1 Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann Christi Himmelfahrt

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann
Christi Himmelfahrt, Donnerstag, 14. Mai 2015, 10 Uhr
Predigt über Lukas 24, 44-53
Gnade sei mit euch und Frieden von dem, da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gemeinde, wie stellen Sie sich den Himmel vor? Ich meine nicht den, den wir durchfliegen, wenn
wir auf Reisen gehen. Obwohl schon der uns eine Ahnung von Unendlichkeit und Erhabenheit
vermittelt. Nein, ich meine aber den anderen Himmel. Den Himmel jenseits unserer Vorstellungen. Und
unsere Phantasien geraten angesichts dieses Paradoxes schon in Schwung. Wie stellen wir uns das
Unvorstellbare vor? Denn wir Menschen können doch gar nicht anders, als uns Vorstellungen zu
machen, wenn wir uns mit etwas beschäftigen. Das himmlische Jenseits: Bilder ziehen vor unseren
Augen vorbei. Vielleicht verschwommen und verweht. Vielleicht lichte Weite. Auf jeden Fall oben. Der
Himmel, er ist eher warm als kalt, denk ich mir. Leicht, natürlich. Und auf jeden Fall kein graues
Einerlei sondern in Farbe. Und einsam wird es nicht sein, im Himmel. Wie könnten wir sonst ewige
Freude empfinden, so allein mit uns in endloser Weite. Also Gemeinschaft. Und nicht nur Gemeinschaft
mit Harfe spielenden Engeln, will ich hoffen. Doch auch mit denen, die uns vorausgegangen sind. Und:
Gemeinschaft mit Gott. Und mit Christus, der zu seiner Rechten sitzt, wie wir im Bekenntnis unseres
Glaubens sprechen.
Der Himmel ist ein Sehnsuchtsort. Wir sehnen uns danach, dass der Himmel mehr ist als nur ein Fetzen
Blau inmitten der Unendlichkeit. Mehr als Fixsterne und Planeten, Sternennebel und schwarze Löcher.
Wir sehnen uns danach, dass es ein Ort ist, an dem wir ein Gegenüber finden. Einen Halt im
unendlichen Kosmos. Ein Ort, auf den wir zugehen am Ende unserer Zeit. Eine Heimat vielleicht, in der
wir erwartet werden, wenn es soweit ist.
Christus ist in den Himmel gefahren. Und dieses Ereignis war für unsere Väter und Mütter im Glauben
so entscheidend, dass es ein eigenes Fest bekam. Christi Himmelfahrt. Ganz bildlich stellt uns Lukas
dieses Geschehen mit einem Satz vor Augen. „Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen
und fuhr auf gen Himmel.“ Und ich stell mir vor, wie die Köpfe der Jüngerinnen und Jünger nach oben
gehen. Wie ihre Augen den Körper Jesu verfolgen. Wie sie schauen und schauen, bis er ihren Blicken
entschwunden ist. Im Blau des Himmels. Oder im Weiß der Wolken.
Die Bibel erzählt uns dies als kosmisches Geschehen, aber es hat auch einen seelischen Resonanzraum.
Denn in dieser Geschichte von der Himmelfahrt geht es um Trennung und Neubeginn. Um ein neues
Verstehen des Vergangenen und um eine Perspektive, die nach vorne zieht und Zukunft eröffnet und
Freude frei setzt.
Doch zunächst geht es um Trennung. Jesus wird vor den Augen der Jünger empor gehoben. Er wird
ihnen entzogen. Der, der bis zu diesem Moment körperlich anwesend war, entschwindet. Er
entschwindet ihren Augen. Seine Stimme entschwindet ihren Ohren. Nichts mehr, was mit zärtlicher
Geste zu berühren wäre. Er ist nicht mehr da. Abwesenheit. Sie müssen Abschied nehmen. Wie auch
wir so oft Abschied nehmen müssen.
Abschied nehmen ist eine Erfahrung, die man nicht erst im Alter macht. Abschied nehmen gehört zu
jeder Phase des Lebens dazu. Ich nehme Abschied von Orten, an denen ich einmal gelebt habe, von
Städten und Häusern. Ich nehme Abschied von Lebensphasen. Meine Kindheit. Meine Jugend. Mein
Berufsleben. Abschied nehmen von Aufgaben, denen ich entwachsen bin oder die mir zu schwer
wurden. Von Wünschen und Träumen, die sich als unerfüllbar oder falsch erwiesen. Ich nehme Abschied
von den Bildern, die ich mir von mir selbst oder von einem anderen gemacht habe, und die sich als
falsch erwiesen oder lähmend, als unhaltbar. Ich nehme Abschied von Menschen, die einmal zu mir
gehörten. Loslassen müssen. Loslassen - auch das, was ich liebe. Und das ist das schwerste. Aber diese
Abschiede gehören zum Leben, mal quälend und schmerzlich, mal mit Erleichterung. Und häufig ist das
gar nicht auseinander zu halten. Abschiede sind ambivalent. Sie schweben zwischen Verlust und
Aufbruch, Angst und Möglichkeiten, Trauer und Hoffnung.
