EiUe 16-15 - Deutscher Anwaltverein

EUROPA
im Überblick
16/2015 – 30.04.2015
Büro Brüssel
EU-INFORMATIONEN DES DEUTSCHEN ANWALTVEREINS, BÜRO BRÜSSEL
RAe Eva Schriever LL.M. (V.i.S.d.P.), Christian Schwörer, Dorothee Wildt, LL.M., Britta Kynast
KEIN EU-STAATSANWALT OHNE EU-STRAFVERFAHRENSRECHT – DAV/BRAK
Mit Sorge stellen DAV und BRAK in ihrer zweiten gemeinsamen Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft fest, dass die Mitgliedstaaten in den Verhandlungen im Rat der EU zum Nachteil des Beschuldigten eng an ihren nationalen Interessen festhalten (s. Sachstandsbericht des Rats vom 2. März 2015). Die Ausrichtung der Ermittlung am jeweiligen
Recht der Mitgliedstaaten birgt zahlreiche Möglichkeiten des „Forum-Shoppings“. DAV und BRAK fordern, die Kriterien zur Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen und die Wahl des Anklageortes für
rechtssichere Ermittlungen einheitlich auszugestalten. Außerdem muss die umfassende gerichtliche
Überprüfbarkeit der Handlungen des Europäischen Staatsanwalts - möglichst durch den Gerichtshof der
EU – gewährleistet werden. Hinsichtlich der Beschuldigtenrechte genügt die Bezugnahme auf bestehendes bzw. geplantes europäisches Recht nicht den Grundsätzen eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens. In dieser Gestalt, so DAV und BRAK, ist eine rote Linie überschritten und die Einrichtung der
Staatsanwaltschaft abzulehnen (s. auch PM Nr. 13/15). Das Plenum des EU-Parlaments hat derweil am
29. April 2015 seinen zweiten Zwischenbericht zur Europäischen Staatsanwaltschaft angenommen. In
diesem geht das Parlament zum Teil auf die Belange der Anwaltschaft ein (s. hierzu bereits EiÜ 10/15,
3/15).
EGMR STÜTZT RECHT VON ANWÄLTEN AUF JUSTIZKRITIK – EGMR
Ein Anwalt darf öffentlich Justizkritik üben und ist dabei vor Strafverfolgung sicher, solange er nicht lügt,
beleidigt oder irreführende, ins Blaue hinein geäußerte oder nicht zur Sache gehörende Bemerkungen
macht. Dies urteilte der EGMR am 23. April 2015 (Beschwerde. Morice / France 29369/10). Im Interview
mit der Zeitung Le Monde hatte der Beschwerdeführer, ein französischer Anwalt, unter anderem den
vertrauensvollen Umgang einer französischen Untersuchungsrichterin mit der Staatsanwaltschaft von
Djibouti als "völlig unvereinbar mit den Prinzipien der Unparteilichkeit und Fairness" bezeichnet. Er war
daraufhin zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Diffamierung öffentlicher Amtsträger verurteilt worden.
Die 5. Kammer des EGMR hatte zunächst 2013 die Beschwerde gegen das Urteil mit der Begründung
abgewiesen eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 10 und dem Recht auf Unparteilichkeit
des Richters gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) liege nicht vor
– als Rechtsanwalt sei der Beschwerdeführer vielmehr verpflichtet zum "guten Funktionieren der Justiz"
beizutragen. Dies, so die Große Kammer des EGMR nun, sei zwar ein legitimer Grund zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, jedoch könnten unter bestimmten Bedingungen auch Richter und Staatsanwälte mit Kritik konfrontiert werden. Anwälte mit ihrer “zentrale Position in der Rechtspflege” und einer
“Schlüsselrolle” als “Intermediäre zwischen Öffentlichkeit und Justiz” dürften im Rahmen konstruktiver
Kritik die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Missstände in Justizsystemen lenken. Der CCBE war im
Verfahren als Dritter i.S.v. Art. 36 Abs. 2 EMRK zugelassen worden.
EU-SICHERHEITSAGENDA: BESSERE KOORDINATION GEGEN TERROR – KOM
Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Cyberkriminalität und des Terrorismus ist eine gemeinsame europäische Aufgabe, da diese mehr denn je die europäische Gesellschaft bedrohen. Dies ist
Ausgangspunkt der am 28. April 2015 präsentierten Europäischen Sicherheitsagenda für die Jahre
2015-2020 der EU-Kommission. Die Kommission schlägt in ihrer Mitteilung die Errichtung eines „Europäischen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung“ als Knotenpunkt für den Informationsaustausch der
nationalen Strafverfolgungsbehörden vor. Verstärkt werden soll auch die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Der Europäische Haftbefehl, das europäische Strafregister-Informationssystem und die
Rechtshilfeabkommen mit Drittstaaten sollen den EU-Staaten die Bekämpfung des Terrorismus erleichtern. Parallel dazu wird der Umsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften über Angriffe auf Informationssysteme und über die Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern Vorrang eingeräumt.
