Juni 2015

punktum.
SBAP.
Schweizerischer Berufsverband für Angewandte Psychologie
Association Professionnelle Suisse de Psychologie Appliquée
Associazione Professionale Svizzera della Psicologia Applicata
Juni/juin 2015
Organisation
Der Totalstaat der Ameisen
«Messies» – verloren im Chaos
Berufsberatung im Clinch
Criminalité organisée d’Europe de l’Est
Management by Holacracy
2
Editorial
Die Organisation von Organisation
Liebe Leserin, lieber Leser
Ende März, draussen regiert ein
Sturmtief. Der sonst friedliche Haselbach vor unserem Haus tost. Die Bäume beugen sich tief mit dem Wind,
nur um gleich wieder in die entgegengesetzte Richtung zu schnellen,
nach links, nach rechts. Die Natur ist
aufgewühlt, wirkt unorganisiert. Sie
stellt unser Streben nach Ordnung
auf die Probe.
Alle Lebensbereiche haben mit Organisation zu tun – Familienalltag,
Partnerschaft, Beruf, Verein, Schule,
Politik, Strassenverkehr. Neulich erzählte mir mein 15-jähriger Göttibub
voller Stolz und Vorfreude: «Weisst
du, Gotta, ich habe das mit der Berufslehre alles organisiert. Ich weiss,
welche Lehre ich machen will, wo
ich sie machen möchte und welche
Erfahrungen ich vorgängig in den
Berufs-Schnupperwochen sammeln
will. Ich möchte dann auch gerne
im Sommer einen Sprachaufenthalt
machen und meine Englischkenntnisse verbessern.» Ich war beeindruckt
von seinem zielgerichteten Vorgehen.
Strahlend nahm er mein Kompliment
und meine Begeisterung für seine
wohlüberlegten Pläne entgegen.
Auf der anderen Seite frage ich mich
aber auch, wie viel Organisation denn
nötig ist im Leben. Welche Möglichkeiten, welche Chancen entstünden,
wenn unser Organisationsgrad eben
nicht so hoch wäre? Vor welche He-
rausforderungen würde uns ein solches zwar nicht planvolles, vielleicht
aber durchaus lustvolles Vorgehen
stellen? Was würde passieren, wenn
ich meine Organisationsfähigkeit
oder -bereitschaft für eine, zwei
oder drei Wochen einfach mal in die
wohlverdienten Ferien schickte? Was
würde ganz sicher – oder auch nur
vielleicht – komplett aus dem Ruder
laufen? Und was würde besser funktionieren als erwartet?
Wir bieten Ihnen, liebe Mitglieder, in
diesem Heft interessante, breit gefächerte Beiträge zu Organisation und
Nicht-Organisation. So hat unser Redaktionsmitglied Beat Honegger mit
dem ehemaligen Jugendstaatsanwalt
Peter Curdin Ragaz über Hierarchie
im Bereich der Justiz gesprochen (Seite 16). Die Organisation von früher,
von heute und in Zukunft in der
Schweiz und in Europa beleuchtet
unsere Gastautorin Beatrice Kunovits
aus der Sicht der Berufs-, Studienund Laufbahnberatung (Seite 8). Die
Desorganisationsproblematik beim
«Messie-Syndrom» (Seite 10), aktuelle Trends in der Arbeits- und Organisationspsychologie (Seite 6) und
Einblicke in das organisierte Verbrechen (Seite 14) sowie in die Organisationsweisen in der Tierwelt (Seite 4)
runden zusammen mit weiteren Beiträgen das Thema ab.
Und last, but not least: Auch in unserem Verband ist das Thema Organisation zurzeit sehr präsent und zentral.
Der Vorstand wird sich nach dem Präsidentenwechsel von Heinz Marty zu
Christoph A. Schneider weiterhin mit
der Führung und Gestaltung unseres
Berufsverbandes auseinandersetzen.
Dabei werden einerseits sachliche Aspekte, etwa die Aufgabenverteilung
und das Organigramm, beleuchtet.
Diese Aspekte sind erfahrungsgemäss
gut diskutier- und lösbar. Anderseits
machen die eher weichen Faktoren,
das heisst die emotionalen Aspekte
wie die Kommunikation oder die Art
und Weise, wie man miteinander umgeht, sowie die Werthaltungen und
Erwartungen solche Nachfolgeprozesse, wie wir sie als Verband und als
Vorstand momentan durchleben und
gestalten, zur Herausforderung. Mit
gegenseitiger Wertschätzung, Respekt vor dem Andersdenken, einer
lösungsorientierten und zukunftsgerichteten Haltung, einer konstruktiven Dialogbereitschaft sowie mit viel
Elan gehen wir diese Aufgaben an.
Dabei bauen wir aber auch auf eine
ebensolche Unterstützung und danken Ihnen, liebe Mitglieder, für Ihr
Vertrauen in unser Wirken.
Und nun wünsche ich Ihnen im Namen des Redaktionsteams viel Freude beim Lesen des neuen punktum.
und eine sonnige, leichte, vielleicht
zwischendurch auch etwas organisationsärmere Sommerzeit!
Lianne Fravi,
Redaktionsleiterin punktum.
Éditorial
L’organisation de l’organisation
Chère lectrice, cher lecteur
Fin mars. Dehors, la tempête fait
rage. D’ordinaire si paisible, le Hasel qui coule devant notre maison
n’est qu’un mugissement. Les arbres
ploient sous la force du vent, se balançant de gauche à droite, d’un côté,
de l’autre. Prise dans la tourmente, la
nature est désorganisée. Elle met alors
notre besoin d’ordre à l’épreuve.
Notre quotidien est régi par l’organisation et ce, dans tous les domaines:
vie de famille, couple, profession, association, école, politique, circulation
routière. Dernièrement, mon filleul
de 15 ans m’a annoncé avec enthousiasme et fierté: «Tu sais, marraine,
en ce qui concerne ma formation,
j’ai tout organisé. Je sais quel cursus je veux suivre, dans quelle école
je vais aller et quelles expériences je
vais pouvoir acquérir au préalable
lors des semaines d’initiation. Et cet
été, j’aimerais bien faire un séjour linguistique afin de perfectionner mon
anglais.» J’ai été très impressionnée
par une démarche aussi précise. Je lui
ai dit que j’étais ravie et l’ai complimenté pour ses décisions mûrement
réfléchies. Il était tout content.
D’un autre côté, je me demande
jusqu’à à quel point l’organisation est
indispensable dans la vie. Quelles
possibilités, quelles opportunités s’offriraient à nous si notre niveau d’organisation n’était pas aussi élevé?
Quels défis devrions-nous relever si
nous cessions de tout planifier et vivions au gré de nos envies? Que se
passerait-il si, pendant une, deux ou
trois semaines, j’envoyais ma capacité
d’organisation en vacances (certes
bien méritées)? Qu’est-ce qui, à coup
sûr – ou seulement peut-être –, deviendrait parfaitement incontrôlable?
Et qu’est-ce qui fonctionnerait mieux
que prévu?
Vous trouverez dans ce numéro,
chers membres, une compilation
d’articles très intéressants portant
sur l’organisation et la non-organisation. Beat Honegger, membre de
notre rédaction, nous racontera son
entretien avec un ancien procureur
des mineurs sur le thème de l’organisation dans le domaine de la justice
(page 16). Beatrice Kunovits, invitée
comme auteur, nous éclairera sur l’organisation d’hier, d’aujourd’hui et de
demain (en Suisse et en Europe) en
matière d’orientation professionnelle,
universitaire et de carrière (page 8).
Parmi les autres sujets abordés autour
de ce thème figurent la problématique du manque d’organisation chez
les personnes atteintes de syllogomanie (page 10), les tendances actuelles
dans la psychologie du travail et des
entreprises (page 6) ainsi qu’un aperçu du crime organisé (page 14) et des
modes d’organisation dans le monde
animal (page 4).
Enfin last, but not least: actuellement, l’organisation est également
un thème omniprésent au sein de
notre association. Suite au remplacement de Heinz Marty par Christoph
A. Schneider au poste de président,
le comité va poursuivre sa mission de
gestion et d’organisation de notre association professionnelle. Cela inclut,
d’un côté, les aspects matériels tels
que la répartition des tâches et l’organigramme. En règle générale, ces aspects sont propices à la discussion et
peuvent être résolus sans problème.
Ce qui, en revanche, représente un
véritable défi, ce sont des facteurs
plus fluctuants – les aspects affectifs,
tels que la communication ou l’interaction, ainsi que les valeurs et les
attentes induites par ces processus de
succession, et la façon dont nous le
vivons en tant qu’association et comité. Relever ce défi implique une estime réciproque, le respect de la pensée de l’autre, une démarche orientée
solutions et tournée vers l’avenir,
une volonté de dialogue constructif
et beaucoup d’énergie. Un tel soutien nous permet d’avancer, et nous
souhaitons vous remercier, chers
membres, pour la confiance que vous
nous témoignez.
Il ne me reste plus qu’à vous souhaiter, au nom de toute l’équipe de
la rédaction, beaucoup de plaisir à
la lecture de ce nouveau numéro de
punktum. ainsi qu’un été ensoleillé,
léger, et – pourquoi pas? – un peu
moins bien organisé!
Lianne Fravi,
Directrice de la rédaction punktum.
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4
Thema
Organisation eines Ameisenstaates
Mehr als die Summe der Einzelteile
Ameisen sind in Staaten organisiert.
Die Arbeitsteilung dabei ist hochentwickelt. Jedes Individuum bringt
spezifisches Know-how ein, welches
das Gemeinwesen dann in der Summe zu höchster kollektiver Intelligenz befähigt.
Eine Ameisenkolonie ist eine Monarchie mit einer Königin als Staatsoberhaupt und Hunderten bis Milliarden
von ausschliesslich weiblichen Arbeiterinnen als Volk. An sich ähnelt ein
Ameisenstaat unseren Menschenzivilisationen, denn auch bei den Ameisen liegt das Staatsinteresse über dem
des Individuums. Trotzdem könnte
der Unterschied nicht grösser sein.
Wo bei uns Menschen die Staatsoberhäupter regieren, entscheiden
und befehlen, was das Volk zu tun
hat, da schweigt bei den Ameisen
die Königin. Sie hat kein Wort bei der
Arbeitsverteilung und den Kriegsstrategien mitzureden – stattdessen widmet sie sich der Fortpflanzung. Das
Arbeitervolk entscheidet allein, was
zu tun ist, Hierarchien zwischen Arbeiterinnen gibt es nicht.
Wie aber organisiert sich eine Ameisenkolonie? Diese Frage stellen sich
Forscher aus aller Welt seit vielen
Jahrzehnten. Um dem Geheimnis auf
die Spur zu kommen, müsste man für
jede Arbeiterin der Kolonie wissen,
wohin sie geht, was sie macht und
mit welchen anderen Arbeiterinnen
sie sich austauscht. Kurz: Man müsste jede Arbeiterin der Kolonie rund
um die Uhr verfolgen können. Die
Schwierigkeit liegt darin, dass es für
unser Auge unmöglich ist, zwei Arbeiterinnen voneinander zu unterscheiden. Hat man sie auch nur für
kurze Zeit aus den Augen verloren,
ist es unmöglich zu wissen, welche
Ameise welche ist. Bis vor kurzem
war die einzige Lösung, jede Ameise mit Farbtupfern zu versehen, die
Kolonien mehrere Stunden zu filmen
und eine Armee von Studenten einzelne Ameisen verfolgen zu lassen.
Allerdings ist auch dann der Zeitraum, über den man Daten sammeln
kann, begrenzt, da jeder Student nur
eine Ameise nach der anderen verfolgen kann und der Zeitaufwand also
proportional zur Anzahl von Ameisen
und der Länge des Experiments ist.
Bräuchte ein Student nur eine Sekunde, um die Position und Kopfrichtung einer Ameise genau anzugeben,
dann bräuchte er für einen 24-Stunden-Film (mit 2 Bildern pro Sekunde)
von einer Kolonie mit 200 Ameisen
trotzdem noch insgesamt 9600 Stunden oder 400 Tage. Allerdings wären
Daten über 24 Stunden immer noch
unzureichend, um die Organisation
der Ameisen zu entziffern. Wie dann
haben wir es geschafft, Prinzipien
der Ameisenorganisation ans Licht zu
bringen?
Hochentwickelte Arbeitsteilung
Um den Ameisen ihr Geheimnis zu
entlocken, haben wir ein System
entwickelt, dass es uns erlaubt, alle
Ameisen einer Kolonie gleichzeitig
und zeitlich unbegrenzt zu verfolgen.
Jeder Ameise kleben wir einen individuellen Barcode auf den Rücken, das
ganze Volk lebt mitsamt Königin und
Brut in einem künstlichen Nest, überwacht von Infrarotkameras. Die Barcodes sind für einen Computer lesbar,
der sie in Echtzeit in Positionen und
Winkel der Ameisen umrechnet und
uns damit erlaubt, Daten rund um die
Uhr automatisch zu sammeln. Genau
das haben wir in sechs Kolonien über
41 Tage lang getan: Ameisen verfolgt
und insgesamt mehr als 2,4 Milliarden Ameisenpositionen und Winkel
gesammelt.
Das erste Aha-Erlebnis der Datenanalyse war unsere Entdeckung, dass
es in einer Ameisenkolonie eine klare
Gruppeneinteilung gibt. Nicht alle Arbeiterinnen laufen wild durcheinander, wie es oft so scheint. Stattdessen
gehört jede Ameise einer Gruppe an
und kommuniziert am häufigsten mit
anderen Arbeiterinnen ihrer Gruppe.
In unseren Experimentierkolonien der
Ameise Camponotus fellah fanden
wir systematisch drei Gruppen, in anderen Arten oder grösseren Kolonien
mögen es mehr sein.
Die nächste Frage war dann, was diese drei Gruppen bedeuten. Aus der
Ameisen- und Bienenliteratur war seit
langem die hochentwickelte Arbeitsteilung der Insekten bekannt. Einige
Danielle Mersch, PhD, hat 2012
an der Universität Lausanne promoviert und arbeitet jetzt als Human Frontiers Science Program
Fellow am Medical Research
Council, Laboratory of Molecular
Biology, in Cambridge, England.
Parallel zu ihrer Forschung über
das Sozialleben der Ameisen erforscht sie mit Hilfe von Fruchtfliegen, wie sensorische Information
im Gehirn zu Verhaltensstrategien
verarbeiten werden.
Arbeiterinnen kümmern sich um die
Brut und die Königin, während andere das Nest säubern und reparieren
und wieder andere die Nesteingänge
bewachen oder auf Nahrungssuche
gehen. Also haben auch wir für jede
unserer Arbeiterinnen gezählt, wie oft
sie die Brut überprüft, zum Müllhaufen läuft und das Nest verlässt, um
auf Nahrungssuche zu gehen. Reparatur und Verteidigung fielen weg, da
in unseren künstlichen Nestern nichts
kaputtging und auch keine Feinde
eindringen konnten.
Und siehe da: Ameisen, die der gleichen Gruppe angehörten, widmeten
sich hauptsächlich der gleichen Aufgabe. Eine der drei Gruppen kümmerte sich fast ausschliesslich um die
Brut und die Königin, eine andere
Gruppe ging regelmässig auf Nahrungssuche, und die dritte Gruppe
säuberte das Nest am häufigsten.
Das deutet darauf hin, dass eines der
Thema
Organisation eines Ameisenstaates
Hauptorganisationsprinzipen
einer
Ameisenkolonie eine klare Einteilung
in Arbeitsgruppen ist.
Oft werden Alter und Körpergrösse
der Ameisen als Grund angegeben,
warum eine Ameise auf Nahrungssuche geht und eine andere sich um
die Brut kümmert. Um dieser Idee
auf den Grund zu gehen, haben auch
wir das Alter und die Grösse aller Arbeiterinnen verglichen. In unseren
Kolonien spielte Körpergrösse keine
wesentliche Rolle, obwohl manche
Arbeiterinnen nur 6 mm lang waren
und andere 17 mm aufwiesen. Auch
das Alter hatte nur geringen Einfluss
auf die Tätigkeiten und Gruppenzugehörigkeit einer Arbeiterin. Im Kolonievergleich durchschnittlich jüngere Arbeiterinnen waren zwar öfter
Amme, aber auch viele alte Arbeiterinnen gehörten noch der Ammengruppe an.
Karriere einer Ameise
Verfolgt man die Gruppenzugehörigkeit einer Arbeiterin allerdings
über mehrere Wochen, sieht man,
dass jede Ameise Karriere macht.
Auch wenn sich eine Arbeiterin über
mehrere Tage oder sogar Wochen
hauptsächlich einer Aufgabe widmet, so wechselt sie doch auf lange
Sicht langsam von einer Gruppe und
Aufgabe zur nächsten. Wie unsere
Daten zeigen, beruht dieser Wechsel
nicht auf Zufall oder Langeweile der
Ameise, sondern folgt einem klaren
Karriereplan.
Eine Arbeiterin beginnt ihr Leben als
Amme, wechselt dann zum Putzdienst und geht schliesslich auf Nahrungssuche. So gesehen spielt das
Alter der Ameise doch eine Rolle.
Der entscheidende Punkt hier aber
ist, dass eine Arbeiterin den Wechsel von einer Aufgabe zur nächsten
nicht mit einem bestimmten Alter antritt, sondern dass sie flexibel bleibt
und selbst entscheidet, wann sie
zur nächsten Gruppe und Aufgabe
wechselt. Daraus erklärt sich, weshalb das Alter einer Arbeiterin nur
bedingt Auskunft über ihre Gruppenzugehörigkeit und ihr Aufgabenprofil gibt. Das Schlüsselprinzip
des Staates beruht also darauf, dass
jede Ameise denselben Karrierepfad
einschlägt und die Verteilung und
Weiterentwicklung aller Arbeiterinnen entlang dieser Karriereleiter die
Arbeitsteilung des Volkes regiert und
kontrolliert.
Ein weiteres wichtiges Organisationsprinzip einer Ameisenkolonie ist die
räumliche Aufteilung des Nestes. So
wie wir unsere Gebäude und Städte
in Privat- und Berufssphären, Arbeitsund Wohnungsbezirke aufteilen,
so strukturieren auch die Ameisen
ihre Nester in funktionelle Bereiche.
Die räumliche Aufteilung in unseren
sechs Kolonien war sehr stark ausgeprägt, obwohl die künstlichen Nester,
in denen die Ameisen lebten, einfache rechteckige Kisten ohne zusätzliche Struktur waren und in denen die
Ameisen innerhalb weniger Sekunden alle Ecken ihres Nestes erreichen
konnten. Das heisst, dass die Arbeiterinnen aktiv eine Raumteilung geschaffen haben.
Kommt hinzu, dass Arbeiterinnen
derselben Arbeitsgruppe vorzugsweise denselben Bereich des Nestes
bewohnten. Ammen verbrachten die
meiste Zeit dort, wo die Brut gelagert
wurde, die Futtersammler warteten
hauptsächlich am Nesteingang, und
die Putzer bewohnten den Rest des
Nestes. Das Überraschende war, dass
sich die Bereiche der drei Gruppen
nur wenig überlappten, es schien, als
würden die Ameisen Arbeitsghettos
im Nest etablieren, ganz nach dem
Motto: Jeder Arbeitsgruppe ihr Zuhause.
Ameisen sind nicht wählerisch
Da sich Raumnutzung und Gruppenzugehörigkeit so stark überschneiden, fragt man sich, was man daraus schliessen kann. Bestimmt die
räumliche Aufteilung welche sozialen
Gruppen entstehen, oder sind es im
Gegenteil die Kommunikationsvorlieben der Ameisen, welche die räumliche Aufteilung prägen und hervorbringen? Um dies zu testen, müsste
man den Ameisen eine Raumaufteilung aufzwingen können oder ihre
Kommunikationsmöglichkeiten einschränken; beides war im Experiment
unmöglich.
Um der Sache trotzdem näher auf
den Grund zu kommen, haben wir die
Frage umgedreht und gefragt, ob Arbeiterinnen mit Vorliebe mit manchen
anderen Arbeiterinnen kommunizieren oder ob im Gegenteil die Kommunikation zwischen zwei Arbeiterinnen
nur von der räumlichen Aufteilung,
vom eingeschlagenen Weg einer Arbeiterin und deren Kommunikationslust abhängt. Unsere Daten zeigen:
Arbeiterinnen sind nicht wählerisch,
haben also keine Lieblingspartnerinnen für den Informationsaustausch.
Dies deutet darauf hin, dass es die
räumliche Aufteilung ist, welche die
Arbeitsgruppenstruktur beeinflusst
oder sogar bestimmt, und nicht umgekehrt. Das wiederum deutet darauf
hin, dass Nachbarschaft die Arbeitsgruppendynamik und – wer weiss?
– vielleicht sogar die Geschwindigkeit
einer Ameisenkarriere bestimmt; aber
das sind Fragen, die noch offen sind.
Letztlich bleibt die Frage, ob und was
sich zwei Ameisen sagen, wenn sie
miteinander kommunizieren, doch
dies bleibt so weit noch ein Ameisengeheimnis.
Danielle Mersch
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Fachwissen
Holacracy™
Ein Ansatz zur Strukturierung, Regelung und Organisation von Unternehmen
Holacracy ist ein in den USA entwickeltes Modell, das den Steuerungs- und Managementprozessen
in grossen Netzwerken und komplexen Unternehmen eine passgenaue
dynamische Struktur gibt.
