Die Alters- und Stufen- durch mischung bereichert

Stafette
Die Alters- und Stufendurch­mischung bereichert
Die im letzten Schulblatt vorgestellte Schule in
Kleingruppen Wallisellen gibt den Stab weiter an die
Mosaik-Sekundarschule Neftenbach.
Text: Katrin Hafner Fotos/Collage: Marion Nitsch
Stafette Das Schulblatt besucht Schulen, die im Unter­
richt und Schulalltag interessante Wege entwickeln.
Die vorgestellte Schule bestimmt, welche Primar- oder
Sekundarschule in der kommenden Schulblatt-Ausgabe
­vorgestellt wird. Die in dieser Ausgabe vorgestellte Schule
wünscht sich als Nächstes: eine Schule, in der die
Architektur den pädagogischen Ansprüchen entspricht.
Ich muss organisatorisch auf der Höhe
sein, um die Übersicht zu behalten, wo
welches Kind steht. Aber daran gewöhnt
man sich.
Seit dem Start des Betriebs als Mosaik­
schule unterrichte ich hier. Der Vorteil ge­
genüber einer herkömmlichen Sek: Selbst
die schwächsten Schülerinnen und Schüler
können durch die Altersdurchmischung
anderen einmal etwas erklären – spätes­
tens, wenn sie zu den Ältesten gehören. Es
gibt also keine festen Rollen von Under­
dogs, Loosern oder Leadern. Ich kenne die
Einzelnen zudem viel besser – und: Ich
kenne alle gleich gut, weil wir alle fünf
Wochen 20 Minuten Einzelgespräche füh­
ren. In herkömmlichen Klassen bekommt
man von zurückhaltenden oder passiven
Schülern wenig mit.
Ich schätze die Dynamik an unserer
Schule: Wir bleiben nicht stehen, entwi­
ckeln uns weiter – auch weil wir mit Kritik
an unserem unkonventionellen Modell
konstruktiv umgehen wollen.
Kennt jemand unsere Schule nicht, erklä­
re ich es so: Bei uns sind drei Jahrgänge in
einer Klasse, und wenn Neue in die Klasse
kommen, erklärt und hilft immer jemand
von den Älteren je einem oder einer Jün­
geren. Ob jemand Sek A oder B ist, spielt
keine Rolle. Man hat halt einfachere oder
schwierigere Aufgaben.
Wenn jemand ein Lerntyp ist, der
nicht so gern selbstständig lernt, ist es
hier vielleicht schwieriger als an einer an­
deren Sek. Ich aber kann es gut und gehe
ohne Hemmungen fragen, wenn ich ein
Problem habe. Später möchte ich das KV
machen und in einer Bank oder Verwal­
tung arbeiten.
Das Coolste hier ist, dass man die
Kollegen und Kolleginnen der anderen
Klassen häufig sieht – zum Beispiel wenn
man in Gruppenräumen arbeitet, aber
auch, weil wir alle zusammen viele Aus­
flüge und Sport machen. Es zählt nicht
nur die einzelne Klasse, sondern die ganze
Schule eben.
Schulblatt Kanton Zürich 6/2015 Volksschule
Ich bin seit drei Jahren Schulleiter hier.
Was ich als ehemaliger Lehrer toll finde:
Dank der Niveaudurchmischung haben
wir keine «Labels», niemand wird als
lernfaules B-Kind abgestempelt. Die Ju­
gendlichen fördern wir in unterschiedli­
chen Settings: individuell, altersdurch­
mischt oder getrennt nach Alter und
Niveau. Als Schulleiter finde ich es genial,
wie die Lehrpersonen zusammenarbeiten,
bereit sind, über die Schule nachzuden­
ken und sie weiterzubringen. Die klassi­
schen Schulstrukturen kommen mir ein
wenig starr vor. Ich probiere gerne Neues
aus – das ist hier möglich. Dafür ist man
extrem eingebunden und kann nicht ein­
fach sein Ding durchziehen. Ich wünsche
denn auch, dass die Lehrerinnen und
Lehrer hier in der Schule vor- und nach­
bereiten statt zu Hause, damit geredet wird,
Austausch passiert. Um Ängste frühzeitig
abzubauen, lade ich Eltern auch mal zu
einem Kafi hier ins Lehrerzimmer ein.
