1739 - 1950 Aus der Geschichte der evangelischen Gemeinde zu Frei-Weinheim von Philipp Dexheimer Über die Anfänge der kirchlichen Verhältnisse in Frei-Weinheim besitzen wir keine genauen Kenntnisse. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte das Dorf nur eine dem heiligen Michael geweihte Kapelle, die bei der Kirchenteilung nach der Reformation den Katholiken zufiel und als Filiale zu Nieder-lngelheim gehörte. Sie wurde 1760 zu einer größeren Kirche erweitert und nach dem 1. Weltkrieg erneut umgebaut und erhielt einen neuen Turm. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts bestand in Frei-Weinheim auch schon eine kleine evangelische Gemeinde reformierten Bekenntnisses. Sie erbaute sich im Jahre 1739 ein einfaches Kirchlein in der Kirchstraße. Da dieses infolge vieler Rheinüberschwemmungen stark gelitten hatte und auch für die größer gewordene Gemeinde nicht mehr ausreichte, wurde 1910 die neue evangelische Kirche, die heutige Gustav-Adolf-Kirche, an der Rheinstraße nach den Plänen der Darmstädter Architekten Mahr und Marquart erbaut. Die alte Kirche wurde versteigert und abgerissen. In ihrer äußeren Form mit dem Dachreiter sah sie der katholischen Kirche ähnlich; architektonisch bot sie nichts Besonderes. Während des Gottesdienstes saßen Männer und Frauen getrennt. Die Kirchenvorsteher hatten ihren Platz im Chor. Dort saßen auch hinter dem Altar die Schulkinder. Auf einer Empore hinter der Orgel nahmen die jungen Männer Platz. Von ihren Bänken konnten die Schulkinder gut beobachten, wie der Balgtreter hoch und nieder stieg und sich den Schweiß abwischte, wenn der Organist alle Register zog. In der Mitte des Kirchleins stand ein großer eisener Ofen, von dem das Rohr durch ein Fenster ins Freie führte. Der Kirchendiener meinte es immer gut und heizte tüchtig ein. Um die Jahrhundertwende versorgte Pfarrer Ritter aus Ober-lngelheim die Filialgemeinde. Die Pfarrer wurden damals mit einer Chaise von Herrn Theuerkauf von Ober-lngelheim nach Frei-Weinheim gefahren. Nach Errichtung der Selztalbahn benutzten sie diese, gingen aber auch oft zu Fuß, besonders zu den Gottesdiensten im Kriege. Ostern 1910 fand zum letzten Mal Konfirmation in der alten Kirche statt. Bei der Einsegnung läuteten schon die Glocken der neuen Kirche, da der Turm der alten baufällig war und beim Läuten bedenklich schaukelte. Als die alte Kirche abgerissen wurde, fand man unter dem Altar einen Grabstein mit einer sehr schwer leserlichen Inschrift, wahrscheinlich das Grabdenkmal eines wohltätigen Stifters. Die Gebeine aus den Gräbern des reformierten Friedhofs, der wie immer in früheren Zeiten neben der Kirche lag, wurden in einem Sammelgrab auf dem Gemeindefriedhof beigesetzt. Dieser Friedhof war 1841 angelegt worden. Bis dahin wurden die Toten beider Konfessionen auf den Friedhöfen bei den Kirchen beigesetzt. Von den beiden alten Glocken war die ältere, kleinere, 1761 von Martin Rost in Mainz gegossen worden, die größere 1830 von Ewald Schott in Eltville. Letztere wurde an die Gießerei Rincker zu Sinn verkauft, die das Geläute für die neue Kirche lieferte. Die ältere Glocke wurde zur Erinnerung im Turmzimmer der neuen Kirche aufbewahrt. In einer zusammenfassenden Darstellung des kirchlichen Lebens in Frei-Weinheim darf nicht vergessen werden, dass es hier auch einmal eine lutherische Gemeinde gegeben hat. Von 6 lutherischen Familien — einigen aus dem Rheingau — und durch eine Kollekte unterstützt wurde neben der Kurpfälzischen Försterwohnung, dem heutigen zweiten Haus in der Dammstraße, eine kleine Kirche während der Regierungszeit des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz im Jahre 1753 erbaut, die ein Filial der lutherischen Pfarrei von Ober-lngelheim war. Ein gut erhaltener Gedenkstein, der an der Hofseite des Hauses „Gasthaus zur Pfalz“ angebracht ist, weist auf den Ursprung des Hauses hin. Die lateinische Inschrift lautet: Anno MDCCL III. Haedes Gratia Dei in pios Usus Evangelico-Lutheranorum ex aere piorum exstructae regnantibus in Imperio S. C. M. Franc, in Palatinatu S. E. Carolus Teodorus. Zu deutsch: „Im Jahre 1753 wurde dieses Haus zur Ehre Gottes für die frommen Zwecke der Evangelisch-Lutherischen und mit Mitteln der Gläubigen errichtet, als im Reich seine Kaiserliche Majestät Kaiser Franz und in der Pfalz seine Hoheit Karl Theodor regierten.