Auswertung der rheologischen und optischen

Auswertung der rheologischen und optischen Untersuchungen während der
Gelierung des Systems Gelatine / Wasser mit Hilfe der Perkolationstheorie
Dem Fachbereich 6 (Chemie-Geographie)
der
Gerhard-Mercator-Universität-Gesamthochschule Duisburg
zur Erlangung des akademischen Grades eines
Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.)
eingereichte Dissertation
von
Markus Lechtenfeld
aus
Duisburg
Die vorliegende Arbeit wurde im Fachgebiet
Angewandte Physikalische Chemie
der Gerhard-Mercator-Universität-GH Duisburg angefertigt.
Berichterstatter:
Prof. Dr. Werner Borchard
Prof. Dr. Wiebren S. Veeman
Eingereicht am:
Tag der mündlichen Prüfung:
13.03.2001
13.06.2001
Ich danke Herrn Prof. Dr. W. BORCHARD für die interessante Aufgabenstellung,
seine fachliche Betreuung, Hilfestellung, die gewährte Freiheit bei der
Durchführung dieser Arbeit sowie seine ständige und unermüdliche Bereitschaft
zur fruchtbaren Diskussion.
Herrn Prof. Dr. W. S. VEEMAN danke ich für die freundliche Übernahme des
Korreferats.
Mein Dank gilt der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT (DFG) für die
finanzielle Unterstützung.
Ich danke allen Mitarbeitern des Fachgebietes Angewandte Physikalische
Chemie, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. In
wissenschaftlicher Hinsicht danke ich MICHAEL KISCHEL für seine ständige
Hilfsbereitschaft in Hard- und Softwarefragen, die insbesondere bei der
Realisierung der neuen Steuereinrichtung des Rheometers auftraten. In diesem
Zusammenhang danke ich ebenfalls VOLKER FISCHER für seine unerlässlichen
Hilfestellungen beim Umgang mit dem Atari Computer sowie VOLKER
KÖRSTGENS für die zeitsparende Hilfe bei der Programmierung der neuen
Software. In verwaltungstechnischer Hinsicht danke ich Frau CHRISTEL VON DER
WARTH, die nicht selten unter Aufwendung von Mehrarbeit alle
personaltechnischen Fragen stets zuverlässig koordiniert hat.
Ich danke der Urbesetzung der Kaffeerunde, Dr. DIRK KISTERS und PASCAL
JABLONSKI für die wissenschaftlichen Diskussionen, Unterstützung und prompte
Hilfsbereitschaft bei auftretenden Problemen. Herrn JABLONSKI danke ich
weiterhin für die Übersicht des Manuskriptes und die Hilfestellungen bei der
Gestaltung dieser Arbeit.
Ganz besonders möchte ich mich bei zwei Lehrern bedanken, die mir aus
meiner Schul- bzw. Lehrzeit in bester Erinnerung geblieben sind. Frau BREXEL
danke ich für ihre Toleranz und Geduld, die ich während meiner Realschulzeit
sehr strapaziert habe. Herrn HAIER, der die Fähigkeit besitzt, Theorie und Praxis
der Chemie so zu vermitteln, dass daraus eine lebendige Wissenschaft wird,
die man sich nach seiner Ausbildung gerne zum Beruf macht, sei ebenfalls
gedankt.
If you are right – you are happy,
if you are wrong – you learn something.
Sir Harold Kroto
(Winner of the 1996 Nobel Prize in Chemistry)
Justina,
Luca, dem Kikimann
und meiner lieben Mutter gewidmet.
INHALT
INHALT
EINLEITUNG ................................................................................... 1
THEORETISCHER TEIL ........................................................... 3
1
Dreidimensionale Netzwerke .............................................................. 3
1.1 Was ist ein Gel? ............................................................................ 3
1.2 Die Klassifizierung der Gele .......................................................... 4
1.3 Das System Gelatine / Wasser...................................................... 6
1.3.1 Struktur, Aufbau und Herstellung von Gelatine................. 7
1.3.2 Physikalische Eigenschaften ............................................ 9
2
Grundlagen der Rheologie................................................................ 11
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
Viskoses Verhalten von Flüssigkeiten ......................................... 11
Elastisches Verhalten von Festkörpern ....................................... 14
Viskoelastisches Verhalten von Polymerschmelzen.................... 16
Der Kriech- und Spannungsrelaxationsversuch .......................... 17
Das BOLTZMANNsche Superpositionsprinzip ................................ 18
Das dynamische Experiment....................................................... 20
3
Polarimetrie ........................................................................................ 23
4
Gelierung aus der Sicht der Perkolationstheorie............................ 27
4.1 Was ist Perkolation?.................................................................... 27
4.2 Perkolation und Sol-Gel-Umwandlung ........................................ 29
4.3 Kritische Exponenten .................................................................. 32
EXPERIMENTELLER TEIL ...................................................... 35
5
Probenmaterial und Vorbereitung.................................................... 35
6
Versuchsaufbau zur simultanen Bestimmung der optischen
und rheologischen Kenngrößen....................................................... 36
6.1 Das dynamische Schwingungsviskosimeter................................ 37
6.1.1 Messsystematik .............................................................. 39
INHALT
6.1.2
Mathematische Beschreibung des dynamischen
Experiments.................................................................... 42
6.2 Das Polarimeter........................................................................... 47
6.2.1 Messsystematik .............................................................. 49
6.2.2 Berechnung der Messgrößen ......................................... 50
ERGEBNISSE UND DISKUSSION ............................................ 51
7
Übersicht der durchgeführten Messungen...................................... 51
8
Die Bestimmung des Gelpunkts und der kritischen Exponenten . 52
8.1 Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls ................. 52
8.2 Auswertung nach der Perkolationstheorie................................... 54
8.2.1 Die normierten Perkolationsansätze ............................... 56
8.2.2 Der modellierte Verlauf der Gelierkurven........................ 61
8.2.3 Die kombinierten Perkolationsansätze............................ 63
8.3 Diskussion der kritischen Exponenten......................................... 68
8.3.1 Der kritische Exponent ν................................................. 68
8.3.2 Der kritische Exponent µ................................................. 69
8.3.3 Das Skalenverhalten der kritischen Exponenten ............ 74
8.4 Zusammenhang zwischen dem komplexen Schubmodul
und der optischen Drehung ......................................................... 77
9
Die mathematische Beschreibung der G'(t) Funktion
- Das Aggregationsmodell - .............................................................. 83
ZUSAMMENFASSUNG ........................................................... 89
ANHANG ............................................................................. 91
A-1 Ergebnisse der Auswertung nach der Perkolationstheorie. ................. 91
A-2 Ableitung weiterer CF. ......................................................................... 94
A-3 Messkurven der untersuchten Systeme............................................... 97
LITERATURVERZEICHNIS .................................................... 108
EINLEITUNG
1
EINLEITUNG
Gelatine ist ein Polypeptid und wird vornehmlich aus dem im Stützgewebe
(Haut, Knochen) von Rindern und Schweinen enthaltenen Kollagen gewonnen.
Sie findet mannigfaltigen Einsatz in der Kosmetik-, Photo-, Pharma- und
Lebensmittelchemie. Man bedient sich hierbei der besonderen Eigenschaft der
Gelatine, in wässerigem Milieu thermoreversible Gele auszubilden. Hierunter
versteht man, dass alleine durch die Veränderung der Temperatur der Übergang vom flüssigen Zustand (Sol) in den festen Zustand (Gel) beliebig oft wiederholt werden kann. Dieser Vorgang ist mit einer deutlichen Änderung der
rheologischen Eigenschaften verbunden, was mit Hilfe der Rheologie, die sich
mit den mechanischen Eigenschaften von Flüssigkeiten bzw. Festkörpern
beschäftigt, beobachtet werden kann. Grundvoraussetzung für die Gelbildung
im System Gelatine ist die Fähigkeit der Polypeptide, aufgrund von Wasserstoffbrückenbindung Ein- oder Mehrfachhelices zu bilden, die letzten Endes die Bildung der Netzwerkpunkte ausmachen. Der Charakter des Netzwerkes ist daher
physikalischer Natur, was die thermoreversiblen Eigenschaften des Systems
Gelatine / Wasser erklärt. Die Bildung der Helices lässt sich wiederum mit Hilfe
optischer Methoden verfolgen, da die Helices ähnlich der optisch aktiven Substanzen die Schwingungsebene des Lichtes drehen.
Der Vorgang der Sol-Gel-Umwandlung bzw. der Gelierung wird als Phasenumwandlung bezeichnet und stellt für Wissenschaftler, die sich mit derartigen
Problemen befassen, ein sogenanntes kritisches Phänomen dar. Für derartige
kritische Phänomene wurden Theorien entwickelt, die Aufschluss über das Verhalten der untersuchten Systeme in diesem kritischen Bereich geben und dabei
den Übergang - in diesem Fall die Umwandlung vom flüssigen in den festen
Zustand - genau bestimmen. Eine Theorie, die sich mit diesen kritischen Phänomenen beschäftigt, ist die Perkolationstheorie. Sie sagt ein Potenzverhalten
für den zeitlichen Verlauf der rheologischen Kenngrößen in der Nähe der SolGel-Umwandlung voraus.
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, mit Hilfe des in der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalische Chemie der Gerhard-Mercator-Universität um Prof. Dr.
W. BORCHARD konstruierten dynamischen Schwingungsviskosimeters den
Punkt der Sol-Gel-Umwandlung genau zu lokalisieren, sprich die Gelierzeit zu
bestimmen. Dies soll anhand der Auswertung der rheologischen Kenngrößen
nach der Perkolationstheorie geschehen. Vorab soll die Steuereinrichtung des
Schwingungsviskosimeters vom veralteten Atari Betrieb auf PC Betrieb umge-
EINLEITUNG
2
stellt werden, sodass die Messzeit zwischen zwei Messpunkten von jetzt 18 s
deutlich kleiner wird.
Die oben erwähnte Perkolationstheorie besitzt nur Gültigkeit in der Nähe des
Umwandlungspunktes. Das im späteren Verlauf der Arbeit als Perkolationsbereich bezeichnete Gebiet kann bis heute nicht scharf eingegrenzt werden. Im
Zusammenhang mit der Auswertung nach der Perkolationstheorie soll hier der
Versuch unternommen werden, diesen Perkolationsbereich unter Berücksichtigung der in der Theorie gemachten Annahmen besser zu definieren.
Aus der Literatur ist kein Modell bekannt, das die Gelierung sowohl qualitativ als
auch quantitativ beschreibt. Basierend auf der Perkolationstheorie soll ein
Aggregationsmodell diskutiert werden, das die Kinetik in der Nähe des Umwandlungspunktes sowie in weiterer Entfernung dazu mathematisch und physikalisch sinnvoll beschreibt.
Wie oben erwähnt lässt sich mit Hilfe rheologischer sowie optischer Kenngrößen die Sol-Gel-Umwandlung beobachten. Durch Konstruktion eines Versuchsaufbaus, in dem das dynamische Schwingungsviskosimeter sowie ein
Polarimeter integriert sind, sollen diese Größen miteinander korreliert werden.
Es soll dabei die Frage geklärt werden, ob eine Proportionalität zwischen den
optischen und rheologischen Kenngrößen in der Nähe des Gelpunkts existiert.
Des Weiteren soll mit Hilfe der simultanen Messungen ein vor vielen Jahren
gefundenes Potenzverhalten zwischen den oben erwähnten Kenngrößen überprüft werden.
THEORETISCHER TEIL
3
THEORETISCHER TEIL
1
Dreidimensionale Netzwerke.
1.1 Was ist ein Gel?
"The colloidal state, the gel, is one which is easier to recognize than to define".1
Dieser Kommentar von JORDAN LLOYD aus dem Jahre 1926 trifft 75 Jahre später
die Sache deutlicher denn je. Die wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet
der Gele halten weiterhin an und somit auch die Diskussion über die Definition
des Zustandes eines Gels.2 Dass die Wissenschaftler mit der Definitionsfrage
stellenweise sehr humorvoll umgehen, zeigt die Äußerung von KLAAS TE
NIJENHUIS in seinem Buch Thermoreversible Networks.3
"A gel is a gel, as long as one cannot prove that it is not a gel".
Eine allgemein anerkannte Definition stammt aus dem Jahre 1949 von P.H.
HERMANS: 4
•
•
•
Gele sind kohärente, kolloide, disperse Systeme, die sich aus mindestens
zwei Komponenten zusammensetzen,
sie verfügen über die für Festkörper charakteristischen mechanischen
Eigenschaften,
sowohl die dispergierte Komponente als auch das Dispersionsmedium
erstrecken sich kontinuierlich über das gesamte System.
Etwas anschaulicher lässt sich der Zustand des Gels wie folgt beschreiben: Bildet ein makromolekularer Stoff bei der Synthese in einem Lösemittel unter der
Aufnahme desselben ein dreidimensionales Netzwerk aus oder quillt ein bereits
vorhandenes Netzwerk durch Aufnahme des Lösemittels, so spricht man von
einem Gel. Ein Gel ist dadurch charakterisiert, dass das Netzwerk seine äußere
Gestalt beibehält und elastische Eigenschaften besitzt. Im engeren physikalischen Sinne besitzt das Netzwerk jetzt viskoelastische Eigenschaften
(s. Kap. 2).5 Der Vorgang einer kontinuierlichen Phasenumwandlung einer
1
Lloyd JD (1926) In: Alexander J (ed) Colloid chemistry I. Chemical Catalog Company, New
York, p. 767
2
Almdal K, Dyre J, Hvidt S, Kramer O (1993) Polymer Gels Networks 1:5
3
te Nijenhuis K (1997) Thermoreversible Networks, Springer, Berlin Heidelberg New York, p. 3
4
Hermans PH (1949) In: Kruyt HR (ed) Colloid Science II, Elsevier, Amsterdam, p. 483
5
Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10
THEORETISCHER TEIL
4
polymeren Lösung (Sol) zu einem viskoelastischen Festkörper (Gel) wird als
Prozess der "Gelierung" bezeichnet.
Die kürzeste Definition eines Gels stammt von BORCHARD. Er definiert ein Gel
als eine aus dreidimensionalen, polymeren Netzwerken bestehende flüssige
Mischphase, die elastische Eigenschaften besitzt.6
1.2 Die Klassifizierung der Gele.
Anhand ihrer strukturellen Eigenschaften teilt FLORY die Gele in vier Gruppen
ein:7
1.
2.
3.
4.
Geordnete lamellare Strukturen, die Gelmesophasen enthalten.
Kovalente polymere Netzwerke, die vollständig ungeordnet vorliegen.
Durch physikalische Aggregation gebildete physikalische Netzwerke, die
überwiegend ungeordnete und teilweise geordnete Bereiche aufweisen.
Kleinste Teilchen mit ungeordneten Strukturen.
Beispiele für die in Gruppe 1 aufgeführten Gele sind Seifengele sowie wässrige
Dispersionen verschiedener Tonmaterialien (Kaolinit). Dabei können die Kräfte
zwischen den Lamellen polarer oder elektrostatischer Natur sein.8
Unter kovalenten polymeren Netzwerken (Gruppe 2) versteht man Makromoleküle, die nach einer chemischen Reaktion (wie z.B. Polykondensation, radikalische Polymerisation, Polyaddition) hauptvalenzmäßig, d.h. chemisch miteinander verknüpft sind (s. Abb. 1.1.). Für die Ausbildung eines dreidimensionalen
Netzwerkes bedeutet dies, dass eine Verknüpfungsstelle im Netzwerk mindestens trifunktionell sein muss, d.h. mindestens drei von ihr ausgehende kovalente Bindungen aufweisen muss. Chemisch vernetzte Polymersysteme werden
außerdem als permanente oder auch irreversible Gele bezeichnet, da sie nur
durch einen Bindungsbruch wieder in einzelne Polymerketten (bzw. Solzustand)
überführt werden können.9 Beispiele für diese Art von Gelen sind vulkanisierter
Kautschuk (Gummi) oder wassersensitive Polyurethannetzwerke.
6
Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580
Flory PJ (1974) Disc Faraday Soc 57:1
8
Borchard W (1983) In: Finch CA (ed) Thermoreversible Gelation, Cambridge Residental
School of Chemistry, Plenum Press
9
Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10
7
THEORETISCHER TEIL
5
Physikalisch vernetzte Makromoleküle (Gruppe 3) werden in den Vernetzungsstellen durch schwächere Kräfte wie z.B. durch inter- und intramolekulare HBrückenbindungen oder durch mechanische Verschlaufungen der Polymerketten (entanglements) zusammengehalten.
Abb. 1.1. Chemisch (hauptvalenzmäßig) vernetzte Makromoleküle mit einer Funktionalität (f) von f = 4 an den Verknüpfungstellen des Netzwerkes
Weiterhin können polymere Ketten über kristalline sowie glasige Bereiche miteinander verknüpft sein.10 (s. Abb. 1.2.). Bei den physikalisch vernetzten Gelen
ist es möglich, die Struktur des Netzwerkes (Gel) durch Änderung der Temperatur oder der Konzentration zu zerstören und wieder in den Zustand der Polymerlösung (Sol) zu überführen. Diese Gel-Sol-Umwandlung kann rückgängig
gemacht werden, wenn die ursprünglichen äußeren Bedingungen wieder hergestellt werden. Aus diesem Grund werden diese physikalisch vernetzten Gele
auch als reversible Gele bezeichnet 11 Vernetzungen durch mechanische Verschlaufungen (entanglements) treten bei Molekülen mit großen molekularen
Massen, langen Ketten und ausreichender Kettenflexibilität auf. Diese Verschlaufungen oder Verhakungen der Polymerketten werden durch hohe Konzentrationen und niedrige Temperaturen begünstigt. Vernetzungen über glasige
Bereiche können bei aus zwei Komponenten bestehenden Blockcopolymeren
auftreten. Dabei liegt eine der beiden Komponenten bei der Versuchstemperatur glasig erstarrt, die andere im gummielastischen Zustand vor. Bei der Vernetzung über kristalline Bereiche liegt ein teilkristallines Polymer vor, dessen
amorphe Bereiche über kristalline Bereiche vernetzt sind. Die Ausbildung von
H-Brückenbindungen wird häufig bei aminofunktionellen Makromolekülen beobachtet. Es können sich hier Assoziate oder Mikrokristallite in den Netzwerkbe-
10
Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10
Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Gels and Mesophases, The Centre of
Professional Advancement 5, Chicago
11
THEORETISCHER TEIL
6
reichen bilden.12 Diese Art der Vernetzung wird ebenfalls bei der Gelierung von
wässriger Gelatine-Lösung beobachtet. Hinsichtlich der Thematik der vorliegenden Arbeit soll der Gelatine und deren physikalischem Verhalten in Wasser
ein gesondertes Kapitel gewidmet werden (s. Kap. 1.3).
a
b
c
Abb. 1.2. Nebenvalenzmäßige Vernetzung über a) mechanische Verschlaufungen
(entanglements), b) kristalline Bereiche und c) glasige Bereiche
Bei den in der Gruppe 4 definierten Gelen handelt es sich im Allgemeinen um
lockere Ausflockungen, die gewöhnlich aus Partikeln mit großer geometrischer
Anisotropie bestehen, wie z.B. Protein-Aggregate oder das natürliche Kollagen.13
1.3 Das System Gelatine / Wasser.
Die wässrigen Lösungen der Gelatine sind die klassischen Vertreter der thermoreversiblen Gele. Sie gelten als die in der Vergangenheit am häufigsten
untersuchten reversibel gelierenden Systeme. In den Forschungsarbeiten des
20. Jahrhunderts erfreuen sie sich deshalb hoher Beliebtheit, da noch kein
zuverlässiges Modell gefunden wurde, das eine qualitative und quantitative
Beschreibung der Kinetik der Netzwerkbildung zulässt. Im Folgenden soll kurz
auf die Struktur, die Gewinnung bzw. Herstellung, die Anwendungsgebiete der
Gelatine sowie auf ihr physikalisches Verhalten im wässrigen Medium eingegangen werden.
12
Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10
Borchard W (1983) In: Finch CA (ed) Thermoreversible Gelation, Cambridge Residental
School of Chemistry, Plenum Press
13
THEORETISCHER TEIL
7
1.3.1 Struktur, Aufbau und Herstellung von Gelatine.
Bei der Gelatine handelt es sich um ein hochmolekulares Polypeptidgemisch,
welches aus dem im Stützgewebe (Knochen, Haut) von Schweinen oder Rindern enthaltenen Kollagen gewonnen wird. Bis heute sind 17 verschiedene
Kollagen-Typen identifiziert, die sich nur durch die Zusammensetzungen der
Aminosäuren unterscheiden.14
35 nm
300 nm
Kollagen-Fibrille
(Quartärstruktur)
67 nm
300 nm
stäbchenförmiges
Tropokollagen
rechtsgängige Superhelix
(Tertiärstruktur)
linksgängige α-Helix
(Sekundärstruktur)
- X - Y - GLY - X - Y
Aminosäuresequenz
(Primärstruktur)
Abb. 1.3. Feinstruktur und molekularer Aufbau von Kollagen15
Der Aufbau des Kollagens ergibt sich aus einer gestaffelten Anordnung der
Kollagenmoleküle, dem sogenannten fibrillären Aufbau. Jedes dieser einzelnen
Kettenmoleküle, der Tropokollagene, wird durch die Ausbildung einer rechtsgängigen Superhelix aufgebaut. Diese Superhelix besteht wiederum aus drei
Polypeptidketten, von denen sich jede aus ca. 1050 Aminosäuren zusammensetzt. Die Polypeptidketten unterscheiden sich ihrerseits durch die Anordnung
der Aminosäuren in den Ketten. Das Mittelstück der Peptidketten weist einen
regelmäßigen Aufbau der Aminosäuresequenzen auf, wobei die folgenden
Anordnungen häufig beobachtet werden:
14
15
Babel W (1996) Chemie in unserer Zeit 30:86
Pezron I, Djabourov J (1990) Polym Sci B, Polym Phys 28:1823
THEORETISCHER TEIL
8
gly - pro - hyp
gly - pro - ala
gly - ala - hyp
(gly: Glycin; pro: Prolin; ala: Alanin; hyp: Hydroxyprolin).
Die Realisierung der Helicierung sowie die Bildung der Superhelix ist vermutlich
durch die kleine, räumlich günstige Aminosäure Glycin gegeben.16,17
Herstellung. Bei den Herstellungsverfahren zur Gewinnung der Gelatine aus
Kollagen unterscheidet man zwei Aufschlussverfahren:
Beim alkalischen Verfahren werden Knochen oder Rinderspalt als Rohstoff
verwendet, welcher in einem mehrwöchigen, als Äscherung bezeichneten Verfahren, mit konzentrierter Calciumhydroxid-Lösung behandelt wird.
Durch die Verwendung von Schweineschwarten von Jungtieren, die einen
geringen Anteil an quervernetztem Kollagen enthalten, ist dieser langwierige
Prozess der Äscherung nicht erforderlich. Im sogenannten sauren Verfahren
genügt eine kurze Behandlungszeit von drei Tagen mit verdünnter Salzsäure,
um das Kollagen aufzuschließen.
Beiden Verfahren schließt sich derselbe Extrahierungsprozess an. Dieser
gestaltet sich derart, dass, nach einer ausreichenden Neutralisation, die Gelatine mit heißem Wasser in mehreren Schritten zwischen 40 und 90°C behandelt
