Private Ölpreiscrash – Chance oder risiko? Die energiewende könnte profitieren Von Roman Limacher Geschäftsführer Hauck & Aufhäuser (Schweiz) AG Noch vor wenigen Jahren hat in der Wirtschaft die Sorge geherrscht, dass Energierohstoffe in absehbarer Zeit knapp werden könnten. Mittlerweile scheint es eher so, dass die Welt in billigem Öl regelrecht schwimmt. Das Überangebot und der Preiscrash scheinen jedoch mindestens ebenso gefährlich wie die früher befürchtete Knappheit. Tatsächlich brechen Ländern wie Russland, Venezuela oder Saudi-Arabien, die ihre Staatshaushalte zu einem wesentlichen Teil über Ölverkäufe finanzieren, die Einnahmen weg. Die entsprechenden Staatsfonds müssen über Jahre aufgebaute Assets in Windeseile versilbern – die Finanzmärkte reagieren entsprechend nervös. Auch die pri- vaten Energiemultis müssen sparen – weltweit bauten sie bereits 200’000 Arbeitsplätze ab und strichen Investitionen von 400 Milliarden Dollar. Allerdings gehen in der derzeitigen Diskussion die positiven Effekte und die Chancen, die der niedrige Ölpreis mit sich bringt, weitgehend unter. Im vorindustriellen Wirtschaftsleben stand den Menschen Energie nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Noch Ende des 18. Jahrhunderts stammten rund 40% der gesamten nutzbaren Energie von der Muskelkraft von Zugtieren. Die zweite bedeutende Energiequelle war Holz. Anfang des 19. Jahrhunderts ermöglichte dann zuerst der Einsatz von Steinkohle, später auch der von anderen fossilen Energieträgern enorme Produktivitätsfortschritte. Plötzlich war Energie im Überfluss verfügbar, so dass ein Mangel vor allem in der westlichen Welt kaum mehr vorstellbar war. Das preiswerte Erdöl trug wesentlich zum Reichtum der westlichen Welt bei. Auch heute profitieren die Industrieländer und viele Schwellenländer zu einem guten Teil vom niedrigen Ölpreis. Das gilt selbst für die USA, die nach wie vor zu den Nettoimporteuren zählen. Dort gerät zwar die FrackingIndustrie zunehmend in Schieflage, weil die entsprechenden Unternehmen trotz des technischen Fortschritts erst ab Ölpreisen im Bereich von 50 Dollar je Barrel kostendeckend arbeiten. Doch die amerikanischen Konsumenten erfreuen sich niedriger Heiz- und Spritkosten. Eine Folge: Im vergangenen Jahr wurden in den Vereinigten Staaten so viele Autos verkauft wie noch nie. Auch in Europa sind die verfügbaren Einkommen der Verbraucher durch die Unternehmen, die schon heute Lösungen gegen Ressourcenabhängigkeiten und Umweltprobleme bieten, werden dank ihrer Geschäftsmodelle die Gewinner von morgen sein. Davon lässt sich auch als Anleger profitieren. 18 niedrigen Energiekosten in den zurückliegenden eineinhalb Jahren signifikant gestiegen. Gleichzeitig sanken in der Industrie die Produktionskosten. Die ölimportierenden Schwellenländer wie China oder Indien profitieren ebenfalls. Die Halbierung des Ölpreises von 100 auf 50 Dollar je Fass hat für die Weltwirtschaft eine «Kostenersparnis» von 1’600 Milliarden Dollar pro Jahr gebracht. Das Problem ist nicht, dass weltweit zu wenig Öl verbraucht wird, was auf eine globale Rezession hindeuten könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Seit der Finanzkrise ist der weltweite Ölkonsum um durchschnittlich 1,6% pro Jahr gestiegen. Im vergangenen Jahr haben die Menschen global so viel Öl verbraucht wie noch nie. Gleichzeitig lassen sich durch neue Technologien wie das Fracking und das Tiefseebohren neue Lagerstätten erschliessen, so dass für ausreichend Nachschub gesorgt ist. Die Peak-Oil-Theorie, die Erwartung, dass der Welt in absehbarer Zeit das Öl ausgehen könnte, hat medial an Wirkung verloren. Zurzeit wird mehr Öl gefördert als jemals zuvor. Und genau darin besteht die eigentliche Gefahr. Die risiken des preiswerten Öls... Die Welt droht mit ihrem rekordhohen und weiter steigenden Verbrauch des billigen Öls und anderer fossiler Energieträger die Umwelt zu überfordern. Die durch die Verbrennung fossiler Energierohstoffe entstehenden Emissionen gefährden das weltweite Ökosystem. Der Klimawandel ist heute eine international anerkannte Realität. Kalifornien hat im vergangenen Sommer eine Jahrhundertdürre erlebt. Noch nie hat es in dem Sonnenstaat seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen vor mehr als 120 Jahren so wenig geregnet wie 2015. Und noch nie waren die Durchschnittstemperaturen so hoch. Weite Teile Afrikas wurden dagegen Ende vergangenen Jahres durch Starkregen überflutet. In Südostasien herrschDas Geld-Magazin