7 E 1486/16

7 E 1486/16
Verwaltungsgericht Hamburg
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
....
- Antragsteller Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Mohr Partnerschaftsgesellschaft,
Max-Brauer-Allee 81,
22765 Hamburg,
.................
gegen
Freie und Hansestadt Hamburg,
vertreten durch das Bezirksamt Altona,
-Rechtsamt-,
Platz der Republik 1,
22765 Hamburg,
- Antragsgegnerin beigeladen:
f & w - fördern und wohnen AöR,
vertreten durch den Geschäftsführer Dr. Rembert Vaerst,
Grüner Deich 17,
20097 Hamburg,
hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 7, am 6. April 2016 durch
...........
beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 4.4.2016 wird vorläufig, bis zu einer abschließenden Entscheidung des Gerichts im vorliegenden Eilverfahren,
angeordnet.
Eine Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.
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Gründe:
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wonach demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen
Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen steht, verpflichtet die Gerichte – wie auch sonstige staatliche Stellen – auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Für den Fall, dass
ein verwaltungsgerichtliches Eilverfahren als solches zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht ausreicht, da eine sachgerecht geprüfte Entscheidung über das Rechtsschutzbegehr nicht rechtzeitig vor Eintritt der (etwaigen) Rechtsbeeinträchtigung möglich ist,
kann das Gericht eine geeignete Zwischenregelung treffen. Eine solche Zwischenregelung
kann angezeigt sein, wenn einerseits der gestellte Eilantrag zwar noch nicht entscheidungsreif, aber auch nicht offensichtlich aussichtslos ist, es andererseits aber zu befürchten steht,
dass bis zu einer Sachentscheidung des Gerichts (ganz oder teilweise) vollendete Tatsachen
geschaffen werden und wegen des insofern unmittelbar drohenden Eintritts von Nachteilen
auf andere Weise dem Antragsteller effektiver Rechtsschutz nicht gewährt werden kann
(OVG Hamburg, Beschluss vom 8.1.2015, 4 Bs 239/14; vgl. auch VGH Kassel, Beschluss
vom 7.10.2014, 8 B 1686/14, juris, Rn. 18; OVG Saarlouis, Beschluss vom 18.1.2013, 2 B
7/13, juris, Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.3.2010, 11 S 11/10, juris,
Rn. 9 f.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 123, Rn. 120; Schoch in
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 2014, § 123, Rn. 164a; Kopp/Schenke, VwGO, 21.
Aufl. 2015, § 80, Rn. 170).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der eingereichte Eilantrag nach § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80a VwGO ist nicht offensichtlich ohne
Aussicht auf Erfolg, da die nach § 62 HBauO erteilte, das Fällen von 42 Bäumen einschließende Baugenehmigung zur Errichtung eines "Pavillondorfes" mit neun "Typengebäuden"
auf der gegenwärtig teilweise baumbestandenen und auch im Übrigen von Baulichkeiten
freien, bislang teilweise von geschützten Arten besiedelten Fläche des Grundstücks Björnsonweg 39 (Flurstück 1609 der Gemarkung Blankenese) rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen könnte.
Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang umweltrechtliche, zum Schutze
des gegenwärtigen natürlichen Zustands geeignete Bestimmungen, deren Verletzung der
Antragsteller rügen kann. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung insbesondere
auch des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts um Verfahrensrecht, zu dessen wirksamer Durchsetzung die Verhinderung nachteilig verändernder Baumaßnahmen erforderlich
ist. Eben solche drohen indes binnen kürzester Frist, d.h. bevor eine Sachentscheidung über
den vorliegenden Eilantrag möglich ist, da die Beigeladene ab dem 7.4.2016, 12:00 Uhr, insbesondere mit Baumfällarbeiten beginnen und das Baufeld freiräumen will.
Im Einzelnen:
Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat jüngst in einer Entscheidung (Beschl. v.
11.3.2016, 2 Bs 33/16) über die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg, mit dem ein auf die Rüge einer Verletzung von Umweltverfahrensrecht gestützter Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung gegen den weiteren Vollzug einer Baugenehmigung abgelehnt worden war, betont:
"Eine Genehmigungsentscheidung, die ohne die hierfür erforderliche UVP oder UVPVorprüfung getroffen worden ist, ist auf die Klage eines gemäß § 42 Abs. 2 VwGO
klagebefugten Dritten nach § 4 Abs. 3 iVm. Abs. 1 Satz 1 UmwRG allein wegen dieses Fehler aufzuheben.
Dabei ist die Prüfung auch auf den Fall [gemeint wohl: auf die Frage] zu erstrecken,
ob eine durchgeführte Prüfung fehlerhaft war.
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§ 4 Abs. 1 UmwRG erfasst auch solche Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung, die
nach ihrer Art und Schwere den in § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG genannten Fehlern vergleichbar sind, insbesondere weil sie der betroffenen Öffentlichkeit die vorgesehene
Möglichkeit genommen haben, Zugang zu den ausliegenden Unterlagen zu erhalten
und sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen (siehe § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG
und BVerwG, Urt. v. 22.10.2015, 7 C 15/13, juris Rn. 22).
