Schwellenländer im Gegenwind - money

Anlagen Aktuell
Finanzmärkte im Blickpunkt
25. September 2015
Schwellenländer im Gegenwind
Das Wachstum der Schwellenländer hat sich in den letzten Jahren spürbar abgeschwächt,
wofür ein Mix aus zyklischen, strukturellen und länderspezifischen Gründen verantwortlich ist.
Mit der bevorstehenden Zinserhöhung in den USA und der erwarteten Festigung des US-Dollar
bläst den Schwellenländern ein weiterer Gegenwind entgegen. Insbesondere die fundamental
anfälligen und die rohstoffexportierenden Volkswirtschaften werden am stärksten betroffen
sein. Ernsthafte strukturelle Reformen und der Abbau der Ungleichgewichte sind Voraussetzungen für ein höheres nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
China spielt eine immer wichtigere Rolle
Reich der Mitte ist für viele dieser Volkswirtschaften eine
Das Wachstum der Schwellenländer hat sich in den letzten
wichtige oder gar die wichtigste Exportdestination, sodass
Jahren spürbar abgeschwächt und der Wachstumsvorsprung
seine nachlassende Nachfragedynamik die Ausfuhren dieser
gegenüber den Industriestaaten ist 2015 auf den tiefsten Stand
Länder entsprechend tangiert (Grafik 1).
seit 15 Jahren gefallen. Ein Mix aus zyklischen, strukturellen und länderspezifischen (politischen) Gründen ist dafür
Anpassung des Wachstumsmodells in China
verantwortlich. Vor dem Hintergrund seiner strukturellen
Einen grossen Einfluss hat neben der generellen Wachstums-
Wachstumsabschwächung und seiner massiv gestiegenen
schwäche auch die Anpassung des Wachstumsmodells in Chi-
Bedeutung spielt China heute eine wesentliche Rolle für die
na, das verstärkt auf die weniger rohstoffintensiven Bereiche
Konjunkturentwicklung der anderen Schwellenländer. Das
privater Konsum und Dienstleistungssektor ausgerichtet ist.
Grafik 1: Abhängigkeit von China und von Rohstoffen
Rohstoffexporte in % des BIP
Private Verschuldung in % des BIP 2014
200
20
China
Russland
Chile
16
160
Malaysia
Malaysia
120
12
Mexiko
4
Thailand
Indien
Polen
Türkei
0
5
Polen Brasilien
Türkei
Russland
Indien
Mexiko
Indonesien
80
Indonesien
Korea
Südafrika
40
Brasilien
0
10
15
20
25
30
Exporte nach China in % der Gesamtexporte
Thailand
Ungarn
Kolumbien
Südafrika
8
0
Grafik 2: Privatverschuldung als Wachstumshemmnis
–30
–20
–10
0
10
20
30
40
50
Veränderung der privaten Verschuldung seit 2010
(in % des BIP)
Quellen: Zürcher Kantonalbank, WTO, Thomson Datastream
Quellen: Zürcher Kantonalbank, Thomson Datastream
Dadurch wird die Nachfrage nach Rohstoffen überdurch-
Dadurch steigen aber die in Lokalwährung gerechneten Aus-
schnittlich beeinträchtigt, was entsprechend auf die Rohstoff-
landsschulden, die mit Ausnahme mancher osteuropäischer
preise drückt. Die Folge sind sich massiv verschlechternde
Länder zum Grossteil in US-Dollar anfallen, noch mehr an.
Terms of Trade (Exportpreise im Verhältnis zu Importprei-
Die Auslandsschulden sind in den meisten Ländern zwar ver-
sen) in den rohstoffexportierenden Volkswirtschaften – mit
kraftbar, doch der Schuldendienst wird überall ansteigen und
negativen Folgen auf deren Einkommens- und Gewinnwachs-
somit mehr Ressourcen absorbieren. Zudem gibt es Länder,
tum (siehe ebenfalls Grafik 1).
in denen die Lage diesbezüglich weniger günstig aussieht
(Grafik 3).