wird. Die Extrakte unterscheiden sich anschließend in ihren chemischen und
physikalischen Eigenschaften. So weisen die ersten Extrakte höhere molare
Massen, eine engere Molmassenverteilung und eine höhere Gelfestigkeit auf.18
Anwendungsgebiete. Aufgrund der Fähigkeit der Gelatine, thermoreversible
Gele zu bilden, sowie als Schutzkolloid zu fungieren, findet sie in der Industrie
ein weitgefächertes Anwendungsgebiet. In der Lebensmittelchemie wird sie als
Gelierungsmittel, Emulgator, Film- oder Schaumbildner verwendet. In der Photoindustrie zum Beschichten von Filmmaterial, in der Pharmaindustrie hingegen
in hydrolisierter Form als Blutplasmaersatz. In der Kosmetik verwendet man
16
Pezron I, Djabourov J (1990) Polym Sci B, Polym Phys 28:1823
nd
Piez KA (1985) In: Encyclopedia of Polymer Science and Engeneering, Collagen, 2 Ed. Vol.
3, Wiley and Sons, London, p.699
18
Internetseite der Firma DGF Stoess AG http://www.gelita.com
17
THEORETISCHER TEIL
9
Gelatine als Emulgator in Salben und Cremes. Technische Gelatine dient z.B.
zur Mikroverkapselung von Farbstoffen.19
1.3.2 Physikalische Eigenschaften.
Durch den chemischen Aufbau eines Gelatinemoleküls sind drei Prozesse
denkbar, die zur Netzwerkbildung führen können: Die Bildung von H-Brückenbindungen, die Ausbildung kristalliner Bereiche sowie die Verschlaufungen der
langen in der Solphase flexiblen Ketten (entanglements).
Betrachtet man nun eine wässrige Gelatine-Lösung bei einer Temperatur von
40°C, so liegen die Polymerketten als statistische Knäule vor. Senkt man die
Temperatur, nimmt die Beweglichkeit der Polymerketten ab und ermöglicht den
entlang der Ketten befindlichen Carbonylsauerstoffatomen mit den in nächster
Nachbarschaft liegenden Wasserstoffatomen der NH-Gruppen "intramolekulare" H-Brückenbindungen auszubilden. Dies hat die Bildung einer Helix bzw.
eines helikalen Bereiches in der Kette zur Folge - man sagt die Polymerkette ist
jetzt partiell heliciert. Das ursprüngliche Gelatinemolekül weist jetzt mehrere
steife helikale Bereiche auf, ist aber weiterhin durch die nicht helicierten Kettenabschnitte weitestgehend flexibel. Diese helikalen Bereiche unterschiedlicher,
vorzugsweise benachbarter Polymerketten, sind nun in der Lage, über "intermolekulare" H-Brückenbindungen zu aggregieren. Bei genügend hoher Polymerkonzentration findet so eine räumliche Vernetzung der Gelatineketten statt,
deren Netzwerkpunkte die aggregierten Helices darstellen.
Es sei erwähnt, dass in der Literatur weitere Modelle zur Klärung des Geliermechanismus diskutiert werden, wobei es unterschiedliche Auffassungen von
der Ausbildung bzw. Gestalt der Netzwerkpunkte gibt. Diese interessanten,
nach Studium der Arbeiten von BORCHARD und MAIBAUM20,21,22 jedoch als sehr
fraglich erscheinenden Modelle, finden weitverbreitet enormen Zuspruch und
sollen daher hier nicht unerwähnt bleiben.
Ein Modell geht davon aus, dass die Netzwerkpunkte durch die diffusionskontrollierte Aggregation bereits vorhandener Helices gebildet werden. Bei günsti-
19
Internetseite der Firma DGF Stoess AG http://www.gelita.com - siehe hierzu auch Venohr H
(1999) Dissertation Duisburg.
20
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht
21
Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580
22
Maibaum R (1999) Dissertation Duisburg
THEORETISCHER TEIL
10
ger räumlicher Anordnung der Ketten wird hier die Bildung von Mehrfachhelices
nicht ausgeschlossen, die als solche ebenfalls an der Aggregation teilnehmen.23,24
Ein zweites Modell schließt eine Aggregation von Einfachhelices vollständig
aus. Die Netzwerkpunkte werden hier durch die Verdrillung von anfänglich
gebildeten Einfachhelices zu Dreifachhelices gebildet.25,26
Ein weiteres Modell geht nicht von einer anfänglichen Einfachhelicierung aus,
sondern von einer direkten Bildung von Dreifachhelices. Dies kann entweder
durch die Verdrillung dreier nahezu parallel verlaufender Ketten erfolgen 27,28
oder über die Verdrillung zweier Ketten, indem die eine Kette einen 180°-Knick
aufweist (hairpine-model) und somit über einen zweiten Bereich in der Kette die
Bildung der Dreifachhelix ermöglicht.29,30
MAIBAUMs Kritik richtet sich vor allem gegen die Renaturierung des Kollagens,
d.h. die Entstehung von Tripelhelices, die in solch einer Form im Kollagen als
Superhelix vorliegen. Seiner Ansicht nach bedarf es einer zu komplexen Konformationsänderung bei der Verdrillung der Einfachhelices, die darüber hinaus
noch simultan ablaufen müsste.31 Zur Verdrillung ist weiterhin erforderlich, dass
der Rest der jeweiligen Einzelketten frei beweglich sein muss und keinesfalls in
anderen Netzwerkpunkten fixiert vorliet. Ein Zustand, der mit voranschreitender
Reaktion immer unwahrscheinlicher wird.
MAIBAUMs Ansicht nach spricht der schlagartige Abbau des Netzwerks bei
Temperaturerhöhung für ein Modell, das hauptsächlich aus aggregierten Einfachhelices aufgebaut ist. Die für die Entwirrung der Dreifachhelices erforderliche konformative Umlagerung dürfte dahingegen weit mehr Zeit in Anspruch
nehmen.
Unumstritten ist aber, dass die Knäuel-Helix-Umwandlung mit einem erheblichen Anstieg des End-zu-End-Abstandes der vorher geknäuelten Kette ver-
23
v. Hippel PH, Harrington WF (1959) Biochem Biophys Acta 37:427
Engel J (1962) Arch Biochem Biophysics 97:150
25
te Nijenhuis K (1981) Colloid Polym Sci 259(5):522
26
Bohidar HB, Jena SS (1993) J Chem Phys 8(11):8970
27
Djabourov M (1988) Contemp Phys 29(3):273
28
Pezron I, Djabourov M (1990) J Polm Sci B, Polym Phys 28:1823
29
Benguigui L, Busnel JP, Durand D (1991) Polymer 32(14):2680
30
Ross-Murphy SB (1992) Polymer 33(12):2622
31
Maibaum R (1999) Dissertation Duisburg
24
THEORETISCHER TEIL
11
bunden ist.32 Diese Erkenntnis ermöglicht es erst, die Gelierung von O / W Emulsionen zu erklären, in denen die Konzentration der Gelatine in der kontinuierlichen Phase, in Bezug auf das gesamte System, weit unterhalb der erforderlichen sogenannten kritischen Konzentration zur Netzwerkbildung liegt.33
Zur Untersuchung der Gelierung bieten sich ganz besonders optische und
rheologische Methoden an. Optische Untersuchungen erfolgen u.a. mit Hilfe der
Polarimetrie. Hier nutzt man den Effekt aus, dass die während der Gelierung
gebildeten Helices die Schwingungsebene linear polarisierten Lichtes drehen
(s. Kap. 3). Die Helicierung bzw. deren Aggregation zu immer größer werdenden Clustern bewirkt einen Anstieg der Viskosität. Die Viskosität divergiert am
Gelpunkt (GP) - damit meint man den Übergangspunkt vom Sol- in den Gelzustand - liegt die Polymerkonzentration oberhalb der kritischen Konzentration.
Signifikant ändert sich aber im Bereich dieser Phasenumwandlung die für ein
Gel charakteristische elastische Verformbarkeit. Diese Effekte lassen sich im
rheologischen Experiment beobachten.
2
Grundlagen der Rheologie.
Unter Rheologie versteht man die Wissenschaft von der Deformation und dem
Fließen der Körper. Fließvorgänge werden vornehmlich in Flüssigkeiten beobachtet, Deformationen hingegen in Festkörpern. Der idealisierte Zustand einer
Flüssigkeit und der eines Festkörpers gehen auf NEWTON und HOOKE zurück.
NEWTON bezeichnet eine Flüssigkeit, die ausschließlich über viskose Anteile
verfügt, als ideal-viskose Flüssigkeit, HOOKE bezeichnet einen Festkörper, der
ausschließlich über elastische Anteile verfügt, als einen ideal-elastischen Festkörper. In der Literatur spricht man von der sogenannten NEWTONschen Flüssigkeit bzw. dem HOOKEschen Körper.34
2.1 Viskoses Verhalten von Flüssigkeiten.
Das Fließverhalten einer NEWTONschen Flüssigkeit lässt sich am Modell der
einfachen Laminarströmung (Scherströmung) erklären.
32
Hinsken H, Borchard W (1995) Colloid Polym Sci 273:913
Lechtenfeld M, Borchard W (1999) Phys Chem Chem Phys 1:3129
34
Pahl MH (1983) Praktische Rheologie der Kunststoffschmelzen und Lösungen, VDI-Verlag
33
THEORETISCHER TEIL
12
vx
Fx
y
dy
dvx
x
z
dv x
γ =
dy
y
Abb. 2.1. Stationäre Scherung bei einer NEWTONschen Flüssigkeit
Hierzu stellt man sich eine stromlinienförmige Massenströmung zwischen
parallelen, ebenen, unendlich ausgedehnten Platten vor (s. Abb. 2.1.). Die
untere Platte ruht, die andere wird in x-Richtung mit einer konstanten
Geschwindigkeit vx bewegt. Da benachbarte Flüssigkeitsschichten sich unterschiedlich schnell bewegen, beobachtet man senkrecht zu dieser Bewegung
(d.h. in y-Richtung) ein Geschwindigkeitsgefälle γ = dv x / dy .
Zum Ausgleich dieses Geschwindigkeitsgefälles ist eine Kraft F nötig, um ein
Flüssigkeitsteilchen aus seiner Flüssigkeitsschicht in eine andere zu überführen
und dabei schnellere Schichten zu verlangsamen oder langsamere zu
→
beschleunigen. Bezeichnet vx den Betrag der örtlichen Geschwindigkeit v x , A
die Plattenfläche und y die zur Geschwindigkeit vx senkrechte Koordinate, so
gilt für alle (nicht sehr zähflüssigen) Flüssigkeiten die lokale Formulierung des
NEWTONschen Reibungsgesetzes:
&
dv x
F =F=ηA
dy
(2.1)
Dementsprechend ist die Reibungskraft F der Plattenfläche A und dem
Geschwindigkeitsgefälle bzw. Schergradienten γ proportional. Die Proportionalitätskonstante η, die sogenannte "Viskosität", ist eine temperaturabhängige
Stoffkonstante und ein Maß für den Reibungswiderstand, dem ein strömendes
Fluidum der Scherkraft entgegenwirkt (Einheit: Pascalsekunde, Pas). Führt man
für die Schubspannung σ (Reibungsdruck) ein, so erhält man:
σ=
F
A
(2.2)
THEORETISCHER TEIL
13
σ = η ⋅ γ.
(2.3)
Aus Gl. (2.3) geht hervor, dass η unabhängig vom Geschwindigkeitsgefälle γ
ist. Flüssigkeiten, die dieser Gesetzmäßigkeit gehorchen, bezeichnet man demzufolge auch als NEWTONsche Flüssigkeiten.
Bei einer Vielzahl von Flüssigkeiten gibt es jedoch keinen linearen Zusammenhang zwischen der Schubspannung σ und dem Schergradienten γ , sodass η
selbst bei einwandfrei laminarem Fließen eine Funktion von γ ist. Dieses Verhalten findet man bei den sogenannten "nicht-NEWTONschen" Flüssigkeiten, wie
z.B. Polymerlösungen, deren Teilchen durch die Strömung orientiert, verformt
oder zerkleinert werden und so im Scherexperiment zu "scheinbaren Viskositäten" und nicht zu Viskositäten im Sinne von NEWTONschen Flüssigkeiten führen.
Zu nicht-NEWTONschem Verhalten zählt man u.a. "Dilatanz" und "Strukturviskosität", wobei im ersten Fall die Viskosität mit zunehmender Scherbeanspruchung zunimmt, im letzteren Fall abnimmt. Dilatantes Verhalten beobachtet
man in der Regel bei Schmelzen und Lösungen von Makromolekülen (z.B.
Stärke / Wasser), selten dagegen bei Dispersionen. Dieses erklärt man durch
die Immobilisierung des Lösemittels im System. Strukturviskoses Verhalten tritt
dagegen sowohl bei asymmetrischen, starren Teilchen als auch bei flexiblen
Knäueln in Erscheinung, wobei die Platzwechselvorgänge durch parallele Ausrichtung der Polymerketten bzw. Deformation der Knäuels im Schergefälle mit
einem geringeren Energieaufwand verbunden sind als bei NEWTONschen Flüssigkeiten. Ein besonderes strukturviskoses Verhalten zeigen die sogenannten
plastischen Flüssigkeiten (Bingham Körper). Bei ihnen stellt sich das Fließen
erst oberhalb einer bestimmten Schubspannung ein. Man spricht hier von einer
Fließgrenze. Beobachtet man außerdem noch eine zeitabhängige Änderung der
Viskosität, so spricht man im Fall einer Zunahme von "Rheopexie", im Fall einer
Abnahme von "Thixotropie". Beide Phänomene können reversibler oder irreversibler Art sein. Anhand von sogenannten Fließkurven [ σ = f ( γ ) ] sollen diese
unterschiedlichen rheologischen Verhalten deutlich gemacht werden.35
35
Pahl MH (1983) Praktische Rheologie der Kunststoffschmelzen und Lösungen, VDI-Verlag
THEORETISCHER TEIL
a
14
b
B
σ
A
σ
E
D
C
γ
γ
Abb. 2.2. Fließkurven (a) und (b) für verschiedene rheologische Verhalten: A =
NEWTONsch, B = dilatant, C = strukturviskos, D = plastisch, E = thixotrop
2.2 Elastisches Verhalten von Festkörpern.
Wirken auf einen festen Körper äußere Kräfte, die im Gleichgewicht sind, so tritt
eine Änderung des Volumens und der Form ein. Gehen Volumen- und Formänderung nach Beendigung der äußeren Krafteinwirkung vollständig zurück, so
finden reversible Verformungsprozesse statt, der Körper ist ideal elastisch. Der
Zustand eines solchen Körpers unter Spannung und Deformation kann durch
die korrespondierenden Tensoren beschrieben werden. Die Komponenten des
Spannungs- und Deformationstensors beschreiben die an einem kubischen
Volumenelement angreifenden Kräfte sowie dessen Änderung bzw. äußeren
Abmessungen. Der Spannungszustand lässt sich durch die drei Normalspannungen σxx, σyy, σzz und sechs Tangentialspannungen (auch Scher- oder
Schubspannungen genannt) σxy, σxz, σyx, σyz, σzx, σzy beschreiben (s. Abb. 2.3.).
Die ursprünglichen neun Komponenten des Spannungstenors reduzieren sich
auf sechs, schließt man eine Rotation des Körpers während der Beanspruchung aus, d.h σxz = σzx, σyz = σzy, und σxy = σyx.36,37,38
Im allgemeinsten Fall ist jede unabhängige Komponente des Deformationstensors eine Funktion aller 6 unabhängigen Komponenten des Spannungstensors. Nimmt man eine lineare Abhängigkeit an, so erhält man ein Gleichungssystem mit 36 Komponenten.
36
Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour,
Springer, Berlin Heidelberg New York
37
Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Rheology I: Dilute Polymer-Water Systems,
The Centre of Professional Advancement 5, Chicago
38
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York
THEORETISCHER TEIL
15
σyy
y
σyx
σyz
σxy
σxx
σxz
x
σzy
σzx
σzz
z
Abb. 2.3. Nomenklatur der Spannungen im würfelförmigen Körper
Diese Zahl reduziert sich deutlich, geht man von einem isotropen,
inkompressiblen Körper aus, der, wie oben erwähnt, bei Beanspruchung nicht
zu rotieren beginnt. Legt man weiterhin Volumenkonstanz des Körpers im
Experiment zu Grunde, so lässt sich das Deformationsverhalten aus der
einfachen Scherung ableiten (s. Abb. 2.4.).39
dx
Fx
y
y
x
z
ϕ
Abb. 2.4. Einfache Scherung am HOOKEschen Körper
Hierzu wird ein Würfel (in der Zeichnung stark vereinfacht) mit der Seitenfläche
A zu einem Parallelepiped gleicher Höhe und Breite durch eine in x-Richtung
angreifende Kraft Fx verzerrt, wonach die ursprünglich zur y-Richtung parallelen
39
Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Rheology I: Dilute Polymer-Water Systems,
The Centre of Professional Advancement 5, Chicago
THEORETISCHER TEIL
16
Kanten einen Winkel ϕ mit der y-Richtung einschließen. Die Scherung wird
definiert als:
γ xy =
dx
= tan ϕ
y
(2.4)
Die Schubspannung σxy ist dann proportional der Scherung γxy. Da man nur
Deformationen bezüglich der indizierten Koordinaten zulässt, kann für die weiteren Behandlungen auf diese Indizierung verzichtet werden. In Analogie zum
NEWTONschen Gesetz besteht für einen HOOKEschen Körper eine direkte Proportionalität zwischen der Schubspannung σ und der Scherung γ.
σ=G⋅γ
(2.5)
In Gl. (2.5) nennt man die Proportionalitätskonstante G den Schubmodul.
Unter einem HOOKEschen Körper versteht man einen Körper, bei dem bei Einwirken einer Kraft die gesamte Deformation eintritt und nach der Entlastung
direkt auf ihren Ausgangswert wieder zurückgeht.
2.3 Viskoelastisches Verhalten von Polymerschmelzen.
Das viskoelastische Verhalten von Stoffen ergibt sich aus der Überlagerung von
viskosem und elastischem Verhalten und wird bei Polymerschmelzen und
Polymer – Lösemittel - Systemen beobachtet. Bei der Behandlung dieser
Systeme ist also das Zusammenspiel von elastischer Verformung, zeitabhängiger elastischer Deformation und viskosem Fließen zu erwarten. Es kann nicht
mehr davon ausgegangen werden, dass die in Kap. 2.1 und Kap. 2.2 eingeführten Größen G und η zeitunabhängige Materialkonstanten, sondern vornehmlich frequenzabhängige Größen sind. Dass Spannung und Dehnung in
viskoelastischen Mischphasen frequenz- bzw. zeitabhängige Größen sind, zeigen die nun folgenden zwei klassischen Versuche.
THEORETISCHER TEIL
17
2.4 Der Kriech und Spannungsrelaxationsversuch.
Zur Beobachtung des zeitlichen
σ
mechanischen Verhaltens eines
viskoelastischen Systems wird die
Probe im Kriechversuch in einem
bestimmten Zeitraum einer konstanten Spannung σ0 ausgesetzt
0
(s. Abb. 2.5.oben).
Im anschließenden Erholungsversuch (s. Abb. 2.5.unten) verfolgt
man den Deformationsverlauf γ(t)
während und nach der Beanspruchung.
σ0
t0
γ
t1
t
viskos
viskoelastisch
elastisch
0 t0
t
t1
A
Abb. 2.5. Zeitprofil des Kriech (oben)- und
Erholungsversuches (unten)
Der Versuch ist für viskoelastische Systeme wie folgt zu deuten. Mit einsetzender konstanter Spannung σo zum Zeitpunkt t = t0 tritt ein Teil der Deformation γ0
sofort auf, ein anderer bildet sich erst mit zunehmender Dauer der Beanspruchung aus. Im Erholungsversuch (t > t1) federt ein Teil der Deformation teilweise um den Betrag zurück, der durch die zu Beginn des Kriechexperiments
aufgebrachten Spannung σo hervorgerufen wurde. Ein weiterer Teil kann bleibend sein und ist auf das Fließen der Probe zurückzuführen. Für ideal elastische Körper setzt eine der aufgebrachten Spannung proportionale Deformation
spontan ein, welche im Erholungsversuch ebenfalls spontan zurückfedert. Für
ideal viskose Flüssigkeiten setzt eine zeitverzögerte Deformation ein, die im
Erholungsexperiment vollständig erhalten bleibt.40
40
Es muss erwähnt werden, dass es sich bei diesem Deformationsverlauf um eine Näherung
handelt, da die Träge der Masse nicht berücksichtigt wurde.
THEORETISCHER TEIL
18
Beim Spannungsrelaxationsversuch wird dem
viskoelastischen System von einem Zeitpunkt
t0 an für eine unbestimmte Zeit eine definierte
Deformation γ0 aufgezwungen (s. Abb. 2.6.
oben).
γ(t)
γ0
t0
t
Die für den Deformationsablauf erforderliche σ(t)
Spannung wird als Funktion der Zeit σ(t)
gemessen (s. Abb. 2.6.unten).
γ0 G(t)
γ0
t0
t
Abb. 2.6. Zeitprofil des Spannungsrelaxationsversuches
Die zu beobachtende Abnahme der Spannung nach der Deformation ist auf
Fließ- und Platzwechselvorgänge in der viskoelastischen Probe zurückzuführen. Mit diesen Erkenntnissen lässt sich eine Beziehung zwischen dem in
Kap. 2.2 eingeführten Schubmodul G und der Zeit herstellen. Bildet man gemäß
Gl. (2.6) den Quotienten aus der Spannung σ(t) und der konstanten Dehnung
γ0, so erhält man den Spannugsrelaxationsmodul, G(t).41,42
G( t ) =
σ( t )
γo
(2.6)
2.5 Das BOLTZMANNsche Superpositionsprinzip.
Möchte man das viskoelastische Verhalten eines Systems bei zeitlich variabler
Belastungsfolge beschreiben, dann genügen die oben erläuterten Kriech- und
Spannungsrelaxationsversuche nicht, da es sich hier um zwei statische Versuche unter Vorgabe einer "konstanten" Spannung bzw. Dehnung handelt. Eine
Lösung dieses Problems bietet das von BOLTZMANN im Jahre 1874 aufgestellte
stoffunabhängige Superpositionsprinzip. Es besagt: Die Wirkung einer Summe
41
42
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York
Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York
THEORETISCHER TEIL
19
von Ursachen ist gleich der Summe der Wirkungen der einzelnen Ursachen.43
Man kann auch sagen: Wenn eine Spannung σ1(t) erforderlich ist, um die
Deformation γ1(t) hervorzurufen und σ2(t) nötig ist, um γ2(t) zu bewirken, so
muss für die Deformation γ1(t) + γ2(t) die Summe der Spannungen wirksam sein.
In symbolischer Schreibweise liest sich:44,45
∑ σ i (t ) ∝ ∑ γ i (t )
(2.7)
Mit Hilfe der mathematischen Formulierung des Superpositionsprinzips ist man
nun in der Lage, die Deformation zum Zeitpunkt t zu bestimmen, wenn die Vorgeschichte des Spannungsablaufes bekannt ist. Aufgrund der dualen Fassung
des Superpositionsprinzips gilt gleiches auch für die Berechnung der Spannung, wenn die Vorgeschichte des Deformationsverlaufes bekannt ist.
Die Vorgeschichte einer Deformation berücksichtigt man, indem man alle
Deformationen im Zeitbereich von -∞ bis t betrachtet. Es gilt:
γ (ξ )
für
−∞<ξ≤t
(2.8)
Durch eine Graphik veranschaulicht sucht man die Fläche unter der Deformations – Zeitkurve, die sich durch Aufsummieren der horizontalen Streifen ergibt.
Der Flächeninhalt eines Streifens ist gegeben durch die zu einem Zeitpunkt ξ
einsetzende konstante Deformation γ (ξ ) ∆ξ (s. Abb. 2.7.).46
Wählt man die Stufenbreite ∆ξ infinitisemal klein (∆ξ→0), dann ergibt sich unter
Berücksichtigung der Gl. (2.6) für die Summierung über alle Beiträge:
σ(t ) =
∫ G (t − ξ ) γ (ξ) dξ
t
(2.9)
−∞
Für den Fall der einfachen Scherung bezeichnet man Gl. (2.9) als die lineare
rheologische Zustandsgleichung eines isotropen, viskoelastischen Körpers.
43
Boltzmann L (1874) Sitzber KGl Akad Wiss Wien 2. Abt. 70:225
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York
45
Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour,
Springer, Berlin Heidelberg New York
46
Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York
44
THEORETISCHER TEIL
20
γ(ξ)
γ (ξ)
γ (ξ ) ∆ξ
∆ξ = t - ξ
ξ
laufende Zeit
t
Abb. 2.7. Zerlegung des Deformationsverlaufes in horizontale Streifen47
2.6 Das dynamische Experiment.
Mit Hilfe des dynamischen Experiments lassen sich die viskosen und die elastischen Anteile eines viskoelastischen Systems getrennt voneinander bestimmen. Hierzu wird die Probe einer sinusförmigen oszillierenden Scherbeanspruchung unterworfen. Für die vorgegebene Deformation, bzw. für die Ableitung
nach der Zeit gilt folgender Ausdruck:
γ (t ) = γ 0 sin (ωt )
(2.10)
γ (t ) = ωγ 0 cos (ωt ).
(2.11)
Ersetzt man in Gl. (2.11) t durch ξ und bringt den daraus resultierenden Ausdruck für γ (ξ ) in die lineare rheologische Zustandsgleichung Gl. (2.9) ein, dann
erhält man:
σ(t ) = ωγ 0
t
∫ G (t − ξ ) cos (ωξ )dξ .
(2.12)
−∞
Zur Vereinfachung substituiert man (t - ξ) durch s und ändert die Integrationsvariablen auf das Zeitintervall [0 bis ∞]:48
47
48
Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York
Goodwin JW, Hughes RW (2000) Rheology for chemists, Royal Society of Chemistry
THEORETISCHER TEIL
21
σ(t ) = ωγ 0
∞
∫ G(s) cos [ω (t − s)] ds
(2.13)
0
mit Hilfe des Additionstheorems Gl. (2.14) ergibt sich:
cos(α−β) = cosα cosβ + sinα sinβ
(2.14)

