2. Abschnitt: Betriebsverfassungsrecht

Prof. Dr. Thomas Raab Universität Trier 2. Abschnitt: Betriebsverfassungsrecht § 23 Die Aufgaben der betrieblichen Mitbestimmung I. Der Dualismus bei der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen Der zweite große Bereich des kollektiven Arbeitsrechts ist der der betrieblichen Mitbestim-­‐
mung. Es geht um die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Gestaltung der Verhältnisse im Betrieb. Die Beteiligung erfolgt dabei durch ein von den Arbeitnehmern gewähltes Gremium, das sich aus Arbeitnehmern des Betriebs zusammensetzt. In den privatrechtlich organisier-­‐
ten Unternehmen hat dieses Gremium den Namen „Betriebsrat“. Die Regelung der Mitbe-­‐
stimmung erfolgt im Betriebsverfassungsgesetz. Im Ausgangspunkt beruht das deutsche Arbeitsrecht damit auf einem dualen System der Interessenvertretung: der institutionellen Trennung zwischen der Vertretung der Arbeit-­‐
nehmerinteressen im Bereich der Tarifpolitik und der betrieblichen Mitbestimmung. Die Ge-­‐
staltung der tariflichen Arbeitsbedingungen obliegt auf Arbeitnehmerseite den Gewerkschaf-­‐
ten. Die Betriebsräte sind hingegen von den Gewerkschaften organisatorisch unabhängig. Sie erhalten ihre Legitimation ausschließlich aufgrund der Wahl durch die Arbeitnehmer des Betriebs, und zwar sowohl durch die gewerkschaftsangehörigen als auch durch die nichtor-­‐
ganisierten Arbeitnehmer (die sog. Außenseiter). Die Betriebsräte sind also nicht der „ver-­‐
längerte Arm“ der Gewerkschaften; sie sind keinerlei Weisungen von Seiten der Gewerk-­‐
schaften unterworfen und ausschließlich auf das Wohl des Betriebs und der dem Betrieb zugehörigen Arbeitnehmer verpflichtet (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Zumindest wenn und soweit ge-­‐
werkschaftliche Politik den Interessen des Betriebs zuwiderläuft, ist es ihnen geradezu un-­‐
tersagt, sich zum Instrument der gewerkschaftlichen Politik machen zu lassen. Andererseits sind die beiden Bereiche nicht streng voneinander getrennt. Vielmehr ist das Verhältnis von Gewerkschaften und Betriebsräten durch vielfache Verflechtungen und Ko-­‐
operationen geprägt. Dies beginnt schon bei den persönlichen Verbindungen, die dadurch entstehen, dass viele Betriebsratsmitglieder zugleich Angehörige einer Gewerkschaft und dort zum Teil an maßgeblicher Stelle tätig sind. Aber auch rechtlich gibt es zahlreiche Ver-­‐
bindungen. So verleiht das Gesetz den Gewerkschaften bestimmte Befugnisse im Rahmen der Betriebsverfassung (hierzu unter III). Hierdurch wird die angesprochene personelle Ver-­‐
flechtung institutionell flankiert. In der betrieblichen Praxis ist es denn auch heute nicht sel-­‐
ten, dass Betriebsräte sich bei ihrer Amtsausübung nicht in geringem Maße von den politi-­‐
schen Vorstellungen der Gewerkschaften leiten lassen und damit mittelbar gewerkschaftli-­‐
che Interessenpolitik betreiben. Dies ist nicht per se unzulässig, sondern im gesetzlichen Sys-­‐
tem zumindest im Ansatz angelegt. Dass umgekehrt auch die Befassung mit der aktuellen Tarifpolitik sowie die Kontrolle der Einhaltung der geltenden Tarifverträge zu den Aufgaben des Betriebsrats zählen, zeigen etwa die Regelungen in § 74 Abs. 2 S. 3 Halbsatz 2 und § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht II. Der Zweck der betrieblichen Mitbestimmung Zwingende Gesetze und Tarifverträge bieten bereits einen weitreichenden Schutz der Inte-­‐
ressen der Arbeitnehmer. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Fragen, die auf der Ebene des ein-­‐
zelnen Betriebes geregelt werden müssen und nicht abstrakt für alle Arbeitsverhältnisse o-­‐
der auch nur für alle Betriebe einer Branche einheitlich geregelt werden können. Damit auch bei der Gestaltung dieser Arbeitsbedingungen nicht ausschließlich die Interessen des Arbeit-­‐
gebers im Vordergrund stehen, sondern auch die Interessen der Arbeitnehmer Berücksichti-­‐
gung finden, hat der deutsche Gesetzgeber einen besonderen Repräsentanten der Arbeit-­‐
nehmer im Betrieb geschaffen, den Betriebsrat. Um das Zusammenspiel von gewerkschaftlicher Interessenvertretung und betrieblicher Mit-­‐
bestimmung zu verstehen, muss man sich zunächst noch einmal daran erinnern, welches das Hauptbetätigungsfeld der Gewerkschaften ist. Gewerkschaften nehmen die Interessen ihrer Mitglieder vor allen Dingen dadurch wahr, dass sie mit Arbeitnehmern Tarifverträge ab-­‐
schließen und damit die Arbeitsverhältnisse inhaltlich gestalten, insb. für ihre Mitglieder Mindestbedingungen aushandeln. Tarifverträge wiederum enthalten vor allen Dingen In-­‐
halts-­‐, Abschluss-­‐ und Beendigungsnormen, d.h. also Regelungen, die das individuelle Ver-­‐
hältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen und die gleicherweise Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein könnte. In diesem Bereich sollen Gewerkschaften dafür sorgen, dass ein angemessener Interessenaus-­‐
gleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zustande kommt, der auf der vertraglichen Ebene deshalb schwierig ist, weil sich der Arbeitnehmer in einer schwächeren Verhand-­‐
lungsposition befindet. Während das Tarifrecht vor allem dem Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit der Ar-­‐
beitnehmer bei der Aushandlung materieller Arbeitsbedingungen (Lohn, Urlaubszeiten etc.) dient, ist die kollektive Interessenwahrnehmung durch den Betriebsrat auf der Ebene der Gestaltung der betrieblichen Verhältnisse auch noch durch andere Rechtstatsachen moti-­‐
viert. Selbst wenn die Arbeitnehmer als Einzelne die Marktmacht hätten, ihre Interessen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen und ihm als gleich starke Verhandlungspartner gegenüberzutreten, würde die Durchsetzung ihrer individuellen Interessen auf der betriebli-­‐
chen Ebene vielfach auf nicht überwindbare Hindernisse stoßen. Der Arbeitnehmer, der sei-­‐
ne vertragliche Leistung in einem fremden unternehmerischen Organisationsbereich er-­‐
bringt, muss sich typischerweise in eine Organisation eingliedern, auf deren Gestaltung er individuell keinen Einfluss nehmen kann. Die Bedingungen für das Miteinander der Arbeit-­‐
nehmer im Betrieb und die Organisation der Arbeitsabläufe entziehen sich nämlich weitge-­‐
