EiUe 18-15_final - Deutscher Anwaltverein

EUROPA
im Überblick
18/2015 – 13.05.2015
Büro Brüssel
EU-INFORMATIONEN DES DEUTSCHEN ANWALTVEREINS, BÜRO BRÜSSEL
RAe Eva Schriever LL.M. (V.i.S.d.P.), Christian Schwörer, Dorothee Wildt, LL.M., Britta Kynast
MIGRATION: NEUE QUOTENREGEL, DUBLIN AUF DEM PRÜFSTAND – KOM
Mitgliedstaaten, die mit einem plötzlichen Zustrom von Migranten konfrontiert sind, sollen Unterstützung
erhalten: die EU-Kommission wird noch vor Ende Mai die Notfallklausel gemäß Artikel 78 Absatz 3
AEUV aktivieren und einen zeitlich befristeten Verteilungsmechanismus für Personen einführen, die
eindeutig internationalen Schutz in der EU benötigen. Grundlage des Mechanismus sollen das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, die Größe der Bevölkerung, die Höhe der Arbeitslosenquote und die Anzahl
der bisher aufgenommenen Asylbewerber sein. Dies ist eine von mehreren Sofortmaßnahmen, die die
Kommission in ihrer am 13. Mai 2015 vorgestellten Mitteilung "Eine europäische Agenda für Migration"
angekündigt hat (s. Pressemitteilung). Ende 2015 wird dann ein Vorschlag für ein dauerhaftes gemeinsames EU-System für krisenbedingte Umsiedlungen infolge eines Massenzustroms von Migranten folgen. 2016 soll schließlich die Dublin-Verordnung insgesamt bewertet und eventuell reformiert werden.
Neben der Verteilung der ankommenden Flüchtlinge sieht die Agenda auch die Neuansiedlung von
20.000 Vertriebenen aus Drittstaaten in EU-Staaten vor. Die legale Migration soll u.a. durch eine Reform und Modernisierung der Blue-Card-Richtlinie gestärkt werden. Weiter soll u.a. die EUGrenzschutzagentur Frontex künftig den Mitgliedsländern helfen, gegen kriminelle Schleppernetzwerke
vorzugehen, u.a. durch die Beschlagnahme von Vermögenswerten der Schmuggler.
FREIE BERUFE (WIEDER) IM VISIER DER KOMMISSION – KOM
Die EU-Kommission hat am 13. Mai ihre länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland für die Jahre 2015 und 2016 veröffentlicht (zum vergangenen Jahr s. EiÜ 21/14). Demnach soll Deutschland „ehrgeizigere Maßnahmen zur Stimulation des Wettbewerbes im Dienstleistungssektor“ ergreifen. Insbesondere bei den freien Berufen sollen ungerechtfertigte Beschränkungen, wie Anforderungen im Hinblick auf Rechtsform und Beteiligung an Gesellschaftsvermögen sowie feste Gebühren beseitigt werden. Mit dieser Zielsetzung sollen die laufenden Überprüfungen dieser Beschränkungen abgeschlossen
und Folgemaßnahmen aufgenommen werden. In den Empfehlungen an die EU-Mitgliedstaaten, die von
einer umfassenden Mitteilung begleitet werden, fordert sie die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen auf, um
Arbeitsplätze zu schaffen und Wachstumsanreize zu setzen. Die Kommission schlägt die Empfehlungen
im Rahmen des Europäischen Semesters 2015 vor und gründet diese (i) auf die im Februar präsentierten Länderberichte (s. Deutschland sowie EIÜ 8/15); (ii) eine Auswertung der nationalen Reformprogramme zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen (s. Deutschland); und (iii) den Dialog mit den
Mitgliedstaaten und weiteren Interessenträgern. Im Juni 2015 sollen die Empfehlungen im Rat erörtert
werden. Die Staats- und Regierungschefs sollen sie beim Europäischen Rat am 25./26. Juni 2015 bestätigen, damit die Mitgliedstaaten die Empfehlungen umsetzen und in ihre Politik und Haushaltsplanung für 2015-2016 einbeziehen.
DOCH KEINE ERWEITERUNG DER NICHTIGKEITSKLAGE? – EUGH
Der EuGH hat sich in einem Urteil vom 28. April 2015 (Rs. C-456/13 P) zu den Voraussetzungen der
Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV geäußert. Nach dieser Vorschrift kann unter anderem
jede natürliche oder juristische Person gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar
betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben. Der Vertrag von Lissabon hatte „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ als weiteren Klagegegenstand eingeführt, dieses
wurde als Lockerung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Nichtigkeitsklage verstanden. Im vorliegenden Fall ging es um Einfuhrkontingente, die durch Durchführungsverordnungen näher bestimmt
wurden. Die Einfuhrlizenzanträge wurden dabei den nationalen Behörden übermittelt, diese informierten
die EU-Kommission über die gestellten Anträge, erteilten den Wirtschaftsteilnehmern die Einfuhrlizenzen und informierten die Kommission wiederum über die zugewiesenen Mengen. Nach Ansicht des
EuGH entfalteten die in Rede stehenden Durchführungsverordnungen ihre Rechtswirkungen lediglich
über die von den nationalen Behörden infolge von eingereichten Anträgen erlassenen Rechtsakte. Die
diesbezüglichen Entscheidungen der Behörden stellten daher „Durchführungsmaßnahmen“ i.S.v. Art.
