Zur WKB-Näherung für Lösungen gewöhnlicher

Masterarbeit
Zur WKB-Näherung für Lösungen gewöhnlicher
Differentialgleichungen einer komplexen
Veränderlichen
vorgelegt von
Philipp Schmitz
betreut durch
Prof. Dr. Carsten Trunk
Technische Universität Ilmenau
Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften
Fachgebiet für angewandte Funktionalanalysis
September 2015
Ich versichere hiermit, dass die vorliegende Masterarbeit selbstständig verfasst und keine
weiteren als die angegebenen Hilfsmittel benutzt sowie die Stellen der Arbeit, die in anderen
Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, durch Angaben der Quellen
sichtbar gemacht wurden.
Ilmenau, 10. September 2015
Ort, Datum
Philipp Schmitz
Kurzfassung
In der vorliegenden Arbeit wird für Lösungen gewöhnlicher, linearer Differentialgleichungen
zweiter Ordnung der Form f 00 = (p + q)f das Wachstumsverhalten mit Hilfe der WKBNäherung untersucht. Neben Problemen entlang der reellen Achse werden insbesondere Differentialgleichungen innerhalb einfach zusammenhängender Gebiete betrachtet. Ein Schwerpunkt
ist die Konstruktion von Fehlerschranken für die WKB-Näherungen. Dieses Problem wird auf
eine Volterra-Integralgleichung zurückgeführt, wobei in dieser Arbeit eine Aussage über das
Wachstumsverhalten von Lösungen bewiesen wird. Die Resultate der WKB-Methode werden
für den Fall polynomieller Koeffizienten angewendet. Dabei werden Lösungen konstruiert, die
in bestimmten Bereichen (Stokes wedges und Stokes lines) der komplexen Zahlenebene mit
exponentieller Geschwindigkeit wachsen beziehungsweise gegen Null konvergieren. Dieser Fall
spielt eine herausragende Rolle in der sogenannten PT -Quantenmechanik.
Abstract
In this thesis we study ordinary linear differential equations f 00 = (p + q)f . By means of
WKB-approximation the asymptotic behaviour of solutions is investigated. The differential
equation is defined on a simply connected domain with analytic functions p and q. One aim is
to construct bounds for the WKB-approximation. This is done by solving a Volterra integral
equation. As an application we use the WKB-method for polynomial coefficients p and q.
This situation is currently intensive studied in Theoretical Physics (so called PT quantum
mechanics). We obtain solutions which exponentially decay or exponentially diverge in a
certain area (Stokes wedges and Stokes lines) of the complex plane.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1
2 Grundlagen
5
2.1
Analytische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
2.2
Differentialgleichungssysteme einer reellen Veränderlichen . . . . . . . . . . .
8
2.3
Differentialgleichungen höherer Ordnung einer reellen Veränderlichen . . . . .
9
2.4
Differentialgleichungssysteme einer komplexen Veränderlichen . . . . . . . . .
9
2.5
Differentialgleichungen höherer Ordnung einer komplexen Veränderlichen
. .
3 Die WKB-Näherung
13
15
3.1
Die WKB-Näherung für reelle Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
3.2
Die WKB-Näherung für komplexe Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen Koeffizienten
45
Symbolverzeichnis
59
Literaturverzeichnis
61
vii
1 Einleitung
In der vorliegenden Arbeit untersuchen wir für gewöhnliche, lineare Differentialgleichungen
der Form
f 00 (x) = p(x) + q(x) f (x)
(1.1)
das Wachstumsverhalten von Lösungen mit Hilfe der WKB-Näherung. Dabei liegt das Hauptaugenmerk neben Problemen entlang der reellen Achse (reeller Fall) auf der Betrachtung der
Differentialgleichung (1.1) in einfach zusammenhängenden Gebieten der komplexen Zahlenebene (komplexer Fall) mit analytischen Koeffizientenfunktionen p und q. Inspiriert von
den Ausführungen in F. Olver [39] betrachten wir eine Methode zur Erweiterung der WKBNäherung für Differentialgleichungen zweiter Ordnung einer komplexen Veränderlichen.
Neben dem klassischen Einsatz in der Quantenmechanik zur Bestimmung von Lösungen der Schrödingergleichung, beispielsweise beim Tunneleffekt (vergleiche [23, 24]), liefert
insbesondere die komplexe WKB-Methode eine Anwendung für die Untersuchung von sogenannten PT -symmetrischen Quantensystemen, siehe [17, 21]. PT -symmetrische Modelle
zeichnen sich dadurch aus, dass die Bedingung der Hermitizität des zugehörigen Hamiltonoperators durch die schwächere Voraussetzung der PT -Symmetrie ersetzt wird. P ist dabei
die Raumreflektion und T die Zeitumkehr, wobei PT -Symmetrie die Kommutativität des
Hamiltonoperators mit Raum-Zeit-Umkehr PT charakterisiert. Dieses Konzept wurde 1998
erstmals von C. M. Bender und S. Boettcher in ihrer Arbeit [7] vorgestellt. Diese Veröffentlichung bildet die Grundlage zahlreicher neuer Untersuchungen. So wurden zum Beispiel
PT -symmetrische Störungen hermitescher Operatoren in [2, 11, 12, 13] betrachtet, Erweiterungstheorie wurde in [1, 3, 4, 5, 6, 31] auf PT -symmetrische Operatoren angewandt und
PT -Symmetrie wurde in den Arbeiten [6, 32, 36] im Kontext selbstadjungierter Operatoren
im Kreinraum studiert. Außerdem wurden Untersuchungen mittels asymptotischer Methoden
ähnlich zur WKB-Näherung in [44, 45] durchgeführt. Für einen Überblick über den Stand
der Forschung verweisen wir auf [8, 35, 37].
Von besonderem Interesse ist die Lage der Spektren PT -symmetrischer Hamiltonoperatoren,
insbesondere die Frage, ob die Eigenwerte reell und positiv sind. Eine in diesem Zusammenhang
häufig studierte Klasse PT -symmetrischer Hamiltonoperatoren ist, vergleiche [7],
H=−
d2
− (ix)N
dx2
(1.2)
mit einer reellen Konstanten N . Für das assoziierte Eigenwertproblem ergibt sich die Diffe-
1
1 Einleitung
rentialgleichung
−y 00 (z) − (iz)N y(z) = λy(z),
z∈Γ
(1.3)
mit einem komplexen Eigenwertparameter λ, wobei Γ eine Kurve in der komplexen Zahlenebene
darstellt. Bereits in [7] wurde vermutet, dass sich für PT -symmetrische Probleme der Form
(1.2) das gesamte Spektrum auf der reellen Achse befindet. In [17] wurde für diese Vermutung
ein Beweis vorgestellt. Für den speziellen Fall N = 3 und Γ = R wurde von I. Giordanlli
und M. Graf in [21] mit Hilfe der WKB-Methode für den zugehörigen Hamiltonoperator die
Positivität des Punktspektrums mathematisch rigoros nachgewiesen.
Namensgebend für die WKB-Näherung sind die Physikern G. Wentzel [50], H. Kramers [30]
und L. Brillouin [10], welche diese Technik unabhängig in ihren im Jahr 1926 veröffentlichen
Arbeiten zur Quantenmechanik über Lösung der Schrödingergleichung nutzten. Das dortige
Verfahren ähnelt dem in einer früheren Arbeit von H. Jeffreys [29] aus dem Jahr 1924,
weshalb diese Methode inzwischen auch als JWKB-Näherung bezeichnet wird. Neben diversen
Permutationen der Initialen existieren außerdem weitere Bezeichnungen. So findet sich diese
Näherung bereits in unabhängigen Arbeiten von J. Liouville [33] und G. Green [22], weswegen
einige Autoren, darunter auch F. Olver, die Bezeichnung Liouville-Green-Approximation
bevorzugen. Neben den genannten Personen verwendeten bereits F. Carlini in seiner Abhandlung über die Himmelsmechanik [14], Baron Rayleigh [41] und R. Gans [20] in ihren
Arbeiten sowie W. Heisenberg [25] in seiner Dissertationschrifft über Strömungsmechanik zur
WKB-Näherung ähnliche Methoden.
Ausgangspunkt für die WKB-Näherung ist die Konstruktion von Lösungen für die Differentialgleichung (1.1) der Form
− 1
f (x) = p(x)
4
exp ±
Z x
p(y)
1
2
dy (1 + R(x))
(1.4)
x0
mit einer von den Funktionen p und q abhängigen Funktion R. Neben weiteren Voraussetzungen
darf hier p keine Nullstellen besitzen. Durch Streichung des Terms R(x) in (1.4) erhält man
Approximationen von Lösungen der Differentialgleichung (1.1), welche als WKB-Näherungen
bezeichnet werden. Wie gut diese Approximationen das Verhalten der tatsächlichen Lösungen
widerspiegeln, hängt dabei von der Funktion R ab. Von besonderem Interesse ist dabei die
Untersuchung der Güte dieser Näherungsmethode mittels Konstruktion von Schranken für
die Funktion R. In der vorliegenden Arbeit werden sowohl im reellen als auch im komplexen
Fall für R Schranken der Form
Z x
|R(x)| ≤ exp
|E(y)| dy − 1
(1.5)
a
nachgewiesen. Dabei hängt die Funktion E von den Koeffizienten p und q ab. Anders als im
reellen Fall gilt die Abschätzung (1.5) nur entlang bestimmter Wege.
2
In dieser Arbeit wird das Vorgehen vom F. Olver erweitert. Während bei F. Olver im reellen
Fall vorausgesetzt wird, dass der Koeffizient p nur positive beziehungsweise nur negative Werte
annimmt, erlaubt unsere Vorgehensweise, dass p von der Form p = µ · r ist mit einer positiven
Funktion r und einer komplexen Zahl µ 6= 0. Diese Verallgemeinerung zeichnet sich dadurch
aus, dass sie direkt für Untersuchung von Eigenwertproblemen der Form f 00 = (µ + q)f einer
reellen Veränderlichen mit dem komplexen Eigenwertparameter µ anwendbar ist. Die komplexe
WKB-Methode hingegen lässt sich auf PT -symmetrischen Problemen wie in (1.3) anwenden.
So untersuchen wir in dieser Arbeit für die Differentialgleichung (1.1) mit Polynomen p und q
in der komplexen Ebene das Wachstumsverhalten von Lösungen mit Hilfe der WKB-Methode.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten Kapitel wiederholen wir
grundlegende Aussagen der Funktionentheorie sowie der Lösungstheorie linearer Differntialgleichungen. Ein Schwerpunkt bilden dabei Differentialgleichungssysteme einer komplexen
Veränderlichen über einfach zusammenhängenden Gebieten. Anschließend vollziehen wir im
zweiten Kapitel in Anlehnung an [39] für die Differentialgleichung (1.1) die Konstruktion von
Lösungen der Form (1.4). Die Abschätzung der Funktion R kann dabei auf eine VolterraIntegralgleichung zurückgeführt werden. Ein zentraler Satz dieser Arbeit ist eine Aussage über
Volterra-Integralgleichungen und die Existenz von Lösungen sowie deren Wachstumsverhalten.
Im Hinblick auf die Differentialgleichung (1.1) einer reellen Veränderlichen wird in dieser
Arbeit das Vorgehen von F. Olver erweitert. Insbesondere behandeln wir neben positiven
beziehungsweise negativen Koeffizientenfunktionen p wie in [39] auch den allgemeineren
Fall p = µ · r mit einer komplexen Konstante µ ∈ C \ {0} und einer positiven Funktion
r. Im letzten Kapitel wenden wir die Resultate der komplexen WKB-Näherung auf lineare
Differentialgleichungen der Form
00
f (z) =
n
αz +
m
X
!
ak z
k
f (z),
z∈C
(1.6)
k=0
mit polynomiellen Koeffizientenfunktionen an. Dabei sind α eine positive Konstante, n ≥ 3
eine natürliche Zahl und m <
n
2
− 1 eine nichtnegative, ganze Zahl. Durch eine Substitution
lässt sich (1.3) im Fall einer natürlichen Zahl N in die Form (1.6) überführen. Ähnlich wie in
[21], wo der Fall α = 1, n = 3 und m = 0 betrachtet wurde, lässt sich nun (1.6) behandeln.
Dazu zerteilen wir die komplexe Zahlenebene in die offene Sektoren
S` =
e
2iπ`
n+2
π
y ∈ C \ {0} | arg(y)| <
,
n+2
` ∈ {0, . . . , n + 1}.
Die Sektoren S` heißten auch Stokes wedges (vergleiche [7, 45]). Wir erhalten Lösungen
f0 , . . . , fn+1 der Differentialgleichung (1.6), sodass die Funktion f` für ` ∈ {0, . . . , n + 1}
jeweils innerhalb des Sektors S` mit exponentieller Geschwindigkeit für z → ∞ gegen Null
konvergiert, während sie in den beiden benachbarten Sektoren für z → ∞ exponentiell wächst.
Dieses Resultat bestätigt die Ergebnisse von K. Shin [45] bezüglich der Differentialgleichung
3
1 Einleitung
(1.6), welche auf einer asymptotischen Abschätzung aus dem Buch [46] von Y. Sibuya basieren.
4
2 Grundlagen
2.1 Analytische Funktionen
Dieser Abschnitt ist der Wiederholung einiger Begriffe und Aussagen bezüglich analytischer
Funktionen gewidmet. Mit A(U, C) bezeichnen wir in dieser Arbeit für eine offene Teilmenge
U der komplexen Zahlen den Raum aller analytischen Funktionen f : U → C. Betrachtet
man für ein einfach zusammenhängendes Gebiet D ⊂ C eine analytische Funktion f : D → C
so erhält man als Folgerung des Cauchyschen Integralsatz (unter anderen in [9]), dass für
einen Weg γ in D, also eine stetige Abbildung γ : [0, 1] → D, das Wegintegral über f nur von
den Anfangs- und Endpunkten des Weges γ abhängt. Diese Voraussetzungen rechtfertigen für
zwei Punkte z, z0 ∈ D die im Folgenden verwendete Notation
Z z
f (y) dy
(2.1)
z0
für das Wegintegral entlang eines Weges zwischen beiden Punkten innerhalb des einfach
zusammenhängenden Gebietes, wobei wir auf die explizite Angabe des Weges verzichten.
Fasst man das Integral (2.1) für festes z0 ∈ D als Funktion F : D → C in Abhängigkeit von
z ∈ D auf, so ist F analytisch mit der Ableitung F 0 = f .
Da wir in Abschnitt 2.4 lineare Differentialgleichungssysteme einer komplexen Veränderlichen betrachten, erinnern wir an dieser Stelle an den Identitätssatz analytische Funktionen,
siehe zum Beispiel in [15]. Dieser spielt eine entscheidende Rolle beim Nachweis der Eindeutigkeit einer Lösungen von Anfangswertproblemen.
Satz 2.1 Es seien D ⊂ C ein Gebiet und f, g : D → C analytische Funktion. Besitzt die
Koinzidenzmenge { z ∈ D | f (z) = g(z) } einen Häufungspunkt in D, so sind f und g in D
identisch. Insbesondere sind beide Funktionen identisch, wenn sie in einer nichtleeren, offenen
Teilmenge von D übereinstimmen.
Eine weitere wichtige Eigenschaft analytischer Funktionen ist die Möglichkeit, dass diese
unter bestimmten Voraussetzungen analytisch auf einen größeren Definitionsbereich fortgesetzt
werden können. Eine hinreichende Bedingung unter der eine analytische Fortsetzung existiert
liefert beispielsweise der Monodromiesatz, den wir aus [42, Chapter 16] zitieren.
Satz 2.2 Es seien D ⊂ C ein einfach zusammenhängendes Gebiet und B0 = Br (z0 ) eine
offene Kugel in D mit Radius r > 0 um den Punkt z0 ∈ D. Weiterhin sei f0 : Br (z0 ) → C
eine analytische Funktion. Für jeden Weg γ : [0, 1] → D, der in γ(0) = z0 startet, existieren
5
2 Grundlagen
eine endliche Zerlegung 0 = s0 < s1 < · · · < sn = 1 mit n ∈ N und analytische Funktionen
fk : Bk → C mit offenen Kugeln Bk ⊂ D für k = 1, . . . , n, sodass
(i) γ([sk , sk+1 ]) ⊂ Bk für k = 0, . . . , n − 1,
(ii) Bk ∩ Bk+1 ist nichtleer und fk (z) = fk+1 (z) für alle z ∈ Bk ∩ Bk+1 und k = 0, . . . , n − 1.
Dann gibt es eine analytische Funktion g : D → C, welche innerhalb der Kugel B0 mit f0
übereinstimmt.
Ebenso benötigen wir die Aussage des nachfolgenden Satzes. Dieser ist Bestandteil des
Weierstraßschen Konvergenzsatz, siehe zum Beispiel in [28].
Satz 2.3 Es seien U ⊂ C offen, f : U → C eine stetige Funktion und (fn )n∈N eine Folge
in U analytischer Funktionen. Die Folge (fn )n∈N konvergiere lokal gleichmäßig gegen f , das
heißt für jedes z ∈ U existiere eine Umgebung von z, in welcher die Folge (fn )n∈N gleichmäßig
gegen f konvergiere. Dann ist f in U analytisch.
Wie bei stetig differenzierbare Abbildungen zwischen endlichdimensionalen, reellen Vektorräumen gelten für analytische Funktionen ähnliche Aussagen bezüglich ihrer Invertierbarkeit.
Wir zitieren die entsprechende Aussage aus [15, Kapitel I, Satz 5.7].
Satz 2.4 Es seien U ⊂ C eine offene Menge und f : U → C eine analytische Funktion. Für
z0 ∈ U gelte f 0 (z0 ) 6= 0. Dann existiert eine offene Kugel Br (z0 ) ⊂ D um z0 mit r > 0,
sodass die Einschränkung f |Br (z0 ) injektiv ist. Dabei ist das Bild f (Br (z0 )) offen und die
Umkehrabbildung g := f |Br (z0 )
−1
eine analytische Funktion. Für die Ableitung von g gilt
g 0 (f (z)) =
1
f 0 (z)
,
z ∈ U.
Der Logarithmus spielt im Folgenden eine herausragende Rolle. Wir zitieren hier einige
Aussagen aus [16, Chapter III, §2] und [15, Kapitel II, §2].
Definition 2.5 Es sei D ⊂ C ein Gebiet. Eine stetige Funktion f : D → C heißt Zweig des
Logarithmus falls für jedes z ∈ D die Gleichung ef (z) = z erfüllt ist.
Lemma 2.6 Ein Zweig f : D → C des Logarithmus im Gebiet D ⊂ C ist eine analytische
Funktion. Des Weiteren gilt 0 ∈
/ D. Die Ableitung der Funktion f ist für z ∈ D gegeben durch
f 0 (z) = z1 .
Definition 2.7 Es bezeichne arg : C \ {0} → (−π, π] die Argumentfunktion, welche jeder
komplexen Zahl z 6= 0 ihren aus der Polarform z = |z|eiϕ resultiernden Winkel ϕ ∈ (−π, π]
zuordnet. Die Funktion Ln : C \ (−∞, 0] → C, z 7→ ln(|z|) + i arg(z) ist ein Zweig des
Logarithmus. Dieser wird als Hauptzweig des Logarithmus bezeichnet.
6
2.1 Analytische Funktionen
Über Zweige des Logarithmus können analytische Potenzfunktion definieren werden. Es sei
dazu f : D → C für ein Gebiet D ⊂ C ein Zweig des Logarithmus. Für α ∈ C definieren wir
eine Funktion gα : D → C, z 7→ eαf (z) . Diese Funktion ist wegen der Analytizität der Funktion
f und der komplexen Exponentialfunktion exp : C → C \ {0} selbst analytisch in D. Für k ∈ Z
gilt insbesondere gk (z) = ef (z)
k
= z k . Entsprechend bezeichnen wir für α ∈ C und z ∈ D mit
z α die Funktion gα (z) = eαf (z) . Soweit nicht anders definiert sei dabei f stets der Hauptzweig
des Logarithmus. Besonders hervorzuheben ist der Exponent α = 12 . Für einen Zweig des
Logarithmus f erfüllt g 1 für z ∈ D die Gleichung g 1 (z)
2
2
1
= e 2 f (z)
2
= z. Im Falle des
2
Hauptzweiges des Logarithmus entspricht g 1 : C \ (−∞, 0] → C gerade dem Hauptzweig der
2
√
1
Quadratwurzel, wobei wir für z ∈ C \ (−∞, 0] wie üblich z statt g 1 (z) = e 2 Ln(z) schreiben.
2
√
√
√
Durch −z := i z für z ∈ (−∞, 0] und 0 := 0 wird der Hauptzweig der Quadratwurzel
auf die gesamte komplexe Zahlenebene fortgesetzt. Diese Fortsetzung ist jedoch auf der
nichtpositiven Halbachse (−∞, 0] nicht mehr stetig und damit insbesondere nicht analytisch
√
in C. Wir bezeichnen für z ∈ C die so definierte Zahl z als Hauptwert der Quadratwurzel.
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Hinblick auf den Logarithmus ist für eine analytische
Funktion f die Existenz einer weiteren analytischen Funktionen, welche eh = f erfüllt.
Lemma 2.8 Für ein einfach zusammenhängendes Gebiet D ⊂ C und eine analytische
Funktion f : D → C ohne Nullstellen in D existiert eine analytische Funktion h : D → C,
welche f (z) = eh(z) für alle z ∈ D erfüllt. Die Funktion h wird auch Zweig des Logarithmus
von f genannt.
Beweis. Für einen festen Punkt z0 ∈ D sei
q(z) =
Z z 0
f (y)
z0
f (y)
dy,
z ∈ D.
Dabei ist der Integrand wegen der Nullstellenfreiheit der Funktion f analytisch, woraus als
Konsequenzen des Cauchyschen Integralsatz das Integral vom Weg unabhängig (vergleiche
Abschnitt 2.1) ist. Somit ist q : D → C eine analytische Funktion, deren Ableitung im Punkt
z ∈ D gleich
f 0 (z)
f (z)
ist. Wir betrachten die ebenfalls analytische Funktion
g : D → C,
z 7→
eq(z)
.
f (z)
Anhand der Ableitung der Funktion g
g 0 (z) =
eq(z) q 0 (z) eq(z) f 0 (z)
−
2 = 0,
f (z)
f (z)
z∈D
sieht man, dass g in D konstant ist, wobei g(z) = c ∈ C \ {0} für alle z ∈ D gilt. Die
Surjektivität der komplexen Exponentialfunktion exp : C → C \ {0} liefert ein ω ∈ C mit
7
2 Grundlagen
eω = c. Für die analytische Funktion h : D → C, z 7→ q(z) − ω erhält man
eh(z) = e−ω g(z)f (z) = f (z),
z ∈ D.
Als Folgerung kann man für eine nullstellenfreie, analytische Funktion f : D → C in einem
einfach zusammenhängenden Gebiet D ⊂ C mittels eines Zweiges h des Logarithmus von
f analytische Potenzfunktionen von f definieren. Für α ∈ Cstellt pα : D → C, z 7→ eαh(z)
n
offenbar eine analytische Funktion dar. Speziell für n ∈ N gilt p 1 (z) = f (z), womit p 1 in
n
n
D einen analytischen Zweig der n-ten Wurzel der Funktion f darstellt.
2.2 Differentialgleichungssysteme einer reellen Veränderlichen
Für ein offenes Intervall I ⊂ R betrachten wir das Differentialgleichungssystem
dy
(x) = A(x)y(x) + b(x),
dx
x∈I
(2.2)
mit lokal integrierbaren Funktionen A : I → Cn×n und b : I → Cn . Für dieses Differentialgleichungssystem heißt eine Funktion y : I → Cn Lösung in I, wenn jede Komponente
absolut stetig auf jedem kompakten Teilintervall von I ist und y die Gleichung (2.2) fast
überall in I erfüllt. Wir zitieren nachfolgend bekannte Aussagen aus der Theorie linearer
Differentialgleichungssysteme einer reellen Veränderlichen (siehe zum Beispiel [51]).
Satz 2.9 Zu y0 ∈ Cn existiert genau eine Lösung des Differentialgleichungssystems (2.2) in
I mit der Anfangsbedingung y(x0 ) = y0 für x0 ∈ I.
Satz 2.10 Der Lösungsraum des homogenen Gleichungssystems
dy
(x) = A(x)y(x),
dx
x∈I
(2.3)
ist ein n-dimensionaler Vektorraum über C. Es sei {ϕ1 , . . . , ϕn } eine Basis dieses Lösungsraumes. Für
Φ := (ϕ1 , . . . , ϕn ) : I → Cn×n
und x0 ∈ I stellt
n
ψ:I→C ,
x 7→ ψ(x) := Φ(x)
Z x
Φ(t)−1 b(t) dt
x0
eine Lösung des inhomogenen Systems (2.2) dar. Jede Lösung y des Differentialgleichungssystems (2.2) mit y(x0 ) = y0 ∈ Cn lässt sich darstellen als
y(x) = Φ(x)Φ(x0 )−1 y0 + ψ(x)
8
für x ∈ I.
2.3 Differentialgleichungen höherer Ordnung einer reellen Veränderlichen
2.3 Differentialgleichungen höherer Ordnung einer reellen Veränderlichen
Wir betrachten für ein offenes Intervall I ⊂ R die lineare Differentialgleichung der Ordnung
n∈N
n−1
X
dn f
dk f
(x) =
ak (x) k (x) + g(x),
dx
x
k=0
x ∈ I.
(2.4)
Dabei seien die Funktionen a0 , ..., an−1 , g : I → C lokal integrierbare Funktionen. Wir nennen
eine Funktion f : I → C Lösung der Differentialgleichung (2.4), wenn die Funktion f sowie
ihre ersten n − 1 Ableitungen absolut stetig auf jedem kompakten Teilintervall von I sind
und f die Gleichung (2.9) fast überall in I erfüllt.
Die Differentialgleichung (2.4) kann man in das äquivalente Differentialgleichungssystem
(2.2) mit


