Selbstmanagementförderung durch Pflegekräfte bei

Teilprojekt IV:
Selbstmanagementförderung durch
Pflegekräfte bei Patienten mit
psychischen Beschwerden
Thomas Zimmermann
Egina Puschmann
Annette Ernst
Sarah Porzelt
Martin Scherer
Was erwartet Sie bei diesem Vortrag?
  Ausgangslagen in der ambulanten Versorgung
  Vorstellung eines Tandem-Kooperationsmodells:
Selbstmanagementförderung durch Pflegekräfte bei Patienten mit
psychischen Beschwerden
  Ergebnisse der Interventionsstudie
  Ideen für die Weiterentwicklung und Umsetzungsmöglichkeiten
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Ausgangslagen in der ambulanten Versorgung I
  Hohes Patientenaufkommen, kurze Kontaktzeiten
  Versorgungslandschaft stark fragmentiert
  wenn überhaupt, dann nur ungeordnetes Sozial-, Case bzw.
Überleitungs-Management
  GKV hatte nie den Auftrag, das zu leisten, die KV auch nicht
  weitere Zugangshürden durch regionale Nicht-Verfügbarkeit von
Versorgungsangeboten
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Ausgangslagen in der ambulanten Versorgung II
  Überlappung der Krankheitsbilder Angst, Depression, somatoforme
Beschwerden (ADSom), oft assoziiert mit somatischen Erkrankungen
Löwe et al., Gen Hosp Psychiat, 2008
  87% der Pat. sehen zuerst Hausarzt/-ärztin, 66% bleiben ausschließlich
in hausärztlicher Versorgung
Harfst/Marstedt, Gesundheitsmonitor 2009
  Lange Wartezeiten auf Psychotherapieplatz und weitere Hürden bei der
Therapeutensuche (BPtK-Studie 2011)
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Ein Lösungsansatz - Collaborative Care
  Tandem-Kooperationen (collaborative care) erprobt und effektiv bei
psychischen Erkrankungen:
-  Archer et al. 2012, Laurant M et al. 2005, Gensichen et al. 2009, Hunkeler et al.
2006, Aragones et al. 2012
  In TPIV als Kooperation zwischen Hausärztinnen/Hausärzten und
Gesundheits- und Krankenpflegern (75% mit B.A.) umgesetzt
  Gesetzgeber fördert solche Versorgungsformen
  Cave: In anderen Gesundheitssystemen sind Interventionen durch
Pflegekräfte Teil der Regelversorgung
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Collaborative Care: Projektidee und Konzeption
  Tandem-Kooperation zwischen Pflegekraft und HausärztIn als
Ergänzung der hausärztlichen Versorgung
  Aufbau eines niedrigschwelligen Beratungsangebots (Sozial- und
Case-Management), um Selbstmanagement zu stärken
  in den (vertrauten) Räumen beteiligter Hausarztpraxen
  PatientInnen im Alter 18-65
  keine laufende Psychotherapie
  Erprobung des Angebots im Rahmen einer offenen Studie mit zufälliger
Zuweisung der Praxen zu Kontroll- oder Interventionsarm
(Cluster-Randomisierung)
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Vorbereitung der Interventionsstudie
1/2011
Ist-Analyse - Bestandsaufnahme
2 Fokusgruppen
HausärztInnen
JADE - Junge
Allgemeinmedizin in
D
Einzelinterviews
10 HausärztInnen
Projektplanung / Ethikantrag
Stellenausschreibung, Einstellung / Schulung der Pflegekräfte
Projektsteuerungsgruppe (10 Planungssitzungen a 2 h): Wissenschaftliche
Mitarbeiter/innen IfA, 2 Pflegefachkräfte, 2 HausärztInnen
3/2013
Design Intervention (Cluster-Randomisierung)
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Ziele der Studie
  Erhöhung der Selbstwirksamkeit der Patienten, also der Erwartung
an sich selbst, so erfolgreich handeln zu können, dass eigene
Wünsche, Ziele, Bedürfnisse erreicht werden können
  Besserung der psychischen Beschwerden
  Herausfinden, unter welchen Bedingungen eine solche Intervention in
der ambulanten Versorgung umsetzbar ist
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Teilnehmende
Hausarztpraxen
verteilt über
Stadtgebiet HH
Institut für Allgemeinmedizin
Interventions-G.
Kontroll-G.