Ach, bleibe doch, mein liebstes Leben,
Ach, fliehe nicht so bald von mir!
Dein Abschied und dein frühes Scheiden
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Bringt mir das allergrößte Leiden,
Ach ja, so bleibe doch noch hier;
Sonst werd ich ganz von Schmerz umgeben.
So die Worte der Solo-Arie aus dem Himmelfahrtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Wir werden es
später, in der Marienkirche, hören. Bach hat verstanden, dass diese Himmelfahrt Jesu auch Abschied
bedeutet. Auch Verlust. Auch Schmerz.
Wer Abschied nimmt, der schaut zurück. Wer Abschied nimmt, nimmt die Vergangenheit in den Blick.
Tastet die Erinnerungen ab. Wer Abschied nimmt, der versucht zu verstehen. Versucht zu deuten. Wie
hängt das alles zusammen: die Wege, die ich gegangen bin. Die Entscheidungen, die ich getroffen habe.
Begegnungen, die ich hatte. Wie ist das alles gekommen, welcher Sinn mag sich darin für mich, für dich
verbergen? Auch die Jüngerinnen und Jünger wollen verstehen. Und Jesus kommt diesem Wunsch nach.
Bei Lukas heißt es: „Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden. Und er
sprach zu Ihnen: So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am
dritten Tage“ Zusammenhänge werden sichtbar. Deutung wird möglich. Es ist nicht alles ein sinnloses
Unglück, von einem gleichgültigen Schicksal ausgewürfelt. Es ist nicht Zufall, was geschah. Die Zeit mit
ihm, mit all den Zeichen und Wundern, die sie erleben durften. Mit den Geschichten, die ihnen Gott
näher brachten und dem Leben eine Tiefe gaben, die ihnen bislang verschlossen gewesen war. Und sie
beginnen den Zusammenhang zu schauen, was dieses Leiden des Unschuldigen und sein bitterer Tod für
eine tiefere Bedeutung hat. Dieses Leiden, vor dem sie weggelaufen waren. Und sein Tod, der ihnen den
Boden unter den Füßen wegzog. Jetzt sehen sie die Zusammenhänge und gelangen zu einem tieferen
Verständnis. Sehen nicht nur Erniedrigung sondern auch Erhöhung. Spüren nicht nur Trauer sondern
auch Freude, und der Fluch, der auf ihnen zu lasten schien, verwandelt sich in Segen.
Hier auf der Schwelle, zwischen Dasein und Abwesenheit, zwischen unten und oben, empfangen sie von
Christus den Segen. Segen, das ist mehr als Worte. Segen ist eine wirksame Handlung. Eine Handlung,
die Wohlwollen und Schutz von Seiten Gottes verspricht. Auch wir erbitten an den Schwellen des
Lebens den Segen. Am Ende jedes Gottesdienstes wird er uns zugesprochen, bevor wir den Schritt nach
draußen tun. Bei der Konfirmation, dem Schritt ins Erwachsenenleben. Am Beginn einer Ehe. Am
Beginn einer Reise. Am Anfang des Lebens als Christ und an seinem Ende, wenn wir den letzten Segen
über einen Menschen sprechen. An den Schwellen des Lebens sind wir besonders segensbedürftig, weil
die Schwelle ein Zwischenort ist. Zwischen Vertrautem und Unbekanntem, zwischen Gestern und
Morgen. Zur Schwelle gehört das Zögern vor dem Übertritt, das dankbare oder traurige Zurückblicken
auf das, was wir verlassen, aber auch der neugierige oder bange Blick in die Zukunft. So oder so ist auf
der Schwelle die Kontinuität unseres Lebens gefährdet. Schwellenerfahrungen bringen uns schnell aus
dem Gleichgewicht, und manches Mal aus der Fassung. Um sie zu bewältigen, benötigen wir Sicherheit.