f

 df 


 dx 
y =  . ,
 .. 


dn−1 f
dxn−1
0
..
.
···
..
.
1
.. ..
.
.
0
···
a0 a1
a2
0


0


A =  ...


0

1
0
0

0

.. 
. 


,
0 


1 

· · · an−1
 
0
.
.
.
b= 
0
 
g
umformen. Als Folgerung der Sätze 2.9 und 2.10 erhalten wir die nachfolgende Aussage.
Satz 2.11 Zu jedem x0 ∈ I und allen Vektoren (c0 , . . . , cn−1 )T ∈ Cn existiert genau eine
Lösung f der Differentialgleichung (2.4) in I, welche die Anfangsbedingung
dk f
(x0 )
dxk
= ck für
k = 0, . . . , n − 1 erfüllt. Der Lösungsraum der homogenen Gleichung, das heißt für g ≡ 0, ist
ein n-dimensionaler Vektorraum.
2.4 Differentialgleichungssysteme einer komplexen Veränderlichen
Wir betrachten das lineare Differentialgleichungssystem
dy
(z) = A(z)y(z) + b(z)
dz
(2.5)
für z in einem Gebiet D ⊂ C. Dabei seien A : D → Cn×n und b : D → Cn komponentenweise
analytische Funktionen für n ∈ N. Gesucht ist eine komponentenweise analytische Funktion
y : D → Cn , welche die Gleichung (2.5) punktweise in D erfüllt. Ein solches y nennen wir
Lösung der Differentialgleichung (2.5) in D.
Eine natürliche Fragestellung ist, ob analog zum reellen Fall für jede Anfangsbedingung
y(z0 ) = y0 ∈ Cn mit z0 ∈ D eine eindeutige Lösung y der Gleichung (2.5) existiert. Man kann
mit ähnlichen Methoden wie im Beweis des Satzes von Picard-Lindelöf zeigen, dass jeweils in
einer hinreichend kleinen Umgebung von z0 eine eindeutige Lösung existiert. Im folgenden
9
2 Grundlagen
bezeichnen k · kCn : Cn → R eine Vektornorm und k · kCn×n : Cn×n → R ihre induzierte
Matrixnorm.
Lemma 2.12 Es seien z0 ∈ C und Br (z0 ) eine offene Kugel mit Radius r > 0 um z0 .
Weiterhin betrachten wir komponentenweise analytische, beschränkte Funktionen A : Br (z0 ) →
Cn×n und b : Br (z0 ) → Cn wobei die Ungleichung
M :=
sup
z∈Br (z0 )
kA(z)kCn×n <
1
r
gelte. Dann existiert für y0 ∈ Cn in Br (z0 ) eine eindeutige Lösung y des Differentialgleichungssystems (2.5) mit y(z0 ) = y0 .
Beweis. 1. Für 0 < s ≤ r sei Bs der Raum aller Funktionen mit Werten in Cn , welche
komponentenweise in Bs (z0 ) analytisch und beschränkt sind. Für y = (y1 , . . . , yn )T ∈ Bs mit
yk : Bs (z0 ) → C, k = 1, . . . , n, sei eine Norm k · ks : Bs → R mittels
kyks :=
sup
z∈Br (z0 )
ky(z)kCn
erklärt. Dann ist nach Satz 2.3 Bs , k·ks ein Banachraum. Wir betrachten den Integraloperator
Ts : Bs → Bs ,
Z z
(Ts y)(z) := y0 +
A(ζ)y(ζ) + b(ζ) dζ,
y ∈ Bs ,
z ∈ Bs (z0 ).
(2.6)
z0
Da der Integrand komponentenweise analytisch und die offene Kugel Bs (z0 ) ein einfach
zusammenhängendes Gebiet sind, hängt des Integral nach dem Cauchyschen Integralsatz nicht
von der Wahl des Weges ab. Somit ist Ts wohldefiniert und bildet tatsächlich nach Bs ab.
Weiterhin ist Ts eine Kontraktion, da für y, ỹ ∈ Bs
kTs y − Ts ỹks ≤
Z z
sup
z∈Bs (z0 ) z0
kA(ζ)kCn×n · ky(ζ) − ỹ(ζ)kC n |dζ| < sM ky − ỹks
folgt, wobei sM ≤ rM < 1 gilt. Für den Radius r liefert der Banachsche Fixpunktsatz einen
eindeutigen Fixpunkt ŷ ∈ Br mit Tr ŷ = ŷ. Man sieht durch Differentiation, dass der Fixpunkt
ŷ eine Lösung des Differentialgleichungssystems (2.5) in Br (z0 ) ist und außerdem ŷ(z0 ) = y0
erfüllt.
2. Es sei ỹ eine Lösung des Differentialgleichungssystems (2.5) in Br (z0 ) mit ỹ(z0 ) = y0 .
Vorerst ist nicht klar, ob y beschränkt ist und in Br liegt. Schränkt man die komponentenweise
analytische Funktion ỹ auf eine kleinere Kugel Bs (z0 ) ⊂ Br (z0 ) mit 0 < s < r ein, so ist diese
offenbar beschränkt und erfüllt die Fixpunktgleichung Ts ỹ|Bs (z0 ) = ỹ|Bs (z0 ) . Außerdem ist auch
ŷ|Bs (z0 ) ein Fixpunkt von Ts . Da dieser nach dem Banachschen Fixpunktsatz eindeutig ist,
stimmen ỹ und ŷ innerhalb der offenen Kugel Bs (z0 ) überein. Somit sind die komponentenweise
analytischen Funktionen ỹ und ŷ nach Satz 2.1 identisch.
10
2.4 Differentialgleichungssysteme einer komplexen Veränderlichen
Die Schwierigkeit besteht nun darin, einen maximalen Definitionsbereich der Lösung zu
finden. Dabei reicht es im Allgemeinen nicht aus, das Differentialgleichungssystem (2.5) auf
einem Gebiet zu betrachten. Beispielsweise besitzt das Anfangswertproblem
dy
1
(z) =
dz
z
für z ∈ C \ {0},
mit y(1) = 0
keine Lösung im Gebiet C \ {0}. Stattdessen stellen neben dem Hauptzweig des komplexen
Logarithmus Ln : C \ (−∞, 0] → C auch andere Zweige des Logarithmus in der geschlitzten
komplexen Ebene C \ { reiϕ | r ≥ 0 } für ϕ ∈ (0, 2π) Lösungen des Anfangswertproblems dar.
Im Folgenden zeigen wir, dass es für die Existenz und Eindeutigkeit von Lösung des
Anfangswertproblems hinreichend ist, das Differentialgleichungssystem (2.5) in einem einfach
zusammenhängenden Gebiet zu betrachten.
Satz 2.13 Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhängendes Gebiet. Weiterhin seien A : D →
Cn×n und b : D → Cn komponentenweise analytischen Funktionen. Dann existiert zu y0 ∈ Cn
und z0 ∈ D eine eindeutige Lösung des Differentialgleichungssystems (2.5) in D mit der
Anfangsbedingung y(z0 ) = y0 .
Beweis. Der Nachweis erfolgt in vier Schritten. Im ersten Schritt zeigen wir mit Hilfe von
Lemma 2.12 die lokale Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung des Anfangswertproblems und
schlussfolgern daraus, dass höchstens eine Lösung des Anfangswertproblems in D existieren
kann. In den weiteren Schritten zeigen wir, dass die Voraussetzungen des Satzes 2.2 erfüllt
sind und wir die eindeutige, lokale Lösung analytisch auf D fortsetzten können. Im letzten
Schritt weisen wir nach, dass diese Fortsetzung eine Lösung des Differentialgleichungssystems
(2.5) in D ist.
1. Da A und b in D komponentenweise analytische Funktionen sind, existiert eine offene
Kugel Br (z0 ) um z0 mit hinreichend kleinem Radius r > 0, sodass die Voraussetzungen von
Lemma 2.12 erfüllt sind und eine eindeutige Lösung ỹ des Differentialgleichungssystems (2.5)
in Br (z0 ) mit ỹ(z0 ) = y0 existiert. Jede Lösung y des Differentialgleichungssystems (2.5) in
D mit y(z0 ) = y0 stimmt in Br (z0 ) mit ỹ wegen der Eindeutigkeit überein. Dadurch erhalten
wir mit Satz 2.1 im Falle der Existenz einer Lösung y des Differentialgleichungssystems (2.5)
in D mit y(z0 ) = y0 , dass diese eindeutig bestimmt ist.
2. Wir betrachten einen beliebigen Weg γ : [0, 1] → D mit γ(0) = z0 . Da das Bild von γ eine
kompakte Menge ist, ist der Abstand d zwischen dem Bild des Weges γ und dem Rand von D
positiv beziehungsweise unendlich. Es existiert somit ein ε > 0, sodass die Minkowski-Summe
des Abschlusses der Kugel Bε (0) und dem Bild von γ in D enthalten ist,
K := Bε (0) + ran(γ) =
n
z + y ∈ C z ∈ ran(γ),
y ∈ Bε (0)
o
⊂ D.
K ist offenbar kompakt, wodurch die Funktionen A|K und b|K beschränkt sind. Wir wählen
11
2 Grundlagen
einen Radius s mit
0 < s ≤ min{ε, r}
und
1
sup kA(z)kCn×n < .
s
z∈K
Wegen der Kompaktheit des Bildes von γ finden wir eine endliche Überdeckung der Menge
ran(γ) mit offenen Kugeln Bs (γ(tk )) ⊂ D und Stützstellen 0 = t0 < t1 < · · · < tm = 1, sodass
jeweils |γ(tk ) − γ(tk+1 )| <
s
2
für k = 0, . . . , m − 1 gilt. Entsprechend der Konstruktion gelten
Bs (γ(tk )) ⊂ K und
sup
kA(z)kCn×n <
z∈Bs (γ(tk ))
1
s
für alle k ∈ {0, . . . , m}. Nach Lemma 2.12 besitzt das Anfangswertproblem
dwk
= A(z)wk (z) + b(z),
dz
z ∈ Bs (γ(tk )),
wk (γ(tk )) =

y0 ,
für k = 0
w
für k = 1, . . . , m
k−1 (γ(tk )),
induktiv für jedes k = 0, . . . , m eine eindeutige Lösung in Bs (γ(tk )), wobei wir diese mit wk
bezeichnen. Insbesondere stimmen w0 und ỹ|Bs (z0 ) überein.
3. Für k = 0, . . . , m − 1 stimmen nach Konstruktion die Funktionen wk und wk+1 im Punkt
γ(tk ) überein. Nach Lemma 2.12 stimmen diese außerdem in einer offenen Kugel um den
Punkt γ(tk ) innerhalb des nichtleeren Gebietes Bs (γ(tk )) ∩ Bs (γ(tk+1 )) überein. Mit Satz 2.1
folgt die Identität von wk und wk+1 in Bs (γ(tk )) ∩ Bs (γ(tk+1 )).
4. Somit sind alle Voraussetzungen des Satzes 2.2 erfüllt. Es existiert somit eine komponentenweise analytische Abbildung y : D → C, die innerhalb der offenen Kugel Br (z0 ) mit
ỹ übereinstimmt. Es fehlt der Nachweis, dass y das Differentialgleichungssystem (2.5) löst.
Da ỹ = y|Br (z0 ) in Br (z0 ) Lösung des Differentialgleichungssystems (2.5) ist, stimmen die im
Gebiet D komponentenweise analytischen Funktionen
dy
dz
und (Ay + b) nach Satz 2.1 überein,
das heißt y löst das Differentialgleichungssystem (2.5) in D.
Satz 2.14 Für ein einfach zusammenhängendes Gebiet D ⊂ C ist der Lösungsraum des
homogenen Gleichungssystems
dy
(z) = A(z)y(z),
dz
z∈D
(2.7)
ein n-dimensionaler Vektorraum über C. Es sei {ϕ1 , . . . , ϕn } eine Basis dieses Lösungsraumes.
Für
Φ := (ϕ1 , . . . , ϕn ) : D → Cn×n
12
2.5 Differentialgleichungen höherer Ordnung einer komplexen Veränderlichen
und z0 ∈ D stellt
ψ : D → Cn ,
z 7→ ψ(z) := Φ(z)
Z z
Φ(ζ)−1 b(ζ) dζ
(2.8)
z0
eine Lösung des inhomogenen Systems (2.5) dar. Jede Lösung y des Differentialgleichungssystems (2.5) mit y(z0 ) = y0 ∈ Cn lässt sich darstellen als
y(z) = Φ(z)Φ(z0 )−1 y0 + ψ(z)
für z ∈ D.
Beweis. Wie im reellen Fall kann man die Frage nach der Anzahl linear unabhängiger Lösungen des homogenen Differentialgleichungssystems (2.7) wegen der eindeutigen Lösbarkeit
des Anfangswertproblems auf die Mächtigkeit einer Basis des Vektorraumes Cn zurückführen.
Somit ist klar, dass der Lösungsraum des homogenen Gleichungssystems die Dimension n
besitzt. Es sei nun {ϕ1 , . . . , ϕn } eine Basis des Lösungsraumes des homogenen Gleichungssystems. Auf Grund der Eindeutigkeit verschwindet jede nichttriviale Linearkombination dieser
Basisvektoren nirgends in D. Die Spalten der Matrix Φ(z) sind somit für jedes z ∈ D linear
unabhängig, weshalb die Inverse Φ(z)−1 für jedes z ∈ D existiert. Ferner besitzt die Abbildung
z 7→ det(Φ(z)) in D keine Nullstellen und ist nach der Leibnitz-Formel für Determinanten
analytisch in D. Stellt man die Inverse Φ(z)−1 als Quotient der Adjunkten der Matrix Φ(z)
und der Determinanten det(Φ(z)) dar, so sieht man, dass die Einträge von Φ(z)−1 analytisch
von z abhängen. Die Funktion ψ in (2.8) ist wegen der Wegunabhängigkeit des Integrals im
einfach zusammenhängenden Gebiet D wohldefiniert, analytisch und erfüllt offenbar ψ(z0 ) = 0.
Durch Differentiation unter Anwendung der Kettenregel erhalten wir
dψ
(z) = A(z)Φ(z)
dz
Z z
Φ(ζ)−1 b(ζ) dζ + b(z) = A(z)ψ(z) + b(z),
z ∈ D.
z0
Betrachten wir nun eine Lösung y der Differentialgleichung (2.5) mit einem Anfangswert
y(z0 ) = y0 ∈ C. Offenbar erfüllt ỹ : D → Cn mit ỹ(z) = Φ(z)Φ(z0 )−1 y0 + ψ(z) für z ∈ D
ebenfalls das gegebene Anfangswertproblem in D. Aus der Eindeutigkeit der Lösung folgt
y = ỹ.
2.5 Differentialgleichungen höherer Ordnung einer komplexen
Veränderlichen
Wir betrachten die lineare Differentialgleichung der Ordnung n ∈ N
n−1
X
dn f
dk f
(z) =
ak (z) k (z) + g(z)
dz
z
k=0
(2.9)
für z in einem einfach zusammenhängendem Gebiet D ⊂ C. Dabei seien die Funktionen
a0 , ..., an−1 , g : D → C analytisch. Wir nennen eine analytische Funktion f : D → C, welche
13
2 Grundlagen
die Gleichung (2.9) punktweise in D erfüllt, Lösung der Differentialgleichung (2.9) in D.
Die Differentialgleichung (2.9) kann in das äquivalente Differentialgleichungssystem (2.5)
mit


f

 df 


 dz 
y =  . ,
 .. 


dn−1 f
dz n−1
0
..
.
···
..
.
1
.. ..
.
.
0
···
a0 a1
a2
0


0


A =  ...


