535 THEODOR W. ADORNO BACH GEGEN SEINE

Vorschau - Klett-Cotta Verlag, J. G. Cotta'sche Buchhandlung
Theodor W. Adorno j Bach gegen seine Liebhaber
Willst von Stern zu Stern du
Deiner Laute
Wie die Feuerfliege
schwingen
Deinen Lockruf,
nur
daß sie rüste ?
wie bald ist es zu
spät!)
Daß auch ich es lauschend
wüßte,
Was ich will und kann und
müßte,
Wenn die gute Nacht
vergeht!
Doch es hat ja schon
begonnen.
Meine Drossel ist
Und die Strophen
verstummt,
sind
Hab ich Stille nun
zerronnen.
gewonnen?
Horch! Der Lag, von fern
Kommt
die Gasse. Sanftes
Huf im
Singen
dringen ?
Sendest du der Lerche
Muntrer
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Perlenschnur,
Soll durch Busch und Laub dein
(Bald,
verleidigt
umsummt.
Tosen.
Morgenlicht,
In den Wolken blühen
Bosen,
Lieder, Lerchen. Doch im losen
Laube rauschis, wo zwischen
Meine Drossel Würmer
THEODOR
W.
Moosen
sticht.
ADORNO
BACH G E G E N S E I N E L I E B H A B E R
VERTEIDIGT
1
D
ie heute herrschende musikwissenschaftliche Ansicht von Bach
trifft zusammen mit der Rolle, die ihm Stagnation und Betriebsamkeit der auferstandenen Kultur zuweisen. Es soll sich in ihm, mitten
im aufgeklärten J a h r h u n d e r t , nochmals die traditional verbürgte Gebundenheit, der Geist der mittelalterlichen Polyphonie, der theologisch
überwölbte Kosmos offenbaren. Seine Musik sei dem Subjekt und seiner
Zufälligkeit enthoben; sie töne nicht sowohl vom Menschen und seinem
Inwendigen, als daß in ihr die Ordnung des Seins an sich verpflichtend
laut werde. Die als unveränderlich und unausweichlich vorgestellte Struktur solchen Seins wird zum Surrogat des Sinnes: was nicht anders sein
kann als es erscheint, zur Rechtfertigung seiner selbst. An ihn halten sich
alle, die, des Glaubens wie der Selbstbestimmung entwöhnt oder ihrer