55 Abs. 4 InsO - Besteuerungsfragen in der Insolvenz

November 2015
Ausgabe Nr. 4
§ 55 Abs. 4 InsO - Besteuerungsfragen in der Insolvenz
- Neue BMF-Schreiben vom 20.05. und 18.11.2015
Mit Wirkung vom 01.01.2011 wurde in die Insolvenzordnung (InsO) § 55 Abs. 4 InsO eingefügt. Hiernach gelten
Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind,
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Zu Anwendungsfragen hatte das Bundesministerium der Finanzen (BMF) am 20.05.2015 ein Schreiben
erlassen, dessen zeitliche Anwendung mit aktuellem
Schreiben vom 18.11.2015 geregelt wurde.
Nach der Neuregelung werden u.a. Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus der bloßen Vereinnahmung von umsatzsteuerbehafteten Entgelten durch einen sog. „schwachen“
vorläufigen Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit
qualifiziert. Hierdurch wird im Ergebnis die Finanzverwaltung vorrangig vor übrigen Gläubigern behandelt, die ihre
Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden müssen (Fiskusprivileg).
1. Grundlegende Erläuterungen
verwalter bestellt und über deren Vermögen hiernach das
Insolvenzverfahren eröffnet wird, sind insbesondere aus
umsatzsteuerrechtlicher Sicht wesentliche Neuerungen zu
beachten:
Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter liegt vor,
wenn das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den
vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. In diesem Fall
kann das Insolvenzgericht anordnen, dass Verfügungen
des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind und
dem Insolvenzverwalter das Recht zum Forderungseinzug
erteilen. Für hierunter fallende Sachverhalte gelten der
neue § 55 Abs. 4 InsO und damit die BMF-Schreiben vom
20.05.2015 und 18.11.2015. Relevanter Zeitraum ist das
Insolvenzantragsverfahren. Demgegenüber liegt ein vorläufiger Sachverwalter vor, wenn Eigenverwaltung beantragt wird. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter
liegt demgegenüber vor, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf
den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Für diese
Fälle finden § 55 Abs. 4 InsO und damit die o. g. BMFSchreiben keine Anwendung.
Für Steuerpflichtige, für die zu Beginn des Insolvenzantragsverfahrens ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenz-
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2. Rechtliche Entwicklung
Mit Wirkung zum 01.01.2011 ist der neu eingefügte § 55
Abs. 4 InsO in Kraft getreten. Zu dieser gesetzlichen Neuregelung ist mit Datum vom 17.01.2012 erstmals ein
BMF-Schreiben ergangen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat
mit Urteil vom 24.09.2014 (V R 48/13) wesentliche Aussagen zu dessen Anwendung gemacht. Mit Datum vom
20.05.2015 und 18.11.2015 hat das BMF neue Schreiben
erlassen, die das bisherige Schreiben vom 17.01.2012
ersetzen.
3. Zentrale Aussagen der BMF-Schreiben
Ist der schwache vorläufige Insolvenzverwalter zur Entgeltvereinnahmung befugt, gilt: Bei der Besteuerung nach
vereinbarten Entgelten (sog. Sollbesteuerung) werden
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen am Tag der
Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters aus
Rechtsgründen uneinbringlich. Für umsatzsteuerbehaftete
Forderungen hat dies zur Folge, dass die Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) auf € 0,00 zu berichtigen ist. Wird
das Entgelt nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters jedoch vor Verfahrenseröffnung vereinnahmt, ist
eine erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG vorzunehmen. Wird ein Insolvenzverfahren eröffnet, handelt es
sich bei der aufgrund dieser Korrektur entstehenden Umsatzsteuerverbindlichkeit um eine fiktive Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO.
Dies ist eine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Rechtsauffassung, die Umsatzsteuerverbindlichkeiten
aus bloßer Vereinnahmung durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter nicht als Masseverbindlichkeiten,
sondern als Verbindlichkeiten des vorinsolvenzrechtlichen
Unternehmensteils, also als Insolvenzforderung (§ 38
InsO) einordnete.
Umsatzsteuervoranmeldungen erfassten Umsätze sind
nach Insolvenzeröffnung mit Erstellung der Umsatzsteuererklärungen auf die Unternehmensteile „vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil“ und „Insolvenzmasse“ aufzuteilen.
Ein Beispiel zur Erläuterung:
Die Geschäftsführung der X-GmbH stellt am 01.03.2015
einen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Am 02.03.2015 wird
ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt,
der mit dem Recht zum Forderungseinzug ausgestattet ist.
Am 01.06.2015 wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Am
01.02.2015 erbringt die X-GmbH (Sollbesteuerung) eine
umsatzsteuerpflichtige Leistung (19%) in Höhe von
€ 10.000 zzgl. USt, die am 30.05.2015 bezahlt wird.
Lösung nach der Neuregelung:
Der Umsatz von € 10.000 ist in der Umsatzsteuervoranmeldung (USt-VA) 02/2015 zu erfassen. In der USt-VA
03/2015 ist er gem. § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 UStG
auf € 0,00 zu korrigieren. In der USt-VA 05/2015 ist der
Umsatz von € 10.000 erneut zu erfassen (Korrektur nach
§ 17 Abs. 1 UStG). Die Umsatzsteuerverbindlichkeit von €
1.900 ist Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 4 InsO. In
der Umsatzsteuererklärung ist der Umsatz für den Unternehmensteil „Insolvenzmasse“ für den Zeitraum 612/2015 zu erfassen.
Ob die neuen Grundsätze der BMF-Schreiben in der zukünftigen BFH-Rechtsprechung bestätigt werden, bleibt
abzuwarten. Steuerpflichtige sollten Veranlagungen mit
Blick hierauf offen halten.
4. Zeitliche Anwendung
Das Schreiben vom 20.05.2015 sollte lt. BMF auf alle
Insolvenzverfahren anzuwenden sein, deren Eröffnung ab
dem 1. Januar 2011 beantragt wurde. Dies hätte für umsatzsteuerliche Sachverhalte eine rückwirkende Anwendung der neuen Rechtsauffassung auf alle Insolvenzeröffnungsverfahren bedeuten können, die nach dem 1.1.2011
beantragt wurden. Mit Schreiben vom 18.11.2015 hat das
BMF nunmehr angeordnet, dass die Neuregelungen (Tz. 9
– 23 des BMF-Schreibens vom 20.05.2015) erst für Insolvenzeröffnungsverfahren
gelten,
die
nach
dem
31.12.2014 durch das Insolvenzgericht angeordnet wurden. Bei Anordnung der Insolvenzeröffnung vor dem
1.1.2015 gelten weiterhin die Grundsätze (Tz. 11 – 19)
des BMF-Schreibens vom 17.1.2012.
Barbara Piron
Steuerberaterin
Fachberaterin f. Internationales Steuerrecht
PNHR Pelka Niemann Hollerbaum Rohde
Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
Kaiser-Wilhelm-Ring 3-5
50672 Köln
5. Praxishinweise
Für die Praxis ist hier einiges zu beachten. Im Jahr der
Insolvenzeröffnung liegen umsatzsteuerrechtlich zwei
Unternehmensteile vor: „vorinsolvenzrechtlicher Teil“ und
„Insolvenzmasse“. Es sind zwei Umsatzsteuererklärungen
zu erstellen. Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter
hat keine Steuererklärungspflichten. Die für den Zeitraum
des Insolvenzantragsverfahrens in den eingereichten
Telefon:
Telefax:
E-Mail:
Website:
(0221) 546 78-411
(0221) 544 028
[email protected]
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