0

1
0
0

0

.. 
. 


,
0 


1 

· · · an−1
 
0
.
.
.
b= 
0
 
g
umgeformt werden. In Analogie zum reellen Fall erhalten wir als Folgerung der Sätze 2.13
und 2.14 die nachfolgende Aussage.
Satz 2.15 Für ein einfach zusammenhängendes Gebiet D ⊂ C existiert zu jedem z0 ∈ D und
allen Vektoren (c0 , . . . , cn−1 )T ∈ Cn genau eine Lösung f der Differentialgleichung (2.9) in
D, welche die Anfangsbedingung
dk f
(z )
dz k 0
= ck für k = 0, . . . , n − 1, erfüllt. Der Lösungsraum
der homogenen Gleichung, das heißt für g ≡ 0, ist ein n-dimensionaler Vektorraum.
14
3 Die WKB-Näherung
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
Wir betrachten für ein offenes Intervall I ⊂ R und stetige komplexwertige Funktionen
p, q : I → C die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung
d2 f
(x) = (p(x) + q(x))f (x),
dx2
x ∈ I.
(3.1)
Sind q ≡ 0 und p konstant mit p ∈ C \ {0}, so erhält man bekanntermaßen zwei linear
unabhängige Lösungen f1 und f2 mit f1,2 (x) = e±x
√
p
für x ∈ I. Dabei sei in diesem
Abschnitt für eine komplexe Zahl z 6= 0 die Quadratwurzel über den Hauptwert der komplexen
Quadratwurzel
√
z=
q
|z|e
i arg(z)
2
mit der Argumentfunktion arg : C \ {0} → (−π, π] erklärt (vergleiche Abschnitt
2.1). Analog
√
±x p(x)
kann man für einen nicht konstanten Koeffizienten p Lösungen mittels e
approximieren,
sofern p keine Nullstellen in I besitzt. Diese Näherung ist jedoch für eine schnell variierende
Koeffizientenfunktion unzureichend und spiegelt im Allgemeinen nicht das asymptotische
Verhalten der tatsächlichen Lösungen wider. Dazu betrachten wir das folgende Beispiel.
Beispiel 3.1 Wir schauen auf die Differentialgleichung
d2 f
(x) = (4x2 + 2)f (x),
dx2
x∈R
mit den beiden linear unabhängigen Lösungen
x → ex
f : R → R,
2
und
g : R → R,
x 7→ ex
2
Z x
2
e−t dt.
0
Dabei genügen diese den Anfangsbedingungen f (0) = 1 und f 0 (0) = 0 sowie g(0) = 0 und
g 0 (0) = 1. Wendet man die obige Approximation an, so erhält man zwei Funktionen fˆ1
√
2
und fˆ2 mit fˆ1,2 (x) = e±x 4x +2 für x ∈ R. Wir wollen f durch eine Linearkombination
fˆ = αfˆ1 + β fˆ2 mit α, β ∈ C approximieren. Da f , fˆ1 und fˆ2 reellwertige Funktionen sind,
können wir uns dabei auf reelle Koeffizienten beschränken. Man beachte außerdem, dass
fˆ1 (x) = fˆ2 (−x) für x → ∞ unbeschränkt wächst und für x → −∞ verschwindet, während
f (x) für x → ±∞ gegen ∞ strebt. Somit können wir die Wahl der Koeffizienten weiter auf
15
3 Die WKB-Näherung
positive Konstanten α, β ∈ (0, ∞) einschränken. Die resultierende Linearkombination genügt
√
√
2
2
für alle x ∈ R den Abschätzungen fˆ(x) ≤ (|α| + |β|)e|x| 4x +2 ≤ (|α| + |β|)e2x + 2|x| und
fˆ(x) ≥ min{|α|, |β|}e|x|
√
4x2 +2
2
≥ min{|α|, |β|}e2x . Somit erhalten wir
2
min{|α|, |β|}ex ≤
√
fˆ(x)
2
≤ (|α| + |β|)ex + 2|x|
f (x)
für alle x ∈ R.
Man sieht dabei, dass fˆ(x) für x → ±∞ wesentlich schneller als f (x) wächst. In Hinblick auf
das Wachstum für x → ±∞ eignet sich folglich keine Linearkombination der Funktionen fˆ1
und fˆ2 zur Approximation f .
Eine bessere Näherung für das allgemeine Problem (3.1) erhalten wir mit dem folgenden
Ansatz. Dafür fordern wir, dass für die Funktion p eine Zerlegung
p=µ·r
mit einer zweimal stetig differenzierbare, positiven Funktion r : I → (0, ∞) und einer Konstanten µ ∈ C \ {0} existiert. Wir unterwerfen die Differentialgleichung (3.1) der sogenannten
Liouville-Transformation mittels
ν : I → R,
x 7→
Z xq
r(y) dy + c
(3.2)
x0
für ein fest gewähltes x0 ∈ I und festes c ∈ R. Die Abbildung ν ist offenbar eine streng monoton
wachsende sowie dreimal stetig differenzierbare Funktion und bildet somit I bijektiv auf ein
offenes Intervall ran(ν) ⊂ R ab. Es sei mit η := ν −1 die Umkehrabbildung bezeichnet. Dann gilt
dη
dt (t)
1
= (ν 0 (η(t)))−1 = (r(η(t)))− 2 . Wir definieren für eine Lösung f der Differentialgleichung
(3.1) die Funktion F : ran(ν) → C,
1
F (t) := ν 0 (η(t))
2
1
f (η(t)) = r(η(t))
4
f (η(t)),
t ∈ ran(ν).
(3.3)
Im Folgenden unterdrücken wir die Funktionsargumente t und η(t). Durch Differentiation
von F nach t erhält man
1
r2 ·
1
dF
1 3
= r− 4 r0 f + r 4 f 0 .
dt
4
(3.4)
Mit nochmaliger Differentiation der Gleichung (3.4) nach t und anschließender Multiplikation
1
mit r 2 ergibt sich
7
1
1 − 1 0 dF
d2 F
3
1 3
1 3
r 2r
+ r 2 = − r− 4 (r0 )2 f + r− 4 r00 f + r− 4 r0 f 0 + r 4 f 00 .
2
dt
dt
16
4
2
(3.5)
Durch Umstellen der Terme mit Hilfe der Beziehungen (3.3) und (3.4) sowie der Tatsache, dass
16
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
f die Differentialgleichung f 00 = (p + q)f erfüllt, lässt sich (3.5) weiter äquivalent umformen,
r00
5(r0 )2
q
−
+µ+
2
3
4r
16r
r
d2 F
=
dt2
!
F.
Die Funktion F ist somit Lösung der Differentialgleichung
d2 F
(t) = µ + g(t) F (t),
2
dt
t ∈ ran(ν)
(3.6)
mit der stetigen Funktion g : ran(ν) → C,
4r00 η(t) r η(t) − 5 r0 η(t)
g(t) =
16 r η(t)
2
3
q η(t)
,
+
r η(t)
t ∈ ran(ν).
(3.7)
Wir schreiben die Funktion F als das Produkt
F (t) = etθ
√
µ
(1 + h(t)),
t ∈ ran(ν).
(3.8)
mit θ ∈ {−1, 1} und einer zweimal stetig differenzierbaren Funktion h : ran(ν) → C,
h(t) = F (t)e−tθ
√
µ
− 1,
t ∈ ran(ν).
Die Berechnung der ersten beiden Ableitungen von F liefert
√
√
dh
dF
√
(t) = θ µetθ µ (1 + h(t)) + etθ µ ·
(t),
dt
dt
t ∈ ran(ν)
und mit (3.6) für t ∈ ran(ν)
2
√
√
d2 F
√ tθ√µ dh
2 tθ µ
tθ µ d h
(t)
=
θ
µe
(1
+
h(t))
+
2θ
µe
·
(t)
+
e
·
(t)
dt2
dt
dt2
tθ√µ
= µ + g(t) e
(1 + h(t)).
(3.9)
Durch Umstellung der letzten Gleichung erhalten wir unter Ausnutzung von θ2 = 1 für h die
Differentialgleichung zweiter Ordnung
d2 h
√ dh
(t) + 2θ µ (t) = g(t)(1 + h(t)),
2
dt
dt
t ∈ ran(ν).
(3.10)
Lemma 3.2 Es sei θ ∈ {−1, 1}. Für jede Lösung h der Differentialgleichung (3.10) ist durch
1
f (x) = (r(x))− 4 eθ
√
µν(x)
(1 + h(ν(x))),
eine Lösung f der Differentialgleichung (3.1) gegeben.
17
x∈I
(3.11)
3 Die WKB-Näherung
Beweis. Es sei h̃ eine Lösung der Differentialgleichung (3.10). Wir betrachten für einen
Punkt t0 ∈ ran(ν) mit x0 := η(t0 ) die Anfangswerte c0 := h̃(t0 ) und c1 :=
dh̃
dt (t0 ).
Nach
Satz 2.11 existiert eine eindeutige Lösung f der Differentialgleichung (3.1) mit f (x0 ) =
r(x0 )
− 1 θ√µν(x )
4
0 (1 + c ) und
e
0
f 0 (x0 ) =
√
1
1
− 5
1
√
θ µ r(x0 ) 4 − r(x0 ) 4 r0 (x0 ) (1 + c0 ) + r(x0 ) 4 c1 eθ µν(x0 ) .
4
(3.12)
Zusammen mit (3.3) und (3.8) erhalten wir für die resultierende Funktion h die Beziehung
− 1 θ√µt
4
e
(1 + h(t)),
f (η(t)) = r(η(t))
t ∈ ran(ν),
(3.13)
wobei h wegen (3.9) eine Lösung der Differentialgleichung (3.10) ist. Man sieht leicht, dass
h(t0 ) = c0 = h̃(t0 ) gilt. Leiten wir in (3.13) beide Seiten nach t ab, so erhalten wir wegen
dη
dt (t)
− 1
= r(η(t))
2
für t ∈ ran(ν)
− 1
f 0 (η(t)) r(η(t))
2
− 5
− 1 √
1
r(η(t)) 4 r0 (η(t)) r(η(t)) 2 eθ µt (1 + h(t))
4
− 1 √
√
+ θ µ r(η(t)) 4 eθ µt (1 + h(t))
= −
− 1 θ√µt dh
4
(t).
e
+ r(η(t))
dt
Setzt man t = t0 = ν(x0 ) ein, so sieht man mit (3.12), dass
dh
dt (t0 )
= c1 =
dh̃
dt (t0 )
gilt. Nach
Satz 2.11 stimmen h und h̃ in ran(ν) überein. Substituiert man in (3.13) jeweils t mit ν(x),
so erhält man (3.11).
Der nachfolgende Satz liefert die Grundlage für die weitere Konstruktion von Lösungen
der Differentialgleichung (3.10). Er beschreibt für eine spezielle Volterra-Integralgleichung
eine heinreichende Bedingung für die Exisitenz einer stetig differenzierbaren Lösung sowie
Schranken dieser Lösung und ihrer Ableitung.
Satz 3.3 Es sei I ⊂ R ein Intervall mit t0 := inf(I), wobei insbesondere t0 = −∞ zugelassen
ist. Außerdem sei κ : I → C eine stetig differenzierbare Funktion mit monoton wachsendem
Realteil Re(κ). Wir wählen für ein reellwertiges κ die Konstante ω := 1 und im komplexwertigen
Fall ω := 2. Des Weiteren sei G : I → C eine stetige Funktion, welche für ein t1 ∈ I mit
t0 < t1 über (t0 , t1 ) integrierbar ist. Dann existiert eine stetig differenzierbare Funktion
h : I → C, welches die Gleichung
Z t
− κ(t)−κ(s)
1−e
h(t) =
G(s)(1 + h(s)) ds,
t ∈ I.
(3.14)
t0
erfüllt und durch
ω
|h(t)| ≤ e
Rt
t0
|G(s)|ds
18
− 1,
t∈I
(3.15)
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
beschränkt ist. Für die Ableitung von h gilt
dh
(t) =
dt
Z t
− κ(t)−κ(s)
e
κ̇(t)G(s)(1 + h(s)) ds,
t ∈ I.
(3.16)
t0
Ferner ist die Ableitung beschränkt durch
Rt
dh (t) ≤ |κ̇(t)| eω t0 |G(s)| ds − 1 ,
dt ω
t ∈ I.
(3.17)
Ist die Funktion κ sogar zweimal stetig differenzierbar mit nirgends in I verschwindender
erster Ableitung, so ist auch h zweimal stetig differenzierbar und erfüllt im Inneren von I die
Differentialgleichung
d2 h
κ̈
+ κ̇ −
2
dt
κ̇
dh
= κ̇G · (1 + h).
dt
Beweis. Die Monotonie des Realteils der Funktion κ liefert für alle t, s ∈ I mit t ≥ s
− κ(t)−κ(s) e
= e− Re(κ(t))−Re(κ(s)) ≤ 1
und
1 − e− κ(t)−κ(s) ≤ 2.
Ist κ eine reellwertige Funktion, so gilt für t ≥ s die bessere Abschätzung
1 − e− κ(t)−κ(s) ≤ 1.
In beiden Fällen gilt nach Wahl von ω
1 − e− κ(t)−κ(s) ≤ ω.
(3.18)
Wir definieren induktiv eine Folge (hk )k∈N von stetigen Funktionen in I durch die Vorschrift
h1 (t) := 0 für alle t ∈ I und
Z t
hk+1 (t) :=
− κ(t)−κ(s)
1−e
t0
G(s)(1 + hk (s)) ds,
t ∈ I,
k ≥ 2.
(3.19)
Wir zeigen induktiv, dass die Integrale in (3.19) existieren. Dazu betrachten wir die Differenz
zweier Folgenglieder. Nach den Voraussetzungen an G gilt
|h2 (t) − h1 (t)| ≤ ω
Z t
t0
Z t1
|G(s)| ds = ω
|G(s)| ds +
t0
19
Z t
t1
|G(s)| ds < ∞,
t ∈ I.
3 Die WKB-Näherung
Durch vollständige Induktion folgt für k ≥ 2 und t ∈ I
|hk+1 (t) − hk (t)| ≤
Z t
t0
ω|G(s)||hk (s) − hk−1 (s)| ds ≤
Z t
1
=
ω
k!
Z s
Z t
ω|G(s)|
t0
(k − 1)!
ω
k−1
|G(τ )| dτ
ds
t0
k
|G(s)| ds
.
t0
Für ein beliebiges abgeschlossene Teilintervall [s1 , s2 ] ⊂ I und n ≥ m ≥ 1 erhalten wir
n
X
hk (t) − hk−1 (t)
sup |hn (t) − hm (t)| = sup t∈[s1 ,s2 ]
t∈[s1 ,s2 ] k=m+1
k−1
Z
n
s2
X
1
≤
|G(s)| ds
ω
(k − 1)!
k=m+1
(3.20)
ω
≤e
R s2
t0
|G(s)|
−1
t0
Somit bildet die Folge (hk )k∈N eine Cauchyfolge im Raum der stetigen, komplexwertigen
Funktionen auf [s1 , s2 ] ausgestattet mit der Supremumsnorm. Folglich konvergiert die Folge
(hk )k∈N auf jeder abgeschlossenen Teilmenge von I gleichmäßig, insbesondere auch punktweise.
Wir bezeichnen für t ∈ I den punktweisen Grenzwert
h(t) := lim hn (t),
n→∞
wobei die Funktion h : I → C auf Grund der gleichmäßigen Konvergenz stetig ist. Die
Schranke (3.15) für h ergibt sich aus (3.20) und der Definition von h. Wir zeigen mit Hilfe des
Satzes von Lebesgue über majorisierte Konvergenz, dass die Funktion h die Integralgleichung
(3.14) erfüllt. Dazu betrachten wir
Z t
h(t) = lim hn+1 (t) = lim
n→∞
n→∞ t0
1 − e−
κ(t)−κ(s)
G(s)(1 + hn (s)) ds.
Dabei ist der Integrand für alle n ∈ N und festes t ∈ I sowie s ∈ (t0 , t] nach (3.20) und (3.18)
jeweils durch
Rs
1 − e− κ(t)−κ(s) G(s)(1 + hn (s)) ≤ ω|G(s)|eω t0 |G(τ )| dτ
beschränkt, wobei die Majorante wegen
Z t
ω
ω|G(s)|e
Rs
t0
|G(s)|
ω
ds = e
Rt
t0
|G(τ )| dτ
−1
t0
integrierbar ist.
Da die Funktionen h, G stetig und κ stetig differenzierbar sind folgt aus (3.14) die stetige
Differenzierbarkeit der Funktion h. Durch einmaliges Ableiten beider Seiten in (3.14) mit
Hilfe der Ketten- sowie Produktregel erhalten wir die Gleichung (3.16). Zusammen mit der
20
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
Ungleichung (3.15) sieht man, dass (3.17) gilt,
Rs
Z t
Z t
dh ω
|G(τ )| dτ
(t) ≤ |κ̇(t)|
|G(s)|e t0
ds
|G(s)|(1 + |h(s)|) ds ≤ |κ̇(t)|
dt t0
t0
Rt
=
|κ̇(t)| ω
e
ω
t0
|G(t)| dt
−1
Ist eine zweimal stetig differenzierbare Funktion κ gegeben, so erhält man aus (3.16) durch
nochmaliges Ableiten unter Anwendung der Produktregel für t ∈ I
Z t
d2 h
2
e−
(t)
=
κ̈(t)
−
(
κ̇(t))
dt2
t0
κ̈(t)
= − κ̇(t) −
˙
κ(t)
!
κ(t)−κ(s)
G(s)(1 + h(s)) ds + κ̇(t)G(t) 1 + h(t)
dh
(t) + κ̇(t)G(t) 1 + h(t) .
dt
Im Folgenden konstruieren wir mit Hilfe des letzten Satzes Lösungen der Differentialgleichung
(3.1). Dabei nutzen wir die Ungleichungen (3.15) und (3.17) für den Nachweis oberer Schranken.
Den nachstehenden Satz findet man in ähnlicher Form in [39]. Im Gegensatz zu [39, Chapter
6, Theorem 2.1] lassen wir in der Differentialgleichung (3.1) nicht nur positive, zweimal stetig
differenzierbare Funktionen p zu.
Satz 3.4 Wir betrachten im offenen Intervall (a, b) ⊂ R mit −∞ ≤ a < b ≤ ∞ für eine
zweimal stetig differenzierbare Funktion p : (a, b) → C und eine stetige Funktion q : (a, b) → C
die Differentialgleichung
df
(x) = p(x) + q(x) f (x),
2
dx
x ∈ (a, b).
(3.21)
Es existiere eine Faktorisierung von p der Form
p=µ·r
mit einer komplexen Zahl µ 6= 0 und einer zweimal stetig differenzierbaren, positiven Funktion
r : (a, b) → (0, ∞). Außerdem seien x0 ∈ (a, b), c ∈ R sowie θ ∈ {−1, 1}. Wir wählen im Fall
√
√
Im(θ µ) = 0 die Konstante ω := 1 und ω := 2 im Fall Im(θ µ) 6= 0.
√
1. Sind Re(θ µ) > 0 und die Funktion E : (a, b) → C mit
4r00 (x)r(x) − 5 (r0 (x))2
ω
E(x) = √
2 µ
5
16 (r(x)) 2
+
!
q(x)
1
,
x ∈ (a, b)
(3.22)
(r(x)) 2
für ein x1 ∈ (a, b) über (a, x1 ) integrierbar, so existiert eine Lösungen f1 der Differentialgleichung (3.21) in der Form
− 14
f1 (x) = (r(x))
√
θ µ
R
e
x
x0
√
r(y) dy+c
21
(1 + R1 (x)),
x ∈ (a, b),
(3.23)
3 Die WKB-Näherung
mit einer stetig differenzierbaren Funktion R1 : (a, b) → C. Ferner gelten für R1 die Abschätzungen
Rx
|R1 (x)| ≤ e
a
|E(y)| dy
− 1,
x ∈ (a, b)
und
Rx
ω
1
(p(x))− 2 R0 (x) ≤ e a |E(y)| dy − 1,
1
2
x ∈ (a, b).
Sind p und q reellwertig, so ist es auch f1 .
√
2. Sind Re(θ µ) < 0 und die Funktion E wie in (3.22) für ein x1 ∈ (a, b) über (x1 , b)
integrierbar, so existiert eine Lösungen f2 der Differentialgleichung (3.1) in der Form
− 14
f2 (x) = (r(x))
√
θ µ
R
x
x0
e
√
r(y) dy+c
(1 + R2 (x)),
x ∈ (a, b),
(3.24)
mit einer stetig differenzierbaren Funktion R2 : (a, b) → C. Ferner gelten für R2 die Abschätzungen
