Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Fall 8: Zahlendreher im Internet Sachverhalt K möchte das hochwertige Notebook N kaufen. Beim Online-Händler V wird er fündig. Das Notebook wird auf dessen Internetseite zu einem Preis von 1.480 € angeboten. K sendet am 2.11. das elektronische Bestellformular an V und überweist auch gleich den Kaufpreis. Er erhält daraufhin eine E-Mail, die den Eingang der Bestellung bestätigt, K eine Kundennummer zuweist und die Lieferung ankündigt. Später stellt sich heraus, dass V bei der Eingabe des Preises in das EDV-gesteuerte Warenwirtschaftssystem ein Zahlendreher unterlaufen ist. Richtigerweise hätte es 1.840 € lauten müssen. Dieser Preis entspricht auch dem Marktpreis des Laptops. Sogleich nachdem V den Fehler bemerkt hat, ruft er bei K an und erklärt, er fühle sich an den Vertrag nicht mehr gebunden. Wie ist die Rechtslage? 1 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Lösung A. Anspruch K gegen V auf Übergabe und Übereignung des Notebooks, § 433 I 1 BGB Fraglich ist, ob K gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Notebooks gem. § 433 I 1 BGB hat. I. Wirksamer Kaufvertrag, § 433 BGB 1. Einigung Def.: Kaufvertrag? • Angebot? o Internetanzeige (-) bloße invitatio ad offerendum o Ausfüllen und Absenden des Bestellformulars durch K (+) • Annahme E-Mail des V o K wird als „Kunde“ angesprochen. o Hinweis auf Bearbeitung durch Versandabteilung (+) 2 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 2. Rückwirkende Nichtigkeit wegen Anfechtung gem. § 142 Abs. 1 BGB a) Anfechtungsgrund (1) Grundsätzliche Anfechtbarkeit gemäß § 119 Abs. 1 BGB • Abweichen von Wille und Erklärung? • V hat „1.480 €“ erklärt • V wollte „1.840 €“ erklären (+) (2) Weitere Differenzierung zwischen Inhalts- und Erklärungsirrtum (wegen der identischen Rechtsfolgen im Grund genommen entbehrlich) (a) Erklärungsirrtum, § 119 I Alt. 2 BGB? = Irrtum im Erklärungsvorgang • Erklärender weiß um die Bedeutung dessen, was er erklären möchte, Fehler entsteht bei der Willensäußerung • Typische Fälle: Versprechen, Verschreiben, Vergreifen. • Hier: V hat sich bei Eingabe des Preises vertippt. • Aber: Angebot im Internet = nur invitatio ad offerendum. Keine rechtliche Bindungswirkung. Keine Willenserklärung. => Irrtum bei Eingabe (noch) unerheblich. Keine Anfechtbarkeit wegen Erklärungsirrtums gem. § 119 I 2. Alt. BGB möglich. (b) Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 1 BGB? = Irrtum über die Bedeutung der Erklärung • Es wird das gesagt, was gesagt werden sollte • Fehler besteht nicht in Willensäußerung, sondern auf Ebene der Willensbildung • Hier: Abstellen auf die Antwort-Email 3 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 • V ging davon aus, mit der Antwort-Email ein Angebot über 1.840 € anzunehmen • V irrt damit über die Bedeutung seiner Annahmeerklärung. Er unterliegt damit einem Irrtum in der Willensbildung. Inhaltsirrtum (+) Anfechtungsgrund (+) c) Anfechtungserklärung, § 143 I BGB und Anfechtungsfrist, § 121 I BGB • Erklärung „unverzüglich“ ggü. Anfechtungsgegner • Hier: Anruf des V bei K direkt nach Bemerken des Fehlers (+) d) kein Ausschluss (+) e) Rechtsfoge Erklärung des V ist ex tunc nichtig, § 142 I BGB II. Zwischenergebnis Kaufvertrag nichtig B. Ergebnis Kein Anspruch des K gegen V auf Übergabe und Übereignung des Notebooks gem. § 433 I 1 BGB 4 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Fortsetzung K wendet sich verärgert an Anwalt A. Er weist A darauf hin, dass er das Notebook anlässlich der Eröffnungsaktion des Computergeschäfts G in seiner Heimatstadt in der Zeit vom 8.11. bis zum 10.11. für 1.700 € hätte erwerben können und von einem Kauf nur abgesehen habe, weil er sich gegenüber V in der Pflicht sah. Ansprüche des K? Abwandlung Das Eröffnungsangebot des G lautete über 1.400 €. 