Rede Dr. Andreas Gather anlässlich seiner Einführung in das Amt des Schulleiters am Öffentlich-Stiftischen Gymnasium Bethel am 12. Juni 2015 Liebe Gäste, liebe Eltern, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, ich danke Ihnen und euch allen ganz herzlich für die vielen und vielfältigen Beiträge zu dem heutigen Tage: die Gestaltung des bewegenden Gottesdienstes, die ermutigenden Reden, die musikalischen Beiträge von Blechbläserensemble, Chor und Orchester, die Organisation und perfekte Vorbereitung und einfach Ihre und eure Anwesenheit heute. In Anbetracht der mir für meine Rede zugestandenen Zeit möchte ich mich an dieser Stelle auf diesen kollektiven, aber nicht minder tief empfundenen Dank beschränken und mich an anderer Stelle in persönlichen Gesprächen noch einmal bei den vielen Menschen bedanken, die an dem Gelingen des heutigen Tages beteiligt waren und die mich auf dem Wege bis hierher auf mannigfache Weise unterstützt haben. Bei so viel Lob, guten Ratschlägen, ermunternden Worten und Bezeugungen des in mich gesetzten Vertrauens wird mir einmal mehr bewusst, ein welch verantwortungsvolles Amt ich hier am Öffentlich-Stiftischen Gymnasium Bethel angetreten habe. Die vergangenen mehr als 100 Tage haben gezeigt, wie vielfältig und komplex, herausfordernd und anspruchsvoll, bisweilen auch anstrengend, aber immer anregend und abwechslungsreich mein neues Amt ist, denn bei aller notwendigen Planung bringt jeder Tag viel Überraschendes, Unvorhersehbares, Nicht-Planbares – und auch darin liegt ein besonderer Reiz der neuen Aufgabe. Wenn ich Ihnen allen nun für Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung auf dem bisherigen Weg meinen aufrichtigen Dank ausspreche, dann ist das Ausdruck des Wissens, dass man auch als Schulleiter eines gut bestellten Gymnasiums immer auf andere angewiesen ist: auf Menschen, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen, die mit einem Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen teilen, die die gemeinsame Arbeit kritisch-konstruktiv begleiten. Das Profil der Anforderungen an einen Schulleiter hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Von dem traditionellen Verständnis eines primus inter pares hin zu einem modernen Verständnis von Führung, das Management, Organisations-, Personal- und Teamentwicklung umfasst und Schulentwicklung mit einem klaren Fokus auf Unterrichtsentwicklung als zentrale Aufgabe definiert. Über oder vor allem aber steht die Kommunikation. Kommunikation ist, so könnte man sagen, eine Gelingensbedingung für Schule. Gute Schule muss kommunikative Schule sein. Und das gilt für das Miteinander aller an Schule beteiligten Akteure. In einem der schönsten Werke der Weltliteratur, Tausend und eine Nacht, findet sich die Erzählung vom weisen Heykar. In einer mehrere Tage und Nächte dauernden Unterweisung seines Neffen Nadan lehrt er diesen: "Höre geduldig den an, der mit dir spricht, und beeile dich nicht, ihn zu unterbrechen. Man fängt keine Unterhaltung mit Antworten an." Im Wortlaut anders – aber in der Intention gleich – formuliert der große Humanist Erasmus von Rotterdam: „Es gibt zu viele Sorten von Menschen, als dass man für alle fertige Antworten bereithalten könnte.