Im Zusammenhang mit der Frage, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit bestehen muss, den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erreichen, mit der die Vollziehung einer Genehmigung bis zum Erlass der Endentscheidung (des Gerichts) vorübergehend ausgesetzt werden kann, stellt der Europäische Gerichtshof in ständiger
Rechtsprechung heraus, dass ein mit einem nach Unionsrecht zu beurteilenden
Rechtsstreit befasstes Gericht in der Lage sein müsse, vorläufige Maßnahmen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Dem hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 3 UmwRG für das Umweltrecht Rechnung getragen (siehe
BVerwG, Urt. v. 18.12.2014, 4 C 36/13, juris Rn. 44).
Entgegen dem Verwaltungsgericht ist daher davon auszugehen, dass es zur Sicherung eines möglichen Aufhebungsanspruchs der Antragsteller nach § 4 Abs. 3 iVm.
Abs. 1 Satz 1 UmwRG gehalten sein kann, den Fortgang der Bauarbeiten bis zu einer
Entscheidung über den Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auszusetzen."
Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht legt in dem zitierten Beschluss sodann dar, dass
ein Anspruch auf verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz allerdings nicht allein aus § 4
Abs. 3 UmwRG abgeleitet werden kann:
"Die Antragsteller stützen bislang ihre Antragsbefugnis auf § 4 Abs. 3 iVm. Abs. 1
Satz 1 UmwRG. Dem kann das Beschwerdegericht nicht folgen, weil die Vorschrift
den Umfang der sachlichen Prüfung des Rechtsbehelfs regelt, aber für die Klagebefugnis keine Bedeutung hat (siehe BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, 9 A 30.10, juris
Rn. 20 ff.; v. 22.10.2015, aaO., Rn. 23). Weder der Gesetzeswortlaut noch die Stellung der Vorschrift im Gesetz deuten darauf hin, dass die Berufung auf die angeführten Verfahrensfehler auch solchen Personen eröffnet werden sollen, die nicht aufgrund einer möglichen Betroffenheit in einem materiellen Recht antragsbefugt sind.
Auch der unionsrechtliche effet utile erfordert keine Popular- bzw. Interessentenklage
Einzelner (siehe EuGH, Urt. v. 17.10.2015, C-137/14, juris Rn. 91)."
Nach der genannten Entscheidung sind demgegenüber als mögliche subjektive Rechtspositionen in diesem Zusammenhang insbesondere die bauplanungsrechtlichen (Gebietserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmeanspruch) und bauordnungsrechtlichen Nachbarrechte in
den Blick zu nehmen.
Prüfungsmaßstab für die maßgebliche Frage danach, ob die nachbarrechtliche Position auch
zu einem Anspruch auf Rechtsschutz zur Durchsetzung umweltverfahrensrechtlicher Bestimmungen führt, ist nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts derjenige Grad der Wahrscheinlichkeit
einer Rechtsverletzung, der für die Annahme einer Klage- bzw. Antragsbefugnis nach § 42
Abs. 2 VwGO zu verlangen ist. Ist m.a.W. eine Antragsbefugnis für einen insoweit mit anderen Rechtspositionen des Antragstellers begründeten Rechtsschutzantrag gegeben, so wird
hierdurch die Begründetheitsprüfung auch in Bezug auf den umweltrechtlichen Verfahrensfehler eröffnet.
Für die Antragsbefugnis kommt es nach allgemeinen Maßstäben darauf an, ob die geltend
gemachte Rechtsverletzung "möglich" erscheint; daran fehlt es, wenn die geltend gemachte
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Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder
dem Rechtschutzsuchenden zustehen kann (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. zuletzt Urt. v. 19.11.2015, 2 A 6/13, juris Rn. 15 m.w.N.).