In den letzten 20 Jahren haben Dutzende von Vordenkern festgestellt,
dass Unternehmen neue Fähigkeiten
entwickeln müssen, um in den Herausforderungen dieses Jahrhunderts
bestehen zu können. Diese Leute
heben hervor, dass die Grenzen konventioneller Ansichten von Organisation und Führung limitiert sind,
und gewähren einen Blick auf neue
Möglichkeiten. Doch es hat sich als
schwierig erwiesen, die Transformation eines kompletten Systems zu
gestalten, wenn neue Grundsätze
und Praktiken innerhalb des bisherigen Rahmens angewandt werden.
Um wirklich ein neues Paradigma
beschreiten zu können, ist ein grundlegend neues Betriebssystem für Organisationen vonnöten – eine Art
Upgrade der Art und Weise, wie wir
steuern, managen und arbeiten.
Beispiel Zappos
Einer, der sich diese Überlegungen
auch gemacht hat, ist Zappos-CEO
Tony Hsieh. Zappos ist ein Onlineshop, der sich auf den Verkauf und
Versand von Schuhen und Modeartikeln spezialisiert hat. Und Zappos
macht dies ziemlich gut: Der Umsatz
wurde seit der Firmengründung 1999
stetig gesteigert und beläuft sich heute auf eine Milliarde US-Dollar. Die
Firma Zappos hat es geschafft, indem
sie eine Firmenkultur geschaffen hat,
welche die Faktoren Team, intrinsische Motivation und Lebensqualität
am Arbeitsplatz zu ihren zentralen
Werten gemacht hat. Die Leute bei
Zappos sind, wie es scheint, ein bisschen «crazy». Sie halten sich an keine
Konventionen, was Kleidung, Verhalten oder Ordnung betrifft, und liefern dennoch – oder gerade deshalb
– perfekte Arbeit ab. Dabei fällt etwas
auf: Tony Hsieh setzt mit seinen 1500
Mitarbeitenden auf eine revolutionär
andere Form der Organisationsstruktur im Unternehmen. Auf Holacracy.
Holacracy ist ein vom Unternehmer Brian Robertson aus Philadelphia, USA, in dessen Firma Ternary
Software Corporation entwickelter
Ansatz, welcher der Entscheidungsfindung in grossen Netzwerken und
vielschichtigen Unternehmen eine
günstige Struktur gibt.
Holacracy bietet eine Praxis für Steuerung und Betrieb von Organisationen. Seine transformative Struktur
und Prozesshaftigkeit integriert das
kollektive «Wir» der Menschen in der
Gesellschaft, während die Organisation auf ihren wichtigsten Zweck und
eine natürliche Art und Weise des
Betriebs ausgerichtet wird. Holacracy
integriert die Prinzipien, Ideen und
neuen Denkweisen vieler innovativer
Vordenker in die derzeitigen Strukturen und Prozesse der Organisation.
Dies basiert auf Praxis und führt zu
gesteigerter Agilität, Transparenz, Innovation und Verantwortung.
Arbeit in «Rollen» und «Kreisen»
Holacracy ist ein Ansatz, um Klarheit
und Transparenz über die Arbeit in
einem Team oder einer Organisation
zu gewinnen und Entscheidungsprozesse schlank und effektiv zu halten.
Die Autorität, die sonst bei Führungspersonen oder Managern liegt, wird
dabei auf Kreise, die aus Rollen zusammengesetzt sind, verteilt.
Teammitglieder übernehmen eine
oder mehrere Rollen. Über verbindliche Kooperationsregeln und Meetingprozesse stimmen sie sich mit
anderen Rolleninhabern ab. Der zentrale Koordinationsaufwand wird so
stark reduziert. Management-/Leitungs-/Entscheider-Funktionen werden entlastet. Holacracy betont die
Eigenverantwortung der Mitarbeitenden in ihren Rollen und die Selbstorganisation von Teams und Kreisen.
Die Methode kann ab zwei Team-/
Organisationsmitgliedern angewendet werden und eignet sich prinzipiell
für alle Branchen.
In Holacracy wird Arbeit über Rollen aufgeteilt. Eine Rolle hat einen bestimmten Zweck, der sich am Unternehmensziel ausrichtet. Rollen haben
normalerweise festgelegte Verantwortlichkeiten und können die Ho-
Christoph Adrian Schneider, Psychologe SBAP., ist seit März 2015
SBAP.-Präsident. Er schloss 2008
das Fachhochschulstudium an der
ZHAW in Arbeits- und Organisationspsychologie ab und absolvierte
parallel dazu eine Coaching-Weiterbildung. In den anschliessenden
vier Jahren leitete er verschiedene
Kulturtransformations- und Managemententwicklungsprojekte in
verschiedenen Geschäftsbereichen
der Swisscom. Von 2012 bis 2014
lebte er mit seiner Familie in Thailand und arbeitete für den Schulvorstand der Swiss School Bangkok. Mit der Rückkehr in die
Schweiz machte er sich selbständig
und eröffnete im Herzen von Bern
eine eigene Praxis für integrative
Persönlichkeitsentwicklung und achtsame Lebensgestaltung.
heit über bestimmte Entscheidungsbereiche oder materielle Ressourcen
haben. Ein Teammitglied kann mehrere Rollen gleichzeitig ausfüllen.
Zusammengehörige Rollen bilden
einen Kreis.
Kreise organisieren sich weitestgehend selbst: Sie definieren ihre Struktur (Rollenaufteilung) selbst und
entwickeln sie weiter, indem sie zum
Beispiel neue Rollen schaffen, Rollendefinitionen oder -verantwortlichkeiten verändern oder Rollen abschaffen, die nicht mehr benötigt werden.
Fachwissen
Holacracy™
Verbindlichkeit und Transparenz
Holacracy definiert zwei Arten von
Meetings:
– In taktischen Meetings bringen
sich die Mitglieder eines Kreises gegenseitig auf den jeweils aktuellen
Stand. Sie prüfen den Fortschritt
der laufenden Projekte und bearbeiten Reibungspunkte. Neue Projekte können gestartet und existierende anders priorisiert werden.
– In Governance Meetings wird die
Struktur des Kreises weiterentwickelt: Rollen werden verändert oder
neu geschaffen.
Teammitglieder geben einander Einblick in die Projekte, an denen sie
arbeiten. Sie sind einander zur Rechenschaft verpflichtet, warum sie an
einem Projekt arbeiten und an einem
andern nicht. So kann leicht festgestellt werden, wenn Prozesse feststecken. Blockaden können schnell
aufgelöst werden. Zwischen den Rollen werden verbindliche Absprachen
getroffen.
In Holacracy wird die Arbeitsorganisation ständig den neuen Erfordernissen angepasst. Dabei gibt es keinen
«Chef» oder «Organisationsplaner»:
Die Inhaber der Rollen selbst stimmen sich miteinander darüber ab, wie
die Prozesse und Verantwortungsbereiche verändert werden sollen. Der
Governance-Prozess stellt sicher, dass
dies klar, konstruktiv und zeitsparend
abläuft.
Anstatt die Organisation zu planen
oder zu «designen», entwickelt sich
in Holacracy ihre Struktur direkt aus
dem Feedback der Realität des Unternehmens: Die Teammitglieder, die
selber mit einem Problem konfrontiert waren oder eine Verbesserungsmöglichkeit sehen, stossen die notwendigen Entwicklungen an und
integrieren sie über den GovernanceProzess mit den Rückmeldungen und
Bedürfnissen der anderen Rollen.
Strukturierter, moderierter Prozess
Für Entscheidungen, welche die
Struktur der Organisation verändern,
schreibt Holacracy einen strukturierten Besprechungsprozess vor. Der
Governance-Prozess stellt sicher, dass
der Austausch sachbezogen geführt
wird und in einem konstruktiven Ergebnis endet. Er verhindert, dass
persönliche Interessen die Diskussion
dominieren.
Entscheidungen über neue Projekte oder Veränderungen der Struktur
bedürfen in Holacracy keines Konsenses: Nur wenn fundamentale, gültige Einwände bestehen – etwa wenn
abgesehen werden kann, dass durch
eine Veränderung sicher Schaden
entstehen wird –, können Vorschläge
gestoppt werden. Blosse Befürchtungen oder andere Meinungen genügen nicht.
Vorteile
Holacracy stellt einen Prozess bereit,
der Information, wo auch immer sie
auftaucht, schnell an einen Punkt
der Organisation leiten kann, wo sie
in sinnvolle, zweckorientierte Veränderung umgesetzt werden kann. So
kann ein Unternehmen neue Umwelteinflüsse schnell aufnehmen und
verarbeiten und seine Struktur den
neuen Gegebenheiten anpassen.
Holacracy erlaubt ein experimentelles Vorgehen in der Entwicklung des
Unternehmens: Wenn ein Projekt
oder eine neue Strukturentwicklung
sinnvoll erscheint, kann sie prinzipiell
durchgeführt werden. Wenn sie sich
später als nicht sinnvoll herausstellt,
kann sie wieder rückgängig gemacht
werden. So können reale Daten gewonnen und aus ihnen gelernt werden, statt theoretisch zu planen oder
zu prognostizieren.
Holacracy erlaubt den Mitarbeitenden, sich in ihren Rollen frei zu entfalten und weitgehend hierarchiefrei
zu arbeiten. Spannungen, die mit
anderen Teammitgliedern auftreten,
werden durch die taktischen und die
Governance Meetings aufgefangen
und in klare Rollendefinitionen und
-abgrenzungen umgesetzt. Eine kreative Zusammenarbeit zum Zweck der
Organisation entsteht.
Holacracy in der Praxis
Holacracy wurde von Profit- und
Non-Profit-Organisationen in den
Vereinigten Staaten und Europa implementiert. Neben dem bereits genannten Beispiel von Zappos sind die
bekanntesten: David Allen Company, Medium, Precision Nutrition und
Conscious Capitalism.
Man darf gespannt sein, wie sich
Holacracy weiterentwickeln wird.
Die noch junge Community mit ihren Anhängern wächst stetig, und
Erfolgsgeschichten wie diejenige von
Zappos und Medium tragen dazu bei,
dass ein Umdenken auch für klassisch
geführte Unternehmen interessant
werden könnte. Dabei scheint entscheidend zu sein, inwieweit Geldgeber und Manager bereit sind, neue
Wege zu gehen und Teile ihrer Macht
und ihres Einflusses dieser neuen Organisationsform unterzuordnen.
Christoph Adrian Schneider
Brian J. Robertson: Holacracy,
The New Management System for a
Rapidly Changing World
Verlag Henry Holt (erscheint am
2. Juni 2015), 240 Seiten, Fr. 29.90,
ISBN 978-1-62779-428-2
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Fachwissen
Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung
Zwischen Zentralisierung und Diversifizierung
Seit ihrer Entstehung agiert die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung zwischen dem makroökonomischen Auftrag, der Wirtschaft
genügend und richtig ausgebildete
Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, und dem politisch garantierten
Recht des Individuums auf eine seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Berufswahl und Karriereentwicklung. – Eine Tour d’horizon.
Die Entstehung und Entwicklung der
Berufsberatung in der Schweiz vor
über hundert Jahren ist verbunden
mit dem liberalen Grundsatz der Gewerbe- und Berufswahlfreiheit jedes
Bürgers, wie sie auch in der Menschenrechtsdeklaration festgehalten
ist. Laut Bundesverfassung ist es die
Pflicht der Eltern, ihren Kindern eine
ihren Fähigkeiten und Neigungen
entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu ermöglichen.1
Eine öffentlichrechtliche Organisation
wie die Berufsberatung leitet ihren
Auftrag und ihre Organisationsform
von ihrer gesetzlichen Grundlage ab.
Die Berufsberatung ist im Bundesgesetz für Berufsbildung geregelt.2
Sowohl Jugendliche als auch Erwachsene sollen bei Laufbahnfragen mit
Information und Beratung unterstützt werden. Die Kantone sind für
die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags zuständig und somit frei, wie
sie ihn organisatorisch umsetzen. Die
Schweizerische Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Berufs- und
Studienberatung (KBSB) koordiniert
die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und vertritt sie gegenüber
der Erziehungsdirektorenkonferenz
(EDK).3 Bei der Informationsherstellung haben sich von Anbeginn
gesamtschweizerische Organisationsformen aufgedrängt.4 Aber mit welcher Methode und für wen Beratung
unterstützend angeboten werden
soll, wie lange sie dauern und wie
viel sie kosten darf, das definieren die
1 Siehe Artikel 302 der Bundesverfassung.
2 Siehe §49 des BBG.
3 Siehe www.kbsb.ch.
4 Heute vom Schweizerischen Dienstleistungszentrum Berufsbildung / Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (SDBB) der EDK im Auftrag von
Bund und Kantonen.
kantonalen Beratungsstellen in ihren
eigenen Strategien und Strukturen.
Die heutige Berufs-, Studien- und
Laufbahnberatung mit ihren regionalen BIZ (Berufsinformationszentren)
ist in der Öffentlichkeit gut verankert
und entsprechend nachgefragt. Seit
ihrer Entstehung hat die Berufsberatung auch eine politische Bedeutung
und wird entsprechend den politischen Interessen gesteuert. So soll sie
zum Beispiel moralisch-fürsorgerisch
wirken sowie einen volkswirtschaftlichen Auftrag erfüllen und dafür sorgen, dass die Wirtschaft genügend
und richtig ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung hat. Dementsprechend agiert die Berufsberatung
bis heute zwischen den Ansprüchen
der von wirtschaftlichen Interessen
geleiteten Bildungspolitik und dem
politisch garantierten Recht des einzelnen Individuums auf eine seinen
Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Berufswahl und Laufbahnentwicklung.
Diversifizierung
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass
sich die Berufsberatung in den Kantonen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und den entsprechenden
Bildungsoffensiven in den sechziger
und siebziger Jahren rasant entwickelt hat. Nicht nur das Berufsbildungsgesetz, auch das damalige
Hochschulförderungsgesetz schrieb
Beratung als Förderinstrument vor.
Kindern aus der Arbeiterschicht und
der Landbevölkerung wurde der
Zugang ins Gymnasium und in die
Hochschule ermöglicht, Lehrstellen
gab es in Hülle und Fülle, Bildung
und Berufstätigkeit wurden auch den
Mädchen nicht mehr vorenthalten. Es
entstanden neue berufliche Grundbildungen mit entsprechenden Berufsmöglichkeiten. Die Studienberatung
als eigenständige Organisation half
Jugendlichen aus bildungsfernen
Schichten, sich an der Universität zurechtzufinden.
Professionalisierung
Eine florierende Wirtschaft und
vielfältige Bildungswege ermöglichen erst eine uneingeschränkte Bil-
Beatrice Kunovits-Vogt, Dr. phil.,
ist seit 2001 Leiterin der Berufs-,
Studien- und Laufbahnberatung
im Amt für Berufsbildung und Berufsberatung des Kantons BaselLandschaft. Nach dem Psychologie- und Geschichtsstudium an
der Universität Bern mehrjährige
Forschung in Sri Lanka, Promotion
und Unterrichtstätigkeit in Ethnopsychologie an der Universität Zürich sowie Dozentin an der FHNW
im MAS Berufs-, Studien- und
Laufbahnberatung.
dungs- und Berufswahl. Waren in
den Anfängen noch LehrerInnen im
Nebenamt für die Berufsberatung zuständig, so entwickelte sich im Laufe
der Zeit ein eigener Berufsstand. Die
Beratungsmethoden wurden wissenschaftlich fundierter und entwickelten sich vom pädagogischen zu
einem psychologischen Verständnis.
Testdiagnostische Abklärungen, ressourcen- und lösungsorientierte Beratungsansätze erfüllten die Ansprüche
der Kundschaft an eine professionelle
Beratung. Eine psychologische Bildung auf Tertiärstufe für Berufs-, Studien- und Laufbahnberatende wurde
Voraussetzung.5 In der Studienberatung arbeiteten PsychologInnen mit
Universitätsabschluss. Auch für die
5 U.a. bieten die FHNW und ZHAW einen vom
Bund anerkannten MAS Berufs-, Studien- und
Laufbahnberatung an.
Fachwissen
Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung
Informationsaufbereitung waren wissenschaftliche Mitarbeitende tätig.
Die Berufs- und die Studienberatung
positionierte sich seit den siebziger
und achtziger Jahren mit freiwilliger,
neutraler und kostenloser Beratung.
Diese Grundsätze wurden auch in die
kantonalen Gesetzgebungen aufgenommen. Diese damals entstandene
professionelle Haltung ging einher
mit der organisatorischen Trennung
der Berufsberatung von der Berufsbildungsbehörde zu einem fachlich
unabhängig geführten kantonalen
Amt. 6
Zentralisierung
Die wirtschaftlichen Rezessionen in
den achtziger und neunziger Jahren
führten zu einer Lehrstellenkrise. Der
Bund kurbelte Lehrstellenförderungsprogramme an. Dem Staat fehlten
Einnahmen. Die öffentliche Verwaltung wechselte von einem input- zu
einem outputgesteuerten Aufgabenverständnis. Mangelnde Synergien
wurden auch bei der Berufsberatung
identifiziert. Aus den vielen regionalen Berufs- und Studienberatungsstellen entstand die integrierte Berufs-,
Studien- und Laufbahnberatung mit
den Berufsinformationszentren, die
als Kompetenzzentren alle Zielgruppen ansprechen sollen: Jugendliche
nach der Volksschule vor der ersten
Berufswahl, junge Erwachsene während und nach der Lehre oder einem
Mittelschulabschluss,
Studierende
vor dem Einstieg ins Berufsleben und
alle anderen Erwachsenen, die sich
beruflich weiterentwickeln möchten
oder müssen.
Gleichzeitig mit dem Aufbau der BIZ
und der Zusammenführung der Berufs- und der Studienberatung wurde
die Berufsberatung in den meisten
Kantonen wieder mit der Berufsbildungsbehörde zusammengeführt. Es
galt, den Weg zu gezielter Berufsbildungsförderung zu finden, ohne die
Errungenschaft der Freiwilligkeit und
Neutralität der Beratung in den BIZ in
Frage zu stellen. Neutrale Laufbahn6 In einigen Kantonen war die Berufsberatung jedoch bis Anfang 2000 noch von Gemeinden oder
Zweckverbänden getragen, z.B. SG, AG, Stadt Luzern, Stadt Zürich – Letztgenannte bis heute.
unterstützung bedeutete, Arbeitsmarktwissen, Lohn- und Entwicklungsmöglichkeiten und -risiken für
die Bevölkerung aufzubereiten und in
den BIZ zur Verfügung zu stellen. Die
Unterstützung durch Beratung endete bei der vorausgesetzten Umsetzungsfähigkeit. Erwachsene stellten
inzwischen die Hälfte der Kundschaft.
Das geltende Berufsbildungsgesetz
von 2002 wurde im Nachvollzug der
Lehrstellenkrise reformiert. Die Berufsberatung ist darin zusammen mit
der Studienberatung erwähnt. Die
Zuständigkeit bleibt bei den Kantonen, der Bund verpflichtet sich aber
bei der Ausbildung der Berufs-, Studien- und LaufbahnberaterInnen und
vergibt die Diplome.
Methodische Diversifizierung
Unterstützung bei der Nachbesserung von Leistungs- und Sozialverhalten und Lehrstellenvermittlung für
Jugendliche nach der Volksschule
kam um die Jahrtausendwende wieder auf. Damals mussten sich viele
Jugendliche auf eine verhältnismässig
kleine Zahl offener Lehrstellen bewerben, und die freie Berufswahl war
vor allem bei schulisch schwachen Jugendlichen stark eingeschränkt. In
der Berufsberatung wurden – finanziell unterstützt von Lehrstellenoffensiven des Bundes – wieder vermehrt
Realisierungshilfen für Jugendliche an­
geboten, damit sie mit sozialpädagogischer Unterstützung den Weg in
die berufliche Grundbildung finden
können. Zuletzt wurde das sogenannte «Case Management Berufsbildung» ins Leben gerufen, ein
ebenfalls mit Bundesgeldern angestossenes Programm für Jugendliche
mit mehrfacher Problematik.
Der gesetzliche Auftrag der Berufs-,
Studien- und Laufbahnberatung hat
sich dadurch methodisch weiterentwickelt und diversifiziert. Die neu
entstandenen sozialpädagogischen
Angebote werden als Abteilung bei
den BIZ oder als eigenständige Stellen
bei der Berufsbildung oder in deren
Auftrag geführt. Auch bei der Laufbahnberatung von Erwachsenen kam
es zur Neupositionierung von Angeboten, für welche die Kostenlosigkeit
aufgehoben wurde, und zu entsprechenden Organisationsanpassungen
in den Berufsberatungsstellen.
Trotz der methodischen Vielfalt bei
der Laufbahnunterstützung wurde
die Idee des BIZ als Eingangstor für
alle Laufbahnfragen für Jung und Alt
in den Kantonen beibehalten. Dank
der Förderung der Berufsbildung,
der Berufsmaturität und der Höheren
Berufsbildung, verbunden mit einer
erhöhten Durchlässigkeit des schweizerischen Bildungssystems, kann der
Grundsatz der freien Berufs- und
Bildungswahl auch in wirtschaftlich
angespannten Zeiten in den BIZ aufrechterhalten werden: Eine einmal
getroffene Wahl, eine Entscheidung
unter eingeschränkten Möglichkeiten
– seien es eigene oder äussere – kann
wieder revidiert und weiterentwickelt
werden.
