Begriffsfeld Muster - Mannheimer Kunstverein

Das Begriffsfeld Muster
Von Thomas Friedrich
Paradigma, Exempel, Iteration, Schema, Ordnung, Exemplar, Vorbild gehören alle zum
Begriffsfeld Muster. Ich will die Thematik vorsichtig einkreisen und präzisieren. Zwei
verschiedene Aspekte oder Konnotationsfelder des Begriffs Muster lassen sich erkennen.
Erstens gilt als Muster eine Vorlage, ein Modell, im übertragenen Sinne ein Vorbild, ein
Beispiel. Auf Lateinisch haben wir es dann mit einem exemplum oder einem exemplar zu tun,
und auf Griechisch mit einem paradigma. Zweitens ist damit eine auf einer Fläche sich
wiederholende Zeichnung, Figur oder Verzierung gemeint. Der Begriff Tapete gehört in
dieses Bedeutungsfeld.
Nimmt man die Verbform mustern, dann geht es einmal um eine kritische, prüfende
Besichtigung anderer Subjekte und Objekte, zum Beispiel bei der Aushebung von Rekruten
für das Militär oder aber um die Tätigkeit eine Fläche durch sich wiederholende Zeichnungen,
Figuren oder Verzierung zu strukturieren.
Etymologisch kommt Muster vom lateinischen Verb monstrare, was zeigen, vorschreiben und
hinweisen bedeutet. Wortverbindungen können sich einmal auf die sich wiederholenden
Inhalte der Zeichnungen, Figuren oder Ornamente beziehen, wie bei Leopardenmuster,
Blumenmuster oder Fischgrätenmuster oder sie können sich im übertragenen Sinne auf
verschiedene ontologische Grundlagen beziehen, wenn man zum Beispiel von
Verhaltensmustern, Gedankenmustern oder gesellschaftlichen Mustern spricht. Soweit eine
erste Orientierung.
Ganz allgemein gesprochen ist ein Muster eine Ordnung, eine Gestaltung, die eine spezifische
Art des Verhältnisses der Teile zum Ganzen darstellt. Während ein System mehr ist als die
Summe seiner Teile und außerdem die Teile des Ganzen meist sehr verschieden sind, lebt das
Muster von der Wiederholung der Teile, sie kommen mehrmals vor, in gleicher Form, im
gleichen Abstand usw. Man spricht dann eher von einem Aggregat und nicht von einem
System. Herz, Leber, Niere, Adern, Blut, Magen, Darm, Haut, Augen, Ohren, Nerven usw.
machen, alle zusammen in spezifischer Weise funktionierend, einen einzelnen lebenden
Menschen aus. Er ist ein biologisches System, so wie ein Motor mit seinen verschiedenen
Teilen ein artifizielles System ist. Im Gegensatz dazu nun ein paar Musterbeispiele. Egal ob
wir jetzt ein Muster auf einer Fläche oder zum Beispiel ein Verhaltensmuster nehmen, der
Akzent liegt dann auf dem Vorhandensein gleicher Teile im Ganzen. In unserem Kulturkreis
ist es zum Beispiel immer noch üblich, sich bei der Begrüßung die Hände zu geben; wenn
eine Frau und ein Mann begrüßt werden, gibt man zuerst der Frau die Hand und dann erst
dem Mann. Dieser stets gleiche Akt wiederholt sich, egal ob man jemanden in der Stadt trifft,
bei einer Konzertveranstaltung oder bei einer Tagung. Solche offiziellen Umgangsmuster
nennt man auch allgemein Etikette. Im grafischen Bereich wird die Gleichheit der Teile am
deutlichsten bei Tapeten oder bei ornamentierten Kacheln, wie sie vor allem in Nordafrika
Verbreitung haben. Ein gutes Beispiel ist freilich auch die diesjährige Captcha-Werbung, die
aus immergleichen Blättern besteht, die aneinandergefügt, verschieden große Werbeflächen
füllen können. Als Sonderfall will ich noch die Arabesken erwähnen. Auf dem ersten Blick
sehen sie aus wie einfache pflanzliche Muster, sie sind aber ein Bedeutungsträger, das heißt,
man muss den entsprechenden Code kennen, wie auch bei den oben genannten
Verhaltensmustern, um die Semantik einer Arabeske verstehen zu können. Weite Verbreitung
haben sie von der Spätantike bis heute im orientalischen Raum, was in Verbindung gebracht
wird mit dem islamischen Bilderverbot.
