Erinnerungsstele 35. Infanterie-Division, 27.01.2016

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Erinnerungsstele 35. Infanterie-Division, 27.01.2016
Herzlich willkommen Herr Ehrenbürger und Oberbürgermeister
a. D. Heinz Fenrich.
Meine Damen und Herren Mitglieder des Gemeinderats
Sehr geehrte Damen und Herren Vertreterinnen und Vertreter
der Kirchen, Gewerkschaften, Kultur und Vereine.
Sehr geehrte Damen und Herren.
Stele kommentiert erstmals bestehendes Denkmal
wenn wir nachher die Erinnerungsstele enthüllen, ist diese Stele etwas Neues
in unserer Stadt. Wir haben zwar seit 2010 schon vier Erinnerungsstelen
aufgestellt, die durch ihre besondere Form und Auswahl der Materialien der
Erinnerung an besondere Ereignisse vorbehalten sind. Es gibt auch eine
Kommentierung des Reiterdenkmals am Kaiserplatz, allerdings in anderer
Form. Aber heute enthüllen wir erstmals eine Stele, die über das Erinnern
hinaus auch ein bestehendes Denkmal kommentiert.
Denkmal schien lang vergessen
Das Denkmal für einen Großverband der Wehrmacht, die 35. InfanterieDivision, hier gegenüber schien lange von niemandem mehr bemerkt worden
zu sein; und die von seinen Initiatoren beabsichtigte Sinnstiftung schien
bereits vergessen. Selbst als in den 1990er Jahren eine intensive Kontroverse
um die Rolle der Wehrmacht ausgetragen wurde und seitdem - durch Quellen
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belegt - die Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit nachgewiesen wurde, blieb das Denkmal
unbeachtet.
Zitat Musil
Der Dichter Robert Musil hatte also möglicherweise Recht, als er 1932
bemerkte, dass – Zitat - „das Auffallendste an Denkmälern nämlich ist, dass
man sie nicht bemerkt“. Tatsächlich ist aber das einmal Gewesene nie ganz
vergessen und kann nicht vergehen. Und scheinbar unsichtbare Denkmäler
werden plötzlich dann doch wieder sichtbar.
2014: Die Linke stellt GR-Anfrage
Der Hinweis auf das Denkmal der 35. Infanterie-Division und die Frage, ob
Karlsruhe die in der Geschichtswissenschaft durch Christian Gerlach
spätestens 1998 nachgewiesenen Verbrechen der Division nicht zur Kenntnis
genommen habe, kam von außerhalb der Stadt. Die Gemeinderatsmitglieder
der Linken griffen das Thema auf und stellten 2014 dazu eine Anfrage an die
Stadtverwaltung verbunden mit der Forderung nach Beseitigung des
Denkmals.
Recherche Stadtarchiv / 2014: Symposium
Das Stadtarchiv recherchierte daraufhin - über die in der
Geschichtswissenschaft detailliert aufbereitete Beteiligung am
Kriegsverbrechen von Osaritschi im März 1944 hinaus - in der Zentralstelle der
Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg weitere Verstrickungen; es ging vor
allem den Umständen nach, wie es zur Aufstellung des Denkmals für die 35.
Infanterie-Division 1964 kommen konnte. Dazu fand am 6. November 2014 ein
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Symposium mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher
Fachrichtungen statt.
Entfernung des Denkmals kontraproduktiv
Auf dem Symposium wurden auch öffentlich Lösungsansätze zum weiteren
Umgang mit dem Denkmal diskutiert. Die Entfernung des Denkmals wurde als
kontraproduktiv verworfen. Denn nicht allein das Denkmalschutzgesetz steht
einer Beseitigung auch fragwürdiger Denkmäler entgegen. Ich bin der festen
Überzeugung: Mit dem Beseitigen würde auch die Chance zur
Auseinandersetzung mit der Geschichte vergeben. Außerdem lässt sich
Geschichte nicht durch das Entfernen von Denkmälern entsorgen.
Stele: Hinweis auf Verbrechen, Distanzierung von Genehmigung
Die heute der Öffentlichkeit übergebene Stele weist deutlich auf die
Verbrechen einer Wehrmachtseinheit mit direktem Bezug zu Karlsruhe hin; sie
distanziert sich auch von der seinerzeitigen Genehmigung des Denkmals, mit
der die Stadtverwaltung in den 1950er/60er-Jahren den Wünschen „Alter
Kameraden“ bereitwillig entgegen gekommen war.
35. Division: Ab 1936 in KA / 1940: Überfall Frankreich / 1941: Sowjetunion,
„Verbrannte Erde“
Nach der Remilitarisierung des Rheinlandes war die 35. Division ab 1936 in
Karlsruhe aufgestellt; zum Teil war sie auch hier unter anderem in der
Grenadierkaserne an der Moltkestraße stationiert. Bei Kriegsbeginn 1939
stand sie in den Stellungen am Rhein. 1940 war sie beim Überfall auf Belgien
dabei und drang tief nach Frankreich vor. 1941 war sie von Beginn an am
Überfall auf die Sowjetunion beteiligt. Dort – Sie wissen das - war die „
Verbrannte Erde“ die Kriegstaktik der gesamten Wehrmacht.
