Europa im Überblick, 23/15

Europa im Überblick
Europa im Überblick, 23/15
SMALL-CLAIMS-VERFAHREN: STREITWERTGRENZE NUN BEI 5.000 EUR – RAT
Am 23. Juni 2015 haben Rat, EU-Parlament und EU-Kommission einen Kompromiss bei der Reform des Verfahrens
für geringfügige Forderungen (sog. „Small Claims“) durch Änderungen der Verordnungen 861/2007 EG und
1896/2006 EG erzielt (vgl. Pressemitteilung). Umstrittenster Punkt in den Trilogverhandlungen war die Erhöhung
der Streitwertobergrenze, die nun von 2.000 auf 5.000 EUR erhöht wird. Die EU-Kommission und auch der
Rechtsausschuss des EU-Parlaments hatten ursprünglich eine Erhöhung auf bis zu 10.000 EUR gefordert, dies hatte
der DAV in seiner Stellungnahme 6/2014 abgelehnt. Teil des Kompromisses ist nun auch, dass bereits in fünf Jahren
überprüft werden muss, ob die Streitwertgrenze noch angemessen ist. Des Weiteren einigten sich die Institutionen,
dass die Verordnung auch weiterhin keine Anwendung auf Arbeitsrecht und auf Verletzungen der Privatsphäre
finden soll. Auch die ursprünglich vorgesehene Ausweitung des Anwendungsbereichs wurde verworfen. Mindestens
eine Partei muss daher weiterhin ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen
Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts haben. Bezüglich der Gerichtsgebühren wird – entsprechend der
Forderung des DAV - lediglich darauf hingewiesen, dass diese nicht unverhältnismäßig und nicht höher als die
Gebühren für nationale Bagatellverfahren sein dürfen, konkrete Vorgaben hinsichtlich der Höhe wurden wieder
gestrichen. Sofern eine mündliche Verhandlung als erforderlich erachtet wird, soll diese künftig durch geeignete
Fernkommunikationstechnik (Telefon- oder Videokonferenzen) durchgeführt werden. Der Kompromiss muss nun
durch den Rechtsausschuss und das Plenum des EU-Parlaments sowie durch den Rat bestätigt werden (s. EiÜ
14/15, 03/15, 37/14, 40/14).
DER TRILOG ZUR EU-DATENSCHUTZ-REFORM HAT BEGONNEN – RAT
Nachdem im Rat der Justiz- und Innenminister in der vergangenen Woche eine allgemeine Ausrichtung zum
Vorschlag COM(2012)011 zur Datenschutz-Grundverordnung erzielt worden war, haben am 24. Juni 2015 die
Trilogverhandlungen begonnen (s. EiÜ 22/15, Pressemitteilung des DAV). Laut Jan-Philipp Albrecht, Berichterstatter
im EU-Parlament, müsse geprüft werden, ob der bisher ausgehandelte Stand hinter der geltenden
Datenschutzrichtlinie von 1995 zurückbleibe. Man sei sich einig, so Albrecht, dass dieser Standard nicht
unterschritten werden dürfe. Strittig seien vor allem Fragen der Zweckbindung, die Höhe der Sanktionen und
Auflagen, Konzerndatenschutzbeauftragte verpflichtend einzuführen. Der DAV fordert für den Trilog weiterhin
Änderungen zum Schutz des Berufsgeheimnisses, welche der Rat – anders als das EU-Parlament in seinem Bericht
– nicht ausdrücklich aufgenommen hatte. Ein Rechtsanwalt darf aber nicht verpflichtet sein, im Rahmen seiner
Tätigkeit erworbene Informationen an einen Prozessgegner herauszugeben, der sich auf seine Informations- und
Auskunftsrechte beruft. Bei der Verschwiegenheitspflicht geht es nicht um ein Privileg der Anwaltschaft, sondern
um den Schutz der Mandanten. Im Hinblick auf die Datenschutzaufsicht ist die von den Ministern vorgesehene
Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Befugnisse der Aufsichtsbehörden hinsichtlich Informationen zu beschränken,
die Berufsgeheimnisträger in ihrer beruflichen Tätigkeit erlangen, zwar begrüßenswert. Noch besser wäre es
jedoch, diese Möglichkeit als Pflicht auszugestalten. Wünschenswert bleibt es, dass bei den regionalen
Anwaltskammern unabhängige Datenschutzaufsichtsstellen eingerichtet werden.
GEGENWIND FÜR STRUKTUR DER EU-STAATSANWALTSCHAFT – RAT
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Obwohl ursprünglich für den Justizministerrat am 15. Juni eine vorläufige Teileinigung über die Struktur der neuen
Europäischen Staatsanwaltschaft (Artikel 1-16, vgl. Annex 1 im Text zur Orientierungsaussprache vom 12. Juni 2015)
angestrebt worden war, haben die Justizminister der Mitgliedstaaten dieses Ziel nicht erreicht. Fast zwei Jahre
nach Aufnahme der Verhandlungen zum Verordnungsvorschlag der Kommission beklagte etwa Spanien den
„minimalistischen Text“, der nun am Ende der lettischen Ratspräsidentschaft ausgehandelt sei, während Italien
äußerte, es bevorzuge supranationale Strukturen – der derzeitige Sachstand verfolge nicht mehr das ursprüngliche
Ziel der Errichtung der Behörde von effizienteren Ermittlungen in Betrugsstraftaten zu Lasten des EU-Haushaltes.
