Herbst 2014, Thema 3 diachron

Herbst 14 – Thema 3 – Teil II
Erklärungen von Lautgesetzen
neuhochdeutsche Monophthongierung:
spontaner Lautwandel: Diphthonge → Monophthonge (Langvokale), diachrone Ebene, ab dem 11.
bzw. 12. Jhd., in manchen Dialekten blieb sie teilweise aus (bairisch)
mdh. fallende bzw. öffnende Diphthonge <ie, uo, üe> werden im Nhd. zu Langvokalen
monophthongiert
[i͡e]  [i:]
tief  tief (Z. 139), die  die (Z. 133)
[u͡o]  [u:]
tuot  tut (Z. 133), muoter  Mutter (Z. 137)
[ʏ͡e]  [ʏ:]
vüeren  führen, brüeder  Brüder
(Merksatz: liebe guote brüeder)
neuhochdeutsche Diphthongierung:
spontaner Lautwandel der Langvokale: Monophthonge → steigenden Diphthongen, diachrone
Ebene, ab dem 12. Jhd., in manchen Dialekten blieb sie teilweise aus (niederdeutsch)
mhd. hohe / geschlossenen Langvokale <î, iu, û> werden im Nhd. diphthongiert
͡
[i:]  [aɪ]
wîzen  weißen (Z. 146), lîp  Leib (Z. 148)
[ʏ:]  [ɔ͡ʏ]
getriuwen  getreuen (Z. 165), hiute  heute
[u:]  [a͡ʊ]
ûf  auf (Z. 133), trûric  traurig (Z. 149)
(Merksatz: mîn niuwes hûs)
Diphthongwandel/Nukleussenkung
mhd. steigende bzw. schließende Diphthonge <ei>, <öu> und <ou> erfahren ab dem 13.
Jahrhundert eine Senkung im ersten Diphthonganteil
͡
[e͡i]  [aɪ]
weinen  weinen (Z. 164), heizen  heißen (Z. 161)
[⊘ʏ]  [oɪ]
böume  Bäume (öü?)ǿ⊘
[o͡u]  [a͡ʊ]
ougen  Augen (Z. 162)
Zusammenhänge zwischen den drei Lautgesetzen:
chronologischer Aufbau: Monophthongierung, Diphthongierung, Diphthongwandel
Eventuell regionale Bedinungen
Die einzelnen Verschiebungen bedingen sich. Durch die Monophthongierung bestehen
Verwechslungsgefahren mit den bereits vorhandenen Homophonen, diese werden
diphthongiert und bewirken somit die Nukleussenkung bei den Diphthongen <ei, öu, ou>.
Analyse von Verbformen
verborgen
Part.II
Ablautreihe IIIb,
Stammformen: verbergen, verbirge, verbarc, verburgen, verborgen

<verbirge> > <verberge>: e-i-Wechsel wird in der 1SG rückgängig gemacht

<verbarc> > <verbarg>: Auslautverhärtung im Mhd. mitnotiert – graphematische
Analogiebildung im Nhd (morphologisches Prinzip)

<verburgen> > <verbargen>: in Analogie zum Sgl. Prät. Bleibt im Nhd <a> bestehen
gestôzen

Part. II

Ablautreihe VII, Stammform stôzen, stôze, stiez, stiezen, gestôzen

<stôzen>  <stoßen> / [sto:sən] → [ʃto:sən]
◦
s-Wandel von [st] zu [ʃt] (Palatalisierung von /s/)
◦
Graphematisch: <z> zu <ß> => <ß> wird zwischen einem Langvokal und einem Vokal
geschrieben

<stiez> - <stieß>: Monophthongierung

3. Pers., Sgl., Prät., Ind., aktiv

starkes Verb, Wurzelverb, Stammformen sîn, bin, was, wâren, gewesen

<was> → <war>
was

◦
Graphematisch: durch Berücksichtigung des Morphologieprinzips wird aus <s> <r>
(Analogieausgleich)
◦
s-r-Wechsel (Rhotazismus) wurde rückgängig gemacht
<sîn>  <sein>
◦

nhd. Diphthongierung
<gewesen> - <gewesen> Dehnung in offener Silbe
vlôz: das Wasser floss ihr über die Augen