∞


∞


0


0

σ( t ) = γ 0 sin(ωt ) ω ∫ G(s) sin (ωs ) ds + γ 0 cos(ωt ) ω ∫ G(s) cos( ωs) ds
(2.15)
Der linke Teil der Gleichung schwingt im Experiment in Phase mit der aufgebrachten sinusförmigen Anregung, er wird ausgedrückt durch den frequenzabhängigen Speichermodul G'. Der rechte Teil der Gleichung schwingt um den
Betrag der Differenz von Sinus zu Cosinus außer Phase, dies wird durch den
ebenfalls frequenzabhängigen Verlustmodul G'', ausgedrückt.
∞
G' (ω) = ω ∫ G(s) sin(ωs)ds
(2.16)
0
∞
G' ' (ω) = ω ∫ G(s) cos( ωs)ds
(2.17)
0
Entsprechend kann Gl. (2.15) wie folgt formuliert werden:
σ( t ) = γ 0 sin (ωt ) G' (ω) + γ 0 cos (ωt ) G' ' (ω)
(2.18)
Der Spannungs- und Deformationsverlauf der Probe lässt sich im dynamischen
Experiment (s. Abb. 2.8.) veranschaulichen, wobei im Regelfall die aufgebrachte Spannung der Deformation um den Winkel δ vorauseilt.
THEORETISCHER TEIL
22
δ/ω
σ(t)
σ(t)
γ(t)
γ(t)
t
2π/ω
Abb. 2.8. Spannungs-Dehnungsverlauf im dynamischen Experiment
Für den zeitlichen Spannungsverlauf ergibt sich dann Gl. (2.19):
σ(t) = σ0sin(ωt + δ).
(2.19)
Mit Hilfe des Additionstheorems Gl. (2.20) geht Gl. (2.19) in Gl. (2.21) über:
sin(α+β) = sinαcosβ − cosαsinβ
(2.20)
σ(t) = σ0sin(ωt)cos(δ) + σ0cos(ωt)sin(δ).
(2.21)
Stellt man Gl. (2.18) und Gl. (2.21) gegenüber, so ergibt sich für den Speicherund den Verlustmodul der reinen gescherten Probe:
G' (ω) =
σ0
cos( δ)
γ0
(2.22)
G' ' (ω) =
σ0
sin(δ),
γ0
(2.23)
wobei der Speichermodul G' den elastischen und der Verlustmodul G'' den viskosen Anteil einer viskoelastischen Probe beschreibt. Wird im dynamischen
THEORETISCHER TEIL
23
Experiment keine Phasenverschiebung beobachtet (d.h. δ = 0°), so ergibt sich
nach Gl. (2.23) für G'' der Wert Null, d.h. die Probe verfügt nur über elastische
Anteile und kann als ein ideal elastischer Körper angesehen werden. Beobachtet man eine Phasenverschiebung von δ = 90°, so ergibt sich nach Gl. (2.22)
für G' der Wert Null, d.h. die Probe verfügt ausschließlich über viskose Anteile
und ist demzufolge als ideal viskos anzusehen. An dieser Stelle sollte erwähnt
werden, dass die Gl. (2.22) und Gl. (2.23) nur dann als Auswertegleichung für
die Moduli herangezogen werden können, wenn es gelingt, den Einfluss der
Messapparatur gering zu halten.
Der Speicher- und der Verlustmodul lassen sich in einer komplexen Schreibweise darstellen:
G * (ω) = G' (ω) + iG' ' (ω).
(2.24)
Der Speichermodul stellt hier den Realteil und der Verlustmodul den Imaginärteil des sogenannten komplexen Schubmoduls dar.49,50,51
Der Realteil in Gl. (2.24) repräsentiert die während einer Schwingung im Netzwerk reversibel gespeicherte Arbeit, der Imaginärteil repräsentiert hingegen die
während einer Schwingung durch Reibung im Netzwerk dissipierte Arbeit.
3
Polarimetrie.
Optisch aktive Verbindungen drehen die Schwingungsebene von Licht. Je
höher die Konzentration der optisch aktiven Verbindung, desto größer der
Betrag, um den die Schwingungsebene gedreht wird. Eine gewöhnliche Lichtquelle hat aber beliebig viele Schwingungsebenen, d.h., es kann unter diesen
Bedingungen keine Aussage über den Betrag, um den die Schwingungsebene
gedreht wurde, gemacht werden. Letzten Endes wird man auch so keine Aussage darüber machen können, ob überhaupt eine Verbindung optisch aktiv ist.
Aus diesem Grunde verwendet man bei den polarimetrischen Untersuchungen
Licht mit "einer" definierten Schwingungsebene. Diese Bedingung erfüllt das
sogenannte linear polarisierte Licht.
49
Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York
Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour,
Springer, Berlin Heidelberg New York
51
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York
50
THEORETISCHER TEIL
24
Linear polarisiertes Licht. Licht breitet sich als transversale elektromagnetische Welle aus. Das elektrische- (Ê) und magnetische Feld (V stehen dabei
senkrecht zur Ausbreitungsrichtung und selbst in einem rechten Winkel zueinander (s. Abb. 3.1.).52
V
Magnetisches
Feld
Ç
Elektrisches
Feld
Strahlungsrichtung
Abb. 3.1. Elektromagnetische Welle
Bei gewöhnlichen Lichtquellen schwingen die Feldvektoren in alle Raumrichtungen mit verschiedenen Wellenlängen, das Licht ist unpolarisiert. Setzt sich
aber Licht aus Strahlen einer Wellenlänge zusammen, deren elektrisches Feld
in einer Ebenen liegt, dann spricht man von linear polarisiertem Licht.
Dieses Licht stellt man sich jetzt als die Überlagerung von zwei entgegengesetzt rotierenden zirkular polarisierten Lichtkomponenten vor (s. Abb. 3.2.).
Blickt ein Beobachter dem Lichtstrahl entgegen, und der elektrische Feldvektor
rotiert im Uhrzeigersinn, spricht man von rechts zirkular polarisiertem Licht,
rotiert der elektrische Feldvektor entgegengesetzt dem Uhrzeigersinn, spricht
man von links zirkular polarisiertem Licht. Man betrachtet demnach eine linksdrehende L-Komponente und eine rechtsdrehende R-Komponente. Tritt dieses
Licht nun in ein optisch aktives Medium ein, dann findet eine Wechselwirkung
der Elektronen der verschiedenen chemischen Spezies mit dem elektrischen
Feld einer der Komponenten statt.
Dies hat eine Polarisation der Materie, verbunden mit einer Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit v und damit des Brechungsindex n53 der Kompo52
Fa. LOT Oriel Instruments (2000) The book of photon tools
Der Brechungsindex (Brechungsquotient, Brechzahl) ist das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit in dem betroffenen Medium.
53
THEORETISCHER TEIL
25
nente in dem Medium zur Folge. Beim Austritt aus dem Medium ergibt die
Überlagerung der elektrischen Feldvektoren einen polarisierten Lichtstrahl, dessen Polarisationsebene gegenüber der des eingestrahlten Lichtes um einen
Winkel α gedreht ist.
L-Komponente
∆α
R-Komponente
Abb. 3.2. Linear polarisiertes Licht tritt durch ein optisch aktives Medium54
Nimmt man an, dass die L-Komponente die langsamere ist, d.h. dass deren
elektrisches Feld mit der Probe in Wechselwirkung getreten ist, dann ergibt sich
bei einer Probenlänge l ein Zeitunterschied für die Komponenten von:
∆t =
l
vR
−
l
.
vL
(3.1)
Durch die Brechungsindices ausgedrückt ergibt sich:
∆t =
(nR − nL ) ⋅ l ,
c
(3.2)
wobei c für die Lichtgeschwindigkeit steht. Der resultierende Drehwinkel aus der
Überlagerung der elektrischen Feldvektoren ist dann gegeben durch Gl. (3.3),
wobei λ die Wellenlänge des Lichtes ist:55
∆α =
2π (nL − nR ) ⋅ l
.
λ
(3.3)
Den messbaren Winkel, um den die Schwingungsebene des Lichtes gedreht
wird, nennt man optische Drehung. Für eine Lösung mit optisch aktiven Substanzen ist α abhängig von:
54
55
Atkins PW (1990) Physikalische Chemie, VCH, Weinheim
Atkins PW (1990) Physikalische Chemie, VCH, Weinheim
THEORETISCHER TEIL
•
•
•
•
•
26
der Temperatur
der Wellenlänge des Lichtes
der Konzentration
der Länge der Messstrecke
der räumlichen Anordnung der Liganden, Unsymmetrien.
Häufig wird eine stoffspezifische Größe, eine sogenannte spezifische optische
Drehung [α] angegeben, in welcher die oben angegebenen Abhängigkeiten
berücksichtigt werden:
[α]ϑλ
=
α
.
l⋅c
(3.4)
In Gl. (3.4) bedeuten:
α = optischer Drehwinkel
l = Länge der Messstrecke
c = Konzentration des gelösten Stoffes
ϑ = Temperatur.
Worin unterschieden sich optisch aktive von optisch inaktiven Substanzen
molekular? Optisch aktiv sind Moleküle, die ein asymmetrisches C-Atom haben,
d.h. ein Kohlenstoffatom mit vier unterschiedlichen Substituenten. Die Spiegelbilder von Molekülen, die solche asymmetrischen C-Atome enthalten, können
nicht mit dem Molekül zur Deckung gebracht werden. Man bezeichnet solche
Moleküle als chiral. Diese Moleküle haben kein Symmetriezentrum. Grob formuliert: Aufgrund der Symmetrie eines optisch inaktiven Moleküls wird jeder
Effekt, den der Teil des Moleküls bzw. der Elektronen auf den elektrischen
Feldvektor eines zirkular polarisierten Lichtes hat, durch den Effekt des spiegelbildlichen Teils des Moleküls auf den anderen Teil des zirkular polarisierten
Lichtes aufgehoben. Die Schraubenstruktur eines Moleküls (Helixstruktur s.
Kap. 1.3.2) trägt ebenfalls zur Drehung der Schwingungsebene von Licht bei.56
Man erwartet demnach bei den in dieser Arbeit untersuchten Gelatine / Wasser
Systemen, dass ein Teil des ermittelten Drehwinkels durch die in der Gelatine
enthaltenen asymmetrischen Kohlenstoffatome hervorgerufen wird, ein weiterer
Teil durch die Helicierung der Ketten während der Sol-Gel-Umwandlung.
56
Vollhardt KPC (1990) Organische Chemie, VCH Weinheim
THEORETISCHER TEIL
4
27
Gelierung aus der Sicht der Perkolationstheorie.
Eine Infektionskrankheit breitet sich in der Bevölkerung aus, Erdöl sickert durch
Gestein, ein Waldbrand breitet sich aus, ein Ei wird beim Kochen hart, Quittengelee wird im Marmeladenglas fest. All diese Prozesse lassen sich mit den
Mitteln der Perkolationstheorie mathematisch beschreiben. Durch die Anwendung der Perkolationstheorie auf derartige Beispiele kann z.B. folgende Frage
beantwortet werden. Wieviel Prozent der Bevölkerung muss geimpft sein, damit
keine Epidemie ausbricht? Weitere, wissenschaftlicher abgehandelte Beispiele
findet man in der Literatur.57,58
Mit Hilfe der Perkolationstheorie lassen sich auch Phasenübergänge beschreiben, was für die in dieser Arbeit untersuchten Sol-Gel-Umwandlung während
der thermoreversiblen Gelierung des Systems Gelatine / Wasser von besonderer Bedeutung ist. Anhand dieses Prozesses soll die Perkolationstheorie
näher beschrieben werden.
4.1 Was ist Perkolation?
Hierzu stellt man sich eine große Anordnung von Quadraten vor, die zusammen
in idealer Weise ein unendlich großes Gitter darstellen sollen (s. Abb. 4.1.).
Einige Quadrate sind dabei mit einem Punkt versehen, andere Quadrate bleiben leer. Quadrate, die eine gemeinsame Seite haben bezeichnet man als
nächste Nachbarn. Sind solche Quadrate mit einem Punkt versehen, dann bilden sie gemeinsam einen sogenannten Cluster. Die Perkolationstheorie handelt
nun von der Anzahl und den Eigenschaften solcher Cluster.
Die Belegung der Quadrate mit Punkten findet dabei zufällig statt, so als ob die
Punkte untereinander nichts voneinander wüßten bzw. sich ignorierten. Man
nimmt an, dass die Quadrate mit der Wahrscheinlichkeit p mit einem Punkt
belegt sind, bzw. mit der Wahrscheinlichkeit (1-p) frei sind. Nimmt p einen kritischen Wert pc an, beobachtet man einen Cluster, der sich von einer Seite des
Gitters zur anderen Seite erstreckt.
57
58
Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis
Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim
THEORETISCHER TEIL
a
28
b
c
Abb. 4.1. Definition von Perkolation und seinen Clustern. a) Teile eines quadratischen Gitters, b) Besetzung einzelner Quadrate durch Punkte angedeutet, c) Zusammenfassung nächstbenachbarter besetzter Quadrate zu Clustern was, durch Kreise
angedeutet ist59
Man spricht von einem Cluster, der durch das System perkoliert, wie Wasser
durch den mit Kaffee gefüllten Filter in einer Kaffeemaschine, die deshalb auch
"percolator" genannt wird (lat. percolare = durchsickern). Durchquert man den
Bereich knapp unterhalb bis knapp oberhalb dieser kritischen Konzentration,
dann erfahren die Systeme eine starke Änderung ihrer Eigenschaften.
Unterhalb von pc kann ein System nichtleitend sein, oberhalb dagegen leitend,
oder das System liegt unterhalb von pc als Sol vor, oberhalb hingegen als Gel.
Diese Änderungen während der Perkolation bezeichnet man als kritische
Phänomene und die Theorie, die versucht, diese Phänomene zu beschreiben
als Skalentheorie.60
Der Beginn der Perkolationstheorie wird mit einer Veröffentlichung von
BROADBENT und HAMMERSLEY aus dem Jahre 1957 in Verbindung gebracht. Hier
wurde der Name Perkolationstheorie eingeführt und das oben erläuterte geometrische und wahrscheinlichkeitstheoretische Konzept mathematisch behandelt. Die damals aufkommenden Computer waren nach Angaben von
HAMMERSLEY ausschlaggebend für die Entwicklung dieser Theorie.61 Eine ausführliche und sehr anschauliche Erklärung, wie mit Hilfe der Monte - Carlo
Simulation die Perkolation auf einem Gitter abläuft, geben STAUFFER und
AHARONY in ihrem Buch Perkolationstheorie.62
59
Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim
Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim
61
Broadbent SR, Hammersley JM (1954) Proc Camp Phil Soc 53:629
62
Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim
60
THEORETISCHER TEIL
29
4.2 Perkolation und Sol–Gel-Umwandlung.
Bereits im Zweiten Weltkrieg entwickelten FLORY und STOCKMAYER die erste
Theorie der Gelierung für die Sol – Gel Phasenumwandlung.63,64 Grundlage
ihres Modells stellt das baumartige Wachstum f-funktioneller Monomerer auf
einem Bethe – Gitter (Cayley – Baum) dar. Diese Theorie bezeichnet man
heute als die Perkolationstheorie auf dem Bethe – Gitter.65 In der Literatur
spricht man in der Regel von der klassischen Theorie (mean field theory) sie
soll im weiteren Verlauf der Arbeit auch als solche bezeichnet werden. Die für
die Bildung eines vollständigen Netzwerkes erforderliche Konzentration an ffunktionellen Gruppen pc ist gegeben durch:
pc =
1
.
f −1
(4.1)
Hauptkritikpunkt an dieser Theorie ist, dass sie keine Ringschlüsse der Makromoleküle zulässt und den Einfluss des ausgeschlossenen Volumens
(excluded volume effect) nicht berücksichtigt.66,67,68 STEPTO behandelt diese
Probleme in seinen neueren Arbeiten ausführlich.69
Wie in Kap. 4.1 erwähnt behandelt die Perkolationstheorie die kritischen Phänomene in der Nähe von pc, d.h. knapp unter- bzw. knapp oberhalb von pc. Im
Falle der Sol–Gel-Umwandlung liegt ein System im Bereich p < pc als Sol vor hier schließen sich multifunktionelle Monomere zu endlichen Clustern zusammen. Im Bereich p > pc liegt es als Gel vor - hier existiert ein unendlich großer
Cluster (unendliches Netzwerk), das eine Seite der Probe mit der anderen verbindet. Diese Phasenumwandlung vollzieht sich am sogenannten Gelpunkt
(GP). Das besondere an diesem Punkt ist, dass bestimmte Messgrößen an diesem Punkt gegen Null gehen oder gegen unendlich.
63
Flory PJ (1941) J Amer Chem Soc 63:3083,3091,3096
Stockmayer WH (1944) J Chem Phys 11:45 ibid 12:125
65
Letztlich perkoliert auch hier ein Cluster durch ein Gitter, wobei nur nächste Nachbarn eine
Bindung ausbilden können. Bei dieser Theorie ist jedoch die Richtung durch den baumartigen
Wachstum vorgegeben, nicht zuletzt erfolgen die Berechnungen nicht über
Computersimulationen. Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung Perkolationstheorie eher
irreführend.
66
Stauffer D (1979) Physics Reports 54:1
67
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca
New York
68
Stauffer D, Coniglio A, Adam M (1982) Advances in Polymer Science 44:103, Springer
Verlag, Berlin
69
Stepto RFT persönliche Mitteilung, World Polymer Congress 2000, Warschau, Polen
64
THEORETISCHER TEIL
30
ηdyn, G‘
G‘
ηdyn
GP
p
Abb. 4.2. Schematischer Verlauf der dynamischen Viskosität ηdyn und des Speichermoduls G’ am Gelpunkt (GP) in einer logarithmischen Darstellung
Eines dieser Verhalten zeigt die dynamische Viskosität ηdyn. Sie ist im wesentlichen über den Verlustmodul über folgende Beziehung verknüpft
1
ηdyn
(G' 2 + G' ' 2 ) 2 G' '
=
≈
ω
ω
;
t < t gel
(4.2)
und gilt nur in dem Zeitbereich vor dem Gelpunkt. Am Gelpunkt zeigt das
System kein Fließverhalten mehr, d.h. die Viskosität muss am Gelpunkt divergieren. Das entgegengestzte Verhalten zeigt der Speichermodul G'. Er geht am
Gelpunkt gegen Null (s. Abb. 4.2.).
Für diesen Fall finden STAUFFER und
gesetze:70,71
ηdyn =
DE
G' '
= K ν (p c − p )− ν
ω
G' = K µ (p − p c )
µ
GENNES folgende sogenannte Potenz-
für p < p c und ν > 0
für p > p c
und µ > 0 .
(4.3)
(4.4)
In diesen Formeln bedeuten die Konstanten Kν und Kµ die kritischen Amplituden, p den Anteil bereits geschlossener Bindungen während einer Reaktion,
demnach pc den kritischen Anteil an bereits geschlossenen Bindungen, die zur
70
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca
New York
71
Stauffer D, Coniglio A, Adam M (1982) Advances in Polymer Science 44:103, Springer
Verlag, Berlin
THEORETISCHER TEIL
31
Netzwerkbildung erforderlich sind und ν sowie µ die kritischen Exponenten.72
Den kritischen Exponenten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie
sollen in Kap. 4.3 gesondert behandelt werden.
Beim Umgang mit den Gln. (4.3) und (4.4) stellt sich dem experimentierenden
Wissenschaftler ein Problem: Welche durch Experimente zugängliche Größe
verwendet man anstelle der durch Computersimulationen erhaltene Größe p,
um anhand des im Experiment ermittelten komplexen Schubmoduls kritische
Phänomene mit Hilfe der Perkolationstheorie zu beschreiben?
Dieses Problem wird von verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich
angegangen. Im Falle der Sol–Gel-Umwandlung des Systems Gelatine / Wasser bestimmen DJABOUROV und Mitarbeiter eine Konvertierungsvarible
Φ73, die sich auf den Helixanteil in einer Probe bezieht. Zum Aufbau eines
Netzwerkes muss ein kritischer Helixanteil im System vorliegen, der durch die
kritische Konvertierungsvariable Φc angegeben wird. Bei einer bestimmten
Temperatur beobachten DJABOUROV und Mitarbeiter das Verhalten der rheologischen Kenngrößen im Bereich Φ < Φc und Φ > Φc.74 Für das gleiche System
ermittelten KUMAGAI und Mitarbeiter eine kritische Konzentration an Gelatine φc
und ermittelt für eine Konzentrationsreihe im Bereich φ < φc und φ > φc die rheologischen Größen.75
MICHALCZYK76 und später VENOHR77 folgten der Empfehlung STAUFFERs, die
Wahrscheinlichkeiten p in den Gln. (4.3) und (4.4) durch die Zeit zu substituieren. Dass in der Nähe des Gelpunkts eine Proportionalität zwischen diesen
Größen existiert, ist in verschiedenen Veröffentlichungen niedergeschrieben.
78,79,80,81,82
Für eine konstante Frequenz gehen damit die Gln. (4.3) und (4.4) in
folgende Ausdrücke über:
72
Je nach dem welche kritische Phänomene mit der Perkolationstheorie behandelt werden,
werden in der Literatur unterschiedliche Symbole für die kritischen Exponenten benutzt. Die in
dieser Arbeit verwendeten Symbolen wurden von Stauffer vorgeschlagen.
73
siehe hierzu Gl. (8.30) in Kap. 8.4
74
Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:333
75
Kumagai H, Fujii T, Inukai, T, Yano T (1993) Biosci Biotech Biochem 57(4):532
76
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
77
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
78
Penich-Covas C, Dev SB, Gordon M, Judd M, Kajiwara K (1974) Discussion of the Faraday
Division on Gels and Gelling Processes 57:165
79
Parker TG, Dalgleish DG (1977) J Dairy Res 44:85
80
Adam M, Delsanti M, Okasha R, Hild G (1979) J Phys Lett (Paris) 40:L 539
81
Gauthier-Manuel B, Guyon E (1980) J Phys Lett (Paris) 41:L503
82
Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580
THEORETISCHER TEIL
32
G' ' = K η t gel,η − t
(
) −ν
für
t < t gel,η
(4.5)
(
)µ
für
t > t gel,G
(4.6)
G' = K G t − t gel,G
Durch die Anwendung der Gln. (4.4) und (4.5) auf die rheologischen Experimente ist nun die Möglichkeit gegeben, den Gelpunkt bzw. die Gelierzeit, (tgel)
d.h. die Zeit zu bestimmen, die vergeht bis sich ein Gel gebildet hat.83 Für die
industrielle Anwendung gelierender Systeme ist eine genaue Bestimmung der
Gelierzeit von großer Bedeutung.
4.3 Kritische Exponenten.
Die kritischen Exponenten sind entscheidend vom Verhalten der untersuchten
Systeme am kritischen Punkt abhängig. Anhand von unterschiedlichen Simulationen und Modellrechnungen versuchen verschiedene Wissenschaftler für die
kritischen Phänomene, wie z.B. die Gelierung, die kritischen Exponenten vorherzusagen.
DE GENNES simuliert die Gelierung mit Hilfe eines Widerstandsnetzwerkes.84
Später bemühte sich SAHIMI, die Bindung in einem Netzwerk als vektorielle Größen zu berücksichtigen und nicht als skalare Größen wie durch das Widerstandsnetzwerk vorgegeben. SAHIMI trägt damit dem Dehn- und Biegevermögen
(bond bending) eines Netzwerkes Rechnung.85,86,87 Im Folgenden soll eine von
VENOHR angefertigte Zusammenstellung der in diesen und weiteren Fällen vorhergesagten kritischen Exponenten wiedergegeben werden.88
83
Die Auswertung zweier experimentell ermittelter Größen ηdyn und G‘ nach der
Perkolationstheorie in der Form Gln. (4.5) und (4.6) hat zwei Lösungen für die Gelierzeit zur
Folge tgel,η und tgel,G. Auf dieses "Problem" wird in Kap. 8 genauer eingegangen.
84
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca
New York
85
Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725
86
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
87
Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis
88
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
THEORETISCHER TEIL
33
Vorhersage für den kritischen Exponenten ν:
ν = 0:
Ergebnis der klassischen Theorie.89,90 Demnach ergibt sich am
Gelpunkt für die Viskosität ein endlicher Wert.
ν ≈ 0.65:
ARBABI und SAHIMI nehmen hier an, dass starke hydrodynamische
Wechselwirkungen zwischen den Polymeren am Gelpunkt bestehen und keine oder wenig Diffusion stattfindet (ZIMM –
Regime).91,92
ν = 0.7:
DE GENNES vergleicht hierbei die Viskosität mit der Leitfähigkeit
einer Mischung aus Leitern und Supraleitern.93,94
ν = 1.3:
Ergebnis der ROUSE Approximation. Der Beitrag eines Clusters zur
Viskosität ist hierbei proportional zum Quadrat seines Radius. Die
Polymere werden hierbei als lange inflexible Ketten angenommen.
Geringe Polymer - Polymer und Polymer - LM Wechselwirkungen.95,96
ν ≈ 1.35:
