Haftung der Muttergesellschaft für die Handlungen der fr.Tochtergesellschaft - jüngste Entwicklungen Rechtskommission der Deutsch-Französischen IHK Paris Vortrag vom 9.November 2015 Christian Klein Rechtsanwalt/Avocat à la Cour 91 rue du Faubourg Saint-Honoré 75008 Paris 1 Tel.: + 33 (0) 1 53 43 15 15 Fax: + 33 (0) 1 53 43 15 00 [email protected] www.granrut.com 1 Einleitung Frankreich kennt kein normiertes Konzernrecht. Das französische Recht stellt grundsätzlich auf eine strikte rechtliche Selbstständigkeit der jeweiligen juristischen Person ab. Diese strenge Trennung verbietet einerseits eine direkte Einflussnahme der Muttergesellschaft oder der Mehrheit der Gesellschafter auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und stellt auf der anderen Seite auch einen „Schutzschild“ dar, der einen Haftungsdurchgriff auf die Gesellschafter nur in engen Ausnahmefällen zulässt. 2 2 Einleitung Mit der Entscheidung « Rozenblum » des Kassationshofs aus dem Jahr 1985 hat die Rechtsprechung im Zusammenhang mit bestimmten gruppeninternen Vorgängen (z.B.Finanzierungen, „cash-pooling“) den Grundsatz des schützenswerten „Gruppeninteresses“ entwickelt. Die Wahrnehmung eines Gruppeninteresses darf jedoch nicht zu einer völligen Aushöhlung der Selbstständigkeit der jeweiligen Gruppengesellschaft führen und rechtfertigt grundsätzlich keine direkte Eingriffe in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft. Die Missachtung der Selbständigkeit durch eine effektive Einflussnahme oder Vermischung von Interessen ist rechtsdogmatisch der Ansatzpunkt für die Haftung der Muttergesellschaft. 3 3 I. Haftungsdurchgriff auf Muttergesellschaft In Durchbrechung des vorgenannten Trennungsprinzips sieht Artikel L.621-2 Absatz 2 Code de Commerce vor, dass das Insolvenzverfahren auf Antrag des Insolvenzverwalters oder des Staatsanwalts auf den Gesellschafter des Schuldnerunternehmens erstreckt werden kann, wenn das Vermögen der Muttergesellschaft mit dem des Schuldnerunternehmens vermischt worden oder der Schuldner lediglich fiktiv als eigenständige juristische Person aufgetreten ist. 4 4 I.Haftungsdurchgriff auf Muttergesellschaft Voraussetzung ist also das Bestehen eines rechtsmissbräuchlich gesetzten Rechtsscheins, dem zufolge die Tochtergesellschaft als blosse Scheingesellschaft (société fictive) zu qualifizieren ist, deren Aktiva und Passiva tatsächlich dem Gesellschafter/der Obergesellschaft zuzurechnen sind oder eine Vermischung des Vermögens (confusion du patrimoine) des Gesellschafters/der Obergesellschaft und der Tochtergesellschaft gegeben ist, das heisst, dass Aktiva und Passiva der Gesellschaften so vermischt sind, dass es nicht mehr möglich ist, diese zu unterscheiden und abnormale Geldflüsse zu verzeichnen sind. In der Praxis ist die Feststellung einer haftungsauslösenden Vermögensvermischung allerdings relativ selten und setzt im Regelfall das Vorliegen schwerwiegender buchhalterischer oder finanzieller Unregelmässigkeiten (unklare Finanzströme – „Hin-und Her-Buchungen, Geldflüsse ohne entsprechende Gegenleistungen etc.) voraus. 