In bestimmten Bereichen hängt dem Muster eine negative Wertung an. Das gilt im Bereich
der Kunst und auch in einigen humanistisch geprägten gesellschaftlichen Bereichen. Ein
Muster ist der Inbegriff der Austauschbarkeit. Geht eine Kachel kaputt, wird sie an dieser
Stelle einfach durch eine andere gleiche ersetzt. Ein Muster fokussiert stets das Allgemeine,
wobei die Teile dieses Allgemeinen dabei gar nicht den Anspruch haben jeweils Besonderes,
also etwas Nichtaustauschbares, zu sein, sie sind ja alle gleich. Die Kunst und die bürgerliche
Moral dagegen leben von einem emphatischen Verständnis eines jeweils
Nichtaustauschbaren. Jeder Mensch hat nach humanistischer Moral eine eigene individuelle
Lebensgeschichte, die ihn zum nichtaustauschbaren Subjekt, zum besonderen Menschen
werden lässt. Die freie Kunst hat den Anspruch nichtaustauschbare Werke zu schaffen,
Künstler verstehen sich als Spezialisten, die dem jeweils Besonderen im Werk Ausdruck
verleihen. Die Tauschbarkeit der einzelnen Teile im Musterganzen macht diese dem Geld
ähnlich. Geld ist zwar das universale Tauschmittel, während sich die Austauschbarkeit der
sich wiederholenden Teile eines Musters nur auf das jeweilige Musterganze bezieht, der
negative Beigeschmack des Geldes und der Austauschbarkeit bleibt trotzdem.
Für die Bereiche der Kunst und der Moral ist die Thematik Muster und ihre nachvollziehbar
negative Wertung ein ernst zu nehmendes Problem. Im Bereich des Designs ist das nicht so.
Im Gegenteil, die industrielle Herstellung, also die Zusammensetzung gleicher Teile zu einem
gleichen Ganzen, hat dort seit langer Zeit eine Tradition, die auch insofern moralisch
begründbar ist, da durch diese Produktionsweise gute Gestaltung zu Preisen möglich wurde,
die auch die weniger betuchten Schichten sich leisten können. Außerdem ist diese Art der
Herstellung von Design insofern ehrlich, weil sie die ständige Wiederkehr des Gleichen gar
nicht erst versucht zu verschleiern. Es geht nicht darum die Kunst gegen das Design
auszuspielen oder umgekehrt beide gleichzusetzen. Nicht nur in Bezug auf das Muster gilt:
Kunst und Design sind verschieden und beide haben ihre Berechtigung.
Prof. Dr. phil. Thomas Friedrich
1959 geboren. Studium Graphik-Design und anschließend Philosophie, Politische
Wissenschaft und Volkskunde in Würzburg. Lehrtätigkeit als Hochschuldozent für
Geschichte und Theorie der Visuellen Kommunikation an der Fakultät für Gestaltung der
Bauhaus-Universität Weimar. Seit März 2000 Professor für Philosophie und Designtheorie an
der Fakultät Gestaltung der Hochschule Mannheim. Dort leitet er das Institut für
Designwissenschaft. Zusammen mit Gerhard Schweppenhäuser gibt Thomas Friedrich die
Buchreihe Ästhetik und Kulturphilosophie im LIT Verlag (Münster, London) heraus. Seit
2002 ist er Redakteur der Zeitschrift für kritische Theorie (zu Klampen, Springe). Er ist
Gründungsmitglied der Gesellschaft für Designgeschichte, berufenes Mitglied der Freien
Akademie der Künste Rhein-Neckar, Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes BadenWürttemberg und zusammen mit Klaus Schwarzfischer Leiter der Sektion Design der
Deutschen Gesellschaft für Semiotik e.V.
Letzte Publikationen:
Thomas Friedrich, „Zur Dialektik von Bild und Text im Plakat heute“, in: 100 Beste Plakate
14, Mainz 2015, Verlag Hermann Schmidt
Georg Nees, Design – Menschenwerk. Sichten auf ein vielseitiges Phänomen, herausgegeben
von Ruth Dommaschk, Thomas Friedrich, Wolf Knüpffer, Berlin 2014, LIT Verlag
Thomas Friedrich, „Konsum und Konfession. Aneignung als zentrale Kategorie des Designs“,
in: Christian Bauer, Gertrud Nolte, Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Ethik und Moral in
Kommunikation und Gestaltung, Würzburg 2014, Königshausen u. Neumann
Klaus Wyborny, Grundzüge einer Topologie des Narrativen, hrsg. v. Thomas Friedrich,
Berlin 2014, LIT Verlag
Klaus Wyborny, Elementare Schnitt-Theorie des Spielfilms, hrsg. v. Thomas Friedrich, Berlin
2012, LIT Verlag