Solidaritäts- und Mahngottesdienst

Mahngottesdienst
Freitag, 4. September 2015 - 18 Uhr St. Josef Lohne
Ansprache
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Liebe Schwestern und Brüder,
Das Gleichnis vom Weltgericht - es gibt kaum einen Text des Neuen
Testaments, der in der Kunst häufiger dargestellt wurde. Wer durch das Portal
einer mittelalterlichen Kirche geht, sieht im Tympanon (Bogenfeld über den
Portalen) über sich in Stein gehauen den Weltenrichter auf seinem Thron.
Rechts von ihm die Gerechten, links die Verfluchten, unter denen Päpste und
Bischöfe, Kaiser und Könige nicht fehlen dürfen. Meist zieht sie der Teufel an
einer schweren Kette dem weit aufgesperrten Rachen eines großen Tieres
entgegen.
Ich zeige Ihnen jetzt ein anderes Bild, das unser Evangelium eindrucksvoll
illustriert.
(siehe Seite 1)
Wenn ich mir das Bild ganz nahe vor die Augen halte, sehe ich vor allem
viele Gesichter - von jungen und älteren, fröhlichen oder traurigen Menschen.
Wenn ich das Bild langsam von mir wegbewege, aufrecht halte und die Augen
halb schließe, verschwimmen die einzelnen Gesichter, und dahinter erscheint
groß das Gesicht Jesu. Wer die Not des anderen nahe an sich heranlässt; wer
die Bitten des Nächsten hört und das Nächstliegende tut; wer dem anderen
die Fragen und Hoffnungen von den Augen abliest und, wo er kann, darauf
eingeht - der handelt im Sinn Jesu. Wer dagegen dem anderen nur hilft, um
Jesus einen Gefallen zu tun, um es Jesus recht zu machen. Der hat im
wahrsten Sinn des Wortes schon einen Hintergedanken: Der sieht am
anderen vorbei, durch ihn hindurch und hat in erster Linie nicht ihn und seine
Sorge im Auge. Die Menschen auf der rechten Seite wissen nicht, dass ihnen
im geringsten Bruder und in der geringsten Schwester Jesus begegnet ist erst Jesus selbst öffnet ihnen die Augen für diesen Blick in die Tiefe. Sie haben
einfach geholfen. Helfen ohne Hintergedanken.
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Die zweite Anregung dieses Bildes und unseres Evangeliums: den König im
anderen sehen.
Wenn ich mich lange auf das Christusgesicht in unserem Bild konzentriere,
dann bekommt auch die Dornenkrone immer klarere Konturen. Ich sehe zwar
den Leidenden, aber zugleich auch den gekrönten König. Die Gerechten im
Evangelium
haben letztlich
Jesus, dem
König, zu
essen
und
zu
trinken gegeben; sie haben den König aufgenommen und bekleidet; sie
haben den König in seinem Krankenbett oder im Gefängnis besucht. Sie
wussten nicht, dass es der König ist, aber sie haben ihn offensichtlich wie
einen König behandelt. Den König im anderen sehen - ein zweiter Impuls.
Wenn ich die Bilder der letzten Tage, Wochen und Monate in mir aufsteigen
lasse, dann wird mir schlecht.
• Menschen, die in überfüllte Boote steigen und nicht wissen, ob sie heil
ankommen oder einfach über Bord gehen und ertrinken.
• Menschen, die in Schlepperautos flüchten ohne Wasser und nicht
wissen, wo sie ankommen.
• Menschen wie jene 71, die ersticken, und die Fahrer interessiert es einen
Dreck und sie flüchten.
• Menschen, die sich wie in Ungarn durch den Stacheldrahtzaun
quetschen und kleine Kinder bleiben in ihren Haaren drin hängen.
• oder jenes Bild, das gestern erschütternd durch die Medien ging, wo ein
kleiner 3-jähriger Junge in der Türkei an die Küste gespült wird.
Entsetzlich! Und sein Vater, der einzig Überlebende aus der Familie,
gefragt, wo er jetzt hinwolle: Mein Platz wird am Grab meiner Familie
sein. Heute hat sein Vater ihn im Kobane in Syrien ins Grab gelegt. Ein
anrührendes Bild, das zugleich tiefe Trauer entstehen lässt, aber auch
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Wut.
Ich wehre mich auch inzwischen dagegen, hier in irgendeiner Form von
legaler oder illegaler Flucht zu reden, von Kriegs- oder Armutsflüchtlingen,
solche Bilder können und dürfen niemandem egal sein.
