Kap.2

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Kapitel 2 · Behandlungsmöglichkeiten der Depression
Die Suche nach einem Therapieplatz
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Noblesse
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Da habe ich mir eine Liste mit mindestens 20 Adressen angelegt, komme jedoch über Vorgespräche mit dem Ergebnis: »Ich kann Ihnen leider keinen Therapieplatz anbieten, aber probieren Sie es doch mal da und da und dort« kaum hinaus, und dann verlasse ich die Praxis mit ein
bis zwei weiteren Adressen.
Überall wo ich auch anrufe erwische ich immer nur den Anrufbeantworter mit der Instruktion,
man möge zwischen 14:00 Uhr und 14:05 Uhr anrufen, oder fünf Minuten vor voller Stunde
oder zehn Minuten vor gerader Uhrzeit, da erreicht man natürlich auch niemanden!! Andere
Variante: Via Anrufbeantworter wird man aufgefordert, seine Telefonnummer für Rückrufe zu
Terminvereinbarungen zu hinterlassen, auch das habe ich immer getan, natürlich ruft auch
da niemand zurück. Es kommt mir langsam vor wie beim Lottospielen – die Chance auf sechs
Richtige ist ja rechnerisch auch eher marginal.
Es nervt mich vor allem, weil ich mit meinem Medikament ganz gut eingestellt bin, mich psychisch so stabil fühle, dass ich mich auch auf eine Therapie einlassen kann, dass ich über alles
reflektieren kann und vor allem auch wieder ein gutes Stück Energie und Zukunftsperspektive
finde, mich einfach auch wieder so weit den Anforderungen des Alltags gewachsen fühle,
optimistischer bin und darauf möchte ich aufbauen.
Ich hatte mittlerweile zwei Termine, kommende Woche den dritten Termin bei der dritten
Therapeutin, jedesmal nur für ein Vorgespräch und ich hatte bei beiden Therapeuten
einen guten Eindruck und das Gefühl, dass ich ihnen das erforderliche Vertrauen für eine
therapeutische Arbeit entgegenbringen kann. Ich will auch ein Stück weiter kommen – ich
kann doch nicht ewig und immer nur Vorgespräche führen, das muss doch auch einmal
weitergehen!!
So oder so ähnlich beginnt oft die Suche nach einem geeigneten Therapieplatz. Damit die Psychotherapie von den gesetzlichen Krankenkassen
erstattet wird, muss sie bei einem Psychotherapeuten stattfinden, der eine
Kassenzulassung hat. Die Zahl dieser Psychotherapeuten wird von den
Krankenkassen aus verschiedenen Gründen beschränkt. So erklärt es sich,
dass man bei dieser Suche u. U. damit rechnen muss, über mehrere Wochen
oder sogar Monate hinaus auf einen ersten Gesprächstermin warten zu
müssen, da viele zugelassene Therapeuten über längere Zeiträume hinweg
nur über eine geringe Zahl an freien Terminen verfügen.
Patienten, die privat versichert sind, sollten vor dem Beginn einer
Therapie bei ihrer jeweiligen Krankenkasse detaillierte Informationen über
eine eventuelle Kostenübernahme erfragen.
Viele Patienten wissen auch nicht, wo sie überhaupt mit dieser Suche
beginnen sollen. Hat man vom behandelnden Arzt keine konkreten Empfehlungen für bestimmte Therapeuten erhalten, können die Kassenärztlichen Vereinigungen eine gute Anlaufstelle sein, um sich zu informieren,
welche Therapeuten für eine Psychotherapie in Frage kommen. Über die
Internetseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (http://www.kbv.de/
service/178.html) kann man z. B. einfach und schnell Hilfe bei der Suche
nach einem freien Therapieplatz finden. Auch die Psychotherapeutenkammern der jeweiligen Bundesländer sowie Beratungsstellen und sozialpsychiatrische Dienste können bei dieser Suche behilflich sein.
Um einen Termin bei einem Psychotherapeuten zu vereinbaren, braucht
der Patient nicht zwingend eine Überweisung eines Arztes. Er kann sich
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2.5 · Psychotherapie
auch direkt an den Psychotherapeuten wenden, in diesem Fall muss er
allerdings bei ihm die Praxisgebühr entrichten.
