Mother and Child Rehabilitation Centre (MCRC) Addis Abeba , Juni

Mother and Child Rehabilitation Centre (MCRC)
Addis Abeba , Juni 2015
Mit der neuen Ausgabe unseres Rundbriefes im Frühling 2015 grüße ich alle Freundinnen und
Freunde unseres MCRC Projektes, aber auch diejenigen unter Ihnen, die in diesem Brief zum
ersten Mal etwas über unsere Arbeit in Addis Abeba, Äthiopien erfahren möchten.
Unser Rehabilitationszentrum für Mütter und Kinder (MCRC) vergrößert sich stetig. Dennoch
bemühen wir uns, den Charakter und die Atmosphäre einer harmonischen Großfamilie zu
erhalten. Und so stelle ich Ihnen hier einige Kinder und Jugendliche vor, die trotz ihrer
traurigen, belastenden und noch recht kurzen Lebensgeschichte auf dem Weg der Gesundung
sind.
Dies ist die Geschichte unseres kleinen
Jungen M., ein ungewolltes Kind, da
seine damals vierzehnjährige Mutter
auf dem Schulweg vergewaltigt wurde.
Sie hat es bis heute nicht geschafft, ihr
zauberhaftes Kind losgelöst von ihrem
Trauma anzuschauen und klagt ihn
immer wieder an, der Grund ihres
Unglückes zu sein. Wir erleben ihre
unkontrollierten Aggressionen und
verzweifelten Ausbüchen und helfen
ihr mit professionellen Fachkräften, ihr Trauma zu verarbeiten. Zum Schutz haben wir Mutter
und Kind für eine unbestimmte Zeit voneinander getrennt.
M. ist heute drei Jahre alt. Er geht für einige Stunden täglich in unseren Kindergarten, der von
unserer sehr liebevollen und talentierten jungen Erzieherin Mistir geleitet wird. M. traegt stolz
seinen kleinen Schulranzen, gefüllt mit Buntstiften, Etui und Zeichenblock. Er ist ein
aufmerksamer und ehrgeiziger kleiner ‚Schüler‘, malt ausdauernd und ist bedacht, nicht über
die Linien zu zeichnen. Seine feinmotorischen Fähigkeiten sind erstaunlich.
Leider spricht M. kaum. Auch in seinem Wachstum liegt er unterhalb der Durchschnittsgrenze.
Dies ist auf seine frühkindlichen traumatischen Erlebnisse zurückzuführen. Der Kleine versteht
alles, was man ihm sagt und antwortet meist mit seiner kindlichen Körpersprache.
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Eine unserer ehemaligen Patientinnen und
Mutter des fünfzehnjährigen Jonas, die nach
einer mehrjährigen Rehabilitationsmaßnahme nicht nur Lesen und Schreiben gelernt
hat, sondern auch als Hausmutter ausgebildet
wurde, lebt seit einigen Wochen mit dem
kleinen M. und einem vierjährigen Mädchen,
die von ihrer fünfzehnjährigen Mutter im
Alter von zwei Tagen verlassen wurde, in
einer von uns angemieteten kleinen
Wohnung außerhalb des Zentrums. Tagsüber kommen sie zu uns, abends und an den
Wochenenden leben sie alleine. Alle vier sind überglücklich und genießen es, als Familie einige
Zeit unabhängig vom Zentrum sein zu dürfen.
M. hat begonnen zu lächeln. Sein meist
ernstes Gesichtchen hellt sich immer mehr
auf. Vor wenigen Tagen nahm er seine
Pflegemutter an die Hand und sagte: ‚Come
home!‘
Wir sind überzeugt, dass M. bald anfängt, in
ganzen Sätzen zu sprechen. Die liebevolle
Zuwendung seiner Erzieherin und seiner
Pflegemutter werden ihm helfen, Vertrauen
in seine Mitmenschen aufzubauen. Dann
wird er auch seine unsichtbare Nussschale verlassen können und anfangen zu wachsen.
In meinem letzten Rundbrief habe ich Ihnen von unseren Straßenjungen berichtet. Die
meisten von ihnen haben in den letzten
sechs Monaten unglaubliche Fortschritte
gemacht. Leider haben nicht alle den
schwierigen Schritt geschafft, sich von den
Drogen und dem Leben auf der Straße
loszusagen. Doch das sechs von neun
Jugendlichen, die wir von der Straße geholt
haben, sich aus der Drogenabhängigkeit
befreit und es gelernt haben, Strukturen und
Pflichten zu akzeptieren, ist ein Erfolg, auf
Unsere langjährige gute Freundin Elizabeth McAuley aus
den wir in unserem MCRC Team stolz sind.
Kanada mit unseren sechs Jungen
Die Jungen sind durch die soziale Kompetenz unserer älteren Jugendlichen nun völlig
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integriert. Sie werden von zwei Lehrern auf denZeile
Wechsel
zu einer Außenschule vorbereitet.