Europäische Strategien
Das Prinzip einer Berufsberatungsorganisation für alle Zielgruppen mit
Fragestellungen zu Laufbahnpassungen und -perspektiven wird auch von
der EU-Kommission unterstützt. Sie
liess im Rahmen ihrer Strategie des
Lifelong Learnings Länderdelegierte
aus Bildung, Beratung und Beschäftigung eine Politik der lebensbegleitenden Beratung (Lifelong Guidance)
entwickeln. Nebst gutem Zugang zu
Beratung, einem wirksamen, qualitativ guten und koordinierten Laufbahnberatungsangebot gehört auch
die Förderung der «Career Management Skills», der Laufbahngestaltungskompetenzen, zu den Schwerpunkten, welche das europäische
Netzwerk für eine Politik lebensbegleitender Beratung (ELGPN) den
Ländern in Europa empfiehlt.7 Die
vier Strategien des ELGPN umfassen
alle Bildungsbereiche und Anspruchsgruppen, umspannen somit das gesamte Aufgaben- und Methodenspektrum der Berufs-, Studien- und
Laufbahnberatung und implizieren
für die Zukunft eine starke organisatorische Positionierung von lebensbegleitender Laufbahnberatung.
Berufs-, Studien- und Laufbahnbe- 
7 Siehe www.elgpn.eu.
9
10
Fachwissen
Messie-Syndrom
Dem Chaos ausgeliefert
Das Desorganisationssyndrom, besser bekannt unter der Bezeichnung
Messie-Syndrom, rückt zunehmend
ins öffentliche Interesse, nicht zuletzt
durch reisserisch aufgemachte Medienberichte, die jedoch hauptsächlich
Vermüllungsszenarien und Verwahrlosung in den Vordergrund stellen.
Dass diese Sicht dem Phänomen des
Messie-Syndroms nicht gerecht wird,
zeigt die tägliche Arbeit mit Betroffenen in der psychotherapeutischen
Praxis.
Menschen, die am Messie-Syndrom1
leiden, sind nicht in der Lage, zwischen gestalteter Ordnung und «gesunder» Unordnung zu wählen. Sie
leben in chaotischen Strukturen und
sind diesen hilflos ausgeliefert. Gegenstände werden zwanghaft gesammelt und an allen erdenklichen
Orten in der Wohnung aufbewahrt.
In ausgeprägten Fällen gibt es in den
einzelnen Räumen keinerlei Ordnungsstruktur mehr, auch die eigentliche Funktion der Räume ist nicht
mehr erkennbar. Geschlafen und gegessen wird da, wo noch eine Restfläche übrig geblieben ist. Von Wohnen im eigentlichen Sinne kann keine
Rede mehr sein. Die Haushaltsführung stellt eine permanente Überforderung dar, was in extremen Fällen
bis zur vollständigen Vermüllung der
Wohnung führen kann. In der gesell-
schaftlichen Wahrnehmung wird das
Messie-Syndrom daher bislang fast
ausschliesslich mit den Teilaspekten
Vermüllung und Verwahrlosung verbunden.
Abgrenzung
zum Vermüllungssyndrom
Beim Vermüllungssyndrom wird vom
Betroffenen kontinuierlich Müll in den
Wohnräumen angehäuft. Verwahrlosung bezeichnet darüber hinaus einen Zustand extremer Wohnverhältnisse mit massiver Selbstvernachlässigung des Betroffenen, die sich auch
im äusseren Erscheinungsbild zeigt.
Mögliche Folgeerscheinungen sind
hygienisch nicht mehr tolerierbare
Lebensverhältnisse, Fehlernährung,
Flüssigkeitsmangel und Verschlimmerung von Krankheiten. Die Phänomene Verwahrlosung und Vermüllung
können nicht scharf voneinander unterschieden werden, die Übergänge
sind hier fliessend.
1 Im Hinblick auf den allgemeinen Sprachgebrauch
verwende ich im hier wie auch in meinen Vorträgen
und Fortbildungen die Begriffe «Messie-Syndrom»
bzw. «Messie-Phänomen» sowie für die Betroffenen
die Bezeichnung «Messies», wenngleich die
Bezeichnung «Desorganisationssyndrom» dem
Krankheitsbild und seiner spezifischen Symptomatik
besser gerecht wird.
Forschungsstand zur Komorbidität
Das Messie-Syndrom rückte erst in
den letzten zwei Jahrzehnten in den
Fokus der Psychotherapie, bisher ist
es jedoch nicht als eigenständige Erkrankung im internationalen Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 aufgenommen. Eine wissenschaftliche
Studie der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg, die 2009–2012 zur Desorganisationsproblematik durchgeführt
wurde, konnte allerdings zeigen, dass
das Messie-Syndrom in Komorbidität
mit anderen psychischen Erkrankungen, besonders mit einer Major Depression, aber auch mit Zwangs- und
Angsterkrankungen, auftreten kann,
 ratung ist im heutigen Bildungs- und
Wirtschaftsumfeld in der Schweiz
und in Europa ein wichtiger Schlüsselfaktor für die Laufbahngestaltung
der Einzelnen und wegen ihres hohen
Nutzens ein volkswirtschaftlicher Erfolgsfaktor.
Beatrice Kunovits-Vogt
Literatur
Bildungsdirektion des Kantons Zürich, Amt für Jugend und Berufsberatung (Hrsg.) (2008): Berufsberatung;
in Jugendhilfe Kanton Zürich 1918–
2008. Zwischen Professionalität und
politischem Kräftemessen. Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, S. 14–19.
Veronika Schröter ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Gestalttherapeutin, Jugend- und Heimpädagogin, Altenpflegerin und arbeitet seit 2001 als Messie-Expertin
in eigener sozialpsychologischer
Praxis in Freiburg. In therapeutischen Seminaren, Gruppen- und
Einzelgesprächen arbeitet sie mit
Betroffenen und Familienangehörigen. Deutschlandweit bietet sie
Schulungen, Fortbildungen und
Teamcoaching für Mitarbeiter in
psychosozialen, pflegerischen und
therapeutischen Einrichtungen sowie Behörden an.
Für mehr Infos:
www.veronika-schroeter.de
Heiniger, Fritz (2003): Vom Lehrlingspatronat zum Kompetenzzentrum für Berufsberatung. 100 Jahre
SVB. Dübendorf: SVB.
Kunovits-Vogt, Beatrice (2011): Berufsberatung im Spiegel der Zeit, In:
Mir wei hirne. Bildung und Wissen
im Baselbiet. Baselbieter Heimatbuch
28/2011 (Separatdruck). Liestal: Verlag des Kantons Basel-Landschaft.
Fachwissen
Messie-Syndrom
aber nicht muss. 24 Prozent der Teilnehmer an der Studie wiesen keinerlei
weitere psychische Erkrankungen auf.
Allerdings werden weitere Untersuchungen notwendig sein, um das
Messie-Syndrom in seiner Komplexität zu beschreiben und in seiner psychotherapeutischen Bedeutung einordnen zu können.
Aufgrund von unzähligen Fallgeschichten aus der psychotherapeutischen Praxis konnten jedoch bereits
– vor allem aus tiefenpsychologischer
bzw. psychoanalytischer Sicht – zahlreiche Ursachen für das Auftreten der
Störung, besonders in der psychosozialen Entwicklung der Betroffenen,
beschrieben werden.
Ursachen und Symptomatik
Ursache des Messie-Syndroms ist in
der Regel eine Wertbeimessungsstörung, das heisst, den Betroffenen fehlen wichtige Entscheidungskriterien,
um ihre private Umwelt zu strukturieren. Es ist ihnen schlichtweg unmöglich zu entscheiden, ob etwas für sie
wichtig oder unwichtig, nützlich oder
unnütz, schön oder nicht schön ist. So
bleibt ihnen aus ihrer Sicht nichts anderes übrig, als alles aufzubewahren,
zu sammeln, zu stapeln, zu horten.
Das Unvermögen, die eigene Umgebung selbstbestimmt zu gestalten, ist
also ein grundlegendes Merkmal des
Messie-Syndroms, was in der Regel
in der frühen Biografie begründet
liegt. Sehr häufig wurde die Persönlichkeit des Kindes von seiner Umwelt und besonders von seinen Bezugspersonen nicht wahrgenommen
oder bewusst übergangen. Es finden
sich frühkindliche Entwicklungsstörungen, Zwangserfahrungen in der
Sauberkeitserziehung,
autoritäre
Erziehungsmuster und unterdrückte kindliche Entwicklungsimpulse.
Ebenso können Loyalitätskonflikte zu
Bezugspersonen und fehlende verlässliche Beziehungen in der Kindheit
Ursachen sein.
Das Messie-Syndrom kann des Weiteren durch belastende Lebensereignisse als psychosoziale Auslöser
wie Krankheit, Todesfall, Trennung,
Scheidung, Berentung oder Arbeitslosigkeit hervorgerufen werden.
Diese Erfahrungen – frühe wie auch
aktuelle – führen langfristig zu mangelndem Selbstvertrauen, innerer
Leere und Strukturlosigkeit, zu reduziertem Körpergefühl bis hin zur
Selbstvernachlässigung. Es folgt ein
zunehmender Verlust der Selbstachtung und der eigenen Würde.
Die Messie-Symptomatik wird begleitet von einer Vielzahl psycho-emotionaler Befindlichkeitsstörungen. So
leiden Messies häufig unter Entscheidungsschwierigkeiten, verspüren undefinierbare, lähmende Ängste, empfinden grosse Anspannung mit hohem Stresspegel, wenn vertraute Situationen sich um sie herum verändern, können kaum Prioritäten setzen, verlieren sich in Details und fühlen sich ambivalent und zerrissen. Ein
Leben in permanentem Chaos macht
Angst, erzeugt Stress und das Gefühl
von Inkompetenz. In vielen Fällen
führt es darüber hinaus zu psychosomatischen Reaktionen, die auf medizinischem Wege nur unzulänglich
behandelt werden können.
Auch in ihren sozialen Beziehungen
werden Messies immer wieder mit
ihrer Lebenssituation konfrontiert.
Einladungen werden vermieden,
Kontakte abgebrochen, Kinder dürfen keine Spielkameraden mit nach
Hause bringen. Die Folge für die
Betroffenen ist ein sozial isoliertes,
schambesetztes Dasein.
Betroffene und ihr soziales Umfeld
Messies finden sich in allen Altersgruppen, Berufen und sozialen
Schichten – die psychisch bedingte Störung ist weiter verbreitet, als
noch vor wenigen Jahren angenommen wurde, und die Dunkelziffer
dürfte sehr gross sein. Man geht in
Deutschland von bis zu 2,5 Millionen
Betroffenen aus. Messies sind häufig
beruflich sehr erfolgreich, werden im
geschäftlichen Umfeld geschätzt und
gemocht – doch sobald sie in ihre
eigenen vier Wände zurückkehren,
regiert das Chaos. Auch alte Menschen, die nicht mehr im Berufsleben
stehen, sind häufig betroffen. Die
zunehmende Vereinsamung im Alter
trägt das Ihre dazu bei, und oft tritt
erst bei einem anstehenden Umzug
ins Alters- oder Pflegeheim die Messie-Problematik zutage.
Ein Messie, der in extrem chaotischen Verhältnissen lebt, stellt für
die Menschen in seiner Umgebung
eine ungeheure Provokation dar. Es
ist für Nichtbetroffene schlichtweg
nicht vorstellbar, wie jemand in einen
solchen Zustand geraten kann und
warum er absolut nicht in der Lage
ist, augenscheinlich einfache Strukturierungshilfen und Unterstützungen
anzunehmen. Die Reaktionen reichen
von Ekel, Abwehr, Bevormundung bis
hin zu rechtlich bedenklichen Übergriffen: Da wird aufgeräumt, geputzt,
entsorgt, Ordnung gemacht, es werden Entrümpelungsdienste angeheuert, Container vorgefahren – und das
alles in der Regel gegen den erklärten
Willen der Eigentümer oder im besten
Falle mit der erzwungenen, aus der
Resignation erwachsenen Zustimmung.
Folgen externer Intervention
Entscheiden sich Angehörige oder
externe Hilfskräfte dafür, aktiv einzugreifen und selbst aufzuräumen und
zu entrümpeln, wird den Betroffenen
die Verantwortung allerdings völlig
abgenommen. Deren Gefühl der Inkompetenz verstärkt sich, die bereits
erlebte Unfähigkeit verfestigt sich
– die Folgen sind zunehmende Resi-
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11
12
Fachwissen
Messie-Syndrom
gnation und Selbstaufgabe, und es
dauert meist nicht lange, bis der alte
Zustand wieder erreicht ist.
Doch nicht nur für die Betroffenen
selbst, sondern auch für die Beziehung zu ihnen haben solche Aktionen schwerwiegende Folgen. Die
Beziehung gerät durch den nicht erwiesenen Respekt in eine Schieflage,
Vertrauen wird zerstört. Letztlich lässt
sich im persönlichen Kontakt mit einem Messie dessen Störung langfristig auch nicht ausklammern, sodass
eine konsequente Distanzierung von
der Problematik früher oder später
zu einem völligen Abbruch der Beziehung führen muss.
Hinwirken
auf freiwillige Veränderung
Wie kann nun der Umgang mit einem
Messie gestaltet werden, ohne dass
ständig neue Widerstände entstehen,
und wie kann idealerweise sogar eine
echte Verbesserung der Situation erreicht werden? Der Königsweg liegt
wie so oft zwischen den beiden Polen
Passivität und Intervention: im Hin-
wirken auf die freiwillige Entscheidung zur Veränderung. Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist die Anerkennung der Messie-Symptomatik
als tief greifende psychische Störung,
die eine empathische und verständnisvolle Betrachtung verdient. Um
Missverständnisse zu vermeiden: Dies
ist nicht gleichbedeutend mit der Akzeptanz der Verhältnisse! Vielmehr
geht es darum, diesem Menschen,
der seine Selbstachtung vor langer
Zeit aufgegeben hat, mit Respekt zu
begegnen. Die ganze Lebensenergie,
die in das Sammeln und Anhäufen
von Chaos investiert wurde, hat immer einen verborgenen Zweck und
ein Ziel. Dieses sollte, auch wenn es
noch im Verborgenen liegt, anerkannt und gewürdigt werden.
Echte Hilfe ist möglich
Wenn ein Messie erfährt, dass er in
seinem Leid und Unvermögen ernst
genommen wird, öffnet dies die Tür
zu einer neuen Deutung seiner Störung. Er muss sich nicht mehr gegen
Angriffe und Bevormundung aufleh-
Bücher
nen, sondern kann beginnen, sich
selbst mit seiner Problematik anzunehmen und auseinanderzusetzen.
Die Messie-Störung braucht unbedingt eine adäquate therapeutische
Behandlung, die nach den zugrunde
liegenden Ursachen fragt. Darauf
können Angehörige und Betreuer auf
der Grundlage des Respekts und der
Anerkennung der Störung hinwirken.
In der Hinwendung zur eigenen Lebensgeschichte kommen Menschen
mit Messie-Syndrom den persönlichen Ursachen ihrer Problematik auf
die Spur und lernen, sich selbst mit ihrer Geschichte liebevoll anzunehmen.
Wichtigste Voraussetzung für eine
dauerhafte Verbesserung der Symptomatik und damit der Lebensqualität
ist, dass Menschen mit Messie-Syndrom zurückfinden zur eigenen Würde und Wertschätzung und dass sie
beginnen, Schritt für Schritt selbstbestimmt das Chaos zu bewältigen.
Dieser Prozess kann im Rahmen einer
Therapie, die das Messie-Phänomen
als psychische Störung ernst nimmt,
gelingen: Am Ende steht als Ziel die
Freiheit der Wahl zwischen «gesunder» Unordnung und selbstbestimmter Ordnung.
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Therapeutische Begleitung
bei Zwangsmassnahmen
In extremen Fällen können Zwangsmassnahmen allerdings auch unvermeidbar sein: Sind Betroffene selbst
oder andere Menschen gefährdet
oder sind die Eigentumsrechte Dritter
betroffen, so können und müssen oft
auch gegen den erklärten Willen des
Betroffenen Massnahmen ergriffen
werden, um Schaden abzuwenden.
Aber auch in Fällen, in denen Zwangsmassnahmen erforderlich sind, ist eine
therapeutische Begleitung unabdingbar. Werden die Auswirkungen für
den Betroffenen nicht in dieser Form
aufgefangen, muss mit massiver Abwehr und Verweigerung gerechnet
werden. Dies zu vermitteln, ist eines
meiner Hauptanliegen, sowohl in
Vorträgen für Betroffene und deren
Angehörige als auch in Fortbildungen für Fachkräfte in sozialen Diensten und öffentlichen Institutionen.
Veronika Schröter
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14
Sujet
Criminalité organisée d’Europe de l’Est
Mythe ou réalité?
Dans quelle mesure la Suisse est-elle
effectivement la cible de criminels
en provenance des pays d’Europe de
l’Est? Quel est le niveau d’organisation de ces malfrats? – Une prise
de position de l’office féderal de la
justice.
Touristes criminels, gangs est-européens ou encore mafias de l’Est: la
presse ne manque pas de qualificatifs
lorsqu’il s’agit de thématiser les infractions commises par des ressortissants
des pays de l’ancien bloc de l’Est. Un
article de l’hebdomadaire suisse alémanique Weltwoche, qui traitait de
la criminalité «d’origine rom», avait
même défrayé la chronique en 2012.
La page de titre montrait un enfant
rom braquant un pistolet en direction
du lecteur.
Au-delà de ces aspects médiatiques,
deux questions se posent d’un point
de vue policier:
a) Dans quelle mesure la Suisse estelle effectivement la cible de criminels en provenance des pays
d’Europe de l’Est?
b) Quel est le niveau d’organisation
de ces malfrats?
Parler de criminels est-européens
implique que l’on thématise l’appartenance nationale. Crime et nationalité sont des sujets délicats. Si le fait
de connaître le pays d’origine des
auteurs d’infractions pénales aide
les enquêteurs et analystes à comprendre certains phénomènes, il faut,
en revanche, veiller à ne pas attribuer
à la nationalité ce qu’elle ne dit pas.
Ni l’appartenance ethnique, ni la nationalité ne sont des variables criminogènes. Les statistiques montrent,
certes, des disparités au niveau de la
représentation de certaines nationalités, mais ces différences sont dues
à d’autres facteurs, notamment sociaux-économiques et historiques.
Aborder la criminalité est-européenne
nécessite également une délimitation
de la notion d’Europe de l’Est. Le présent article comprend sous ce terme
les pays de l’ancien bloc de l’Est qui
ont adhéré à l’Union européenne: la
Bulgarie, la Roumanie, la Hongrie, la
Slovaquie, la République Tchèque, la
Pologne, la Lituanie, l’Estonie et la
3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 2011 2012 2013 2014 Figure 1: Nombre de prévenus par année pour infractions au code pénal en provenance des
pays de l’Est. Source: Office fédéral de la statistique
Lettonie. Contrairement à certaines
idées reçues, ces pays sont loin d’être
homogènes. Tant la culture que la
langue, le système politique ou encore le nombre d’habitants varient
fortement d’un état à l’autre.
Ce que disent les statistiques
La statistique policière de la crimiPrévenus
Part (%)
Suisse
37487
47.41%
Italie
3697
4.68%
Portugal
3551
4.49%
Roumanie
2939
3.72%
Allemagne
2910
3.68%
Kosovo
2338
2.96%
Serbie/Monténégro
2298
2.91%
France
2281
2.88%
Turquie
1809
2.29%
Macédoine
1122
1.42%
Algérie
1095
1.38%
Hongrie
408
0.52%
Pologne
406
0.51%
Bulgarie
368
0.47%
Slovaquie
196
0.25%
Lituanie
160
0.20%
République
Tchèque
139
0.18%
79069
100.00%
Total
Tableau 1: Prévenus pour infractions au
code pénal en 2014.
Source: Office fédéral de la statistique
nalité (SPC) offre le meilleur moyen
d’obtenir une vue d’ensemble de la
situation. La SPC est publiée annuellement par l’Office fédéral de la statistique. Elle comprend, entre autres,
le nombre d’infractions au code pénal
et à la loi sur les stupéfiants enregistré durant l’année en question. On y
trouve aussi des informations en lien
avec les auteurs présumés (prévenus).
En 2014, les ressortissants est-européens représentaient moins de dix
pour cent du total des prévenus pour
infractions au code pénal (cf. tableau
1 et figure 1). La plus grande part
d’entre eux provenait de Roumanie,
ainsi que, dans des proportions plus
restreintes, de Hongrie, de Pologne
et de Bulgarie. La Lettonie et l’Estonie
ne sont pas listées dans la SPC car ces
deux pays comptent chacun moins
de cent prévenus. Quant aux infractions à la loi sur les stupéfiants, elles
ne sont que très rarement commises
par des personnes en provenance
d’Europe de l’Est.
Si, en comparaison avec l’ensemble
des auteurs présumés, les prévenus
est-européens restent relativement
peu nombreux, la tendance générale est à la hausse depuis 2009, bien
qu’une légère baisse ait eu lieu en
2014. Une évolution qui est principalement due aux auteurs présumés
d’origine roumaine, dont le nombre a
plus que triplé en l’espace de six ans
(+222% entre 2009 et 2014). Les
autres nations se maintiennent ces
Sujet
Criminalité organisée d’Europe de l’Est
Suisses
Pop. rés.