hend einer individuellen Vereinbarung. Vielmehr müssen diese Bedingungen zumeist für alle Arbeitnehmer einheitlich gelten, um ihren Zweck erfüllen zu können (z.B. Arbeitszeiten, Re-­‐
gelungen der Arbeitsordnung). Bedarf es also einer solchen einheitlichen Ordnung, so kann diese an sich nur vom Arbeitgeber geschaffen werden. Ein Aushandeln mit den einzelnen Arbeitnehmern ist von vornherein ausgeschlossen. Seinen positiv-­‐rechtlichen Ausdruck fin-­‐
2 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht det dieser Gedanke in § 106 S. 1 und 2 GewO. Das Direktions-­‐ oder Weisungsrecht bezüglich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie bezüglich von Ordnung und Verhalten der Ar-­‐
beitnehmer im Betrieb beruht letztlich darauf, das sich der Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag gerade zu fremdbestimmter Arbeit im Dienste fremder unternehmerischer Zwecke verpflich-­‐
tet und damit den Arbeitgeber ermächtigt, die hierzu notwendigen Anordnungen und Kon-­‐
kretisierungen zu treffen. Eine einseitige Regelung durch den Arbeitgeber birgt freilich stets die Gefahr, dass die Inte-­‐
ressen der Arbeitnehmer nicht ausreichend berücksichtigt werden, sondern sich die Rege-­‐
lungen allein an den unternehmerischen Interessen orientieren. Diese weitgehende Fremd-­‐
bestimmung ist mit der Vorstellung von dem Menschen als eigenverantwortliches Wesen, das seine Angelegenheiten nach Möglichkeit durch Ausübung seiner Freiheitsrechte selbst gestalten soll, schwerlich zu vereinbaren. Hier soll die Bildung von Betriebsräten ein Gegen-­‐
gewicht schaffen. Dem Arbeitgeber wird auf der betrieblichen Ebene ein Partner gegenüber-­‐
gesellt, der die Interessen der im Betrieb beschäftigen Arbeitnehmer wahrnimmt. Dies ge-­‐
währleistet einerseits eine einheitliche Regelung, weil der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen für alle Arbeitnehmer zuständigen Verhandlungspartner erhält. Gleichzeitig wird durch die Beteiligung des Betriebsrats sichergestellt, dass auch die Interessen der Arbeitnehmer bei den Regelungen innerhalb des Betriebs berücksichtigt werden. Die Mitbestimmung durch den Betriebsrat soll den Arbeitnehmer aus einem Objekt von Fremdbestimmung zu einem mitgestaltenden Subjekt werden lassen. Sie verfolgt das Ziel gleichberechtigter Teilhabe der Arbeitnehmer an den sie betreffenden Regeln des Betriebsablaufs und verwirklicht damit die Grundwertungen der Menschenwürde und des Rechts des Arbeitnehmers auf freie Ent-­‐
faltung der Persönlichkeit aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.1 Damit werden einerseits die Interes-­‐
sen der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber gewahrt. Zum anderen wird sicherge-­‐
stellt, dass die divergierenden Interessen innerhalb der Arbeitnehmerschaft zu einem Aus-­‐
gleich gebracht werden. Auch diese Funktion kommt letztendlich dem Betriebsrat zu. III. Die Stellung der Koalitionen im Betrieb Wie bereits angedeutet, weist der Gesetzgeber den Koalitionen, also den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden im Bereich der Betriebsverfassung nicht lediglich eine Rolle als „unbeteiligter Zuschauer“ zu, sondern verleiht ihnen gewisse Mitwirkungsrechte. Grund-­‐
norm ist hierbei § 2 Abs. 1 BetrVG. Dieser verpflichtet Arbeitgeber und Betriebsrat nicht nur zur wechselseitigen vertrauensvollen Zusammenarbeit, sondern auch zur Kooperation mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Darüber hinaus kommt den Koalitionen eine Unterstützungs-­‐ und Beratungsfunktion zu. So können Beauftragte der Gewerkschaft an Sitzungen des Betriebsrats teilnehmen (§ 31 Be-­‐
trVG). Allerdings haben sie kein originäres Teilnahmerecht; vielmehr entscheidet der Be-­‐
1
Grundlegend hierzu Wiese, GK-BetrVG, Einleitung, Rn. 71 ff.
3 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht triebsrat darüber, ob sie zu den Sitzungen eingeladen werden. Dabei bedarf es keiner Mehr-­‐
heitsentscheidung. Es genügt, wenn ein Viertel der Mitglieder die Teilnahme beantragen. Beauftragte der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände können zudem unter be-­‐
stimmten Voraussetzungen an Betriebsversammlungen beratend teilnehmen (§ 46 Abs. 1 BetrVG). Die Gewerkschaften haben darüber hinaus im Zusammenhang mit der Betriebswahl einige Einflussmöglichkeiten. So können sie insbesondere dafür sorgen, dass überhaupt eine Be-­‐
triebsratswahl stattfindet. Voraussetzung hierfür ist nämlich die Bestellung eines Wahlvor-­‐
stands. Dieser ist nach § 16 Abs. 2 S. 1 BetrVG auf Antrag der Gewerkschaft vom Arbeitsge-­‐
richt zu bestimmen, wenn der Betriebsrat seiner Aufgabe zur Bestellung (§ 16 Abs. 1 BetrVG) nicht rechtzeitig nachkommt. In Betrieben, in denen erstmals ein Betriebsrats zu wählen ist, können Gewerkschaften die Betriebsversammlung einberufen, auf der der Wahlvorstand gewählt werden soll (§ 17 Abs. 3 BetrVG). Erfolgt keine Wahl, so kann die Gewerkschaft de Wahlvorstand wiederum durch das Arbeitsgericht bestellen lassen (§ 17 Abs. 4 BetrVG). Schließlich hat die Gewerkschaft die Möglichkeit, mit eigenen Vorschlagslisten (die natürlich in der Praxis weitgehend oder ausschließlich aus gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern des Betriebs bestehen) bei Betriebsratswahlen anzutreten (§ 14 Abs. 3 BetrVG). Auch an-­‐
sonsten fällt der Gewerkschaft mitunter die Aufgabe zu darüber zu wachen, dass die gesetz-­‐
lichen Vorschriften eingehalten werden (z.B. § 23 Abs. 1 und 3 BetrVG). Das Gesetz spricht dabei durchweg davon, dass die Gewerkschaft „im Betrieb vertreten sein“ müsse. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die Gewerkschaft „repräsentativ“ ist, also die Mehrheit der Belegschaft zu ihren Mitgliedern zählt. Vielmehr genügt es, wenn ein Arbeit-­‐