Ungleichgewichte belasten Binnennachfrage
Aber nicht nur die Exporte, sondern auch die Binnennachfra-
Hohe Leistungsbilanzdefizite und Kapitalflüsse
ge zeigt wenig Dynamik, da sie in diversen Schwellenländern
Höhere Zinsen und die Aussichten auf einen stärkeren US-
durch Ungleichgewichte beeinträchtigt wird. So ist die Privat-
Dollar beinhalten zudem das Risiko von abnehmenden Ka-
verschuldung in den letzten Jahren vielerorts massiv angestie-
pitalflüssen in die Emerging Markets. Wie stark die Kapi-
gen (Grafik 2). Dies führte zu Missallokationen bei den Inves-
talflüsse tangiert werden, hängt unter anderem davon ab, in
titionen und wird den Umfang Not leidender Kredite steigen
welchem Ausmass die Bondrenditen in den USA und auf glo-
lassen. Um die Lage zu entschärfen, wird das Kreditwachs-
baler Ebene steigen werden und wie stark die Investoren die
tum weiter sinken müssen, wodurch der private Konsum und
Zinserhöhung mit einer robusten Weltkonjunktur assoziieren.
die Investitionen gedämpft werden. Auch die Anpassung der
Die Anfälligkeit in Bezug auf die Kapitalströme ist von Land
hohen Leistungsbilanzdefizite in einigen Schwellenländern
zu Land sehr unterschiedlich und unter anderem eine Frage
wird teilweise über eine schwächere Binnennachfrage erfol-
der Verfassung der Leistungsbilanz. Der Begriff der «fragile
gen müssen.
five» wurde 2013 kreiert und umfasste Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und die Türkei, die hohe Leistungsbilanz-
Gegenwind von US-Zinserhöhung
defizite auswiesen. Von diesem Fünferbund konnte nur Indien
Mit der bevorstehenden Zinserhöhung in den USA und der er-
sein Leistungsbilanzdefizit spürbar verkleinern. In Brasilien
warteten weiteren Festigung des US-Dollar bläst den Schwel-
hat sich die Lage gar verschlechtert, sodass jüngst Moody‘s
lenländern ein weiterer Gegenwind entgegen. Die jüngste
das Rating der grössten lateinamerikanischen Volkswirt-
Abwertung des Renminbi zum US-Dollar kompliziert die
schaft nach unten angepasst hat. Brasilien, Indonesien, Süd-
Lage zusätzlich. Entweder sinkt die Wettbewerbsfähigkeit
afrika und die Türkei bleiben anfällig auf externe Schocks.
der anderen Schwellenländer gegenüber China oder diese las-
Ihre Finanzmärkte dürften weiter unter Druck kommen – mit
sen ihre Währungen zum US-Dollar ebenfalls abschwächen.
negativen Auswirkungen auf die Konjunkturentwicklung.
Grafik 3: Auslandsverschuldung
Grafik 4: Staatsverschuldung ist zumeist noch moderat
140
120
2
100
100
0
80
80
–2
60
60
–4
40
40
–6
20
20
–8
0
0
Polen
Ungarn
Tschechien
Chile
Malaysia
Türkei
Russland
Südafrika
Mexiko
Thailand
Taiwan
Indonesien
Korea
Brasilien
Kolumbien
Philippinen
Peru
Indien
China
120
Auslandsverschuldung in % des BIP
–10
2001
2004
2007
2010
2013
Staatsverschuldung Schwellenländer (in % des BIP)
Staatsverschuldung Industrieländer (in % des BIP)
Budgetsaldo Schwellenländer (in % des BIP, rechte Skala)
Budgetsaldo Industrieländer (in % des BIP, rechte Skala)
Quellen: Zürcher Kantonalbank, Thomson Datastream
Quellen: Zürcher Kantonalbank, Thomson Datastream
Strukturelle Herausforderungen …
globale Handel viel weniger stark als in der Vergangenheit auf
Von grösster Bedeutung für den schleppenden Konjunktur-
Veränderungen des BIP-Wachstums reagiert. Somit dürfte der
gang sind auch strukturelle Probleme. Der Reformeifer und
positive Effekt der leichten Erholung in den Industrieländern
die Fortschritte bei der Verbesserung der institutionellen Rah-
für das Wachstum der Schwellenländer nicht so ausgeprägt
menbedingungen haben in den letzten Jahren in den meisten
sein wie früher. Da es auch der Binnennachfrage an Dyna-
Schwellenländern abgenommen. Positive Ausnahmen bezüg-
mik fehlt, stellt sich die Frage nach Stimulierungsmassnah-
lich Strukturreformen sind Indien, Mexiko und China. Als
men. Obwohl von Land zu Land sehr unterschiedlich, sind die
Folge ist das Produktivitätswachstum spürbar gesunken. Zu-
Chancen darauf gesamthaft als nicht sehr gross einzustufen.