Der eigentlichen Therapie gehen immer sog. »probatorische Sitzungen«
voraus, die Kosten davon übernehmen die Krankenkassen. Als gesetzlich
versicherter Patient kann man bei einer Verhaltenstherapie oder einer
tiefenpsychologischen Therapie bis zu fünf, bei einer Psychoanalyse bis
zu acht solcher Sitzungen pro Therapeut in Anspruch nehmen. Während
dieser Sitzungen kann der Patient überprüfen, ob zwischen ihm und dem
Therapeuten die sog. Chemie stimmt. Im Idealfall sollte er auf seine innere
Stimme hören können. Wenn er sich gut aufgehoben fühlt, ist eine wichtige
Voraussetzung für den Therapieerfolg erfüllt; wenn nicht, sollte er besser
einen anderen Therapeuten aufsuchen.
Während der Probesitzungen erstellt der Psychotherapeut die Diagnose
und stellt dann den Antrag bei der Krankenkasse. Zu diesem Zeitpunkt
holt er zusätzlich vom Haus- oder Facharzt einen sog. Konsiliarbericht
ein, in dem der Arzt bescheinigt, dass keine medizinischen Gründe gegen
die Durchführung einer Psychotherapie sprechen. In der Regel beträgt die
Bearbeitungszeit der Anträge vier bis sechs Wochen.
Eine Sitzung dauert normalerweise 50 Minuten. Die Länge einer Psychotherapie hängt von der Schwere und Dauer der Erkrankung, sowie von
der Therapiemethode ab. Meist wird zunächst entweder eine Kurzzeittherapie von 25 Sitzungen oder eine Langzeittherapie von 45 Sitzungen
beantragt. Bei Bedarf kann im Anschluss in mehreren Schritten noch
verlängert werden. Eine Verhaltenstherapie dauert maximal 80 Stunden,
eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie auch bis zu 80 Stunden
und die psychoanalytische Psychotherapie kann bis zu 300 Sitzungen in
Anspruch nehmen. Die jeweiligen Verlängerungsanträge werden immer
vom Therapeuten gestellt.
Nach Beendigung einer Psychotherapie werden bei gesetzlich versicherten Patienten zunächst für zwei Jahre keine weiteren Sitzungen übernommen.
Ein häufiges Problem stellen die langen Wartezeiten auf einen freien
Therapieplatz dar. Die meisten Patienten sind sehr frustriert, wenn sie mit
dieser Tatsache konfrontiert werden.
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Baryton
Im Februar habe ich mich darum bemüht, eine Therapie zu beginnen. Doch die Psychologen,
die ich angerufen habe, haben eine Wartezeit von sechs Monaten bis zu einem Jahr!!
Jetzt sind schon ein paar Monate vorbeigegangen und ich habe immer noch einige vor mir.
Zurzeit fällt es mir besonders schwer, so lange durchzuhalten. (…)
Habt ihr eine Idee, was ich selbst noch für mich tun könnte, um die Zeit bis dahin auch zu
nutzen? (...)
Meistens ist es leider nötig, eine ganze Reihe von Telefonaten zu führen,
bevor man eine Zusage erhält. Es ist daher sinnvoll, sich bei dieser Suche
durch die Angehörigen unterstützen zu lassen. Oftmals verfügt ein nichtdepressiver Mensch über mehr Geduld und Ausdauer, um sich nicht durch
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Kapitel 2 · Behandlungsmöglichkeiten der Depression
einige Absagen zu sehr abschrecken zu lassen und die Suche weiterführen
zu können.
Es ist auch immer sinnvoll, sofort bei mehreren Therapeuten anzurufen
und sich nach einem Termin für eine Probesitzung zu erkundigen. Es ist
durchaus üblich und empfehlenswert, sich gleichzeitig auf mehrere Wartelisten setzen zu lassen, um die Chancen auf den Erhalt eines schnellen Termins
zu erhöhen. Auch sollte der Patient sein Interesse ausdrücklich bekunden
für den Fall, dass der Therapeut unvorhergesehenerweise einen freien Therapieplatz durch Absagen von anderen Patienten bekommt. Es ist zwar anstrengend, aber in manchen Fällen hat ständiges Nachhaken bei Therapeuten
diesbezüglich bereits zum Erhalten eines Therapieplatzes geführt.
Manche Betroffene können auch weitere Tipps geben, die ihnen persönlich weitergeholfen haben, diese langen Wartezeiten zu überbrücken
oder gar zu verkürzen:
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Jack
Ich habe letztes Jahr, als ich auch noch keine Therapeutin in Aussicht hatte, einfach in meiner
näheren Umgebung so ungefähr 15–20 Therapeuten angerufen (auch Anrufbeantworter)
und gefragt, ob sie Krisensitzungen anbieten können. Ich habe dann auch eine gefunden, die
mich zwei Monate lang betreut hat, bis ich MEINE Therapeutin hatte.