nehmer des Betriebs Mitglied der Gewerkschaft ist. Aus diesem Grunde ist es auch möglich, dass mehrere Gewerkschaften „im Betrieb vertreten“ sind. § 24 Organisation der Betriebsverfassung I. Geltungsbereich der Betriebsverfassung 1. Der Betrieb als Anknüpfungspunkt Nach § 1 Abs. 1 BetrVG sind in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf Arbeitnehmern Betriebsräte zu wählen. Der maßgebliche Bezugspunkt für die Mitbestimmung ist also der Betrieb als die arbeitsorganisatorische Einheit, in der die Arbeitnehmer zur Verwirklichung eines arbeitstechnischen Zwecks (d. h. zur Herstellung eines Produkte oder zur Erbringung einer Dienstleistung) zusammenwirken. In Unternehmen mit mehreren (betriebsratsfähigen) Betrieben wird folglich für jeden Betrieb ein Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat vertritt damit nur die Arbeitnehmer, die in dem jeweiligen Betrieb beschäftigt sind. Gibt es in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte, so ist en Gesamtbetriebsrat zu bilden (§ 47 Abs. 1 Be-­‐
trVG). Dieser ist dann (ausschließlich) zuständig, wenn es um Angelegenheiten geht, die 4 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht mehrere oder alle Betriebs des Unternehmens betreffen und nicht durch die einzelnen Be-­‐
triebsräte geregelt werden können (§ 50 Abs. 1 BetrVG). 2. Persönlicher Geltungsbereich Vom Geltungsbereich erfasst werden alle Arbeitnehmer des Betriebs. Hierzu zählen auch die Auszubildenden, also die Personen, die sich in einer Berufsausbildung und (noch) nicht in einem regulären Arbeitsverhältnis befinden (§ 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Ausgenommen sind einmal die in § 5 Abs. 2 BetrVG genannten Personen, die aber überwiegend auch nach all-­‐
gemeinen arbeitsrechtlichen Grundätzen keine Arbeitnehmer sind. Ausgenommen sind aber auch leitende Angestellte, also solche Personen, die zwar zum Inhaber des Betriebs in einem Arbeitsverhältnis stehen, im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zu den übri-­‐
gen Beschäftigten aber unternehmerische Aufgaben und damit faktisch die Rolle des Arbeit-­‐
gebers wahrnehmen (§ 5 Abs. 3 und 4 BetrVG). Für diese ist der Betriebsrat nicht zuständig, weil die Personen aus seiner Sicht „auf der anderen Seite“ stehen, es somit zu einer Vermi-­‐
schung der Interessensphären käme. Leitende Angestellte können stattdessen eine eigene Vertretung wählen, den sog. Sprecherausschuss (Näheres ist im Sprecherausschussgesetz, Beck-­‐Texte Nr. 84 geregelt). II. Der Betriebsrat 1. Wahl des Betriebsrats Der Betriebsrat wird von den Arbeitnehmern des Betriebs in freier und unmittelbarer Wahl gewählt (§ 14 Abs. 1 BetrVG). Unmittelbar bedeutet, dass die Arbeitnehmer selbst ihre Stimme für die Kandidaten abgeben können und nicht lediglich Beauftragte wählen, die an-­‐
schließend die eigentliche Wahl vornehmen. Aktiv wahlberechtigt sind alle volljährigen Arbeitnehmer des Betriebs (§ 7 S. 1 BetrVG). Das passive Wahlrecht, also das Recht, in den Betriebsrat gewählt zu werden, setzt einmal das aktive Wahlrecht voraus. Die Betriebsratsmitglieder müssen also selbst Arbeitnehmer des Betriebes sein. Es ist nicht möglich, betriebsfremde Personen in dieses Gremium zu entsen-­‐
den. Zusätzlich hängt die Wählbarkeit davon ab, dass ein Arbeitnehmer mindestens sechs Monate dem Betrieb angehört (§ 8 Abs. 1 BetrVG). Damit soll sichergestellt werden, dass Personen, die das Amt als Betriebsratsmitglied ausüben, mit den tatsächlichen Verhältnissen des Betriebs vertraut sind. Die Größe des Betriebsrats variiert je nach der Zahl der Arbeit-­‐
nehmer des Betriebs (§ 9 BetrVG). 2. Stellung der Betriebsratsmitglieder Die Stellung der Betriebsratsmitglieder wird vor allem durch zwei Vorschriften gekennzeich-­‐
net. Nach § 37 Abs. 1 BetrVG ist das Betriebsratsamt ein Ehrenamt und damit unentgeltlich. Die Arbeitnehmer erhalten also für die Amtsausübung keine Vergütung. Die andere Vor-­‐
5 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht schrift ist § 78 S. 2 BetrVG. Danach dürfen Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit we-­‐
der benachteiligt noch begünstigt werden. Die meisten Einzelregelungen sind Konkretisierungen dieses Grundsatzes. Da die Betriebs-­‐
ratsmitglieder nicht für ihre Tätigkeit bezahlt werden, gibt es auch keine spezifischen Vergü-­‐
tungsregelungen für Betriebsratsmitglieder. Andererseits ergibt sich aus dem Benachteili-­‐
gungsverbot, dass sie keine Einbußen durch die Betriebsratstätigkeit erleiden dürfen. Hierfür sorgt § 37 Abs. 2 BetrVG. Danach ist den Betriebsratsmitgliedern für die Zeit, in der sie ihrer regulären Arbeit wegen der Betriebsratstätigkeit nicht nachgehen können, das Arbeitsent-­‐
gelt fortzuzahlen. Betriebsratsmitglieder erhalten also dieselbe Vergütung, die sie ohne die Mitgliedschaft im Betriebsrat erhalten hätten. Nur scheinbar eine Privilegierung ist der besondere Kündigungsschutz der Betriebsratsmit-­‐
glieder (§ 15 KSchG, § 103 BetrVG). Er beruht auf dem Gedanken, dass Betriebsratsmitglie-­‐
der ihre Aufgaben ohne Furcht vor einem Verlust des Arbeitsplatzes ausüben sollen. Ohne besonderen Kündigungsschutz bestünde die Gefahr, dass Betriebsratsmitglieder zumindest subjektiv meinen, durch Konflikte mit dem Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz zu gefährden. Dies könnte sie in ihrer Amtsausübung und in dem Eintreten für die Interessen der Arbeitnehmer hemmen. So gesehen ist der Kündigungsschutz keine Privilegierung, sondern ein Schutz vor Nachteilen, die sich gerade aus der Ausübung des Betriebsratsamtes ergeben können. § 25 Die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat I. Grundsätze Die Unterschiede zwischen dem Tarifsystem und der Betriebsverfassung zeigen sich deutlich in den Grundsätzen, die das Gesetz für die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Be-­‐
triebsrat aufgestellt hat. Während die Tarifpartner die Aufgabe haben, durchaus einseitig die Interessen ihrer Mitglieder im freien Spiel der Kräfte durchzusetzen und dabei auch im Wege des Arbeitskampfes die offene Konfrontation nicht zu meiden brauchen, ist das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auf Kooperation angelegt. Dies kommt vor allem in dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Ausdruck (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Dadurch werden Interessengegensätze nicht geleugnet. Ebenso wenig wird ausgeschlossen, dass beide Seiten ihre jeweiligen Interessen verfolgen. Schließlich beruht der Mitbestim-­‐
