann
angerechnet werden
• Kost und Logis: „Zoll-online“ hat Anforderungen und
Höchstgrenzen für die Anrechnung veröffentlicht
• Fazit zu Fällen der Anrechnung:
– viele Streitfälle zur Höhe des zu zahlenden MiLo
– Positive Entscheidungen zu Anrechnungen überwiegen
– Ende 2016 sind rechtskräftige Entscheidungen zu erwarten
Kerstin Jerchel, ver.di
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Mindestlohn und Arbeitszeit
• BAG: 19.11.2014, 5 AZR 1101/12 – Mindestentgelt
nach Pflegemindestlohnverordnung auch für
Bereitschaftsdienst
• Nicht bestätigt durch Urteile ArbG Aachen/LAG Köln:
Arbeitsbereitschaft nach § 9 TVöD-V
(Rettungsdienst) – Durchschnittsberechnung ergab
einen Lohn über 8,50 €
• Fazit: Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte
endgültig über diese Fälle entscheiden.
Kerstin Jerchel, ver.di
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Änderungen Arbeitsvertrag
• Änderungskündigungen zur Entgeltabsenkung sind
unwirksam: LArbG Berlin/Brbg, 2.10.2015
• Kündigung nach Wunsch auf Zahlung MiLo ist
unwirksam: ArbG Berlin, 17.4.2015 und auch LArbG
Chemnitz, 24.6.2014
• Fazit: Einführung des MiLoG führte auch zu
Streitigkeiten über den Bestand von
Arbeitsverhältnissen – entgegen dem eindeutigen
Maßregelungsverbot aus § 612a BGB
Kerstin Jerchel, ver.di
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Entgeltfortzahlung und
Mindestlohn
• Für Fälle der Entgeltfortzahlung trotz Nichtarbeit (bei
Urlaub, Krankheit, Mutterschutz oder sonstiger
Verhinderung nach §§ 615, 616 BGB) → 8,50 € pro
Zeitstunde
• BAG hat dies jüngst bestätigt, Urteil v. 13.5.15 zur
Entgeltfortzahlung nach dem Mindestlohn in der
Weiterbildung
• Fazit: Streitigkeiten hierzu sind wohl weniger zu
erwarten
Kerstin Jerchel, ver.di
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Kontrolle des MiLoG
• §§ 14 - 18 MiLoG regeln die „Kontrolle und
Durchsetzung durch staatliche Behörden“
• Prüfkompetenz des Zolls besteht allen UN gegenüber
• Besondere Meldepflichten für Arbeitgeber mit Sitz im
Ausland, § 16 MiLoG
• Gesonderte Aufzeichnungspflichten zur Arbeitszeit
bei Mini-Jobbern und den im SchwarzarbeitsbekämpfungsG genannten Branchen, § 17 MiLoG
• VO über Aufzeichnungspflichten schränkt diese
Kontrolle wieder ein
Kerstin Jerchel, ver.di
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Mindestlohnkommission
• Die Mindestlohnkommission ist zuständig für die
Anpassung und laufende Evaluation der Auswirkungen
des Mindestlohns.
• Erstmalige Anpassung bis zum 30.6.2016 (mit Wirkung
zum 01.07.2017), danach alle zwei Jahre.
• Die Anpassung erfolgt durch eine Rechtsverordnung,
zu der die Sozialpartner angehört werden.
• Die Mindestlohnkommission wird durch die
Geschäftsstelle, angesiedelt bei der BAuA, unterstützt.
Kerstin Jerchel, ver.di
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Mindest- und Arbeitslohn von
Flüchtlingen(1)
• Das MiLoG knüpft am Arbeitnehmerbegriff an.
• Die Nationalität ist kein Anwendungskriterium.
• Besitzen Flüchtlinge eine Arbeitnehmereigenschaft,
findet das MiLoG Anwendung!
• Der Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme hängt vom
Aufenthaltsstatus der Flüchtenden ab.
• Sobald ein Bleibestatus vorliegt, sind es
ArbeitnehmerInnen → kein Parallelarbeitsrecht für
Flüchtlinge!
Kerstin Jerchel, ver.di
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Mindest- und Arbeitslohn von
Flüchtlingen(2)
• § 98a AufenthG (unverändert) schützt Ausländer
ohne einen regulären Aufenthaltstitel nach
erbrachter Arbeitsleistung hinsichtlich des Entgelts
(übliche Vergütung).
• Damit sind dann 8,50 Euro pro Zeitstunde zu
zahlen.
• Ein aktueller Aufsatz von Schubert, AuR 2015, 430
enthält weitergehende Informationen.
Kerstin Jerchel, ver.di
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Schlussbemerkungen(1)
• Der Mindestlohn hat der deutschen Wirtschaft nicht
geschadet, sondern genützt!
• Belegt wird dies durch aktuelle Auswertungen des
Statistisches Bundesamtes:
- hohe Nominallohnsteigerungen
- geringfügig Beschäftigte und Ungelernte profitieren
überproportional vom MiLoG
Kerstin Jerchel, ver.di
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Schlussbemerkungen(2)
• Einführung hat die für das Gesamtwirtschaftsystem
enorm wichtige Binnennachfrage spürbar belebt.
• Die Sozialversicherung hat davon ebenfalls positiv
partizipiert. (BMAS und Deutsche Bank)
• Verschiedene Streitfragen im Arbeitsrecht sind noch zu
klären.
• Die Kritiker des MiLoG sind durch die beschriebenen
Entwicklungen widerlegt!
Kerstin Jerchel, ver.di
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Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit!
Kerstin Jerchel, ver.di
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