étrangère
Asile
Sans domicile fixe
en Suisse
Sans
indications
Voies de fait
5023
4124
331
554
27
Lésions corporelles
simples
3121
2654
295
628
14
Lésions corporelles
graves
268
187
31
49
0
Meurtres (incl.
tentatives)
85
66
13
36
1
Vols par effraction
1150
660
313
2172
53
Vols à la tire
68
74
152
657
4
Vols de véhicule
(incl. vélos)
657
368
67
377
20
Brigandages
506
368
83
280
5
Tableau 2: Prévenus par infraction du code pénal (sélection) en fonction du statut de séjour
(2014). Source: Office fédéral de la statistique
trois dernières années à un niveau à
peu près stable (Hongrie, Pologne,
Slovaquie,
Lituanie,
République
Tchèque). Seule la Bulgarie connaît
une diminution notoire entre 2012 et
2014, dont la cause reste pour l’heure
inconnue. Etant donné que la SPC ne
prend en compte la nationalité des
prévenus que depuis 2009, une comparaison avec la période précédant
la suppression des contrôles systématiques aux frontières avec la mise
en place de Schengen, en décembre
2008, n’est pas possible.
En revanche, la SPC livre d’autres indications intéressantes. On découvre,
par exemple, que la majorité des
prévenus est-européens n’a pas de
domicile fixe en Suisse (c’est-à-dire,
pas de permis B ou C). Ainsi, 87%
des Bulgares, 75% des Hongrois,
69% des Polonais et même 95% des
Roumains, accusés en 2014 d’avoir
enfreint le code pénal, résidaient à
l’étranger En d’autres termes, ce ne
sont pas les Bulgares ou les Roumains
qui vivent et travaillent en Suisse qui
commettent des cambriolages – l’exception confirme bien sûr la règle –
mais ceux venus directement depuis
l’étranger.
Les données publiées de la SPC ne
permettent pas de faire un lien direct
entre le détail de chaque infraction
et la nationalité des prévenus. En
revanche, une comparaison en fonction du statut de séjour est possible
(cf. tableau 2). On constate alors
de grandes disparités selon le type
d’infraction. Ainsi, les crimes et délits
contre l’intégrité corporelle (lésions
corporelles, etc.) sont avant tout le
fait de la population résidante suisse
et étrangère. A l’inverse, les infractions contre le patrimoine sont souvent commises par des prévenus
non domiciliés en Suisse, une catégorie à laquelle appartient la majorité des malfrats est-européens. De
nombreuses informations policières
confirment que les criminels en provenance d’Europe de l’Est sont souvent impliqués dans des vols de tout
genre, des brigandages et des escroqueries.
De façon générale, la SPC montre
que les prévenus est-européens ne
constituent qu’une petite partie de
l’ensemble des prévenus pour infractions contre le code pénal. Leur
nombre varie toutefois en fonction
des infractions. La grande majorité de
ces malfrats n’est, en outre, pas domiciliée en Suisse. Enfin, bien que la
SPC constitue un précieux outil, elle
ne montre que la partie visible de la
criminalité, c’est-à-dire celle dont la
police a connaissance. Bon nombre
d’infractions et de coupables n’apparaissent pas dans les statistiques officielles.
Niveau d’organisation
D’un point de vue général, il n’existe
pas, en Suisse, de définition de la
criminalité organisée. Le code pénal
(CP) parle uniquement d’organisations criminelles (art. 260ter CP).
Ces dernières sont, selon le CP, des
organisations dont la structure et les
effectifs sont tenus secrets et dont le
but et de commettre des actes de violence criminels ou de se procurer des
revenus par des moyens criminels. En
dépit d’une formulation plutôt ouverte, les exigences sont, en principe,
élevées pour aboutir à une condamnation. Le droit pénal connaît, par
ailleurs, la notion de bande (cf. art.
139 et 140 CP), dont les structures et
le niveau d’organisation sont moins
élaborés et plus dépendants des relations individuelles.
Plusieurs informations policières
laissent cependant à penser qu’une
bonne partie des criminels est-européens agissent dans le cadre de
structures se trouvant à mi-chemin
entre la notion juridique de bande et
l’interprétation actuelle par les tribunaux de l’organisation criminelle. La
taille de certains groupes, l’existence
de structures durables et un niveau
d’organisation élaboré, observés chez
certains auteurs est-européens, vont
au-delà de la simple bande, mais ne
devraient pas suffire à aboutir à une
condamnation pour appartenance à
une organisation criminelle. De plus,
les malfrats est-européens agissent
au travers de diverses structures organisationnelles.
Dina Siegel, professeur de criminologie aux Pays-Bas, s’est penchée sur
les structures de ces organisations1.
Tout d’abord, Siegel fait une distinction entre les criminels professionnels
et ceux commettant un délit pour assurer leur survie. En ce qui concerne
les criminels professionnels, Siegel
les classe en trois sous-catégories.
La première comprend les criminels
itinérants rattachés à une organisation dans leur pays d’origine et qui
sont envoyés à l’étranger pour y
commettre des actes délictueux. La
seconde sous-catégorie comprend les
criminels itinérants qui se sont organisés en bande que lorsqu’ils se sont
(suite à la page 18)
1 Siegel, Dina (2014): Mobile Banditry. East and
Central European Itinerant Criminal Groups in the
Netherlands, p. 51–79 ainsi que 130s.
15
16
Fachwissen
Peter Curdin Ragaz, Jurist
«Jugendanwälte müssen bereit und fähig sein, in einer Hierarchie zu arbeiten»
Der Jurist Peter Ragaz ist sofort bereit, über die Organisation in einer
hierarchisch geführten staatlichen
Institution zu sprechen. An anderen Stellen indes wurde das Unterfangen weniger entgegenkommend
unterstützt: Einen Gesprächspartner
zu finden, stellte sich als schwieriger heraus als erwartet. Der jugendlich gebliebene, vor gut zwei Jahren
pensionierte Jugendanwalt ist überzeugt, dass eine gute Organisation
die Voraussetzung ist, um erfolgreich
zu arbeiten.
punktum.: Herr Ragaz, man sagt, Organisation sei das halbe Leben. Ist
Organisation bei Unternehmen und
für Staatsorgane noch wichtiger?
Peter Curdin Ragaz: Das Sprichwort
erscheint mir treffend. Organisation
ist das halbe Leben und in der ganzen
Berufswelt von grosser Bedeutung.
Auch im Justizbereich ist sie meines
Erachtens sehr wichtig.
Wie ist die Justiz in der Schweiz organisiert?
Um von der Strafverfolgung zu sprechen: Es herrscht hier eine hierarchische Organisation. Nehmen wir die
Staats- beziehungsweise Jugendanwaltschaften, die sich im Kanton Zürich in der Direktion der Justiz und
des Innern befinden. Zuoberst in der
Hierarchie steht der Justizdirektor,
die Justizdirektorin. Dann kommen
die Oberstaatsanwaltschaft und die
Oberjugendanwaltschaft, bei denen
es sich um zwei Ämter handelt. Diesen je unterstellt sind die einzelnen
Staatsanwaltschaften und die Jugendanwaltschaften. In den Jugendanwaltschaften wird im Team gearbeitet,
wobei dem Jugendanwalt, der Jugendanwältin jeweils die Verantwortung für die Fallführung zukommt.
Neben einem Chef und einem ChefStellvertreter, die auch Fälle führen,
gibt es jeweils mehrere JugendanwältInnen, mehrere SozialarbeiterInnen
sowie die Kanzlei. Ich selbst war bis
zu meinem vorzeitigen Altersrücktritt
per Ende 2011 während 17 Jahren als
Jugendanwalt für den Kanton Zürich
tätig, davon sechs Jahre als Stellvertretender Leitender Jugendanwalt.
Wie viele Jugendanwaltschaften gibt
es im Kanton Zürich, und wie gross
sind sie?
Seit der letzten Neuorganisation sind
es noch fünf. Die grössten Betriebe
sind die Jugendanwaltschaft ZürichStadt mit 18 Personen und See/
Oberland mit 15 Personen. In Letzterer betreute ich während meiner letzten zehn Jahre als Jugendanwalt vor
allem Straffälle aus dem Bezirk Meilen. Gesamthaft umfassen die fünf
Jugendanwaltschaften im Kanton Zürich etwa 85 Mitarbeitende. Davon
sind rund 25 JugendanwältInnen.
Unterscheidet sich die Schweiz im
Jugendstrafrecht vom Ausland?
Ja, gerade in der Jugendstrafrechtspflege gibt es grosse Unterschiede.
Bei uns steht im Jugendstrafrecht,
neben der Strafe, ganz klar der erzieherische Gedanke im Vordergrund.
Der Jugendliche soll auf diese Weise
dazu geführt werden, nicht mehr zu
delinquieren. In Deutschland beispielsweise zählt hingegen der strafrechtliche Aspekt weit mehr. Auch
in der Schweiz werden aber Strafen
ausgesprochen, vom Verweis bis zur
Arbeitsleistung und zur Einschlies­
sung, die bei schwersten Delikten bis
maximal vier Jahre beträgt. Generell
sind die Strafen aber milder, und die
Jugendanwälte ordnen auch oder zusätzlich erzieherische Massnahmen
an, die aus längeren Heimaufenthalten bestehen können. Wobei für den
betroffenen Jugendlichen dann die
Möglichkeit besteht, im Erziehungsheim zum Beispiel eine Berufslehre zu
absolvieren. Ein besonderes Jugendstrafrecht mit in der Regel milderen
Strafen als für erwachsene Straftäter
gibt es aber in zahlreichen Staaten.
Bis wann wird ein Jugendlicher in
der Schweiz gesondert beurteilt?
Das Jugendstrafrecht gilt in der
Schweiz für Straftaten, die im Alter
von 10 bis 18 Jahren verübt werden.
Bei stationären Massnahmen kann
die Betreuung bis 22 erfolgen. Sehr
oft zur Anwendung gelangen bei den
Jugendlichen die Bestimmungen des
Strafgesetzbuches, des Betäubungsmittelgesetzes und des Strassenver-
Peter Curdin Ragaz ist Jurist aus
Überzeugung. Der heute 67-jährige, in Andeer und Tamins aufgewachsene Bündner studierte
Jurisprudenz an der Uni Zürich.
Nach zwei Jahren Tätigkeit am
Bezirksgericht Meilen und nach
seiner Dissertation zur Meinungsäusserungsfreiheit in der europäischen Menschenrechtskonvention war er als Dr. iur. während 17
Jahren Stellvertretender Chef beim
Jugendamt des Kantons Zürich.
Von 1995 bis 2012 arbeitete er als
Jugendanwalt mit Amtsbefugnis
für den Kanton Zürich. Die letzten
zehn Jahre war er für die strafrechtlichen Fälle im Bezirk Meilen
zuständig. Er ist Vater einer Tochter und mittlerweile auch Grossvater. Obwohl er noch immer in
Zürich wohnt, kehrt er oft zurück
in seine Bündner Heimat, in seine
Alphütte ob Andeer.
kehrsgesetzes, die aber auch für die
Erwachsenen gelten.
Hat die justiziale Organisation auf
gesellschaftliche Veränderungen der
letzten Jahrzehnte reagiert?
Die äussere Organisation hat sich
verändert. Intern sind im Kanton
Zürich aus früher elf Jugendanwalt-
Fachwissen
Peter Curdin Ragaz, Jurist
schaften durch Zusammenlegungen
hauptsächlich aus Effizienzgründen
fünf Einheiten entstanden. Bezirksgerichte gibt es jedoch immer noch
in jedem Bezirk eines. Durch das vor
einigen Jahren in Kraft gesetzte neue
Jugendstrafgesetz wurde auch materiell auf Veränderungen reagiert.
Angepasst wurden unter anderem
die ausgesprochenen Strafen und die
angeordneten Massnahmen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Früher ahndeten Jugendanwälte
Straftaten von 7- bis 18-Jährigen. Ein
kleiner Bub, der zeuselte und dabei
einen grossen Schaden verursachte,
musste danach bei uns vortraben.
Heute wird erst eine Strafuntersuchung eröffnet und er sodann vorgeladen, wenn er bei Ausübung der Tat
mindestens zehn Jahre alt war. Unterhalb dieser Schwelle kümmert sich
die Kinderschutzbehörde KESB um
einen solchen Fall.
Setzt die Organisation bei der Justiz oder der Polizei dem Wirken und
Arbeiten eines Jugendanwalts Grenzen?
Eigentlich nicht. Nur wenn der oder
die Jugendliche in einem anderen
Kanton wohnhaft ist, wird der Fall
dorthin abgegeben. Da wird dann
eine Grenze gesetzt, weil man nicht
mehr zuständig ist.
Gab es Begebenheiten, wo Sie es
bedauerten, dass Sie nicht so frei
agieren konnten wie beispielsweise
Strafverteidiger?
Im Gegenteil! Der Jugendanwalt
ist für einen von ihm geführten Fall
vollumfänglich verantwortlich und
erlässt die notwendigen Anordnungen. Er ist beispielsweise gegenüber
der Polizei weisungsberechtigt. Seine Fälle schliesst er mit Entscheiden
ab, die rechtskräftig die Wirkung von
Urteilen entfalten. Der Jugendanwalt hat demnach auch richterliche
Befugnisse. Fast alle seine Entscheidungen werden übrigens akzeptiert
und werden somit rechtskräftig. Ich
habe mich bewusst für diese Stellung
in der Mitte entschieden. Ein Strafverteidiger hat eine andere Rolle – er
arbeitet für beziehungsweise im Interesse seines Klienten. Dies natürlich
auch bei den Jugendlichen, die er
vertritt.
Sie schätzten das besonders?
Ja, sehr. Als Jugendanwalt muss man
allerdings bereit und fähig sein, in
einer Hierarchie zu arbeiten. Natürlich hat man als Verteidiger mit einer
eigenen Praxis noch mehr Freiheit.
Aber die Rolle eines Strafverteidigers
ist auch einseitiger und hätte mir
nicht gefallen. Jugendanwälte stehen
in der Mitte, können abwägen und
Urteile fällen. Wobei Jugendanwalt
eigentlich ein falscher Begriff ist. Er
verteidigt ja nicht die Jugendlichen
in Bezug auf die begangenen Straftaten, sondern trifft richterliche Entscheidungen mit Strafen und Massnahmen. Bei sehr schweren Delikten
oder für definitive Heimunterbringungen wird er allerdings auch zum
Ankläger und reicht seine Anklage
beim Jugendgericht ein.
Wie ist das Verhältnis der Jugendanwaltschaft zu den Polizeibehörden?
Es ist sehr eng. Die Polizei liefert zumeist die Grundlage für die Arbeit
eines Jugendanwalts, indem sie der
Jugendanwaltschaft einen Polizeirapport zustellt. Auf der Basis dieses
Rapports entscheidet der Jugendanwalt, die Jugendanwältin, ob ein
Strafverfahren eröffnet wird. Sodann
werden der Jugendliche und oft auch
seine Eltern für Gespräche und Einvernahmen auf die Jugendanwaltschaft vorgeladen. Jedes eröffnete
Jugendstrafverfahren findet durch
Entscheid des Jugendanwaltes wieder
seinen Abschluss.
Ist die Organisation in den beiden
Bereichen ähnlich?
Ja, wobei die Polizei im Kanton Zürich
aber einer anderen Direktion untersteht und sicher noch strenger hierarchisch organisiert ist – fast wie das
Militär. Polizeibeamte werden übrigens auch strafrechtlich geschult. Die
polizeilichen Einvernahmen und weiteren Ermittlungen führen, wie bereits ausgeführt, zum Polizeirapport.
Daraufhin entscheidet der Jugendanwalt, ob eine Strafuntersuchung
eröffnet und durchgeführt wird. Die
Polizei kann der Jugendanwalt nötigenfalls mit weiteren Ermittlungen
beauftragen. Er ordnet gegebenen-
Timm Ulrichs (*1940)
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnung unordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
ordnungordnung
17
18
Fachwissen
Peter Curdin Ragaz, Jurist
falls Hausdurchsuchungen an oder
stellt Haftbefehle aus, die von der Polizei dann für die Jugendanwaltschaft
vollzogen werden.
Wie ist die Arbeit eines Jugendanwalts organisiert?
Für mich ist eine strikte Organisation der Fallarbeit sehr wesentlich. Pro
Monat erhält ein vollamtlicher Jugendanwalt rund 20 bis 25 neue Fälle
zugewiesen. Darüber hinaus gibt es
eine Zielgrösse für die Pendenzen.
Es gab Kollegen, die zeitweise bis zu
160 unerledigte Fälle im Kasten hatten. Ich selbst bemühte mich stets,
nicht mehr als 30 bis 60 Fälle offen zu
haben. Da ist eine geschickte zeitliche
Organisation sehr wichtig. Wobei es
natürlich nicht allein um die niedrige
Pendenzenzahl geht, sondern in erster Linie um das im Jugendstrafverfahren geltende und sehr wichtige
Prinzip des Beschleunigungsgebots.
Denn es ist auch wichtig, dass Jugendliche und ihre Familien nicht
länger als nötig im Ungewissen belassen werden. Aber natürlich kann
ein Jugendstrafverfahren auch länger
dauern, beispielsweise wenn sehr viele Delikte aufgeklärt werden müssen.
Immer aber sind eine gute Organisation des Verfahrens beziehungsweise
der Abläufe und eine sorgfältige und
verantwortungsbewusste Fallbearbeitung wichtig.
(suite de la page 15)
trouvés à l’étranger. Enfin, les vastes
clans formés sur la base de liens
familiaux et voyageant d’un pays à
l’autre pour y commettre des infractions, avant de rentrer dans leur
pays d’origine pour y investir leurs
«gains», forment la troisième souscatégorie. Bien que l’étude de Siegel
porte sur les Pays-Bas, ses conclusions correspondent aux informations policières récoltées en Suisse.
Was sind die Kriterien, damit Straftaten von Jugendlichen vor Gericht
kommen?
Ein Jugendanwalt hat eine bestimmte
Strafkompetenz. Will er eine darüber
hinausgehende Strafe aussprechen,
etwa bei einem schweren Delikt, hat
er einen entsprechenden Antrag an
das Jugendgericht zu stellen. Diese
Situation tritt allerdings eher selten
ein. Häufiger ist ein Antrag an das Jugendgericht für eine definitive Heimplatzierung. Denn der Jugendanwalt
kann eine Heimeinweisung nur vorsorglich anordnen.
her hat die Jugendanwaltschaft die
spezialisierte Beratung weniger oft in
Anspruch genommen. Jetzt wird die
Palette an Beratungsmöglichkeiten
vermehrt beigezogen. Für eine Heimeinweisung oder bei einem schweren
Gewaltdelikt werden heute immer
psychiatrische oder psychologische
Gutachten angeordnet beziehungsweise eingeholt. Ein Jugendanwalt
sollte zudem für seine Arbeit über
psychologische Grundkenntnisse verfügen.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit
den PsychologInnen und PsychotherapeutInnen im Lauf der Zeit gewandelt?
In den letzten zwanzig Jahren hat sich
diese Zusammenarbeit verstärkt. Frü-
Sie sind jetzt pensioniert. Führen Sie
weiter ein organisiertes Leben, oder
geniessen Sie es, spontaner und freier zu agieren?
Das ist eine gute Frage (lacht). Ich
bin und bleibe ein gut organisierter
Chaot. Nur tue ich mir heute keinen
Zwang mehr an. Nach der Pensionierung musste ich mich aber zuerst an
den neuen Lebensabschnitt gewöhnen. Das Zusammenarbeitsteam, die
Jugendlichen und ihre Familien, der
Arbeitsweg, der Computer im Büro
oder auch der strukturierte Tag sind
schlagartig verloren gegangen. Das
vermisste ich anfangs und musste
mich umstellen. Mittlerweile genies­
se ich aber die neuen Freiheiten. Ich
kann vieles nach Lust und Laune
unternehmen. Und wohl etwas vom
Wichtigsten: Ich langweile mich keine
Minute!
Interview: Beat Honegger
Conclusion
Malgré un passé commun basé sur
la doctrine «communiste», les pays
d’Europe de l’Est sont tout sauf similaires. Dans la même logique, la criminalité en provenance de ces nations
ne constitue pas non plus un phénomène uniforme. En Suisse, le crime
organisé est-européen se caractérise
avant tout par le fait que la majorité
des malfrats réside à l’étranger. Cette
criminalité, que l’on peut qualifier
d’itinérante, apparaît sous diverses
formes dont le degré d’organisation
varie au cas par cas et d’un pays ou
d’une région à l’autre. D’un point de
vue quantitatif, les prévenus est-européens sont encore loin de constituer la majorité des auteurs présumés
pour infractions pénales, bien que
leur nombre varie en fonction du
type d’infraction, notamment dans
le domaine des vols, où ils sont très
actifs. Enfin, la grande majorité des
ressortissants est-européens résidant
en Suisse n’a rien à voir avec ces
criminels et respecte les dispositions
légales de notre pays.
Office fédéral de la justice,
service d’information et
communication
Können die Jugendlichen Strafen
und Massnahmen anfechten?
Ja, selbstverständlich. Gegen jeden
Entscheid des Jugendanwalts können
der betroffene Jugendliche oder seine
gesetzlichen Vertreter ein Rechtsmittel einlegen. Am häufigsten geschieht
das bei Haftanordnungen. Generell
arbeiten wir jedoch mit den Eltern
zusammen, die ja oft die gleichen
Zielsetzungen wie die Jugendanwaltschaft haben, insbesondere auch bei
sehr schwierigen Jugendlichen. Generell werden unsere Entscheide fast
stets akzeptiert.