mungsgedanke gerade darauf, dass durch die Einbringung der Interessen beider Seiten am ehesten ein angemessener Ausgleich erzielt wird. Aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergibt sich aber ein Verbot einseitiger Interessenverfolgung ohne Rücksicht auf die Interessen der anderen Seite („zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs“). Der Betriebsrat hat daher stets auch die Interessen des Betriebs, der Arbeitgeber auch die Interessen der Arbeitnehmer zu berück-­‐
sichtigen. § 74 Abs. 1 BetrVG ist eine Konkretisierung des Gebots der vertrauensvollen Zu-­‐
sammenarbeit. 6 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Ein weiterer wichtiger Grundsatz ist das Arbeitskampfverbot. Maßnahmen des Arbeitskamp-­‐
fes sind den Betriebspartnern untersagt (§ 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Der Betriebsrat darf also nicht die Arbeitnehmer zu Arbeitsniederlegungen aufrufen, um den Arbeitgeber zu bestimm-­‐
ten Zugeständnissen zu bewegen. Diese Regelung steht in engem Zusammenhang mit der Kooperationsmaxime. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wäre wohl nicht möglich, wenn Konflikte zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber im Wege des Arbeitskampfes ausgetragen würden, was regelmäßig auch zu einem emotional stark aufgeheizten Klima führt. Ein wirkli-­‐
ches Vertrauensverhältnis lässt sich danach kaum wieder aufbauen. Verboten sind solche Maßnahmen aber für die Betriebspartner nur in dieser Eigenschaft. Dagegen dürfen sich Betriebsratsmitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer an gewerk-­‐
schaftlichen Streiks beteiligen. Ebenso darf der Arbeitgeber sich an Arbeitskampfmaßnah-­‐
men im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen beteiligen, etwa wenn der Arbeitgeberver-­‐
band hierzu aufruft. Nur die betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten dürfen nicht zum Gegenstand eines Arbeitskampfes gemacht werden. Dies wird durch § 74 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BetrVG klargestellt. Aus dem Verbot des Arbeitskampfes ergibt sich aber zugleich eine Pflicht zur Neutralität in Arbeitskämpfen tariffähiger Parteien. So darf der Betriebsrat seine Kompe-­‐
tenzen nicht dazu benutzen, um Arbeitskämpfe der Gewerkschaften zu unterstützen. Ein Betriebsrat, der das Betriebsratsbüro zur Zentrale der Streikorganisation macht, handelt missbräuchlich und verletzt seine gesetzlichen Pflichten. II. Sanktionen Das BetrVG enthält kein systematisiertes Sanktionensystem. Vielmehr sind Sanktionen ver-­‐
streut über das gesamte Gesetz geregelt. Insbesondere im Zusammenhang mit einzelnen Mitbestimmungstatbeständen sind Regelungen für die Durchsetzung und Sicherung der Mit-­‐
bestimmung bei einem rechtswidrigen Verhalten des Arbeitgebers getroffen worden. Ande-­‐
rerseits enthält das Gesetz auch allgemeine Regelungen. Bestimmte Rechtsverstöße sind sogar unter Strafe gestellt und werden als Straftaten bez. Ordnungswidrigkeiten verfolgt (§§ 119 -­‐ 121 BetrVG). Dabei geht es aber vornehmlich um die Beeinflussung der Betriebsratswahlen oder um die Behinderung oder Störung der Tätig-­‐
keit des Betriebsrats (§ 119 BetrVG) bzw. um die Verletzung von Geheimhaltungspflichten (§ 120 BetrVG). Die Nichtbeachtung von Mitbestimmungsrechten oder die Verletzung der Grundsätze für die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat (§§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 und 2 BetrVG) werden nicht erwähnt. Nach § 23 Abs. 1 BetrVG können bei Pflichtverletzungen durch den Betriebsrat entweder der Betriebsrat insgesamt aufgelöst oder einzelne Mitglieder aus dem Betriebsrat ausgeschlos-­‐
sen werden. Zweck der Vorschrift ist es, ein Mindestmaß an gesetzmäßiger Amtsausübung sicherzustellen und die Wiederholung von Pflichtverletzungen, die im Interesse der betriebs-­‐
verfassungsrechtlichen Ordnung keinesfalls hingenommen werden können, zu verhindern. 7 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Die Verletzung muss „grob“, also so erheblich sein, dass die weitere Amtsausübung des Mit-­‐
glieds oder des gesamten Betriebsrats untragbar erscheint, sei es dass dem Arbeitgeber eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten ist oder den Arbeitnehmern nicht mehr angesonnen werden kann, sich durch diese Amtsträger vertreten zu lassen. Es kommt nur auf die objektive Schwere des Verstoßes an, Verschulden, subjektive Vorwerfbarkeit (Ver-­‐
schulden) ist nicht erforderlich. Allerdings wird man bei fehlendem Verschulden nur selten annehmen können, dass das Betriebsratsmitglied oder der Betriebsrat insgesamt nicht mehr tragbar erscheint. Vielmehr dürfte regelmäßig grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz erforderlich sein. Für die Auflösung des Betriebsrats oder den Ausschluss eines Mitglieds bedarf es einer ge-­‐
richtlichen Entscheidung. Der Antrag kann vom Arbeitgeber, einem Viertel der wahlberech-­‐
tigten Arbeitnehmer oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft gestellt werden. Der Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds kann auch von dem Betriebsrat selbst beantragt wer-­‐
den (es bedarf dann also eines Mehrheitsbeschlusses des Betriebsrats). Die Parallelnorm zu § 23 Abs. 1 BetrVG für Pflichtverletzungen des Arbeitgebers ist § 23 Abs. 3 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft dem Arbeitgeber durch das Gericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen, zu dulden oder eine Handlung vorzunehmen. Der zweck ist derselbe wie in § 23 Abs. 1 BetrVG, nämlich die Sicherung eines Mindestmaßes an betriebsverfassungsgemäßem Verhalten des Arbeit-­‐
gebers und die Abwehr von Pflichtverletzungen, deren Fortdauer oder Wiederholung dem Betriebsrat im Interesse der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung in keinem Falle zuge-­‐
mutet werden kann. Voraussetzung ist ebenfalls die Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten. In Be-­‐
tracht kommen dabei grds. alle Pflichten des Arbeitgebers, die sich aus seiner betriebsver-­‐
fassungsrechtlichen Stellung. Außerdem muss ein grober Pflichtenverstoß vorliegen. Wie bei § 23 Abs. 1 BetrVG genügt die objektive Schwere. Die Pflichtverletzung muss so schwerwie-­‐
gend sein, dass dem Betriebsrat eine Fortdauer oder eine Wiederholung in keinem Falle zu-­‐
gemutet werden kann. Hierfür kann auch ein einmaliger Pflichtenverstoß genügen. Ein Ver-­‐