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Pflegekräfte als Sozial- und Case Manager
  Grundausbildung: Gesundheits- und Krankenpflege, wenn möglich:
Bachelor Pflege
  wenn möglich: Erfahrung in der Arbeit mit PatientInnen, die unter
psychischen Beschwerden leiden
  ursprünglich: Suche nach Fachkrankenpflege Psychiatrie => keine
Bewerbung
  Schulung intern durch Allgemeinärztin/Psychotherapeutin, Übungen mit
Simulationspatienten, Literaturarbeit sowie
  Sammlung der Angebote in der Nahumgebung (Sozialraum) der
jeweiligen Hausarztpraxis
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Umsetzung der Interventionsstudie
Interventions-G.
3/2013
6/2014
6/2015
Pflegefachkräfte arbeiten
12 Monate (4
Beratungsstunden pro
Woche) in Hausarztpraxen
Evaluation:
Selbstwirksamkeit,
Veränderungen PHQ-D,
Akzeptanz, Zufriedenheit,
Machbarkeit
Kontroll-G.
12 Monate usual care
Intervention in
Kontrollpraxen:
Pflegefachkräfte arbeiten
12 Monate in
Hausarztpraxen
Sukzessiver
Beginn
Anwerbung
Pat.
Ende
Anwerbung
Pat.
Ende
Nachbeobachtung Pat.
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Module der komplexen Intervention
Erst- und Perspektivengespräch:
Einschätzung von aktueller Situation und Ressourcen
Ziele aushandeln
Selbstmanagement
Case Management
Aktivitätenaufbau/-abbau sowie –planung
Hilfe bei Suche nach Spezialisten
Aufbau/Pflege sozialer Unterstützung
Unterstützung bei der
Psychotherapieplatzsuche
Unterstützung bei Alltagsbewältigung
Problemelösetraining
Empfehlung von Entspannungstechniken
Krankheitsaufklärung / Wissensvermittlung
Suchen / Finden von Angeboten im
sozialen Nahraum der Pat.
Beratungskraft schätzt gemeinsam
mit Pat. Zielerreichung ein
Prozess- und Ergebnis-Evaluation
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Stichprobe
Variable / Merkmal
IG T0
KG T0
IG T1
KG T1
Zahl der PatientInnen
151
213
98
137
Alter in J. (MW ± SD)
39,2 ± 13,2
41,2 ± 13,2#
42,6 ± 12,9
41,9 ± 12,7#
66,8
69,4
71,5
Geschlecht (weiblich) in % 65,6
Selbstwirksamkeit
(MW [95%-KI])
25,3
28,6
[24,3 – 26,2] [27,8 – 29,4]**
27,0
28,2
[25,7 – 28,2] [27,2 – 29,3]#
Veränderungsmotivation
(MW [95%-KI])
46,0
38,2
[44,4 – 47,6] [36,4 – 40,0]**
42,6
37,2
[40,2 – 45,1] [34,9 – 39.4]**
t-Test: ** p<0,001; # n.s.
13
MW IG
95%-KI IG
MW KG
95%-KI KG
25
27
29
31
33
35
Veränderung Beschwerdelast PHQ-D T0 bis T1
23
Unterschied in der
21
Abnahme der
19
Beschwerdelast
17
signifikant: p=0,022
Interventionsgruppe (IG)
IG T0
IG T1
Zahl Pat. T0: IG=151; KG=213; T1: IG=98; KG=137
adjustiert für Geschlecht, Alter, Cluster
Kontrollgruppe (KG)
KG T0
KG T1
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Arbeitsaufwand der Pflegekräfte
  4 Beratungskräfte (2,5 VK) in 10 Praxen = 10h pro Praxis pro Woche
inkl. An- und Abreise, Terminmanagement, Dokumentation, Anteile
Wissenschaft
  742 Terminvereinbarungen
  174 Mal sind die Patienten nicht erschienen bzw. haben abgesagt
  568 Termine, die stattgefunden haben, mit einer durchschnittlichen
Dauer von 53,8 Minuten
  359 Interventionstage => 960 Beratungsmodule eingesetzt
  151 Patienten, die im Schnitt 3,8 Termin in Anspruch genommen haben
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Ergebnisse (kompakt)
  Selbstwirksamkeit in der IG nach 3 Monaten auf dem Niveau der
Kontrollgruppe, 12-Monats-Auswertung in Planung
  Verbesserung des Befindens in KG und IG
  Beschwerdelast der Pat. sinkt in den IG stärker als in den KG (24,3% vs.
13,9%, p=0,022)
  Veränderungsmotivation sinkt ebenfalls, linear zur Abnahme der
Beschwerdelast Zimmermann et al. Psychiat Prax 2015
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Stärken und Schwächen
  Pflegekräfte erreichen die richtigen Patienten +
  Patienten profitieren +
  Kooperation funktioniert +
  Dropout-Rate aus der wissenschaftlichen Studie zu hoch –
  Teilnehmende Hausärzte/-innen mühsam rekrutiert, keine
Repräsentativität –
  logistischer Aufwand –
  Projektidee zwischen politischen Sonntagsreden und praktischer
Versorgungswirklichkeit ±
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Diskussion
  Effekt auf Selbstwirksamkeit klein => zu wenig Zeit vergangen?