Rb
|R2 (x)| ≤ e
x
|E(y)| dy
− 1,
x ∈ (a, b)
und
Rb
ω
1
(p(x))− 2 R0 (x) ≤ e x |E(y)| dy − 1,
2
2
x ∈ (a, b).
Sind die Funktionen p und q reellwertig, so ist es auch f2 .
Beweis. Es seien ν : (a, b) → R wie in (3.2) und η = ν −1 die inverse Abbildung. Des Weiteren
sei das offene Intervall ran(ν) mit (α, β) bezeichnet.
√
1. Wir betrachten den Fall Re(θ µ) > 0. Aus der Integrierbarkeit der Funktion E über
(a, x1 ) erhalten wir nach (3.7) durch
Z x1
E(y) dy =
a
Z ν(x1 )
E(η(s))η̇(s) ds =
Z ν(x1 )
α
=
1
E(η(s)) (r(η(s)))− 2 ds
α
2
Z ν(x1 ) 00
4r η(s) r η(s) − 5 r0 η(s)
q η(s)
ω
ds
+
√
3
2 µ
ω
= √
2 µ
16 r η(s)
α
r η(s)
(3.25)
Z ν(x1 )
g(s) ds
α
die Integrierbarkeit der Funktion G : (α, β) → C, G := 2θ1√µ g über dem Intervall (α, ν(x1 )).
√
Weiterhin ist der Realteil von κ : (α, β) → C, t 7→ 2θ µt eine monoton wachsend Funktion. Die
Voraussetzungen aus Satz 3.3 sind erfüllt und wir erhalten eine zweimal stetig differenzierbare
22
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
Funktion h : (α, β) → C, für welche die Integralgleichung
1
h(t) = √
2θ µ
Z t
(1 − e−2θ
√
µ(t−s)
t ∈ (α, β)
)g(s)(1 + h(s)) ds,
(3.26)
α
und wegen |θ| = 1 die Abschätzungen
ω
√
|h(t)| ≤ e 2|
Rt
µ|
α
|g(s)| ds
− 1,
t ∈ (α, β).
(3.27)
sowie
√ ω Rt
dh |2 µ|
√
|g(s)| ds
2| µ| α
(t) ≤
−1 ,
e
dt ω
t ∈ (α, β).
(3.28)
erfüllt sind. Des Weiteren erfüllt h nach Satz 3.3 die Differentialgleichung (3.10). Durch die
Rücktransformation (3.11) erhalten wir eine Lösung f1 der Differentialgleichung (3.21) in der
Darstellung (3.23) mit R1 := h ◦ ν,
1
f1 (x) = (r(x))− 4 eθ
√
µν(x)
(1 + R1 (x)),
x ∈ (a, b).
Analog zu (3.25) gilt für t = ν(x) ∈ (α, β)
ω
√
2| µ|
Z t
|g(s)| ds =
Z x
|E(y)| dy.
a
α
Zusammenfassend sehen wir mit (3.27) und (3.28), dass R1 die Ungleichungen
Rx
|R1 (x)| = |h(ν(x))| ≤ e
a
|E(y)| dy
−1
und
|R10 (x)|
√ p
dh
2|
µ|| r(x)| R x |E(y)| dy
dν
= (ν(x)) ·
(x) ≤
e a
−1
dt
dx
ω
erfüllt.
√
2. Der Fall Re(θ µ) < 0 liefert in ähnlicher Weise die gesuchte Lösung f2 . Wir betrachten
die Integralgleichung
h(t) = −
1
√
2θ µ
Z β
(1 − e−2θ
√
µ(t−s)
)g(s)(1 + h(s)) ds,
t ∈ (α, β)
t
Mit der Substitution σ = −s, τ = −t und ĥ(τ ) = h(−τ )erhalten wir daraus die Integralgleichung in der Form
ĥ(τ ) = −
1
√
2θ µ
Z τ
(1 − e2θ
√
µ(τ −σ)
)g(−σ)(1 + ĥ(σ)) dσ,
−β
23
τ ∈ (−β, −α)
(3.29)
3 Die WKB-Näherung
√
Dabei ist der Realteil der Funktion κ : (−β, −α) → C, τ 7→ −2θ µτ monoton wachsend. Die
Funktion G : (−β, −α) → C, τ 7→ − 2θ1√µ g(−τ ) ist wegen
Z b
ω
E(y) dy = √
2 µ
x1
Z β
ω
g(s) ds = √
2 µ
ν(x1 )
Z −ν(x1 )
g(−σ) dσ
−β
nach Voraussetzung auf dem Intervall (−β, −ν(x1 )) integrierbar. Mit Satz 3.3 erhalten wir
eine zweimal stetig differenzierbare Funktion ĥ : (−β, −α) → C, welche (3.29) genügt. Die
Funktion ĥ genügt den Abschätzungen
Rτ
ω
√
|g(−σ)| dσ
− 1,
ĥ(τ ) ≤ e 2| µ| −β
τ ∈ (−β, −α)
(3.30)
und
√ ω Rτ
dĥ
2| µ|
√
|g(−σ)| dσ
2| µ| −β
e
−1 ,
(τ ) ≤
dτ
ω
τ ∈ (−β, −α).
(3.31)
Des Weiteren erfüllt ĥ nach Satz 3.3 die folgende Differentialgleichung
d2 ĥ
√ dĥ
(τ ) − 2θ µ (τ ) = g(−τ )(1 + ĥ(τ )),
2
dτ
dτ
τ ∈ (−β, −α).
Mittels Rücktransformation h(t) = ĥ(−t) sehen wir, dass die Funktion h : (α, β) → C
wegen
dh
dt (t)
= − ddτĥ (−t) sowie
d2 h
(t)
dt2
=
d2 ĥ
(−t)
dτ 2
die Differentialgleichung (3.10) erfüllt. Somit
erhalten wir analog zum ersten Fall auf Grund der Beziehung (3.11) für R2 := h ◦ ν eine
Lösung f2 der Differentialgleichung (3.21) der Form (3.23),
1
f2 (x) = (r(x))− 4 eθ
√
µν(x)
(1 + R2 (x)),
x ∈ (a, b).
Wir müssen noch zeigen, dass die R2 die Abschätzungen erfüllt. Dafür betrachten wir erneut
die Ungleichungen (3.30) und (3.31). Es gilt mit −τ = t = ν(x) für x ∈ (a, b) sowie σ = −s
Rβ
Rb
ω
√
|g(s)| ds
2| µ| ν(x)
|R2 (x)| = ĥ(τ ) ≤ e
− 1 = e x |E(y)| dy − 1
und
p
√ q
dĥ
0
dh
2|
r(x) µ| R b |E(y)| dy
dν
R (x) = (ν(x)) ·
= (−ν(x)) r(x) ≤
x
(x)
e
−
1
.
2
dt
dx dτ
ω
√
3. Es gelte die Bedingung Re(θ µ) 6= 0. Diese ist wegen θ ∈ {−1, 1} genau dann erfüllt,
√
wenn µ nicht auf der imaginären Achse liegt. Nach Definition der komplexen Quadratwurzel
kann µ daher nicht auf der nichtpositiven Halbachse (−∞, 0] liegen. Für eine reellwertige
Funktionen p folgt insbesondere durch die Faktorisierung p = µ·r mit einer positiven Funktion
r, dass sich µ auf der positiven Halbachse (0, ∞) befindet. Ist ferner die Funktion q reellwertig,
24
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
so sind es auch die Funktionen ν, η, g und jeweils die Funktion h nach (3.26) beziehungsweise ĥ
nach (3.29). Folglich sind R1 und R2 sowie die konstruierten Lösungen f1 und f2 reellwertige
Funktionen, falls diese existieren.
Im letzten Satz haben wir nur die Fälle betrachtet, in denen der Realteil von
√
µ für die
Faktorisierung p = µ · r mit µ ∈ C \ {0} und einer positiven Funktion r nicht verschwindet. Im
√
dritten Teil des Beweises haben wir außerdem gesehen, dass der Realteil von µ auf Grund
der Wurzeldefinition genau dann verschwindet, wenn µ auf der negativen Halbachse (−∞, 0)
liegt. Ohne Einschränkung kann man in diesem Fall annehmen, dass p = −r gilt. Mit dieser
Situation beschäftigt sich der nachfolgende Satz. Diesen findet man auch unter [39, Chapter
6, Theorem 2.2].
Satz 3.5 Wir betrachten im offenen Intervall (a, b) ⊂ R mit −∞ ≤ a < b ≤ ∞ für eine
zweimal stetig differenzierbare, positive Funktion r : (a, b) → (0, ∞) und eine stetige Funktion
q : (a, b) → C die Differentialgleichung
df
(x) = − r(x) + q(x) f (x),
2
dx
x ∈ (a, b).
(3.32)
Es seien x0 ∈ (a, b) und c ∈ R.
1. Ist die Funktion E : (a, b) → C mit
E(x) = −i
4r00 (x)r(x) − 5 (r0 (x))2
5
+
16 (r(x)) 2
!
q(x)
1
,
x ∈ (a, b),
(3.33)
(r(x)) 2
für ein x1 ∈ (a, b) über (a, x1 ) integrierbar, so existieren Lösungen f1 und f2 der Differentialgleichung (3.32) in der Form
− 14
fk (x) = (r(x))
(−1)k−1 i
e
R
√
x
x0
r(y) dy+c
(1 + Rk (x)),
x ∈ (a, b),
k = 1, 2,
(3.34)
mit stetig differenzierbaren Funktion R1 , R2 : (a, b) → C, welche die Abschätzungen
Rx
|Rk (x)| ≤ e
a
|E(x)| dx
− 1,
x ∈ (a, b),
k = 1, 2
und
Rx
1
|E(x)| dx
− 1,
(r(x))− 2 Rk0 (x) ≤ e a
x ∈ (a, b),
k = 1, 2,
erfüllen.
2. Ist die Funktion E : (a, b) → C wie in (3.33) für ein x1 ∈ (a, b) über (x1 , b) integrierbar,
so existieren Lösungen f3 und f4 der Differentialgleichung (3.32) in der Form
− 14
fk (x) = (r(x))
(−1)k−3 i
e
R
x
x0
√
r(y) dy+c
(1 + Rk (x)),
25
x ∈ (a, b),
k = 3, 4,
(3.35)
3 Die WKB-Näherung
mit stetig differenzierbaren Funktion R3 , R4 : (a, b) → C, welche die Abschätzungen
Rb
|Rk (x)| ≤ e
x
|E(x)| dx
− 1,
x ∈ (a, b),
k = 3, 4
und
Rb
1
|E(x)| dx
− 1,
(r(x))− 2 Rk0 (x) ≤ e x
x ∈ (a, b),
k = 3, 4,
erfüllen.
Beweis. Es sei ν : (a, b) → R wie in (3.2) erklärt und η = ν −1 die Inverse. Wieder sei das
offene Intervall ran(ν) mit (α, β) bezeichnet. Außerdem sei θ ∈ {−1, 1}.
1. Es sei nach Voraussetzung E in (3.33) über (a, x1 ) für ein x1 ∈ (a, b) integrierbar. Mit
(3.7) und
Z x1
E(y) dy =
a
Z ν(x1 )
E(η(s)) (r(η(s)))
− 12
ds = −i
Z ν(x1 )
α
g(s) ds
α
erhalten wir die Integrierbarkeit der Funktion G : (α, β) → C, t 7→ − 2θi g(t) über dem Intervall
(α, ν(x1 )). Des Weiteren besitzen die Abbildungen κ : (α, β) → C, t 7→ 2iθt verschwindenden
Realteil, wodurch dieser unabhängig von θ ∈ {−1, 1} eine monoton wachsende Funktion
darstellt. Satz 3.3 liefert in Hinblick auf κ und G eine stetig differenzierbare Funktion
hθ : (α, β) → C, welche die Integralgleichung
hθ (t) = −
i
2θ
Z t
α
(1 − e−2iθ(t−s) )g(s)(1 + hθ (s)) ds,
t ∈ (α, β)
sowie die Abschätzungen
Rt
|hθ (t)| ≤ e
α
|g(s)| ds
−1
und
Rt
dhθ |g(s)| ds
− 1,
dt (t) ≤ e α
t ∈ (α, β)
erfüllt. Außerdem genügt hθ in (α, β) der Differentialgleichung
d2 hθ
dhθ
= g · (1 + hθ ).
+ 2iθ
2
dt
dt
Durch Rücktransformation mittels (3.11) erhalten wir in Abhängigkeit von θ eine Lösung
fθ : (a, b) → C der Differentialgleichung (3.32) mit
1
fθ (x) = (r(x))− 4 eθiν(x) 1 + hθ (ν(x)) ,
x ∈ (a, b),
wobei die Abbildung hθ ◦ ν für x ∈ (a, b) die Ungleichungen
Rx
|hθ (ν(x))| ≤ e
a
|E(y)| dy
−1
und
Rx
1
r(x) − 2 d(hθ ◦ ν) (x) = dhθ (ν(x)) ≤ e a |E(y)| dy − 1
dt
dx
26
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
erfüllt. Für θ = 1 ist fθ die Lösung f1 mit R1 = hθ ◦ ν. Entsprechend erhalten wir für θ = −1
die Lösung f2 mit R2 = hθ ◦ ν.
2. Die Funktion E in (3.33) sei über (x1 , b) für ein x1 ∈ (a, b) integrierbar. Wir sehen mit
(3.7) und
Z b
E(y) dy = −i
Z β
x1
g(s) ds = −i
Z −ν(x1 )
g(−σ) dσ,
−β
ν(x1 )
dass die Abbildung G : (−β, −α) → C, τ 7→
i
2θ g(−τ )
über (−β, −ν(x1 )) integrierbar ist.
Des Weiteren verschwindet für θ ∈ {−1, 1} der Realteil der Abbildung κ : (−β, −α) → C,
τ 7→ −2iθτ , weshalb dieser eine monoton wachsende Funktion ist. Aus Satz 3.3 erhalten wir
eine zweimal stetig differenzierbare Funktion ĥθ : (−β, −α) → C, welche die Integralgleichung
ĥθ (τ ) =
i
2θ
Z τ
−β
(1 − e2iθ(τ −σ) )g(−σ)(1 + ĥθ (σ)) dσ,
τ ∈ (−β, −α)
sowie die Ungleichungen
Rτ
|g(−σ)| dσ
−1
ĥθ (τ ) ≤ e −β
und
Rτ
dĥ
|g(−σ)| dσ
θ (t) ≤ e −β
− 1,
dτ
τ ∈ (−β, −α)
erfüllen. Außerdem genügt ĥθ der Differentialgleichung
d2 ĥθ
dĥθ
(τ
)
−
2iθ
(τ
)
=
g(−τ
)
1
+
ĥ
(τ
)
,
θ
dτ 2
dτ
τ ∈ (−β, −α).
Definiert man hθ : (α, β) → C, t 7→ ĥθ (−t), so erfüllt hθ in (α, β) wegen
und
d2 hθ
dt2
(t) =
d2 ĥθ
dτ 2
dhθ
dt (t)
ĥθ
= − ddτ
(−t)
(−t) die Differentialgleichung
dhθ
d2 hθ
+ 2iθ
= g · (1 + hθ )
2
dt
dt
und wir erhalten mit (3.11) in Abhängigkeit von θ eine Lösung fθ : (a, b) → C,
1
fθ (x) = (r(x))− 4 eθiν(x) 1 + hθ (ν(x)) ,
x ∈ (a, b).
Die Funktion hθ ◦ ν erfüllt dabei die Abschätzungen
R −ν(x)
|hθ (ν(x))| = ĥθ (−ν(x)) ≤ e
−β
|g(−σ)| dσ
Rb
−1=e
x
|E(y)| dy
− 1,
x ∈ (a, b)
und
Rb
dĥθ
− 1 d(hθ ◦ ν)
r(x) 2
(x) = (−ν(x)) ≤ e x |E(y)| dy − 1,
dτ
dx
27
x ∈ (a, b).
3 Die WKB-Näherung
Für θ = 1 ist fθ die Lösung f3 mit R3 = hθ ◦ ν. Entsprechend erhalten wir für θ = −1 die
Lösung f4 mit R4 = hθ ◦ ν.
Ist die Funktion E in Satz 3.4 über dem gesamten Intervall (a, b) integrierbar, so existieren
beide Lösungen f1 und f2 , vergleiche (3.23) und (3.24). Die Funktionen R1 und R2 sind beide
durch
Rb
|Rk (x)| ≤ e
a
|E(y)| dy
− 1,
x ∈ (a, b),
k = 1, 2
beschränkt. Unter Vernachlässigung der Terme R1 (x) und R2 (x) erhält man
1
− ±
fˆ1,2 (x) = r(x) 4 e
Gilt
Rb
a
√
µ
Rx √
x0
r(y) dy+c
,
x ∈ (a, b).
(3.36)
|E(y)| dy < ln(2), so ist diese Vorgehensweise tatsächlich gerechtfertigt. Wegen Rk (x) +
1 6= 0 für x ∈ (a, b) und k = 1, 2 spielen die Funktionen R1 und R2 keine Rolle für das
Wachstumsverhalten der Lösungen f1 und f2 nahe a und b. Für Satz 3.5 gelten im Hinblick auf
E nach (3.33) analoge Aussagen. Ist E über dem ganzen Intervall (a, b) integrierbar, so existieren
die Lösungen f1 , f2 , f3 und f4 , vergleiche (3.34) und (3.35). Gilt ferner
Rb
a
|E(y)| dy < ln(2),
so kann man auch hier die Terme Rk (x) für k = 1, 2, 3, 4 vernachlässigen und erhält als
Näherung für die Lösungen f1 , f2 , f3 und f4
1
− i
fˆ1,3 (x) = r(x) 4 e
Rx √
x0
r(y) dy+c
1
,
− −i
fˆ2,4 (x) = r(x) 4 e
Rx √
x0
r(y) dy+c
x ∈ (a, b). (3.37)
Die jeweilige Näherung (3.36) und (3.37) der Differentialgleichung (3.21) und (3.32) wird
als WKB- beziehungsweise JWKB-Näherung bezeichnet. Namensgebend sind dabei G. Wentzel [50], H. Kramers [30], L. Brillouin [10] und H. Jeffreys [29], welche diese Näherung
unabhängig voneinander im Jahr 1926 publizierten. Eine weitere Bezeichnung dieser Methode ist Liouville-Green-Approximation, zurückzuführen auf die früheren Arbeiten von
J. Liouville [33] und G. Green [22].
Beispiel 3.6 Wir wollen mit Hilfe des Satzes 3.4 für die Differentialgleichung
d2 f
(x) = (4x2 + 2)f (x),
dx2
x∈R
(3.38)
aus Beispiel 3.1 Lösungsnäherungen bestimmen. Dafür wählen wir p(x) = r(x) = 4x2 + 2,
q(x) = 0 für x ∈ R und die Konstanten µ = 1. Außerdem sei ν : R → R
ν(x) :=
Z xq
4y 2 + 2 dy =
0
√
p
1 p 2
x 4x + 2 + ln
2x + 2x2 + 1 ,
2
28
x ∈ R.
(3.39)
3.1 Die WKB-Näherung für reelle Variablen
Folglich ergibt sich die Funktion E der Form
1
E(x) =
2
4r00 (x)r(x) − 5 (r0 (x))2
!
=
5
16 (r(x)) 2
2 − 6x2
x ∈ R.
,
5
(4x2 + 2) 2
Mit Hilfe numerischer Integration erhält man, dass E über der reellen Achse integrierbar ist
und insbesondere
Z
|E(y)| dy = 2
Z ∞
|E(y)| dy =
0
R
1 √
(8 10 − 5) < ln(2)
60
gilt. Satz 3.4 liefert somit Lösungen f1 und f2 ,
1
f1,2 (x) = (4x2 + 2)− 4 e±
Rx√
0
4y 2 +2 dy
x ∈ R,
(1 + R1,2 (x)),
(3.40)
wobei die Funktionen R1 und R2 durch
R∞
|R1,2 (x)| ≤ e
−∞
|E(t)| dt
− 1 < 1,
x∈R
beschränkt sind. Man erkennt in (3.40), dass |f1 (x)| → ∞ für x → ∞ während |f2 (x)| → 0 gilt.
Für x → −∞ hingegen konvergiert |f2 (x)| → ∞ und |f1 (x)| → 0. Somit sind die Lösungen f1
und f2 linear unabhängig und bilden eine Basis des Lösungsraumes der Differentialgleichung
(3.38). Wir können nun die Lösungen f1 und f2 unter Vernachlässigung der Terme R1 (x)
beziehungsweise R2 (x) jeweils durch
fˆ1,2 : R → C,
1
fˆ1,2 (x) = (4x2 + 2)− 4 e±
Rx√
0
4t2 +2 dt
x∈R
,
approximieren. Mit (3.39) erhalten wir
√
p
1
1
1 √
2
fˆ1,2 (x) = (4x2 + 2)− 4 ( 2x + 2x2 + 1)± 2 e± 2 x 4x +2 ,
x ∈ R.
Wir wählen die Linearkombination fˆ = αfˆ1 + β fˆ2 für komplexe Konstanten α und β und
2
wollen mit ihrer Hilfe die tatsächliche Lösung f : R → C, x → ex , vergleiche Beispiel 3.1,
approximieren. Es gilt für x < 0
p
− 1 1 √ 2
1 √
fˆ2 (x)
2
= (4x2 + 2)− 4 2x + 2x2 + 1 2 e− 2 x 4x +2−x
f (x)
=2
− 14
=2
− 14
√ p
x 2 2x2 + 1 + 2x2 + 1
−2|x|2
r
− 1 |x|2
2
1
1 + 2 + 2x2 + 1
2x
29
q
e
!− 1
2
1+
|x|2
e
1
−x2
2x2
q
1+
1
−x2
2x2
3 Die WKB-Näherung
Mit Hilfe der Taylorreihenentwicklung
r
1 1
1
1
−
1+ 2 =1+
2
2x
2 2x
8
1
2x2
2
± ...
für
1
2− 2 < |x|
1
erhalten wir für x < −2− 2
1
fˆ2 (x)
= 2− 4
f (x)
1
1
− 2x2 −
2
8
1
2x2
!!− 1
2
2
± ···
e
1
+x2
4
− 18
1
2x2
2
±···
.
1
Analog sieht man für x > 2− 2
1