3. Person, Sgl., Präteritum, Ind. aktiv

Ablautreihe IIb, Stammformen vliezen, vliuze, vlôz, vlussen, gevlossen

<vlôz>  <floss> / [flo:s] → [flɔs]
◦
Kürzung von [o:] zu [ɔ] bzw. Angleichung zur Kürze im PL.PRÄT
◦
Anpassung: Quantität des Pl. und Qualität des Sgl. wurden vereinheitlicht
▪
Quantität des Sgl. Wird an Quantität des Pl angeglichen
▪
Qualität des Pl. Wird an die Qualität des Sgl. angeglichen

<vliuze> → <fließe>: Morphemkonstanz zum Infinitv

<vlussen>: Angleichung zur Qualität des SG.PRÄT (<o>)

vliezen  fließen
◦
nhd. Monophthongierung
<i> in mhd. Wortformen
rigel
[rɪgəl] → [ri:gəl] => Dehnung: kurze Vokale wurden vom Mhd. zum Nhd. in offenen, betonten Silben
gedehnt
tief
͡ → [ti:f] => Monophthongierung (s.o.), orthographisch bleibt das <e> als Längenmakierung
[t ief]
erhalten
kint
[kɪnt] → [kɪnt] => keine Veränderung
wîzen
[wi:sən] → [va͡ɪsən] => Diphthongierung (s.o.)
ir
[ɪr] → [i:r] => Dehnung: Einsilbige, auf <r> (Konsonant/Sonorant) endende mhd. Wörter wurden
zum Nhd. gedehnt, wenn eine entsprechende Flexionsform mit offener Tonsilbe existierte.
(<i.res> → <ih.res>)
diu
[dʏ] → [di:] => Entrundung: Vokale mit dem Merkmal [+rund] werden häufig vom Mhd. zum Nhd.
entrundet
Analyse von Wortformen
daz

Relativpronomen: SUBJ, Sgl., Neutrum

<daz>  das

V2 im Mhd → VL im Nhd: Relativpronomina haben heute die Fähigkeit VL auszulösen

Possessivpronomen: Teil der PP, Sgl., Femininum

<ihrer schönen weißen Hand> im Mhd. Im Nachfeld, im Nhd. im Mittelfeld

<ir>  <ihrer>
ir
◦
mhd. unflektiert (nur Stamm)  nhd. Flektiert (Stamm + Flexionsendung)
◦
Kongruenz wird im Nhd explizit gezeigt
grôz

Adjektiv: attributiv zu N (zehern), Teil der PP, Pl., Femininum

Mhd.: unflektiert, nachgestellt zu N (NF / Nachbereich) (Positionierung im Mhd noch freier)
→ Nhd.: flektiert, vorangestellt zu N (VF / Vorbereich)

sie es - sie´s → Enklise, Portmonteaumorphem

Personalpronomina: si = Nom, ez = Akk
siz

<Mit diesem trug sie es an das Wasser> VL im Mhd → V2 im Nhd
klein

Adjektiv: attributiv zu N (kindelîn), Teil der NPSUBJ, Sgl., Neutrum

Mhd.: unflektiert (nur Stamm) → Nhd.: flektiert (Stamm + Flexionsendung), wenn sie im VF
stehen (außer Phraseologismen)
daz kint – diu kint vs. Das Kind – die Kinder

Kasusnivellierung dafür aber Numerusprofilierung; <er> entsteht durch Analogiebildung zu
<lam>

Ausschlaggebend hierfür: Relevanzprinzip (Relevanz hinsichtlich des semantischen
Einflusses einer gram. Kat.), bei Nomen ist der Numerus die relevanteste Flexionskategorie
und ist somit (noch) im Wort verankert, Kasus und Genus wurden größtenteils ausgelagert
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