Porträt
Vom SBAP. ausgezeichnete Masterarbeit
Nutzen und Wirksamkeit einer Intervention im Bereich Distanz-Beratung
Die Masterarbeit «Ganz fern und
doch so nah! – Nutzen und Wirksamkeit einer Intervention im Bereich
Distanz-Beratung – Pilotversuch»
untersucht die Wirksamkeit von Distanzberatung und begibt sich dafür in
die Welt einer virtuellen Realität namens AULA. Ähnlich wie bei OnlineSpielen oder Spielkonsolen interagiert
hierbei der grafische Stellvertreter einer Person, ein sogenannter Avatar,
in einer medialen, dreidimensionalen
Lebenswelt. Entwickelt vom Karlsruher Institut für Coaching, Personalund Organisationsentwicklung KIC
ermöglicht das sich damals noch in
der Entwicklungsphase befindende
Programm Beratungsgespräche, Trainings und systemische Aufstellungen.
Untersucht wurde nicht nur, ob und
in welcher Form diese Art der Beratung Wirkung zeigt, sondern auch,
ob und in welcher Form eine solche
Anwendung überhaupt von Nutzen
sein kann. Die für die Arbeit notwendigen Daten wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes um
Prof. Hansjörg Künzli an der Zürcher
Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erhoben, eingebettet in den Masterstudiengang
Arbeitsraum in AULA, Screenshot.
als Seminar «Virtuelle Beratung». So
konnte sichergestellt werden, eine
ausreichend hohe Anzahl an Studierenden (= Berater) und Probanden (=
Klienten) für die aufwendige Studie
zu generieren. Ermöglicht wurde das
Projekt darüber hinaus dadurch, dass
die interaktive Onlineplattform dem
Forschungsteam für die Dauer der
Studie zur Verfügung gestellt wurde.
Für die Datenerhebung selbst wurde
das Design einer quasiexperimentellen Studie mit zwei Messzeitpunkten
gewählt und die Stichprobe (N = 62)
in eine jeweils gleich grosse Versuchsund Kontrollgruppe eingeteilt. Die
Versuchsgruppe erhielt über einen
Zeitraum von acht Wochen circa drei
bis vier Interventionen in AULA, beide Gruppen wurden prä und post mit
Hilfe eines Fragebogens befragt und
die Ergebnisse überwiegend quantitativ, als Ergänzung zusätzlich qualitativ ausgewertet. Untersuchungsgegenstand waren dabei ausschliesslich
die Wirkungsweise und der Nutzen
für die beratenen ProbandInnen, der
Beratungsstil oder die Berater-Kompetenzen spielten für die Datenauswertung keine Rolle, ebenso wenig
wie technische Aspekte des Inter-
Birgit Blohmann, Psychologin MSc
mit Vertiefung in Arbeits- und Organisationspsychologie, eidg. dipl.
Grafikerin, selbständige Designerin (www.markenart.com); arbeitet auch als Beraterin und Coach
für Firmen aus der Privatwirtschaft
und für Non-Profit-Organisationen.
19
20
Porträt
Vom SBAP. ausgezeichnete Masterarbeit
nets, der virtuellen Realität oder des
Computers – es sei denn, deren Beantwortung war für die Fragestellung
relevant.
Die Prüfung der Wirksamkeit von
Avatar-Beratung in AULA fiel positiv
aus, sie konnte anhand verschiedener
Dimensionen belegt werden. Die zur
Operationalisierung der Fragestellung untersuchten Variablen Distanz
zur Lösung, Befindlichkeit, Unsicherheit, Zielklarheit, Perspektive und
Erwartungen sollten die unmittelbaren Wirkdimensionen einer Beratung
messen und veränderten sich in der
Versuchsgruppe zwischen den beiden
Messzeitpunkten signifikant. Keine
signifikanten Werte hingegen zeigten in beiden Gruppen die Variablen
der Dimension Inkongruenz, welche
ganzheitliche Veränderungen im Bereich persönliche Annährungs- und
Vermeidungsziele messen.
Diese fehlende Signifikanz bei der
Wirksamkeitsbeurteilung der Studie
ist jedoch vernachlässigbar in Bezug
auf die gemessene Wirksamkeit von
Avatar-Beratung. Die Basis der Nut-
zenanalyse bildeten die empirisch
ausgewerteten Daten, wissenschaftliche Hintergründe wie psychologische Modelle, Theorien zu Medienmerkmalen und Wirkfaktoren, aber
auch in der Praxis erworbene Kenntnisse. Der potenzielle Nutzen von
Avatar-Beratung liess sich hierdurch
in seinem Umfang bereits erahnen,
und künftige Investitionen in diesem
Bereich könnten den Markt für professionelle psychologische Beratung
gravierend verändern.
Birgit Blohmann
Preis für Masterarbeiten
Der SBAP. stiftet jährlich einen Preis für herausragende «angewandte» (im Sinne des FH-Profils) Masterarbeiten im
konsekutiven Masterstudiengang am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW. Dabei werden die Masterarbeiten mit Mindestnote 5,0 in den Vertiefungsrichtungen Arbeits- und Organisationspsychologie, Klinische
Psychologie sowie Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie berücksichtigt. Ausgezeichnet werden innovative
angewandt-psychologische Masterarbeiten, die Neues explorieren bzw. neue, noch wenig bearbeitete Fragestellungen der Angewandten Psychologie bzw. Forschung thematisieren.
Pro Vertiefungsrichtung wird ein Preis verliehen, die Preissumme beträgt 500 Franken und ein Jahr Mitgliedschaft im
SBAP. (Wert 600 Franken). Eine Jury, bestehend aus VertreterInnen der Vertiefungsrichtungen im SBAP.-Vorstand,
dem SBAP.-Präsidenten sowie einer Fachperson des Departements Angewandte Psychologie, ermittelt die PreisträgerInnen. Das punktum. stellt die ausgezeichneten Arbeiten in einer Serie vor.
Wussten Sie schon…
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Fachzeitschriften
eBooks
Datenbanken
Bannink
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SBAP. aktuell
Farbe bekennen!
Der digitale Auftritt von PsychologInnen
Der Einsatz elektronischer Medien und
deren interaktive Nutzung haben sich
heutzutage nicht nur gesellschaftlich als
zeitgemässe Form der Kommunikation
etabliert, sondern konnten sich auch
für die Erledigung alltäglicher Aufgaben durchsetzen. Der Zugang zum Internet ist in der westlichen Welt praktisch von jedem Ort aus möglich, und
die Optionen, zu jeder beliebigen Zeit
an gewünschte Informationen zu gelangen, erreichbar zu sein, mit anderen
Personen Kontakt zu halten und ad hoc
reagieren zu können, machen das Angebot ausgesprochen attraktiv.
Die vom Bundesamt für Statistik für
das Jahr 2014 veröffentlichten Zahlen
spiegeln dies beeindruckend wider: 91
Prozent der privaten Haushalte verfügen über einen Internetanschluss, deutlich mehr als der Durchschnitt der EU28-Länder. 84 Prozent der Bevölkerung
ab 15 Jahren haben in den drei Monaten vor der Erhebung (Oktober 2013
bis März 2014) das Internet genutzt, 6
Prozentpunkte mehr als noch im Jahr
2010, beinahe alle unter 45-Jährigen
nutzten es, und auch die höheren Altersklassen holen stark auf. Beim Blick
auf den Verwendungszweck lässt sich
ein bemerkenswerter Anstieg bei der
Nutzung als InformationsbeschaffungsTool erkennen. So ist beispielsweise die
Suche nach Gesundheitsthemen eine
Online-Aktivität mit grossem Wachstumspotenzial: Waren es 2010 noch
55 Prozent der Internetnutzer, die darüber online recherchiert haben, sind
es 2014 schon 64 Prozent – Tendenz
steigend. Vor allem die Verbreitung von
Smartphones und die damit verbundene mobile Möglichkeit, auch ausserhalb
des Zuhauses oder des Arbeitsplatzes
das Internet zu nutzen (längst wurde
der Laptop als bevorzugtes mobiles
Endgerät abgelöst), haben dazu beigetragen, Alltägliches ungehindert von
Zeit und Raum zu erledigen. 3,6 Millionen Smartphones wurden 2014 in der
Schweiz verkauft, dagegen im gleichen
Zeitraum «nur» 2,7 Millionen PCs (inkl.
Tablets). Kein anderes Medium und
kein anderes Kommunikationsmittel
kann es heutzutage mit dem Internet
aufnehmen. 24/7, 24 Stunden, 7 Tage
die Woche, die Website hat keinen Feierabend. Rund um die Uhr erreichbar,
günstig im Unterhalt und mehr als nur
ein paar P
­ ixel.
Vergleicht man die menschlichen Sinne,
so hat die visuelle Wahrnehmung eine
ganz besondere Bedeutung. Im Laufe
der menschlichen Entwicklung wird sie
zwar zuletzt ausgebildet, macht jedoch
den grössten Teil der Wahrnehmung
aus: Im Durchschnitt werden 80 Prozent
aller Informationen von den Augen geliefert. Damit verbunden sind sinnliche
Erfahrungen und Erkenntnisprozesse,
die das logische Verstehen ganzheitlich
machen. Dies erklärt, warum das visuelle Erscheinungsbild – das Corporate
Design – eines Unternehmens, einer
Institution, eines Dienstleisters so bedeutsam ist. Corporate Design als Summe aller visuellen Gestaltungsmittel,
die eine jeweilige Identität, Kultur und
Vision unverwechselbar verbildlichen.
Dazu gehören beispielsweise der gestaltete Name (der eigene Name oder
der Firmenname), der Schriftzug, das
Logo, das Firmenschild, Visitenkarten,
Adress-Klebeetiketten, Brief- und Rechnungsformulare und die Website. Ziel
dabei ist, innere Haltungen und Wertvorstellungen auf Zeichen, Farbe und
deren Gestaltung zu übertragen. Ein
einheitliches und nach unternehmensphilosophischen Vorgaben gestaltetes
Corporate Design vermittelt Kontinuität
im Auftreten nach innen und aussen,
es wirkt vertrauenfördernd und glaubwürdig. Eine konstante grafische Umsetzung erhöht dabei den Bekanntheitsgrad und den Wiedererkennungswert.
Durch ungesteuerte visuelle «Aussagen» hingegen bringt man sich um die
Chance, sich oder sein Unternehmen
so vorzustellen, wie es wahrgenommen
werden soll.
«Äusserlichkeiten, das sind doch alles
Äusserlichkeiten – auf die inneren Werte kommt es schliesslich an!» Ja und
ja. Aber äussere Werte stehen nicht
zwangsläufig und grundsätzlich im
Widerspruch zu inneren Werten. Und
es bedeutet auch nicht, oberflächlich,
kategorisierend oder wertend zu sein.
Im Gegenteil. Eine überlegte und stringente Steuerung des in Farbe, Formen,
Zeichen und Bilder übersetzten Leitbilds
eröffnet die Möglichkeit, Authentizität zu vermitteln und das Gefühl von
Kongruenz zu erzeugen. Einem unpas-
senden Corporate Design, einer unpassenden Website vermag das nicht zu
gelingen. Welche Wertvorstellungen
stehen hinter mir und meiner Dienstleistung? Wodurch zeichnen sich mein
Qualitätsanspruch, mein philosophisches Fundament und mein ethischer
Anspruch als Therapeut aus? Meist ist
es das Internet, das künftigen KlientInnen und PatientInnen genau dieses
erste Gefühl, diese erste Impression von
der Person, der Praxis und dem therapeutischen Angebot verschafft. Das
visuelle Erscheinungsbild ist auch der
Bereich, in dem sich eine Psychologin,
ein Psychologe oder eine Institution in
der Öffentlichkeit am deutlichsten profilieren und wahrnehmbar von anderen
unterscheiden kann. Und ein erster Eindruck bleibt ein erster Eindruck …
Der Weg dahin, also die Entwicklung eines Corporate Designs, ist allerdings ein
Prozess, der – genau wie ein therapeutischer Prozess oder ein Coaching – Zeit
erfordert und einem entsprechenden
Prozessverlauf folgt. Das eigene Anliegen sollte geklärt werden, die innere
Haltung und die gewünschten Ziele.
Erst nachdem dies geschehen ist, wird
das Corporate Design in enger Zusammenarbeit zwischen Kunde und Designer entwickelt – im Idealfall gelingt es,
die gewonnenen Erkenntnisse verdichtet, konzentriert und auf den Punkt
sichtbar zu machen. Ähnlich der Sprache, die zum Ausdruck benutzt wird.
«Man kann nicht nicht kommunizieren», so die erste von fünf Grundregeln,
die der Kommunikationswissenschaftler,
Psychotherapeut, Psychoanalytiker und
Philosoph Paul Watzlawick aufgestellt
hat, um die menschliche Kommunikation zu erklären. Vor diesem Hintergrund
sind sowohl eine fehlende als auch eine
unprofessionelle, benutzerunfreundliche oder inkongruente Präsenz im Netz
der Ausdruck einer bestimmten Haltung. Ob man will oder nicht.
Birgit Blohmann, Psychologin MSc
mit Vertiefung in Arbeitsund Organisationspsychologie und
Designerin (www.markenart.com)
Lesen Sie auf Seite 19 eine Zusammenfassung von Birgit Blohmanns Masterarbeit, die vom SBAP. ausgezeichnet
wurde.
21
22
SBAP. aktuell
Berufspolitische News
Austausch mit dem
Bundesamt für Gesundheit BAG
Am 13. März 2015 fand ein Austausch zwischen den verschiedenen
Psy-Verbänden und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) statt. Gesprächspartner des BAG waren Stefan
Spycher, Leiter Direktion Gesundheitspolitik und Vizedirektor BAG, sowie Marianne Gertsch, Leiterin Fachbereich Psychologieberufe im BAG.
In einem wohlwollenden Gespräch
wurden erneut die Fakten und die
Begründungen diskutiert, weshalb es
unseres Erachtens unumgänglich ist,
dass die psychologische Psychotherapie endlich in der Grundversicherung
verankert werden muss.
Themen waren die zu erwartenden
Mehrkosten, aber auch die voraussichtlichen Einsparungen, die Ablösung des Delegationsmodells und die
bestehende Unterversorgung in der
Schweiz. Ein weiteres wichtiges Thema war die Zugangsgerechtigkeit.
Dabei geht es darum, dass möglichst
alle psychisch kranken Menschen in
gleichem Mass Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung erhalten. Ein gerechter Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung kann
unserer Meinung nach nur erreicht
werden, wenn genügend Therapieplätze zur Verfügung stehen und keine Einschränkungen in der ärztlichen
Anordnung bestehen.
Das Geschäft «psychologische Psychotherapie in die Grundversicherung» liegt noch immer im eidgenössischen Departement des Innern
(EDI). Wir werden alles daransetzen,
dass das Geschäft nun Formen annimmt.
Aus der Praxis für die Praxis
Neuer Weiterbildungslehrgang am ZSB Bern:
Postgraduale Systemische
Psychotherapieweiterbildung
- bindungsbasiert &
methodenkombiniert
Beginn: Oktober 2015
Richtet sich an Personen mit abgeschlossenem Hochschulstudium in
Psychologie oder Medizin und führt nach Abschluss der laufenden
Akkreditierungsevaluation zum eidgenössischen Titel in Psychotherapie
sowie zum Facharzttitel in Psychiatrie und Psychotherapie.
Ausführliche Informationen sowie Anmeldung unter www.zsb-bern.ch
Sekretariat: Villettemattstrasse 15, CH-3007 Bern, [email protected]
Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)
Anfang 2015 wurden von verschiedenen Institutionen Offerten eingeholt bezüglich der Erarbeitung einer
Tarifstruktur und der Durchführung
einer Praxisstudie. Die FMH, Abteilung Tarife und Verträge Schweiz,
wurde von den drei Verbänden FSP,
ASP und SBAP. ebenfalls angefragt.
Eine Zusammenarbeit konnte zurzeit
seitens der FMH wegen personeller
Engpässe nicht realisiert werden. Es
besteht jedoch ein sehr gutes Einvernehmen zwischen der FMH und der
Tarifgruppe (FSP, ASP, SBAP.). Einer
weiteren Zusammenarbeit in anderen
Geschäften steht nichts im Wege.
Der Auftrag bezüglich Tarifstruktur
und Praxisstudie wurde am 13. März
der FHNW, Institute for Competitiveness and Communication, erteilt. Es
fanden seither bereits mehrere Sitzungen statt. Wir sind davon überzeugt, in der FHNW eine kompetente
und kundenorientierte Partnerin gefunden zu haben.
Bereits im Juni findet ein Workshop
mit Fachleuten der drei Berufsverbände bezüglich Tarifpositionen und
Tarifstruktur statt. Im November
dieses Jahres ist die Praxisstudie geplant. Dabei geht es um die Erhebung der praxisrelevanten Kosten.
Alle bereits früher erhobenen Daten
werden selbstverständlich mit in die
Studie einfliessen. Trotzdem ist eine
weitere Befragung unumgänglich. Es
geht darum, möglichst gerechte Konditionen zu erlangen. Sie werden zu
einem späteren Zeitpunkt über die
diesbezüglichen Schritte informiert.
Weitere
eidgenössisch anerkannte Titel
Wie Sie bereits früher informiert wurden, ist im Rahmen des Psychologieberufegesetzes (PsyG) im Januar
2014 die «Verordnung des EDI über
Umfang und Akkreditierung der Weiterbildungsgänge der Psychologieberufe» (AkkredV-PsyG) in Kraft getreten. Diese Verordnung legt für die
Weiterbildungsgänge in den Fachgebieten der Psychologie den Umfang,
die Qualitätsstandards für die Akkreditierung und Einzelheiten des Ak-
SBAP. aktuell
Berufspolitische News
kreditierungsverfahrens fest. In den
Anhängen 1 und 2 werden die Bestimmungen für Weiterbildungsgänge in Psychotherapie und in Kinderund Jugendpsychologie detailliert
festgehalten. Einige Weiterbildungsgänge in Psychotherapie haben 2014
bereits ihre definitive Akkreditierung
in Angriff genommen. Die Qualitätsstandards für den eidgenössischen
Titel in Psychotherapie wurden im Januar 2014 verabschiedet.
Die Qualitätstandards der weiteren im
PsyG verankerten Weiterbildungstitel
sind noch ausstehend. Insbesondere
die eidgenössischen Titel «Neuropsychologie» und «Klinische Psychologie» sind momentan in Bearbeitung.
Es werden die eidgenössischen Titel
in «Kinder- und Jungendpsychologie»
und in «Gesundheitspsychologie» folgen. Die diesbezüglichen Vorgaben
sind in der Verordnung über die Psychologieberufe (PsyBV) zu finden.
FH Schweiz
Am 13. März wurde unser Vorstandsmitglied Katja Iseli in den Vorstand
der FH Schweiz gewählt. Sie löst unser Mitglied Trix Angst im Vorstand
der FH Schweiz ab. Wir gratulieren
Katja Iseli zur Wahl und freuen uns,
mit ihr eine kompetente Fachperson
im Vorstand zu wissen.
Trix Angst danken wir für die langjährige und innovative Tätigkeit im Vorstand der FH Schweiz. Sie war mit ihrer analytischen und ausgleichenden
Art eine würdige SBAP.-Vertreterin.
Heinz Marty
«Pro Mente Sana»Stiftungsversammlung
Als Politische Sekretärin des SBAP.
sowie als Vorstandsmitglied des Aktionsbündnisses Psychische Gesundheit Schweiz wurde Heloisa Martino
in die Stiftungsversammlung von Pro
Mente Sana gewählt. Die Stiftungsversammlung ist oberstes Organ der
Stiftung Pro Mente Sana und ist unter anderem für die Genehmigung
des Leitbildes und der stiftungspolitischen Ziele und Grundsätze verantwortlich. Die Stiftungsversammlung
besteht aus mindestens 15 Personen,
darunter Betroffene, Angehörige und
Fachleute aus dem Mental-HealthBereich und VertreterInnen diverser
Organisationen und Institutionen aus
dem Sozial- und Gesundheitswesen.
Die Stiftungsversammlungs-Mitglieder werden für die Amtsdauer von
vier Jahren gewählt.
Der SBAP. freut sich, mit dieser Wahl
die bisherige Zusammenarbeit mit
der wichtigsten Organisation für Betroffene psychischer Erkrankungen in
der Schweiz auszubauen und zu vertiefen.
Mehr Infos:
https://www.promentesana.ch;
[email protected]
SGPP-Jahreskongress 2015:
Symposium der Psy-Verbände
Der diesjährige Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie
und Psychotherapie (SGPP) befasst
sich mit der «Psychiatrie im Spiegel
der Gesellschaft». Auch dieses Jahr
werden SBAP., FSP und SGPP ein gemeinsames Symposium im Rahmen
dieses Kongresses anbieten. Thema
des Symposiums wird die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und
die Frage sein, was Fachpersonen der
Psychologie, der Psychiatrie und der
Psychotherapie dagegen tun können.
Unter der Leitung von Ex-SBAP.Präsident Heinz Marty, der FSPCo-Präsidentin Yvik Adler und dem
SGPP-Präsidenten Pierre Vallon soll
diskutiert werden, welche Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten
Fachpersonen im Kampf gegen Stigmatisierung von Betroffenen haben.