Zwei von ihnen lernen so eifrig und motiviert, dass wir sie zu Beginn des neuen Schuljahres
auf eine Privatschule schicken möchten.
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Alle sechs Jugendlichen nehmen weiterhin an der Tanztherapie unter der Leitung unserer
Tanzpädagogin Meseret teil und trainieren darüber hinaus auch mit unseren mittlerweile
recht professionellen älteren Tänzern zusammen.
In einer außergewöhnlichen Choreographie
tanzen sie ihr ehemaliges Leben auf der
Straße. Mit ihrer Ernsthaftigkeit, Mimik und
ihren präzisen Tanzschritten ziehen sie jeden
Zuschauer in ihren Bann. In dem dreigeteilten
Tanz fühlt man intensiv, wie sehr sie unter
Ängsten, Verlassenheit und seelischen und
körperlichen Schmerzen, verursacht durch
Gewalt und Vergewaltigung, gelitten haben.
Um ihre Aggressionen auflösen zu können
und
eine
gesündere
und
soziale
Ausdrucksform zu finden, erhalten die Jungen
täglich eine Stunde Unterricht in Karate und
einmal wöchentlich eine Stunde Unterricht in
Capoeira, einen brasilianischen Kampftanz,
der auch das Erlernen bestimmter
brasilianischer
Instrumente
und
charakteristische Akrobatik, wie hohe
gedrehte Sprünge oder Saltos, erfordert.
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Alle sechs Jungen leben auf meinem Privatgrundstück. Die ersten Monate waren recht
anstrengend. Doch unsere anderen neun Hauskinder, die schon mehrere Jahre mit uns
zusammen leben, haben ihre neuen ‚Brüder‘ sehr liebevoll an die Hand genommen und ihnen
geholfen, sich an unsere Hausregeln zu halten. Alle fünfzehn Jugendlichen im Alter zwischen
acht und siebzehn Jahren schaffen es mit Hilfe eines Wochenplanes Küche, Essraum und die
Schlafräume sauber zu halten, Schulaufgaben zu machen, sich gegenseitig zu helfen und
Verantwortung zu übernehmen. Wir sind eine große und glückliche Familie, die auch mit
normalen alltäglichen Herausforderungen gut umzugehen gelernt hat.
Im Januar sind mein Mann, Sunny und ich zur Inchcape Global Leadership Conference nach
Luton, nicht weit von London eingeladen worden. Ich wurde gebeten, während des Gala
Dinners über unsere Arbeit in MCRC zu berichten. Mein Vortrag wurde mit einer sehr
großzügigen Geldspende bedacht. Ich habe mich dazu entschlossen, einen „Erziehungs-Fond“ auf den Namen des ehemaligen Inchcape CEO , Herrn André Lacroix, einzurichten, der viele
Jahre unsere Arbeit in MCRC nicht nur geschätzt sondern auch moralisch und finanziell
unterstützt hat. Das Geld soll dazu benutzt werden, Schulgelder, Förderunterricht, spezielle
Unterrichtsprojekte und darüber hinaus auch Universitätsgebühren zu bezahlen.
Bei all seinen Besuchen hat André Lacroix stets unsere Jugendlichen motiviert, neben ihrer
Begeisterung für Tanz, Sport und Musik die Schulbildung an erste Stelle zu setzen.
In diesem Jahr wird unser erster Jugendlicher
den Abschluss der Klasse 12 erreichen und die
Universität besuchen.
Bruk hat all die Jahre sehr motiviert und
diszipliniert gelernt und verdient es, ein
Universitätsstudium zu beginnen. Er möchte
gerne Wirtschaftswissenschaften studieren.
Wie in jedem Jahr planen wir ein vielseitiges Sommer/Regenzeit Programm für unsere 100
Schülerinnen und Schüler. Die Außenschulen sind drei Monate lang geschlossen. Neben
Vorbereitungskursen in Mathematik, Physik und Chemie bieten wir Kurse in Fotografie, Tanz,
Musik, Kunst und Sport an. Darüber hinaus werden unsere 50 älteren Jugendlichen Unterricht
in Karate erhalten. Mit dieser Form der Selbstverteidigung möchten wir den Jugendlichen ein
Werkzeug an die Hand geben, mit dem sie sich vor gewalttätigen Übergriffen und sexuellen
Gewalttaten schützen können. Wir möchten gerade den Mädchen damit helfen,
selbstbewusster zu werden und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Wie in den Tanzstunden
werden Jungen und Mädchen gemeinsam Karate praktizieren und damit lernen, sich in ihren
Geschlechtern als gleichwertige Menschen zu respektieren und zu achten. Wie auch im Tanz
verlangt das Training der Selbstverteidigung Konzentration, Disziplin und Zielorientierung.
