Wo euer Schatz ist, da ist euer Herz - MISEREOR

Predigt zum MISEREOR-Hungertuch 2015/2016
Wo euer Schatz ist,
da ist euer Herz
Von Willibald Herrmann
Aktionsform:
Zielgruppe:
Vorbereitung:
Bausteine für eine Predigt zum Hungertuch
Gemeinde
Großes Hungertuch, Gebetsbildchen vom Hungertuch oder BildBlätter zum Hungertuch auslegen, Meditationen zum Hungertuch.
Das Bild des diesjährigen Hungertuchs von Misereor fällt völlig aus dem Rahmen.
Kein Kreuz, kein Christus, keine Menschen, nichts Gegenständliches! Es wirkt auf
uns befremdend: Was hat das mit mir/uns zu tun?
Etwas Neugierde schadet nicht! Gerade das Fremde fordert uns zum Mitdenken auf.
Das ist leichter als Sie meinen.
Um das Bild besser zu verstehen, ist es wichtig, den Künstler kennenzulernen. Dao
Zi 1 lebt in Beijing/ China. Er ist Professor für westliche Kunstgeschichte und ist selbst
Maler, Kalligraph und Dichter. Obwohl er in einer uralten kulturellen und religiösen
Tradition aufgewachsen ist, wurde er als Erwachsener evangelischer Christ. Er
gehört heute zu einer absoluten Minderheit in China.
Das Bild von Dao Zi ist ein Meditationsbild, in dem chinesische Traditionen –
Tuschmalerei auf Reispapier, ergänzt durch Schriftzeichen – mit christlichen und
europäischen Einflüssen (beispielsweise Malen mit Gold) verschmelzen. Dao Zi will
als Chinese den Wesenskern der christlichen Botschaft sichtbar machen, die für alle
Menschen gültig ist. Im Anschluss an den Gottesdienst erhalten Sie im Pfarrheim ein
kleines Heft mit Meditationen zu diesem Bild.
Das Hungertuch fasziniert durch die fast unglaubliche Reduktion auf wenige
Bildelemente. Ein Schlüssel, um sich den Inhalt aufzuschließen, ist der Vers aus der
Bergpredigt, der für Dao Zi grundlegend war: ‚Wo Euer Schatz ist, da ist Euer Herz.‘
1
Gesprochen Dao Tse
Predigt zum MISEREOR-Hungertuch 2015/2016
Arbeiten wir uns langsam vor und betrachten zuerst den Hintergrund. Er ist graublau, mit Tusche auf Reispapier gemalt, man kann noch die Verlaufspuren des
Pinsels erkennen und erahnen. So ist dieser Hintergrund nicht eine Wand oder ein
dichter, undurchdringlicher Nebel, er mutet eher wie ein ruhiges Wasser mit
schwachen Wellenbewegungen an. Das Wasser strömt dahin, so wie unser Alltag
dahinfließt, immer wieder dasselbe. Wie oft sprechen wir vom grauen Alltag, der
unser Leben bestimmt! Wie schwierig ist es, da Farbe hineinzubekommen!
Dieser grau-blaue Hintergrund wird durchteilt von einem breiten schwarzen Band,
oder ist es eine Straße, nein, eher ein Fluss, ein schwarzer Strom, dunkel, gefährlich,
ein Abgrund, den wir erleben. Wie oft wird unser Leben durchschnitten von
unfassbarem Schwarz, von unendlicher Trauer, die uns alle Tage bis zum Tod
begleiten kann, von Schmerzen und tiefem Leid.
An den Ufern dieses Stromes stehen Markierungen. Unverrückbar, rot von dem
Herzblut, stehen diese Zeichen da. Der Tag, die Stunde bleibt unvergessen, als wir
das erleben mussten. Das letzte Lächeln, der letzte Blick, dieser Schock, dieser
Moment, da alles über uns zusammenbrach und uns darunter begraben hat.