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Mandarine
Konnte dir denn keiner der Therapeuten wenigstens eine probatorische Sitzung anbieten,
also einen Termin zum »Kennenlernen«? Solche Termine haben die meisten Therapeuten
zwischendurch schon mal frei. Frage konkret danach, auch im Hinblick auf das Überbrücken,
dass es eine Hilfe für dich wäre. Meine Therapeutin hatte mir das angeboten, so konnte ich
damals in unregelmäßigen Abständen ein paarmal kommen, bis sie einen Platz frei hatte.
Es war so schon etwas einfacher, weil ich wusste, da ist jetzt ein Ansprechpartner. Allerdings
ist es auch teilweise schwierig, weil man dann ja anfängt, über alles Mögliche zu reden und
nachzudenken, und vieles bewegt sich und dann muss man wieder lange warten bis zum
nächsten Termin. Es ist so oder so nicht ideal. Aber wenn du so dringend Gesprächsbedarf
hast, versuche es ruhig!
Dann fällt mir noch ein: Gibt es in deiner Stadt irgendwelche Beratungsstellen oder Ähnliches? Irgendwelche Einrichtungen, die Gespräche bei psychischen Problemen anbieten, Krisendienste, Frauenberatungen etc. Vielleicht könnte das eine Möglichkeit sein. (…)
Masurka
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Ich überbrücke meine Zeit bis zur nächsten Therapie mit meinem Psychiater, der mir wenigstens regelmäßige Gespräche und Hilfe in Krisensituationen (zumindest während der Sprechzeiten) angeboten hat. Ich war ihm sehr dankbar dafür. (…)
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Sally
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Manchmal findet sich bei akutem Zustand in einer Klinik schneller ein Helfer, der einem einen
Telefonanruf abnimmt, das kann quasi eine Erstentlastung bedeuten. Ich war z. B. im normalen Klinikum auf der Abteilung für Psychosomatik, das hatte für mich schon einmal einen
erleichternden Touch. Und der diensthabende Arzt hat noch am gleichen Tag einen ambulanten Gesprächstermin für mich abgemacht.
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2.5 · Psychotherapie
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Farmersfrau
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Meine Empfehlung sieht folgendermaßen aus: Aus jedem Therapeuten, mit dem man spricht,
einen Termin herauspressen, auch wenn der erst in drei, sechs oder zehn Monaten ist. Dann
hat man schon mal den Fuß in der Tür. Außerdem kann man auch bei einer Absage immer
aufs Neue nachfragen, denn es brechen auch ständig Patienten kurzfristig eine Therapie ab
und so werden wieder Plätze frei.
Außerdem würde ich mit jemandem von der Krankenkasse sprechen (persönlich, nicht am
Telefon). Die haben eine vollständige Liste aller Therapeuten in der Region (nicht nur die,
welche im Telefonbuch stehen). Außerdem können die auch sagen, welche Psychologen eine
Therapiezulassung haben, oder welche weiteren Möglichkeiten bestehen.
Eine dritte Möglichkeit sind soziale Dienste und Selbsthilfegruppen für Depressive, die es
überall gibt. Die wissen auch oft Rat.
Wie finde ich »meinen« Therapeuten?
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Sirene
(…) Ich habe so lange gewartet und habe nun endlich einen Platz bekommen. Doch was
mache ich, wenn dann die Chemie zwischen uns nicht stimmt? Da muss es doch irgendwie eine Sicherheit geben, dass es dann passt und ich nicht umsonst gewartet habe. (…)
Mindestens genauso entscheidend für einen Therapieerfolg wie die Wahl
der Therapieform ist die Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und
Patient. Es gibt sogar Studien, die davon ausgehen, dass dieser spezielle
Beziehungsaspekt etwa 50% des Therapieerfolgs ausmachen kann (Hegerl
et al. 2005).
In vielen Fällen täuscht der unmittelbare Eindruck nicht, den der
Patient vom Therapeuten in den ersten Sitzungen hat. Selbst die Kontaktaufnahme über das Telefon kann bereits eine Vorstellung davon vermitteln, wie sich das Verhältnis zwischen Therapeut und Patient entwickeln
wird.
Hat man beim ersten Therapeuten ein zwiespältiges oder gar schlechtes
Gefühl, so kann man problemlos diese Kontaktaufnahme abbrechen und
einen weiteren Anlauf bei einem anderen Therapeuten versuchen.
Der ideale Therapeut soll dem Patienten Zuwendung, Verständnis für
seine Lage und Feingefühl, kurz, empathisches Verstehen und Akzeptanz
entgegenbringen ( Abschn. 7.2.) Bereits nach den ersten Sitzungen kann
der Patient sich über folgende Themen Gedanken machen: zeigt der Therapeut Interesse an meiner Person, nimmt er mich mit meinem Anliegen
ernst? Beantwortet er mir meine Fragen? Fühle ich mich von ihm »aufgebaut« und »angenommen«? Fühle ich mich zuversichtlich bei der Vorstellung, mit diesem Menschen während vieler Stunden über mein Innerstes
und meine Probleme zu sprechen?
