Forschungsschwerpunkte - Prof. Dr. Marina V. Rodnina (pdf

Forschungsschwerpunkte – Professor Marina Rodnina
Schwerpunkt der Arbeiten meiner Abteilung Physikalische Biochemie am Göttinger MaxPlanck-Institut für biophysikalische Chemie sind molekulare Mechanismen der Biosynthese
von Proteinen am Ribosom, die frühe Faltung von Proteinen während ihrer Synthese und die
Einlagerung von Proteinen in die Zellmembran.
Um diese zu untersuchen, setzen wir biophysikalische Methoden ein. Mithilfe schneller kinetischer Techniken (stopped-flow, quench-flow) können wir beispielsweise Reaktionen am
Ribosom in Echtzeit (Millisekunden bis Sekunden) verfolgen. Darüber hinaus wenden wir die
Fluoreszenzspektroskopie einschließlich der Einzelmolekülfluoreszenz an. Ziel unserer Arbeiten ist es, besser zu verstehen, wie atomare Bewegungen des Ribosoms in der Zelle in
molekulare Dynamik und koordinierte Proteinbiosynthese übersetzt werden. Ribosomen sind
nicht zuletzt Angriffspunkt für viele Antibiotika; daher kann das vertiefte Verständnis ihrer
Funktion zur Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffe beitragen – ein Forschungsfeld,
das wegen der Zunahme resistenter pathogener Erreger immer wichtiger wird.
Ribosomen sind makromolekulare Maschinen, die aus mehreren Ribonukleinsäuren (RNA)
und zahlreichen Proteinen bestehen. Sie sind evolutionär sehr alt und arbeiten in allen Zellen
und Organismen in sehr ähnlicher Weise. Ribosomen synthetisieren Proteine mit hoher Geschwindigkeit bei gleichzeitig geringer Fehlerrate. Dabei spielt die strukturelle Dynamik des
Ribosoms eine wesentliche Rolle. Während das Ribosom, programmiert durch die genetisch
festgelegte Nukleotidsequenz der Boten-RNA (mRNA), in einem zyklischen Prozess Aminosäuren in das wachsende Protein einbaut, verändert es ständig seine räumliche Struktur.
Dabei spielen Proteinfaktoren eine Rolle, die an das Ribosom binden und dessen Funktionen
steuern.
Unsere kinetische Analyse zeigte, dass für die hohe Genauigkeit der Substraterkennung ein
bis dahin nicht bekannter Mechanismus der kinetischen Diskriminierung verantwortlich ist. Im
weiteren Verlauf des Synthesezyklus greift ein Hilfsenzym (EF-G) ein, das durch Kopplung
mit chemischer Energie eine weiträumige Umstrukturierung des Ribosoms bewerkstelligt –
ähnlich wie Motorproteine in Muskelzellen chemische Energie in mechanische Arbeit verwandeln. Auch hier hat die kinetische Analyse wesentlich zum Verständnis der molekularen
Umlagerungen beigetragen, die den spontanen, thermisch getriebenen strukturellen Veränderungen des Ribosoms eine Richtung geben.
Kürzlich konnten wir ein weiteres Hilfsprotein (EF-P) funktionell charakterisieren, dessen
Wirkungsweise lange Zeit nicht verstanden war. Wir haben gezeigt, dass es bei der Synthese bestimmter, selten vorkommender Proteinabschnitte eine wichtige Rolle spielt. Diese Untersuchungen werden wir auf weitere Hilfsfaktoren ausdehnen. Unser Ziel ist es, zu verstehen, wie die Wechselwirkung dieser Faktoren mit dem Ribosom gesteuert wird, um bestimmte, an den jeweiligen physiologischen Zustand der Zelle angepasste Proteine herzustellen.
Im Normalfall ist die Proteinbiosynthese sehr genau; vor allem das Leseraster der mRNA
wird sehr genau eingehalten. Umso interessanter sind daher die in einigen Fällen beobachteten programmierten Verschiebungen des Leserasters. Unsere biochemischen und kinetischen Analysen haben gezeigt, wie Eingriffe in die grundlegende Dynamik des Ribosoms zu
solchen Rasterverschiebungen führen. Ein verwandtes Thema ist die Erweiterung des genetischen Codes durch alternative Translation („recoding“), insbesondere von Terminationscodons. Im Normalfall werden 20 Standard-Aminosäuren in Proteine eingebaut – es gibt jedoch
Ausnahmen. So werden in einem bestimmten mRNA-Kontext an Terminationscodons auch
Forschungsschwerpunkte – Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2016
Professor Marina Rodnina
Februar 2016
DFG
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Nicht-Standard-Aminosäuren wie beispielsweise Selenocystein eingebaut. Unsere mechanistischen Untersuchungen tragen wesentlich zum Verständnis des Selenocystein-Einbaus
bei. Gleichzeitig lernen wir auch etwas über den Einbau von Standard-Aminosäuren.
Die meisten Proteine müssen eine definierte räumliche Struktur einnehmen, um ihre Aufgabe
in der Zelle zu erfüllen. Falten sie sich falsch, kann dies zu Krankheiten wie Alzheimer oder
anderer neurodegenerativer Erkrankungen führen. Wir untersuchen den Einfluss des Ribosoms auf die frühe Faltung von Proteinen schon während ihrer Synthese. Das Proteinbiosynthese-System, das wir etabliert haben, erlaubt uns, die Faltung während der Synthese bei
Geschwindigkeiten zu untersuchen, die der Situation in vivo nahekommen. Wir beobachten
dabei die Faltung kleiner Proteindomänen bereits im Peptidaustrittstunnel des Ribosoms.
Der Einfluss des Ribosoms auf die cotranslationale Proteinfaltung und weitere frühe Faltungsschritte werden uns in Zukunft intensiv beschäftigen.
Ein großer Teil der Proteine der Zelle sind Membranproteine. Ihre Einlagerung in die
Membran erfolgt bei vielen cotranslational, vielfach mithilfe des Signalerkennungspartikels
(SRP). Das SRP bindet in einem frühen Stadium der Synthese eines Membranproteins an
Ribosomen und führt sie über die Wechselwirkung mit dem SRP-Rezeptor an die Translokationspore („Translocon“) in der Membran. Wir untersuchen die Wechselwirkungen zwischen
Ribosom, SRP, SRP-Rezeptor und Translocon sowie die strukturelle Dynamik des
Translocons bei der sukzessiven Einlagerung von Transmembrandomänen in die Membran
und die damit verbundenen topologischen Umlagerungen.
Unsere Arbeiten haben sich bisher auf das System aus Bakterien konzentriert. In Zukunft –
auch ermöglicht durch den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis – werden wir die Arbeiten auf
Systeme aus komplexeren Organismen ausdehnen und wichtige Fragen der Synthese, Faltung und Lokalisierung von Proteinen sowie der zellulären und suprazellulären Regulation
mit aufnehmen.
Forschungsschwerpunkte – Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2016
Professor Marina Rodnina
Februar 2016
DFG