Die Behandlung von “Substitutionssenioren”

Die Behandlung von
“Substitutionssenioren”
Recklinghausen, 17.06.2015
Dr. med. Thomas Poehlke
Münster / Westf.
Alter und Abhängigkeit
resignative Haltung gegenüber älteren Personen mit
substanzbezogenen Störungen
nach der Diagnose seltener als bei Jüngeren Behandlung
empfohlen: dies hat keine sachliche Begründung
Evidenz der Behandlungseffektivität Älterer aufgrund fehlender
Studien geringer als bei Jüngeren: es wird aber von einer
Wirksamkeit auch bei älteren Personen ausgegangen
(Royal College of Psychiatrists, 2011)
Opiate / Opioide ?
Opioide =
(dem Opium ähnlich) ist ein Sammelbegriff für eine
chemisch heterogene Gruppe natürlicher und synthetischer
Substanzen, die morphinartige Eigenschaften aufweisen und an
Opioidrezeptoren wirksam sind ( Heroin, Methadon )
Opiate =
natürlicherweise im Opium vorkommende Stoffe,
die chemisch Alkaloide darstellen und aus dem Schlafmohn
gewonnen werden ( Morphium )
Ätiologie der Opioidabhängigkeit
genetische Disposition
Konditionierung :
positive Verstärkung
soziales Umfeld:
broken-home, peer-groups
sensation seeking-behaviour :
Reizhunger
neurotische Fehlentwicklung:
Ich-Schwäche ,
emotionale Labilität
Neurobiologie:
mesolimbisches
Belohnungssystem und
Nucleus accumbens
Folgen der Opioidabhängigkeit
Infektionskrankheiten
Abszesse
Überdosen
Kriminalität
Arbeitsunfähigkeit
Prostitution
soziale Isolation
erhöhte Sterblichkeit
die Lebensprävalenz liegt bei 0,5%, wobei Männer deutlich
häufiger als Frauen betroffen sind ( 8:2)
potentieller Lebenszeitverlust bis zum 65. Lebensjahr: 18.3 Jahre
Hierarchie der Therapieziele (nach WHO)
Abstinenz/
Zufriedenheit*
Abstinenz
Streckung abstinenter Phasen
Minderung polyvalenter Phasen
Minderung von riskantem Konsummustern
Behandlung von Begleiterkrankungen
Überleben sichern
*mit schrittweiser soziale Integration/Rehabilitation
Opioid-Substitution
nach >20 Jahren Opioid-Substitution in Deutschland:
Erreichen von etwa 80.000 Abhängigen
Verminderung Infektion HIV
Behandlung HCV
Verbesserung der Gesundheit Abhängiger
Ärzte in der Opioid-Substitution
Zahl der aktiven Substitutionsärzte in Westfalen-Lippe
2000 bis 2013 von 356 auf 280 zurückgegangen
Zahl der Substitutionspatienten im selben Zeitraum:
von 5000 auf 11.400 gestiegen
91,7 Prozent Hausärzte
8,3 Prozent Fachärzte
( C.Richter, Leiter der Abteilung Besondere Genehmigungsgebiete bei
der KVWL, 2014)
Probleme bei Ärzten
Altersstruktur der Ärzte:
Durchschnittsalter 58,4 Jahre
66,7 Prozent sind älter als 56 Jahre
"Als Substitutions-Arzt stehen Sie quasi immer mit einem Bein im
Gefängnis.“
"Die Städte ziehen sich aus der Substitution zurück, fordern uns
aber auf, die Versorgung sicherzustellen„
( Dr. med. Dryden, Vorsitzender der KVWL, Ärztezeitung, 2014 )
Probleme bei Patienten
- Älterwerden von Abhängigen bisher nicht berücksichtigt
- > 25% der Substituierten älter als 40 Jahre
- Voralterung etwa 15 – 20 Jahre
- hoher Grad von physischer und psychischer Komorbidität
- kein „Herauswachsen“ aus psychischer Krankheit
- 70% der über 50jährigen Abhängigen werden substituiert
somatische Komorbidität älterer Drogenabhängiger
Herzbeschwerden, Bluthochdruck, Diabetes,
Leberinsuffizienz, Enzephalopathie, Abszesse
Zahnerkrankungen, Zahnausfall, Osteoporose,