Viele Forumsteilnehmer haben sich auch mit diesen Fragen beschäftigt
und haben sie klar für sich beantworten können, wie folgende Beiträge
zeigen:
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Kapitel 2 · Behandlungsmöglichkeiten der Depression
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Schnurr
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Die Person des Therapeuten ist der Schlüssel zu allem in der Therapie – ich habe lange gesucht, bis mein Gefühl »Ja« gesagt hat.
Der Therapeut muss zu dir »passen«, er/sie kann sonst nicht den richtigen Zugang zu dir finden, es ist eine menschliche Beziehung auf Zeit, um die es hier geht und, vielleicht klingt das
blöd, es ist eine besondere Form von Liebesbeziehung, ein Gespräch von Seele zu Seele, nicht
von Kopf zu Kopf, was eine erfolgreiche Therapie ausmacht. Und dann ist letztlich auch egal,
wie man die Therapie nennt. (…)
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Caroline62
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Die Tatsache, dass du dich nicht wohlfühlst bei deinem Therapeuten, sondern unter Druck
gesetzt und irgendwie niedergemacht, ist ein Zeichen dafür, dass er nicht der richtige für dich
ist. Es stimmt natürlich, dass beide, Therapeut UND Patient überlegen müssen, ob sie miteinander können oder nicht. Das schließt aber auch DICH mit ein. Du musst ja auch das Gefühl
haben, dass du dich wohlfühlst, dich ihm anvertrauen kannst, denjenigen magst und ihm
auch mal sagen kannst, wenn dir etwas nicht passt.
In meiner Therapiegeschichte habe ich zuerst den Fehler gemacht, bei einer Therapeutin zu
bleiben, bei der ich mich immer klein und dumm gefühlt habe und sie war so allwissend und
groß ..., das Ganze hat mir überhaupt nichts gebracht. Dann habe ich meine zweite Therapeutin gefunden, und diese war genau das Gegenteil: ich hatte das Gefühl, sie interessiert sich
wirklich für mich, sie fühlt mit und für sie bin ich nicht nur so ein »Fall«. Bei ihr war ich dann
vier Jahre und sie hat mir sehr viel geholfen. Ich bin viel glücklicher und freier geworden.
Also höre auf deinen Bauch. Wenn der Therapeut dir nicht passt, du dich von ihm nicht verstanden, aber untergebuttert oder sogar unter Druck gesetzt fühlst, dann suche dir lieber
einen anderen. Es geht um DICH, und er soll gut für DICH sein, und wenn er es nicht ist, dann
ist er es halt nicht. Dann bringt auch die Therapie nichts. Du musst dich dort wohlfühlen!!
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Iphigenie
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(…) Als ich zum ersten Mal bei ihm war und meine Situation geschildert hatte, sagte er, dass
er mir keine Garantien geben könne, dass sich irgendetwas an meinem »Zustand« verändern
würde, garantieren könne er mir nur, dass er immer ehrlich und aufrichtig zu mir ist und sich
auch als Mensch einbringt, den er vom Therapeuten nicht trennen möchte, und umgekehrt.
Ich wusste, dass das MEIN Therapeut ist.
Er ist in der Lage, mir empathisch zugewandt zuzuhören und mir aufgrund dessen, was er gehört hat, die Fragen zu stellen, welche mich die Antworten finden lassen, die für mich richtig
sind. Und ich glaube, das ist das, was einen »guten« Therapeuten ausmacht. Er begleitet mich
auf MEINEM Weg, weil er ein bisschen wegerfahrener ist als ich. (…)
Wie diese Posterin schreibt, gibt es keine Garantien, schon gar nicht in
Bezug auf die Wahl des »richtigen« Therapeuten. Was für den einen Menschen passen mag, kann für einen anderen total kontraproduktiv sein. Die
Suche nach dem »richtigen« Therapeuten erfordert mehr als alles andere
vom Patienten ein Hineinhören, -fühlen und -spüren in sich selbst, verbunden mit der Suche nach Antwort auf die Frage: Kann ich mir vorstellen, mit
diesem Menschen während zahlreicher Sitzungen über meine innersten
und persönlichsten Schwierigkeiten und Angelegenheiten zu kommunizieren? Kann er diese Frage mit einem klaren »Ja« beantworten, dürfte einer
gelungenen Therapie in aller Regel nicht mehr allzu viel im Weg stehen.