ARBABI und SAHIMI nehmen an, dass in der Nähe des Gelpunkts
keine hydrodynamische Wechselwirkung zwischen den Polymeren
verschiedener Größen besteht (ROUSE – Regime).97,98
0 ≤ν ≤ 1.35: Resultate der Berechnungen von MARTIN und Mitarbeitern, abhängig vom Ausmaß der hydrodynamischen Wechselwirkungen der
Polymere.99
Vorhersage für den kritischen Exponenten µ:
µ = 1.7:
89
Annahme der Analogie von Elastizität zur Leitfähigkeit bei einem
Netzwerk aus Leitern und Isolatoren.100
Flory PJ (1941) J Amer Chem Soc 63:3083,3091,3096
Stockmayer WH (1944) J Chem Phys 11:45 ibid 12:125
91
Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725
92
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
93
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca
New York
94
de Gennes PG (1979) J Physique (Paris) Lett 40:197
95
de Gennes PG (1979) J Physique (Paris) Lett 40:197
96
de Gennes PG (1980) Comp Rendus Acad Sci (Paris) 286B:131
97
Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725
98
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
99
Martin JE, Adolf D, Wilcoxon JP (1989) Phys Rev A 39:1325
90
THEORETISCHER TEIL
34
µ = 2.1:
Die Bindungen auf einem Perkolationsnetzwerk werden durch
elastische Elemente dargestellt, die gedehnt werden können
(stretching forces).101
µ = 2.67:
Diesen Wert berechnete Martin für ein Sol aus verzweigten Polymeren.102
µ = 3:
Ergebnis der klassischen Theorie.103,104,105
µ = 3.75:
Die Bindungen auf einem Perkolationsnetzwerk werden durch
elastische Elemente dargestellt, die sowohl gedehnt als auch
gebogen werden können (bond bending).106
µ ≤ 3.78:
Diesen Wert erhalten ROUx und GUYON unter der Annahme, dass
sich Drehmomente wie die elektrische Leitung ausbreiten.107
µ = 2.85
bzw. 3.55:
KANTOR und WEBMAN ermittelten diese Werte unter Berücksichtigung der Änderung von Bindungswinkeln, der Gestalt der Polymerketten und der Richtung der angreifenden Kraft.108
Behandelt man ein kritisches Phänomen mit Hilfe der Skalentheorie und erhält
identische oder zumindest ähnliche kritische Exponenten, dann spricht man von
einer Universalität der kritischen Exponenten. Systemen, die einer Universalitätsklasse zugeordnet werden können, kann man unterstellen, dass sie sich,
bezüglich ihres Verhaltens am kritischen Punkt, sehr ähnlich sind. Im Falle der
Polymerisation kann man daraus schließen, dass ähnliche molekulare Abläufe
stattfinden.
100
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press,
Ithaca New York
101
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
102
Martin JE, Adolf D, Wilcoxon JP (1989) Phys Rev A 39:1325
103
Dobson GR, Gordon M (1965) J Chem Phys 43:705
104
de Gennes PG (1976) J Phys (Paris) 37:L1
105
Gordon M, Ross-Murphy SB (1979) J. Phys A 12:L155
106
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
107
Roux S, Guyon E (1986) In: Stanley HE, Ostrowski N (eds) On Growth and Form, Martinus
Nijhoff Boston
108
Kantor Y, Webman I (1984) Phys Rev Lett 52:1891
EXPERIMENTELLER TEIL
35
EXPERIMENTELLER TEIL
5
Probenmaterial und Vorbereitung.
In dieser Arbeit wurden zwei verschiedene Gelatine - Typen verwendet. Bei der
einen Sorte handelte es sich um eine sauer aufbereitete Schweineschwarten Gelatine der Firma DEUTSCHE-GELATINE-FABRIKEN STOESS AG (kurz DGF
STOESS AG),109 bei der anderen handelt es sich um eine basisch geäscherte
Rinderknochen - Gelatine vom Typ M92 der Firma ROUSSELOT S.A..110
Das Gelatinegranulat wurde mit Hilfe einer Analysenwaage unter Berücksichtigung des in einem Trocknungsversuch bestimmten Wassergehaltes der Gelatine von 14.00 Gew.-% (STOESS Gelatine) und 11.97% (ROUSSELOT Gelatine) in
mit Schwefelsäure gereinigte Hochdruckflaschen eingewogen. Die Proben wurden durch Zusatz von 0.15mL Raschitlösung111 pro 1g Gelatine gegen den
bakteriellen Befall geschützt. Im Anschluss daran wurden die Proben über
Nacht bei 5-7°C quellen gelassen, um beim späteren Lösen des Polymeren ein
Verklumpung des Gelatinegranulats (gel-blocking) zu verhindern. Hierdurch ließen sich die Proben problemlos im 45°C temperierten Wasserbad homogenisieren. Das längere Behandeln von Gelatinelösungen oberhalb von 45°C führt zu
irreversiblen Zerstörungen der Gelatinemoleküle. Dies wurde durch die Verwendung eines auf 45°C eingestellten Kontaktthermometers, welches in das
Wasserbad ragt, verhindert. Das Wasserbad verhindert gleichzeitig, dass die
Hochdruckflaschen direkt mit der Heizplatte in Verbindung stehen und somit die
Temperatur in der Probe lokal über 45°C ansteigt. Die Gelatine-Lösungen wurden mit Hilfe einer Plastikspritze aus den Hochdruckflaschen entnommen und
direkt, wie oben beschrieben in die Messzellen eingebracht. Diese wässrigen
Proben sind sowohl als Sol als auch als Gel äußerst transparent und sind somit
bestens für die optischen Untersuchungen geeignet. Die Verwahrung der Proben erfolgte im Kühlschrank bei 5-7°C.
109
Herrn Dipl. Ing. Pflaumbaum von der Firma DGF Stoess AG danke ich für die Überlassung
der Gelatine Proben.
110
Der Firma Dupont de Nemours danke ich für die Überlassung einiger Gelatineproben.
111
5%ige Lösung aus 4-Chlor-3-Methylphenol in Methanol
EXPERIMENTELLER TEIL
6
36
Versuchsaufbau zur simultanen Bestimmung der optischen und
rheologischen Kenngrößen.
Die in dieser Arbeit durchgeführten Bestimmungen des Drehwertes des Lichts
und des komplexen Schubmoduls während der isothermen Gelierung des
Systems Gelatine / Wasser erfolgten mit einem in der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalischen Chemie an der Universität Duisburg selbst konstruierten, dynamischen Schwingungsviskosimeter112,113,114 und einem Präzisionspolarimeter vom Typ POL S-1 der Firma DRE – DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH.
PC
Rheometer
Polarimeter
PC
T1
T2
Abb. 6.1. Blockschaltbild für den Messplatz zur simultanen Bestimmung der optischen und rheologischen Kenngrößen
Da sowohl die optische Drehung und der komplexe Schubmodul sehr stark
temperaturabhängig sind, wurden zur Gewährleistung identischer thermischer
Bedingungen in den Messzellen beide Messgeräte über einen gemeinsamen
Thermostaten (T1) temperiert (s. Abb. 6.1.). Zum Aufschmelzen der Probe in
den Messzellen kann ein zweiter Thermostat (T2) über die in den Temperier112
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen
114
im Verlauf der Arbeit wird das dynamische Schwingungsviskosimeter gelegentlich auch als
Rheometer bezeichnet
113
EXPERIMENTELLER TEIL
37
kreislauf eingebauten Drei-Wege-Hähne "kurzgeschlossen" werden. Der
eigentliche Thermostat des primären Kreislaufes kann dadurch bei einer Temperatur eingestellt bleiben. Sowohl das dynamische Schwingungsviskosimeter
als auch das Polarimeter werden separat mit einem Personalcomputer (PC)
gesteuert. In den nächsten beiden Kapiteln sollen diese beiden Messgeräte
beschrieben werden.
6.1 Das dynamische Schwingungsviskosimeter.
Bei dem in dieser Arbeit verwendeten Rheometer handelt es sich wie oben
erwähnt um eine Eigenkonstruktion der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalische Chemie der Universität Duisburg. Es stellt die "zweite Generation" eines
von BORCHARD entwickelten und BURG konstruierten dynamischen Schwingungsviskosimeters dar.115,116 Bei der Entwicklung des neuen Rheometers realisierten BORCHARD und MICHALCZYK eine Messzelle mit wesentlich geringerem
Probenvolumen und damit deutlich geringerem Gewicht der schwingenden
Komponenten (s. Abb. 6.2.).117,118 Dies hat zum einen den Vorteil, dass die
Abkühlzeiten der Proben in der Messzelle kürzer sind, zum anderen erhöht sich
der Frequenzmessbereich. Die erheblich kürzeren Abkühlzeiten des neu konstruierten Rheometers gehen hauptsächlich auf die neu entwickelte Doppelspaltanordnung zurück.119 Die Probe wird hierbei sowohl durch einen äußeren Glaszylinder sowie durch einen inneren Stahlzylinder temperiert. Durch
diese Anordnung ergibt sich eine Rheometergeometrie, die sich aus einem
sogenannten Searl- und einem Couette-Typ zusammensetzt.120
Die zu untersuchende Probe in dem erwähnten Doppelspalt wird im Experiment
über einen einseitig offenen, schwingungsfähigen Hohlzylinder einer oszillierenden, sinusförmigen Scherdeformation ausgesetzt. In diesen Zylinder ragt ein
auf einer Metallplatte fixierter, etwas kleinerer Zylinder, der von der Temperierflüssigkeit durchströmt wird.
115
Burg B (1988) Dissertation Duisburg
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
117
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
118
Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen
119
Eine von mir beim Europäischen Patentamt in Auftrag gegebene Patentrecherche hat
ergeben, dass diese Messzellenanordnung nicht bekannt ist.
120
Searl – Typ: Der innere Zylinder wird angetrieben, der äußere Zylinder steht fest. CouetteTyp: Der innere Zylinder steht fest, der äußere wird angetrieben.
116
EXPERIMENTELLER TEIL
38
Stabmagnet
Metallmessfahne
äußeres
anregendes
Magnetfeld
rostfreier Stahldraht
oszillierender
Stahlzylinder
temperierter
Glaszylinder
Einspritzvorrichtung
gelierende Probe
innerer temperierter
Stahlzylinder
Abb. 6.2. Skizzierung des dynamischen Schwingungsviskosimeter mit Doppelspaltanordnung121
Nach außen ist die Messzelle durch den temperierten Glaszylinder abgegrenzt.
Die Schwingungsanregung erfolgt elektrodynamisch durch ein induziertes
Magnetfeld, welches durch zwei Wechselstrom durchflossene Kupferspulen
erzeugt wird. Dieses Magnetfeld wirkt orthogonal auf einen Stabmagneten, der
starr mit dem beweglichen Innenzylinder verbunden ist. Die daraus resultierende Auslenkung des schwingenden Systems wird berührungslos durch einen
induktiven Wegaufnehmer über eine Messfahne am Innenzylinder gemessen.
Der zur Schwingungsanregung erforderliche sinusförmige Wechselstrom wird
durch einen Frequenzganganalysator erzeugt, der seinerseits durch einen Leistungsverstärker unterstützt wird. Das am Innenzylinder wirkende Drehmoment
ist abhängig von der momentanen Stromstärke in der Erregerspule, welcher
proportional einem Spannungsabfall UE über einem reinen Ohmschen Widerstand ist. Der Messverstärker des induktiven Wegaufnehmers liefert als Signal
eine der momentanen Auslenkung des schwingenden Systems proportionalen
Spannung UA. Der Frequenzganganalysator analysiert den Zusammenhang
zwischen aufgegebenem Drehmoment und resultierender Auslenkung des
Systems. Die Größen sind hier die aus dem Quotienten von UE(max) und UA(max)
erhaltene Amplitudenverhältnis und Phasenverschiebung zwischen Erregungsschwingung und der Schwingung der Auslenkung. Beide Größen werden im
121
Ich bedanke mich bei Dr. H. Venohr für die freundliche Überlassung eines Teils der Skizze
des dynamischen Schwingungsviskosimeters.
EXPERIMENTELLER TEIL
39
Display des Frequenzganganalysators angezeigt. Die zu bestimmenden Größen G' und G'' werden anhand einer Kalibrierungsmessung von Ölen mit definierter Viskosität aus den ermittelten Messdaten berechnet.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Steuerung des dynamischen Schwingungsviskosimeters von längst veraltetem Ataribetrieb auf PC umgestellt.122 Der oben
erwähnte Frequenzganganalysator wird hierbei über einen GPIB–Port mit einer
in den PC eingebauten IEEE 486 Schnittstelle der Firma KEITHLEY gesteuert.
Mit Hilfe des Programms Test PointTM wurde ein Programm zur Steuerung des
Rheometers geschrieben, das die Einstellungen aller relevanten Versuchsparameter über eine Programmmaske erlaubt. Das Softwareprogramm wurde
dabei so gestaltet, dass der Verlauf der Gelierung online verfolgt werden kann.
Der Vorteil gegenüber der Steuerung über Atari ist, dass Fehlmessungen sofort
erkannt und abgebrochen werden können. Durch den Ataribetrieb wurden
Fehlmessungen erst dann sichtbar, wenn nach Ende der Messungen die Daten
umgeformt und dann mit Hilfe einer geeigneten Software als Diagramm dargestellt wurden. Insbesondere bei Messungen, die über einen längeren Zeitraum
laufen (1 Woche), ist diese Neuerung sehr zeitsparend. Der alles entscheidende Vorteil ist aber, dass die wesentlich höhere Rechnerleistung Abtastraten
in Sekundenintervallen erlaubt. Durch den Ataribetrieb konnte maximal alle 18 s
ein Messwert ermittelt werden. Bei Untersuchungen schnell gelierender
Systeme stehen somit 18mal so viele Messwerte zur Verfügung, wodurch eine
Auswertung der Gelierkurven nach der Perkolationstheorie überhaupt erst möglich wird.
Die Bestimmung der Temperatur während des Experiments geschieht mit Hilfe
eines Thermoelements. Über eine ebenfalls in den PC eingebaute Schnittstelle
der Firma KEITHLEY ist es möglich, die Temperaturmessung in das Softwareprogramm zu implementieren, sodass die Kontrolle des Temperaturverlaufs ebenfalls online erfolgen kann.
6.1.1
Messsystematik.
Für die Durchführung der Experimente ist es unbedingt erforderlich im linear
viskoelastischen Bereich zu arbeiten. Dies ist gewährleistet, wenn unterschiedlich große Schwingungsamplituden keinen Einfluss auf die Messgrößen, sprich
122
Herrn Michael Kischel, Herrn Volker Körstgens und Herrn Volker Fischer danke ich für die
Hilfe bei der Hardwarekonfiguration sowie der Formulierung der Auswertesoftware.
EXPERIMENTELLER TEIL
40
Speicher- und Verlustmodul, haben. Dies wurde durch die Bestimmung des
Speichermoduls als Funktion der Anregungsspannug, ständig überprüft.
Da die Messungen sehr empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren, wurden die
Beeinträchtigungen durch Gebäudeschwingung, welche insbesondere Messungen bei kleinen Frequenzen sehr stören, weitestgehend verhindert, indem das
dynamische Schwingungsviskosimeter auf eine massive Stahlplatte gestellt
wurde, die ihrerseits von vier nach unten spitz zulaufende Messingkegeln
getragen wurde.123
Die vorliegenden Arbeit hat die Absicht, die Gelierung möglichst von Anbeginn
der Messung unter isothermen Bedingungen zu verfolgen. Dies wurde in den
früheren Arbeiten weitestgehend durch die Verwendung zweier Temperaturkreisläufe realisiert. Ein Temperaturkreislauf wurde auf die gewünschte Temperatur, bei der die Untersuchung durchgeführt werden sollte, eingestellt, der
zweite temperierte die Messzelle mit einer Temperatur oberhalb der Gelbildungstemperatur. Über die Einspritzvorrichtung (s. Abb. 6.2.) wurde nun die wie
in Kap. 5 aufbereitete Probe in die Messzelle eingebracht. Durch das Verstellen
zweier Drei-Wege-Hähne wurde das höher temperierte Wasserreservoir vom
Kreislauf abgeklemmt und die Messzelle jetzt von dem auf Geliertemperatur
eingestellten Thermostaten temperiert. Die Abkühlzeiten in der Probe lagen bei
18 s.124,125,126
Zur Realisierung wirklicher isothermer Bedingungen von Anbeginn der Messung
an wurde in dieser Arbeit ein einfacher, aber sehr wirksamer "Kunstgriff" getätigt. Das Probenmaterial wurde hier direkt in die bereits auf die gewünschte
Geliertemperatur eingestellte Messzelle eingespritzt. Da garantiert werden
sollte, dass die Temperatur des schwingenden Zylinders, der nicht an den
Temperierkreislauf angeschlossen ist, mit der Temperatur des Stahl- bzw.
Glaszylinders identisch ist (kein Temperaturgradient in der Probe), wurde vor
allen Messungen die Messzelle mit Aceton gefüllt und ausreichend lange
gewartet bis ein Temperaturausgleich mit dem schwingenden Stahlylinder stattfinden konnte. Im Anschluss wurde das Aceton durch die Spritzeinrichtung
abgesaugt und die Messzelle zügig mit Pressluft vom Restlösemittel befreit.
Unmittelbar danach wurde das Probenmaterial blasenfrei mit Hilfe einer Plastik123
Trotz aller Vorkehrungen konnte der Einfluss der Straßenbahnlinie 901 der Duisburger
Verkehrsgesellschaft, die unmittelbar am Gebäude vorbeiführt, auf die Gebäudeschwingung
nicht vollständig eliminiert werden.
124
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
125
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
126
Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen
EXPERIMENTELLER TEIL
41
spritze in die Messzelle eingespritzt und die Messung direkt gestartet.127,128 Aus
der Abb. 6.3. geht hervor, wie deutlich sich die beiden Methoden unterscheiden.
160
140
100
2,0
80
1,5
A
G' / Pa
G' / Pa
120
60
40
B
20
A
B
1,0
0,5
0,0
0,0
2
4
t / min
6
0
0
5
10
15
t / min
20
Abb. 6.3. Vergleich des Verlaufes des Speichermoduls G‘ während der Gelierung
einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
bei 16°C nach vorangegangenem Temperatursprung (B) bzw. Direkteinspritzung (A)
Wird das Experiment nach der Methode der Direkteinspritzung ausgelöst, entwickelt sich bereits nach 2.82 min der Verlauf des Speichermoduls. Wird das
Experiment durch den Temperatursprung gestartet, tritt dies erst nach 4 min
auf. Wie im späteren Verlauf der Arbeit deutlich wird, liegt der Punkt, bei dem
ein messbarer Wert für den Speichermodul vorliegt, sehr nahe an der Perkolationsschwelle und damit an der Gelierzeit. Bei der Auswertung nach den Kriterien der Perkolationstheorie dürften hier deutliche Unterschiede auftreten, die
sich auf die Messergebnisse auswirken.
Aus Abb. 6.3. wird allerdings auch deutlich, dass im weiteren Verlauf der Gelierung dieses verzögerte Einsetzen der Gelierung keine Auswirkung hat, denn
bereits nach 20 min nehmen die Moduli gleiche Werte an. Grund hierfür ist,
dass zu diesem Zeitpunkt ausschließlich die Temperatur das Gelierverhalten
bestimmt und nicht mehr die Vorgeschichte.
127
Eine weitere Entwicklung dieser Methode wird sein, eine temperierte Einfüllvorrichtung zu
konstruieren, sodass bereits vortemperiertes Probenmaterial in die Messzelle eingebracht wird.
128
Da sich die Messungen über einen längeren Zeitraum erstreckten, wurden die in die
Messzelle eingebrachten Proben mit Paraffinöl überschichtet um das Verdunsten des Wassers,
das eine Änderung der Konzentration zur Folge hätte, zu verhindern.
EXPERIMENTELLER TEIL
6.1.2
42
Mathematische Beschreibung des dynamischen Experiments.
Die erzwungene harmonische Schwingung des oszillierenden Zylinders kann
durch Gl. (6.1) ausgedrückt werden:129
(t ) + η * ϕ (t ) + Dϕ(t ) = M(t ) = M0 eiωt .
Iϕ
(6.1)
Auf der rechten Seite der Gl. (6.1) steht der Ausdruck für den durch das äußere
Feld hervorgerufene Drehmoment M(t), das auf den Zylinder wirkt - M0 ist dabei
die maximale Amplitude. Auf der linken Seite stehen alle Beiträge, die auf die
Messzelle zurückzuführen sind. Dies sind der oszillierende Zylinder, der
Magnet, der Stab, an dem die beiden Komponenten befestigt sind, der Draht
und die viskoelastische Probe, die sich im Verlauf des Experiments am Zylinder
(t ) repräsentiert den Beitrag der Massenträgheit mit dem Masanlagert.130 I ϕ
senträgheitsmoment I des oszillierenden Zylinders inklusive aller damit verbun (t ) . Der Ausdruck η * ϕ (t ) steht
denen Massen und der Winkelgeschwindigkeit ϕ
für die Reibungsverluste bei der Winkelgeschwindigkeit ϕ(t) und der komplexen
Viskosität η*.131 Dϕ(t) gibt den Beitrag des Rückstellmoments mit der Direktionskonstanten D des Systems und dem Winkel ϕ(t) wieder.
η* und D setzten sich aus einem apparativen Anteil (Index ap) und einem
Anteil, verursacht durch die viskoelastische Probe (Index pr), zusammen.132
′
η * = η′ap + η′pr − iη′pr
(6.2)
D = D ap + Dpr .
(6.3)
η′ap wird durch die Verwendung von nicht rein elastischem Stahldraht verursacht, an dem der oszillierende Zylinder aufgehängt ist anstelle von reinem
aber korrodierenden Stahl.
Dpr in Gl. (6.3) berücksichtigt das Rückstellmoment der Probe nach dem Gelpunkt. Der Rückstellmoment ist proportional zum Winkel ϕ.
129
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
Dieser Term kann bei schwachen Gelen und niedrigen Frequenzen unberücksichtigt bleiben.
131
In Analogie zu dem in Kap. (2.5) eingeführten komplexen Schubmodul Gl. (2.25), lässt sich
*
auch eine komplexe Viskosität formulieren. η = η' - iη''. Hierbei ist η' die dynamische Viskosität
(im Verlauf der Arbeit nur als ηdyn bezeichnet), die die wirklichen rein - viskosen Anteile einer
Probe berücksichtigt, η'' repräsentiert hingegen mögliche elastische Anteile eines Fluids.
132
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
130
EXPERIMENTELLER TEIL
43
Gl. (6.4) liefert die Lösung der Gl. (6.1):
ϕ(t ) = ϕ0 ei(ωt − δ ) .
(6.4)
ϕ0 ist die maximale Auslenkungsamplitude und δ der Phasenwinkel zwischen
dem äußeren Drehmoment und dem des schwingenden Zylinders.
Die erste und zweite Ableitung des Winkels ϕ nach der Zeit sind gegeben
durch:
ϕ (t ) = iωϕ 0 ei(ωt − δ ) = iωϕ(t )
(t ) = − ω2 ϕ 0 ei(ωt − δ ) = iωϕ (t ) .
ϕ
(6.5)
Aus den Gln. (6.1), (6.4) und (6.5) ergibt sich:
M
M(t )
D
= iω I + η * +
= 0 eiδ .
iω iωϕ 0
ϕ (t )
(6.6)
Der Quotient aus M(t) und der Winkelgeschwindigkeit ϕ (t ) wird die komplexe
mechanische Impedanz genannt.133,134 Gl. (6.6) lautet dann:
Z≡
M 0 iδ
M
e = 0 (cos δ + i sin δ) .
iωϕ 0
iωϕ 0
(6.7)
Unter Berücksichtigung der Gln. (6.1), (6.2) und (6.7) können zwei Gleichungen
für Z formuliert werden, eine für die leere (Index l) und eine für die mit Probe
gefüllte (Index g) Messzelle:135
′ +
Z g = iω I + η′ap + η′pr − iη′pr
Zl = iω I + η′ap +
(
1
D ap + Dpr
iω
1
D ap .
iω
)
(6.8)
(6.9)
Aus der Differenz der Gln. (6.8) und (6.9) ergibt sich die Komplexe mechanische Impedanz der viskoelastischen Probe Zpr:
133
Schwarzl F, Staverman AJ (1956) In: Stuart HA (ed) Physik der Hochpolymere IV, Springer
Verlag, Berlin Göttingen Heidelberg
134
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc. New York
135
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
EXPERIMENTELLER TEIL
44
′ +
Z pr = η′pr − iη′pr
D 