Vergewisserung. Die Gewissheit, dass jemand uns im Sprung hält. Dass jemand unser Leben diesseits
und jenseits der Schwelle zusammenhält und uns hier wie dort treu bleibt. Und so versichert der Segen
die Treue Gottes. Ich bleibe bei dir. Ich gehe mit. Ich halte dich. Meine Treue, meine Kraft, mein
Wohlwollen lege ich auf dich.
Immer ist Segen verbunden mit dem Element des Stetigen. Mit Wachsen und Reifen, mit Gedeihen und
Gelingen, mit Einwurzeln und Ausbreiten. Wer gesegnet wird, der nimmt Gottes gute Kraft in sich auf.
Und so bleiben die Jünger nicht einfach allein zurück. Sondern sie werden die Gesegneten.
Und mit ihnen geschieht eine Verwandlung. Freude wächst. „Mit großer Freude“, so heißt es am Ende,
kehrten sie nach Jerusalem zurück und lobten Gott. Was ist hier geschehen? Ist die Trauer einfach wie
weggefegt? Hat sie sich aufgelöst wie ein böser Nebel? Nein, so ist das mit der Trauer nicht, wir wissen
es. Aber es öffnet sich wieder etwas. Die Zumutung des Abschieds wird nicht geleugnet, aber es macht
sich wieder so etwas wie eine Neugier auf das Leben breit, das vor ihnen liegt. Die Dichterin Marie
Luise Kaschnitz beschreibt es so:
„Meine Neugier, die ausgewanderte, ist zurückgekehrt.
Mit blanken Augen spaziert sie wieder
Auf der Seite des Lebens.“
Und die Neugier zieht den Blick nach vorn. Und nach oben. Die Himmelfahrt Jesu erweitert den Jüngern
die Perspektive. Über den Abschied hinaus. Über die Abwesenheit hinaus. Christus ist nicht mehr hier.
Aber er ist auch nicht einfach fort. Er hat einen neuen Raum für uns erschlossen. Eine Weite, die
bislang das Leben nicht bereithielt. Eine Weite, dem der Tod keine Grenze mehr setzen kann.
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Und so sind die Jünger nicht einfach nur Zurückgelassene auf der Erde, sondern sie sind auf einem Weg.
Sie werden herausgeführt. Nicht nur nach Bethanien, nicht nur nach Jerusalem. Sie werden ja auch von
dort wieder aufbrechen. Denn da ist ihnen so viel geöffnet worden. Da ist uns so viel geöffnet worden.
Nicht nur ein neuer Weg auf der Erde. Auch ein Weg in den Himmel.
Durch Christi Himmelfahrt ist für uns der Himmel offen. Am Ende unserer Zeit. Und auch schon jetzt.
Der Himmel ist eine große Gegenwart. Christi Himmelfahrt ist Grenzüberschreitung. Sie erweitert
unseren Horizont. Den Horizont unseres Denkens. Den Horizont unseres Lebens. Sie lockt uns heraus
aus einem Leben, das zu eng gedacht ist. Heraus aus den Gedanken, die nur um das Hier und Jetzt
kreisen. Die sich nur mit dem begnügen, was sichtbar, erforschbar, denkbar bist.
Der Himmel steht uns offen. Der Weg ist frei. Also hinaus ins Weite. Hinaus aus den engen Schubladen
des 'so ist das Leben, da kann man nichts machen'. So ist das Leben eben nicht. Das wahre Leben, das
uns verheißen ist, ist viel mehr. Und wer das ahnt, kann nicht bei sich bei sich selber bleiben. Kann
nicht stehen bleiben bei den eigenen Möglichkeiten, bei dem, was man sich selber schaffen und
erhalten kann. Kann nicht zufrieden sein, mit der eigenen kleinen Welt mit ihren Sachzwängen und
ihrer Routine und ihren Kümmerlichkeiten. Wem das Leben verheißen ist, der wird rebellisch gegen
jeden Versuch, Menschen das Lebensrecht ab zu erkennen. Wird rebellisch dagegen, wenn andere mit
Füßen getreten und im Elend gehalten werden. Wem das Leben verheißen ist, der gerät in Bewegung.
Lässt sich locken vom Himmel, der offen steht und von der Fülle Gottes, die für uns bereit liegt.
Die Jüngerinnen und Jünger antworten darauf mit ihrem Lobgesang. Und wir wollen einstimmen.
Einstimmen in den großen Gesang, der im Himmel und auf Erden das Lied der Freude singt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.
44 Jesus sprach zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war:
Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und
in den Psalmen.
45Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden,
46und sprach zu ihnen: So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den
Toten am dritten Tage;
47und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt
an in Jerusalem
48und seid dafür Zeugen.
49Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt
bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.
50Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie.
51Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.
52Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude
53und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
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