Mitten auf diesem schwarzen Band: eine große, kantige goldene Fläche. Das
Schwarz verstärkt das Leuchten des Goldes. Wie immer: die Nacht lässt die Sterne
leuchten, der helle Tag lässt sie verschwinden. Denken Sie daran, wie eine einzige
Rose jemand glücklich werden lässt, da er gerade schmerzendes Leid erlebt hat!
Vieles bleibt offen: Ist es ein Goldklumpen, das Ergebnis eines ersten
Schmelzvorgangs oder ist es ein hauchdünnes Goldblech, das darauf wartet, weiter
bearbeitet zu werden?
Schmuck, Vergoldung oder Münzprägung. All das können wir uns vorstellen. So steht
dieses Stück Gold für unsere Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen.
Gold verwendet Dao Zi hier nicht, weil es an Macht und Geldgier erinnert, sondern
weil Gold gerade in der europäisch-christlichen Kunst ein Symbol für das Heilige, für
den Himmel, für die Unendlichkeit ist. Im Mittelalter gab es kein Altarbild ohne
Goldgrund.
Gold ist außerdem der wertvollste Schmuck in unserem Leben. Nicht umsonst sind
Eheringe aus Gold und nicht aus Eisen oder Kupfer. Gold strahlt unvergängliche
Schönheit aus, völlig unabhängig davon, wie alt es ist.
Was hat das alles mit dem Christentum zu tun? Die Bildgestaltung kann an das
Kreuz erinnern, die roten Markierungen an Kreuzesnägel und in der Mitte des
Kreuzes das Geheimnis der Erlösung! Die Auferstehung in Gott!
Gott ist das unvergängliche Gold in unserem Leben, als Chance, nicht als fertiges
Schmuck- oder Wertstück.
Predigt zum MISEREOR-Hungertuch 2015/2016
In der unteren Bildhälfte sehen wir 7 kleine Goldstücke. Dabei können wir rechts
bemerken, wie ein Goldstück sich von der Goldfläche loslöst, wie wenn ein
Eisgletscher – wie man sagt – ‚kalbt‘. Dies ein wunderbares Zeichen, Symbol für uns
Menschen: Wir als Kinder Gottes tragen das göttliche Gold in uns. Gold kann immer
nur aus Gold entstehen; alle anderen Versuche sind gescheitert. Jeder Mensch ist
und bleibt ein Goldstück, egal ob Schmutz ihn bedeckt oder er völlig vergessen im
Nirgendwo liegt.
Gerade im grauen Alltag sollten wir darauf achten, dass der Goldglanz erhalten
bleibt.
Wie kann uns das gelingen? Sagen wir nicht: dieser oder jener hat ein ‚goldenes
Herz’? Sein Herz voll Liebe ist das Gold in unserem Leben? Durch unsere Liebe wird
Gott sichtbar in der Welt. Das gelingt sicher besser, wenn einige Goldstücke näher
beieinander liegen als wenn sie völlig vereinzeln wären. Durch den Glanz der Liebe
wird das Grau des Alltags aufgebrochen, ja vielleicht sogar vergessen.
Genau das ist die Botschaft des heutigen MISEREOR-Sonntags. Der Goldglanz
Gottes in dieser Welt wird nur sichtbar, wenn wir ein Signal der Liebe, der helfenden,
mitfühlenden Liebe weltweit deutlich machen. Durch unsere Solidarität mit den
Armen und an den Rand Gedrängten, die MISEREOR unterstützt, wird die Welt nicht
komplett verwandelt. Aber- und das ist wichtig – dieses Licht lässt die Verzweiflung
geringer werden und stärkt die Hoffnung auf Rettung. Unsere kleine Hilfe wird
deshalb nie vergeblich sein.
Hinweis:
Alle Materialien zum Hungertuch können Sie hier bestellen:
[email protected]
Alle Infos zum Hungertuch finden Sie unter www.hungertuch.de