1
′ + pr 
Dpr = η′pr − i  η′pr
ω 
iω

(6.10)
Unter Verwendung der Abkürzungen Gl. (6.11): geht Gl. (6.7) in Gl. (6.12) über,
ein Ausdruck nach dem sich Zpr aus der Zeitanalyse der Erregerschwingung
bestimmen lässt.136
Kl =
Z pr =
M0
ϕ 0,l
Kg =
und
[(
M0
ϕ 0, g
(6.11)
)]
) (
1
K g cos δ g − K l cos δl + i K g sin δ g − K l sin δl .
iω
(6.12)
Der komplexe Schubmodul G* hängt über die Beziehung:
G * = iω
1
Z
b
(6.13)
mit der komplexen mechanischen Impedanz Z zusammen und lässt sich unter
Berücksichtigung der Gl. (6.10) bestimmen, wenn b der Formfaktor in Gl. (6.13)
richtig angesetzt ist.
Der Formfaktor berücksichtigt die Geometrie der verwendeten Messzelle. In
geometrischer Hinsicht stellt sich das neu entwickelte dynamische Schwingungsviskosimeter, wie oben erwähnt, aus einem kombinierten Searl und
Couette Typ zusammen. Bei der Berechnung des Formfaktors sind daher 4
Radien zu berücksichtigen. Der Radius R1 des inneren feststehenden Zylinders,
der "innere" Radius R2 des oszillierenden Zylinders, der "äußere" Radius R3 des
oszillierenden Zylinders und R4, der Radius des äußeren Glaszylinders. In
Anbetracht der dünnen Wandstärke des oszillierenden Zylinders (R3 –
R2 = 0.2mm)
kann
folgende
Näherung
eingeführt
werden:
(R2 + R3) / 2 = Rm≈ R2 ≈ R3. Aus den Berechnungen ergibt sich für den kombinierten Searl – Couette Typ folgender Formfaktor:137,138,139
b=
136
[ (
(R −
)
(
4πLRm2 R24 R12 − Rm2 + R12 R 24 − Rm2
2
4
)(
Rm2 R12 − Rm2
)
)]
(6.14)
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York
138
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
139
Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen
137
EXPERIMENTELLER TEIL
45
Unter Berücksichtigung dieses Terms lässt sich für den wie in Gl. (2.23) komplex angesetzten Schubmodul folgender Ausdruck formulieren:
′ =i
G∗pr = G′pr + iG′pr
[
]
ω
1
′ + iωη′pr
′
Z pr = Dpr + ωη′pr
.
b
b
(6.15)
Die separaten Ausdrücke für den frequenzabhängigen Real- bzw. Imaginärteil
des komplexen Schubmoduls sind gegeben durch:
[
′
G′pr (ω) = Dpr + ωη′pr
′ (ω) =
G′pr
] b1
ω
η′pr .
b
(6.16a)
(6.16b)
Berücksichtigt man Gl. (6.12) ergibt sich entsprechend für den Real- und Imaginärteil:
mit K ′g =
Kg
b
, K l′ =
G′pr = K ′g cos δ g − K ′l cos δl
(6.17a)
′ (ω) = K ′g sin δ g − K l′ sin δl
G′pr
(6.17b)
Kl
.
b
Experimentell lassen sich K ′g und K ′l indirekt aus dem Verhältnis zweier Spannungen Um und Uϕ bestimmen. Führt man km und kϕ als Proportionalitätskonstanten ein, dann erhält man:140
K ′g =
M0
k U0
U0
= M 0M = E 0M = EA g
bϕ 0,g bk ϕUϕ,g
Uϕ,g
K ′l =
0
0
M0
k M UM
UM
=
=E
= EA l .
bϕ 0,l bk ϕU0ϕ,l
U0ϕ,l
(6.18)
(6.19)
Die Größe E ist hierbei die elektro – mechanische Apparatekonstante, deren
Bestimmung weiter unten beschrieben wird. Durch die Einführung der Verhältnisse der Spannungsamplituden Ag bzw. Al können schließlich der Speicherund Verlustmodul nach folgender Gleichung berechnet werden:
140
Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200
EXPERIMENTELLER TEIL
46
[
]
(6.20)
[
]
(6.21)
G′pr (ω) = E A g cos δg − A l cos δl
G′pr′ (ω) = E A g sin δg − A l sin δl .
Wie bereits in Kap. 2.6 erwähnt, können die Gln. (2.22) und (2.23) nur dann zur
Auswertung herangezogen werden, wenn der Einfluss der Messapparatur vernachlässigt werden kann. Da dies, wie gerade gezeigt, nicht der Fall ist, muss
die oben erwähnte elektro - mechanische Apparatekonstante ermittelt werden.
Dies geschieht, indem die Apparatur mit einem Mineralöl kalibriert wird, dessen
Viskosität sehr genau bestimmt und der NEWTONsche Bereich kontrolliert wurde.
Dies wurde bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt, um der Temperaturabhängigkeit der Viskosität Rechnung zu tragen.
Für die späteren frequenzabhängigen Messungen ist es erforderlich, eine Apparatekonstante ebenfalls frequenzabhängig zu bestimmen.141 Die Apparatekonstante lässt sich nach folgender Gleichung berechnen:
E=
ω ⋅ (η1 − η 2 )
A 1 sin(δ1 ) − A 2 sin (δ 2 )
(6.22)
In Gl. (6.22) bedeuten:
η1 = dynamische Viskosität des Öls bei der Temperatur T1
η2 = dynamische Viskosität des Öls bei der Temperatur T2
δ1 = Phasenverschiebung bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T1
δ2 = Phasenverschiebung bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T2
A1 = Amplitudenverhältnis bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T1
A2 = Amplitudenverhältnis bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T2
6.2 Das Polarimeter.
Die in dieser Arbeit durchgeführten Bestimmungen der optischen Drehung während der thermoreversiblen Gelierung des Systems Gelatine / Wasser wurden
mit einem Präzisionspolarimeter vom Typ Pol S-1 der Firma DRE DR. RISS
ELLIPSOMETERBAU GmbH durchgeführt (s. Abb. 6.4.). Die Steuerung des Messplatzes erfolgte durch eine vom Hersteller programmierte Software.
141
Während der Durchführung der vorliegenden Arbeit reichte es aus, die Kalibrierung alle 6
Monate zu wiederholen.
EXPERIMENTELLER TEIL
47
Das Polarimeter arbeitet nach dem Prinzip des automatischen, optischen Nullabgleichs. Lichtquelle ist eine Laserdiode mit einer Wellenlänge von 670nm. Die
Auswertung des von der zu messenden Substanz gedrehten Winkel erfolgt über
einen fehlerkorrigierten Schrittmotor höchster Genauigkeit (360 000 Schritte je
Umdrehung), der mit einem Polarisationsprisma verbunden ist. Ausgewertet
wird das Licht mit einem Lichtdetektionssystem, das sich automatisch an die
detektierte Lichtintensität anpasst. In Abb. 6.5. ist das Blockschaltbild des Polarimeters dargestellt.
Ein- bzw. Ausgang
für Therm ostaten
Steuerelektronik
Abb. 6.4. Schematische Darstellung des Polarimetermessplatzes142
EXPERIMENTELLER TEIL
Laser
fest orientierter
Polarisator
48
Probe
Interferenzfilter und
Polarisator auf
Schrittmotor montiert
Detektor
Abb. 6.5. Blockschaltbild des Polarimeters143
Bei höchster Auflösung beträgt die Messgenauigkeit 0.002° bei einem Drehwert
zwischen –90° und +90°.144 Je nach Wahl der vier möglichen Genauigkeiten
kann alle 2 – 15 s ein Messwert aufgenommen werden.
Für die Verwendung dieses Polarimeters sprechen mehrere Gründe. Im
Gegensatz zu herkömmlichen Polarimetern mit mechanischem Getriebe und
Faraday-Modulator, kann im Pol S-1 kein fehlerproduzierender Verschleiß eines
Zahnradgetriebes auftreten, da kein Getriebe vorhanden ist. Weiterhin ist kein
Glasstab aus Schwerflintglas vorhanden, da der Faraday-Modulator ebenfalls
entfällt. Schwerflintglas hat die negative Eigenschaft einer sehr großen Restanisotropie, die einen Langzeitdrift aufweist und damit die Linearität verändert.
Die Spule eines Farady-Modulators unterliegt der Wärmeausdehnung und verändert in Abhängigkeit von der Temperatur den Stelleffekt. Ein weiterer negativer Effekt ist der Einfluss des Magnetfeldes des Faraday-Modulators auf die
Endfenster der Küvetten. Eine mögliche Torsion des Chassis zwischen den
beiden Polarisationsfiltern wird kompensiert, indem nach dem Anschalten des
Gerätes bzw. nach der Aufwärmphase der Nullpunkt durch eine im Steuerprogramm integrierte "Zero orientation" neu gesetzt wird. Diese Funktion dient
ebenfalls zur Kalibrierung des Polarimeters. Nach dieser Prozedur wird ein
Drehwinkel ermittelt und abgespeichert, der automatisch von den im Experiment ermittelten Werten subtrahiert wird.
Die Hersteller bieten für diesen Typ Polarimeter eine Reihe thermostatisierbarer
Quarzküvetten mit einem Probenvolumen von 0.8 bis 16 mL an. Die Rotation
einer leeren Küvette kann durch einen im Steurprogramm integrierten Menü-
142
Übernommen aus der Bedienungsanleitung für das Präzisionspolarimeter POL S-1 der
Firma DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH.
143
Werbeprospekt für das Polarimeter POL S-1 der Firma LOT ORIEL.
144
Genauigkeit bezogen auf den Mittelwert einer Mehrfachmessung.
EXPERIMENTELLER TEIL
49
punkt ermittelt und somit bei den Untersuchungen der Proben berücksichtigt
werden.145,146
6.2.1
Messsystematik.
Bei den in dieser Arbeit durchgeführten Experimenten wurde ausschließlich
eine zylindrische, thermostatisierbare Polarimeterküvette aus Quarzglas verwendet. Die Länge der Küvette betrug 200 +/- 0.1 mm und hatte einen Innendurchmesser von 10mm, das Probenvolumen betrug 16 mL. Die Küvette verfügt
über einen Ein- und Auslass für die Temperierflüssigkeit. Diese sind über zwei
Silikonschläuche mit zwei Schnellkupplungen, inklusive Ventil, mit dem Temperierkreislauf verbunden. Durch die Betätigung der Schnellkupplung konnte die
Küvette problemlos aus dem Polarimeter entnommen werden.
Die wie in Kap. 5 aufbereiteten Proben wurden als Sol blasenfrei in die bereits
auf die gewünschte Messtemperatur eingestellte Messzelle mit Hilfe einer Plastikspritze in die Küvette eingebracht. Hierdurch ergeben sich konform zur Messung mit dem Rheometer Abkühlzeiten, die innerhalb der Messraten von 2 s
liegen. Von Anbeginn der Messung können auch hier isotherme Bedingungen
zu Grunde gelegt werden.147
Während der Untersuchungen bei tiefen Temperaturen bildete sich an den
Küvettenfenstern Kondenswasser, das den ein- bzw. ausfallenden Laserstrahl
so stark streute, dass die Intensität des Lichtes am Detektor derart gering war,
was einen automatischen Abbruch der Messung zur Folge hatte. Zur Verhinderung der Bildung von Kondenswasser, wurde das Polarimeter in einer GloveBox aufgestellt. Sämtliche Zuleitungen (Strom, Kühlung) wurden mit Hilfe von
Silikonstopfen und Silikonkleber so in die Glove-Box geführt, dass diese luftdicht abgeschlossen werden konnte. Nachdem die Probe in die Küvette eingebracht, und die Glove-Box geschlossen wurde, sorgte das darin ausreichend
verteilte wasserfreie Kieselgel dafür, dass störende Kodensationen an den
Küvettenfenstern ausblieben.
145
Riss (DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH), persönliche Mitteilung
Bedienungsanleitung vom 28.7.1997 für das Präzisionspolarimeter POL S-1 der Firma DRE
DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH.
147
An dieser Stelle sei erwähnt, dass es dem Experimentator alleine nicht möglich ist, eine
simultane Messung zu starten. Da die Messungen über die PC's ohne Zeitunterschied gestartet
werden müssen, bedarf es zweier Personen, die in gemeinsamer Absprache die Messzellen
zeitgleich befüllen und die Messungen starten. In einer weiteren Entwicklung könnte das
Befüllen der Probenmesszellen automatisiert werden, sodass die Hilfe einer weiteren Person
zum Befüllen der Probenmesszellen nicht mehr erforderlich wäre.
146
EXPERIMENTELLER TEIL
6.2.2
50
Berechnung der Messgrößen.
Das Steuerprogramm des Polarimeters ermöglicht es, wahlweise den Wert der
optischen Drehung bzw. den in Kap. 3 beschrieben Wert der spezifischen optischen Drehung, automatisch zu bestimmen bzw. die Entwicklung dieser Werte
während der Gelierung online zu verfolgen. Die Messwerte wurden auf entsprechenden Datenträgern gespeichert und standen in dieser Form für die weiteren
Auswertearbeiten bzw. graphischen Darstellungen mit den geläufigen Mathematikprogrammen zur Verfügung.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
51
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
7
Übersicht der durchgeführten Messungen.
In der vorliegenden Arbeit wurden am System Gelatine / Wasser in einem Konzentrationsbereich von 2 bis 8 Gew.-% der komplexe Schubmodul und die optische Drehung während der isothermen Gelierung bei verschiedenen Temperaturen simultan bestimmt. Die Geliertemperaturen wurden dabei so gewählt,
dass eine schnelle Gelierung zu erwarten war, und somit Messzeiten von
120 min ausreichten, um die Sol – Gel – Umwandlung zu beobachten.
Vor der Umstellung auf den PC gesteuerten Rheometermessplatz wurden am
System Gelatine / Wasser Messungen über einen Zeitbereich von 4000 min
durchgeführt. Anhand dieser Langzeitmessungen sollte ein Modell überprüft
werden, das den Verlauf des Speichermoduls in der Nähe und in weiter Entfernung des Gelpunkts beschreibt.
Alle hier erwähnten Messungen wurden bei einer Frequenz von 6.28 rad⋅s-1 und
einer Anregungsspannung von 0.1 V durchgeführt. Zur Untersuchung der Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls wurde für eine Probe - in
einem Frequenzbereich von 1.256 rad⋅s-1 bis 37.68 rad⋅s-1 - die isotherme
Gelierung untersucht.
Die sich aus dem Ergebnis – und Diskussionsteil ergebenen neuen Auswerteverfahren sollen anhand eines Beispiels graphisch dargestellt und diskutiert
werden. Die Ergebnisse der übrigen Messungen sind in Tabellenform im
Anhang A-1 aufgeführt und werden im Text diskutiert.
Im Anhang A-3 sind die Messkurven aller simultan durchgeführten Messungen
aufgeführt.148
Die simultan durchgeführten Messungen hatten einerseits den Zweck, die während der Gelierung auftretende Änderungen der beiden Kenngrößen –
komplexer Schubmodul und optische Drehung - zu korrelieren (s. Kap. 8.4).
Andererseits sollten die rheologischen Kenngrößen hauptsächlich dazu benutzt
werden, um mit ihnen nach der Perkolationstheorie den Gelpunkt und die kriti-
148
Auf eine Diskussion dieser Gelierkurven soll verzichtet werden.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
52
schen Exponenten zu bestimmen. Die Kenntnis dieser Größen ist für eine qualitative und quantitative Beschreibung des kompletten Verlaufes des Speichermoduls von Bedeutung.
8
Die Bestimmung des Gelpunkts und der kritischen Exponenten.
Wie in Kap. 4.2 erwähnt, ist eine möglichst genaue Bestimmung des Gelpunkts
von großem industriellen Interesse. Anhand des rheologischen Verhaltens der
untersuchten Systeme lässt sich der Gelpunkt nach verschiedenen Methoden
bestimmen. Zwei Methoden sollen hier näher erläutert werden.
8.1 Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls.
WINTER und Mitarbeiter fanden bei der Untersuchung der Gelierung chemisch
vernetzender Systeme, dass der zeitliche Verlauf des Relaxationsmoduls G(t)
durch ein Potenzgesetz beschrieben werden kann, welches streng genommen
nur in der Nähe des Gelpunkts Gültigkeit besitzt.149,150
G (t) ~ t − ∆
(8.1)
Für die Frequenzabhängigkeit des Speicher- und Verlustmoduls findet man
ebenfalls ein Potenzgesetz, das am Gelpunkt denselben Exponenten ∆ liefert.
G' (ω) ~ G ' ' (ω) ~ ω ∆
(8.2)
Hieraus ergibt sich, dass der Quotient aus Verlust– und Speichermodul, der
sogenannte Verlustwinkel δ, am Gelpunkt frequenzunabhängig ist:151,152,153
tan δ =
149
G' '
= ω 0.
G'
Chambon F, Winter HH (1985) Polym Bull 13:499
Winter HH, Chambon F (1986) J Rheol 30:67
151
Winter HH, Chambon F (1986) J Rheol 30:67
152
Chambon F, Winter HH (1987) J Rheol 31(8):683
153
Cuvelier G, Launay B (1990) Makromol Chem, Macromol Symp 40:23
150
(8.3)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
53
Dieses Verhalten wurde später ebenfalls für physikalisch vernetzende Gele
gefunden.154,155,156,157 Beispielhaft soll dieses Verhalten am System Gelatine / Wasser gezeigt werden (s. Abb.8.1. und Abb. 8.2.).
100
10
37.68
31.40
25.12
12.56
5.024
3.768
2.512
1.256
1
tan δ
0,1
0,01
0
1
2
3
4
t / min
5
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
-1
rad*s
6
Abb. 8.1. Die Funktion tan δ in Abhängigkeit der Zeit für verschiedene Frequenzen
(s. Diagramm) in einer halb-logarithmischen Darstellung während der isothermen
Gelierung bei 16°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4Gew.-%
In Abb. 8.1 ist der tan δ für verschiedene Frequenzen gegen die Zeit aufgetragen. Eine Streuung der Messwerte erschwert das Lokalisieren eines genauen
Schnittpunktes, sodass die Gelierzeit mit 2.7 min angenommen werden kann,
wenn man eine leichte Unschärfe in Kauf nimmt. Es ist deutlich zu erkennen,
dass für alle Frequenzen die ersten Werte für tan δ sehr nahe am Schnittpunkt
der Kurven liegen. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Gelierzeit im Bereich
der ersten messbaren G‘-Werte liegen. Vorher sind keine Werte für G‘ vorhanden und somit lässt sich für die Zeit weit vor dem Gelpunkt nicht der tan δ
berechnen. Weiterhin geht aus der Abb. 8.1. hervor, dass sich nicht alle Kurven
im gleichen Punkt schneiden. Dies trifft insbesondere auf die Kurven, die aus
den Messungen bei hohen Frequenzen hervorgehen. Dieser Befund ist in
Übereinstimung mit den Ergebnissen von Venohr.158 Es muss davon ausgegan-
154
te Nijenhuis K, Winter HH (1989) Macromolecules, 22:411
Burg B, Borchard W (1989) In: Integration of Fundamental Polymer Science and
Technology, Rolduc Meeting III, Elsevier, London p. 323
156
Cuvelier G, Peigney-Nourry C, Launay B (1990) In: Philips GO et. al. (eds) Gums and
th
Stabilisers for the Food Industry 5 ed, IRL Press, Oxford p.549
157
Lin YG, Mallin DT, Chien JCW, Winter HH (1991) Macromolecules 24:850
158
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
155
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
54
gen werden, dass die Frequenzunabhängigkeit von tan δ am Gelpunkt nur für
geringe Frequenzen Gültigkeit besitzt.
Für die Zeit t = 2.7 min soll nun überprüft werden, ob die Beziehung in Gl. (8.2)
erfüllt ist. Hierzu ist in Abb. 8.2. der Logarithmus des Speicher bzw. Verlustmoduls gegen den Logarithmus der Frequenz aufgetragen.
Durch diese Darstellung wird deutlich, dass zum Zeitpunkt t = 2.7 min, eine
lineare Beziehung zwischen dem Speicher - bzw. Verlustmodul in Abhängigkeit
von der Frequenz vorliegt. Bis auf eine geringe Abweichung ergeben sich identische Werte für die Exponenten ∆G' und ∆G''. Durch die Mittelwertbildung wird ∆
mit 0.695 berechnet. Diese Auswertungen bestätigen, dass die von W INTER für
chemisch vernetzende Systeme gemachte Theorie ebenso für physikalisch vernetzende Systeme Gültigkeit besitzt.
G' / Pa
G'' / Pa
1
0,1
∆ G' = 0.71
∆ G'' = 0.68
0,01
0,1
1
ω / rad*s
-1
10
Abb.8.2. Der Verlustmodul G’’ und der Speichermodul G’ als Funktion der Frequenz
ω bei der Zeit t = 2.7 min in einer doppeltlogarithmischen Darstellung für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% bei 16°C
8.2 Auswertung nach der Perkolationstheorie.
Eine weitere Methode ist die Bestimmung des Gelpunkts gelierender Systeme
mit Hilfe der Perkolationstheorie. Grundlage für die Auswertung sind die in Kap.
4.2 aufgeführten Gln. (4.5) und (4.6). Diese beiden Gleichungen können nicht
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
55
dazu herangezogen werden, den kompletten zeitlichen Verlauf des Speicherund Verlustmoduls zu beschreiben, denn die Perkolationstheorie besitzt nur
Gültigkeit in der Nähe der Perkolationsschwelle. Im hier vorliegenden Fall der
Gelierung, ist dies der Bereich um den Gelpunkt (s. Kap. 4). Für die Auswertung
sind folgende Fragen relevant: Wie nah ist "in der Nähe" der Perkolationsschwelle?159 Welche experimentell ermittelten Werte dürfen bzw. müssen zur
Auswertung herangezogen werden?
MICHALCZYK und später VENOHR begegneten dem Problem auf folgende Weise.
Sie überführten die Perkolationsansätze Gln. (4.5) und (4.6) durch Logarithmieren in eine linearisierte Form
log G' ' = log K η − ν log ( t gel,η − t )
(8.4)
log G' = log K G + µ log ( t − t gel,G )
(8.5)
und berücksichtigten bei ihren Auswertungen den Teil an Messwerten, der
durch Regressionsrechnungen nach Gln. (8.4) bzw. (8.5) den größten
Korrelationskoeffizienten lieferten. MICHALCZYK gab bei diesem Verfahren zu
bedenken, dass der Korrelationskoeffizient mit zunehmender Länge der für die
Regressionsrechnung verwendeten Zeitintervalle, in welchen die Messwerte
liegen, ein Maximum durchläuft.160 Es muss also hierbei die Anzahl der zur
Regressionsrechnung verwendeten Messwerte und damit auch die Länge des
Zeitintervalls solange variiert werden, bis der Korrelationskoeffizient maximal
wird. Im Falle einer Auswertung nach Gl. (8.5) beginnt das zu
berücksichtigende Zeitintervall immer mit dem ersten gemessenen Wert von G'.
Dieses birgt ein Problem, denn die Bestimmung des ersten Wertes von G' ist
abhängig von der Empfindlichkeit des verwendeten Rheometers. Wie oben
erwähnt, liegt die Empfindlichkeit des Rheometers bei 0.02 Pa. Wäre man in
der Lage, ein sensibleres Rheometer zu konstruieren, so würde das zur
Regression verwendete Zeitintervall vergrößert, was nicht ohne Einfluss auf die
Ergebnisse bliebe. Anders ausgedrückt: Man macht den Gültigkeitsbereich der
Perkolationstheorie abhängig von der Empfindlichkeit der verwendeten
Messeinrichtung.
An dieser Stelle könnte vorsichtig die Frage formuliert werden, ob der erste
bestimmte G'-Wert auf den reversibel gespeicherten Anteil der Arbeit, bedingt
durch ein bereits gebildetes Netzwerk, zurückzuführen ist, oder ob zu diesem
159
160
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
56
Zeitpunkt noch gar kein Netzwerk gebildet ist, und der geringe Beitrag des Speichermoduls durch Verschlaufungen der Moleküle im Sol geleistet wird?161 Der
Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie würde hier ebenfalls verletzt, denn
der Einfluss der entanglements wird in der Theorie nicht berücksichtigt.
Welchen Einfluss die Breite des gewählten Zeitintervalls, bzw. die Anzahl der
Messwerte, auf die Bestimmung der Gelierzeit hat, lässt sich nur abschätzen.
Inwiefern sich die Gelierzeit auf die kritischen Exponenten auswirkt, wurde von
BORCHARD und Mitarbeitern am System Gelatine / Wasser untersucht.162 Sie
bestimmten für ein Zeitintervall, das wohlgemerkt über Regressionsrechnungen
nach den Gln. (8.4) und (8.5) den besten Korrelationskoeffizienten lieferte, eine
Gelierzeit von 7.0 min. Diese Zeit hoben sie um 10 s an, fixierten diesen Wert
und führten einen weiteren Itterationsschritt durch. Die kritischen Exponenten µ
und ν veränderten sich dabei um 10%. Hieraus lässt sich ableiten, dass zur
genauen Bestimmung der Gelierzeit der genaue Perkolationsbereich bekannt
sein muss. Eine genau bestimmte Gelierzeit ist wiederum Voraussetzung für
eine genaue Bestimmung der kritischen Exponenten.
Im folgenden Kapitel wird eine Methode beschrieben, die es ermöglicht, den
Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie scharf einzugrenzen und dabei nur
eine Gelierzeit tgel als Lösung zu liefern.
8.2.1 Die normierten Perkolationsansätze.
Bezieht man die Klammerausdrücke in den Gln. (4.5) und (4.6) auf eine
bestimmte Gelierzeit tgel, dann gehen die Gleichungen in sogenannte normierte
Perkolationsansätze über:

t 
G' ' = K η 1 −

t gel 

−ν
⋅ t gel
−ν
für
t < t gel
(8.6)
für
t > t gel .
(8.7)
µ
 t

µ
G' = K G 
− 1 ⋅ t gel
t

 gel

Die logarithmierten Ableitungen der Gln. (8.6) und (8.7) nach der Zeit liefern die
linearisierten Formen der normierten Perkolationsansätze:
161
162
Kästner S (1979) Polymer 20:1329
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
57
 νKη