Der SGPP-Jahreskongress findet vom
2. bis 4. September im Kursaal Bern
statt.
Mehr Infos und Anmeldung zum
SGPP-Jahreskongress:
http://www.psychiatrie-kongress.ch
Heloisa Martino
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24
SBAP. actualités
Des nouvelles de la politique professionnelle
Échange avec l’Office fédéral
de la santé publique OFSP
Le 13 mars 2015 s’est tenue une
réunion entre les différentes associations de psychologie et l’Office fédéral de la santé publique (OFSP). Les
représentants de l’OFSP étaient Stefan Spycher, responsable de l’unité
de direction Politique de la santé et
vice-directeur de l’OFSP, et Marianne
Gertsch, responsable du projet Lpsy à
l’OFSP.
Dans une ambiance bon enfant,
nous avons exposé à nouveau nos
arguments et motivations, expliquant
pourquoi, selon nous, la psychothérapie psychologique devait être ancrée
dans l’assurance de base.
Les thèmes abordés étaient les coûts
supplémentaires attendus, mais aussi
les économies prévisibles, l’abolition du modèle de délégation et le
manque de prise en charge actuellement constaté en Suisse. L’autre sujet
important était le droit à l’accès aux
soins, l’idée étant de garantir autant
que possible à toutes les personnes
souffrant de troubles psychiques
l’accès à un traitement psychothérapeutique approprié. Selon nous, un
nombre suffisant de places pour les
patients et l’absence de restrictions
dans les prescriptions médicales sont
des conditions indispensables pour
assurer un accès aux soins équitable.
Le projet « Psychothérapie psychologique dans l’assurance de base » est
toujours entre les mains du Département fédéral de l’intérieur (DFI).
Nous mettrons tout en œuvre pour
que ce projet prenne forme.
Neue Mitglieder
Belting Julia, Zürich
PsychologInnen SBAP.
Amgwerd Sabrina, Zürich
Bach Priska, Zürich
Belting Julia, Zürich
Berchtold Raffael, Winterthur
Burger Yves, Zürich
Caduff Stefan, Luzern
Cavicchia-Balmer Yvonne, Aurigeno
Filliger Andrea, Luzern
Grüter Isabel, Luzern
Kunkel Sarah Martina, Zürich
Müller Karin Helene, Uster
Nauli Daniela, Zürich
Oppliger Kleiner Sabine, Bern
Neue Studentenmitglieder
Becker-Wegerich Ines, Uerikon
Conrad Nathalie, Zürich
Schulz Kathrin, Winterthur
Herzlich willkommen!
Collaboration avec la Haute École
Spécialisée de la Suisse du NordOuest (FHNW)
Début 2015, différentes institutions
ont émis des appels d’offres pour
l’élaboration d’une structure tarifaire et la réalisation d’une étude sur
la pratique. Le département Tarifs
et Conventions Suisse de la FMH, a
également été sollicité par les trois
associations FSP, ASP et SBAP.. La
collaboration avec la FMH n’a pour
l’instant pas abouti, faute d’un personnel suffisant. Il existe néanmoins
une très bonne entente entre la
FHM et le groupe tarifaire (FSP, ASP,
SBAP.). Rien ne s’oppose en effet à
une future collaboration sur d’autres
sujets.
Le mandat concernant la structure
tarifaire et l’étude sur la pratique a
été confié le 13 mars à la FHNW, Institute for Competitiveness and Communication. Plusieurs réunions ont
déjà eu lieu. Nous sommes convaincus d’avoir trouvé en la FHNW une
partenaire compétente et orientée
vers la clientèle.
Dès le mois de juin se tiendra un atelier sur les positions tarifaires et la
structure tarifaire, avec des experts
des trois associations professionnelles. L’étude sur la pratique est prévue en novembre de cette année. Elle
consiste à faire un état des lieux des
coûts liés à la pratique de la profes-
sion. Toutes les données recueillies
auparavant seront, bien entendu,
intégrées à cette étude. Néanmoins,
il parait indispensable d’effectuer une
autre enquête. Il s’agit d’obtenir les
conditions les plus équitables possibles. Nous vous tiendrons prochainement informés de l’avancement de
ce projet.
De nouveaux titres
reconnus au niveau fédéral
Comme vous le savez déjà,
l’«Ordonnance du DFI sur l’étendue
et l’accréditation des filières de formation postgrade des professions de
la psychologie» (AccredO-LPsy) dans
le cadre de la Loi sur les professions
relevant du domaine de la psychologie (LPsy), est entrée en vigueur
en janvier 2014. Cette ordonnance
fixe pour les filières de formation
postgrade dans les domaines de la
psychologie l’étendue, les standards
de qualité pour l’accréditation et les
modalités de la procédure d’accréditation. Les annexes 1 et 2 fixent en
détail les dispositions relatives aux
filières de formation postgrade dans
le domaine de la psychothérapie et
dans le domaine de la psychologie
des enfants et adolescents. Certaines
filières de formation postgrade dans
le domaine de la psychothérapie ont
déjà reçu leur accréditation définitive
en 2014. Les standards de qualité
pour l’obtention du titre fédéral en
psychothérapie ont été votés en janvier 2014.
Rossi-Fausch Karin, Grüningen
Spiegelberg Stefan, Winterthur
Stocker Nebel Claudia, Uster
Wichser Andrea Christine, Mollis
PsychotherapeutInnen SBAP.
Aregger Lisa, Neuenkirch
Breymaier Bettina Eva, Basel
Gerwig-Kälin Petra, Greifensee
Mathys Claudia, Schwanden
Rufer Monika, Winterthur
Stettbacher Konrad, Männedorf
Der SBAP. gratuliert!
SBAP. actualités
Des nouvelles de la politique professionnelle
Les standards de qualité relatifs aux
autres titres postgrade ancrés dans
la LPsy ne sont pas encore entrés en
vigueur. Les titres fédéraux «Neuropsychologie» et «Psychologie clinique» sont en cours de traitement.
Viendront ensuite les titres fédéraux
dans les domaines «Psychologie des
enfants et adolescents» et «Psychologie de la santé». Les directives à ce
sujet sont fixées dans l’ordonnance
sur les professions relevant du domaine de la psychologie (OPsy)
FH Suisse
Le 13 mars, Katja Iseli, membre de
notre comité, a été élue au Comité
de FH Suisse. Elle y succède à un
membre de notre comité, Trix Angst.
Nous félicitons Katja Iseli pour cette
élection et nous réjouissons qu’elle
mette ses compétences de spécialiste
au service du Comité.
Enfin, nous remercions Trix Angst
pour l’activité innovante dont elle a
fait preuve pendant de nombreuses
années au sein du Comité de FH
Suisse. Ses capacités d’analyse et sa
diplomatie ont fait d’elle une digne
représentante de la SBAP.
Heinz Marty
Assemblée de la fondation
«Pro Mente Sana»
Secrétaire politique de la SBAP. et
membre du Comité de l’Alliance
Santé Psychique Suisse Heloisa Martino a été élue à l’assemblée de la
fondation Pro Mente Sana. Organe
suprême de la fondation Pro Mente
Sana, l’assemblée de la fondation est
responsable, entre autres, de l’approbation des principes directeurs ainsi
que des objectifs et principes politiques de la fondation. L’assemblée
de la fondation compte au moins
15 personnes, parmi lesquelles des
malades, des proches et des spécialistes du domaine de la santé mentale
ainsi que des représentantes et représentants de diverses organisations et
institutions du domaine de la santé et
du social. Les membres de l’assemblée de la fondation sont élus pour
un mandat de quatre ans.
La SBAP. se réjouit que cette élection
permette d’intensifier et d’appro-
fondir la collaboration entretenue
jusqu’ici avec les principales organisations œuvrant pour les personnes
souffrant de troubles psychiques en
Suisse.
Pour plus d’informations:
https://www.promentesana.ch;
[email protected]
Congrès annuel 2015 de la SSPP:
Colloque des associations
de psychologie
Cette année, le congrès de la Société
Suisse de Psychiatrie et de Psychologie (SSPP) aura pour thème la «Psychiatrie au miroir de la société». La
SBAP., la FSP et la SGPP organisent
à cette occasion un symposium commun, ayant pour thématique la stig-
matisation des maladies psychiques
et les moyens dont disposent les
psychologues, psychiatres et psychothérapeutes pour s’y opposer. Placée
sous la direction de l’ancien président
de la SBAP., Heinz Marty, de la coprésidente de la FSP, Yvik Adler, et
du président de la SSPP, Pierre Vallon, la discussion portera sur la responsabilité et les possibilités d’action
des spécialistes dans la lutte contre la
stigmatisation des malades.
Le congrès de la SSPP aura lieu du 2
au 4 septembre au Kursaal de Berne.
Informations et inscriptions au con­
grès annuel de la SSPP:
http://www.psychiatrie-kongress.ch
Heloisa Martino
Weiterbildung
MAS Kinder- &
Jugendpsychotherapie
Im Zentrum der berufsbegleitenden Weiterbildung steht eine
schulenübergreifende Ausrichtung, die an Ressourcen der Kinder,
Jugendlichen und Familien anknüpft und Erkenntnisse aus der
Entwicklungspsychologie und -psychopathologie integriert.
Zielpublikum: Psychologen/-innen und Ärzte/-innen
Infoveranstaltung: 19. Mai 2015 um 18.15 Uhr in Zürich
Beginn: 22. Oktober 2015
Information und Anmeldung
IAP Institut für Angewandte Psychologie
Pfingstweidstrasse 96, 8005 Zürich
Telefon + 41 58 934 83 30
[email protected]
www.iap.zhaw.ch/mas-kjpt
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Gelesen
Unvirtuelle Erlebnisräume
Detlef Scholz: Systemische Interventionen bei Internetabhängigkeit
Wer hauptsächlich vorgefertigte Interventionen sucht, wird von diesem
Buch vielleicht nicht so begeistert
sein. Wer sich jedoch für tief gehende
Überlegungen interessiert, die einem
ständig zunehmenden hochaktuellen Phänomen umfassend gerecht
werden wollen, kann sich freudig an
die Lektüre machen. Scholz präsentiert uns ein ansprechendes und gut
strukturiertes Buch, in dem er unterschiedliche Erscheinungsformen von
Internetabhängigkeit benennt, diese
gründlich in mögliche Hintergründe
einbettet und viele Anregungen für
Interventionsmöglichkeiten gibt.
Zugrunde liegt ein Verständnis, welches Sucht nicht als eine «zu tilgende Störung» betrachtet, sondern die
in den Suchthandlungen implizierten
Bedürfnisse und die dahinter liegenden zum Teil unbewussten Ziele in
den Fokus rückt. Erst wenn diese
gewürdigt und angegangen werden,
können sich neue Erlebnisräume erschliessen.
Ein längerer Exkurs wird folglich den
Themen Sinn, Glück und Liebe gewidmet. Wenn hier sogenannte existentielle Irritationen vorhanden sind,
sucht das System nach Auswegen.
Gerade wenn es um Ängste, Leere,
Langeweile oder das Bedürfnis nach
Verbundenheit und Kontrolle geht,
bietet die virtuelle Welt ein Umfeld,
in dem positive Erlebnisse direkter
und leichter zu haben sind.
Besonders eindrücklich zeigt Scholz
weiter auf, wie sich Denk-, Funktions- und Handlungsweise verändern können durch exzessives Leben in der virtuellen Welt. Und wie
ebendieses Funktionieren und die
dazugehörige Terminologie aus der
Cyberwelt als Ressourcen genutzt
werden können, um den Klienten zu
erreichen, Bewusstheit zu schaffen
und Veränderungen einzuleiten – allerdings nur, wenn der Klient selber
genügend Motivation aufbringt, um
den Berater, die Beraterin von seinem
Veränderungswunsch zu überzeugen. Die Interventionsmethoden sind
hauptsächlich gezielte Fragen und
Selbstbeobachtungsanreize. Scholz
zeigt dazu kreative und beispielhafte
Möglichkeiten auf. Bei diesen geht
es vorwiegend darum, den Klienten
wieder fitter zu machen für die Herausforderungen der haptischen oder
«realen» Welt.
Viele der aufgezeigten Mechanismen, Erklärungen und Interventionen
lassen sich gut übertragen auf andere
Sexualität im Internet
Agatha Merk (Hg.): Cybersex
Der vorliegende Herausgeberband
von Agatha Merk basiert auf einer
Reihe von Tagungen, den Psychoanalytischen Arbeitstagen Zürich. Nach
einem Geleitwort von Ulrich Moser
und einer Einführung ins Thema von
Agatha Merk und Ilka Quindeau entwickeln Heinz Müller-Pozzi und Thomas Umbricht im zweiten Kapitel je
metapsychologische Konzepte. Das
dritte Kapitel beinhaltet Falldarstellungen von Natalia Erazo und Rotraut
De Clerck, und im vierten Kapitel
beleuchtet Michael Günter entwick-
lungspsychologische Aspekte. Martin
Dannecker, Jérôme Endrass, Astrid
Rossegger und Bernd Borchard bestreiten mit ihren Arbeiten das Kapitel fünf, Sexualwissenschaft und Forensik. Zum Schluss folgt das Kapitel
sechs, Kulturwissenschaft, mit zwei
Beiträgen von Reimut Reiche und Michael Pfister.
Der Ausdruck Cybersex setzt sich zusammen aus den Wörtern Cybernetics
(Kybernetik) und Sex. Nach Duden
bedeutet Cybersex «sexuelle Stimulation durch computergesteuerte Simu-
Detlef Scholz: Systemische Interventionen bei Internetabhängigkeit. Carl-Auer-System-Verlag, Hei­­delberg 2014, 240 Seiten, Fr. 37.90,
ISBN 3-8497-0046-1.
Formen von Abhängigkeit. Daher ist
dies ein sehr empfehlenswertes Buch
für alle, die in irgendeiner Nische im
Suchtbereich arbeiten.
Susanne Heule
Gelesen
Bei der «Psychodingsda»
Daniela Lempertz: Emmas kleines Wunder
Endlich ist es da: das Buch, auf das so
viele KindertherapeutInnen, die mit
der EMDR-Methode (Eye Movement
Desensitization and Reprocessing) arbeiten, so lange gewartet haben.
Aus der Perspektive der achtjährigen Emma wird erzählt, wie sie bei
einem Klassenausflug beim Eislaufen
so böse gestürzt ist, dass sie sich den
Arm gebrochen hat und notfallmäs­
sig ins Spital musste. Dort dauerte
es eine längere Zeit, bis die Eltern
dazukommen konnten. Obwohl sie
anschliessend zu Hause sehr liebevoll
getröstet und umsorgt wurde, bekam
sie doch Albträume von Szenen in der
Eishalle, und tagsüber konnte sie die
Eishalle nicht mehr anschauen, ohne
sich schrecklich unwohl zu fühlen.
Als ihre Freundin sie zur Geburtstagsparty ausgerechnet in die Eishalle
einladen wollte und sie die Einladung
abschlug, realisierten die Eltern, wie
nachhaltig der Unfall ihr Kind beeinträchtigt hat, und sie wandten sich an
ihren Kinderarzt, der sie an die Kinderpsychotherapeutin Frau Rose verwies.
Emma war natürlich äusserst skeptisch, was es bringen soll, zu einer
«Psychodingsda» zu gehen, konnte
sich dann aber doch darauf einlassen.
Im weiteren Verlauf der Geschichte
wird erzählt, wie es Frau Rose gelingt,
mit Emma eine tragfähige Beziehung
aufzubauen, ihr Vertrauen zu gewin-
nen, ihr mit Entspannungstechniken
zu helfen, erste positive Erfahrungen
mit Psychotherapie zu machen. Dann
erklärt Frau Rose Emma kindgerecht,
wie Traumatisierung wirkt und wie
die EMDR-Methode funktioniert.
Und als sie dann miteinander eine
Traumaverarbeitungssitzung durchführen, kann Emma die Erfahrung
machen, dass sie sich danach wieder
wie vor dem Unfall erlebt und sogar
wieder Spass am Eislaufen hat. Und
das erlebt Emma als keines Wunder.
Im Anhang findet sich das Glossar
«Kleiner Wortschatz Psychotherapie», in dem viele wichtige Fragen
und Begriffe gut erklärt werden – eine
Fundgrube zur Psychoedukation.
Mit «Emmas kleines Wunder» ist der
Autorin Daniela Lempertz ein Buch
gelungen, das anhand der Geschichte
eines kleinen Mädchens traumatisierten Kindern und deren Eltern anschaulich macht, wie eine traumatisierende
Erinnerung mit der EMDR-Methode
verarbeitet werden kann und die Symptomatik vollständig verschwindet.
Das Buch eignet sich nicht nur für therapeutische und pädagogische Fachleute, sondern vor allem für Eltern
von traumatisierten Kindern, die das
Buch zusammen mit ihren Kindern
lesen können, um ihnen die Angst
vor ihren Traumasymptomen und vor
einer Traumatherapie zu nehmen. Es
ist sehr liebevoll und klar geschrieben
und mit schönen und humorvollen
Bildern von Fred Fuchs illustriert.
Hanne Hummel,
Trainerin EMDR-Institut /
EMDR Europe
Agatha Merk (Hg.): Cybersex.
Psychoanalytische Perspektiven.
Psychospzial-Verlag, Giessen 2014,
257 Seiten, Fr. 40.90,
ISBN 3-8379-2252-9.
Innerhalb dieses Spannungsbogens
nähern sich die verschiedenen Autor­
Innen aus ihren spezifischen Blickwinkeln dem Thema an. Als Beispiel sei
hier auf das Kapitel von Agatha Merk
verwiesen. Sie verwendet darin die
Metapher der Folie, worauf die PatientInnen ihre Eindrücke hinterlassen,
gleichsam agieren und inszenieren.
Das Internet als imaginärer Raum, wo
sexuelle Wünsche und Phantasien
situiert werden. Theoretisch werden
diese Überlegungen mit der These
der Übergangsobjekte und -räume
von D. W. Winnicott untermauert.
Das vorliegende Buch nähert sich
dem Thema Cybersex in einer umfassenden und differenzierten Weise an
und stellt den Lesenden eine Orien-
tierung bereit, um die Bedeutung der
über das Internet ausgelebten Sexualität besser zu verstehen. Dabei geht
es um drängende Fragen wie: Unter
welchen Bedingungen wird das Internet zu kreativem Probehandeln genutzt, und wann steht sein Gebrauch
im Zeichen des Verlustes einer lebendigen Beziehung zur Wirklichkeit?
Insgesamt eine sehr empfehlenswerte Lektüre für PsychoanalytikerInnen,
aber auch für PsychotherapeutInnen
anderer Schulen sowie für einen weiteren an kulturellen Fragen und Zeitphänomen interessierten Personenkreis.
Thomas Merki,
Psychotherapeut SBAP.
und Psychoanalytiker PSZ
lation». Dazu schreibt Ulrich Moser
in seinem Geleitwort: «Die Welt der
Technik, insbesondere der Computerund Informationswissenschaften, hat
den Bereich möglicher sexueller Erfahrungen wesentlich erweitert – dies
allerdings basierend auf der bereits
erfolgten Enttabuisierung.» Dies führe dann nach Moser zu neuen Problemen, zum Beispiel in Bezug auf das
Erleben von Schuld und Scham, Beziehung und Abhängigkeit.
Daniela Lempertz: Emmas kleines
Wunder. Ein Buch über Psychotherapie für Mädchen und Jungen.
Mit Illustrationen von Fred Fuchs.
Verlag Mebes & Noack, Köln
2015, 60 Seiten, Fr. 24.90, ISBN
3-939635-02-2.
27
28
Gelesen
Sprachbasierte Typologisierung
L. Arboleda, V. Zschokke: Die Borderlinestörung gesprächs- und erzählanalytisch betrachtet
Hätte ich besser auf den Untertitel
(«Eine linguistisch-empirische Studie»)
geachtet, dann hätte ich mir die spontan übernommene Buchrezension
noch mal gut überlegt und aufgrund
der angedeuteten wissenschaftlichen
Dichte wahrscheinlich abgelehnt. So
aber sah ich nur den Begriff Borderlinestörung – und fand die Thematik,
platziert im Kontext einer gesprächsund erzählanalytischen Betrachtung,
schlichtweg spannend.
Als ich das mir zugesandte Buch in
Händen hielt und darin blätterte, erkannte ich den Schwierigkeitsgrad.
De facto ist es eine höchst komplexe
Arbeit, die von der Philosophischen
Fakultät der Universität Zürich als
Dissertation der beiden Autorinnen,
Lina Arboleda und Vania Zschokke,
angenommen wurde. Mit anderen
Worten: Ich hatte voreilig zugesagt,
eine bereits mehr als sachkundig geprüfte und anerkannte Studie, die
2014 auch in Buchform erschienen
ist, zu rezensieren, sprich: kritisch
zu besprechen und inhaltlich zu bewerten. Was im vorliegenden Fall
nur schon in fachlicher Hinsicht ein
Unding wäre, denn sicher waren die
verantwortlich zeichnenden Doktoreltern (Prof. Brigitte Boothe und Dr.
Marc Walter) in ihrer Beurteilung alles
andere als nachlässig.
