Pastoralreferent Rolf Müller, Frankfurt, „Übrigens“ in hr 4 am

Pastoralreferent Rolf Müller, Frankfurt,
„Übrigens“ in hr 4 am Mittwoch, 08. Juli 2015
Das Denkmal
Immer wenn ich joggen gehe, komme ich daran vorbei: Eigentlich ist es nur eine
unscheinbare Stelle an der Betonwand einer Autobahnbrücke. Ein großer „Smilie“ – das
ist ein lächelndes Gesicht - ist auf die Wand gesprayt, daneben ist ein kleines
„Pluszeichen“, es sieht fast wie ein Kreuz aus. An dieser Wand entdecke ich immer mal
wieder Gegenstände, die wohl absichtlich dorthin gelegt worden sind. Manchmal ist es ein
Blumenstrauß oder auch nur eine einzige Rose, manchmal eine Kerze; auch einen
Fußball oder ein Stoffherz habe ich dort schon liegen gesehen. Oft frage ich mich: Warum
ist gerade dieser Platz für jemanden so wichtig? Vielleicht ist dort jemand unglücklich ums
Leben gekommen? Bisher konnte mir niemand sagen, ob irgendwann einmal an dieser
Wand etwas Besonderes passiert war. Vielleicht war es ja auch etwas Schönes und
Unvergessliches, das genau dort stattgefunden hat? Ich weiß es nicht. Aber ich komme
immer wieder ins Nachdenken, wenn ich diese Stelle sehe.
Sie ist für mich so etwas wie ein „Denkmal“ geworden. Bei den „offiziellen“ Denkmälern
gibt es ja meist eine bestimmte Richtung, an die mein Nachdenken gehen soll. Das sind
dann oft Kriegsopfer oder besondere historische Ereignisse, an die ich erinnert werde.
Hier aber kann ich es mir selbst aussuchen. Und so denke ich mittlerweile beim
Vorbeikommen automatisch an die Menschen, denen in den letzten Tagen irgendetwas
Besonderes passiert ist. Natürlich fallen mir da zuerst die nicht so schönen Dinge ein: So
der Mann, dessen Ehefrau nach vielen glücklichen Ehejahren von heute auf morgen
gestorben ist. Oder der Freund, dessen Krankheit immer schlimmer wird. Aber ich denke
auch an schöne Ereignisse: Da war zum Beispiel der Schüler, der sein Abitur letzte Woche
überraschender Weise doch geschafft hat. Oder die Frau, die schon seit Jahren arbeitslos
war und jetzt doch wieder einen Job hat. Manchmal denke ich auch einfach nur über mich
nach. Da ist dann auch die ganze Palette von schönen bis zu traurigen Dingen dabei. Das
kann dann manchmal schon etwas länger dauern, aber oft sehe ich hinterher dann die
Welt hinterher wieder etwas klarer.
Manchmal geht mir dabei auch ein kurzes Stoßgebet durch den Kopf. Das ist oft nicht
mehr als ein gehauchtes „Danke“ oder „Bitte“. Aber ich glaube fest daran: Bei Gott sind
meine Gedanken an andere Menschen und auch an mich selbst gut aufgehoben.
„Mein“ Denkmal tut eigentlich genau das, was die offiziellen Denkmäler auch tun sollten.
Es bringt mich ins Erinnern, Nachdenken, Verarbeiten. Wie gut, dass ich das gefunden
habe.
Zum Nachhören als Podcast:
http://www.hr-online.de/website/radio/hr4/index.jsp?rubrik=29232