t 
 dG' ' 
−ν 
ln 
⋅ t gel  − (ν + 1) ln 1 −
 = ln 


t gel 
 dt 
 t gel


(8.8)
 µKG
 t

 dG' 
µ 
ln 
⋅ t gel  + (µ − 1) ln 
− 1.
 = ln 

t

 dt 
 t gel

 gel

(8.9)
Auswerteverfahren. Trägt man nach Gl. (8.8) den rechten Teil der Gleichung
gegen den linken Teil auf, dann weist die Kurve in ihrem Verlauf erst durch die
Vorgabe physikalisch sinnvoller Gelierzeiten einen linearen Bereich auf.163 tgel
wird solange variiert, bis der lineare Bereich maximal groß ist. Dieser Wert für
tgel wird dann als die Gelierzeit angenommen, die Messwerte die zu dem
linearen Bereich gehören bilden den Perkolationsbereich. In gleicher Weise
verfährt man bei der Auswertung nach Gl. (8.9). Es ist bemerkenswert, dass
man sowohl für die Auswertung des Verlust- als auch des Speichermoduls
einen maximalen linearen Bereich für die gleiche Gelierzeit erhält. Hinzukommt,
dass in beiden Fällen der lineare Bereich durch die gleiche Anzahl an
Messwerten gebildet wird. Dies gilt für alle in Tabelle A-1.1. aufgeführten
Systeme. Die Auswertung für eine 4 Gew.%ige Gelatine-Lösung ist in Abb. 8.3
bzw. Abb. 8.4 graphisch dargestellt.
Im Gegensatz zu den Auswertungen nach der Methode von MICHALCZYK bzw.
VENOHR, die den Perkolationsbereich ebenfalls aus einer linearisierten Form der
Perkolationsansätze ermitteln (s. S. 55), wird hier deutlich, dass die ersten
Werte für G' nicht dem Perkolationsbereich zugehören. Dies bestätigt die auf
Seite 55 aufgestellte Vermutung, dass die ersten Werte von G' durch Verschlaufungen der Polymerketten (entanglements) hervorgerufen werden und
damit nicht zur Auswertung nach der Perkolationstheorie herangezogen werden
können.
163
Physikalisch sinnvolle Werte für die Gelierzeit sind solche im Zeitbereich um den ersten
messbaren Wert von G'. Es sollten keine Werte aus dem Bereich genommen werden, in
welchem die Viskosität noch keine deutlichen Anstiege zeigt, bzw. solche oberhalb des
Schnittpunktes der G' und G'' Kurven.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
58
2.02min
-2,2
-2,3
-2,4
ln (dG''/dt)
-2,5
-2,6
-2,7
1.63min
-2,8
-2,9
tgel = 2.65min
-3,0
-1,4
-1,3
-1,2
-1,1
ln (1 - t / tgel)
-1,0
-0,9
Abb. 8.3. Der natürliche Logarithmus der Ableitung des Verlustmoduls G'' nach der
Zeit gegen den natürlichen Logarithmus der normierten Zeitdifferenz entsprechend Gl.
(8.8) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4
Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C. Die beiden von der Geraden
deutlich abweichenden Werte wurden bei der Anpassung der Messwerte durch die
Gerade nicht berücksichtigt
3.67min
0,8
0,7
0,6
ln(dG'/dt)
0,5
0,4
0,3
0,2
3.28min
0,1
tgel= 2.65min
0,0
-0,1
-1,5
-1,4
-1,3
-1,2
-1,1
-1,0
-0,9
ln (t / tgel-1)
Abb. 8.4. Der natürliche Logarithmus der Ableitung des Speichermoduls G' nach der
Zeit gegen den natürlichen Logarithmus der normierten Zeitdifferenz entsprechend Gl.
(8.9) für eine wässerige DGF Stoess Gelatine mit einer Polymerkonzentration von
4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C. Der von der Geraden deutlich
abweichende Wert wurde bei der Anpassung der Messwerte mit der Geraden nicht
berücksichtigt
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
59
Die linearen Bereiche in Abb. 8.3 und 8.4 beginnen in einer Entfernung von
0.63 min vor dem Gelpunkt und werden jeweils durch 12 Messwerte gebildet.
Dies entspricht einem Zeitbereich für den Verlauf von G'' von 1.63 bis 2.02 min
und für den Verlauf von G' von 3.28 bis 3.67 min. Diese schmalen Bereiche
stellen den Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie dar und müssen zur
Bestimmung der kritischen Exponenten herangezogen werden, will man nach
den Perkolationsansätzen gemäß der Gln. (4.5) und (4.6) auswerten.
Diese Auswertung ist in Abb. 8.5. bzw. 8.6. dargestellt und liefert als Lösung die
kritischen Exponenten ν = 0.58±0.01 bzw. µ = 2.07±0.05, gibt man für tgel
2.65 min vor. Die Diskussion der kritischen Exponenten anhand von Literaturwerten bzw. anhand der Ergebnisse der anderen untersuchten Systemen soll
geschlossen in Kap. 8.3 erfolgen.
Für alle weiteren untersuchten Systeme ist im Anhang A-1 in der letzten Spalte
der Tab. A-1.1. in Betragsstrichen die Zeit aufgeführt, in welcher Entfernung
zum Gelpunkt der Perkolationsbereich anfängt und, angedeutet durch das
Pluszeichen, über welchen Zeitbereich sich der Perkolationsbereich erstreckt.
0,5
0,4
G'' / Pa
ν = 0.58 +/- 0.01
tgel = 2.65 min (vorgegeben)
0,3
0,2
0,1
0,0
0,0
0,2
0,4
0,6
(tgel - t) / min
0,8
1,0
Abb. 8.5. Auswertung des zeitlichen Verlaufes des Verlustmoduls G" nach Gl. (4.5)
für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von
4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
60
0,9
0,8
µ = 2.07 +/- 0.05
0,7
tgel = 2.65 min (vorgegeben)
G' / Pa
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
(t - tgel) / min
1,0
Abb. 8.6. Auswertung des zeitlichen Verlaufes des Speichermoduls G' nach Gl. (4.6)
für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.% während der isothermen Gelierung bei 16°C
Durch die normierten Perkolationsansätze ist man nun in der Lage eine Gelierzeit zu ermitteln und den für die Perkolationstheorie relevanten oder gültigen
Bereich vor und nach dem Gelpunkt anzugeben. Dies soll im folgenden Kapitel
schematisch dargestellt werden. Vorerst sollen aber die in diesem Kapitel
bestimmten Gelierzeiten verglichen werden.
Vergleich der Gelierzeiten. Anhand der rheologischen Messgrößen wurde für
das gleiche System Gelatine / Wasser mit gleicher Polymerkonzentration bei
der gleichen Geliertemperatur der Gelpunkt aus der Frequenzabhängigkeit des
komplexen Schubmoduls mit ca. 2.7 min bzw. aus den normierten Perkolationsansätzen mit 2.65 min bestimmt. Berücksichtigt man die Schwierigkeiten
bei der Schnittpunktsbestimmung der Messkurven in Abb. 8.1., so kann man
von einer sehr guten Übereinstimmung der Gelierzeiten sprechen.
In der vorliegenden Arbeit wurde lediglich für ein Gelierexperiment die Gelierzeit
aus der Frequenzabhhängigkeit ermittelt, um einen Vergleich mit der aus den
normierten Perkolationsansätzen bestimmten Gelierzeit aufzustellen. Für alle
weiteren untersuchten Systeme wurden die Gelierzeiten nach den normierten
Perkolationsansätzen bestimmt und die Ergebnisse im Anhang A-1 in Tab. A1.1. aufgeführt.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
61
8.2.2 Der modellierte Verlauf der Gelierung.
Die hier gewählte Darstellung des Verhaltens der dynamischen Viskosität bzw.
das des Speichermoduls in der Nähe des Gelpunkts basiert letzten Endes auf
der in Abb. 4.2. dargestellten Gelierkurve. Die hier gewählte Darstellung soll
darüber hinaus schematisch andeuten, welchen Einfluss die Bildung von
entanglements auf den Verlauf der rheologischen Kenngrößen hat.
In Abb. 8.7. sind für den Verlauf der Viskosität und den Verlauf des Speichermoduls während der isothermen Gelierung je zwei Kurvenzweige eingezeichnet, die im Falle der dynamischen Viskosität ηdyn aus einem Kurvenzweig entstehen bzw. im Falle des Speichermoduls in einen Kurvenzweig übergehen.
Hierbei handelt es sich, wie in der Abbildung dargestellt, um eine experimentell
ermittelte (Index exp), bzw. um eine hypothetische Kurve (Index hyp). Die
hypothetische Kurve würde sich ergeben, liefe die Netzwerkbildung ohne einen
Anteil von entanglements ab. Die entanglements haben insofern eine Auswirkung auf den komplexen Schubmodul, als dass die Viskosität einen schnelleren
und steileren Zuwachs in der Nähe des Gelpunkts aufweist, bzw. G' vor dem
wirklichen Gelpunkt einen messbaren Wert liefert. Hierdurch würde ein Gelpunkt (tgel,früh) suggeriert, der vor dem wirklichen Gelpunkt (tgel) liegt.
ηdyn,hyp
ηd yn ,G '
ηdyn,exp
∆t
PB
G 'exp
PB
G 'hyp
∆t
M e s se m pfindlic h ke it
t g el,früh
t gel
t
Abb. 8.7. Schematischer Verlauf der dynamischen Viskosität und des Speichermoduls in der Nähe des Gelpunkts
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
62
Zu Beginn des Gelierexperiments ist die Viskosität in der Solphase gering, d.h.
mögliche Verschlaufungen der Polymerketten können sich leicht wieder lösen,
denn ein Abgleiten der Ketten gegeneinander ist fast uneingeschränkt möglich.
Dazu kommt, dass die Konzentration der Helices zu diesem Zeitpunkt sehr
gering ist, und daher kaum Polymerketten in Netzwerkpunkten fixiert sind, was
deren freie Beweglichkeit einschränken würde. Zu diesem Zeitpunkt ist der Einfluss der entanglements auf die Viskosität vernachlässigbar gering. Mit voranschreitender Reaktion nimmt die Helixkonzentration zu und immer mehr Polymerketten finden sich über die Aggregation der helikalen Bereiche zu Molekülclustern zusammen. Die Anzahl und Größe der Cluster wirken sich im entsprechenden Maße auf die Viskosität aus. Zu diesem Zeitpunkt ist es durchaus
denkbar, dass eine oder mehrere Polymerketten, welche in einem Cluster fixiert
sind, einen benachbarten Cluster durchdringen, bzw. mit einer in diesem
Cluster eingebauten Polymerkette eine Verschlaufung (entanglement) bildet
und wieder in den urprünglichen Cluster zurückläuft bzw. in einen weiteren
benachbarten Cluster eindringt. Dieser Effekt würde sich entscheidend auf die
Viskosität auswirken, was durch eine Abweichung des experimentellen Kurvenverlaufes von dem hypothetischen in einem Abstand ∆t vom Gelpunkt (tgel) verdeutlicht werden soll. Es sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass die Perkolationstheorie den Einfluss der entanglements nicht berücksichtigt.
Im Gel liegen die Dinge genau anders. Hier wird der erste detektierbare Wert
des Speichermoduls, der das erste Auftreten eines unendlich großen Molekülclusters signalisiert, durch den Einfluss der entanglements beeinflusst.
Gerade in der Nähe des Gelpunkts ist es denkbar, dass die entanglements den
Verbund der unterschiedlichen Cluster, die letztlich den unendlich großen
Cluster bilden, besonders stärken. Hat sich durch die immer weiter steigende
Anzahl an Netzwerkpunkten das Gel immer engmaschiger vernetzt, dann dürfte
die Netzwerkstabilität so hoch sein, dass der Einfluss der entanglements vernachlässigbar wird. Dieses Verhalten wird durch das Zusammenlaufen der
experimentellen bzw. hypothetischen Kurven in einer Entfernung ∆t zum Gelpunkt angedeutet.
Dieser ∆t- Bereich entspricht der in Kap. 8.2.1 bestimmten Zeit, welche die Entfernung des maximalen linearen Bereiches vom Gelpunkt angibt. Oberhalb bzw.
unterhalb dieser Zeit können die Einflüsse der entanglements vernachlässigt
werden, sodass von diesem Zeitpunkt an nach der Perkolationstheorie ausgewertet werden kann bzw. sollte. Dies macht Sinn, denn wie oben erwähnt
berücksichtigt die Perkolationstheorie einzig und alleine nur Cluster, die durch
das Knüpfen von neuen Bindungen (in diesem Fall Aggregation der Helices)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
63
zwischen Molekülen zustandekommen. Alle weiteren Einflüsse werden nicht
berücksichtigt. Dies gilt für das Clusterwachstum im Sol wie auch im Gel.
Der in den Kurven angegebene Bereich PB ist die Länge (Größe) des Perkolationsbereiches, bestimmt durch die Linearisierung der normierten Perkolationsansätze Kap.8.2.1. Für alle weiteren untersuchten Systeme sind die Perkolationsbereiche im Anhang A-1 in Tab. A-1.1. aufgeführt. Beim Vergleich dieser
Werte wird deutlich, dass mit steigender Gelierzeit der Perkolationsbereich größer wird. Entsprechendes gilt auch für den Abstand des Perkolationsbereiches
zum Gelpunkt. Dies sei jedoch nur summarisch erwähnt, denn bei den 2- und 4Gew.-%igen Gelatine-Lösung trifft dies nicht 100%ig zu. Ob dies nur zufälligen
Charakter hat, kann nur geklärt werden, wenn Auswertungen aus zusätzlichen
Messungen in einem umfangreicheren Temperaturbereich erfolgen.
Weiterhin ist in Abb. 8.7. die durch das Rheometer vorgegebene Empfindlichkeit von 0.02 Pa (s. Kap. 6.1.1) durch einen Strich angedeutet. Es zeigt sich
also, dass der Gelpunkt vor dem ersten Messwert der G' Kurve liegen muss,
was im Experiment auch gefunden wird.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Perkolationstheorie streng nur für Messungen bei einer Frequenz von ω→0 Gültigkeit besitzt. Wertet man Messungen
bei endlichen Frequenzen nach der Perkolationstheorie aus, begeht man demnach einen Fehler. Dieser Fehler ist unumgänglich, denn es kann kein dynamisches Experiment durchgeführt werden, ohne mit einer endlichen Frequenz
anzuregen. Den Einfluss der Frequenz auf die Ergebnisse der Auswertung nach
der Perkolationstheorie wurde von BORCHARD und Mitarbeiter untersucht. Sie
konnten zeigen, dass die Reduzierung der in dieser Arbeit verwendeten
Frequenz von 6.28 rad⋅s-1 auf 1.256 rad⋅s-1 keinen signifikanten Einfluss auf die
Gelierzeit hat.164 Die Durchführung weiterer Messungen bei noch niedrigeren
Frequenzen ist durch die in Kap. 6.1.1 erwähnten Schwierigkeiten beim Versuchsaufbau mit der erforderlichen Qualität nicht möglich.
8.2.3
Die kombinierten Perkolationsansätze.
Werten man die Gelierkurven nach den in Kap. 8.2.1 erwähnten normierten
Perkolationsansätzen aus, erhält man die überaus wichtige Information über
den gültigen Perkolationsbereich sowie eine einzige Lösung für die Gelierzeit.
164
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
64
Hieraus lassen sich dann weiterhin die kritischen Exponenten ν bzw. µ bestimmen.
Eine weitere elegante Methode zur Bestimmung der kritischen Exponenten
basiert auf der Kombination des Speicher – und Verlustmoduls symmetrisch um
den Gelpunkt. Es handelt sich bei diesen sogenannten kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Funktions) um eine Kombination der Größen in äquidistanten Abständen zum Gelpunkt innerhalb der zuvor bestimmten Perkolationsbereiche.165,166 Dies führt zu neuen Bestimmungsgleichungen, aus denen
die kritischen Exponenten bestimmt werden können.
Für die Formulierung der CF werden die äquidistanten Abstände zum Gelpunkt
durch den Betrag It-tgelI ausgedrückt. Es soll gelten:
(t − t gel ) = (t gel − t )
= t − t gel .
(8.10)
Hierdurch gehen die Gln. (4.5) und (4.6), unter der Annahme das tgel,η = tgel,G ist,
über in:
G' ' = K η t − t gel
G' = K G t − t gel
−ν
µ
.
(8.11)
(8.12)
Bildet man sowohl für Gl. (8.11) als auch für Gl. (8.12) den natürlichen Logarithmus und leitet die Ausdrücke nach der Zeit ab, so erhält man:
d ln G' '
1
= −ν⋅
dt
t − t gel
(8.13)
d ln G'
1
=µ⋅
.
dt
t − t gel
(8.14)
Setzt man die Gln. (8.13) und (8.14) gleich, so erhält man den Ausdruck:167,168
d ln G'
µ d ln G' '
=− ⋅
.
dt
ν
dt
165
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht
167
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
168
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht
166
(8.15)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
65
Man erwartet demnach eine lineare Relation mit einer Steigung (-µ/ν), wenn
man die linke Seite der Gl. (8.15) gegen die rechte aufträgt.
Aus dieser Relation alleine erhält man jedoch nur ein Verhältnis der kritischen
Exponenten, nicht deren einzelnen Wert. Hierzu ist die Formulierung einer weiteren Relation erforderlich.
Bildet man in Gl (8.16) die Differenz aus den Gln. (8.14) und (8.15) bzw. den
reziproken Wert Gl. (8.17)169,170
d ln G' d ln G' '
1
−
= (µ − ν ) ⋅
dt
dt
t − t gel
 d ln G' d ln G' ' 
 dt − dt 