“ Ein weiser Ratschlag auch für einen Schulleiter! Eine Schule wird häufig mit einem Schiff verglichen mit dem Schulleiter als Kapitän. Ich will diesen häufig herangezogenen Vergleich hier nicht weiter ausführen, wiewohl er sicherlich noch hinreichend Raum für neue Auslotungen böte – besonders wenn man sich einmal an einer näheren Bestimmung von Schiffstypen und nautischen Gegebenheiten versuchte. Ohne mich in derlei Tiefen – oder Untiefen – zu begeben, darf ich aber, um im Bilde zu bleiben, sicherlich sagen, dass ich auf einem Schiff angeheuert habe, das einen guten Kurs hält, dessen Reeder – und hier blicke ich auf meinen Schulträger – das Schiff hoffentlich weiterhin hochseetauglich hält, dessen Mannschaft für die moderne Seefahrt gut ausgebildet ist und dem neuen Kapitän nicht mit Meuterei, sondern mit großem Entgegenkommen begegnet ist. Für welchen Kurs aber steht die neue Schulleitung des Gymnasiums Bethel? Lassen Sie mich, anstatt programmatisch in die Zukunft zu schauen, zurückgehen in die Vergangenheit und daraus einige Wesensmerkmale eines guten Gymnasiums ableiten, die, da bin ich sicher, auch für die Zukunft tragen. Lassen Sie mich zurückgehen in das 17. Jahrhundert, zu den Ideen eines Mannes, auf den sich zu berufen gerade einer evangelischen Schule gut zu Gesicht steht, da für ihn pädagogisches und theologisches Denken und Handeln untrennbar miteinander verknüpft sind, nämlich zu Johann Amos Comenius. Im 11. Kapitel seiner Didactica Magna formuliert Comenius den pädagogischen Grundsatz omnes omnia omnino doceantur: alle soll alles auf umfassende Weise gelehrt werden. Omnes (alle): Damit tritt Comenius ein für das Recht auf Bildung von Menschen aller gesellschaftlicher Schichten. Auf die Gegenwart bezogen bedeutet dies: Auch das Gymnasium muss sich von der Fiktion einer homogenen Schülerschaft verabschieden – aber die Gymnasien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass es ihnen immer besser gelingt, eine zunehmend heterogene Schülerschaft zum Erfolg zu führen, ohne dabei ihren besonderen Bildungsauftrag und ihr Profil aufzugeben: nicht omnes – dieser Anspruch wird unerfüllbar bleiben – aber multi oder plures, vielleicht sogar plurimi. Und das Gymnasium wird – wenn mit Augenmaß und Sachverstand betrieben – auch seinen Beitrag zu einer inklusiven Schule erfolgreich leisten. Omnes aber verpflichtet uns, zum Wohle aller Schülerinnen und Schüler mit den anderen Schulformen offen und vorurteilsfrei zusammen zu arbeiten. Wir sind am Gymnasium Bethel zu Recht stolz auf die langjährige intensive und enge Kooperation mit der Realschule und dem Berufskolleg, die wir in Zukunft mit der neu gegründeten Sekundarschule fortsetzen wollen und werden. Mit dem zweiten Begriff omnia (alles), bei Comenius im Sinne einer umfassenden Allgemeinbildung verstanden, kann ein nicht nur auf fachliche Kompetenzen und Fertigkeiten zielender Bildungsbegriff begründet werden, sondern ein Bildungsbegriff, der den Menschen ganzheitlich in den Blick nimmt und über die Dimension einer bloßen Zweckrationalität weit hinausweist. Omnino – daraus kann einerseits in der Deutung allumfassend der Anspruch von Fachlichkeit und fachlicher Tiefe abgeleitet werden, das Bekenntnis zur Herausforderung von Leistungsbereitschaft und der Förderung besonderer Stärken, andererseits in der Deutung auf alle möglichen Weisen das Zulassen unterschiedlicher und individueller Herangehensweisen an einen Gegenstand. Comenius geht in seinem Denken von drei verschiedenen „Bedürfnissen“ als dem Menschen angestammte Ausdrucksformen aus, den genuina hominis requisita. Dies sind zunächst die eruditio, die gelehrte Bildung, die so dürfen wir wohl sagen, am Gymnasium zu recht betonte Fachlichkeit, sodann die mores, die Tugend oder Sittlichkeit – die Aufgabe der Schule, eine Instanz der Vermittlung von Werten zu sein, und schließlich die religio, die Frömmigkeit. Als Schule in diakonisch- evangelischer Trägerschaft ist die religio eine unverzichtbare Grundbedingung unseres schulischen Handelns. Ausgehend von unserem Verständnis als evangelische Schule, deren pädagogische Grundhaltungen auf