schulden des Arbeitgebers ist (ebenfalls wie bei § 23 Abs. 1 BetrVG) nicht erforderlich. Es geht nicht um den Ausspruch eines Unwerturteils oder eine Missbilligung, sondern um den Schutz der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung, insbesondere um den Schutz von Betei-­‐
ligungsrechten des Betriebsrats. Ein grober Verstoß liegt allerdings nicht vor, wenn der Ar-­‐
beitgeber in einer ungeklärten Rechtsfrage eine vertretbare Rechtsansicht vertritt. III. Die Betriebsvereinbarung 1. Zustandekommen Das wichtigste Instrument für Arbeitgeber und Betriebsrat zur gemeinsamen Regelung der Angelegenheiten im Betrieb ist die Betriebsvereinbarung. Die Betriebsvereinbarung weist 8 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Tarifvertrag auf. So ist die Betriebsvereinbarung ebenfalls ein privatrechtlicher Normenvertrag. Für den Abschluss gelten also die allgemeinen rechts-­‐
geschäftlichen Grundsätze. Die Formulierung in § 77 Abs. 2 BetrVG, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat die Betriebsvereinbarung „gemeinsam beschließen“, ist insofern irreführend. Die Betriebsvereinbarung kommt nicht durch eine gemeinsame Abstimmung zustande, sondern durch zwei gleichlautende aufeinander gerichtete Willenserklärungen. Wie sich aus § 77 Abs. 2 BetrVG ergibt, erfolgt der Abschluss der Betriebsvereinbarung durch die Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden (§ 26 Abs. 2 BetrVG) und des Arbeitgebers (oder eines von diesem Bevollmächtigten) unter die Vertragsurkunde. 2. Geltungsbereich Der Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung hängt – wie beim Tarifvertrag – zunächst vom Inhalt der Regelung ab. Sachlich kann die Betriebsvereinbarung nur für den Betrieb gelten, für den der Betriebsrat gewählt ist. Nur für diesen Betrieb ist der Betriebsrat legitimiert. Sol-­‐
len einheitliche Regelungen für mehrere Betriebe eines Unternehmens getroffen werden, bedarf es einer Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat (§ 47 BetrVG, sog. Ge-­‐
samtbetriebsvereinbarung). Voraussetzung ist allerdings, dass der Gesamtbetriebsrat zu-­‐
ständig ist (§ 50 BetrVG). Persönlich erstreckt sich der Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung auf alle Arbeitneh-­‐
mer des Betriebs. Ausgenommen sind daher die Personen, die nach § 5 Abs. 2 BetrVG nicht als Arbeitnehmer gelten sowie die leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG. Der soeben definierte Geltungsbereich bildet allerdings nur die äußerste Grenze der Rege-­‐
lungsbefugnis. Arbeitgeber und Betriebsrat sind nicht gezwungen, diese immer auszuschöp-­‐
fen, also stets Regelungen für den gesamten Betrieb und für alle Arbeitnehmer zu treffen. So können Betriebsvereinbarungen etwa nur für bestimmte Teile des Betriebs (z. B. besondere Arbeitszeitregelungen für unterschiedliche Abteilungen) oder auch nur für bestimmte Grup-­‐
pen von Arbeitnehmern (z. B. Regelungen für die Auszubildenden) gelten. 3. Wirkung Die Betriebsvereinbarung wirkt gem. § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend. Sie wirkt also wie ein Tarifvertrag als Rechtsnorm, als objektives Recht, auf das Arbeitsverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein. Einer besonderen Zustimmung des Arbeitnehmers be-­‐
darf es daher nicht. Sie wirkt außerdem zwingend. Abweichungen von der Betriebsvereinba-­‐
rung – etwa durch vertragliche Absprachen zwischen dem Arbeitgeber und einzelnen Ar-­‐
beitnehmern – sind grundsätzlich nicht möglich, sofern die Betriebsvereinbarung sie nicht ausdrücklich zulässt. Nach dem Gesetzeswortlaut erscheint fraglich, ob dies auch für Abwei-­‐
chungen gilt, die für die Arbeitnehmer günstiger sind. Das Günstigkeitsprinzip wird schließ-­‐
lich in § 77 Abs. 4 BetrVG (anders als in § 4 Abs. 3 TVG) nicht ausdrücklich erwähnt. Es be-­‐
steht aber Konsens darüber, dass es sich dabei um eine Unvollständigkeit des Gesetzes und 9 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht nicht um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt. Eine Regelung, die auch günstigere Vereinbarungen verbieten würde, wäre im Übrigen wohl auch verfassungswidrig, weil sie die Vertragsfreiheit einschränken würde, ohne dass dies durch den Zweck des Schut-­‐
zes der Arbeitnehmer vor unangemessenen Arbeitsbedingungen zu rechtfertigen wäre. Das Günstigkeitsprinzip gilt daher auch für das Verhältnis der Betriebsvereinbarung zu abwei-­‐
chenden vertraglichen Regelungen. § 26 Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats I. Systematik der Beteiligungsrechte Aufgabe des Betriebsrats ist es, die Interessen der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der be-­‐
trieblichen Abläufe zu vertreten. Hierzu räumt das Gesetz dem Betriebsrat eine Vielzahl von Beteiligungsrechte ein, die sich freilich im Hinblick auf die Intensität der Einflussnahme un-­‐
terscheiden. Die Beteiligungsrechte lassen sich grob folgendermaßen unterteilen: 1. Informelle Beteiligung des Betriebsrats – Mitwirkungsrechte a) Unterrichtungs-­‐ und Beratungsrechte Bei der ersten Gruppe von Beteiligungsrechten geht es um eine informelle Beteiligung des Betriebsrats im Vorstadium einer bestimmten Sachentscheidung. So hat der Betriebsrat in manchen Angelegenheiten ein Unterrichtungs-­‐ und Beratungsrecht, etwa bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, in Fragen der Personalplanung oder betrieblichen Berufsbildung (§§ 90, 92 Abs. 1, 96 Abs. 1, 97 BetrVG). Der Arbeitgeber ist also verpflichtet, den Betriebsrat vor Durchführung einer Maßnahme über die maßgeblichen Tatsachen zu informieren, die Vor-­‐
schläge des Betriebsrats für etwaige Änderungen und Ergänzungen in seine Überlegungen einzustellen und gegebenenfalls gemeinsam mit dem Betriebsrat zu erörtern. Ob und wie der Arbeitgeber die Maßnahme durchführt, bleibt jedoch letztlich seiner freien Entscheidung überlassen. Der Betriebsrat kann nur versuchen, durch Argumente Einfluss auf die Entschei-­‐
dungsfindung zu nehmen. Er kann seine Vorstellungen aber nicht gegen den Willen des Ar-­‐
beitgebers durchsetzen. b) Initiativrechte (im weiteren Sinne) Ähnliches gilt für die Initiativrechte im weiteren Sinne. Diese geben dem Betriebsrat die Möglichkeit, bestimmte Maßnahmen von sich aus beim Arbeitgeber anzuregen. Der Be-­‐