−1
=
t − t gel
(µ − ν )
(8.16)
,
(8.17)
dann erwartet man eine lineare Relation mit der Steigung 1/(µ-ν), wenn der
linke Teil der Gl. (8.17) gegen den rechten Teil aufgetragen wird. Für beide
Kurvenverläufe gilt, dass nahe bzw. direkt am Gelpunkt die Ausdrücke auf beiden Seiten der Gleichungen Null werden müssen, d.h. die Geraden müssen
durch den Koordinatenursprung verlaufen. Bezeichnet man die Steigung der
Geradengleichung (8.15) mit A = (µ/ν) und die Steigung der Geradengleichung
(8.17) mit B = 1/(µ-ν), so lassen sich zwei Ausdrücke angeben, mit denen die
kritischen Exponenten ausgerechnet werden können:
ν=
1
B( A − 1)
und
µ=
A
B( A − 1)
(8.18)
Die hier angeführten Relationen sollen auf die Gelierung einer wässerigen
Gelatine Lösung angewendet werden.
169
170
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
66
3
dlnG'/dt
2
1
A = (µ / ν ) = 2.96 +/- 0.10
0
0,0
0,2
0,4
0,6
dlnG''/dt
0,8
1,0
Abb. 8.8. Die Ableitung des natürlichen Logarithmus des Speichermoduls G‘ nach
der Zeit gegen die Ableitung des natürlichen Logarithmus des Verlustmoduls G‘‘ nach
der Zeit für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von
4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C
(dlnG'/dt - dlnG''/dt)
-1
1,25
1,00
B = 1/(µ - ν ) = 0.80 +/- 0.04
0,75
0,50
0,25
0,00
0,00
0,25
0,50
0,75
It - tgelI / min
1,00
Abb. 8.9. Der reziproke Wert der Differenz der Ableitungen der natürlichen Logarithmen des Speicher - und Verlustmoduls nach der Zeit gegen den Betrag der Zeit für
eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
während der isothermen Gelierung bei 16°C
Abb. 8.8. und 8.9. zeigen die Auswertung der Messergebnisse nach Gl. (8.15)
bzw. (8.17). Sowohl aus Abb. 8.8. als auch aus Abb. 8.9. geht hervor, dass die
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
67
Erwartung eines linearen Kurvenverlaufs nicht optimal erfüllt wird, denn die
Werte streuen doch erheblich. Eine saubere Auswertung der Messkurven nach
den CF erfordert absolut rauschfreie Werte der rheologischen Kenngrößen G'
und G''. Insbesondere die G''- Werte unterliegen zu Beginn der Messung einem
sehr starken Rauschen d.h. die Messwerte nehmen nicht kontinuierlich zu.
Hieraus ergeben sich bei den Ableitungen nach der Zeit, viele negative Steigungen von denen kein natürlicher Logarithmus gebildet werden kann. Die
Auswertung wäre daher nicht, oder zumindest nur äußerst bedingt möglich.
Dies wird weitestgehend verhindert, indem alle Rohdaten einer Glättungsprozedur unterzogen werden.171
In Tab. 8.1. sind die kritischen Exponenten, ermittelt aus den normierten Perkolationsansätzen und der aus den CF für das im Laufe der Arbeit ausgewählte
Beispiel für das System Gelatine / Wasser, gegenübergestellt.
Tab. 8.1. Vergleich der kritischen Exponenten ν und µ bestimmt für das System
Gelatine / Wasser mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% bei einer Temperatur
von 16°C nach den normierten Perkolationsansätzen bzw. der CF
normierte
Perkolationsansätze
CF
ν
µ
0.58±0.01
2.07±0.05
0.63±0.06
1.88±0.13
Berücksichtigt man die Fehler, kann man trotzdem von einer sehr guten Übereinstimmung der kritischen Exponenten sprechen.
Die CF stellen demnach eine elegante Lösung zur Bestimmung der kritischen
Exponenten dar, wenn die Gelierzeit genau genug bestimmt wurde. Eine Kombination der Größen um den Gelpunkt ist auf unterschiedlichen Wegen möglich.
Dies können Kombinationen höherer Ableitungen sein bzw. verschiedenartige
Verknüpfungen der Perkolationsansätze. Drei weitere Beispiele anderer CF
werden im Anhang A-2. berechnet.
Die hier aufgeführten, nach den verschiedenen Methoden bestimmten Exponenten, sind neben weiteren für unterschiedliche Konzentrationen und Temperaturen bestimmten Systemen im Anhang A-1 in den Tabellen A-1.1. und A-1.2.
im Anhang aufgeführt. Ein Vergleich der hier aufgelisteten kritischen Exponen171
Durch die Glättungsprozedur wird ein gleitender Durchschnitt durch die Bildung eines
Mittelwertes benachbarter Werte gebildet.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
68
ten zeigt, dass die Fehler bei dieser Methode wesentlich stärker ausfallen können.
Ergebnisse der klassischen Theorie. Die Ergebnisse der klassischen Theorie
liefern die kritischen Exponenten ν = 0 und µ = 3, die Ergebnisse der Perkolationstheorie liefern für die Exponenten Werte im Bereich 0.65 ≤ ν ≤ 1.35 und
1.3 ≤ µ ≤ 3.78 (s. Kap. 4.2 und 4.3). Hieraus lässt sich ableiten, dass nach der
klassischen Theorie der Wert für den Quotienten (µ/ν) divergieren müsste,
nach der Perkolationstheorie hingegen endliche Werte im Bereich von
1 ≤ (µ/ν) ≤ 5.8 liefern sollte. 172 In Abb. 8.8. ist die Steigung der Geraden
(µ/ν) mit 2.96±0.09 berechnet worden. Der Wert liegt damit eindeutig im
Bereich der Werte, die von der Perkolationstheorie vorhergesagt wurden. In
keiner der untersuchten Fälle wird eine Gerade mit unendlicher Steigung
gefunden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die klassische
Theorie keine Gültigkeit besitzt, bzw. anders ausgedrückt, das kritische Phänomen der Gelierung nicht beschreiben kann.173
Im folgenden Kapitel sollen die ermittelten kritischen Exponenten diskutiert werden.
8.3 Diskussion der kritischen Exponenten.
Im Vergleich zu der Arbeit von VENOHR wurden in der vorliegenden Arbeit unter
anderen Gesichtspunkten die kritischen Exponenten nach der Perkolationstheorie bestimmt. Es musste also davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse
möglicherweise stark voneinander abweichen. Tatsächlich sind die in dieser
Arbeit bestimmten Werte für ν und µ zu höheren Werten hin verschoben.
8.3.1
Der kritische Exponent ν.
Hier findet VENOHR Werte im Bereich von 0.04 bis 0.40. Die in dieser Arbeit
ermittelten Werte liegen mit einer Ausnahme bei dem für eine 4 Gew.-%ige
Gelatine-Lösung ν mit 1.06±0.02 bestimmt wurde, im Bereich von 0.55 bis 0.76.
Die Werte stimmen damit sehr gut mit dem von SAHIMI und ARBABI vorhergesagten Wert von ν ≈ 0.65, für das sogenannte ZIMM-Regime überein. Es ist
demnach davon auszugehen, dass am Gelpunkt starke hydrodynamische
172
173
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
69
Wechselwirkungen zwischen den Gelatinemolekülen und nur geringe Diffusion
stattfinden.174,175 Die hier ermittelten kritischen Exponenten bestätigen die
Ergebnisse von BORCHARD, der ebenfalls für das System Gelatine / Wasser
einen kritischen Exponenten von ν = 0.61 bestimmt und in diesem Zusammenhang das ZIMM-Regime diskutiert hat.176
8.3.2
Der kritische Exponent µ.
Hier findet VENOHR Werte im Bereich von 0.8 bis 2.25. Die in dieser Arbeit
ermittelten Werte liegen in einem Bereich zwischen 1.75 bis 2.27. Die Werte
von µ fallen demnach in den Bereich, des von DE GENNES für die Annahme
einer Analogie zwischen Elastizität und Leitfähigkeit eines Netzwerkes aus Isolatoren und Leitern vorhergesagten Wertes von µ = 1.7,177 bzw. dem von SAHIMI
vorhergesagten Wert von µ = 2.1,178 der sich für Modellrechnungen ergibt, wenn
das Dehnvermögen einer Bindung im Netzwerk berücksichtigt wird (s. Kap.
4.3).
Die hier ermittelten Werte für den kritischen Exponenten µ werden ebenfalls
durch Literaturwerte gestützt, bei denen für das System Gelatine / Wasser die
rheologischen Experimente nach der Perkolationstheorie ausgewertet wurden.179,180,181
Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass sehr ähnliche molekulare
Abläufe während der Gelierung stattfinden und daher die Systeme einer Universalitätsklasse zuzuordnen sind.
Sehr kritisch betrachtet liegen die in dieser Arbeit ermittelten Werte für µ nicht
unbedeutend auseinander. Betrachtet man hierzu noch die Zusammenstellung
der Ergebnisse in Tab. A-1.1. wird deutlich, dass die Schwankungen für eine
Konzentration annähernd gleich groß sind. Für jede Konzentration gibt es
sowohl hohe als auch niedrige Werte für µ. Bei näherem Betrachten der Ergebnisse deutet sich bei konstanter Konzentration ein Maximum des kritischen
174
Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
176
Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580
177
de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press,
Ithaca New York
178
Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507
179
Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:333
180
Djabourov M, Lechaire JP, Gaill F (1993) Biorheology 30:191
181
Kumagai H, Fujii T, Inukai, T, Yano T (1993) Biosci Biotech Biochem 57(4):532
175
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
70
Exponenten µ als Funktion der Geliertemperatur an, eine Tatsache, die von
VENOHR auch gefunden, aber nicht gedeutet wird.182 Eine Bestätigung dieses
Sachverhalts kann anhand der in Tab. A-1.1. aufgeführten geringen Anzahl
Messungen nur mit einem "unwohlen" Gefühl gemacht werden. In Kap. 9 werden Langzeitmessungen am System Gelatine / Wasser diskutiert, die im Rahmen der Arbeit nach dem alten Messprinzip erfolgten sowie nach der Perkolationstheorie im Sinne von VENOHR ausgewertet wurden. Die Messergebnisse
sind in der Tab. A-1.3. im Anhang aufgeführt und zeigen ebenfalls, dass der
kritische Exponent µ als Funktion der Geliertemperatur ein Maximum durchläuft.
Hier soll nun eine "mögliche" Erklärung für diesen Befund gegeben werden, der
folgende Annahmen zu Grunde liegen.
1.)
2.)
3.)
Für eine Polymerkonzentration existiert eine konstante Zahl potentieller
Bindungsstellen.
Am Gelpunkt ist unabhängig von der Polymerkonzentration die Zahl der
Helices pro Volumen konstant.183,184
Die Bildung von Doppel- und Dreifachhelices wird ausgeschlossen.185
Des Weiteren werden die aus Modellrechnungen vorhergesagten kritischen
Exponenten µ (s. Kap. 4.3) dazu benutzt, um folgendes molekulares Bild
bezüglich der Netzwerkstabilität am Gelpunkt abzuleiten. Es wird davon ausgegangen, dass bei großen kritischen Exponenten das Netzwerk am Gelpunkt
einen entsprechend großen Widerstand gegen eine äußere Krafteinwirkung leisten kann. Insbesondere die von SAHIMI bzw. ARBABI und SAHIMI gemachten
Berücksichtigungen des Dehnvermögens elastischer Elemente, die einen Wert
von µ = 2.1 liefern können und bei Annahme von Biegeanteilen im Netzwerk
sogar bis hin zu µ = 3.75 ansteigen können, lassen diesen Schluss zu.
Es soll zwischen einer schnell ablaufenden Gelierung, die bei tiefen Temperaturen zu erwarten ist, und einer mittelschnellen bzw. langsam ablaufenden Gelierung (mittleren bzw. hohen Temperaturen) unterschieden werden.
Die Gelierung bei tiefen Temperaturen. Dies entspricht einer sehr raschen
Gelierung und einem kleinen Wert von µ, d.h. es liegt ein schwaches Netzwerk
am Gelpunkt vor. Es handelt sich hier um ein gummielastisches Netzwerk, bei
182
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319
184
Maibaum R (1998) Dissertation Duisburg
185
siehe hierzu Kap. 1.3.2
183
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
71
dem die Knotenpunkte nicht fluktuieren und im wesentlichen Konformationsänderungen bei der Dehnung unterliegen.
Die schnelle Gelierung verhindert die ideale Ausbildung der Helices - sie erreichen u.U. nur einen Teil ihrer möglichen Länge, woraus ein geringer Überlappungsgrad (Kontaktfläche der Helices im Aggregat) bei der Aggregation der
Helices resultiert.
Die durch die tiefen Temperaturen eingeschränkte Beweglichkeit der Polymerketten unterbindet eine mögliche Fluktuation der Knotenpunkte. Es liegt keine
ausreichende Triebkraft vor, um zwei nicht ideal gestapelte (aggregierte, überlappte) helikale Bereiche zu lösen, die daraufhin erneut mit einem höheren
Überlappungsgrad durch einen Reifeprozess im Sinne einer Ostwaldreifung
aggregieren. Der Prozess der Ostwaldreifung kann sich dabei über einen längeren Zeitraum erstrecken. BORCHARD und Mitarbeiter konnten zeigen, dass eine
Ostwaldreifung erst nach 4 Tagen beendet ist.186
helicale Bereiche
Abb. 8.10. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer schnellen Gelierung (tiefe Temperaturen)
Es ist anzunehmen, dass die Ausbildung intermolekularer H – Brückenbindungen bei tiefen Temperaturen gegenüber den intramolekularen H –
Brückenbindungen, welche fluktuieren können, bevorteilt sind. Dieses Verhalten der Helixbildung bzw. deren Aggregation hätte ein schwächeres Netzwerkgefüge am Gelpunkt zur Folge, was durch ein kleines µ experimentell
bestätigt wird. Diese Modellvorstellung kollidiert nicht mit der Tatsache, dass bei
tiefen Temperaturen die Gelierkurve schnell in einen entsprechend hohen Pla186
Borchard W, Bergmann K, Emberger A, Rehage G (1976) Progr. Colloid & Polymer Sci
60:120
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
72
teauwert für den Speichermodul übergeht, denn die Helixbildungsgeschwindigkeit ist bei tiefen Temperaturen größer als bei höheren Geliertemperaturen.
Hinzu kommt, dass die Zeit nach dem Gelpunkt nicht mehr an die Bedingung
geknüpft ist, dass im Netzwerk die gleiche Helixkonzentration vorliegen muss,
wie es am Gelpunkt für Systeme unterschiedlicher Gelatinekonzentrationen
gegeben ist.
Die Gelierung bei mittleren Temperaturen. Hier findet man große Werte für µ,
d.h. es liegt ein festes Netzwerk am Gelpunkt vor, in dem u.U. die Biegeanteile
bei der Deformation von Bedeutung sind. Das Netzwerk besteht hier aus relativ