den Prämissen der Bildbarkeit jedes Menschen beruhen, verstehen wir uns als weltoffene Schule, die den traditionellen Begriff der Frömmigkeit in der modernen Deutung einer Offenheit zum interreligiösen Dialog von einem eigenen, identifizierbaren, reflektierten christlichen Standpunkt aus vertritt. In der Denkschrift der EKD Religiöse Orientierung gewinnen von 2014 lesen wir: „Die Fähigkeit, sich konstruktiv mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität auseinanderzusetzen, beruht auf der Einsicht in Gemeinsamkeiten, die alle Menschen einschließen, aber auch auf dem Bewusstsein der bleibenden Bedeutung unterschiedlicher Lebensorientierungen und Glaubensüberzeugungen.“ Welcher Art aber ist das Wissen, das im Sinne von Comenius an einer – so würden wir heute an den Qualitätskriterien der QA bzw. des Referenzrahmens gemessen sagen – guten Schule vermittelt oder – neurodidaktisch-konstruktivistisch gewendet – vom Lerner erworben wird? Es ist, wie es bei Comenius heißt, totalis, ganzheitlich, unverkürzt, multiperspektivisch, die Grenzen des einzelnen Unterrichtsfachs sprengend, es ist solidus, nicht nur äußerlich und oberflächlich, sondern festgegründet, anwendbar, vielleicht kompetenzorientiert. Es ist realis, an der Sache orientiert, keine inhaltsleere bloße Methodik. Es ist lenis und placidus, nicht beschwerlich und erzwungen, sondern schülerorientiert, und es ist durabilis, dauerhaft oder, im heutigen Sprachgebrauch: nachhaltig. Comenius’ Didactica Magna ist geprägt von seiner Hoffnung auf eine humanere Welt. Seine Vorstellungen von der Bedeutung des Menschen und seiner Bildbarkeit für den Prozess der Erneuerung und Verbesserung der Welt, von der Fähigkeit eines jeden Menschen zur Vernunft und zur Eigenverantwortung verbinden ihn mit der Neuzeit, sie bleiben allerdings untrennbar verwoben mit dem festen Glauben an Gottes Handeln in der Welt. „Eine Schule ist keine Tretmühle, sondern ein heiterer Tummelplatz des Geistes“, so formuliert Comenius an anderer Stelle. Die Essenz seines theologischen und pädagogischen Denkens kumuliert in der Wesensbestimmung scholae sunt humanitatis officinae, Schulen sind Werkstätten der Menschlichkeit. Als Schulleiter des Öffentlich-Stiftischen Gymnasiums an einer solchen Schule mitarbeiten zu dürfen sind Privileg und Herausforderung zugleich. Eine Schule in diesem Sinne zu gestalten ist keine Aufgabe, die ein Schulleiter allein zu bewältigen vermag. Er braucht dazu ein Kollegium, das diese Ideen mitträgt und verwirklicht, Schülerinnen und Schüler, die bereit sind, Verantwortung für ihren Lernprozess zu übernehmen, Eltern, die sich darauf einlassen, mit der Schule eine Erziehungspartnerschaft einzugehen, einen Träger, der die für eine moderne Schule benötigten Ressourcen bereitstellt, und er braucht den Austausch und die Zusammenarbeit mit anderen Schulen: Und das heißt für das Öffentlich-Stiftische Gymnasium Bethel zuvorderst die anderen drei Schulen in unserem Schulverbund, sodann die weiteren Schulen der v.Bodelschwinghschen Stiftungen, unsere evangelischen und katholischen Schwesterschulen und nicht zuletzt unsere staatlichen Nachbarschulen hier in Bielefeld. Ich bin hoffnungsvoll und zuversichtlich, dass all diese Voraussetzungen erfüllt sind. Letztlich ist das Verbindende zwischen allen unseren Schulen weitaus größer als das vermeintlich Trennende – denn uns alle eint ein Ziel: im Sinne Comenius’ für die Schülerinnen und Schüler eine gute Schule zu sein und dem Prinzip, ja der Vision des omnes omnia omnino ein Stück näher zu kommen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen allen! Vielen Dank!
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