Entgelttransparenzgesetz und Initiativen zum Thema „Entgeltgleichheit und Tarifverträge“ Koalitionsvertrag Pläne des Bundesfamilienministeriums Bewertung Berichtspflicht: „Um das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ besser zur Geltung zu bringen, wollen wir mehr Transparenz herstellen, u. a. durch eine Verpflichtung für Unternehmen ab 500 Beschäftigte, im Lagebericht nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) auch zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit nach Maßgabe gesetzlicher Kriterien Stellung zu nehmen.“ Angaben müssen erfolgen zu: Anteil von Frauen in jeweiliger Entgeltstufe/gruppe. Tätigkeiten im Unternehmen, die überwiegend Frauen oder Männer übernehmen, und deren Entgelteinstufung. Arbeitsbewertungsverfahren und Entgeltbestandteile. Hinweis auf Tarifbindung bzw. Orientierung an Tarifverträgen soll nicht genügen, aber es soll ein längeres Berichtsintervall für tarifgebundene Unternehmen geben. Auskunftsanspruch: „Darauf aufbauend wird für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein individueller Auskunftsanspruch festgelegt.“ Anspruch bezieht sich auf: Maßstäbe und Kriterien für Festlegung des eigenen Entgelts und vergleichbarer Tätigkeit. Durchschnittsentgelt und Entgeltspanne einer Vergleichsgruppe von mindestens drei vergleichbaren Kollegen anderen Geschlechts. Tarifvertraglich geregelte Auskunfts- und Beschwerdeverfahren sollen Vorrang haben (in Tarifverträgen, z. B. der M+E-Industrie, sind bereits Beschwerdeverfahren im Bereich Entgelt geregelt, z. B. Einsatz einer paritätisch besetzten Einstufungs- bzw. Reklamationskommission). Prüfverfahren: „Unternehmen werden dazu aufgefordert, mithilfe verbindlicher Verfahren und gemeinsam mit den Beschäftigten und unter Beteiligung der Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter im Betrieb in eigener Verantwortung erwiesene Entgeltdiskriminierung zu beseitigen.“ Gesetz soll inhaltliche Anforderungen an Verfahren vorgeben. Es soll keine Verpflichtung zur Durchführung von Verfahren geben. Unternehmen sollen Wahlrecht bzgl. des Verfahrens haben. Sozialpartner sollen sich „idealerweise“ branchenspezifisch auf Verfahren verständigen. Unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern bei gleicher Tätigkeit, Qualifikation und gleichem Arbeitgeber wegen des Geschlechts ist schon heute verboten. Schwächung der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie: Hinweis auf Anwendung von bzw. Orientierung an Tarifverträgen muss genügen (Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen). Weiterer Schritt zum Aufbau überflüssiger Bürokratie. Gesetz geht Ursachen für gesamtwirtschaftlichen Entgeltunterschied bei Männern und Frauen nicht an: unterschiedliche Berufswahl, unterschiedliches Erwerbsverhalten (mehr Teilzeit, mehr Auszeiten, weniger Führungspositionen), Fehlanreize in der Familienpolitik (u. a. Betreuungsgeld). Betriebsrat kann bereits heute darauf hinwirken, dass systematische Benachteiligungen beim Arbeitsentgelt unterbleiben. Auskunftsansprüche können den Datenschutz verletzen und Unfrieden in die Betriebe bringen (trotz Anonymität). Hinweis auf die Anwendung von bzw. Orientierung an Tarifverträgen und die Information über die jeweilige Entgeltgruppe im Tarifvertrag muss bei Auskunftsansprüchen als Nachweis genügen. Auskunftsanspruch darf nur für Unternehmen gelten, die mehr als 500 Beschäftigte haben (Koalitionsvertrag). Vergleichsgruppe von drei Personen ist zu klein, ein höherer Schwellenwert daher notwendig. Vetorecht des Arbeitgebers bei Möglichkeit von Rückschlüssen auf Einzelperson bei zu kleiner Vergleichsgruppe nötig. Frist notwendig, innerhalb derer der Auskunftsanspruch nicht erneut erhoben wird, um Missbrauch des Auskunftsanspruchs zu verhindern. Eine gesetzliche Regelung zu den „verbindlichen Verfahren“ ginge über den Koalitionsvertrag hinaus, wonach Unternehmen nur „dazu aufgefordert“ werden. Die Beteiligung des Betriebsrats darf nicht zu neuen oder weitergehenden Mitbestimmungs- oder Informationsrechten führen, es darf allenfalls eine Beratung mit dem Betriebsrat geben. Verständigung der Sozialpartner ist nicht im Koalitionsvertrag vorgesehen. 