5 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Lösung zur Fortsetzung A. Anspruch aus § 985 BGB • Könnte sich nur auf Eigentum an im Rahmen der Kaufpreiszahlung übergebene Geldscheine richten • Hier aber keine Barzahlung, sondern Überweisung Daher (-) B. Anspruch auf Herausgabe des erlangten Kaufpreises aus § 812 I 1 1. Alt. BGB K könnte gegen V einen Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises gem. § 812 I 1 1. Alt. BGB haben. I. Etwas Erlangt Def.: Jeder vermögenswerte Vorteil. • z.B.: Eigentum, Besitz, Forderungen, Befreiungen von Verbindlichkeiten • V erlangt durch Gutschrift auf sein Konto eine Forderung gegen seine Bank auf Auszahlung (Detailkenntnisse sind im ersten Semester noch nicht zu erwarten). (+) II. Durch Leistung Def.: Bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens K wollte seine (vermeintlich bestehende) Verbindlichkeit gegenüber V aus dem Kaufvertrag erfüllen. (+) 6 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 III. Ohne Rechtsgrund Wie oben ausgeführt hat V den Kaufvertrag wirksam angefochten. Somit fehlt es an einem rechtlichen Grund. (+) IV. Ergebnis: Anspruch des V gegen K auf Rückzahlung besteht. C. Anspruch auf Schadensersatz aus § 122 I BGB Darüber hinaus könnte K gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 122 I BGB haben. I. Willenserklärung: • Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist (+) • Annahme des Kaufangebots. II. Anfechtung: (+) V hat die Willenserklärung aufgrund des Inhaltsirrtums angefochten, s.o. III. Rechtsfolge: • Derjenige, der die Anfechtung erklärt, hat dem anderen Teil dessen Vertrauensschaden zu ersetzen. • Vertrauensschaden = negative Interesse. = Schaden, der dadurch entsteht, dass der andere Teil auf die 7 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat. • V hat K so zu stellen, wie er stünde, wenn er von der angefochtenen Willenserklärung nie etwas gehört hätte. • K hätte Angebot von G angenommen. • Schaden = Differenz von Eröffnungsangebot des G (1.700 €) und Marktpreis des Notebooks (1.840 €) IV. Ergebnis: K kann von V Ersatz von 140 € Schadensersatz gem. § 122 I BGB verlangen. 8 Juristische Fakultät Konversatorium zum GK BGB I von Bien/Sonnentag Wintersemester 2015/16 Abwandlung • Anspruch aus § 122 I BGB grds. (+), s.o. • Vertrauensschaden = Differenz zwischen nicht wahrgenommenen Sonderangebot (1.400 €) und Marktpreis (1.840 €). • Schaden = 440 €. • Aber: § 122 I 2. HS BGB: Begrenzung des negativen Interesses durch das positive Interesse (Erfüllungsinteresse). • K wollte ein Notebook im Wert von 1.840 € für 1.480 € erwerben. Sein Gewinn hätte lediglich 360 € betragen. • Begrenzung des negativen Schadensersatz auf das positive Interesse = Begrenzung auf 360 €. Ergebnis der Abwandlung: K kann von V Schadensersatz in Höhe von 360 € aus § 122 I BGB verlangen. 9
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