Nun, das vorliegende Buch ist in seiner fachlichen Dichte – wie erwartet
– schwer lesbar und entsprechend
zeitintensiv. Eine gewisse Portion therapeutisches Wissen und Neugier ist
schon mal vorausgesetzt. Wer sich
aber für Borderlinestörungen interessiert bzw. auch mit Borderline-PatientInnen arbeitet, erhält mit diesem
Werk zunächst eine breite Informationsbasis zur psychiatrisch-diagnostischen Klassifikation der BPS wie auch
zum bisherigen Stand der linguistischen Psychotherapieforschung.
Offenbar wurde bislang das Sprachund das damit verbundene Beziehungsgeschehen von BPS-Patienten
«in seinem eigenen Recht und mit
explorativem, unvoreingenommenem
Blick» nur wenig untersucht. Das
heisst, dass für diesen Bereich noch
keine empirischen Forschungsergebnisse vorliegen. Diese Lücke füllt nun
die aufwendige Studie von Arboleda
und Zschokke mit dem Fokus auf die
inhaltliche und interaktive sprachliche Qualität von Borderline-Patientinnen.
Mittels der Erzählanalyse JAKOB
(www.phil.uzh.ch) und der ethnografischen Gesprächsanalyse nach
Arnulf Deppermann wurden von den
Autorinnen insgesamt 15 transkribierte Psychotherapiesitzungen mit
BPS-Patientinnen systematisch untersucht. Dabei wurden ausschliesslich
der Sitzungsanfang und deren Ende
«als exemplarische Szenen interak-
Humanistische Psychotherapie mit Schwerpunkt Psychodrama
Weiterbildung fürPsychologInnen die den eidgenössisch anerkannten
Fachtitel in Psychotherapie und die kantonale Praxisbewilligung erlangen
wollen. Und fürÄrztInnen, die den Facharzttitel für Psychiatrie und Psychotherapie FMH erlangen wollen.
Start fortlaufend mit den offenen Seminaren und der Einzel-Selbsterfahrung und Supervision an verschiedenen Orten in der Schweiz. Start des
Ausbildungsteils in fester Ausbildungsgruppe im 2016 in Konstanz.
Weitere Informationen und Anfragen: Roger Schaller, Institut für Psychodrama und Aktionsmethoden, www.ipda.ch / [email protected],
Tel. 079 470 48 32
Lina Arboleda, Vania Zschokke:
Die Borderlinestörung gesprächsund erzählanalytisch betrachtet.
Eine linguistisch-empirische Studie. Psychosozial-Verlag, Giessen
2014, 307 Seiten, Fr. 46.90,
ISBN 3-8379-2375-4.
tiver Beziehungsgestaltung und als
besonders vulnerabler Moment der
Beziehungsaufnahme und -lösung»
minutiös aufgeschlüsselt.
Bei aller Unterschiedlichkeit der untersuchten Fälle von Borderlinestörungen schälten sich aufgrund des
Sprachgeschehens und der Beziehungsgestaltung drei erzählanalytische Typen heraus: «Prekäre Verständigung», «Unaussprechliches» und
«Mitteilungsversuch». Ergänzt wurde
die Analyse jeweils durch die Selbsteinschätzung der jeweiligen Patientin
durch Ausfüllen eines Fragebogens
und durch Einbezug von psychotherapeutisch empirischem und statistischem Material.
Die Namen für die drei herausgearbeiteten Gruppen weisen auf die jeweiligen narrativen Ansätze hin, die
dieser sprachbasierten Typologisierung zugrunde liegen. Die akribisch
beschriebenen Fallbeispiele lesen sich
aufschluss- und lehrreich. Dabei wird
die Heterogenität des BP-Störungsbildes von den Autorinnen nicht in Frage gestellt, wohl aber erarbeiteten sie
mit ihren eingehenden, jahrelangen
Untersuchungen eine überzeugen- 
Gelesen
Winnicott heute
Michael Kögler, Eva Busch (Hg.): Übergangsobjekte und Übergangsräume
Michael Kögler, Eva Busch (Hg.):
Übergangsobjekte und Übergangsräume. Winnicotts Konzepte
in der Anwendung. PsychosozialVerlag, Giessen 2014, 205 Seiten,
Fr. 32.40, ISBN 3-8379-2308-8.
Der wohl bekannteste Begriff des
englischen Psychoanalytikers Donald W. Winnicott ist derjenige des
Übergangsobjekts. Er bezeichnet das
erste vom Kind kreierte Objekt wie
den Zipfel eines Tuches oder den
eigenen Daumen. Mit seiner Hilfe
verschafft sich das Kind Zugang zur
äusseren Welt und setzt diese in Beziehung zur inneren.
Der Übergangsraum ist der Raum,
in dem sich Fantasie und Realität
begegnen. In Therapien wird dieser
als Möglichkeitsraum in der Beziehung zwischen Patient und Therapeut nutzbar gemacht. Er entsteht,
wenn das Kleinkind erlebt, dass es
mit seiner zerstörerischen Wut die
Mutter angreifen kann und sie das
überlebt. Überleben heisst: nicht zu-
 de Teil-Differenzierung, die in ihrer
Methodik eventuell individuell-spezifischere Diagnosen und Therapieindikationen ermöglichen könnten. Und
damit therapeutische Erfolge …
Catherine Herriger,
dipl. psych. IAP/SBAP.
rückschlagen oder sich rächen, und
dies Hunderte Male, sodass das Kind
langsam die Realität der Objekte annehmen kann. Erst dann gibt es nicht
mehr das Entweder-oder: die ScheinFantasiewelt oder die als bedrohlich
erlebte Umwelt. Diese Spaltung zu
vermeiden, sei, so Winnicott, eine lebenslange Aufgabe.
In zehn Beiträgen beschreiben Kinder- und Erwachsenen-Psychoanalytiker im Buch, wie sie diese Konzepte
in ihrer Praxis umsetzen. Die meisten Beiträge nehmen Bezug auf den
Übergangsraum.
So wird Identitätsarbeit bei einem
Adoleszenten dargestellt als innerer
Prozess, der eine Mittelstellung einnimmt zwischen innerer Welt und
äusserer Realität.
Die Therapie mit einem vaterlosen,
von der Mutter sehr abhängigen
Mädchen zeigt die Angst vor einem
ödipalen Möglichkeitsraum beim
Übergang von der Mutterwelt zur
Welt des Vaters.
Das Fehlen eines Übergangsraums
wird sichtbar gemacht anhand eines
Erwachsenen-Bindungsinterviews
(AAI) mit einem jugendlichen Gewaltverbrecher. In Verbindung dazu
wird eine Säuglings- und KleinkindTherapie beschrieben, in der einer
Mutter, im Austausch mit der Therapeutin, Raum angeboten wird für
ihre Gefühle, damit sie innerlich freier
werden kann für die Bedürfnisse ihres
Kindes.
Im Rahmen der Friedensinitiative
Friendship Across Borders wird Winnicotts Konzept auch auf Grossgruppen ausgedehnt. Israeli und Palästinenser versuchen mittels Storytelling,
den jeweils andern durch dessen Augen zu sehen.
Ein Autor schildert seine Doppelrolle
bei der Begleitung einer todkranken
Patientin, die weder leben noch sterben konnte. Einerseits indem er ihr
gegenüber zu seinen Gefühlen stand.
Andererseits indem er in der Supervision dem Personal, in dieser äusserst
belastenden Situation, einen Raum
gab für dessen aggressive Fantasien.
Anhand einer sehr schwierigen analytischen Therapie eines Jugendlichen
mit ADHS gelingt es einer Autorin
sehr treffend zu zeigen, was Winnicott mit dem Begriff der «ObjektVerwendung» gemeint haben könnte. In nachvollziehbaren Schritten
arbeitet sie sorgfältig heraus, wie der
sehr verhaltensauffällige Jugendliche
unter der – vorerst verleugneten –
Ablehnung seines Vaters leidet. Sie
schildert, was ein so schwer traumatisiertes Kind seiner Therapeutin an
Häme, Hass, ja Zerstörung immer
wieder zumuten muss, um wieder
Vertrauen in sich selber und andere
zu gewinnen.
Zwei Autoren möchten mit dem «intersubjektiven Ansatz» die Psychoanalyse neu definieren. Das Gelingen
der Behandlung sei im Wesentlichen
dadurch bestimmt, dass der Therapeut sich für die Objektverwendung
zur Verfügung stellen soll. Das schaffe Raum für Neuerfahrungen und
Veränderungen des Selbst. Widerstandsphänomene werden als unverstandene gemeinsame Inszenierung
betrachtet und würden eine sorgfältige Analyse der Gegenübertragung
des Therapeuten erfordern. Leider
wird nicht gesagt, wie die zum grossen Teil unbewusste Übertragung
und Gegenübertragung bewusst
werden kann. Und wie mit starken
Affekten umgegangen wird, die zur
Abfuhr und zum Agieren drängen.
Erwähnt wird allerdings, dass es zum
Rollentausch zwischen Patient und
Therapeut kommen kann.
Im letzten Beitrag wird sehr differenziert auf Winnicott und seine Überlegungen eingegangen. Konzepte, die
ein wichtiger Bestandteil der heutigen Psychoanalyse sind.
Dieses Buch richtet sich vor allem an
Therapeuten. Aber auch an Berater
oder sonst irgendwie Betroffene, die
gerne mehr über diese psychoanalytische Vorgehensweise wissen möchten. Klar beschriebene Beiträge und
vor allem die gut nachvollziehbaren
Konzepte sind sehr anregend für die
oft sehr schwierige therapeutische
Arbeit.
Marianne Zweifel,
Psychoanalytikerin, Zug
29
30
Gelesen
Interdisziplinarität im Gesundheitswesen
Karl Heinz Brisch (Hg.): Bindung und Psychosomatik
Karl Heinz Brisch, Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychiatrie
und Psychotherapie, veranstaltet die
Internationale
Bindungskonferenz,
die jährlich in München stattfindet.
Im Oktober 2013 fand sie zum Thema «Bindung und Psychosomatik»
statt. Dieses Buch versammelt zehn
wissenschaftliche Beiträge zu diesem
Thema.
Die Kapitel greifen themenspezifische
psychosomatische Krankheitsbilder
auf wie Asthma, Anorexie, ADHS,
chronischen Schmerz und Fibromyalgie. Verschiedene Aspekte sowie die
Dynamik im Werdegang des Menschen (Gene, Umwelt usw.) werden
betrachtet und mögliche Zusammenhänge zwischen Psychosomatik
und Bindungsforschung aufgezeigt.
So etwa die Gefahren, die durch
Stress entstehen können oder wenn
Oxytocin während und nach der
Geburt eines Kindes unzureichend
vorhanden ist.
Die Beiträge sind wissenschaftlich
kompakt. Sie zeigen in einer grossen
Spannbreite auf, welche Zusammenhänge in der bio-psycho-sozial-ökologischen Forschung erkannt oder
vermutet werden. Die möglichen therapeutischen Theorien scheinen hier
komplex zu sein. Die Beiträge sind
zum Teil sehr medizinisch ausgerich-
tet, auch die erwähnten Therapie­
möglichkeiten, die mitunter jedoch
noch zu wenig erforscht sind, um als
konkrete Empfehlung ausgegeben zu
werden.
Die Mehrzahl der Beiträge zielt auf die
Prophylaxe: Die Mutter-Kind-Beziehung sollte mehr Beachtung finden,
damit die gesundheitlichen Probleme
bei den nachfolgenden Generationen
gar nicht erst auftreten. Aufgelistet
werden hier Stress, Angst und Depression als mögliche Auswirkungen,
wenn die frühe Mutter-Kind-Bindung
nicht genügend ausgebildet werden
kann.
Das gute Zusammenwirken von ambulanter und stationärer Behandlung
wird ebenso empfohlen wie die interdisziplinäre Vernetzung im psychosozialen Kontext. Die ganze Mischung
von Vermutungen, Untersuchungsresultaten,
Behandlungsmethoden
und -erfahrungen – die Spannbreite reicht von der Kinderchirurgie bis
zu den sozialen Wissenschaften und
zur Politik – wird als gesellschaftlich
nützlich und notwendig erachtet. Die
systemische Denkweise mit der Komplexität in der Lösung bezüglich des
Verhältnisses zwischen Krankheit und
Gesundheit scheint mehrheitlich Fuss
gefasst zu haben. Die konkrete Umsetzung bleibt jedoch noch vage. Mit
Psychodynamisches Denken
Michael Klöpper: Die Dynamik des Psychischen
Psychodynamisches Verstehen ist ein
komplexer und anforderungsreicher
Vorgang, bei dem der Therapeut ständig zu oszillieren hat zwischen der Empathie dem Patienten gegenüber, seiner eigenen Selbstwahrnehmung und
der Reflexion des Wahrgenommenen
vor dem Hintergrund der zahlreichen
metapsychologischen Theorien. Der
Lehranalytiker Klöpper veranschaulicht
diese schrittweise Vernetzung didaktisch gekonnt bereits bei der Gliederung des Kompendiums. So werden
nach einer Einführung ins Thema und
einem breit gefächerten Praxisteil in ei-
nem zentral platzierten Wörterbuch die
wichtigsten Begriffe erläutert. In sich
abgeschlossene Aufsätze im zweiten
Teil des Nachschlagewerkes laden zur
Vertiefung von metatheoretischem und
entwicklungspsychologischem Wissen
ein. Eine didaktische Hilfe sind auch die
Markierungen, welche einerseits auf die
Worterläuterungen im Glossar verweisen und andererseits immer wieder den
Zusammenhang zwischen anschaulich
dargestellten klinischen Beispielen und
wissenschaftlich anerkannten Theorien
herstellen. Damit wird die Möglichkeit
eröffnet, stets zwischen den verschie-
Karl Heinz Brisch (Hg.): Bindung
und Psychosomatik. Klett-Cotta,
Stuttgart 2015, 320 Seiten,
Fr. 59.90, ISBN 3-608-94867-8.
seinen nur minimalen Anregungen
im psychotherapeutischen Bereich
ist das Buch deshalb vor allem interessierten Fachpersonen des Gesundheitswesens zu empfehlen.
Heidi Paulsen,
Psychotherapeutin SBAP.
Gelesen
Gedächtnisinhalte erlebbar machen
Franz Ruppert: Frühes Trauma
Wenn das naturbedingte Bedürfnis nach
umfassender liebevoller Zuwendung,
körperlicher Nähe, anregendem Kontakt, Halt, Geborgenheit und sicherer
Bindung missachtet und damit zutiefst
verletzt ist und sich deshalb in der Folge
Emotionalität, Empfindungs- und Beziehungsfähigkeit nicht natürlich entfalten
konnten, spricht Ruppert von einem
Symbiose- oder Liebes-Trauma.
Im vorliegenden Buch beschäftigen sich
Ruppert und 15 Autorinnen mit den
mehrgenerationalen Traumata. Das
Spektrum erfasst frühe Traumata von
der Zeugung (Marta Thorsheim: gesunde, von Traumatisierten, mit Gewalt; Annemarie Denk: künstliche Befruchtung,
Leihmutterschaft, Alternativen) über
Schwangerschaft aus Sicht der werdenden Mütter und der werdenden Kinder
(Alice Schultze-Kraft: mütterliche Ambivalenz; Doris Brombach: Aufstellungen
mit Kindern; Birgit Assel: Vorsorgeuntersuchungen, Kaiserschnitt), Frühgeburt
(Manuela Specht), Anbindungsprozess
(Dagmar Stauss) sowie Fehl- und Totgeburten, Verlusttrauma (Cordula Schulte), «Psychosen» nach der Geburt (Petra Lardschneider), Kinder und Karriere
(Christina Freund) bis zu den Traumata
durch innerfamiliäre Fremdbetreuung,
etwa durch Grosseltern (Andrea Stoffers), oder ausserfamiliäre wie Adoption
oder Pflegeeltern (Liesel Krüger). EssStörungen und frühem Trauma wird von
Andrea Stoffers und Franz Ruppert je ein
Kapitel gewidmet. Die Kapitel sind mit
Michael Klöpper: Die Dynamik des
Psychischen. Praxishandbuch für
das Verständnis der Beziehungsdynamik. Klett-Cotta, Stuttgart 2014,
389 Seiten, Fr. 59.90,
ISBN 3-608-94868-6.
denen Reflexionsebenen hin und her
zu pendeln.
Im klinischen Teil beschreibt der Facharzt für psychotherapeutische Medizin
ausgewählte Fälle aus seiner reichen
Praxiserfahrung. Bei dieser Gelegenheit
lässt er die LeserInnen an seinem psychodynamischen Denken in der Weise
teilhaben, dass das Wechseln zwischen
den Ebenen bis hin zum Verstehen
Beispielen aus der Aufstellungsarbeit in
den Therapiegruppen der AutorInnen
anschaulich und gut nachvollziehbar
ausgearbeitet. Über die Einzelarbeit berichtet Vivian Broughton.
Die «Aufstellungsarbeit mit dem Anliegen» wird einführend von ihrem
Entwickler Franz Ruppert und auch in
den einzelnen Kapiteln erläutert. Als
zentraler wirksamer Faktor werden das
Erlebbar-Machen und damit das Zusammenführen von impliziten und expliziten
Gedächtnisinhalten beschrieben.
Das Buch besticht durch die sehr persönlichen Schilderungen: Die bezeugte
Verletzbarkeit berührt und beteiligt die
Lesenden emotional. So schreibt Ruppert: «Es hängt von der Sensibilität einer Menschengemeinschaft ab, was sie
als Opfer- und Täterschaft anerkennt.»
Schultze-Kraft beschönigt nichts, wenn
sie sagt: «Die ursprüngliche schmerzvolle Erfahrung kann nicht ungeschehen
gemacht oder in der Therapie ‹korrigiert› werden. Diese Erfahrung ist eine
Realität.» Und an anderer Stelle: «Die
schmerzvolle Erfahrung kann in bestimmten Situationen immer wieder reaktiviert werden oder das ganze Leben
durchziehen mit tiefem Urmisstrauen
und chronischem Stress.»
Deshalb betont Ruppert: «Aus Liebe
entsteht Selbstliebe, Liebe ist zuerst gegen aussen gerichtet und erfordert die
Widerpiegelung des eigenen Liebenswert-Seins durch andere.»
Abschliessend stellt Ruppert einen um-
fassenden Katalog von Präventionsmassnahmen gegen frühe Traumatisierungen (und frühe Interventionen) vor.
Gerade durch seine Praxisorientierung
empfinde ich das Buch als sehr empfehlenswert für alle, die therapeutisch mit
Menschen arbeiten.
Bea Schild,
MSc in Beratung,
eidg. anerkannte Psychotherapeutin
von unbewussten Beziehungsdynamiken gut nachvollziehbar wird. Beeindruckend ist auch, mit welcher erfrischenden Souveränität der erfahrene
Psychoanalytiker mit der Fülle von metapsychologischen Theorien verfährt. Er
stellt die subjektiv getroffene Auswahl
an modernen Konzepten vor, mit der
er arbeitet. Diese wurden vorwiegend
in den letzten beiden Jahrzehnten entwickelt. Sie ergänzen und erweitern die
klassische psychoanalytische Theorie.
Auch bei einem kohärenten Denkmodell bleiben die Herausforderungen des
psychodynamischen Denkens gross.
Der langjährige Supervisor weiss darum, wenn er auf das Nicht-Begreifen
als permanenten Begleiter hinweist.
Gleichzeitig zeigt er auf, dass das interessierte, neugierige Forschen ein
wesentlicher Bestandteil der therapeutischen Haltung darstellt. Er ermutigt, das Suchen nach Bedeutung und
Zusammenhängen fortzusetzen, weil
das Verständnis der Dynamik des Psychischen sowohl bezüglich Diagnostik
wie auch in der Therapie wertvolle Orientierungshilfe bietet. Das Praxishandbuch ist für tiefenpsychologisch arbeitende TherapeutInnen, besonders für
Lernende, konzipiert. Es ist jedoch auch
für interessierte Laien lesenswert.
Barbara Hobi,
Fachpsychologin Psychotherapie SBAP.
Franz Ruppert: Frühes Trauma.
Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensjahre. Klett-Cotta, Stuttgart 2015, 309 Seiten, Fr. 47.90,
ISBN 3-608-89150-1.
31
32
Gelesen
Hochbegabung hautnah
Renate Eichenberger: Fluch oder Segen?
In diesem Buch geht es um einen Jungen mit sehr ungewöhnlichen Begabungen – auch unter den als Hochbegabten taxierten Kindern fällt er
aus dem Rahmen. Sein Leben von der
Geburt bis zum Alter von 13½ Jahren
wird chronologisch und tagebuchartig
von seiner Mutter erzählt. Leider stolpert man im Buch immer wieder über
Fehler. Es ist zudem oft nicht nachvollziehbar, warum gewisse Wörter kursiv
gedruckt sind.
Schon in seinen ersten Lebenswochen
fällt Bastian durch seine Wachheit,
Neugier und seinen Entwicklungsdrang
auf. Mit zwei Jahren kennt er mehrere Buchstaben und kann bald lesen.
Seine hohen Ansprüche an sich fallen
seinen Eltern früh auf. Bastian reagiert
mit heftigen Ausbrüchen und Wut gegen sich selbst, wenn ihm etwas nicht
gelingt. Mit drei Jahren beginnt er sich
die Ziffern beizubringen und löchert
seine Eltern mit Fragen. In diesem Alter kommt er in einen bilingualen (E/D)
Kindergarten, in dem er sehr glücklich
ist. Gegen Ende seines fünften Lebensjahres beginnt Bastian mit ChinesischUnterricht, einem Tanzkurs und Judo.