Durch eine Überarbeitung des EU-Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung soll
der Rechtsrahmen für den Umgang mit dem Phänomen der ausländischen Kämpfer kohärenter werden.
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BEGRIFF DES „BETRIEBS“ BEI MASSENENTLASSUNGEN – EUGH
Besteht ein Unternehmen aus mehreren Einheiten, wird der „Betrieb“ im Sinne der Richtlinie 98/59/EG
zu Massenentlassungen von der Einheit gebildet, der die betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer
Aufgaben zugewiesen sind, so der EuGH in seinem Urteil in der Rs. C-80/14 vom 30. April 2015. Der
Begriff des Betriebs sei in der betroffenen Richtlinie nicht definiert und müsse autonom und einheitlich in
der Unionsrechtsordnung ausgelegt werden. Die Auslegung der Wendung „mindestens 20“ in Artikel 1
(a) (ii) der Richtlinie erfordere die Entlassungen in jedem Betrieb für sich genommen zu berücksichtigen. Eine Auslegung, wonach die Gesamtzahl der Entlassungen in allen Betrieben eines Unternehmens
zu berücksichtigen sei, stehe Zielen der Richtlinie entgegen. Auch könnte so die Entlassung eines einzelnen Arbeitnehmers in einem Betrieb in einer getrennten und entfernten Stadt in den Anwendungsbereich fallen, dies widerspräche dem üblichen Sinn des Begriffs einer „Massenentlassung“.
PLENUM NIMMT E-CALL MIT VERBESSERTEM DATENSCHUTZ AN – EP
Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 28. April 2015 den auf den Trilog-Verhandlungen
basierenden Standpunkt des Rates zum Vorschlag der sogenannten E-Call-Verordnung angenommen.
Ab dem 31. März 2018 werden demnach alle Neuwagen verpflichtend mit einem elektronischen Notfallsystem ausgestattet, das Rettungskräfte automatisch über die unionsweite Notfallrufnummer 112 alarmiert (s. EiÜ 18/14, 16/14). Die gewonnenen und von E-Call automatisch aufgezeichneten Ortungsdaten müssen kontinuierlich gelöscht werden (s. EiÜ 10/15). Geortet werden darf ein Fahrzeug erst nach
einem Unfall und nur unter Übertragung eines „Minimumsatzes“ an Daten. Die Verordnung tritt am
zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.
SCHLECHTES JAHR FÜR MENSCHENRECHTE – EUROPARAT
2014 war „ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte in Europa“; dies geht aus dem Jahresbericht des
Menschenrechtsbeauftragten im Europarat hervor. Für einen Kontinent, der “den Anspruch erhebt, aus
seiner blutigen Geschichte gelernt zu haben“ und dessen Bürger in der Vergangenheit „oftmals selbst
Zuflucht in anderen Teilen der Welt suchen mussten“, seien vor allem die Flüchtlingskatastrophen im
Mittelmeerraum mit offiziell mehr als 3000 Toten „schändlich, vorhersehbar und vermeidbar“. Rechtsanwälte, die Jahrzehnte nach dem Ende von Diktaturen an der Aufklärung des Verschwindens politischer Gegner der Regimes beteiligt seien, hätten auch heute noch häufig mit Drohungen und Repressalien zu kämpfen. Grund zur Besorgnis gäben auch die Lage in der Ukraine sowie die Menschrechtslage in Russland, Aserbaidschan und der Türkei. Inakzeptabel bleibe auch die Situation der Roma. Zudem sei – nicht zuletzt nach den Angriffen von Paris - ein steigender Druck auf Journalisten und Nichtregierungsorganisationen zu verzeichnen, der die Meinungs- und Pressefreiheit bedrohe.
EIÜ-BEZUG – HINWEISE
Zum Bezug der EiÜ genügt eine kurze Nachricht an [email protected] unter Angabe des
örtlichen Anwaltvereins. Die EiÜ ist auch im Internet abzurufen (im pdf-Format) unter:
http://www.anwaltverein.de/leistungen/europa-im-ueberblick. Für einen französischen oder spanischen
Überblick über anwaltsrelevante EU-Themen („Europe en bref“ bzw. „Europa en breve“) wenden Sie
sich bitte an unsere Kollegen von der Délégation des Barreaux de France unter [email protected]
bzw. vom Consejo General de la Abogacía Española unter [email protected].
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