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März 1944, nahe Osaritschi: 40.000 Zivilisten in Sumpfgebiet eingesperrt /
9.000 Tote
Den Einheiten der 35. Infanterie-Division lassen sich dabei ganz konkret
Verbrechen nachweisen. Das größte Kriegsverbrechen der 35. InfanterieDivision geschah beim Rückzug der Heeresgruppe. Im März 1944 wurden über
40.000 Zivilisten, wie sie damals bezeichnet wurden – ich zitiere "Seuchenkranke, Krüppel, Greise und Frauen mit mehr als zwei Kindern unter
zehn Jahren sowie sonstige Arbeitsunfähige" Zitatende – in den Augen der
Nazis sogenannte – ich zitiere wieder -„nutzlose Esser“ – diese über 40.000
Menschen wurden bei minus 10 Grad in drei mit Stacheldraht abgesperrte
Sumpfgebiete bei der weißrussischen Ortschaft Osaritschi, rund 80 km südlich
von Babruisk, getrieben. Die Arbeitsfähigen wurden beim Rückzug als
Zwangsarbeitende mitgenommen. In sieben Tagen kamen dabei mindestens
9.000 Menschen ums Leben.
Ab 1950er: Wehrmachtssoldaten als „Opfer“
1945 war es angesichts der nationalsozialistischen Gräueltaten im Zweiten
Weltkrieg unvorstellbar, dass in Deutschland - wie nach dem Ersten Weltkrieg wieder Denkmäler zur Ehrung für Soldaten oder das Militär errichtet werden
würden. Doch ab den 1950er Jahren wurden die Soldaten der Wehrmacht unter Ausblenden des notwendigen Diskurses zu Schuld oder Verantwortung vor allem selbst zu „Opfern“ stilisiert.
Ehrenmale auf Friedhöfen, selten im Stadtraum wie in KA
Nun wurden doch Ehrenmale für die Gefallenen von Wehrmachtseinheiten im
öffentlichen Raum, in der Regel auf Friedhöfen, errichtet. Karlsruhe gehört zu
den ganz wenigen Städten, in denen ein solches Denkmal im Stadtraum
aufgestellt werden konnte. Die „Kameradschaft“ ehemaliger Angehöriger der
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35. Infanterie-Division, die seit 1952 dieses Ziel verfolgte, forderte von der
Stadtverwaltung, ein Denkmal mitten in der Stadt, möglichst prominent am
Stadteingang an einem der Torplätze zu platzieren. Später wünschte sie seine
Aufstellung sogar in der Stadtmitte, auf dem Friedrichsplatz. Die Stadtspitze
stellte ein Denkmal nicht in Frage, vielmehr beförderte sie das Anliegen.
Recht auf Trauer nicht absprechen
Den Familien, Eltern, Geschwistern oder Witwen der toten
Wehrmachtssoldaten können und wollen wir - ungeachtet zu stellender Fragen
- das Recht auf Trauer nicht absprechen. Trauer um Angehörige ist eine
menschliche Emotion, die nicht in Zweifel gezogen werden kann und darf.
Denkmal kein Ort individueller Trauer
Das aufgestellte Gefallenenmal aber war und ist gerade kein Ort individueller
Trauer; es ist kein Ort zum Trauern um einen nahen Menschen, dessen
Überreste irgendwo bei den Schlachtfeldern tausende Kilometer entfernt von
daheim verscharrt oder begraben liegen.
Ehrenmal diente Stilisierung der Soldaten als Opfer / Vorbild für
nachkommende Generationen
Das Ehrenmal dient der Stilisierung der Soldaten ausschließlich
als Opfer und war ausdrücklich als Vorbild für nachkommende Generationen
gedacht. Dieses Denkmal ist somit auch steingewordener Umgang mit der NSGeschichte in der frühen Bundesrepublik Deutschland.
Enthüllung mit Beteiligung städt. Vertreter
Die weihevolle Inszenierung der Enthüllung am 30. Mai 1964 fand während
eines großen Kameradschaftstreffens ehemaliger „35er“ statt - im Beisein von
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Vertretern aus der Politik, darunter dem Landtagsabgeordneten Dr. Franz
Gurk, der ein Jahr zuvor noch Erster Bürgermeister Karlsruhes gewesen war.
OB Klotz blieb Enthüllung fern
Oberbürgermeister Günter Klotz blieb der Veranstaltung fern; die
Veranstaltung fand unter Beteiligung der Bundeswehr mit einem Ehrenzug des
Fernmelderegiments 12 aus der Kaserne Neureut, des Musikkorps der
gleichfalls in Karlsruhe stationierten Luftwaffenunterstützungsgruppe Süd
sowie des evangelischen Standortgeistlichen statt.
Stadtverwaltung: Ablehnung des Leugnens der Verantwortung
Heute lehnt die Stadt Karlsruhe das im Ehrenmal der 35. Infanterie-Division
zum Ausdruck kommende Leugnen der Verantwortung ebenso ab wie den
militaristischen Geist. Auch das will diese Stele zum Ausdruck bringen.
Gedenkveranstaltung Ständehaus
Ehe wir nun die Stele enthüllen, will ich Sie noch auf die städtische
Gedenkveranstaltung zum 27. Januar heute Abend um 20:00 Uhr in der
Erinnerungsstätte Ständehaus hinweisen. Es spricht Professor Christian
Gerlach über „Die Welt der 35. Infanteriedivision“. Ich würde mich freuen,
wenn auch dieser Vortrag Ihr Interesse findet.
Wünsche
Ich hoffe und wünsche mir, dass diese Stele viele Vorbeigehende, vor allem
junge Menschen zum Innehalten bewegt, zum Nachdenken und Hinterfragen