5 5 I.Haftungsdurchgriff auf Muttergesellschaft Der Kassationshof hat in einer Entscheidung vom 12.Juni 2012 festgestellt, dass eine Haftung der Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaft zwar nicht allein aus der Gruppenzugehörigkeit oder der Kapitalbeteiligung abgeleitet werden könne, eine solche Haftung allerdings aus täuschenden Rechtsscheinsetzung („apparence“) und einer bewussten "Einmischung„(„immixition“) der Muttergesellschaft in die Angelegenheiten der Tochtergesellschaft, durch die deren Gläubiger in legitimer Weise den Eindruck gewinnen mussten, dass auch die Muttergesellschaft als mithaftender Vertragspartner auftrete, ergeben kann. 6 6 I.Haftungsdurchgriff auf Muttergesellschaft In einer Entscheidung vom 3.Februar 2015 hat der Kassationshof unter Heranziehung der Rechtsscheintheorie eine Muttergesellschaft zur Zahlung von vertraglichen Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft verurteilt, da die Mutter durch eine aktive Einmischung beim Vertragsabschluss und den späteren Verhandlungen über eine gütliche Streitbeilegung bei dem Gläubiger den Eindruck begründet hat, unmittelbarer Vertragspartner zu sein. Entscheidung des Kassationshofes vom 10.September 2013: Haftung der Muttergesellschaft aus Artikel L.442-6 Code de Commerce (Schadensersatz wegen abrupten Abbruchs laufender Geschäftsbeziehungen), da eine unmittelbare permanente Einmischung in die zwischen der Tochtergesellschaft und dem Händler bestehenden Vertragsbeziehungen vorlag. 7 7 II. Die Ausfallhaftung der Geschäftsführung Artikel L.651-2 Code de Commerce sieht vor, dass die Geschäftsleitung des Schuldnerunternehmens für nach Abschluss des ordentlichen Insolvenzverfahrens oder bei Liquidation verbleibende, aus dem Vermögen der Schuldnergesellschaft nicht zu befriedigende, Verbindlichkeiten haftbar gemacht werden kann, wenn der Geschäftsführung ein Fehlverhalten nachzuweisen ist, das zu der finanziellen Unterdeckung mitursächlich beigetragen hat. Auf Antrag des Insolvenzverwalters oder des Liquidators kann das Insolvenzgericht anordnen, dass die verbleibenden Verbindlichkeiten ganz oder teilweise, mit oder ohne gesamtschuldnerischen Ausgleich, von einzelnen oder von allen Geschäftsführern zu tragen sind. 8 8 II. Die Ausfallhaftung der Geschäftsführung Die faktische Geschäftsführung Neben den durch entsprechenden Gesellschafterbeschluss bestellten Personen, denen eine gesetzliche Geschäftsführungsposition zugewiesen ist, kann aber auch auf die juristischen oder natürlichen Personen Zugriff genommen werden, die als faktische Geschäftsführer aufgrund der tatsächlichen Umstände auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des insolventen Unternehmens massgeblich Einfluss genommen haben. Mangels gesetzlicher Begriffsbestimmung ist nach Auffassung der französischen Gerichte als faktischer Geschäftsführer derjenige anzusehen, der, ohne ordentlich zum Mandatsträger bestellt worden zu sein, mit einer „gewissen Regelmäßigkeit und Dauer Handlungen der Unternehmensleitung vornimmt und dabei Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit geniesst“. 9 9 II. Die Ausfallhaftung der Geschäftsführung Der Geschäftsführungsfehler (faute de gestion) Weitere Voraussetzung der insolvenzrechtlichen Ausfallhaftung ist neben dem Bestehen eines rechtlichen/faktischen Geschäftsführungsverhältnisses das Vorliegen eines für die finanzielle Unterdeckung mitursächlichen Geschäftsführungsfehlers (faute de gestion). Nach Auffassung der französischen Rechtsprechung ist der Begriff des « faute de gestion » weit auszulegen und ein Geschäftsführungsfehler dann zu bejahen, wenn ein « aktives Tun oder Unterlassen in zumindest leicht fahrlässiger Weise nicht den Anforderungen einer für die Geschäftsführung üblichen Sorgfalt entspricht oder den Interessen der Gesellschaft zuwiderläuft ». 