triebsrat kann beispielsweise Vorschläge zur Gestaltung der betrieblichen Berufsbildung o-­‐
der zur Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Betrieb machen (§ 92 Abs. 2 BetrVG). Er muss also nicht abwarten, bis der Arbeitgeber auf diesen Gebieten ak-­‐
tiv wird. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, diese Vorschläge zu prüfen und gegebenen-­‐
falls mit dem Betriebsrat zu erörtern. Auch hier gilt freilich: ob der Arbeitgeber die Vorschlä-­‐
ge umsetzt, bleibt ihm überlassen. 10 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht 2. Echte Mitbestimmungsrechte a) Zustimmungserfordernisse Daneben gibt es aber auch Angelegenheiten, in denen dem Betriebsrat ein echtes Mitbe-­‐
stimmungsrecht zusteht, in denen also der Arbeitgeber nicht ohne Zustimmung des Be-­‐
triebsrats handeln darf. Der Betriebsrat hat hier ein Vetorecht. Dabei kann man im wesent-­‐
lich zwei Arten von Mitbestimmungsrechten unterscheiden. Im einen Fall darf der Betriebs-­‐
rat seine Zustimmung nur aus bestimmten, im Gesetz abschließend bezeichneten Gründen verweigern (z. B. § 99 Abs. 1 und 2, § 103 Abs. 1 BetrVG). Hier kann man von einem gebun-­‐
denen Mitbestimmungsrecht sprechen. Bei anderen Mitbestimmungsrechten hingegen steht es dem Betriebsrat weitgehend frei, ob er der Maßnahme zustimmt und aus welchen Grün-­‐
den er die Zustimmung verweigert (z. B. § 87 Abs. 1 BetrVG). Die Entscheidung muss aller-­‐
dings von sachlichen Erwägungen getragen, darf also nicht willkürlich sein, weil dies einen Missbrauch des Mitbestimmungsrechts darstellen würde. b) Initiativrechte (im engeren Sinne) Bei manchen dieser ungebundenen Mitbestimmungsrechte geht das Gesetz noch einen Schritt weiter und gibt dem Betriebsrat ein echtes Initiativrecht. Hier kann der Betriebsrat nicht nur Vorschläge zur Regelung der betrieblichen Angelegenheiten machen, sondern die-­‐
se Vorschläge unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen. II. Konfliktlösung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Wie gesehen, bedarf der Arbeitgeber in bestimmten Fällen der Zustimmung des Betriebs-­‐
rats. Arbeitgeber und Betriebsrat können in diesen Fällen nur gemeinsam wirksam eine Re-­‐
gelung oder Entscheidung treffen. Damit ergibt sich das Problem, wie zu verfahren ist, wenn im Verhandlungswege keine Einigung erzielt werden kann. Da Maßnahmen des Arbeits-­‐
kampfes in der Betriebsverfassung verboten sind, muss es andere Wege geben, um eine Ei-­‐
nigung zu erzielen, weil ansonsten die Mitbestimmung zu einer gegenseitigen Blockade füh-­‐
ren würde. Das Gesetz sieht dabei im wesentlichen zwei Wege vor, wie ein Dissens zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat behoben werden kann. Bei den gebundenen Mitbestimmungsrechten muss notfalls das Arbeitsgericht in dem Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat entscheiden (§ 98 Abs. 5, § 99 Abs. 4 BetrVG). Hier darf der Betriebsrat nur aus bestimmten Gründen die Zustimmung verweigern (z. B. § 98 Abs. 2, § 99 Abs. 2 BetrVG). Die Frage lautet demnach, ob die Voraussetzungen für eine Ver-­‐
weigerung der Zustimmung vorliegen. Dies ist letztlich eine Rechtsfrage, über die nach An-­‐
sicht des Gesetzgebers die Gerichte befinden sollen. Anders ist die Situation bei den ungebundenen Mitbestimmungsrechten (z. B. § 87 Abs. 1, § 94 Abs. 1 BetrVG). Können sich hier Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen, so kann der 11 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Streit nicht durch eine gerichtliche Entscheidung beigelegt werden. Es gibt keine rechtlichen Kategorien, an denen sich die Entscheidung zu orientieren hätte, sondern um reine Zweck-­‐
mäßigkeitserwägungen. Für solche Streitigkeiten sieht das Betriebsverfassungsgesetz ein besonderes Schlichtungsverfahren vor: die Entscheidung durch die betriebliche Einigungs-­‐
stelle (z. B. § 87 Abs. 2, § 94 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG). Auf Initiative von Arbeitgeber oder Betriebsrat (nach § 76 Abs. 5 BetrVG wird die Einigungsstelle „auf Antrag einer Seite tätig“) ist eine Einigungsstelle zu bilden, die aus einem neutralen Vorsitzenden und einer von den Betriebspartnern zu bestimmenden Zahl von Beisitzern besteht, die je zur Hälfte vom Arbeit-­‐
geber und vom Betriebsrat entsandt werden (§ 76 Abs. 2 und 5 BetrVG). Die Einigungsstelle muss zunächst versuchen, zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu vermitteln und doch noch eine einvernehmliche Regelung herbeizuführen. Gelingt dies nicht, entscheidet die Ei-­‐
nigungsstelle verbindlich (§ 76 Abs. 3 BetrVG). Ihr Spruch ersetzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Über den Weg des Verfahrens vor der Einigungsstelle kann der Betriebsrat in den Fällen, in denen das Gesetz ihm ein echtes Initiativrecht gewährt, seine Vorstellungen unter Umstän-­‐
den auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen. Verweigert der Arbeitgeber die vom Betriebsrat gewünschte Regelung oder Maßnahme, so kann der Betriebsrat die Eini-­‐
gungsstelle einschalten und darauf hoffen, dass diese seine Position ganz oder zumindest zum Teil übernimmt. Entscheidet die Einigungsstelle im Sinne des Betriebsrats, ersetzt diese Entscheidung die Einigung. Sie ist daher auch für den Arbeitgeber verbindlich. V. Einzelne Mitbestimmungstatbestände Zum Abschluss sollen einige besonders wichtige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats näher vorgestellt werden. 1. Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten Von zentraler Bedeutung sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in den sog. sozia-­‐
len Angelegenheiten (§ 87 BetrVG). Hierzu zählen zum einen Regelungen, die die Organisati-­‐
on des Arbeitsablaufes oder das Zusammenleben der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen, aber auch Fragen im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Betriebsrat hat hier ein echtes Mitbestimmungsrecht im Sinne eines Vetorechtes. So unterliegt die Aufstel-­‐
lung von Regeln, die die betriebliche Ordnung betreffen, der Zustimmung des Betriebsrats (Nr. 1). Die Nutzungsordnung einer Kantine, die Regelung der Nutzung des betriebseigenen Parkplatzes oder auch die Einführung und Ausgestaltung von Eingangskontrollen am Werks-­‐