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263 Abs. 4 AEUV dar, sodass die Nichtigkeitsklage unzulässig war. Darüber hinaus lehnte der EuGH
auch die individuelle Betroffenheit durch eine der vorliegenden Durchführungsverordnungen ab, da diese ausschließlich erlassen worden sei, weil die für eine Referenzzeitraum verfügbare Menge überschritten worden war und damit nicht unter Berücksichtigung besonderer Eigenschaften der Rechtsmittelführerin. Im Hinblick auf die im Urteil erfolgte Auslegung der Merkmale der Nichtigkeitsklage stellt sich die
Frage, ob der Gerichtshof deren Anwendung für „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ in Zukunft
durch entsprechende Rechtsprechung weiter einschränken wird.
VERHANDLUNGEN ZU NEUEM REISERECHT ERFOLGREICH – EP/RAT
In den Trilogverhandlungen zur Richtlinie über Pauschal- und Bausteinreisen liegt nun ein Kompromisstext vor (s. auch EiÜ 3/15). Ausweislich einer Pressemitteilung des Europäischen Parlaments wurde die Definition der Pauschalreise so erweitert, dass sie die meisten Arten von Reisearrangements erfasse, auch sogenannte „click through“-Buchungen. Zusätzliche Dienstleistungen, die von separaten
Verkäufern durch verbundene Online-Buchungsprozesse angeboten und bei denen der Name des Reisenden, die Zahlungsdetails und die Emailadresse zwischen den Verkäufern binnen 24 Stunden transferiert werde, sollen als Teil der Pauschalreise angesehen werden. Darüber hinaus würden Reiseveranstalter verpflichtet, Insolvenzschutz zu gewährleisten, um Reisenden den Reisepreis vollständig zu erstatten und diese in ihr Heimatland zurückzubringen. Auch der DAV hatte sich sowohl mit einer Stellungnahme, als auch mit einer Anhörung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht (s. DAV-Stn.
44/2013, EiÜ 11/14).
VORLETZTER SCHRITT BEI REFORM DER INSOLVENZVERORDNUNG – RAT
Am 7. Mai 2015 hat der Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments das Ergebnis der Trilogverhandlungen zum Änderungsvorschlag der Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren
(EuInsVO) formell angenommen. Bereits im November hatten sich Rat, EU-Parlament und Kommission
auf diesen Kompromiss verständigt. Die Änderungen betreffen insbesondere die maßvolle Erweiterung
des Anwendungsbereichs, die Vorschriften zur Gewährleistung einer korrekten Zuständigkeitsbestimmung, die Einführung vernetzter Insolvenzregister sowie die Verankerung von Mechanismen für eine erleichterte Bewältigung von Konzerninsolvenzen. Nachdem der Rat den Kompromiss im November angenommen hatte, steht nun nur noch die formelle Annahme des Plenums des EU-Parlaments aus (vgl.
auch DAV-Stn. 39/2013, 14/2013, 53/2012, EiÜ 05/14, 22/14, 40/14).
ANWENDUNG DER EU-GRUNDRECHTECHARTA 2014 – KOM
Im Jahr 2014 haben die Gerichte der EU in ihren Entscheidungen zunehmend auf die EUGrundrechtecharta Bezug genommen: in 210 Entscheidungen wurde von EU-Gerichten auf die Charta
verwiesen (in 2013: 114; in 2011: 43). Zu diesem Ergebnis kommt die EU-Kommission in ihren Bericht
2014 über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, den sie am 8. Mai
2015 veröffentlicht hat. Erstmals enthält der Bericht 2014 einen Abschnitt über den neuen wichtigen Aspekt der Grundrechte im digitalen Raum, insbesondere über den Schutz personenbezogener Daten
nach Artikel 8 der Grundrechtecharta. Das Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in der Rs. C293/12 (Digital Rights Ireland), so der Bericht, stelle klar, „dass das Sekundärrecht der EU spezielle Garantien zum Grundrechtsschutz einschließlich Vorschriften mit Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger
und zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren enthalten muss und dies
nicht dem Ermessen des nationalen Gesetzgebers überlassen werden kann“. Die Kommission hat darüber hinaus ein Kolloquium für den 1. und 2. Oktober 2015 zur Förderung von Toleranz und Respekt
mit besonderem Augenmerk auf der Prävention und der Bekämpfung von Hass gegen Juden und Muslime angekündigt.
EIÜ-BEZUG – HINWEISE
Zum Bezug der EiÜ genügt eine kurze Nachricht an [email protected] unter Angabe des
örtlichen Anwaltvereins. Die EiÜ ist auch im Internet abzurufen (im pdf-Format) unter:
http://www.anwaltverein.de/leistungen/europa-im-ueberblick. Für einen französischen oder spanischen
Überblick über anwaltsrelevante EU-Themen („Europe en bref“ bzw. „Europa en breve“) wenden Sie
sich bitte an unsere Kollegen von der Délégation des Barreaux de France unter [email protected]
bzw. vom Consejo General de la Abogacía Española unter [email protected].
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