1
1
fˆ1 (x)
= 24  q
f (x)
2 1+
2
1
2x2
1
+x2
1
+  e4
2
− 18
1
2x2
2
±···
.
−1
−1
1
Für x → ∞ konvergiert fˆ1 (x) f (x)
gegen (2e) 4 sowie offenbar fˆ2 (x) f (x)
gegen 0.
−1
−1
1
Außerdem erhält man die Konvergenz von fˆ2 (x) f (x)
gegen (2e) 4 und fˆ1 (x) f (x)
gegen 0 für x → −∞. Insgesamt erhält man
1
fˆ(x)
= (2e) 4 α
x→∞ f (x)
lim
1
fˆ(x)
= (2e) 4 β.
x→−∞ f (x)
und lim
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
Wir betrachten die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung
d2 f
(z) = p(z) + q(z) f (z),
2
dz
z∈D
(3.41)
für ein einfach zusammenhängendes Gebiet D ⊂ C. Die Koeffizienten p : D → C und
q : D → C seien analytische Funktionen, wobei p in D nicht verschwinde. Für feste z0 ∈ D
und c ∈ C definieren wir analog zum reellen Fall die Liouville-Transformation wie folgt,
ν : D → C,
z 7→
Z z
p(y)
1
2
dy + c.
(3.42)
z0
Dabei seien Potenzen der Funktion p über einen Zweig h des Logarithmus von p nach
Lemma 2.8 definiert. Speziell seien somit p(z)
1
2
1
:= e 2 h(z) und p(z)
1
4
1
:= e 4 h(z) für z ∈ D.
Der Integrand in (3.42) ist folglich analytisch, woraus als Konsequenz des Cauchyschen
Intergalsatztes die Wegunabhängigkeit des Integrals gilt. Des Weiteren ist ν : D → C eine
analytische Funktion, wobei die Ableitung ν 0 (z) = p(z)
1
2
für kein z ∈ D verschwindet.
Da ν im Allgemeinen nicht injektiv ist, zerlegen wir D in offene Mengen, in denen die
jeweiligen Einschränkungen von ν injektiv sind. Grundlage dafür bildet Satz 2.4. Folglich
30
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
existiert für jedes z ∈ D eine offene Kugel Br (z) ⊂ D mit Radius r > 0, sodass ν|Br (z) injektiv
ist. Wir fassen in der Menge U alle diese Kugeln zusammen,
U=
Offenbar gilt D =
S
n
B∈U
Br (z) ⊂ D z ∈ D,
r > 0,
o
ν|Br (z) ist injektiv .
B. Wir bezeichnen im folgenden für B ∈ U mit νB die Einschränkung
ν|B und mit ηB die Inverse νB −1 . Außerdem definieren wir VB := ν(B). Nach Satz 2.4 ist
ηB : VB → B eine analytische Funktion und es gilt
νB 0 (z) = p(z)
1
2
z∈B
,
sowie
− 1
ηB 0 (ζ) = p(ηB (ζ))
2
,
ζ ∈ VB .
Da B eine offene Kugel und somit insbesondere ein einfach zusammenhängendes Gebiet
ist, erhalten wir mit der Stetigkeit der Abbildungen νB und ηB , dass auch VB ein einfach
zusammenhängendes Gebiet ist.
Es sei eine Lösung f der Differentialgleichung (3.41) gegeben. Für B ∈ U definieren wir
FB (ζ) :=
1
dνB
(ηB (ζ))
dz
2
1
f (ηB (ζ)) = p(ηB (ζ))
4
f (ηB (ζ)),
ζ ∈ VB .
(3.43)
Die Abbildung FB : VB → C ist offenbar analytisch und wir können ihre ersten beiden
Ableitung berechnen. Dabei übertragen sich bekanntermaßen Ableitungsregeln, wie Produktregel und Kettenregel der Differentiation im Reellen auf die komplexe Differentiation. Wir
unterdrücken im Folgenden die Funktionsargumente ζ und ηB (ζ). Damit erhalten wir analog
zum reellen Fall durch Ableitung von FB nach ζ
1
p2 ·
1
dFB
1 3
= p− 4 p0 f + p 4 f 0
dζ
4
(3.44)
1
sowie durch Differentiation der Gleichung (3.44) und anschließende Multiplikation mit p 2
1
7
1 − 1 0 dFB
d2 FB
3
1 3
1 3
p 2p
+p
= − p− 4 (p0 )2 f + p− 4 p00 f + p− 4 p0 f 0 + p 4 f 00 .
2
2
dζ
dζ
16
4
2
(3.45)
Die Tatsache, dass f in D eine Lösung der Differentialgleichung f 00 = (p + q)f ist, sowie die
Gleichungen (3.44) und (3.45) zusammen mit der Definition von F in (3.43) liefern
d2 FB
=
dζ 2
2
5 p0
p00
q
−
+1+
FB .
4p2
16p3
p
!
Die Funktion FB ist damit eine Lösung der Differentialgleichung
d2 FB
(ζ) = (1 + gB (ζ)) FB (ζ),
dζ 2
31
ζ ∈ VB
(3.46)
3 Die WKB-Näherung
für die analytischen Funktionen gB : VB → C mit
gB (ζ) =
4p00 (ηB (ζ))p(ηB (ζ)) − 5 (p0 (ηB (ζ)))2 q(ηB (ζ))
+
,
p(ηB (ζ))
16 (p(ηB (ζ)))3
ζ ∈ VB .
Wir können die Funktion FB als Produkt
FB (ζ) = eθζ (1 + hB (ζ)),
ζ ∈ VB
(3.47)
mit einer analytischen Funktion hB : VB → C und θ ∈ {−1, 1} darstellen, wobei für ζ ∈ VB
die Beziehung hB (ζ) = e−θζ FB (ζ) − 1 erfüllt ist. Für die ersten beiden Ableitungen von FB
gilt
dFB
dhB
(ζ) = θeθζ (1 + hB (ζ)) + eθζ
(ζ),
dζ
dζ
ζ ∈ VB
sowie mit (3.46) für ζ ∈ VB
dhB
d 2 hB
d2 FB
(ζ) = θ2 eθζ (1 + hB (ζ)) + 2θeθζ
(ζ) + eθζ
(ζ)
dζ
dζ
dζ 2
= (1 + gB (ζ))eθζ (1 + hB (ζ)).
Durch Umstellen der letzten Gleichung unter Ausnutzung von θ2 = 1 erhalten wir für hB die
Differentialgleichung
d2 hB
dhB
(ζ) + 2θ
(ζ) = gB (ζ)(hB (ζ) + 1),
2
dζ
dζ
ζ ∈ VB .
(3.48)
Lemma 3.7 Es sei θ ∈ {−1, 1}. Ist f eine Lösung der Differentialgleichung (3.41), dann
stellt für B ∈ U die Funktion hB mit
1 −θζ
4
e f (ηB (ζ)) − 1,
hB (ζ) = p(ηB (ζ))
ζ ∈ VB
(3.49)
eine Lösung der Differentialgleichung dar (3.48).
Ist für B ∈ U die Funktion hB eine Lösung von (3.48), so ist durch
− 1 θν (z)
4
e B (1 + hB (νB (z))),
f (z) = p(z)
z ∈ B.
(3.50)
eine Lösung f der Differentialgleichung (3.41) gegeben.
Beweis. Der erste Teil folgt direkt aus den bisherigen Betrachtungen, insbesondere aus (3.43)
und (3.47).
Es sei für B ∈ U eine Lösung h̃B der Differentialgleichung (3.48) gegeben. Wir betrachten
für einen Punkt ζ0 ∈ VB mit z0 := ηB (ζ0 ) die Anfangswerte c0 := h̃B (ζ0 ) und c1 :=
32
dh̃B
dζ (ζ0 ).
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
Nach Satz 2.15 existiert eine eindeutige Lösung f der Differentialgleichung (3.41) mit f (z0 ) =
p(z0 )
− 1 θν (z )
4
e B 0 (1 + c0 ) und
0
θνB (z0 )
f (z0 ) = e
− 1
p(z0 )
4
−1
1
θνB (z0 ) − p(z0 ) p0 (z0 ) (1 + c0 ) + c1 νB 0 (z0 ) .
4
0
(3.51)
Unter Anwendung des ersten Teils von Lemma 3.7 existiert eine Lösung hB der Differentialgleichung (3.48) der Form (3.49). Durch Umstellen erhalten wir daraus die Beziehung
− 1 θν (z)
4
e B
1 + hB (νB (z)) ,
f (z) = p(z)
z ∈ B.
(3.52)
Da p in D nicht verschwindet folgt, dass hB (ζ0 ) = hB (νB (z0 )) = c0 = h̃B (ζ0 ) gilt. Leiten wir
in (3.52) beide Seiten nach z ab, so erhalten wir für z ∈ B
− 1
− 5
1
p(z) 4 p0 (z)eθνB (z) (1 + hB (νB (z))) + θ p(z) 4 eθνB (z) νB 0 (z)(1 + hB (νB (z)))
4
− 1
dhB
+ p(z) 4 eθνB (z)
(νB (z))νB 0 (z).
dζ
f 0 (z) = −
1
Wegen νB 0 (z) = p(z)
2
6= 0 für z ∈ B sieht man durch Einsetzen von z = z0 = ηB (ζ0 ) mit
der Gleichung (3.51), dass
dhB
dζ (ζ0 )
= c1 =
dh̃B
dζ (ζ0 )
gilt. Nach Satz 2.15 stimmen hB und h̃B
in VB überein.
Satz 3.8 Es sei θ ∈ {−1, 1}. Wir betrachten für eine analytische Funktion R : D → C die
Funktion f : D → C mit
− 1 θν(z)
4
e
(1 + R(z)),
f (z) = p(z)
z ∈ D.
(3.53)
Außerdem definieren wir die analytische Funktion g : D → C mit
g(z) =
4p00 (z)p(z) − 5 (p0 (z))2 q(z)
+
,
p(z)
16 (p(z))3
z ∈ D.
Dann ist f genau dann eine Lösung der Differentialgleichung (3.41), wenn R die Differentialgleichung
ν 00 (z)
R (z) + 2θν (z) − 0
R0 (z) = g(z)(ν 0 (z))2 (1 + R(z)),
ν (z)
00
0
z∈D
(3.54)
löst.
Beweis. 1. Es sei f eine Lösung der Differentialgleichung (3.41). Nach Lemma 3.7 existiert
für jedes B ∈ U eine Lösung hB der Differentialgleichung (3.48), wobei für z ∈ B die Lösung
33
3 Die WKB-Näherung
f der Darstellung
− 1 θν (z)
4
e B (1 + hB (νB (z))),
f (z) = p(z)
z∈B
genügt. Für A, B ∈ U stimmen dabei hA und hB in ν(A ∩ B) überein. Folglich ist die Funktion
R : D → C mit R(z) := hB (νB (z)) für z ∈ B wohldefiniert und wegen der Analytizität der
Abbildungen νB und hB analytisch in D. Für die ersten beiden Ableitungen der Funktion R
innerhalb von B ∈ U ergeben sich
R0 (z) =
dhB
(νB (z))νB 0 (z),
dζ
z∈B
(3.55)
und
R00 (z) =
2
dhB
d2 hB
(νB (z)) νB 0 (z) +
(νB (z))νB 00 (z),
2
dζ
dζ
z ∈ B.
Unter Anwendung von (3.55) und (3.48) erhalten wir aus der letzten Gleichung
R00 (z) = −2θνB 0 (z) +
2
νB 00 (z)
R0 (z) + gB (νB (z)) νB 0 (z) (1 + R(z)),
0
νB (z)
z ∈ B.
(3.56)
Nach Definition entspricht gB (νB (z)) = g(z) für z ∈ B. Außerdem stimmen für B ∈ U die
Abbildungen ν und νB in B überein. Somit sieht man durch Fortsetzung der Gleichung
(3.56) in D =
S
B∈U
B, dass R zum einen der Gleichung (3.53) genügt und zum anderen die
Differentialgleichung (3.54) löst.
2. Es sei R̃ eine Lösung der Differentialgleichung (3.54). Wir definieren für ein B ∈ U die
Funktion hB := R̃ ◦ ηB . Für die ersten beiden Ableitungen von hB gilt
dhB
dηB
(ζ) = R0 (ηB (ζ))
(ζ).
dζ
dζ
ζ ∈ VB
und, da R̃ Lösung der Differentialgleichung (3.54) ist, für ζ ∈ VB
2
d2 hB
dηB
d 2 ηB
00
0
(ζ)
=
R
(η
(ζ))
(ζ)
+
R
(η
(ζ))
(ζ)
B
B
dζ 2
dζ
ζ2
00
2
ν (ηB (ζ))
dηB
0
0
−
2θν
(η
(ζ))
R
(η
(ζ))
(ζ)
=
B
B
ν 0 (ηB (ζ))
dζ
2
2
dηB
d 2 ηB
+ g(ηB (ζ)) ν 0 (ηB (ζ)) (1 + R(ηB (ζ)))
(ζ) + R0 (ηB (ζ)) 2 (ζ).
dζ
ζ
−1
Nach Konstruktion ist νB die Einschränkung von ν auf B. Des Weiteren folgen aus νB
= ηB
die Beziehungen
dηB
dζ (ζ)
=
1
νB 0 (ηB (ζ))
und
d2 ηB
(ζ)
dζ 2
34
00
(ζ))
= − (ννBB0 (η(ηBB(ζ)))
3 für ζ ∈ VB . Damit erhalten
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
wir weiter
d2 hB
dhB
(ζ) = −2θ
(ζ) + g(ηB (ζ))(1 + hB (ζ)),
2
dζ
dζ
ζ ∈ VB .
Offenbar gilt g(ηB (ζ)) = gB (ζ) für ζ ∈ VB . Somit erfüllt hB die Differentialgleichung (3.48).
Lemma 3.7 liefert eine Lösung f der Differentialgleichung (3.41), welche für z ∈ B die
Beziehung
f (z) = p(z)
− 1 θν (z)
4
e B (1 + hB (νB (z)))
erfüllt. Nach Teil 1 existiert eine Lösung R der Differentialgleichung (3.54), sodass auch
f (z) = p(z)
− 1 θν(z)
4
e
(1 + R(z))
für z ∈ D gilt. Somit stimmen R̃ = hB ◦ νB und R sowie ihre Ableitungen in B überein.
Satz 2.15 liefert die Identität von R̃ und R in ganz D.
Bevor wir die WKB-Methode für den komplexen Fall erweitern benötigen wir noch weitere Hilfsmittel. Wesentlich für den Nachweis oberer Schranken ist dabei die Gronwallsche
Ungleichung. Zur Erinnerung zitieren wir diese aus [48].
Satz 3.9 Es seien stetige Funktionen a, b, u : [t0 , t1 ] → R auf einem abgeschlossenen Intervall
[t0 , t1 ] für t0 , t1 ∈ R, t0 < t1 , gegeben. Zudem sei b eine nichtnegative Funktion und es gelte
die Ungleichung
u(t) ≤ a(t) +
Z t
b(τ )u(τ ) dτ,
t0 ≤ t ≤ t1 .
t0
Dann gilt
u(t) ≤ a(t) +
Z t
Rt
a(τ )b(τ )e
τ
b(s) ds
dτ,
t0 ≤ t ≤ t1 .
t0
Ist a zusätzlich eine monoton wachsende Funktion, so gilt
Rt
u(t) ≤ a(t)e
t0
b(τ ) dτ
,
t0 ≤ t ≤ t1 .
Die Konstruktion von Lösungen der ursprünglichen Differentialgleichung f 00 = (p + q)f
erfolgt ähnlich wie im reellen Fall über Lösungen der Differentialgleichung (3.54). Dabei ist
es von zentraler Bedeutung diese Gleichung entlang von speziellen Wegen zu betrachten.
Abweichend von der gängigen Definition eines Weges innerhalb der komplexen Ebene, wollen
wir zulassen, dass Wege im Unendlichen beginnen können. Es bezeichne dazu C die Erweiterung
der komplexen Zahlenebene um einen unendlich fernen Punkt, C := C ∪ {∞}. Wir wollen C
mit einer Topologie T versehen (vergleiche [42]). Dafür sammeln wir in T zum einen alle offene
35
3 Die WKB-Näherung
Teilmengen der komplexen Zahlenebene. Außerdem enthalte T für jede kompakte Menge
K ⊂ C ihr mit {∞} vereinigtes Komplement bezüglich C, das heißt (C \ K) ∪ {∞} ∈ T . Die
Menge C bildet zusammen mit dem Mengensystem T einen topologischen Raum, wobei C den
topologischen Abschluss der komplexen Zahlenebene C bezüglich der Topologie T darstellt.
Wir bezeichnen im Folgenden eine stetige Abbildung γ : (t0 , t1 ] → D mit −∞ ≤ t0 < t1 < ∞
als Weg, wenn der rechtsseitige Grenzwert limt&t0 γ(t) in C existiert. Außerdem führen wir
für einen Weg γ mit Bild in D die Notation γν für die die Verkettung ν ◦ γ ein. Dabei
übertragen sich Eigenschaften wie Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Abbildung γ wegen
der Analytizität von ν auf γν . Insbesondere ist γν ein Weg in ran(ν).
Definition 3.10 Es sei γ : (t0 , t1 ] → D ein Weg.
1. Ist γ in (t0 , t1 ) zweimal stetig differenzierbar mit nicht verschwindender erster Ableitung
γ̇, so bezeichnen wir γ als regulären C 2 -Weg.
2. Es sei eine endliche Zerlegung t0 := τ0 < τ1 < · · · < τn := t1 mit n ∈ N, sodass
(i) für jedes k ∈ {0, . . . , n − 1} die Einschränkung γ|(τk ,τk+1 ] ein regulärer C 2 -Weg ist,
(ii) für jedes k ∈ {1, . . . , n − 2} die rechts- und linksseitigen Grenzwerte
lim γ̇(t),
lim γ̇(t),
t&τk
t%τk+1
lim γ̈(t)
t&τk
und
lim γ̈(t)
t%τk+1
existieren,
(iii) die rechts- und linksseitigen Grenzwerte
lim γ̇(t),
t&τn−1
lim γ̈(t),
t&τn−1
lim γ̇(t)
t%τ1
und
lim γ̈(t)
t%τ1
existieren.
Dann bezeichnen wir γ als Kette regulärer C 2 -Wege.
Bemerkung 3.11 Durch die Existenz der einseitigen Grenzwerte der ersten beiden Ableitungen einer Kette γ regulärer C 2 -Wege existieren wegen der Analytizität der Abbildung ν
auch die einseitgen Grenzwerte der ersten beiden Ableitungen von γν = ν ◦ γ. Dadurch ist
gewährleistet, dass γ̇ν und γ̈ν auf jedem Kompaktum beschränkt und somit lokal integrierbar
sind.
Lemma 3.12 Es seien θ ∈ {−1, 1} und R eine Lösung der Differentialgleichung (3.54).
Dann besitzt R für z, z1 ∈ D die Gestalt
R(z) = R(z1 ) +
+
1
2θ
R0 (z1 ) −2θ(ν(z)−ν(z1 ))
1
−
e
2θν 0 (z1 )
Z z
1 − e−2θ(ν(z)−ν(y)) g(y)ν 0 (y)(1 + R(y)) dy.
z1
36
(3.57)
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
Betrachtet man R entlang eines regulären C 2 -Weges γ : (t0 , t1 ] → D, so erfüllt R ◦ γ in (t0 , t1 )
die Gleichung
d2 (R ◦ γ)
γ̈ν
+ 2θγ̇ν −
2
dt
γ̇ν
2
d(R ◦ γ)
= (g ◦ γ) · γ̇ν (1 + (R ◦ γ))
dt
(3.58)
und hat für t, τ1 ∈ (t0 , t1 ) die Form
R(γ(t)) = R(γ(τ1 )) +
1
+
2θ
Z t
R0 (γ(τ1 )) −2θ(γν (t)−γν (τ1 )
1
−
e
2θν 0 (γ(τ1 ))
−2θ(γν (t)−γν (s))
1−e
(3.59)
g(γ(s))γ̇ν (s)(1 + R(γ(s))) ds.
τ1
Beweis. 1. Wir betrachten die Differentialgleichung (3.54) als inhomogene lineare Differentialgleichung mit Inhomogenität (1 + R)(ν 0 )2 g. Dabei bilden die Funktionen R1 : D → C,
z 7→ 1 und R2 : D → C, z 7→ e−2θν(z) ein Paar linear unabhängiger Lösungen der zugehörigen homogenen Differentialgleichung. Wir wandeln die Differentialgleichung (3.54) in ein
äquivalentes zweidimensionales System um (vergleiche Abschnitt 2.5),
R0
!
=
R00
0
0
!
1
ν 00
ν0
− 2θν 0
R
R0
!
!
0
+
.
(1 + R)(ν 0 )2 g
Offenbar bilden (R1 , R10 )T und (R2 , R20 )T eine Basis des Lösungsraumes des zugehörigen
homogenen Gleichungssystems. Wir definieren
Φ :=
R1 R2
!
=
R10 R20
1
!
e−2θν
0 −2θν 0 e−2θν
.
Für z, z1 ∈ D erhalten wir als Inverse der Matrix Φ(z)


