Kirchberg Kurzansprache FENZL var1

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Kirchberg, 29. August 2015
Es ist eine gute Gewohnheit geworden, am Beginn unserer Gespräche immer auch Kardinal
König zum jeweils aktuellen Thema kurz zu Wort kommen zu lassen. So hören und sehen wir
ihn diesmal bei der Europavesper 1983, als Papst Johanns Paul II. zum erstenmal Österreich
besuchte; im Jahr 1995, als im Burgenland 4 Roma ermordet wurden und die Menschen in
unserem Land ein Gegenzeichen setzten; in einem rückblickenden Interview aus dem Jahr
2000 erinnert er uns an unsere Verantwortung, der wir schon damals nicht gerecht wurden
und schließlich hören wir ein optimistisches Wort des 98jährigen Kardinals bei der EuropaFriedensvesper im Stephansdom im Jahr 2003, das uns ermutigt, die Mauern in unseren
Köpfen und Herzen niederzureißen und Verantwortung zu übernehmen auf dem Bauplatz von
Europa.
Unser diesjähriges Gespräch ist von beängstigender Aktualität durch das Ereignis dieser
Woche, für das Kommentatoren übereinstimmend noch keine Bezeichnung gefunden haben.
In diesen Zusammenhang scheint mir ein Wort Kardinal Königs aus seiner Rede zur
Eröffnung der Salzburger Festspiele 1998 zu passen. Der Kardinal bezeichnete damals die
Kunst als Seismograph für die Ratlosigkeit unserer Zeit, die Bedrohung unserer Zukunft
durch Angst und Unsicherheit. Und wörtlich sagte er: „In einem solchen Zusammenhang legt
sich mir ein Gedanke von Friedrich Nietzsche nahe, der – wie ein Seismograph seiner Zeit –
meinte: ‚Das Eis, das uns noch trägt, ist dünn geworden. Wir fühlen alle den unheimlichen
Atem des Tauwindes. Wo wir gehen, da wird bald niemand mehr gehen können‘. Soweit
Nietzsche. Und der Kardinal schloss daran die Frage: „Und wie lange wird es uns noch
tragen?“
Ich denke, das ist ein zutreffendes Bild für unsere Tage. Und, so fragen wir weiter, wo würde
wohl Kardinal König angesichts einer solchen Katastrophe, für die uns zurzeit noch eine
adäquate Einordnung fehlt, ansetzen?
Er würde ganz sicher nicht im Stil so mancher Kommentatoren Vorwürfe an gesichtslose
Institutionen, Zentralen, Tintenburgen, aber auch nicht selbstgerecht und unzulässig
vereinfachend und wenig hilfreich an „die Politiker“ im Allgemeinen (Beispiel: Was machen
die Regierungschefs? Urlaub an der Nordsee?) richten, weil er wusste: Institutionen,
Zentralen, Tintenburgen sind nicht gut oder böse, mitfühlend oder egoistisch: sie werden von
Menschen „beseelt“, die gut oder böse, mitfühlend oder egoistisch sind. Und Menschen sind
unterschiedliche Persönlichkeiten, mit unterschiedlicher Empathie, aber alle mit einem
Herzen ausgestattet.
Darum hat Kardinal König zeit seines Lebens auf die Änderung der Herzen gesetzt. Das wird
umso dringlicher, umso mehr sich eine Situation verschlimmert. Das Böse wird nur durch das
Gute besiegt, war er überzeugt. Und das aufdringliche Böse darf uns nicht den Blick
verdunkeln. Es gibt auch jetzt so viel Gutes, das aus der Kraft des Herzens kommt.
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Kraft des Herzens: Da kann Kardinal König uns Vorbild sein. Ein Mensch ohne Angst, mit
Mut zur Diskussion, zur Tat und zur Liebe. Warum?
Weil er neugierig war von Kindestagen an (fremde Sprachen, fremde Religionen, Sie kennen
das alle schon), weil er Sprachen lernte (jeder Österreicher sollte eine östliche Sprache lernen,
sagte er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs).
Weil er unglaublich viel Herzenskraft hatte, (und die kam aus der Geborgenheit seiner
Heimat, wie er bis zuletzt immer wieder betonte). Kraft aus der Heimat, die fast alle, die an
die Tore unserer „Festung Europa“ klopfen oder davor ihr Leben lassen, nicht mehr haben.
Weil er klar unterscheiden konnte, was zählt und was nicht. Darum hing er auch nicht allzu
sehr an äußerlichen Dingen und war überzeugt, dass das zum Leben Notwenige für alle reicht.
Weil er auf der ganzen Welt die Erfahrung machen konnte: dass das, was uns alle verbindet,
jenseits von Rasse, Sprache, Religion und Nation, das Menschsein ist. Dadurch sind wir
aufeinander angewiesen (wie er beim Lichtermeer sagte).
Und weil er gelernt hatte, dass Vielfalt nichts Beängstigens, sondern etwas Bereicherndes ist.
Dass das ganze Leben ein „voneinander lernen“ ist. Weil er ein ewig Lernender war, bis zum
Schluss.
Und weil er überzeugt war, dass da ein Gott ist, der zwar nicht unmittelbar eingreift, was viele
nicht verstehen können, der aber dafür mit großem Ernst von uns erwartet, dass wir unsere
Verantwortung wahrnehmen und uns in seinem Sinn für unsere Nächsten einsetzen.
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Und noch ein kurzes Wort zu Europa: als einer, der zwei Weltkriege, eine schwierige
Zwischenkriegs- und eine nicht weniger schwierige Nachkriegszeit miterlebt hat, war für ihn
ein zusammenwachsendes Europa das Friedenswerk, das jede erdenkliche Mühe lohnt.
Kardinal König war ein unermüdlicher Kämpfer für Europa. In den 60er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts begann er seine Stimme zu erheben. 1983 gab er gemeinsam mit
Karl Rahner einen Sammelband mit dem programmatischen Titel: „Europa – Horizonte der
Hoffnung“ heraus, worin er Autoren von Joseph Ratzinger bis Leszek Kolakowski, dem
vielleicht prominentesten polnischen Philosophen des 20. Jahrhunderts, versammelte. Und er
verstummte erst drei Wochen vor seinem Abschied aus dieser Welt am 13. März 2004 – und
auch dabei ging es um Europa.
Lassen Sie mich damit schließen. Am 11. Februar 2004 konnte er noch seinen alten Freund,
den Altbischof von St. Pölten, Franz Zak, im Dom zu St. Pölten verabschieden - in dem Dom,
wo er vor mehr als 50 Jahres zum Bischof geweiht worden war.
Am 18. Februar 2004 nahm er – als Zeichen des zusammenwachsenden Europas – ein
Ehrendoktorat der rumänischen Universität Cluj/Klausenburg entgegen. „Es ist eine
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Universität aus dem Osten und es geht um Europa“ antwortet er, als man ihm aufgrund seines
bereits sichtbar geschwächten Gesamtzustandes von der anstrengenden Zeremonie – es
handelte sich dabei ja um drei Fakultäten: eine katholische, eine orthodoxe und eine unierte –
abraten wollte. Und er stand die Zeremonie im großen Festsaal der Wiener Universität durch,
es war sein letzter öffentlicher Auftritt. Er sah (in seiner Dankansprache) in der „Ehrung
seiner Person“ ein Zeichen der grenzüberschreitenden Verbindung durch das ökumenische
Christentum in Europa. Nach einem Hinweis auf das „reiche kulturelle Erbe des Ostens und
die Erfahrung, wie man unter den Bedingungen eines menschverachtenden Systems in Würde
überleben kann“ wollte er den akademischen Akt nicht nur auf seine Person bezogen wissen,
sondern stellte ihn „hinein in den großen Zusammenhang des Neubaues unseres Kontinents
mit seinem christlichen Erbe – heute gemeinsam zu verantworten von Ost und West.“
Dann verließen ihn die Kräfte. Gott hat ihm einen würdigen Schlussakkord geschenkt. Und
uns bleibt die Verpflichtung, hier vor Ort in seinem Sinn unseren Beitrag zu leisten für ein
Europa der Zukunft für alle. Der heutige Abend zählt dazu!
Vielen Dank!