Eine offene Gesprächskultur bewirkt viel.
ständigkeit und Selbstorganisation. Sie entwickeln eine hohe
Sozialkompetenz, da sie mit jüngeren und/oder älteren sowie
leistungsschwächeren und/oder -stärkeren Kindern zusammen­
arbeiten. Schon die Erstklässler bekommen beispielsweise auto­
matisch mit, wie sich Zweit- und Drittklässler mit der Berufswahl
auseinandersetzen. Zudem geht die Kultur einer Klasse nie ver­
loren: Anfang Schuljahr erfahren die Jüngsten durch die Älteren,
wann etwa geflüstert werden soll oder welche Regeln gelten; diszi­
plinarische Schwierigkeiten gibt es weniger. Auszeichnung: Für
das «angstfreie Lernklima» hat die Schule 2013 den zweiten
Preis beim Schweizer Schulpreis erhalten. Mit dem Preisgeld
wurden ein Fest mit den Eltern und ein Wochenende für die
Lehrpersonen organisiert. Ausserdem wurde ein Wunsch der
­Jugendlichen erfüllt und ein Getränke- und Snack-Automat an­
geschafft, der nun im Eingangsbereich der Schule steht. Der Rest
fliesst gemäss Schulleiter Paolo Castelli in die weitere Schul­
entwicklung. Tipps an andere: Regelmässige Einzelgespräche
mit Schülerinnen und Schülern können auch in herkömmlichen
Klassen ein- und durchgeführt werden. In Neftenbach führt jede
Klassenlehrperson mit jedem Jugendlichen mindestens alle fünf
Wochen ein Coachinggespräch durch. Inhalt: persönliches sowie
Lern- und Arbeitsverhalten, Reflexion, Förderung von Lernkom­
petenzen. Weitere Infos: www.schule-neftenbach.ch 
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Steckbrief: 152 Schülerinnen und Schüler, acht Klassen mit je
drei Jahrgängen und zwei Leistungsniveaus. Team: 20 Lehrper­
sonen. Lage der Schule: ländliches Einzugsgebiet von Winter­
thur, viele Einfamilienhäuser. Herkunft der Kinder: bildungsna­
hes Umfeld, wenig Fremdsprachige, tiefer Sozialindex. Spezialität:
Vor sechs Jahren stellte die Sekundarschule vom herkömmlichen
System auf die alters- und leistungsdurchmischte Mosaikschule
um. Mosaik steht für: Motivation, Selbstständigkeit, altersdurch­
mischt, Individualität und Kurs-System. Grund für den Wechsel:
pädagogische und methodische Probleme bei Klassenzuteilung
und -grösse wegen der Überzahl von A-Schülerinnen und
-Schülern. Wie funktioniert es? Rund zwei Drittel der gesamten
Unterrichtszeit finden individualisiert statt. Altersdurchmischt
sind Zeichen-, Sport- und Musikunterricht sowie die Klassen­
stunde, in der politische und soziale Themen im Zentrum stehen.
Französisch, Englisch und Mathematik werden in drei Anforde­
rungsstufen unterrichtet. Startprobleme: Zu Beginn war die Ver­
unsicherung – vor allem bei den Eltern – gross. Die damaligen
Drittklässler wehrten sich, weil sie nach den Sommerferien mit
Erst- und Zweitklässlern zusammen zuerst überfordert waren.
Die Umstellung verursachte für das Team viel Aufwand, weil es
die Unterrichtsinhalte selbst erstellen musste. Wie es weiterging: Die Befürchtungen der Eltern (Schülerinnen und Schüler
werden alleine gelassen, Leistungsstarke werden schwächer
etc.) wurden ernst genommen und die Kommunikation verstärkt.
Regelmässig besprechen Eltern, Schülerinnen und Schüler und
Lehrpersonen, was gut läuft und was besser werden müsste.
Grundsätzlich arbeiten die Schülerinnen und Schüler heute
­weniger häufig völlig selbstständig als am Anfang. Vorteile: Das
Team hat sich intensiv mit dem eigenen pädagogischen Konzept
und den Qualitätsstandards auseinandergesetzt. Das schweisst
zusammen – die Fluktuation ist tief. Die Schülerinnen und Schü­
ler eignen sich Schlüsselkompetenzen an wie Planen, Selbst­