1 Entgelttransparenzgesetz und Initiativen zum Thema „Entgeltgleichheit und Tarifverträge“ Koalitionsvertrag Pläne des Bundesfamilienministeriums Bewertung Tarifpartner-Initiativen: „Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir die Feststellung des Wertes von Berufsfeldern, von Arbeitsbewertungen und die Bewertung von Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen voranbringen. Ziel muss es sein, unter anderem die Arbeit in der Pflege, Betreuung und frühkindlicher Bildung weiter aufzuwerten. […] Wir wollen eine Initiative gemeinsam mit den Tarifpartnern starten, um die Muster von struktureller Entgeltungleichheit in Tarifverträgen zu erkennen und zu überwinden.“ Angedacht: Kampagne mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften zur Beseitigung der Ursachen von gesamtwirtschaftlichen Entgeltunterschieden, Vertiefung und Weiterentwicklung bestehender Kooperationen (Erfolgsfaktor Familie, Perspektive Wiedereinstieg etc.). Übertragung eines sechsstufigen Entgelt- und Arbeitsbewertungsinstruments der International Labour Organisation (ILO) namens „EQUITY. Gender-neutral Job Evaluation for Equal Pay“ auf Deutschland soll geprüft werden. Ergebnisse des Forschungsprojekts „Tarifverhandlungen und Equal Pay" (Universität Nürnberg-Erlangen, IAB) sollen für weitere Initiativen genutzt werden. Erstes Ergebnis: Tarifverträge verringern Entgeltungleichheit in Unternehmen. Es hinterfragt jedoch auch die Bedeutung einer Geschlechteraufteilung in Tarifkommissionen. Veranstaltung zu ILO-Instrument und Forschungsprojekt im Herbst 2015 unter Mitwirkung der Tarifpartner. Dialogforum zum Thema „Gleichstellung in der Arbeitswelt 4.0“. Die Pläne sind Ausdruck des Versuchs einer zunehmenden staatlichen Einflussnahme auf die Lohnfestsetzung. Der Koalitionsvertrag unterstellt den Tarifvertragspartnern strukturelle Diskriminierung, stellt die Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge in Frage und schwächt ihre Akzeptanz. Insbesondere die Vorgabe an die Tarifvertragsparteien einer einheitlichen Neugestaltung von Arbeitsbewertungs- und Entgeltfindungssystemen kann einen Eingriff in die Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit darstellen. Die Prüfung von Tarifverträgen kommt einer weitreichenden Inhaltskontrolle bis hin zur Tarifzensur gleich. Tarifverträge gewährleisten eine diskriminierungsfreie Entlohnung. Sie beschreiben die Eingruppierung und Vergütung von Tätigkeiten personenunabhängig, geschlechtsneutral und anhand objektiver arbeitswissenschaftlicher Kriterien, z. B. anhand der für die Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse. Sie bieten eine branchenspezifische und marktgerechte Entlohnung. Sie sind bester Garant für die Beseitigung von Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern bzw. für die Einhaltung der Grundsätze von gleichem Entgelt für gleiche Arbeit. Der Sinn von neuen staatlich angeordneten Arbeitsbewertungsverfahren bzw. -systemen neben dem bewährten Tarifvertragssystem ist nicht erkennbar. Die angestrebte Vergleichbarkeit verschiedener Branchen mit dem Ziel der Aufwertung einzelner Berufe bzw. Branchen ist nicht sachdienlich und auch nicht möglich. Die Bewertung von Arbeit ist ureigene Aufgabe der Tarifparteien in den jeweiligen Branchen, nicht die der Politik. Die Ergebnisse zur positiven Wirkung von Tarifverträgen auf die Entgeltgleichheit aus dem Forschungsvorhaben „Tarifverträge und Equal Pay“ müssen bei Initiativen und Gesetz Berücksichtigung finden. 2
© Copyright 2024 ExpyDoc