  Veränderungsmotivation zeigt den Leidensdruck der Pat. an, denn sie
steigt mit zunehmender Beschwerdelast
  Patienten mit Beratung durch Pflegekraft => Besserung der
Beschwerdelast in den ersten drei Monaten: Niedrigschwellig und ohne
weitere Wartezeit psychische Beschwerden thematisieren zu können,
führt bereits zu einer Abnahme der Symptome
  Aussagekraft der Daten durch Selektion bei Rekrutierung und hohe
Dropout-Raten beeinträchtigt
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Verwertungsoptionen - gesetzlich
  SGB V
–  §§ 63 Absatz 3c Modellvorhaben
–  §§ 73a/73b Strukturverträge / Hausarztzentrierte Versorgung
  Präventionsgesetz (vorauss. ab 2016)
–  § 20a („Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten“)
–  § 20g („Modellvorhaben über 5 Jahre mit Evaluation“)
  Versorgungsstärkungsgesetz (vorauss. ab 2016)
–  § 92a SGB V Innovationsfonds
–  § 140a SGB V „Besondere Versorgung“
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Verwertungsoptionen - praktisch
  Einladung mit Projektvorstellung, Fachgespräch und
Erfahrungsaustausch (geplant für November 2015) an diese Akteure:
-  Hausärztinnen und Hausärzte des Projekts mit Pflegekraft in der eigenen Praxis
-  Kassenärztliche Vereinigung
-  Hausärzteverband Hamburg
-  Vertreter GKV
  Ziel: Diskussion der konkreten Umsetzung und / oder Weiterentwicklung
des Collaborative Care-Ansatzes unter Berücksichtigung von
Präventions- und Versorgungsstärkungsgesetz
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Schlussbemerkungen
  versorgungspolitisch => wenn Wille des Gesetzgebers (collaborative
care == ja!) umgesetzt werden soll, muss die Selbstverwaltung (GKV,
KV) solche Maßnahmen auch finanzieren
  wissenschaftlich => interventionelle Versorgungsforschung in
ambulanter Versorgung erfordert fast die Quadratur des Kreises
  gesundheitsökonomisch => Versorgungslücken lassen sich nicht
durch Kostenreduktion schließen
  förderlogisch => neue Angebote kaum evaluierbar: Randbedingungen
führen zu Rauschen, Vorhaben sind kurzfristig ausgelegt, schneller
Verwertungsdruck entsteht
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Projektarbeitsgruppe(n)
Projektteam (Institut für
Hausärztliche Partner in der
Allgemeinmedizin, UKE)
Projektsteuerungsgruppe
Sarah Porzelt, B.A. Pflege (Beratung)
Dr. Michael Ippen, Dr. Sandra Quantz
Annette Ernst, Diplom-Gesundheitswirtin, M.A.
Institutionelle Partner
(Beratung)
Martin Ebersbach, B.A. Pflegeentwicklung &
Pflegemanagement (Beratung; bis 10/2014)
Prof. Dr. Knut Dahlgaard, Prof. Dr. Peter
Stratmeyer, HAW Hamburg
Patricia Thomsen, Gesundheits- und
Krankenpflegerin (Beratung; bis 12/2014)
Dr. Egina Puschmann (wiss. MA)
Dank an
Dr. Thomas Zimmermann (wiss. MA)
Prof. Dr. Hendrik van den Bussche (Entwicklung
Prof. Dr. Martin Scherer (Leitung)
der Idee “Tandem-Kooperation in hausärztlicher
Praxis”, Projektantrag)
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Vielen Dank. Hoffentlich war für alle etwas dabei!
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Stichprobe
Variable / Merkmal
IG T0
IG T1
KG T0
KG T1
Zahl der PatientInnen
151
98
213
137
Alter in J. (MW ± SD)
39,2 ± 13,2
42,6 ± 12,9*
41,2 ± 13,2
41,9 ± 12,7#
69,4#
66,8
71,5#
Geschlecht (weiblich) in % 65,6
Selbstwirksamkeit
(MW [95%-KI])
25,3
27,0
[24,3 – 26,2] [25,7 – 28,2]*
28,6
[27,8 – 29,4]
28,2
[27,2 – 29,3]#
Veränderungsmotivation
(MW [95%-KI])
46,0
42,6
[44,4 – 47,6] [40,2 – 45,1]*
38,2
[36,4 – 40,0]
37,2
[34,9 – 39.4]#
t-Test: ** p<0,001; * p<0,05; # n.s.
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