Grußwort Hella Santarossa „Blauer Obelisk“

Grußwort Hella Santarossa „Blauer Obelisk“ auf dem Theodor-Heuss-Platz am 23. September
2015
Liebe Frau Santarossa, liebe Frau Reim, liebe Frau Dr. Weiland,
sehr geehrte Damen und Herren,
„Glasnost“ - Devise der sowjetischen Reformpolitik von Michail Gorbatschow, heißt übersetzt:
„Offenheit, Transparenz, Öffentlichkeit“. „Glasnost“ gab Hella Santarossa dem „Blauen Obelisken“
als Arbeitstitel. Dieses Werk am Theodor-Heuss-Platz steht auch bildlich für die hier zu sehende
Transparenz. Bei Glasnost geht es aber nicht nur um Transparenz in der Politik und ihrer
Kommunikation mit der Bevölkerung. Es geht auch um Offenheit. Eine Offenheit derer es aktuell auf
allen Seiten so dringend bedarf um schwierigen Fragen des Zusammenlebens Herr zu werden.
Der „Blaue Obelisk“ mit seinen mundgeblasenen Antik-Glasscheiben ist mit Inschriften versehen,
die nahezu zeitlosen Debatten ein Sprachrohr verleihen, zugleich aber auch ein Stück Berliner
Geschichte erzählen. Hella Santarossa bezeichnete bei der Erschaffung der sieben gläserneren
Quader das Werk nicht nur als „zeitnah“ sondern als „hautzeitnah“.
Dass so manche Inschrift einem heute noch unter die Haut geht, beweist wie sehr dieses
Wahrzeichen, auch ein „Zeichen der Völkerverständigung“ ist. Zeitnah sind viele dieser Inschriften
damals wie heute: „Europa wird implodieren“ – „Wohlstandsadministration“ – „Aufbruch aus der
Krise“ sind zeitlos gemalte Szenarien. Sie machen Angst. Sie machen Hoffnung.
1987 gewann Hella Santarossa den Wettbewerb der Senatsbauverwaltung zur Neugestaltung des
„Theodor-Heuss-Platzes“. Es brauchte viel Anstrengung, bürgerschaftliches Engagement und die
Großzügigkeit von Spendern, um das Projekt zu realisieren. Und trotzdem konnte der Grundstein
für den „Blauen Obelisken“ erst acht Jahre später im Jahr 1995 gelegt werden. Wie dramatisch sich
die Welt und Deutschland in dieser Zeitspanne von nur acht Jahren gewandelt hat, konnte zu
Projektbeginn kaum jemand erahnen. Die berühmten Schlagworte „Glasnost“ und „Perestroika“
hatte Gorbatschow 1987 frisch proklamiert und der Aufbruch schimmerte nur leicht am Horizont.
Mit dem Aufbruch kam aber auch eine Krise. Der Zerfall des Ostblocks lief nicht immer friedlich ab.
Besonders – das eigentlich blockfreie - Jugoslawien wurde Schauplatz eines brutalen Krieges. Dieser
Krieg und die Vertreibungen haben zu großen Fluchtbewegungen von Menschen in Europa geführt.
Viele Menschen mussten aus ihrer Heimat flüchten. Viele davon fanden ihre neue Heimat in
Deutschland. Es hat unsere Gesellschaft stärker gemacht, es hat unsere Gesellschaft bereichert. Die
Bilder, die uns nun wieder tagtäglich erreichen, führen uns vor Augen, dass wir die Probleme nicht
überwunden haben. Dieser „Denkort“ erinnert auch daran, dass die Schwarzmaler nicht immer
Recht haben. Sie zeigen auch: Europa wird nicht implodieren!
Hella Santarossa hat mit dem Werk an dieser Stelle eben nicht auf die Trennung der Stadt Berlin
hinweisen wollen. Markant auf der Ost-West-Achse der Stadt sollte schon bei der Idee das
verbindende Element im Vordergrund stehen. Dass die Trennung bei der Fertigstellung schon
überwunden war, zeigt dass die Kunst auch seiner Zeit voraus sein kann.
Nun steht der Obelisk seit genau 20 Jahren. Sein Sockel ist auch ein „Zitat“ des hier unweit
stehenden Mahnmals der Vertriebenenverbände mit seiner Inschrift „Freiheit, Recht, Friede“.
Dieses Mahnmal steht hier seit genau 60 Jahren. Beide Orte laden zum Erinnern und zum
Nachdenken ein. Sie symbolisieren die Herausforderungen unserer Gesellschaft. Heute brauchen
wir nicht nur die Völkerverständigung, wir brauchen auch wieder die Offenheit, Empathie für die
grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens.