Der folgende Beitrag stellt einige der zentralen Ergebnisse des

 Abstract Nachwuchsforum Bildungsforschung Siegen Beitrag für den 05.01.2016 Nathalie Heiligtag, Fakultät II, Universität Siegen nathalie.heiligtag@uni-­siegen.de Nähe und Distanz im Modus vertikaler Differenz – Beziehungsmuster von Lerher_innen im Schulalltag Der folgende Beitrag stellt einige der zentralen Ergebnisse des qualitativ-­‐
rekonstruktiven Dissertationsprojekts (mit oben genanntem Titel) vor. Der Fokus soll hier auf die Metapher von ‚Nähe und Distanz’ gerichtet, und in ihren Bedeutungen, in ihrem strukturellen, fallübergreifenden Modus aufgezeigt werden. Die rekonstruierten handlungsleitenden Orientierungen der interviewten Lehrpersonen werden vorgestellt, und mit Bezug auf erziehungswissenschaftliche Begriffsverständnisse von ‚pädagogi-­‐
scher Beziehung’ diskutiert. Ausgangslage Der rollenförmige und persönlich-­‐emotionale Beziehungsaspekt der Lehrer_in-­‐
Schüler_in-­‐Beziehung, im Sinne Oevermanns (1996), wird bei Werner Helsper struktur-­‐
theoretisch eingebunden und als „Antinomie von Nähe und Distanz“ bezeichnet. (Vgl. Helsper/ Hummrich 2009; Helsper u.a. 2007; Helsper/ Böhme/ Kramer/ Lingkost 2001; Combe/ Helsper 1996). Die Überlegungen Helspers zu den Antinomien des pädagogisch-­‐
professionellen Lehrerhandelns dienen vorrangig der Beschreibung des hier untersuch-­‐
ten Gegenstands. Auf diese Konzeption wird im Beitrag ausführlich Bezug genommen und im Anschluss die metaphorische Bedeutung von ‚Nähe und Distanz’ nach George Lakoff und Mark Johnson (2008) expliziert. Eine Auseinandersetzung mit der Lehrer_in-­‐Schüler_in-­‐Beziehung (im Folgenden L-­‐S-­‐B) ist seit Jahrhunderten, im Grunde beginnend in der Antike und verstärkt mit der Aufklä-­‐
rung, aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgt. (Vgl. Übersicht bei Helsper/Hummrich 2009). Besonders bedeutsam erscheint die L-­‐S-­‐B aktuell im Zusammenhang von Ent-­‐
wicklung pädagogischer Professionalität (vgl. Überblick bei Lankes 2008; Terhart, Bennewitz, Rothland 2014 ), Gesundheit und Schule, hier speziell Gesundheit und Leh-­
rerberuf (vgl. Rothland 2007, Schaarschmidt 2005) und effektiver Unterrichtsgestaltung (vgl. Helmke 2009, Meyer 2009). Eine kompetenztheoretische Professionalisierungstheo-­
rie, wie sie prominent von Jürgen Baumert und Mareike Kunter (2006) vertreten wird, erkennt die Bedeutung einer (psychisch) motivierenden L-­‐S-­‐B für das ‚Output’ der Schü-­‐
ler_innen an, umgeht jedoch eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesem lehr-­‐
lerntheoretischen und bildungsrelevanten Aspekt in ihren empirischen Untersuchun-­‐
gen. Seite 1von 1 Herleitung der Forschungsfragen Die Relevanz erziehungswissenschaftlicher Erkenntnisse für die Akteur_innen im Feld ist ein wesentlicher Aspekt dieser Arbeit. Das Interesse des Dissertationsprojekts gilt den subjektiven Erfahrungen der einzelnen Lehrer_innen im Feld Schule. Über die empi-­‐
rische Rekonstruktion von Einzelfällen und ihren unterschiedlichen Wissensbeständen, soll ein praktisches Verstehen, einer „Logic in actu“ (Bourdieu 2001, S. 182), möglich werden. Eine differenzierte Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungsmuster und sprachlicher Umschreibungen, in Bezug auf pädagogische Beziehungsgestaltung, soll auch einem Beitrag zur Betrachtung der ‚Blinden Flecken’ in der Begriffsverwen-­‐
dung innerhalb der Erziehungswissenschaft und ihren Bezugsdisziplinen dienen. In dem vorliegenden Dissertationsvorhaben führte mich die Metapher von ‚Nähe und Distanz’, als Umschreibung der zwei Pole, zwischen denen der sogenannte ‚Balance-­‐Akt’ der Beziehungsgestaltung stattfindet, zu den folgenden untersuchungsleitenden Fragen: 1. Was und wie erzählen Lehrer_innen über die Beziehungsgestaltung zu ihren Schüler_innen? a) Lassen sich (Beziehungs-­‐)Muster rekonstruieren? b) Welche Haltungen dokumentieren sich, wenn Lehrer_innen zur Beziehungsge-­‐ staltung befragt werden? c) Wann wird diese Beziehung von den Lehrer_innen als gelungen erlebt? d) Was sind subjektiv erlebte Grenzen? 1.1 Welche Potenziale beinhaltet die Metapher ‚Nähe und Distanz’, in Bezug auf die Beziehungsgestaltung von Lehrer_innen? e) Findet die Metapher sprachliche Verwendung? Wenn ja, in welcher Weise? f) Bietet die Metapher den Akteur_innen für Ihre pädagogische Arbeit eine Orientierung? Skizzierung des Forschungsdesigns In Anschluss an Bourdieu (2001) werden die Leher_innen nie völlig losgelöst von äuße-­‐
ren Strukturen gesehen. Um den Fragen und dem Interesse des Vorhabens zu folgen, schloss sich eine praxeologische Forschungsstrategie an. Über die Rekonstruktion von Einzelfällen, vor dem Hintergrund komplexer Konzeptualisierungen und an Hand ge-­‐