Einige Mitgliedstaaten kritisierten, es fehle die Balance zwischen zentralen und dezentralen (abgeordneten) EUStaatsanwälten im aktuellen Dokument. Lediglich Österreich und Frankreich äußerten sich positiv zum Sachstand.
Nun ist es an der am 1. Juli 2015 beginnenden luxemburgischen Ratspräsidentschaft, weiter zu verhandeln.
INTERNETFOREN: BETREIBER HAFTEN FÜR BELEIDIGUNGEN – EGMR
Eine estnische Nachrichtenwebseite ist für anonyme Kommentare in ihren Foren verantwortlich und muss
Bedrohungen und Hetze auch ohne einen Hinweis von Betroffenen löschen. Das hat der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) am 16. Juni 2015 im Fall Delfi AS/Estland entschieden (Beschwerdenr. 64569/09) und
bestätigte damit ein Urteil aus dem Jahr 2013. Der Fall betraf anonyme Hetze und Drohungen gegen einen
Fährschiffer auf einem großen Nachrichtenportal. Dieses hatte die Kommentare an dem Tag entfernt, an dem die
Anwälte des Opfers dies gefordert hatten. Der EGMR befand nun allerdings, die Kommentare in diesem Fall hätten
"Hetze und direkte Drohungen gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen" enthalten. In einer solchen
Situation könnten die Betreiber von Portalen verpflichtet werden, die Drohungen auch ohne einen Hinweis von
Betroffenen zu entfernen. Eine Verurteilung des Portals zur Zahlung von Schadensersatz durch das estnische
Gericht stelle deshalb keine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) dar. Das Gericht betont in einer Mitteilung zu dem Urteil, dass es hier um ein
kommerzielles Nachrichtenangebot gehe und nicht um "andere Foren im Internet, wo von Dritten Kommentare
verbreitet werden können, zum Beispiel ein Internetdiskussionsforum, ein Bulletin Board oder eine Social-MediaPlattform".
GELBE KARTE WEGEN VERLETZUNG DER DIENSTLEISTUNGS-RL – KOM
Die EU-Kommission hat am 18. Juni 2015 gegen sechs Staaten (u.a. Deutschland und Österreich) ein
Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Einhaltung der Dienstleistungsrichtlinie eingeleitet. (vgl.
Pressemitteilung). Die nationalen Vorschriften dieser Länder beinhalten demnach unverhältnismäßige und nicht
gerechtfertigte Hindernisse im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen. Die Kommission fordert u.a.
Deutschland auf, verbindliche Mindestpreise bei Architekten, Ingenieuren und Steuerberatern aufzuheben. Diese
seien zur Sicherung der Qualität der Dienste in- und ausländischer Anbieter nicht nötig. Stattdessen würden sie
verhindern, dass Verbraucher die Leistungen zu günstigeren Preisen in Anspruch nehmen können. Einige
Mitgliedstaaten - u.a. auch Österreich für die Patentanwälte - wurden aufgefordert, ihre Bestimmungen über die
Beteiligung an einer Gesellschaft und die Verbote der berufsübergreifenden Zusammenarbeit zu ändern. Die
betroffenen Berufsgruppen wurden bereits in einer so genannten „Peer Review“ untersucht, mit der seit 2012 eine
gegenseitige Evaluation der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in den Bereichen der
Kapitalbeschränkungen, der Niederlassungsfreiheit, sowie der Vergütungsordnungen durchgeführt wurde. Die
Mitgliedstaaten haben jetzt zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission zu reagieren.
ERSTE ABLEHNUNG DES SUP-VORSCHLAGS NUN OFFIZIELL – EP
Am 23. Juni 2015 hat sich der zum SUP-Richtlinienvorschlag (COM(2014)212) mitberatende Ausschuss für
Beschäftigung und soziale Angelegenheiten mit 35 zu 14 Stimmen für eine Zurückweisung dieses Vorschlags
ausgesprochen. Im federführenden Rechtsausschuss (JURI) liegt währenddessen nach wie vor kein Berichtsentwurf
zum umstrittenen Dossier vor (s. EiÜ 8/15, 20/15). Im Rahmen einer Aussprache im JURI in der vergangenen Woche
betonte Berichterstatter de Grandes Pascual (EVP), dass er in seinem Bericht weiterhin Verbesserungsvorschläge
unterbreiten wolle. Durch die Abgeordneten wurde unter anderem die geplante Online-Gründung kritisiert.
Darüber hinaus wurde auf mögliche Risiken durch das geplante Stammkapital von nur einem Euro hingewiesen.
Diese Aspekte des Kommissionsvorschlages sind auch aus Sicht des DAV noch verbesserungsbedürftig (s. DAV-Stn.
58/2014). Insbesondere ist für eine Online-Gründung ein sicherer Identitätsnachweis unentbehrlich. Der
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Eintragungsmitgliedsstaat muss zumindest verlangen können, dass der Gründer über die Vorlage einer
Ausweiskopie hinaus eine Identitätsfeststellung durch einen Notar oder eine Behörde seines Heimatstaates
beibringt. Auch im Bereich des Gläubigerschutzes und bei Regelungen zu faktischen Geschäftsführern besteht
Nachbesserungsbedarf am Richtlinienvorschlag.
Europa vom 26.06.2015 12.44
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