tor kann nur einvernehmlich von Arbeitgeber und Betriebsrat geregelt werden. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet auf Antrag einer der beiden Seiten die Einigungsstelle verbindlich. Dasselbe gilt in so wichtigen Fragen wie der Lage der Arbeitszeit (Nr. 2). Will beispielsweise der Arbeitgeber Schichtarbeit einführen, so braucht er hierfür ebenfalls die Zustimmung des Betriebsrats. 12 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Nach ganz h. M. ist die Zustimmung des Betriebsrats nicht nur Voraussetzung für die kollek-­‐
tivrechtliche Zulässigkeit der Maßnahme, sondern auch für die individualrechtliche Wirk-­‐
samkeit einer entsprechenden Maßnahme im Verhältnis zum Arbeitnehmer (sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung). Verweigert beispielsweise der Betriebsrat seine Zustim-­‐
mung zur Einführung eines Systems der Schichtarbeit, ordnet der Arbeitgeber aber dennoch einseitig die Schichtarbeit an, so ist diese Anordnung für die Arbeitnehmer nicht verbindlich, und zwar selbst dann, wenn diese aufgrund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet sind, im Be-­‐
darfsfalle Schichtarbeit zu leisten. Allein die fehlende Zustimmung des Betriebsrats berech-­‐
tigt die Arbeitnehmer in einem solchen Fall, die Schichtarbeit zu verweigern; eine entspre-­‐
chende Weisung des Arbeitgebers (§ 106 GewO) ist unwirksam. Der einzige Weg für den Arbeitgeber, die Schichtarbeit dennoch durchzusetzen, ist der Weg über die Einigungsstelle. Entscheidet diese zugunsten der Schichtarbeit, ist das Veto des Betriebsrats überspielt. In diesen Angelegenheiten hat der Betriebsrat auch grundsätzlich ein Initiativrecht. Will der Betriebsrat zum Beispiel in einer bestimmten Abteilung eine gleitende Arbeitszeit einführen, so kann er dem Arbeitgeber entsprechende Vorschläge unterbreiten und – sofern der Ar-­‐
beitgeber hierauf nicht oder nicht im gewünschten Umfang eingeht – anschließend die Eini-­‐
gungsstelle einschalten. Diese entscheidet dann verbindlich über die Einführung der Gleit-­‐
zeit, unter Umständen auch gegen den Willen des Arbeitgebers. 2. Mitbestimmung bei der Einstellung und der Versetzung von Arbeitnehmern Auch bei wichtigen Personalentscheidungen hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, so bei der Einstellung und Versetzung von Arbeitnehmern (§ 99 Abs. 1 BetrVG). Der Betriebs-­‐
rat darf hier nur aus bestimmten, im Gesetz genannten Gründen die Zustimmung verweigern (§ 99 Abs. 2 BetrVG). Es handelt sich also um ein gebundenes Zustimmungsverweigerungs-­‐
recht. Liegen die vom Betriebsrat geltend gemachten Gründe in Wahrheit nicht vor, so ist die Verweigerung der Zustimmung nicht berechtigt. Auf Antrag des Arbeitgebers kann daher das Arbeitsgericht die Zustimmung des Betriebsrats ersetzen (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Trotz dieser Beschränkung auf bestimmte Gründe für die Zustimmungsverweigerung sollte das Gewicht des Mitbestimmungsrechts nicht unterschätzt werden. Der Arbeitgeber darf nämlich grundsätzlich die Einstellung oder Versetzung erst vornehmen, wenn entweder die Zustimmung des Betriebsrats vorliegt oder sie vom Gericht ersetzt worden ist. Er darf die Weigerung also nicht einfach selbst für unbeachtlich erklären. Ein Beispiel mag dies verdeut-­‐
lichen. Ein Arbeitnehmer soll neu eingestellt werden. Der Betriebsrat verweigert jedoch sei-­‐
ne Zustimmung mit der Begründung, dass die vorherige Ausschreibung der Stelle im Betrieb fehlerhaft gewesen und deshalb betriebsangehörige Arbeitnehmer benachteiligt worden seien. Nach dem Gesetz kann der Betriebsrat die Zustimmung verweigern, wenn eine Aus-­‐
schreibung im Betrieb, die der Betriebsrat zuvor verlangte, unterblieben ist (§ 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG). Die Begründung des Betriebsrats ist also nicht von vornherein als unbeachtlich an-­‐
zusehen. Selbst wenn der Arbeitgeber der Ansicht ist, dass die Ausschreibung ordnungsge-­‐
13 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht mäß war und den mit dem Betriebsrat für interne Ausschreibungen getroffenen Vereinba-­‐
rung entsprach, muss er den Weg vor das Arbeitsgericht beschreiten, wenn er die Einstellung dennoch vornehmen will (§ 99 Abs. 4 BetrVG). In Eilfällen hilft das Gesetz dem Arbeitgeber allerdings dadurch, dass dieser die Einstellung oder Versetzung bis zum Abschluss des Verfahrens vorläufig auch ohne Zustimmung des Be-­‐
triebsrats durchführen kann. Voraussetzung ist aber, dass die vorläufige Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Der Arbeitgeber müsste also, um eine Einstel-­‐
lung vorläufig vornehmen zu können, darlegen können, dass er dringend einen neuen Ar-­‐
beitnehmer beschäftigen muss und der bestehende Arbeitsanfall ohne zusätzliche Arbeits-­‐
kräfte auch für eine Übergangszeit nicht bewältigt werden kann. Freilich muss er dann auch noch den Arbeitnehmer, der eingestellt werden soll, davon überzeugen, sich auf dieses für den Arbeitnehmer riskante Spiel einzulassen. Die Einstellung ist – wie gesagt – nur vorläufi-­‐
ger Natur. Gibt das Gericht dem Betriebsrat Recht, so darf der Arbeitgeber den Arbeitneh-­‐
mer nicht mehr weiter beschäftigen. Ob der Arbeitnehmer angesichts dieser Unwägbarkei-­‐
ten bereit ist, die Arbeitsstelle anzutreten, erscheint zumindest dann zweifelhaft, wenn ihm noch andere Angebote vorliegen. 3. Mitbestimmung bei Kündigung Die Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen ist unterschiedlich ausgestaltet. Im Regel-­‐
fall hat der Betriebsrat nur ein Anhörungsrecht (§ 102 BetrVG). Nur bei Kündigung von Ar-­‐
beitnehmern, die ein Amt in der Betriebsverfassung ausüben (z. B. von Mitgliedern des Be-­‐
triebsrats) besteht ein Zustimmungsrecht (§ 103 BetrVG). a) Anhörung Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeit-­‐
geber ist also verpflichtet, die Stellungnahme des Betriebsrats zu der Kündigung einzuholen und diese bei seiner Entscheidung über die Kündigung zu berücksichtigen. Umgekehrt be-­‐
deutet dies, dass der Arbeitgeber nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedarf, um wirk-­‐
sam kündigen zu können. Das wird durch § 102 Abs. 6 BetrVG nur bestätigt, wonach ein Zu-­‐