Mit fünf Jahren wechselt er vom Kindergarten in die ebenfalls bilinguale
Schule und wird nach zwei Wochen in
der ersten Klasse auf Anraten der Lehrpersonen hin in die zweite versetzt.
Bastians Mutter schildert diese ersten
Jahre Kindergarten und Schule sehr
wertschätzend und zeigt damit auf,
dass es möglich ist, einem Kind mit
hohen Begabungen schulisch gerecht
zu werden, wenn man bereit ist, den
Lehrplan dem Kind statt umgekehrt anzupassen. Mit 5½ wird Bastian psychologisch abgeklärt. Die Ergebnisse fallen
extrem hoch aus. Die Autorin Renate
Eichenberger schildert die Thematik
Hochbegabung differenziert. Sie zeigt
auf, dass ein hoher IQ für ein erfolgreiches Leben allein nicht reicht. Es brauche auch Wille und Sozialkompetenz,
beides bei Bastian in hohem Ausmass
vorhanden. Gegen Ende seines sechsten Lebensjahres beginnt er mit Schach
und Spanisch. Bastian erklärt seine aus­
serordentliche Wissensvielfalt so: «Ich
habe viele Schubladen in meinem Kopf.
Jedem dieser Ablagefächer ist ein Themengebiet oder eine Sprache zugeord-
net. Die Schubladen sind beschriftet,
sodass es keine Verwechslungen gibt.
Wenn ich also z.B. Spanisch spreche,
öffne ich die entsprechende Schublade und speichere alles, was neu dazukommt, darin ab. Dann schliesse ich sie
wieder.»
Mit sechs Jahren wechselt er an die Talenta Basel und ist dort schon bald unterfordert und verzweifelt, weil er sich
fragen muss: «Wenn die hochbegabt
sind, was bin dann ich? Warum bin ich
so anders?» Er fühlt sich fehl am Platz
auf der Welt und sagt seinen Eltern,
er wolle sterben. Mit 6½ Jahren wird
bei ihm eine Depression diagnostiziert,
ausgelöst durch eine länger andauernde, permanente schulische Unterforderung. Bastian hierzu: «Ich versuchte,
mich immer noch mehr anzustrengen.
Doch die vielen zumeist sehr einfachen
Aufgaben haben mich mit der Zeit derart gelangweilt, dass ich mich gar nicht
mehr anstrengen konnte.»
Bastians Vater erhält ein Angebot seiner Firma, in Singapur zu arbeiten. Er
und Bastians Mutter ergreifen diese
Gelegenheit beim Schopf und siedeln
für eineinhalb Jahre dorthin um. Bastian kommt in eine bilinguale Schule mit
Chinesisch und Englisch als Unterrichtssprachen. Er geniesst die vielen neuen
Anreize in Singapur extrem. «Er bekam
sein Kopffutter quasi auf der Strasse»,
schreibt seine Mutter. Mit sieben Jahren wird er in die vierte Klasse der Chinese International School eingeteilt.
Bastians besondere Lernbedürfnisse
werden anerkannt. «Akzeptanz, Unterstützung, Verständnis, Hilfsbereitschaft
und Förderung in Singapur statt Vorurteilen, Vorbehalten und Vorwürfen
in der Schweiz», schreibt die Autorin
hierzu. Mit acht Jahren darf Bastian
von der vierten gleich in die sechste
Klasse wechseln und wird fortan in der
chinesischen Native-Speaking-Gruppe
unterrichtet.
Mit 8½ lässt der Reiz des Neuen langsam
nach, Bastians Vater verliert seine Stelle, und die Familie kehrt in die Schweiz
zurück. Bastian erhält Privatunterricht,
weil seine Eltern den Glauben an eine
Schweizer Schule, die wirklich auf ihn
eingehen würde, verloren haben. Bastian: «Zum ersten Mal kann ich richtig
lernen. Endlich stört mich niemand.»
Renate Eichenberger: Fluch oder
Segen? Das Leben mit einem
hochbegabten Kind. Tredition,
Hamburg 2014, 332 Seiten, Fr.
36.90, ISBN 3-8495-8616-2.
Der Kanton übernimmt einen Teil der
Kosten von Bastians privater Schulung.
Mit zehn Jahren absolviert er erste Teile
der britischen Matur und besteht sie. Er
kommt für einen Teil des Stoffes in eine
Klasse mit Leuten zwischen 16 und 23
Jahren. Der Rest wird weiterhin im Einzelunterricht vermittelt. Mit elf Jahren
muss Bastian zum ersten Mal in seinem
Leben für die Schule wirklich büffeln,
was er nicht gewohnt ist. Er beginnt an
sich zu zweifeln, ob er wirklich so intelligent sei. «Mit 11 Jahren und 8 Monaten war Bastian klar geworden, dass
auch ein begabter Mensch auf etwas
hinarbeiten durfte, um Erfolg zu haben,
ohne deswegen weniger klug zu sein.»
Mit 12½ wird Bastian im Judo in die
Gruppe der U15-Talente aufgenommen. Parallel zur Schule hatte er immer
intensiv Sport getrieben und Sprachen
gelernt, zum Beispiel Rätoromanisch.
Das ganze Buch hindurch findet Bastian keine Freunde, was seine Eltern betroffen macht. Seine sozial-emotionale
Entwicklung hält allgemein mit seiner
kognitiven Begabung mit: «Er war
schon immer sehr einfühlsam, konnte
sich gut den unterschiedlichsten Situationen und Menschen anpassen und war
sich seiner Bedürfnisse immer bewusst. 
Gelesen
Demenz – eine Wegbeschreibung
Pauline Boss: Da und doch so fern
Dieses Buch ist eine Wegbeschreibung für die mühsame Reise mit
Demenz in neun Kapiteln, wobei das
Kapitel «Sieben Richtlinien für die
Reise» konkrete Hilfe aufzeigt. Dieses Wissen sowie Beratung können
Angehörigen und dem Umfeld von
an Demenz Erkrankten helfen, die
schwierige Situation zu meistern.
Zentraler Begriff des Buches ist jener
des «Ambiguous Loss», des uneindeutigen Verlusts. Verlust mit schleichendem Beginn und ohne eindeutiges Ende bedeutet unter anderem
Abschiednehmen von der Persönlichkeit des oder der Demenzkranken,
der Kommunikation, dem gegenseitigen Mitdenken. Die Hilflosigkeit und
die Ängste der Angehörigen werden
im Umfeld oft nicht erkannt oder
stos­sen auf Unverständnis.
Zentral ist die nicht endende Trauer
über den laufenden Abschied. Diese
wird oft – völlig zu Unrecht – als Depression ausgelegt. Die Trauer soll zugelassen und kommuniziert werden.
Stirbt ein Angehöriger, erlebt man
Mitgefühl. Demenz wird dagegen oft
verharmlost, die Trauer nicht erlaubt,
weil die Person ja noch da ist. Daraus
entstehen Einsamkeit, Hilflosigkeit,
Scham und das Gefühl, nicht verstanden zu sein. Soziale Kontakte auch
mit anderen Betroffenen, Aktivitäten
und Rituale dagegen geben Kraft.
Strategien helfen, Stress durch verbesserte Resilienz abzubauen und
durch Oasen Ordnung in die Gedanken zu bringen und so den Kontrollverlust zu verarbeiten. Wer zudem
ein Sowohl-als-auch-Denken entwickelt, kann lernen, dass Ab- und Anwesenheit koexistieren. Dazu gehört,
sich vom Bisherigen zu verabschieden
und die Person anzunehmen, wie sie
jetzt ist. So können Wut und Schuldgefühle zusammen mit Liebesgefühlen gelebt werden. Dies ist auch ein
Schritt dazu, sich selbst wieder als
eigene Persönlichkeiten mit Bedürfnissen, Freundschaften, Visionen und
Träumen wahrzunehmen.
Die Beziehungsfrage ist zentral,
trotzdem wird sie oft vergessen oder
tabuisiert. «Darf ich eine neue Partnerschaft eingehen, solange der Demente noch da ist?» oder «Bin ich
noch Tochter, wenn ich meine Mutter
bemuttere?». Antworten muss jeder
selber finden, die Kernbotschaft von
Pauline Boss ist, dass man sich vom
Perfektionsanspruch in der Beziehung
verabschieden muss. Unklarer Verlust
führt immer zu Problemen.
Das Buch hat eine klare Titelstruktur
und am Ende jedes Kapitels Punkte zur Reflexion und Diskussion. So
eignet es sich auch als Handbuch,
das man bei aktuellen Anliegen konsultieren kann. Es ist Angehörigen,
Pauline Boss: Da und doch so fern.
Vom liebevollen Umgang mit Demenzkranken.
Rüffer & Rub Verlag, Zürich 2014,
240 Seiten, Fr. 37.90,
ISBN 3-907625-74-9.
dem weiteren Umfeld von Demenz­
erkrankten und allen, die an Gerontopsychologie interessiert sind, zu
empfehlen.
Sibylle Wasserfallen,
MSc 2. Semester, Dep. P ZHAW
Seminar
7. Zürcher Traumatage
9. Schweizer Bildungsfestival
Trauma in der
Paarbeziehung
Chronische Schmerzen
Aggression, Depression
und Lebendigkeit
Michaela Huber (DE)
Dr. Catherine Kerr (USA)
Dr. Peter A. Levine (USA)
Dr. Maggie Phillips (USA)
24. - 25. August 2015
26. - 28. Juni 2015
Heilsame Ressourcen und Grenzen
Dr. Peter A. Levine (USA)
Lisa Sokolov (USA)
Dr. Anngwyn St. Just (USA)
20. - 23. August 2015 in Weggis
Zentrum für Innere ÖkologIe
Zwinglistrasse 21 | 8004 Zürich | tel: 044 218 80 80 | [email protected] | www.traumahealing.ch
 Er hat ein grosses Herz», schreibt seine
Mutter. Glücklich darüber, dass er begabter ist als andere Leute, ist Bastian
bis heute nicht.
Zwei Plädoyers von Renate Eichenberger:
1. Entweder anerkenne unsere Gesell-
schaft Hochbegabte und fördere sie
ohne Wenn und Aber, oder man lasse
diese ungeheuren Fähigkeiten ungenutzt und rekrutiere Fachkräfte aus
dem Ausland.
2. Wenn Hochbegabte sich als Besserwisser positionieren und den ande-
ren das Gefühl vermitteln, diese seien
dumm, schiessen sie sich selber ins Abseits. Es gibt jedoch viele hochbegabte
Menschen, auf die die Besserwisserei
nicht zutrifft.
Ania Chumachenco,
Fachpsychologin für Kinder
und Jugendliche SBAP.
33
34
Gelesen
Alternde Gesellschaft
Ursula von Kieckebusch: Psychologische Demenzdiagnostik
Gemäss BFS wird sich die Zahl dementer Menschen in der Schweiz von
aktuell gut 100 000 im Jahr 2030 auf
200 000 und bis 2050 auf 300 000
vervielfachen. Das Thema Demenz
wird uns also immer mehr beschäftigen. In ihrem Buch «Psychologische
Demenzdiagnostik» bietet Ursula
von Kieckebusch nicht nur eine gute
Übersicht über Tests und Screenings,
sondern stellt die verschiedenen Demenzformen und Beeinträchtigungen von psychischen Funktionen dar.
Verbindungen zu neurologischen Befunden werden dabei – so weit wie
möglich – dargestellt.
Zirka 70 Tests und Screenings werden
in den drei Kapiteln «Demenzerfassung», «Tests für kognitive Funktionen» und «Veränderungen der Persönlichkeit» vorgestellt. Tabellarisch
werden Tests mit Angaben zur Normierung, Validität, Empfehlung und
Kritik aufgelistet. Kritisiert werden die
oft ungenügenden Kontrollgruppen,
die fehlende Normierung für höhere
Alter und die mangelnde Repräsentativität.
Auch der Einsatzbereich der Werkzeuge wird eingehend dargestellt,
sogar über die Möglichkeiten, (in
Deutschland) mit der Krankenkasse
abzurechnen, und über die so von
Vertreibern beworbenen Einkommenssteigerungen wird berichtet.
In einem Kapitel über Gutachten
werden Fragestellungen zu Fahreignungsdiagnostik, Waffenbesitz und
rechtlicher Betreuung – entspricht der
schweizerischen Beistandschaft – gestreift.
Die Situation in Deutschland ist mit
der Schweiz vergleichbar. Mit dem
neuen Erwachsenenschutzrecht wurde den Behörden die Aufgabe zuteil,
über fürsorgerische Unterbringung
(geschlossene Abteilungen) zu entscheiden, Handlungsunfähigkeit fest-­
Ursula von Kieckebusch: Psychologische Demenzdiagnostik.
Ernst Reinhardt Verlag, München
2010, 240 Seiten, Fr. 36.90,
ISBN 3-497-02173-3.
psychotherapieausbildung.ch
Institut für Ökologisch-systemische Therapie
Weiterbildung in Psychotherapie
mit systemischem Schwerpunkt
Anerkannte postgraduale Weiterbildung von BAG, FSP, SBAP,
SGPP, Systemis.ch und der Gesundheitsdirektion des Kt. Zürich.
Die Anforderungen der SGKJPP sind erfüllt.
Beginn: Sommer 2016
Einführungskurs: 7. – 8. März 2016
Weiterbildung in systemischer Paartherapie
7 Module und Supervision, 14 Monate
Beginn: 17. September 2015
Fortbildungskurse
22. – 23.06.2015: Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust …
Manfred Prior
28. – 29.09.2015: Klärungsorientierte Paartherapie
Gregor C. Müller
29. – 31.10.2015: Systemtherapie und transkulturelles Arbeiten
Jochen Binder
24. – 25.11.2015: Im Konflikt und doch verbunden
Jürg Liechti
Weiter- und Fortbildung in systemischer Therapie
Klosbachstrasse 123, CH-8032 Zürich, +41 (0)44 252 32 42
[email protected]; www.psychotherapieausbildung.ch
zustellen und Beistandschaften zu
errichten. Das neue Recht fordert
interdisziplinäre Behörden, doch Psychologen sind hier noch dünn gesät
– in der Schweiz sind insgesamt kaum
ein Dutzend PsychologInnen als Behördenmitglieder in den KESB tätig)
–, und die Testwerkzeuge sind mangelhaft.
Das Buch zeigt den Stand der Testmöglichkeiten, den Bedarf an psychologischer Diagnostik und auch
an gesicherten Testinstrumenten. Es
werden nicht nur die Lücken klar aufgezeigt, sondern viele Testverfahren
vorgestellt. Das Buch wendet sich an
Fachleute, die mit alten und dementen Menschen arbeiten und diese abklären. Es hilft, sich der Grundsätze
und der (oft fehlenden) Grundlagen
bewusst zu werden.
Georg Lachenmeier,
Behördenmitglied KESB
der Stadt Zürich,
Psychologe SBAP.
Gelesen
Die Problemfokussierung verändern
Elvira Muffler: Kommunikation in der Psychoonkologie
Elvira Muffler (Hg.): Kommunikation in der Psychoonkologie. Der
hypnosystemische Ansatz.
Carl-Auer-Verlag, Heidelberg
2015, 240 Seiten, Fr. 37.90,
ISBN 3-8497-0062-3.
«Warum ich?», fragt sich der Krebspatient, die Krebspatientin. Rund 37 000
Menschen erkranken jährlich in der
Schweiz an Krebs, und etwa 16 000
sterben daran. Krebs ist nach den
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
die
zweithäufigste Todesursache und gehört zu jenen Krankheitsgruppen, die
für die meisten «verlorenen Lebensjahre» verantwortlich sind1.
Seit einigen Jahrzehnten fragen sich
Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen
und Wissenschaftler, wie Menschen
mit ihrer Krebsdiagnose leben, woher sie noch Lebensqualität erhalten,
wie ihre Symptome durch nichtmedi1 Föderation der Schweizer Psychologinnen
und Psychologen (FSP, 2008), http://www.
psychologie.ch/fileadmin/user_upload/dokumente/fsp-doks/14.07.08_leit_Leitlinien_D.
pdf; Bundesamt für Statistik (Stand der Daten:
27.5.2014), http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/
de/index/themen/00/09/blank/ind42.informations.420018.420005.html; Verlorene potenzielle
Lebensjahre sind Lebensjahre, die in einem Kalenderjahr durch Todesfälle vor dem vollendeten 70.
Altersjahr verloren gehen. Berechnungsgrundlage
bildet die Summe aller Differenzen zwischen dem
Todesalter der einzelnen Verstorbenen und einem
definitorisch festgelegten Referenzalter von 70
Jahren.
kamentöse Interventionen gelindert
werden können oder wie es ihren
Angehörigen mit der Diagnose geht.
Die Psychoonkologie gibt es in der
Schweiz seit 30 Jahren, und seit mehr
als 10 Jahren existiert die Schweizerische Gesellschaft für Psychoonkologie (SGPO)2. Dieses interdisziplinäre Gebiet umfasst grundsätzlich
die psychosoziale und psychotherapeutische Betreuung und Beratung
von KrebspatientInnen. Ziel dabei
ist es immer, die Bewältigungskompetenzen der Betroffenen und ihres
persönlichen Umfelds in allen Krankheitsstadien zu stärken.
Das noch recht junge Gebiet hat der
Onkologie gutgetan: So berichtete Prof. Jakob Passweg, Präsident
der Krebsliga Schweiz, anlässlich der
Jahrestagung 2013 der SGPO, dass
der Kampf gegen Krebs vielfach mit
geradezu kriegerischem Vokabular
geführt worden sei. Dass heute eine
andere Sprache gepflegt werde, sei
der Psychoonkologie zu verdanken.
Sie habe ihn die Bedeutung der Kommunikation gelehrt.3
In der Psychoonkologie bilden auch
Ansätze aus der klinischen Psychologie Grundlage solcher Interventionen
– zum Beispiel die hypnosystemische
Therapie. Der Carl-Auer-Verlag hat
erst kürzlich zu diesem Thema den
Sammelband «Kommunikation in
der Psychoonkologie» der Herausgeberin und Autorin Elvira Muffler auf
den Markt gebracht. Die deutsche
Therapeutin mit breiter Erfahrung in
2 http://www.psychoonkologie.ch
3 Tagesbericht der SGPO (2013);
http://www.psychoonkologie.ch/media/
downloads/SGPO_Tagungsbericht.pdf
der Leitung von ambulanten Krebsberatungsstellen sowie in psychoonkologischer Beratung und Therapie
steht der Hypnotherapie von Milton
H. Erickson nahe. Darin spielt die ressourcenorientierte und wertschätzende Haltung dem Patienten und seinen
Symptomen gegenüber eine bedeutende Rolle. Diesen Ansatz kombinierte Muffler mit den Strategien der
systemischen Therapie und bietet
damit eine wichtige kommunikative
Methode, um PatientInnen und ihre
Angehörigen in einer sie körperlich,
psychisch und sozial aussergewöhnlich belastenden Zeit wirkungsvoll zu
begleiten.
Ein zentraler Aspekt der Hypnotherapie und der hypnosystemischen
Kommunikation ist die Suggestion,
wobei Muffler darauf hinweist, dass
der Begriff in der englischen Wortbedeutung suggestion = Vorschlag verstanden werden sollte. Denn es sind
besonders die suggestiven Wirkungen der verbalen und nonverbalen
Kommunikation, die innerhalb dieses
Ansatzes die ressourcenorientierte
Neu-Konstruktion «von all dem, was
im kranken Menschen wirkt», vielfältig unterstützen kann.
In 13 sehr lehrreichen und spannenden Kapiteln beschreibt das Buch
unter anderem die Grundlagen der
hypnosystemischen Kommunikation
an Beispielen aus Therapie und Beratung, die hypnotherapeutische Vorgehensweise bei KrebspatientInnen,
die Wirkung ärztlicher Kommunikation oder wie sich die Vorstellungskraft
auf Heilung, Krankheit und Tod auswirken kann.
Verena Berchtold-Ledergerber
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SBAP.-Agenda
11.06.2015
Betriebsbesichtigung: FREITAG lab. AG, Binzmühle 170B, 8050 Zürich
Beginn: 16.00 Uhr – Besichtigung dauert 1½ Stunden.
Anmeldungen an: [email protected] – Teilnehmerzahl ist limitiert.
Gäste sind willkommen. Für Mitglieder kostenlos – Gäste CHF 20
28.10.2015 SBAP. Ethik-Forum: 19–21 Uhr.
Geschäftsstelle SBAP., Konradstrasse 20, 8005 Zürich
Redaktion/rédaction:
Lianne Fravi (Redaktionsleitung)
Heloisa Martino (Produktionsleitung)
Heinz Marty
Beat Honegger
Gülbin Erogul (Anzeigenleitung)
Autoren/auteurs:
Verena Berchtold-Ledergerber
Birgit Blohmann
Bundesamt für Polizei,
Abt. Kommunikation & Medien
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Gülbin Erogul
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Barbara Hobi
Beat Honegger
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Georg Lachenmeier
Heloisa Martino
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Inserate/Beilagen/annonces:
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Auflage/édition:
1500 Exemplare/exemplaires
Redaktionsschluss/bouclage:
Nr. 3/2015:
10. Juli/juillet 2015
Layout:
Helmut Estermann
Druck und Ausrüsten/imprimé:
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Lektorat/lectorat:
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Konzept und Gestaltung/concept:
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ISSN 1662-1778