1
2θν 0 (z)
1
Φ(z)−1 = 

0 − 2θν10 (z) e2θν(z)



1
und
Φ(z)Φ(z1 )−1 = 
0

1
2θν 0 (z
1)
1 − e−2θ(ν(z)−ν(z1 ))


.
ν 0 (z) −2θ(ν(z)−ν(z1 ))
ν 0 (z1 ) e
Ist R eine Lösung der Differentialgleichung (3.54), so erhalten wir mit Satz 2.14 für z, z1 ∈ D
die Darstellung
R(z)
!
R0 (z)
−1
= Φ(z)Φ(ζ1 )
R(z1 )
!
R0 (z1 )
Z z
+
T
Φ(z)Φ(y)−1 0, (ν 0 (y))2 g(y)(1 + R(y))
dy.
z1
Betrachtet man dabei nur die erste Komponente, so erhält man (3.57).
2. Es sei R weiterhin eine Lösung von (3.54). Zusätzlich sei γ : (t0 , t1 ] → D ein C 2 -regulärer
37
3 Die WKB-Näherung
Weg. Wir leiten R ◦ γ zweimal nach t ab und erhalten
d(R ◦ γ)
(t) = R0 (γ(t))γ̇(t),
dt
t ∈ (t0 , t1 )
und
2
d2 (R ◦ γ)
(t) = R00 (γ(t)) γ̇(t) + R0 (γ(t))γ̈(t),
2
dt
t ∈ (t0 , t1 ).
Auf Grund der Gleichung (3.54) erhalten wir daraus für t ∈ (t0 , t1 )
d2 (R ◦ γ)
(t) =
dt2
00
ν (γ(t))
ν 0 (γ(t))
0
− 2θν (γ(t)) γ̇(t)
d(R ◦ γ)
(t)
dt
2
+ 1 + R(γ(t)) ν 0 (γ(t)) g(γ(t)) γ̇(t)
2
γ̈(t) d(R ◦ γ)
(t).
γ̇(t)
dt
+
Wendet man darauf für γν := ν ◦ γ die beiden Beziehung γ̇ν (t) = ν 0 (γ(t))γ̇(t) und γ̈ν (t) =
ν 00 (γ(t)) γ̇(t)
2
+ ν 0 (γ(t))γ̈(t) an, so erhält man die Gleichung (3.58).
3. Wir gehen analog zum ersten Teil vor. Dazu betrachten wir in (t0 , t1 ) die Differentialglei2
chung (3.58) als inhomogene Gleichung mit der Inhomogenität (g ◦γ)· γ̇ν (1+(R ◦γ)). Dabei
stellen die Funktionen h1 : (t0 , t1 ) → C, t 7→ 1 und h2 : (t0 , t1 ) → C, t 7→ e−2θγν (t) ein Paar
linear unabhängiger Lösungen des homogenen Differentialgleichung dar. Durch Umwandlung
der Gleichung (3.58) in ein System (vergleiche Abschnitt 2.3) erhalten wir



d(R◦γ)
dt
d2 (R◦γ)
dt2


0
 
=
0

1
γ̈ν
γ̇ν
− 2θγ̇ν


R◦γ
d(R◦γ)
dt


 
+
1
Mittels der Lösungen des homogenen System h1 , dh
dt
Φ :=
h1
h2
dh1
dt
dh2
dt
!
=
1

0

.
2
(g ◦ γ) · γ̇ν (1 + (R ◦ γ))
T
2
und h2 , dh
dt
T
definieren wir
!
e−2θγν
0 −2θγ̇ν e−2θγν
.
Für t, τ ∈ (t0 , t1 ) erhalten wir

Φ(t)−1 = 
1
1
2θγ̇ν (t)
0
− 2θγ̇1ν (t) e2θγν (t)





1
und
Φ(t)Φ(τ )−1 = 
0

1
2θγ̇ν (τ )
1 − e−2θ(γν (t)−γν (τ ))
γ̇ν (t) −2θ(γν (t)−γν (τ ))
γ̇ν (τ ) e


.
Wir wenden Satz 2.10 auf eine Lösung (R ◦ γ) der Differentialgleichung (3.58) an. Für
38
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
t, τ ∈ (t0 , t1 ) gilt somit
R(γ(t))
d(R◦γ)
dt (t)
!
R(γ(τ ))
= Φ(t)Φ(τ )−1
Z t
+
!
d(R◦γ)
dt (τ )
T
Φ(t)Φ(s)−1 0, (γ̇ν (s))2 g(γ(s)) 1 + R(γ(s))
ds.
τ
Die Betrachtung der ersten Komponente liefert dabei die Gleichung (3.59).
Definition 3.13 Es sei θ ∈ {−1, 1}. Wir betrachten einen regulären C 2 -Weg γ : (t0 , t1 ] → D,
für den θ Re(ν ◦ γ) eine monoton wachsende Funktion ist. Mit Dγθ bezeichnen wir im Weiteren
die Menge aller Punkte z ∈ D, sodass eine Kette regulärer C 2 -Wege δ : (t0 , t2 ] → D mit
folgenden Eigenschaften existiert:
(i) δ(t2 ) = z,
(ii) θ Re(ν ◦ δ) ist eine monoton wachsende Funktion,
(iii) der rechtsseitige Grenzwert limt&t0 δ(t) stimme mit limt&t0 γ(t) überein,
(iv) außerdem existiere ein τ ∈ (t0 , t1 ) ∩ (t0 , t2 ), sodass γ und δ auf dem Intervall (t0 , τ ]
identisch sind.
Der nachstehende Satz fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen und stellt das Analogon
der Sätze 3.4 und 3.5 des letzten Abschnitts dar. Er bildet die Grundlage einer Verallgemeinung
der WKB-Approximation für Lösungen von linearer Differentialgleichungen der Ordnung zwei
einer komplexen Veränderlichen. Eine vergleichbare Aussage findet sich in [39, Chapter 6,
Theorem 11.1].
Satz 3.14 Wir betrachten in einem einfach zusammenhängenden Gebiet D ⊂ C für die
analytischen Funktionen p, q : D → C die Differentialgleichung
f 00 (z) = p(z) + q(z) f (z),
z ∈ D.
(3.60)
Die Funktion p habe in D keine Nullstellen. Wir definieren weiterhin für fest gewählte z0 ∈ D
und c ∈ C die analytische Funktion
ν : D → C,
z 7→
Z z
1
p(y)
2
dy + c.
z0
Es sei für −∞ ≤ t0 < t1 < ∞ ein regulärer C 2 -Weg γ : (t0 , t1 ] → D gegeben. Ferner sei für
θ ∈ {−1, 1} die Funktion θ Re(ν ◦ γ) in (t0 , t1 ] monoton wachsend und es existiere das Integral
Z t1
|E(γ(s))γ̇(s)| ds < ∞
t0
39
3 Die WKB-Näherung
für die Funktion E : D → C mit
E(z) =
4p00 (z)p(z) − 5 (p0 (z))2
16 (p(z))
5
2
+
q(z)
p(z)
1 ,
z ∈ D.
2
Dann gibt es eine Lösung f der Differentialgleichung (3.60) der Form
− 14
f (z) = (p(z))
θ
e
R
z
z0
1
((p(y)) 2 dy+c
(1 + R(z)),
z∈D
(3.61)
mit einer analytischen Funktion R : D → C. Für z ∈ Dγθ sei δ : (t0 , t2 ] → D eine Kette
C 2 -regulärer Wege wie in Definition 3.13. Dann erfüllt R die Abschätzungen
R t2
|R(z)| ≤ e
t0
|E(δ(s))δ̇(s)| ds
−1
(3.62)
und
R t2
1
|E(δ(s))δ̇(s)| dy
− 1.
(p(z))− 2 R0 (z) ≤ e t0
(3.63)
Beweis. Zu Beginn sei an die Bezeichnung γν = ν ◦ γ erinnert.
1. Wir zeigen, dass die Voraussetzungen von Satz 3.3 erfüllt sind. Dazu wählen wir κ :
(t0 , t1 ] → C, t 7→ 2θγν (t) sowie G : (t0 , t1 ] → C, t 7→
1
2θ g(γ(t))γ̇ν (t),
wobei g wie in Satz 3.8
erklärt sei. Dabei ist Re(κ) nach Voraussetzung monoton wachsend und G wegen