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Im nächsten Schuljahr werden unsere Tänzer und einige Schüler der
Selbstverteidigungsgruppe in verschiedenen Schulen und anderen Institutionen auftreten, um
in der Öffentlichkeit auf das traurige Leben der Straßenkinder in Äthiopien aufmerksam zu
machen. Mit verschiedenen Tänzen und auch Karatevorführungen möchten wir viele
Menschen ansprechen und sie aus der Passivität, die mit einem stillschweigenden
Hinwegsehen einhergeht, wachrütteln. Gleichzeitig möchten wir aber auch dafür werben,
dass mehr Jugendliche lernen, sich zu schützen und ihre Mitmenschen zu achten.
Im Dialog mit den Zuschauern wollen wir unsere Jugendlichen anleiten, in der Öffentlichkeit
zu sprechen und für Gleichberechtigung und soziales Denken und Handeln zu werben.
In wenigen Wochen werden unsere Schülerinnen und Schüler der Klasse 8 das Nationale
Examen schreiben. Sie werden in
Mathematik,
Biologie,
Physik,
Chemie, Amharisch, Englisch und
Soziologie geprüft. Alle Schülerinnen
und Schüler dieses Jahrgangs
bereiten sich intensiv auf dieses
Examen vor, da der Wechsel auf die
gymnasiale Oberstufe von dem
Bestehen des Examens abhängig ist.
Wir
alle
wünschen
unseren
Kandidaten viel Glück und Erfolg.
Wir haben für Mutter Elfenesh
nach
Beendigung
ihrer
Ausbildung als Schneiderin einen
Arbeitsplatz in einer international
anerkannten Galerie gefunden, in
der Frauen neben modernen
Schals,
Kissenhüllen
und
Tischläufern auch modische
Kleidung herstellen.
Elfenesh hat zwei Söhne, die
heute gute Schüler in einer
Außenschule sind.
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Yordanos, allein erziehende Mutter
eines kleinen Mädchens, hat ihre
Ausbildung
zur
Friseurin
abgeschlossen und arbeitet nun für
ein Jahr als Praktikantin im
Friseursalon eines internationalen
Hotels in Addis Abeba.
Kertina, ein fünfjähriger Junge,
ist seit seiner Geburt schwer
krank. Er ist mehrfach
behindert,
querschnittsgelähmt und kann
nicht sprechen. So sehen ihn
Ärzte und Klinikpersonal. Seine
Mutter,
einige
unserer
Mitarbeiter und ich erleben
Kertina anders. Er ist ein
liebenswertes, wertvolles Kind
mit ausdrucksstarken Augen,
einem starken Lebenswillen
und einem verzaubernden Lächeln, wenn er sich in der Nähe eines Menschen wohlfühlt. Seine
Mutter hält ihn seit fünf Jahren Tag und Nacht in ihren Armen und weicht nicht von seiner
Seite. Sie klagt nicht und sie fordert nicht. Sie ist dankbar für jeden Tag, den sie mit Kertina
zusammen verbringen darf. Unser Fahrer holt Mutter und Sohn zweimal wöchentlich ab,
damit Kertina in unserem Zentrum neben der medizinischen auch eine gute
physiotherapeutische Versorgung erhalten kann. Wenn es Kertina schlecht geht, bringen wir
ihn zu unserem guten Kinderarzt, Dr. Mesfin ins Krankenhaus.
Kertina wird keine akademischen Leistungen vorweisen können. Er wird keinen Beruf
erlernen. Aber Kertina verfügt über eine besondere Gabe. Er kann Menschen verzaubern und
sie daran erinnern, was das Leben lebenswert und kostbar macht:
Bedingungslos zu lieben, den Augenblick zu leben und anspruchslos glücklich zu sein.
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Liebe Freundinnen und Freunde von MCRC,
Ich danke Ihnen allen für Ihr Interesse und Ihre Teilnahme am Leben unserer Kinder,
Jugendlichen und Mütter in MCRC. Besonders möchte ich denjenigen unter Ihnen danken, die
durch eine Patenschaft eine direkte oder auch indirekte Beziehung zu einigen unserer Kinder
aufgebaut haben. All denjenigen, die sich auf verschiedenste Weise für MCRC eingesetzt
haben und beständig immer wieder neu engagieren, gilt mein aufrichtiger Dank.
Herzliche Grüße
Jutta De Muynck
Gründerin und Leiterin des MCRC Projektes in Addis Abeba
[email protected]
mcrc-addisababa.org
Mobile: 00251 911 203719
Konto: Förderverein Inner Wheel D 87
IBAN DE 054 015 453 000 590 121 46
BIC WELADE3WXXX
Sparkasse Westmuensterland
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Kontoauszug als Vorlage beim Finanzamt.
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