Und es muss erlaubt sein, allen Verantwortlichen ins Gewissen zu reden:
Ich weiß nicht, warum der ungarische Ministerpräsident sich aus der
Verantwortung zieht und Deutschland den Schwarzen Peter zuweist. Ich weiß
nicht, ob er selbst ein Christ ist, aber wenn er nur Christen als Flüchtlinge will,
dann sollte er schnellstens das Evangelium von heute lesen, damit er nicht auf
der falschen Seite landet. Aber damit steht er ja nicht alleine; auch in Polen
und anderen osteuropäischen Ländern gibt es solche Tendenzen. Der hl.
Johannes Paul II wird sich im Grab umdrehen oder soll vom Himmel her
wirken.
Ich hoffe nicht, dass uns der europäische Geist verlässt und kann nur
hoffen und beten, dass ganz Europa eine Lösung findet.
Und ich kann auch hier nicht verhehlen, welch große Abscheu ich
empfinde, wenn ich die sich häufenden Anschläge auf die Unterkünfte
wahrnehme. Dafür gibt es für mich als Christ nur einen Ausdruck:
Teufelswerk.
Unser Anliegen in diesem Gottesdienst ist nicht, politische Entscheidungen
vorzuschlagen, unser Anliegen ist: Solidarität mit den „Geschundenen“
öffentlich auszudrücken, aber auch Mahnung zu sein, endlich Lösungen zu
finden. Es darf doch nicht sein, dass an den Grenzen Europas Menschen
sterben müssen, weil es nur illegale und lebensgefährliche Fluchtwege gibt.
Wie schlimm muss es dort sein, dass diese Menschen das Sterben in Kauf
nehmen, um ihre Länder zu verlassen.
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aufnehmen und bekleiden, zu essen und zu trinken geben…
wie nah ist uns dieses Evangelium heute und wie konkret seine Dornenkrone.
Als ich das kleine Mädchen durch den Stacheldraht kriechen sah, konnte ich
sie klar erkennen. Und sie alle tragen diese Krone.
Unser Bild regt mich schließlich noch zu einer dritten Überlegung an: Jesus
ein Gesicht geben. Das Gesicht Jesu ist auf unserem Bild keines neben oder
hinter den vielen anderen Gesichtern - es ist aus diesen Gesichtern gebildet,
wächst aus ihnen heraus. Jesus Christus wird also nicht nur in denen sichtbar,
die Hilfe brauchen, im geringsten Bruder und in der geringsten Schwester alle, die helfen und in seinem Sinn handeln, geben ihm ihr Gesicht. Sie alle
kennen die Meditation, die so beginnt: „Christus hat keine Hände, nur unsere
Hände, um seine Arbeit heute zu tun ..." Wenn ich unser Bild betrachte,
möchte ich diese Meditation ergänzen: Christus hat kein Gesicht, nur unser
Gesicht, um den Menschen heute offen und freundlich zu begegnen. Er hat
keine Augen, nur unsere Augen, um zu sehen, wo jetzt Hilfe gebraucht wird.
Er hat keine Ohren, nur unsere Ohren, um die vielen leisen Bitten zu hören,
die heute ausgesprochen werden. Er hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um
seine Frohe Botschaft heute den Menschen zu sagen - seine tröstenden und
ermutigenden Worte. Christus hat kein Gesicht, nur unser Gesicht.
Wenn wir unser Gesicht zeigen, wenn wir im wahrsten Sinn des Wortes den
Kopf hinhalten, wenn wir unserem Christsein ein Profil geben - dann bleibt
Christus lebendig, dann bleibt in der Welt sichtbar, was er sich unter einem
sinnvollen Leben vorgestellt hat.
Und an dieser Stelle möchte ich ganz bewusst allen Menschen in unserem
Land und überall danken, die sich in übergroßen Maße engagieren, die
Flüchtlingen Wohnung geben, die sie mit Kleidung und den alltäglichen
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Notwendigkeiten versorgen, ihnen vor allem zu essen und zu trinken geben,
sie aus den Fluten der Meere retten.
Für mich Menschen, die auf der rechten Seite stehen und ohne
Hintergedanken einfach da sind und helfen. Gott-sei-Dank wird auch das in
den Medien nicht verschwiegen.
Jesus ein Gesicht geben – auch das ist eine ganz konkrete Einladung heute
an Sie. Möge inmitten eines Posters, ähnlich wie jenes Bild, das sie hier sehen,
Christus sichtbar werden, mit einer Dornenkrone, aber eben auch mit der
Krone eines Königs. Vergessen wir es nicht: Jeder Flüchtling ist ein Königskind
Gottes und wenn Sie durch das Portal in diese Kirche gehen, sehen Sie außen
ein Mosaik: „Flucht nach Ägypten!“ Jesus und seine Eltern waren Flüchtlinge!
Amen.
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