E(γ(t))γ̇(t) =
4p00 (γ(t))p(γ(t)) − 5 (p0 (γ(t)))2

5
16 (p(γ(t))) 2

q(γ(t)) 
+
1 γ̇(t)
p(γ(t)) 2
(3.64)
= g(γ(t))ν 0 (γ(t))γ̇(t) = g(γ(t))γ̇ν (t)
über dem Intervall (t0 , t1 ] integrierbar. Satz 3.3 liefert somit eine zweimal stetig differenzierbare
Funktion h : (t0 , t1 ] → C, welche neben der Differentialgleichung
d2 h
γ̈ν (t)
(t) + 2θγ̇ν (t) −
dt2
γ̇ν (t)
2
dh
(t) = g(γ(t)) γ̇ν (t) (1 + h(t)),
dt
t ∈ (t0 , t1 )
auch die Integraldarstellung
h(t) =
1
2θ
Z t
1 − e−2θ(γν (t)−γν (s)) g(γ(s))γ̇ν (t)(1 + h(s)) ds,
t ∈ (t0 , t1 ]
t0
erfüllt sowie für t ∈ (t0 , t1 ] den Abschätzungen
Rt
|h(t)| ≤ e
t0
|g(γ(s))γ̇ν (s)| ds
−1
und
Rt
dh (t) ≤ |γ̇ν (t)|e t0 |g(γ(s))γ̇ν (s)| ds − 1
dt (3.65)
genügt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass die Ableitung von γν wegen der Regularität des
40
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
Weges γ und der Nullstellenfreiheit der Funktion p nicht verschwindet. Weiterhin gilt nach
Satz 3.3 für die Ableitung von h die Darstellung
dh
(t) = γ̇ν (t)
dt
Z t
e−2θ(γν (t)−γν (s)) g(γ(s))γ̇ν (s)(1 + h(s)) ds,
t ∈ (t0 , t1 ].
t0
Wir betrachten nun für ein τ ∈ (t0 , t1 ) in D das Anfangswertproblem
ν 00
R + 2θν − 0 R0 = g(ν 0 )2 (1 + R),
ν
00
0
R0 (γ(τ )) =
R(γ(τ )) = h(τ ),
1 dh
(τ ).
γ̇(τ ) dt
Dafür liefert uns Satz 2.15 eine eindeutige Lösung R. Nach Lemma 3.12 erfüllt R ◦ γ wie auch
h die Differentialgleichung
d2 (R ◦ γ)
γ̈ν
+ 2θγ̇ν −
2
dt
γ̇ν
2
d(R ◦ γ)
= (g ◦ γ) · γ̇ν (1 + (R ◦ γ))
dt
im Intervall (t0 , t1 ). Außerdem genügen h und R ◦ γ offenbar derselben Anfangsbedingung
im Punkt τ . Damit stimmen beide Funktionen nach Satz 2.11 in (t0 , t1 ) und auf Grund der
Stetigkeit von R ◦ γ und h auch im Punkt t1 überein. Die Abschätzungen von h in (3.65)
gelten somit auch für R ◦ γ und wir erhalten mit (3.64) für t ∈ (t0 , t1 ]
Rt
|R(γ(t))| ≤ e
t0
|E(γ(s))γ̇(s)| ds
− 1,
0
0
Rt
|R (γ(t))| ≤ |ν (γ(t))|e
t0
|E(γ(s))γ̇(s)| ds
− 1.
(3.66)
Die Integraldarstellungen der Funktion h und ihrer Ableitung übertragen sich auf R ◦ γ und
d(R◦γ)
dt .
Es gelten
1
R(γ(t)) =
2θ
Z t
1 − e−2θ(γν (t)−γν (s)) g(γ(s))γ̇ν (t)(1 + R(γ(s))) ds,
t ∈ (t0 , t1 ]
(3.67)
t ∈ (t0 , t1 ].
(3.68)
t0
sowie
R0 (γ(t)) = ν 0 (γ(t))
Z t
e−2θ(γν (t)−γν (s)) g(γ(s))γ̇ν (s)(1 + R(γ(s))) ds,
t0
Des Weiteren erhalten wir mit Satz 3.8 durch R eine Lösung f der Differentialgleichung (3.60)
in der Form
− 14 θ
f (z) = (p(z))
e
R
z
z0
1
((p(y)) 2 dy+c
(1 + R(z)),
z∈D
und (3.61) ist gezeigt.
2. Es sei nun z ∈ Dγθ und δ : (t0 , t2 ] → D eine zugehörige Kette regulärer C 2 -Wege wie in
Definition 3.13 mit δ(t2 ) = z. Wir definieren δν := ν ◦ δ. Nach Voraussetzung existiert eine
endliche Zerlegung t0 = τ0 < τ1 < · · · < τn = t2 für n ∈ N des Intervalls (t0 , t2 ], sodass für
alle k = 0, . . . , n − 1 die Abbildungen δ|(τk ,τk+1 ] reguläre C 2 -Wege sind. Ohne Beschränkung
41
3 Die WKB-Näherung
der Allgemeinheit können wir davon ausgehen, dass δ|(τ0 ,τ1 ] mit γ|(τ0 ,τ1 ] übereinstimmt. Wir
zeigen induktiv, dass für alle t ∈ (τ0 , τk+1 ] und jedes k ∈ {0, . . . , n − 1} die Abschätzung (3.62)
gilt. Für k = 0 ist die Aussage offenbar wegen (3.66) erfüllt, da δ und γ auf dem Intervall
(τ0 , τ1 ] übereinstimmen, wobei τ0 = t0 gewählt ist. Für beliebiges t ∈ (t0 , t2 ] = (τ0 , τn ] erhalten
wir mit dem ersten Teil von Lemma 3.12
R(δ(t)) = R(δ(τ1 )) +
+
1
2θ
Z δ(t) 1
2θ
1 − e−2θ(ν(δ(t))−ν(y)) g(y)ν 0 (y)(1 + R(y)) dy
δ(τ1 )
= R(δ(τ1 )) +
+
R0 (δ(τ1 )) −2θ(δν (t)−δν (τ1 ))
1
−
e
2θν 0 (δ(τ1 ))
Z t
R0 (δ(τ1 )) −2θ(δν (t)−δν (τ1 ))
1
−
e
2θν 0 (δ(τ1 ))
1 − e−2θ(δν (t)−δν (s)) g(δ(s))δ̇ν (s)(1 + R(δ(s))) ds.
τ1
Setzt man nun R(δ(τ1 )) = R(γ(τ1 )) und R0 (δ(τ1 )) = R0 (γ(τ1 )) aus (3.67) und (3.68) ein, so
ergibt sich
R(δ(t)) =
1
2θ
Z τ1 1 − e−2θ(δν (τ1 )−δν (s)) g(δ(s))δ̇ν (t)(1 + R(δ(s))) ds
τ0
Z τ1
1 1 − e−2θ(δν (t)−δν (τ1 ))
e−2θ(δν (τ1 )−δν (s) g(δ(s))δ̇ν (s)(1 + R(δ(s))) ds
+
2θ
τ0
Z
1 t
+
1 − e−2θ(δν (t)−δν (s)) g(δ(s))γ̇ν (s)(1 + R(δ(s))) ds
2θ τ1
Z
1 t
=
1 − e−2θ(δν (t)−δν (s)) g(δ(s))γ̇ν (s)(1 + R(δ(s))) ds.
2θ τ0
(3.69)
Entscheidend für die Abschätzung von R(δ) ist das monotone Wachstum der Funktion θ Re δν .
Wir erhalten für s ≤ t mit s, t ∈ (τ0 , τn ]
−2θ(δν (t)−δν (s)) e
= e−2θ(Re δν (t)−Re δν (s)) ≤ 1
und
1 − e−2θ(δν (t)−δν (s)) ≤ 2.
Wählen wir nun t ∈ [τk , τk+1 ] für k > 0, so können wir R folgendermaßen abschätzen,
|R(δ(t))| + 1 ≤ 1 +
Z τk
Z
|g(δ(s))δ̇ν (s)|(1 + |R(δ(s))|) ds
t0
t
+
|g(δ(s))δ̇ν (s)|(1 + |R(δ(s))|) ds.
τk
Mit Hilfe der Gronwallschen Ungleichung erhalten wir
|R(δ(t)) + 1| ≤
Z τk
1+
Rt
|g(δ(s))δ̇ν (s)|(1 + |R(δ(s))|) ds e
τk
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
.
τ0
Hierbei benötigen wir die Voraussetzung an δ, dass sich für k > 1 die Einschränkung δ|(τk ,τk+1 )
42
3.2 Die WKB-Näherung für komplexe Variablen
stetig auf [τk , τk+1 ] fortsetzen lässt. Induktiv sehen wir nun
Z τk
|R(δ(t))| + 1 ≤
1+
Rs
|g(δ(s))δ̇ν (s)|e
t0
|g(δ(τ ))δ̇ν (τ )| dτ
Rt
ds e
τk
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
τ0
R τk
=e
τ0
Rt
=e
τ0
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
Rt
e
τk
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
.
3. Die Abschätzung für die Ableitung ergibt sich folgendermaßen. Wir leiten in der Gleichung
(3.69) nach t ab und erhalten
R0 (δ(t))δ̇(t) = δ̇ν (t)
Z t
e−2θ(δν (t)−δν (s)) g(δ(s))δ̇ν (s)(1 + R(δ(s))) ds.
t0
Nutzen wir für t ∈ (t0 , t2 ] die Beziehung δ̇ν (t) = ν 0 (δ(t))δ̇(t) und die eben bewiesene Abschätzung (3.62), so ergibt sich
0
Rs
Z t
R (δ(t)) |g(δ(τ ))δ̇ν (τ )| dτ
≤
|g(δ(s))δ̇ν (s)|e t0
ds
ν 0 (δ(t)) t0
Rt
=e
t0
|g(δ(s))δ̇ν (s)| ds
− 1.
Im Unterschied zu den Sätzen 3.4 und 3.5 im reellen Fall ist die Anwendung von Satz 3.14
wesentlich komplizierter. Neben der äußerst starken Voraussetzung der Analytizität an die
Funktionen p und q, gelten die Abschätzungen (3.62) und (3.63) nur für Punkte z ∈ Dγθ .
Dabei ist die zusammenhängende Menge Dγθ im Allgemeinen eine Teilmenge des einfach
zusammenhängenden Gebietes D. Die wesentliche Schwierigkeit besteht darin, einen geeigneten
regulären C 2 -Weg γ : (t0 , t1 ] → D zu finden, für den θ Re(γ) monoton wächst und die Menge
Dγθ interessante Bereiche abdeckt beziehungsweise hinreichend groß ist. Die Ungleichungen
(3.62) und (3.63) liefern auf Grund von limt&t0
Rt
t0
|E(γ(s))γ̇(s)| ds = 0 für die Funktion R
und ihre Ableitung
lim R(γ(t)) = lim p(γ(t))
t&t0
t&t0
− 1
4
R0 (γ(t)) = 0.
Insbesondere erhalten wir im Falle der Existenz von a := limt&t0 γ(t) ∈ D (a 6= ∞), dass
R und R0 im Punkt a verschwinden. Da R die Differentialgleichung (3.54) erfüllt, sind R
und f unter dieser Voraussetzung eindeutig durch den Anfangspunkt a bestimmt. Analysiert
man den Beweis von Satz 3.14 (im zweiten Teil, induktiver Nachweis der Schranke für R
entlang von δ), so wir klar, dass in diesem Fall auf die Bedingung (iv) in Definition 3.13
verzichtet werden kann. Im allgemeinen Fall hingegen ist diese Bedingung notwendig, wodurch
die Lösung f vom Weg γ selbst abhängt.
Vernachlässigt man in der Darstellung (3.61) der Lösung f den Term R(z) so erhält man
43
3 Die WKB-Näherung
mit
1
θ
−
fˆ(z) = p(z) 4 e
Rz
z0
12
p(y)
dy+c
,
z∈D
als Verallgemeinerung der WKB-Näherung eine Approximation der tatsächlichen Lösung f .
Wie gut diese die Lösung f approximiert hängt dabei vom Verhalten der Funktion R ab. Im
letzten Kapitel werden wir mit der eben vorgestellten Methode Eigenschaften von Lösungen
der Differentialgleichung f 00 = (p + q)f für Polynome p und q untersuchen.
44
4 Anwendung der WKB-Näherung auf
Differentialgleichungen mit polynomiellen Koeffizienten
Es seien Polynome p vom Grad n ≥ 3 und q vom Grad höchstens m <
p(z) = z n ,
q(z) =
m
X
ak z k
n
2
− 1 der Form
für z ∈ C
k=0
mit komplexen Koeffizienten a0 , . . . , am . Wir betrachten für den offenen Sektor
D=
3π
z ∈ C \ {0} | arg(z)| <
⊂ C \ (−∞, 0]
n+2
die Differentialgleichung
00
f (z) = p(z) + q(z) f (z) =
n
z +
m
X
!
ak z
k
f (z) für z ∈ D.
k=0
Die Menge D ist ein sternförmiges Gebiet und somit einfach zusammenhängend. Unser Ziel
ist mit Hilfe von Satz 3.14 eine Lösung dieser Differentialgleichung mit speziellen Wachstumseigenschaften zu bestimmen. Dafür definieren wir die Transformationsabbildung ν : D → C
mit
Z z
ν(z) =
n
y 2 dy +
1
n+2
2
2
=
z 2
n+2
n+2
für z ∈ D.
Potenzen von z seien dabei über den Hauptzweig des Logarithmus Ln : C \ (−∞, 0] → C
definiert. Insbesondere gilt somit
ν(z) =
n+2
n+2
2
|z| 2 ei 2 arg(z)
n+2
für z ∈ D.
Wir überdecken das Gebiet D mit den beiden offenen Menge
B1 =
z ∈ C \ {0} −
π
3π
< arg(z) <
2(n + 2)
n+2
und
B2 =
3π
π
z ∈ C \ {0} −
< arg(z) <
.
n+2
2(n + 2)
Dabei sind die Einschränkung ν|B1 und ν|B2 injektiv mit den Bildern
45
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
i
i
0
1
i
0
1
0
1
Abbildung 4.1: Der offene Sektor D am Beispiel für n = 3 , n = 10 und n = 22.
ν(B1 ) =
ζ ∈ C Re(ζ) < 0 ∪ ζ ∈ C \ {0}
π
− < arg(ζ) ≤ π
4
2
und
ν(B2 ) =
∪
ζ ∈ C Re(ζ) < 0
ζ ∈ C \ {0} −
π
π
≤ arg(ζ) <
2
4
.
Wir betrachten den Weg γ : (−∞, −1] → D, t 7→ −t. Offenbar handelt es sich bei γ
um einen regulären C 2 -Weg. Erneut verwenden wir die Bezeichnung γν := ν ◦ γ. Dabei ist
2
die Abbildung − Re(γν ) = − n+2
γ
n+2
2
monoton wachsend. Wir wollen in Abhängigkeit der
Position des Punktes z ∈ D eine Kette regulärer C 2 -Wege δ in D konstruieren, sodass für
δν := ν ◦ δ die Funktion − Re(δν ) eine monoton wachsende Funktion ist und δ auf einem
Teilintervall (−∞, −τ ] für τ > 1 mit γ übereinstimmt. Dabei definieren wir δ implizit über
δν , wobei wir fünf Fälle unterscheiden. Es sei jeweils ζ = ν(z).
1. Für z ∈ (0, ∞) ⊂ B1 und ζ ∈ (0, ∞) ⊂ ν(B1 ) sei
δν : (−∞, −ζ] → ν(B1 ),
2. Für z ∈ B1 mit 0 < arg(z) ≤
2π
n+2
t 7→ −t.
erhalten wir 0 < arg(ζ) ≤ π. Wir wählen den Weg
δν : (−∞, −|ζ| + arg(ζ)] → ν(B1 ) mit
δν (t) =

−t,
falls − ∞ < t < −|ζ|,
|ζ|ei(t+|ζ|) ,
falls − |ζ| ≤ t ≤ −|ζ| + arg(ζ).
46
ζ
0
∞
ζ
0
∞
Abbildung 4.2: Der Weg δν in Abhängigkeit des Punktes ζ = ν(z) für die Fälle 1 und 2.
3. Für z ∈ B1 mit
2π
n+2
< arg(z) <
3π
n+2
folgt −π < arg(ζ) < − π2 und wir definieren
δν : (−∞, Re(ζ) + π − Im(ζ)] → ν(B1 ),
δν (t) =



−t,



falls − ∞ < t < Re(ζ),




Re(ζ) − i(t − Re(ζ) − π),
falls Re(ζ) + π ≤ t ≤ Re(ζ) + π − Im(ζ).
− Re(ζ)ei(t−Re(ζ)) ,
falls Re(ζ) ≤ t < Re(ζ) + π,
2π
4. Für z ∈ B2 mit − n+2
< arg(z) < 0 und folglich −π < arg(ζ) < 0 sei der Weg
δν : (−∞, −|ζ| − arg(ζ)] → ν(B2 ) mit
δν (t) =
0

−t,
falls − ∞ < t < −|ζ|,
|ζ|e−i(t+|ζ|) ,
falls − |ζ| ≤ t ≤ −|ζ| − arg(ζ).
∞
0
∞
ζ
ζ
Abbildung 4.3: Der Weg δν in Abhängigkeit des Punktes ζ = ν(z) für die Fälle 3 und 4.
3π
2π
5. Für z ∈ B2 mit − n+2
< arg(z) ≤ − n+2
und
47
π
2
< arg(ζ) ≤ π definieren wir den Weg
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
δν : (−∞, Re(ζ) + π + Im(ζ)] → ν(B2 ) mit
δν (t) =



−t,



falls − ∞ < t < Re(ζ),




Re(ζ) + i(t − Re(ζ) − π),
falls Re(ζ) + π ≤ t ≤ Re(ζ) + π + Im(ζ).
− Re(ζ)e−i(t−Re(ζ)) ,
falls Re(ζ) ≤ t < Re(ζ) + π,
ζ
∞
0
Abbildung 4.4: Der Weg δν in Abhängigkeit des Punktes ζ = ν(z) im Fall 5.
Da die oben konstruierten Wege jeweils komplett in ν(B1 ) oder ν(B2 ) verlaufen, sind in
den ersten drei Fällen durch δ := (ν|B1 )−1 ◦ δν und in beiden letzten durch δ := (ν|B2 )−1 ◦ δν
jeweils Wege definiert. Dabei bezeichnen wir generisch mit (−∞, t1 ] den Definitionsbereich
des Weges δ. Weil δν jeweils eine Kette regulärer C 2 -Wege ist, folgt aus der Analytizität
n
der Abbildung ν und ν 0 (z) = z 2 6= 0 für z ∈ D, dass der entsprechende Weg δ eine Kette
regulärer C 2 -Wege in D ist. Es gelten zwischen δ und δν für (−∞, t1 ] die Beziehungen
δν (t) = ν(δ(t)) =
n+2
2
δ(t) 2
n+2
und
δ̇ν (t) = ν 0 (δ(t))δ̇(t) = δ(t)
n
2
δ̇(t).
(4.1)
Für jedes z ∈ D gilt genau einer der Fälle 1 bis 5. Somit existiert nach Konstruktion eine
Kette δ : (−∞, t1 ] → D regulärer C 2 -Wege in D mit Endpunkt δ(t1 ) = z, für die − Re δν eine
monoton wachsende Funktion darstellt und die mit dem Weg γ im Intervall (−∞, −τ ) für ein
τ > 1 übereinstimmen.
Wir betrachten die Funktion E : D → C mit
E(z) =
4p00 (z)p(z) − 5 (p0 (z)))2
5
16 (p(z)) 2
+
q(z)
1 = −
p(z) 2
m
2k−n
n2 + 4n − n+4 X
z 2 +
ak z 2 ,
16
k=0
z ∈ D.
Dabei gilt wegen 2(m + 1) < n für k ∈ {0, . . . , m} die Abschätzung 2k − n < −2 wodurch E
48
entlang des Weges γ integrierbar ist,
Z 1
|E(γ(s))γ̇(s)| ds ≤
−∞
n2 + 4n
16
Z 1
n+4
2
|s|−
ds +
−∞
m
X
|ak |
Z 1
k=0
|s|
2k−n
2
ds < ∞.
−∞
Satz 3.14 liefert nun in D eine Lösung f der Differentialgleichung f 00 = (p + q)f mit
f (z) = z
−n
4
2
− n+2
z
n+2
2
z∈D
(1 + R(z)),
e
wobei für die analytische Funktion R : D → C die Abschätzungen
R t1
|R(z)| ≤ e
−∞
|E(δ(s))δ̇(s)| ds
R t1
n
|E(δ(s))δ̇(s)| ds
−2 0 −1
z R (z) ≤ e −∞
− 1 und
für z ∈ Dγ−1 = D erfüllt sind, wobei δ entsprechend der Fälle 1 bis 5 konstruiert ist. Unter
Verwendung der Beziehungen (4.1) erhalten wir
Z t1
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤
−∞
m
X
n+4
2k−n
n2 + 4n
|δ(s)|− 2 +
|ak ||δ(s)| 2
16
k=0
Z t1
−∞
n2 + 4n
=
16
+
m
X
Z t1 n+2
−∞
|ak |
2
2
−∞
δ̇(s) ds
−2
|δν (s)|
Z t1 n+2
k=0
!
|δ̇ν (s)| ds
|δν (s)|
(4.2)
2(k−n) n+2 δ̇ν (s) ds
Wir definieren abkürzend die nichtnegativen Konstanten
n2 + 4n
c0 :=
16
n+2
2
Wegen 2(m + 1) < n gilt
−2
und
2(k−n)
n+2
n+2
ãk := |ak |
2
2(k−n)
n+2
,
k = 0, . . . , m.
< −1 für k ∈ {0, . . . , m}. Exemplarisch erhalten wir mittels
(4.2) für den Fall 3 mit t1 = Re(ζ) + π − Im(ζ)
Z t1
−∞
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤
Z Re(ζ)
−∞
c0 |s|−2 +
Z Re(ζ)+π
+
m
X
ãk |s|
2(k−n)
n+2
ds
k=0
c0 | Re(ζ)|−1 +
Re(ζ)
m
X
ãk | Re(ζ)|
2k+2−n
n+2
ds
k=0
Z Re(ζ)+π−Im(ζ)
+
Re(ζ)+π
c0 | Re(ζ)|−2 +
m
X
ãk | Re(ζ)|
2(k−n)
n+2
ds.
k=0
Dabei nutzen wir die Tatsache, dass für eine beliebige reelle Zahl b die Ungleichung | Re ζ +ib| ≥
49
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
| Re ζ| gilt. Wir erhalten weiterhin
Z t1
−∞
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤ c0 (1 + π)| Re(ζ)|−1 + | Im(ζ)|| Re(ζ)|−2
+
m
X
ãk (1 + π)| Re ζ|
2k+2−n
n+2
+ | Im ζ|| Re ζ|
2(k−n)
n+2
(4.3)
.
k=0
Im fünften Fall gilt analog für t1 = Re(ζ) + π + Im(ζ) die Abschätzung (4.3). Der erste Fall
liefert für t1 = −|ζ|
Z t1
−∞
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤ c0 |ζ|−1 +
m
X
ãk |ζ|
2k+2−n
n+2
.
k=0
In Fall 2 mit t1 = −|ζ| + arg(ζ) und im Fall 4 mit t1 = −|ζ| − arg(ζ) erhalten wir die
Abschätzung
Z t1
−∞
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤ c0 (1 + π)|ζ|
−1
+
m
X
ãk (1 + π)|ζ|
2k+2−n
n+2
.
k=0
Mit Hilfe dieser Vorbereitungen können wir nun folgende Aussage beweisen.
Satz 4.1 Es sei für eine natürliche Zahl n ≥ 3 das Gebiet
D=
gegeben. Des Weiteren seien m <
z ∈ C \ {0} | arg(z)| <
n
2 −1
3π
n+2
eine nichtnegative, ganze Zahl und a0 , . . . , am komplexe
Zahlen. Dann existiert eine Lösung f der Differentialgleichung
00
n
f (z) =
z +
m
X
!
ak z
k
f (z),
z∈D
(4.4)
k=0
in der Form
f (z) = z
−n
4
2
− n+2
z
n+2
2
z∈D
(1 + R(z)),
e
mit einer analytischen Funktion R : D → C. Dabei erfüllt R für festes ε > 0 mit ε <
den nichtnegativen Konstanten
b=
n2 + 4n
8(n + 2) sin
n+2
2 ε