10 10 III. Haftung aus einer Mitarbeitgeberstellung (co-employeur) Der Kassationshof hatte in den vergangenen Jahren eine gesamtschuldnerischen Mithaftung der Muttergesellschaft aus dem Gesichtspunkt einer Mitarbeitgeberschaft entwickelt. Danach liege eine Mitarbeitgeberschaft der Muttergesellschaft vor, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit der Tochtergesellschaft in vollkommener Abhängigkeit von der Unternehmensgruppe erfolge und die Muttergesellschaft allein bestimmend die Geschäftsund Verkaufspolitik festlege und ein gemeinsames Personalmanagement unter Aufsicht der Muttergesellschaft bestehe, die zudem die strategischen Entscheidungen treffe. In einer solchen Konstellation komme es zu einer "dreifachen Vermischung" der Interessen, der Aktivitäten und der Geschäftsleitung", die die Annahme einer Mitarbeitgebereigenschaft der Muttergesellschaft rechtfertige. 11 11 III. Haftung aus einer Mitarbeitgeberstellung (co-employeur) Nachdem verschiedene Folgeentscheidungen ein gewisses „Ausufern“ der Mitarbeitgeberhaftung befürchten liessen, hat der Kassationshof in seiner Entscheidung zur Mitarbeitgeberhaftung vom 2.Juli 2014 („Molex“) eine deutliche Differenzierung bei den Haftungsvoraussetzungen vorgenommen, indem er nunmehr feststellt, dass „ein Unternehmen, das zu einer Unternehmensgruppe gehört, im Hinblick auf das Personal eines anderen Unternehmens, nur dann als Mitarbeitgeber anzusehen sei, wenn eine über die notwendige Koordinierung wirtschaftlicher Handlungen zwischen Unternehmen einer Unternehmensgruppe hinausgehende Beherrschung vorliegt, die zu einer Vermischung von Interessen, Aktivitäten und Unternehmensführung führt und somit eine Einmischung in die wirtschaftliche und soziale Unternehmensführung erkennen lässt“. Der Tochtergesellschaft muss daher jegliche Autonomie fehlen und die Einmischung der Muttergesellschaft über das Mass einer im Konzern üblichen gleichlaufenden Interessenwahrnehmung hinausgehen. 12 12 IV. Deliktische zivilrechtliche Haftung des Gesellschafters Nachdem die Rechtsprechung mit der sich abzeichnenden Tendenzwende eine Erleichterung für die Muttergesellschaft im Zusammenhang mit der Mitarbeitgeberhaftung „eingeläutet“ hat, hat jedoch ein anderer Senat des Kassationshofs in einer fast zeitgleichen Entscheidung (8.Juli 2014) die Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft bei insolvenzbedingten Standortschliessungen verschärft, indem das Gericht die Schadensersatzklage von ehemaligen Mitarbeitern der französischen Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft wegen Verlust des Arbeitsplatzes bejaht und seine Entscheidung dabei auf die allgemeine zivilrechtliche deliktische Haftung (Artikel 1382 Code civil) gestützt. 13 13 IV. Deliktische zivilrechtliche Haftung des Gesellschafters Nach den Ausführungen des Gerichts könne es im Ergebnis dahin gestellt bleiben, ob die Muttergesellschaft als Mitarbeitgeber anzusehen sei oder sich in die Führung der Tochtergesellschaft eingemischt habe – entscheidungserheblich und haftungsbegründend sei vielmehr, dass sie einen vorwerfbaren (lediglich fahrlässigen) Fehler begangen habe (nämlich Gesellschafterentscheidungen über die Vornahme kostenintensiver und wirtschaftlich nicht begründbarer interner Audits sowie über liquiditätsentziehender