stimmungsrecht besonders vereinbart werden muss. Der Betriebsrat erhält also durch die Anhörung nur die Möglichkeit, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Er kann die Kündigung aber nicht verhindern. Voraussetzung für eine wirksame Anhörung ist zunächst, dass der Arbeitgeber den Betriebs-­‐
rat ordnungsgemäß unterrichtet. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat alles mitzuteilen, was dieser benötigt, um zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen. Die Information bezieht sich insbesondere auf die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, die Art der Kündigung (ordentliche oder außerordentliche Kündigung, Beendigungs-­‐ oder Änderungs-­‐
kündigung) sowie die Kündigungsgründe (§ 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Dabei muss der Arbeit-­‐
geber dem Betriebsrat nicht sämtliche Gründe mitteilen, die überhaupt für eine Kündigung 14 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht in Betracht kommen. Es genügt vielmehr, wenn er die Gründe nennt, die für seinen Kündi-­‐
gungsentschluss maßgeblich sind. Man spricht daher auch davon, dass die Mitteilungspflicht subjektiv determiniert ist. Beschränkt der Arbeitgeber die Information auf die Gründe, die für ihn (zum Zeitpunkt der Anhörung) bestimmend sind, so kann er allerdings in einem etwaigen späteren Kündigungsschutzprozess nur diese Gründe geltend machen. Auf andere, ihm be-­‐
kannte Gründe kann er die Kündigung dann nicht mehr stützen. Weitere Voraussetzung für die Anhörung ist, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat ausrei-­‐
chend Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Der Zeitrahmen ist in § 102 Abs. 2 S. 1 und 3 Be-­‐
trVG vorgegeben. Danach hat der Betriebsrat im Falle der ordentlichen Kündigung eine Wo-­‐
che, bei einer außerordentlichen Kündigung drei Tage Zeit, um sich zu äußern. Liegt bis zum Ende der Frist der Stellungnahme vor, so kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen. Das Gesetz spricht in § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG davon, dass die Zustimmung zur Kündigung als erteilt gelte. Dies ist allerdings eine eher missglückte Regelung, weil eine solche Zustim-­‐
mungsfiktion nur im Falle eines Zustimmungsrechts einen Sinn ergeben würde. Gemeint ist daher auch nur, dass mit Ablauf der Frist die Anhörung als abgeschlossen gilt, der Betriebsrat sich also so behandeln lassen muss, als habe er (wie auch immer) zu der Kündigung Stellung genommen. Besondere Brisanz erfährt das Anhörungserfordernis durch die scharfe Rechtsfolge des § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Danach ist eine ohne Anhörung erfolgte Kündigung nichtig. Allein die un-­‐
terbliebene Anhörung führt demnach zur Unwirksamkeit, auch wenn die Kündigung ansons-­‐
ten (individualrechtlich) wirksam wäre (etwa weil ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, oder die ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist). Die Anhörung erweist sich somit für den Arbeitgeber als zusätzliche formale Hürde für die wirk-­‐
same Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Verstärkt wird dies dadurch, dass nicht nur das völlige Unterbleiben der Anhörung zur Nichtigkeit führt. Vielmehr steht nach h. M. die feh-­‐
lerhafte Anhörung der fehlenden Anhörung gleich. Jeder Verfahrensfehler des Arbeitgebers führt demnach zur Nichtigkeit. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Fälle unvollständi-­‐
ger Information des Betriebsrats. Unterlaufen hier Fehler, die dazu führen, dass dem Be-­‐
triebsrat nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen, so ist die Kündigung allein aus diesem Grunde nichtig. Dies gilt im Grundsatz selbst dann, wenn der Betriebsrat der Kündi-­‐
gung zugestimmt hat. b) Zustimmung bei Kündigung von Amtsträgern Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Amtsträgern, insbe-­‐
sondere von Mitgliedern des Betriebsrats, der Zustimmung durch den Betriebsrat. Die Be-­‐
schränkung auf außerordentliche Kündigungen erklärt sich daraus, dass ordentliche Kündi-­‐
gungen ohnehin nach § 15 Abs. 1-­‐3 KSchG ausgeschlossen sind. Hier bedarf es also keines zusätzlichen Zustimmungserfordernisses. 15 Prof. Dr. Thomas Raab Einführung in das deutsche Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Der besondere Kündigungsschutz dient (wie der des § 15 KSchG) einmal der Unabhängigkeit der Amtsführung. Amtsträger sollen nicht befürchten müssen, wegen der Ausübung des Am-­‐
tes ihren Arbeitsplatz zu verlieren, weil sie sich beim Arbeitgeber unbeliebt gemacht haben. Zum anderen dient die Vorschrift der Gewährleistung der Kontinuität der Amtsführung des Gremiums. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzelne (missliebige) Mitglieder aus dem Gremium ausschaltet und damit von der weiteren Mitwirkung ausschließt. Beide Ziele werden erreicht, indem das Ge-­‐
setz die Kündigung von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig macht. Die Folge des Zustimmungserfordernisses ist nämlich, dass eine ohne die vorherige Zustim-­‐
mung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam ist. Sie wird auch nicht nach-­‐
träglich wirksam, wenn der Betriebsrat später die Zustimmung erteilt. Vielmehr müsste dann erst eine neue Kündigung ausgesprochen werden. Verweigert der Betriebsrat seine Zustim-­‐
mung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen diese zu ersetzen (§ 103 Abs. 2 BetrVG). Hieran wird deutlich, dass der Betriebsrat der Kündigung nur aus Rechtsgründen die Zustimmung verweigern darf, nämlich wenn (aus seiner Sicht) die außerordentliche Kün-­‐
digung unwirksam wäre, weil kein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Entspre-­‐
chend prüft auch das Arbeitsgericht im Falle des § 103 Abs. 1 BetrVG, ob hinreichend Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorlagen. Im Grunde handelt es sich dabei um einen vorweggenommenen Kündigungsschutzprozess. Deshalb ist nach § 103 Abs. 2 S. 2 BetrVG auch der betroffene Arbeitnehmer zu beteiligen. Liegen nach Ansicht des Gerichts ausrei-­‐
chende Gründe für eine außerordentliche Kündigung vor, ersetzt es die Zustimmung; der Arbeitgeber kann dann die außerordentliche Kündigung aussprechen. 16