“ Bei einer Renovation des Gasthauses in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts war der zugemauerte Eingang der Kirche in der Dammstraße deutlich zu sehen. Die lutherische Kirchengemeinde bestand bis zum Jahre 1821, als sie mit der uniert gewordenen Gemeinde verschmolz. Nikolaus Schaurer kaufte die Kirche und vereinigte sie mit seinem Wohnhaus, der ehemaligen Försterei. Es war für die verhältnismäßig arme evangelische Gemeinde eine schwere Entscheidung, als sie sich im Jahre 1904 zu einem Kirchenneubau entschloß. Spargel- und Obstbau, die heutige Quelle des Wohlstandes, waren damals noch in den ersten Anfängen. Die Bauern besaßen meistens ein paar Weinberge. Die ersten Jahre im neuen Jahrhundert waren aber alle Missjahre. Nachtfröste, Reblaus und andere Schädlinge machten den Weinbau unrentabel, so dass die Weinberge ausgehauen wurden. Zunächst suchte die Gemeinde durch Spenden aus den eigenen Reihen einen Grundstock für den Kirchneubau zu schaffen. Gleichzeitig wurden aber Bittbriefe an finanzkräftige Persönlichkeiten geschickt, so auch an den Landesherrn, von denen man eine Beihilfe erwartete. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen spendete am 1. November 1904 eine Summe von 200 Mark, die Bittschrift an seine Schwester, die Zarin Alexandra Feodorowna von Russland, blieb ohne Erfolg. Zur schnelleren Förderung des Kirchenbaus wurde 1909 ein Kirchenbauverein gegründet, dessen Vorstand angehörten: Vorsitzender Dr. Hermann Bopp, Schriftführer Lehrer Philipp Dexheimer, Rechner Philipp Schaurer, Beisitzer Pfarrvikar Döring, August Heupt, Jakob Kloos, Friedrich Kremer und Oswald Schleif. Viele Sitzungen fanden statt, unzählige Briefe wurden an Schwestergemeinden geschrieben. Frauen wurden als Kollektantinnen eingesetzt. So sammelten Frau Burger und Frau Kaspar Schweikard von Haus zu Haus in den Orten des Kreises Bingen. Ein Vertrag mit dem Bildervertrieb Greiner in Jugenheim/Bergstr. erwies sich als Verlustgeschäft. Aber als der GustavAdolf-Verein, der Vorgänger des heutigen Gustav-Adolf-Werkes, eine namhafte Summe zur Verfügung stellte, konnte mit dem Bau begonnen werden. Am 13. November 1910 fand die Einweihung des neuen Gotteshauses in Anwesenheit von Prälat Dr. Flöring und Dekan Jacob statt. Die Predigt hielt Pfarrer Scharmann, der Anfang desselben Jahres als Nachfolger von Pfarrer Döring nach Ober-lngelheim gekommen war. Über 40 Jahre — bis zu seiner Pensionierung — hat Pfarrer Scharmann der Gemeinde Frei-Weinheim gedient. In diesen langen Jahren stand ihm vor allem Lehrer Philipp Dexheimer zur Seite, der seit 1890 hier wirkte, u. a. Gründer und Leiter des ev. Kirchengesangvereins und über 40 Jahre lang bis zu seinem Wegzug Kirchenrechner war. Von den 3 Glocken der neuen Kirche mussten die beiden größeren während des 1. Weltkrieges abgeliefert werden. Die kleine Glocke wurde nach dem Kriege verkauft, als ein neues Gußstahlgeläute angeschafft wurde, gegossen beim Bochumer Verein. Es hat den Dreiklang fis-ais-cis. Die größte Glocke wiegt 1000 kg und trägt die Inschrift: „Gottes Will kennt kein Warum“. Sie war eine Stiftung der Familie Dr. Hermann Bopp zur Erinnerung an ihren im Krieg gefallenen Sohn. Die mittlere Glocke, 400 kg schwer, ist die Gebetsglocke, „Bittet, so wird euch gegeben“ steht darauf. Die kleinste, 225 kg schwer, trägt den Spruch: „Wachet, stehet im Glauben“. Da im 2. Weltkrieg nur Bronzeglocken abgeliefert werden mussten, blieb der Gemeinde das Geläute erhalten.
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