1 + π +
50
1
sin
n+2
2 ε


(4.5)
π
n+2
und
sowie
n+2
bk = |ak |
2
−
2
n+2
n+2
sin
ε
2
für alle z ∈ D mit | arg(z)| ≤
3π
n+2
2k+2−n
n+2

1 + π +
1
sin
n+2
2 ε

 ,
k = 0, . . . , m
− ε die Ungleichungen
|R(z)| ≤ e
b|z|−
n+2
2 +
Pm
b |z|
k=0 k
2k+2−n
2
−1
(4.6)
und
2k+2−n
n+2 Pm
n
2
b|z|− 2 + k=0 bk |z|
−2 0 − 1.
z R (z) ≤ e
(4.7)
Beweis. Für z ∈ D seien ζ = ν(z) und δ(t1 ) = z entsprechend der Fälle 1 bis 5. Wir schauen
zuerst auf die Ungleichungskette (4.3). Unter der zusätzlichen Voraussetzung | arg(z)| ≤
gilt im dritten Fall
2π
n+2
< arg(z) ≤
den Realteil von ζ durch | Re ζ| ≥
3π
n+2
− ε und −π < arg(ζ) ≤ − π2 −
|ζ| sin( n+2
2 ε)
n+2
2 ε.
3π
α+2 −ε
Somit kann man
abschätzen.
0
n+2
2 ε
α
ζ
Abbildung 4.5: Nach den Beziehungen im rechtwinkligen Dreieck entspricht der sin(α) dem Quotienten aus
der Gegenkathete | Re(ζ)| und der Hypotenuse |ζ|. Dabei ist π2 > α = − π2 − arg(ζ) > n+2
ε,
π
womit sin(α) ≥ sin n+2
ε
gilt.
2
Weiterhin gilt | Im ζ| ≤ |ζ|. Wir erhalten im Fall 3
Z t1
−∞
n+2
(1 + π) |ζ| sin
ε
2
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤ c0
+
m
X
ãk (1 + π) |ζ| sin
k=0
m
X
−1
n+2
ε
2
n+2
+
ãk |ζ| |ζ| sin
ε
2
k=0
51
n+2
+ |ζ| |ζ| sin
ε
2
2k+2−n
n+2
2(k−n)
n+2
.
−2 !
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
Durch Einsetzen von |ζ| =
2
n+2 |z|
n+2
2
ergibt sich daraus im dritten Fall die Abschätzung

Z t1

n+2
c0 (n + 2) 
1
1+π+
 |z|− 2
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤
n+2
n+2
−∞
2 sin 2 ε
sin 2 ε
+
m
X
k=0

ãk 
2 sin
n+2
2 ε
 2k+2−n 
n+2
1 + π +

n+2

1
sin
n+2
2 ε
 |z|
2k+2−n
2
.
(4.8)
3π
2π
Für den fünften Fall mit − n+2
gilt unter Einschränkung | arg(z)| ≤
< arg(z) ≤ − n+2
π
2
für
wir
ζ = ν(z) die Beziehung + n+2
ε ≤ arg(ζ) ≤ π. Analog zur obigen
2
n+2
deshalb | Re(ζ)| durch |ζ| sin 2 ε nach unten abschätzen. Somit
2π
n+2
−ε
Überlegung können
erhalten im fünften
Fall für δ(t1 ) = z ebenfalls die Ungleichung (4.8). Durch Einsetzen von |ζ| =
n+2
2
2
n+2 |z|
sieht
man direkt, dass im Fall 1
m
c0 (n + 2) − n+2 X
|z| 2 +
ãk
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤
2
−∞
k=0
Z t1
2
n+2
2k+2−n
n+2
|z|
2k+2−n
2
(4.9)
sowie in den Fällen 2 und 4
m
c0 (n + 2)(1 + π) − n+2 X
2
|E(δ(s))δ̇(s)| ds ≤
|z| 2 +
ãk (1 + π)
2
n+2
−∞
k=0
Z t1
2k+2−n
n+2
|z|
2k+2−n
2
(4.10)
gelten. Die nichtnegativen Konstanten b, b0 , . . . , bm ergeben sich als die Maxima der Vorfaktoren der jeweiligen Potenzen in den Ungleichungen (4.8), (4.9) und (4.10). Dabei ist zu
π
n+2
beachten, dass auf Grund der Wahl 0 < ε <
0 < sin
n+2
ε <1
2
stets
und somit
1 < sin
n+2
ε
2
gilt. Deshalb können wir die Koeffizienten aus (4.8) wählen.
−α
<∞
für α > 1
Wir erinnern in dieser Stelle an die Landau-Notation O für asymptotische obere Schranken
von Funktionen. Ist für zwei Funktion f und g sowie einen Punkt z0 ∈ C der Limes superior
lim sup
z→z0
|f (z)|
|g(z)|
beschränkt, so schreiben wir
f (z) = O(g(z)) für
z → z0 .
Bemerkung 4.2 In Satz 4.1 erkennt man sehr schön, dass für k ∈ {0, . . . , m} und festes
52
π
ε ∈ (0, n+2
) der Koeffizient bk nur linear vom Absolutbetrag |ak | abhängt. Des Weiteren
erkennt man in (4.8), dass die Koeffizienten bk in Abhängigkeit von ε die Ordnung

α+2
O sin
ε
2
2(k−α)
α+2

2(k−α)
 = O ε α+2
für
ε→0
besitzen. Der Koeffizient b hingegen ist von den komplexen Zahlen a0 , . . . , am unabhängig,
besitzt aber als abhängige Größe von ε die Ordnung O ε−2 für ε → 0.
π
Somit existieren für festes ε ∈ (0, n+2
) und eine kompakte Menge K ⊂ Rm+1 nichtnegative
Koeffizienten b, b0 , . . . , bm , sodass es für jeden Vektor (a0 , . . . , am )T ∈ K eine Lösung der
Differentialgleichung (4.4) der Form (4.5) gibt, wobei die Funktion R die Abschätzungen (4.6)
und (4.7) erfüllt.
Abschließend wollen wir neben der Differentialgleichung (4.4) allgemeiner für α ∈ (0, ∞)
die Differentialgleichung
f 00 (z) =
αz n +
m
X
!
ak z k f (z),
z∈C
k=0
betrachten, wobei n ≥ 3 eine natürliche Zahl, m <
n
2
− 1 eine nichtnegative, ganze Zahl und
a0 , . . . , am beliebige komplexe Zahlen sind. Es sei weiterhin D der offene Sektor komplexer
Zahlen z 6= 0 mit | arg(z)| <
3π
n+2 .
S=
Außerdem betrachten wir einen Teilsektoren von D,
π
z ∈ C \ {0} | arg(z)| <
⊂ D.
n+2
2π
Mit Hilfe von ω = ei n+2 , einem Element der Einheitskreislinie, können wir die Sektoren D
und S bezüglich des Nullpunktes drehen. Es seien für ` ∈ {0, . . . n + 1}
D` := ω ` D =
n
ω`z z ∈ D
o
und
S` := ω ` S.
π
Analog definieren wir für ε ∈ (0, n+2
) die Sektoren
Dε :=
z ∈ C \ {0} | arg(z)| ≤
3π
−ε
n+2
,
Sε :=
z ∈ C \ {0} | arg(z)| ≤
π
−ε
n+2
und D`,ε := ω ` Dε sowie S`,ε := ω ` Sε für ` ∈ {0, . . . n + 1}. Aus Gründen der Vereinfachung in
der Indizierung definieren S−1,ε := Sn+1,ε sowie Sn+2,ε := S0,ε . Die Halbgerade zwischen den
Sektoren S` und S`+1 für ` ∈ {0, . . . , n + 1} bezeichnen wir mit G` ,
G` :=
π
ω z z ∈ C \ {0} mit arg(z) =
,
n+2
`
` ∈ {0, . . . , n + 1}.
Mit G−1 sei wiederum die Halbgerade Gn+1 bezeichnet. In der Literatur (vergleiche [6, 7, 8])
53
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
sind für die Sektoren S0 , . . . Sn+1 die Bezeichnung Stokes wegdes und für die Halbgeraden
G0 , . . . , Gn+1 Stokes lines gebräuchlich.
G1
G0
S1
S2
G2
S0
S3
S4
G4
G3
Abbildung 4.6: Die offenen Sektoren S0 , . . . , S4 und trennenden Halbgeraden G0 , . . . , G4 im Fall n = 3.
Satz 4.3 Es seien eine natürliche Zahl n ≥ 3, eine nichtnegative, ganze Zahl m <
sowie ε ∈ (0,
π
n+2 )
und ω = e
2π
i n+2
n
2
−1
. Für Zahlen α ∈ (0, ∞) und a0 , . . . , am ∈ C existieren für
die Differentialgleichung
f 00 (z) =
αz n +
m
X
!
ak z k f (z),
z∈C
(4.11)
k=0
Lösungen f0 , . . . , fn+1 : C → C, wobei für ` ∈ {0, . . . , n + 1} die ganze Funktion f` in D` der
Form
f` (z) = ω
−`
α
1
n+2
z
− n − 2 √α(ω−` z ) n+2
2
4
n+2
e
(1 + R` (z)),
z ∈ D`
(4.12)
mit einer analytischen Funktion R` : D` → C genügt. Es existieren weiter nichtnegative
Konstanten b, b0 , . . . , bm sodass für jedes ` ∈ {0, . . . , n + 1} die Funktion R` die Abschätzung
|R` (z)| ≤ e
b|z|−
n+2
2 +
Pm
b |z|
k=0 k
2k+2−n
2
−1
und
n+2 Pm
2k+2−n
2
− n+1 − n 0
b|z|− 2 + k=0 bk |z|
α 2(n+2) z 2 R (z) ≤ e
−1
`
für z ∈ D`,ε erfüllt. Weiterhin gilt für jedes ` ∈ {0, . . . , n + 1}
54
(i) die Funktion f` besitzt die asymptotische Ordnung
√

f` (z) = O |z|
−n
4
α
− 2n+2
Re
(ω−1 z )
e
n+2
2

für z → ∞ mit z ∈ D`,ε ,

(ii) |f` (z)| konvergiert exponentiell gegen ∞ für z → ∞ mit z ∈ S`−1,ε ∪ S`+1,ε ,
(iii) |f` (z)| konvergiert exponentiell gegen 0 für z → ∞ mit z ∈ S` ,
(iv) |f` (z)| konvergiert gegen 0 für z → ∞ mit z ∈ G` ∪ G`−1 .
Jeweils ein Paar von Lösungen {f0 , f1 }, . . . , {fn , fn+1 }, {fn+1 , f0 } bildet eine Basis des Lösungsraumes der Differentialgleichung (4.11).
Beweis. 1. Für ` ∈ {0, . . . , n + 1} betrachten wir die Differentialgleichung
g`00 (z)
=
n
z +
m
X
!
ãk,` z
k
g` (z)
(4.13)
k=0
für z ∈ D mit den Koeffizienten
k+2
ãk,` := ak α− n+2 ω k`+2` ,
k = 0, . . . , n + 1.
Nach Satz 4.1 und Bemerkung 4.2 existieren nichtnegative Konstanten b̃, b̃0 , . . . , b̃m und jedes
` ∈ {0, . . . , n + 1} eine Lösungen g` : D → C der Differentialgleichung (4.13) dergestalt
g` (z) = z
2
− n+2
z
−n
4
n+2
2
(1 + R̃` (z)),
e
z ∈ D,
wobei R` : D → C analytisch ist und die Ungleichungen
|R̃` (z)| ≤ e
b̃|z|−
n+2
2 +
Pm
b̃ |z|
k=0 k
2k+2−n
2
− 1,
z ∈ Dε
sowie
n+2 Pm
2k+2−n
n
2
b̃|z|− 2 + k=0 b̃k |z|
−2 0
− 1,
z R̃` (z) ≤ e
z ∈ Dε
erfüllt.
Da die Abbildung z 7→ z n +
Pm
k=0 ãk,` z
k
in C analytisch ist, kann man die Lösungen
g` nach Satz 2.15 eindeutig auf die gesamte komplexe Zahlenebene fortsetzten, wobei die
Fortsetzungen die Differentialgleichung (4.13) für alle z ∈ C erfüllen und ganze Funktionen
sind. Wir bezeichnen diese Fortsetzungen ebenfalls mit g` . Wir definieren für ` ∈ {0, . . . , n + 1}
55
4 Anwendung der WKB-Näherung auf Differentialgleichungen mit polynomiellen
Koeffizienten
die analytische Funktion f` : C → C mit
1
f` (z) := g` ω −` α n+2 z ,
z ∈ C.
Es gilt für z ∈ C
f`00 (z)
=ω
−2`
α
2
n+2
g`00 (z)
=ω
−2`
α
2
n+2
ω
−`n
α
n
zn
n+2
+
m
X
ãk,` ω
−k`
α
k
n+2
!
z
k
g` (z)
k=0
αz n +
=
m
X
!
ak z k f` (z).
k=0
1
Für z ∈ D` liegt ferner ω −` α n+2 ∈ D. Somit erfüllt die analytische Funktion R` : D` → C mit
1
R` (z) := R̃` ω −` α n+2 z ,
z ∈ D`
1
die Beziehung (4.12). Genauso liegt für z ∈ D`,ε die Zahl ω −` α n+2 ∈ Dε . Damit erfüllt die
Funktion R` für z ∈ D`,ε die Ungleichungen
2k+2−n
Pm
2k+2−n
− n+2
2(n+2) |z|
2 +
2
√b̃ |z|
b̃
α
1
k=0 k
α
|R` (z)| = R̃` ω −` α n+2 z ≤ e
−1
und
− n
− n+1 − n 0
1
1
α 2(n+2) z 2 R (z) = ω −` α n+2 z 2 R̃0 ω −` α n+2 z `
`
2k+2−n
Pm
2k+2−n
− n+2
b̃
2(n+2)
√
≤ e
α
|z|
|z|
b̃ α
k=0 k
+
2
2
− 1.
2. Wegen 2(m + 1) < n gilt für z → ∞ innerhalb des Sektors D`,ε für ` ∈ {0, . . . , n + 1}
|R` (z)| → 0
|1 + R` (z)| → 1.
und
Für z ∈ D`,ε ⊂ D` erhalten wir
|f` (z)| = |α|
n
− 4(n+2)
2
− n+2
−n
4
|z|
√
e
α Re ω −
`(n+2) n+2
2
z 2
|1 + R` (z)|.
Es sei nun speziell y ∈ S und z = ω ` y ∈ S` . Dann gilt
Re ω
Da | arg(y)| <
π
n+2
−
`(n+2)
2
z
n+2
2
= Re y
n+2
2
= |y|
gilt, erhalten wir Re ω −
exponentiell gegen 0 für z → ∞ mit z ∈ S` .
56
n+2
2
`(n+2)
2
z
(n + 2) arg(y)
cos
.
2
n+2
2
> 0. Somit konvergiert |f` (z)|
Für z = ω `+1 y ∈ S`+1,ε ⊂ D`,ε mit y ∈ Sε erhalten wir mit 0 < | arg(y)| ≤
π
n+2
−ε<
π
n+2
2π
n+2
und arg(ω) =
Re ω −
`(n+2)
2
z
n+2
2
= Re (ωy)
n+2
2
= |y|
n+2
2
cos
(n + 2) arg(y)
+ π < 0.
2
Analog gilt für z = ω `−1 ∈ S`−1,ε ⊂ D`,ε mit y ∈ Sε
Re ω
−
`(n+2)
2
z
n+2
2
= Re
(ω
−1
y
n+2 2
= |y|
n+2
2
(n + 2) arg(y)
cos
− π < 0.
2
Somit konvergiert |f (z)| exponentiell gegen ∞ für z → ∞ mit z ∈ S`−1,ε ∪ S`+1,ε .
Für z = ω ` y ∈ G` ⊂ D`,ε und ξ = ω `−1 y ∈ G`−1 ⊂ D`,ε mit arg(y) =
−
`(n+2)
2
`(n+2)
2
n+2
2
Re ω
z
n+2
2
= Re (y)
n+2
2
π
n+2
erhalten wir
= |y|
n+2
2
(n + 2) arg(y)
cos
2
= |y|
n+2
2
(n + 2) arg(y)
cos
− π = 0.
2
=0
und
Re ω
−
ξ
= Re
ω
−1
y
n+2 2
Damit sieht man die Konvergenz von |f (z)| gegen 0 für z → ∞ mit z ∈ G` ∪ G`−1 .
Aufgrund des Wachstumsverhalten von f1 und f2 in den Sektoren S1,ε und S2,ε folgt die lineare Unabhängigkeit beider Lösungen. Analog sieht man, dass die Paare {f2 , f3 }, . . . , {fn+1 , f0 }
Basen des Lösungsraumes der Differentialgleichung (4.11) darstellen.
57
Symbolverzeichnis
A(U, C)
der Raum der analytischen Funktionen mit dem offenen Definitionsbereich
U ⊂ C und Bild in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Br (z0 )
die offene Kugel um z0 mit Radius r > 0 innerhalb der komplexen
Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
C
die erweiterte komplexe Zahlenebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35
D
der Abschluss einer Menge D ⊂ C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
N
die Menge der natürlichen Zahlen ohne Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
f |U
die Einschränkung der Funktion f auf eine Teilmenge U ihres Definitionsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
γν
die Verkettung ν ◦ γ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
O
das Landausymbol für asymptotische obere Schranken . . . . . . . . . . . . . . 52
ran(f )
das Bild einer Funktion f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12
k · kC n
eine Norm im Vektorraum Cn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
k · kCn×n
die bezüglich k · kC n induzierte Matrixnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
59
Literaturverzeichnis
[1] S. Albeverio, S. Kuzhel, One-dimensional Schrödinger operators with P-symmetric
zero-range potentials, J. Phys. A: Math. Gen. 38, 4975–4988, 2005.
[2] S. Albeverio, A. K. Motovilov, A. A. Shkalikov, Bounds on variation of spectral
subspaces under J-self-adjoint perturbations, Integral Equations Oper. Theory 64, 455–
486, 2009.
[3] S. Albeverio, U. Günther, S. Kuzhel, J-self-adjoint operators with C-symmetries:
extension theory approach, J. Phys. A: Math. Theor. 42, 105205, 2009.
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