Sturzverletzungen, Traumata allgemein,
zunehmende Beeinträchtigung durch Rauchen,
Alkohol, Mangelernährung und Bewegungsarmut
- nur ein kleiner Teil von ihnen hat einen Hausarzt -
Ausgrenzung, Vereinsamung, Erkrankung:
zunehmende Verhaltensauffälligkeiten
doppelte Exclusion: soziale Isolation
komorbide suchtmittelbezogene Störung
mangelnde Integrationsfähigkeit
unzureichende Versorgung im ländlichen Bereich
negative Erfahrungen mit Medizin,- Suchthilfe und
staatlichen Organisationen
psychische Komorbidität
Metaanalyse aus 16 Studien zu Drogenabhängigen und
Dualdiagnosen:
Angststörungen:
affektive Störungen:
Persönlichkeitsstörungen:
irgendeine psych. Störung:
( Frei und Rehm, 2001 )
8%
32%
42%
78%
neurokognitive Auffälligkeiten
neurokognitive Veränderungen durch polyvalenten Konsum:
Kokain, Amphetamine, Benzodiazepine
=Konzentrationsschwäche, Antriebsminderung,
Aufmerksamkeitsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen,
mangelnde Reaktionsfähigkeit, Einschränkung von
Psychomotorik und exekutiven Funktionen
(Enzephalopathie)
der ältere Patient in der Opioid-Substitution
besondere Beachtung: Veränderung der medikamentösen
Interaktionen, Pharmakokinetik
Dosierung der Medikamente verändert sich aufgrund geänderten
Verteilungsvolumens: Opioide wirken stärker, aber auch
Notwendigkeit zur Erhöhung der Tagesdosis zu beobachten
neben bekannten Phänomenen geriatrischer Fragestellungen
treten Aspekte der Infektiologie und der psycho-sozialen
Begleitung hinzu
Übertragungsphänomene
Abwehr gegen scheinbar maßlose Begehrlichkeit (wir wehren uns
auch gegen uns selbst = Anspruchshaltung und Lustbestimmung
entrüsten den moralischen Zensor)
Komplexität des „flexiblen Umgangs“ mit der Wahrheit wird
nicht erkannt: Beschämung und Täuschung führt zu
Gegenangriffen = Patient hat Therapeuten dort, wo er ihn haben
möchte: erneute Zurückweisung
Rettungsphantasien beim Therapeuten: „Als Hoffnungsträger für
andere schöpfen wir selbst Hoffnung“
Gegenübertragung
extreme Strenge
Verhaltensauffälligkeiten werden toleriert („gute therapeutische
Beziehung“)
Kumpelhaftigkeit
extreme Sachlichkeit ( eigentlich Distanzierung, wird aber als
Professionalität rationalisiert)
Situation und Bedarf
Bedarf an Fort- und Weiterbildung der Drogenhilfe
im Bereich der Geriatrie
Altenhilfe hat wenig Erfahrung hinsichtlich Drogenkonsum,
Drogenabhängigkeit und Verhaltensauffälligkeiten von
Drogenabhängigen
Altenwohnheimprojekte für Abhängige finden nicht durchgehend
die Zustimmung von Betroffenen und Altenhilfe
notwendig
Behandlung der Abhängigkeit sowie Folge -, und
Begleiterkrankungen
Berücksichtigung geriatrischer Erfahrungen
altersgerechte Modifizierung der Opioid-Substitution und PSB
Schaffung geeigneter Wohnformen
Diskussion spezieller Fragestellungen ( z.B. Inhaftierung )
interdisziplinäre Therapieangebote
Ausblick
Gesundheitsminister Gröhe:
stationäre Reha-Einrichtungen und Gesundheitsämter sollen mit
der Opioid-Substitutionstherapie beauftragt werden
Patienten selbst sollen, falls ihre Behandlung schon erfolgreich
fortgeschritten ist, den Bedarf für bis zu 30 Tage zur
selbstständigen Einnahme erhalten
- Warten wir auf den Paradigmenwechsel -
Was nicht klappt:
Der Arzt ist dazu da, den Kranken so lange zu amüsieren, bis die
Natur ihn geheilt hat.
( Voltaire )