Markenabtretungen), die ausschliesslich zum Nutzen der Muttergesellschaft erfolgt seien und im Ergebnis die wirtschaftliche Situation der Tochtergesellschaft so verschlechtert haben, dass diese insolvent wurde und damit zu den Entlassungen geführt habe. 14 14 V. Haftung für Wettbewerbsverstösse der Tochtergesellschaft Grundlegende Entscheidung des EuGH vom 10.September 2009 (« Akzo Nobel »): es besteht eine widerlegbare Vermutung für eine entscheidende Einflussnahme durch den Gesellschafter (Muttergesellschaft), wenn dieser die Gesamtheit/Quasigesamtheit der Anteile hält, so dass eine gesamtschuldnerische Haftung für gegen die Tochtergesellschaft wegen Wettbewerbsverstössen verhangenen Strafen besteht. Grundsatz der « wirtschaftlichen » Einheit innerhalb verbundener Unternehmen. Dieser Rechtsauffassung hat sich die französische Wettbewerbsaufsichtsbehörde in seiner Entscheidung « Orange- Karibik » vom 9.Dezember 2009 angeschlossen, indem sie eine Vermutung für eine beherrschende Einflussnahme durch die Muttergesellschaft bestätigte. 15 15 V. Haftung für Wettbewerbsverstösse der Tochtergesellschaft In seiner Entscheidung vom 6.Januar 2015 hat der Kassationshof das Bestehen dieser Vermutung ausdrücklich bestätigt und festgestellt, dass die Muttergesellschaft, um diese Vermutung zu widerlegen, die Autonomie (in den wirtschaftlichen Beziehungen, Organisation etc.) der Tochtergesellschaft beweisen müsse. Dabei reiche für den Nachweis nicht aus, dass sich die Tochtergesellschaft eine eigenständige Geschäftsstrategie habe, wenn die Mitglieder in beiden Geschäftsführungen identisch sind. 16 16 VI. Haftung der Muttergesellschaft im Umweltrecht Zwei wichtige Regelungen, die im Rahmen des Gesetzes Grenelle II vom 12.Juli 2010 eingeführt wurden: 17 Die Muttergesellschaft kann sich verpflichten, die für Umweltsanierungskosten in Anspruch genommene Tochter finanziell zu unterstützen, ohne dass daraus weitergehende Konsequenzen (Vorwurf der haftungsbegründenden Einmischung etc.) zu befürchten (Verweis auf Unterstützungsmöglichkeit in Artikel L.233-5-1 Code de commerce) 17 VI. Haftung der Muttergesellschaft im Umweltrecht Artikel L.512-17 Code de l’Environnement: Möglichkeit der Inanspruchnahme der Muttergesellschaft (und eventuell auch der Grossmuttergesellschaft) für Kosten der behördlich angeordneten Standortortsanierung bei Schliessung der sich in der gerichtlichen Liquidation befindlichen Tochtergesellschaft, wenn ein « faute caractérisée » (vergleichbar dem « bedingten » Vorsatz) der Muttergesellschaft zur Zahlungsunfähigkeit beigetragen hat. Als « Muttergesellschaft » gilt, wer mehr als 50% der Anteile hält. Ähnliche « ratio legis » wie bei insolvenzrechtlicher Ausfallhaftung ! 18 18 Begrenzung des Haftungsrisikos Vermeidung risikoträchtiger Konstellationen 19 • Ernennung der MG zum Président (SAS) • Befugnisdelegation von GF der französischen TG auf Mitarbeiter der MG • Zu umfängliche und zu starre Kataloge zustimmungspflichtiger Rechtsgeschäfte • Schriftliche Anweisungen von Mitarbeitern der MG an GF/AN der fr.TG • Gleichzeitige Anstellung des fr.GF bei der MG (Subordination) • Beteiligung der MG im « comité de direction » (besser im « conseil de surveillance ») • Regelmässige Einbindung der TG in zentral von MG geschalteten Aktivitäten • Der TG jegliche geschäftliche und finanzielle Autonomie entziehen 19
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