Fall 3: Kalter Kaffee K könnte gegen V ein Anspruch auf Lieferung

Juristische Fakultät
Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag
Wintersemester 2015/16
Fall 3: Kalter Kaffee
K könnte gegen V ein Anspruch auf Lieferung aus § 433 Abs. 1 BGB
zustehen. Hierfür müssten V und K einen Kaufvertrag geschlossen
haben.
I. Kaufvertrag
Voraussetzung: Abschluss eines Kaufvertrages
Def.:
Ein
Kaufvertrag
übereinstimmenden,
in
besteht
Bezug
aus
zwei
aufeinander
inhaltlich
abgegebenen
Willenserklärungen – Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147
BGB) –, in denen sich die Parteien über die wesentlichen
Vertragsbestandteile (essentialia negotii) einigen.
1. Angebot, § 145 BGB
Schreiben des V als Angebot?
a) Vorliegen
von
innerem
und
äußerem
Erklärungstatbestand:
(+)
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b) Wirksam werden
aa)
Abgabe
Def.: Eine Willenserklärung gilt als abgegeben, wenn die
Erklärung vom Erklärenden willentlich so in den Verkehr
gebracht wurde, dass unter normalen Umständen mit dem
Zugang gerechnet werden kann.
V hat seine Erklärung willentlich in den Verkehr gebracht.
Er konnte damit rechnen, dass das Fax unter normalen
Umständen zugehen würde.
 Abgabe (+)
bb)
Zugang
Die Willenserklärung des V ist dem K jedenfalls in dem
Zeitpunkt zugegangen, in dem er das Fax tatsächlich gelesen
hat.
 Zugang (+)
c) Zwischenergebnis: grds. liegen die Voraussetzungen für
ein wirksames Angebot vor
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d) aber: Unwirksamkeit aufgrund Widerrufs, § 130 Abs. 1 S.
2 BGB?
(P)
erfüllt
der
Widerruf
die
Voraussetzung
der
Rechtzeitigkeit?
aa)
Zugangszeitpunkt des Angebots
Eine empfangsbedürftige Willenserklärung (z.B. Angebot)
geht spätestens in dem Zeitpunkt zu,
- in dem sie so in den Machtbereich des Empfängers
gelangt
- dass
für
ihn
unter
normalen
Verhältnissen
die
Möglichkeit besteht, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis
zu nehmen (normativer Zugangsbegriff).
Hier: Eingang im Geschäft des V am späten Abend
außerhalb der Geschäftszeiten
 zu diesem Zeitpunkt war nicht mehr mit einer
Kenntnisnahme zu rechnen;

Zugang
erst
zu
Beginn
des
folgenden
Arbeitstages
K hat auch nicht schon früher Kenntnis von dem Inhalt
des
Telefax
genommen,
so
dass
auch
nicht
ausnahmsweise von einem früheren Zugangszeitpunkt
auszugehen ist.
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bb)
Zugangszeitpunkt des Widerrufs
(P) Widerruf müsste rechtzeitig erfolgt sein
 rechtzeitig ist der Widerruf nur, wenn er dem K
vorher
oder
gleichzeitig
mit
dem
Angebot
zugegangen ist, § 130 Abs. 1 S. 2 BGB
Das
Angebot
ist
zu
Beginn
des
Arbeitstages
zugegangen, der Widerruf um 9:30 Uhr war somit
verspätet.
Ergebnis: Widerruf verspätet
e) Zwischenergebnis zu 1
Das Angebot des V ist mangels rechtzeitigen Widerrufs
wirksam geworden.
2. Annahme, § 147 BGB
Annahme des Angebotes muss unverändert und rechtzeitig
erfolgen.
a) Unverändert? (+)
b) Rechtzeitig
richtet sich danach, ob es sich um ein Angebot unter
Anwesenden oder Abwesenden handelt, vgl. § 147 BGB
Hier: Angebot wird per Fax gesendet
= Angebot unter Abwesenden  § 147 Abs. 2 BGB
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Annahme nur möglich bis zu dem Zeitpunkt, in welchem der
Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen
Umständen erwarten darf
K antwortet am 14.11. um 09:30 Uhr auf das Angebot.
V musste damit rechnen, dass K im Laufe des Geschäftstages
14.11. auf das Fax vom Vorabend reagiert.
K hat das Angebot des V durch seine Erklärung am Telefon
fristgerecht angenommen (§ 147 Abs. 2 BGB).
Zwischenergebnis:
V und K haben sich geeinigt.
Zwischen V und K kam ein wirksamer Kaufvertrag i. S. v. § 433
BGB zustande.
II. Ergebnis
K kann von V Lieferung aus § 433 Abs. 1 BGB zu den von V
angebotenen Bedingungen verlangen.
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