Nach der ständigen Rechtsprechung der hamburgischen Verwaltungsgerichte in Verfahren
des öffentlichen Baunachbarrechts bedarf die Frage der Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes regelmäßig der näheren Prüfung, d.h. insoweit ist regelmäßig
von einer Antragsbefugnis auszugehen. Das gilt auch vorliegend jedenfalls im Hinblick auf
mögliche Belastungswirkungen durch Immissionen bzw. durch Ziel- und Quellverkehr (für
den auf dem Grundstück gemäß Bauvorlage 14/28 lediglich drei Stellplätze vorgesehen
sind). Unbeachtlich - im Sinne einer Unzulässigkeit eines hierauf gestützten Rechtsschutzantrags - wäre demgegenüber ein Berufen auf das baunachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot typischerweise nur dann, wenn schon der räumliche Zusammenhang zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück, von dem aus Nachbarschutzansprüche geltend gemacht werden, so gering ist, dass negative Einwirkungen von vorn herein auszuschließen
sind. Allein der Umstand, dass hier die Grundstücke nicht unmittelbar aneinandergrenzen,
...................................................... deutet zwar insbesondere darauf, dass schwerwiegende
Immissionsbeeinträchtigungen im Ergebnis nicht festzustellen sein werden. Darauf kommt
es, wie bereits dargelegt, jedoch nach dem Maßstab der Antragsbefugnis - und damit wegen
des hierdurch eröffneten Anspruchs auf Schutz des umweltrechtlichen Verfahrensanspruchs
- für die Erfolgsaussicht des Eilantrags nicht an. Zumal sich die Antragsgegnerin zur Rechtfertigung der erlaubten Abweichung von dem allgemeinen Bauplanungsrecht auf § 246
Abs. 9 BauGB stützt, wonach bis zum 31. Dezember 2019 die Rechtsfolge des § 35 Absatz 4 Satz 1 für Vorhaben entsprechend gilt, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder
Asylbegehrenden dienen, "wenn das Vorhaben im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang
mit nach § 30 Absatz 1 oder § 34 zu beurteilenden bebauten Flächen innerhalb des Siedlungsbereichs erfolgen soll", erschiene es auch widersprüchlich, dem Antragsteller, dessen
Wohnhaus zu den ............... baulichen Hauptnutzungen gehört, die dem Vorhaben den nach
der Norm erforderlichen baulichen Zusammenhang vermitteln, hier das Fehlen einer Nähebeziehung entgegenzuhalten.
Ist hiernach für die Erfolgsaussicht des Rechtsschutzantrages erheblich, ob umweltverfahrensrechtliche Bestimmungen im Sinne von § 4 Abs. 3 UmwRG verletzt worden sind, so ist
weiter zu beachten, dass die diesbezüglichen Rügen des Antragstellers mit den Schriftsätzen vom 4.4.2016 jedenfalls so überzeugend dargelegt sind, dass sie in dem vorliegenden
Eilverfahren näherer Prüfung zu unterziehen sind, bevor in Bezug auf denjenigen Naturbestand, um dessen willen die Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen war, durch Fällen
der Bäume und sonstige Baufeldvorbereitung (Bodenabtrag u.a. zu Lasten des grundsätzlich
schutzwürdigen Trockenbiotopkomplexes) unumkehrbare Zustände geschaffen werden. U.a.
ausgehend von den Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt Urt. v.
29.9.2015, 4 CN 1/15, NuR 2016, 41) zu den Anforderungen an die Bekanntmachung der
Auslegung von umweltbezogenen Informationen im Bauleitplanverfahren wird der Rüge weiter nachzugehen sein, die öffentliche Bekanntmachung des Bauvorhabens (im Amtlichen
Anzeiger Nr. 13 vom 16.2.2016, S. 302) habe nicht den Vorgaben von § 9 Abs. 1, 1a UVPG
iVm. § 6 UVPG entsprochen, was der Antragsteller als Teil der betroffenen Öffentlichkeit
geltend machen könne, ohne dass ihm ein unzureichender Nachweis der Ergebniserheblichkeit entgegengehalten werden könne. Näher aufzuklären wird auch sein, wie erheblich die
geltend gemachten Abweichungen zwischen dem Antrags- und dem Umweltprüfungsgegenstand gewesen sind, sowie, inwieweit den Anforderungen nach §§ 11, 12 UVPG genügt worden ist. Überdies mag zu ermitteln sein, ob der - immerhin durch eine interne Stellungnahme
der Abteilung Naturschutz (Artenschutz) der (seinerzeitig so firmierenden) Behörde für
Stadtentwicklung und Umwelt geteilten - Einschätzung des Vertreters des BUND Hamburg in
der Stellungnahme vom 12.11.2015 zu folgen ist, wonach die geplante Wohnbaunutzung des
Vorhabengrundstückes wegen des besonderen Brandschutzes vor und von Wäldern noch
weitere Baumfällungen in einem 25 m breiten Streifen nach sich ziehen werde, was als solches in die Umweltverträglichkeitsprüfung hätte einbezogen werden müssen.
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Schließlich ist den Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts in dem genannten Beschluss unter Beachtung der erheblichen europarechtlichen Bedeutung der Einhaltung der umweltverfahrensrechtlichen Anforderungen auch insoweit zu folgen, als das als solches gewichtige - Interesse an der Schaffung von Unterkunftsplätzen nicht ausreicht,
um die Schaffung solcher Verhältnisse zu rechtfertigen, die ein fehlerfreies Verfahren nicht
mehr verändern könnte. Überdies ist gegenwärtig - insbesondere auch in Ansehung der Begründung unter Nr. 6.1 des Baugenehmigungsbescheides - auch nicht erkennbar, dass in
dem Fall, dass sich die umweltverfahrensrechtlichen Rügen nach dem 8.4.2016 (d.h. nach
Ablauf der für die Fällarbeiten in der Baugenehmigung gesetzten Frist) als unerheblich erweisen, die Beigeladene bei der Antragsgegnerin keine neue Befreiung von dem "Sommerfällverbot" erwirken könnte, so dass auch nicht von einer notwendig über die Laufzeit des
Rechtschutzverfahrens hinausreichenden Verzögerungswirkung auszugehen ist.