Q1 2016 Private ten ebenfalls extreme Wetterbedingungen. Äthiopien wiederum litt zuletzt unter der schlimmsten Trockenheit seit 1983 bis 1985. Die amerikanische Wetterbehörde berichtet in der laufenden Saison von einem der schwersten SturmEreignisse, die jemals registriert wurden. Die Folge sind milliardenschwere Wirtschaftsschäden und eine steigende Zahl von Klimaflüchtlingen. Schon heute beläuft sich die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre auf 400 ppm (parts per million). Viele Wissenschaftler halten alles über einem Grenzwert von 350 ppm für gefährlich. Dazu kommt, dass der niedrige Ölpreis die Abhängigkeit vom Nahen Osten erhöht. Die grossen preiswert zu erschliessenden Ölvorkommen lagern nämlich zum überwiegenden Teil in Ländern wie Saudi-Arabien, dem Iran, dem Irak oder Kuwait. Noch stammt erst jeder vierte Liter Rohöl, der weltweit verbraucht wird, aus dem Nahen Osten. Verharrt der Ölpreis jedoch länger auf seinem rekordtiefen Niveau, werden teurere Produzenten wie die amerikanische Schieferölindustrie aus dem Markt gedrängt und der Nahe Osten gewinnt als weltweiter Energielieferant weiter an Bedeutung. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat bereits davor gewarnt, dass politische Unruhen und militärische Konflikte die Sicherheitslage im Nahen Osten bedrohen und hält deswegen die zunehmende Abhängigkeit der Welt vom Öl aus der Region für gefährlich. ...und die Chancen, die der niedrige Ölpreis bietet Immer mehr Menschen erkennen, dass wir längerfristig gut beraten sind, wenn wir unsere Abhängigkeit vom Erdöl, Erdgas und Kohle durchbrechen und erneuerbare Energien und Effizienz stärken. Dabei sollte der niedrige Ölpreis durchaus als Chance gesehen werden. Denn durch die geringen Energiekosten werden in den Industrie- und vielen Schwellenländern Mittel in beträchtlichem Umfang freigesetzt, die die Kosten der Energiewende bei Weitem übersteigen. Diese Konstellation eröffnet auch für Anleger ganz neue Chancen. Einige grosse Investoren haben sich bereits entsprechend positioniert. Ende 2015 Q1 2016 Das Geld-Magazin Gesamtenergieverbrauch Welt Zunahme von 1973 bis 2013 um 99% auf 9’301 Megatonnen Öleinheiten (Mtoe) – fossile energieträger nach wie vor mit grösstem Gewicht. Quelle: OECD/IEA 2015 / Grafik Hauck & Aufhäuser (Schweiz) AG kündigte beispielsweise der Allianzkonzern, der zu den fünf grössten Finanzinvestoren der Welt zählt, an, in den kommenden Monaten aus Bergbau- und Energieunternehmen auszusteigen, die mehr als 30% ihres Umsatzes aus Kohle generieren. Andere grosse Kapitalsammelstellen agieren ähnlich. Die Folge: Die Investitionen in erneuerbare Energien steigen, während der Bereich fossile Brennstoffe stagniert. Diese Entwicklung dürfte 2015 einen neuen Höhepunkt erreicht haben. Dieser Wandel basiert massgeblich auf Rendite- und Risikoüberlegungen. Denn es deutet einiges darauf hin, dass wir bereits an einem Wendepunkt angelangt sind, an dem ein neuer Wachstumszyklus eingeläutet wird, der sich von der Petrochemie bzw. von fossilen Energieträgern allgemein distanziert. Die Voraussetzungen für einen solchen neuen Wachstumszyklus sind Basisinvestitionen in neue Schlüsseltechnologien. Die stark durchgerüttelte Branche der erneuerbaren Energien und assoziierte Bereiche wie z.B. die Stromspeicherung mittels Batterien, Effizienzsteigerungen und die zunehmende Digitalisierung der Energiewirtschaft etc. könnten diese Schlüsseltechnologie bereitstellen. Typisch für solche Umbrüche ist, dass alte Industriezweige durch neue verdrängt werden. Die Probleme der deutschen Versorger sprechen für sich. Interessant ist auch, wie die alteingesessene Autoindustrie auf potenziell neue Konkurrenten wie Google oder Apple reagiert. Der Elektroautopionier Tesla hat bereits für einige Unruhe gesorgt. Dass die Energiewende kein linearer Weg nach oben ist, hat spätestens seit 2010 die Konsolidierungswelle im Bereich der erneuerbaren Energien gezeigt. Wenn die hohe finanzielle Liquidität jedoch dazu genutzt wird, den Wechsel von überholten Technologien und Industrien zu neuen Zukunftsmärkten zu erleichtern, dann wäre der tiefe Ölpreis eine gute Gelegenheit, diese Chance zu nutzen. Unternehmen, die schon heute Lösungen gegen Ressourcenabhängigkeiten und Umweltprobleme bieten, werden dank ihrer Geschäftsmodelle die Gewinner von morgen sein. Davon lässt sich auch als Anleger profitieren. [email protected] www.hauck-aufhaeuser.ch 19
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