meinsamer Strukturen, wurden in einem komperativen Verfahren fallübergreifende Typisierungen entwickelt (Bohnsack 2003; Nohl 2012). Seite 2 von9
Die Annahme, dass es sich um ein sensibles Thema handelt, und die Befragten bisher eher eine geringe Reflexion in Bezug auf alltägliche Beziehungsgestaltung haben, hat Auswirkungen auf die Erhebung des Datenmaterials. Um nicht direkt zugänglichen (im-­‐
plizite) Wissensformen zu rekonstruieren, sind problemzentrierte Interviews (Witzel 2000) erhoben und mittels Dokumentarischer Methode (Nohl 2013) ausgewertet wor-­‐
den. Sampling 3 Grundschullehrerinnen, 1 Grundschullehrer (1 Montessori-­‐Grundschule, Randbezirk Großstadt in NRW) 4 Gymnasiallehrerinnen, 2 Gymnasiallehrer ( 2 Gymnasien, in 2 Großstädten (Randbezirk) in NRW) Alter von 29 – 63 Jahre Typenbildung Im Anschluss an die Rekonstruktionen von Orientierungsschemata und Orientierungs-­‐
rahmen folgte eine mehrdimensionale sinngenetische Typenbildung; im nächsten Schritt erfolgte die relationale Typenbildung (vgl. Nohl 2013). Die so rekonstruierten Idealtypen (im Weber’schen Sinne) von handlungsleitenden Orientierungen zeigen die Zusammenhänge, in welchen die unterschiedlichen Dimensionen von typischen Orien-­‐
tierungen stehen. Die Kennzeichen dieser Typen sollen im Beitrag kurz erläutert werden. Idealtypen der Beziehungsmuster von Lehrpersonen: Typ 1: Funktionsorientiert, situationsbezogen -­‐ „Man muss funktionieren“ Typ 2: Prozessorientiert, institutionsbezogen-­‐ „Wer arbeitet wird belohnt“ Typ 3: Zielorientiert, zukunftsbezogen– „Der ganze Mensch“ Fallübergreifender Modus – vertikale Differenz: Die rekonstruierten Typen zeichnen sich durch einen gemeinsamen Modus aus. Im Modus vertikaler Differenz werden Erlebnisse von den Akteur_innen reflektiert, Zu-­‐
schreibungen und Anrufungen (vgl. Judith Butler) getätigt, und sich argumentativ als Handelnde_r in Rolle und Person vergewissert. Über die Anrufung, die Art des ‚Spre-­‐
chens über’, werden Grenzen aufgezeigt oder verletzt, Nähe und Distanz hergestellt. Auch die Haltungen gegenüber Schülerinnen und Schüler zeigen sich im Modus der ver-­
tikalen Differenz. Innerhalb der intendierten Handlungsreichweiten knüpfen an diese Haltungen geäußerte Handlungen und Handlungserwartungen. Es werden Bilder von Schüler_innen gezeichnet, die fallübergreifenden Logiken folgen. Das metaphorische Seite 3 von9
Konzept ‚Nähe und Distanz’ zeigt hohe kulturelle Kohärenzen auf, die im Beitrag an Hand von Beispielen ausgeführt wird. Die ambivalenten Anforderungen und das Erleben von Beziehungen der Lehrerinnen und Lehrer in Schule, eine erwünschte ‚Sicherheit’ in der L-­‐S-­‐B, wird über die implizite und/oder explizite Vergewisserung von Überlegenheit hergestellt, welche gleichzeitig als Erwartungserwartung formuliert werden kann. Der Modus der vertikalen Differenz, als Bewertungsmodus, strukturiert die Reflexionen und Argumente der Lehrpersonen dar-­‐
aufhin, wie sie sich selbst und Andere sehen. Einblick in weitere Ergebnisse Da gerade der Beziehungsaspekt nonverbal ausgehandelt wird, den Sprecher_innen nicht vollständig explizit zugänglich ist, gehe ich in dieser Arbeit von einer unvollständi-­‐
gen Darstellung des inkorporierten Wissens aus. Weiter Zugänge und Darstellungsformen scheinen zukünftig relevant. Im Anschluss an einen Befund aus der Meta-­‐Meta-­‐Analyse „Visible Learning“ von John Hattie (2009) zur Expertise und Haltung von Lehrpersonen, gibt das vorliegende Projekt weitere Hinweise, dass die Expertise mit Bezug auf den Erziehungsauftrag von Lehrper-­‐
sonen nicht von Alter, Dauer der Berufstätigkeit, Geschlecht, oder Schulform in engen Zusammenhang gebracht werden kann. Vielmehr scheint es die Art der Reflexion, das Wissen um die eigenen, persönlichen Bedürfnisse der Lehrer_innen und das ‚Können’, der Herstellung von ‚Sicherheit’ in den Beziehungen, die ihre L-­‐S-­‐B als gelungen be-­‐
zeichnen lässt. Es zeigt sich ein differenziertes Bild von Beziehungsmustern, in dem nicht von einer Dimension auf die nächste geschlossen werden kann. Auf den Untersu-­‐
chungsgegenstand ‚Beziehungen’ hin, wird mit Bourdieu gewendet – „Le rèel est relationnel“. Die Verwendung der Metapher von ‚Nähe und Distanz’ hat sich in dieser Studie über eine weiter gefasste Konzeption als ein aufschlussreiches Analysekriterium erwiesen, für die Akteur_innen im Feld jedoch als äußerst hinderlich, um über Beziehungsgestal-­‐
tung zu sprechen. Seite 4 von9
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