sammen mit einer vielerorts ungünstigeren demografischen
Trotz tiefen Inflationsraten in vielen Emerging Markets ist
Entwicklung schlägt sich dies in einem tieferen Potenzial-
angesichts der bevorstehenden Zinserhöhung in den USA zu-
wachstum nieder. Ein ernsthaftes Problem ist auch der Mangel
meist wenig geldpolitischer Spielraum vorhanden. Vielmehr
an Infrastrukturinvestitionen in den letzten Jahren. So dämp-
besteht die Gefahr, dass die anfälligen Länder zur Bekämp-
fen Engpässe bei Transport und Energieversorgung in man-
fung von Kapitalabflüssen die Zinsen erhöhen müssen. Die
chen aufstrebenden Ländern die wirtschaftliche Aktivität.
Staatsverschuldung ist zwar grösstenteils relativ tief (Grafik 4). Allerdings sind die Budgetdefizite in den letzten Jahren
… und länderspezifische Probleme
Die enttäuschende Wirtschaftsentwicklung hat auch mit län-
in den meisten Fällen gestiegen, was fiskalpolitische Stimulierungen einschränkt.
derspezifischen (politischen) Ereignissen in einigen wichtigen Staaten zu tun. Brasilien und Russland durchlaufen im
Ohne Reformen bleibt das Wachstum schwach
laufenden Jahr eine Rezession. In Brasilien wird wegen der
Die leichte Konjunkturerholung in den Industriestaaten gibt
politischen Krise und des Korruptionsskandals ein Ausbre-
den Schwellenländern zwar eine gewisse Unterstützung, aber
chen aus dem Teufelskreis immer schwieriger. Russland leidet
kaum starke Impulse. Die bevorstehende US-Zinswende be-
neben dem tiefen Erdölpreis unter der Politik Putins, die zu
deutet eine grosse Herausforderung, wobei auf die riesigen
Sanktionen und Gegensanktionen geführt hat. Zu erwähnen
Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern hinzuweisen
ist auch die politische Situation in der Türkei und in Malaysia,
ist. Vor allem diejenigen mit hohen Leistungsbilanzdefiziten
die dem Wachstum nicht förderlich ist.
und grosser (Auslands-)Verschuldung werden am meisten
gefordert sein. Angesichts der jüngst gestiegenen Unsicher-
Impulse von Wirtschaftspolitik sind beschränkt
heiten um China werden sich auch eine starke China- sowie
In den USA, der Eurozone und Japan erwarten wir eine leich-
Rohstoffabhängigkeit vorderhand als heikel erweisen. Wir
te Konjunkturerholung. Allerdings ist zu beobachten, dass der
rechnen zwar nicht mit einer ernsthaften Krise, doch wer-
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den manche oben erwähnte Faktoren weiterhin wachstums-
den Tiefpunkt erreicht haben. Ohne ernsthafte strukturelle
dämpfend wirken und für eine hohe Volatilität an den glo-
Reformen sowie den Abbau der Ungleichgewichte und der
balen Finanzmärkten sorgen. Der Wachstumsvorsprung der
länderspezifischen Probleme wird ihr Wachstum jedoch wei-
Schwellenländer zu den Industrieländern dürfte 2015 wohl
terhin enttäuschen.
www.bekb.ch
Berner Kantonalbank AG / Banque Cantonale Bernoise SA