steifen Ketten, die bei der Deformation einer Biegung unterliegen. Die Helices
können sich hier, im Verhältnis zu denen bei sehr kurzen Gelierzeiten, fast
uneingeschränkt ausbilden. Es liegt hier offensichtlich ein ideales Wechselspiel
zwischen intermolekularen und intramolekularen H - Brückenbindungen vor.
Einerseits führt jetzt das erhöhte Bestreben, intramolekulare H Brückenbindungen auszubilden, im Vergleich zu dem Netzwerk bei tiefen
Temperaturen, zu einer erhöhten Fluktuation der Knotenpunkte, woraus eine
größere Kontaktfläche der aggregierten Helices (hoher Überlappungsgrad)
resultiert. Andererseits sind die Helixaggregate aufgrund der noch beträchtlich
ausgebildeten intermolekularen H - Brückenbindungen dicht und sehr stabil
gestapelt. Demnach besitzt das so entstandenen Netzwerk am Gelpunkt eine
nicht zu vernachlässigende Biegefestigkeit, was durch ein teilweise sehr hohes
µ von fast 2.3 bestätigt wird. Eine ideale und uneingeschränkte Ausbildung großer Helixstapel im Netzwerk ist unwahrscheinlich, da davon ausgegangen werden muss, dass die Helices nicht immer ideal, d.h. über die gesamte Länge der
Helices, aggregieren können.
helicale Bereiche
Abb. 8.11. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer "mittelschnellen" Gelierung (mittlere Temperaturen)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
73
Die Gelierung bei hohen Temperaturen. Dies entspricht Gelierzeiten von
mehr als 50 min und einem kleinen µ, d.h. es liegt ein schwaches Netzwerk am
Gelpunkt vor. Das Netzwerk wird aus Polymerketten aufgebaut, in denen die
Bindungsbereiche stark fluktuieren - es liegen allerdings pro Kette im Mittel
mehr als zwei Bindungen vor.
Ähnlich dem Modell bei mittleren Temperaturen können sich hier die Helices
fast uneingeschränkt ausbilden. Die Fluktuation der Bindungsbereiche sind
durch die hohen Temperaturen und die damit verbundenen schwachen intermolekularen H - Brückenbindungen wesentlich ausgeprägter als im Modell bei
mittleren Temperaturen. Die Helices können sich fast uneingeschränkt zu relativ
großen Helixstapeln zusammenfinden, jedoch ist der Verbund der Helixstapel,
bedingt durch die schwachen intermolekularen H – Brückenbindungen, nicht so
stabil wie der im Modell bei mittleren Temperaturen. Geht man von der idealen
Stapelung der Helices und damit von einer hohen Helixstapelgröße verbunden
mit einer verbesserten Thermostabilität aus, so würden während der Deformation keine Biegeanteile in dem System auftreten. Das Netzwerk besäße am
Gelpunkt nicht die Stabilität wie das Netzwerk im Modell bei mittleren Temperaturen. Im weiteren Verlauf der Gelierung wirken die langsame Helixbildung
und die ausgeprägten Fluktuationen der Bindungsbereiche einem schnellen
Erreichen eines Plateauwertes für den Speichermodul entgegen.
helicale Bereiche
Abb. 8.12. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer langsamen Gelierung (hohe Temperaturen)
Der Maximalwert für µ wird für ein Gelatine / Wasser System bei mittlerer Konzentration gefunden. Es scheint demnach eine ideale Polymerkonzentration zu
geben, bei der einerseits durch die Bereitstellung einer erhöhten Menge an
Polymer und damit potentieller Netzwerkstellen die Wahrscheinlichkeit groß ist,
dass sich die Helices uneingeschränkt ideal stapeln bzw. aggregieren können.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
74
Andererseits ist die Polymerkonzentration immer noch so gering, dass lokal
keine Behinderung der Helicierung bzw. deren Stapelung durch die in der Solphase befindlichen Polymermoleküle oder bereits helicierter Bereiche stattfindet. Ein erhöhter Anteil an Polymeren dürfte ebenfalls die Fluktuationen der
Bindungsstellen negativ beeinflussen. Die oben erwähnte Behinderung der
Helixbildung könnte sich durch die Rückfaltungen abgeknickter Helices, z.B. die
Ausbildung von Hairpins äußern, die zwar eine Erhöhung der Viskosität der
Solphase zur Folge haben, jedoch nicht zu Bildungen eines stabilen Netzwerks
beitragen. Die Erwartung, dass sich mit zunehmender Gelatinekonzentration die
dynamische Viskosität der Solphase erhöht, wird durch die Experimente bestätigt.
Anmerkung. Aufgrund der von KISTERS mit Hilfe der analytischen Ultrazentrifuge ermittelten Daten wird eine Entmischung der Gele mit niedrigen Polymerkonzentrationen gefunden.187 Die stark von den übrigen kritischen Exponenten
abweichenden Werte für ein 2 Gew.-%iges Gelatine / Wasser System
(µCF = 4.02±0.25 und νCF = 1.58±0.19; s. Tab. A-1.2) lassen demnach darauf
schließen, dass diese Systeme keine homogenen Phasen bilden.
8.3.3
Das Skalenverhalten der kritischen Exponenten.
Untereinander können die kritischen Exponenten über sogenannte Skalengesetze (scalling laws) miteinander verknüpft sein.188 Hierbei handelt es sich um
Ausdrücke, die, gehören die kritischen Exponenten einer Universalitätsklasse
an, ebenfalls Universalitätscharakter besitzen. Ein scaling law beschreibt die
Größe ∆, sie verknüpft µ und ν in folgender Form:189,190,191
∆=
µ
µ+ν
(8.19)
Die Berechnungen dieser Größe aus den in dieser Arbeit ermittelten kritischen
Exponenten sind in Anhang A-1.1 und A-1.2 aufgeführt. Im Falle der aus den
normierten Perkolationsansätzen bestimmten kritischen Exponenten liegt der
Wert für ∆ in einem Bereich von 0.62±0.01 bis 0.79±0.01, für die kritischen
187
Borchard W, Cölfen H, Kisters D, Straatmann A (2001) In: Borchard W (ed) Sonderband,
Progress in Ultracentrifugation, in preparation
188
Liegt ein solcher Fall vor, spricht man auch von einem "scaling" der Größen
189
Clerc JP, Girand G, Laugier JM, Luck M (1985) J. Phys. A 18:2565
190
Michon C, Cuvelier G, Launay B (1993) Rheol Acta 32:94
191
Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
75
Exponenten bestimmt nach den CF in einem Bereich von 0.61±0.01 bis
0.82±0.01, wobei in beiden Fällen für den größten Teil der Messungen der Wert
im Bereich 0.75±0.02 liegt. In diesem Bereich sind die Ergebnisse in guter
Übereinstimmung mit denen aus der Literatur. Für das System Gelatine / Wasser wurde von BORCHARD und Mitarbeitern bereits der Wert
∆ = 0.74±0.03 bestimmt,192 für chemisch vernetzte Gele ermittelte DURAND und
Mitarbeiter den Wert ∆ = 0.72±0.02.193. Zweifelsfrei dürften die Systeme, für die
diese Werte bestimmt werden, einer Universalitätsklasse angehören. Ausnahmen bilden aber nach wie vor Systeme, die unter den sogenannten "Randbedingungen" gelieren, Systeme für die ∆ - Werte oberhalb 0.80 bzw. unterhalb
0.65 bestimmt werden.
Die Größe ∆ wurde bereits in Kap. 8.1 bei die Behandlung der Frequenzabhängigkeiten des komplexen Schubmoduls am Gelpunkt erwähnt. Dass diese
Größe in einem direkten Zusammenhang mit dem scaling law steht, ist aus der
Literatur bekannt,194,195,196 einen mathematischen Beweis findet man jedoch
nicht. Nach BORCHARD kann der Beweis in folgender Weise geführt werden.197
Es gelten die Bedingungen aus Kap. 8.1, dass am Gelpunkt der Verlustwinkel
frequenzunabhängig ist Gl. (8.20), der Verlust- und Speichermodul als Funktion
der Frequenz dem selben Potenzgesetz mit gleichem Exponenten gehorchen
Gl. (8.21)
tan δ =
G' '
= ω0
G'
(8.20)
G' ~ G' ' ~ ω ∆
(8.21)
G' '
−1
~ (p c − p ) − ν = (G' ') ν ⋅ ω− 1 ~ (p c − p )
ω
(8.22)
G' ~ (p − pc ) µ = (G')µ ~ (p − p c ).
(8.23)
1
Die Klammerausdrücke in den Gln. (8.22) und (8.23) sollen vom Betrag her
gleich sein, es gilt:
192
Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381
Durand D, Delsanti M, Adam M, Luck M (1987) Europhys Lett 3:297
194
Clerc JP, Girand G, Laugier JM, Luck M (1985) J. Phys. A 18:2565
195
Michon C, Cuvelier G, Launay B (1993) Rheol Acta 32:94
196
Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis
197
Borchard W persönliche Mitteilung
193
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
76
p − p c = p c − p = Z.
(8.24)
Durch Einsetzen der Gln. (8.22) und (8.23) unter Berücksichtigung von Gl.
(8.24) in Gl. (8.20) ergibt sich:
tan δ =
ωZ − ν
Z
µ
= ωZ − (ν + µ ).
(8.25)
Mit Gl. (8.23) folgt:
1
tan δ = ω(G')µ 


− (ν + µ )
.
(8.26)
Aus Gl. (8.21) geht hervor, dass G' am Gelpunkt proportional ω∆ ist. Berücksichtigt man dies neben der Bedingung dass tanδ = ω0 ist, dann geht Gl. (8.26)
über in:
( )

ω  ω∆

1
µ



− (ν + µ )
= ω0
(8.27)
= ω0
(8.28)
Nach Auflösen der Klammerausdrücke folgt:

1 + ∆ ⋅ −

ω
 ν + µ 

 
 µ 
Ein Potenzenvergleich liefert als Lösung für ∆:
∆=
µ
.
µ+ν
(8.29)
Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass ∆ bestimmt aus den Ergebnissen der
Perkolationstheorie den selben Wert haben muss wie ∆ aus den frequenzabhängigen Messungen des komplexen Schubmoduls. In Kap. 8.1 wurde ein Mittelwert für ∆ mit 0.695 bestimmt, der damit sehr gut mit denen aus der Theorie
erwähnten übereinstimmt (s.o).
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
77
8.4 Zusammenhang zwischen dem komplexen Schubmodul und der
optischen Drehung.
In den vorangegangenen Auswertungen wurde eine Substitution der Wahrscheinlichkeiten p in den Perkolationsansätzen Gln. (4.3) und (4.4) durch die
Zeiten t vorgenommen, um nach der Perkolationstheorie auszuwerten. Inwiefern eine Substitution der Wahrscheinlichkeiten durch die optische Drehung
erlaubt ist, soll anhand der simultanen Messungen der rheologischen Kenngrößen und der optischen Drehung während der isothermen Gelierung geklärt
werden.
Geht man davon aus, dass eine solche Substitution erlaubt ist, dann müsste
eine Proportionalität zwischen der Zeit und der optischen Drehung in der Nähe
des Gelpunkts existieren.
Zur Überprüfung dieser Annahme ist es von Vorteil, eine aus der Literatur
bekannte Größe, die sogenannte Konvertierungsvariable zu benutzen, die sich
auf den Helixanteil einer Probe bezieht.198,199,200,201,
Φ=
[α] λ, t − [α] λ, t = 0
[α] λ,t =∞ − [α] λ, t = 0
=
α t − α0
.
α∞ − α0
(8.30)
αt , im weiteren Verlauf der Arbeit als α bezeichnet, ist hierbei die optische Drehung der untersuchten Gelatine Lösung zum Zeitpunkt t, α0 ist der Anteil der
Drehung, hervorgerufen durch die asymetrischen C-Atome in der Gelatine
(siehe dazu Kap. 3) und α∞ der Wert der Drehung für Kollagen, also der theoretische Wert, der resultieren würde, wenn eine Renaturierung des Kollagens
stattgefunden hätte. Hat keine Helixbildung stattgefunden, wie es bei einer
Temperatur von 40°C der Fall ist, ist α = α0 und damit Φ = 0. Für den oben
erwähnten Fall der Renaturierung wird α = α∞ und damit Φ = 1.
Ersetzt man nun die Konvertierungsvariable Gl. (8.30) durch die Zeit in den Gln.
(4.5) und (4.6), dann ergeben sich folgende Ausdrücke in Gln. (8.31) und (8.32),
bei denen Φgel der kritische Helixanteil am Gelpunkt ist:
198
v. Hippel PH, Harrington WF (1960) In: Protein Structure and Function, Brookhaven
Symposia in Biol 13:213
199
Harrington WF, v. Hippel PH (1962) Advan Protein Chem 16:1
200
Djabourov M; Maquet J, Theveneau H, Leblond J, Papon P (1985) British Polymer J Vol 17,
2:169
201
Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
78
(
G' ' = K ∗η Φ gel − Φ
(
G' = K ∗G Φ − Φ gel
) −ν
)µ
∗
∗
für
Φ < Φ gel
(8.31)
für
Φ > Φ gel .
(8.32)
Die Konstanten sowie die kritischen Exponenten sind, um sie von den bereits
bekannten kritischen Exponentent unterscheiden zu können, mit einem Stern
gekennzeichnet.202
Ausgehend von Gl. (8.30) lässt sich folgender Ausdruck für Φgel formulieren:
Φ gel =
α gel − α 0
α∞ − α0
.
(8.33)
αgel ist der kritische Wert der optischen Drehung am Gelpunkt, also zum Zeitpunkt t = tgel.
Durch Einsetzen der Gln. (8.30) und (8.33) in Gl. (8.31) bzw. (8.32) erhält man
für den Verlust- bzw. Speichermodul:203
 α gel − α 

G' ' = K ∗η 

α
−
α
∞
0


G' =
K ∗G
 α − α gel

α − α
0
 ∞




−ν∗
für
α < α gel
(8.34)
α > α gel .
(8.35)
µ∗
für
Die optische Drehung α ist bei den Untersuchungen des Systems Gelatine / Wasser stets eine negative Größe, die im Laufe der Gelierung weiter
abnimmt. Die Betragsstriche sorgen dafür, dass die Klammerausdrücke in den
Gln. (8.34) und (8.35) keine negativen Werte liefern und somit am Gelpunkt
weiterhin der Verlustmodul divergiert bzw. der Speichermodul Null wird.
Durch Gleichsetzten von Gl. (4.5) mit Gl. (8.34) und Gl. (4.6) mit (8.35) erhält
man zwei Ausdrücke:204
α − α gel = K $η t gel − t
(
202
ν
)ν*
für
t < t gel
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht
204
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht
203
(8.36)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
79
α gel − α = K $G t − t gel
(
µ
)µ *
für
t > t gel ,
(8.37)
mit denen man nun in der Lage ist, die Annahme, dass die Zeit t in den Perkolationsansätzen durch den Konvertierungsgrad Φ substituiert werden kann,
zu überprüfen. Ist die Annahme korrekt, müssen jeweils lineare Relationen
resultieren (ν = ν* bzw. µ = µ*), trägt man nach den Gln. (8.36) und (8.37) die
linken Seiten der Gleichungen gegen die rechten auf. Dies ist in den Abbn.
8.13. und 8.14. dargestellt.
0,30
(α - α gel) / grad
0,25
0,20
0,15
0,10
0,05
0,00
0,0
0,2
0,4
0,6
0,8
1,0
(tgel - t) / min
1,2
1,4
Abb. 8.13. Die Differenz (α - αgel) gegen die Differenz (t – tgel) einer wässerigen DGF
STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C, vor dem Gelpunkt
Die linearen Bereiche erstrecken sich demnach in einem Bereich von 0 < [(tgel t) / min] < 1.4 vor dem Gelpunkt und in einem Bereich von 0 < [(t –
tgel) / min] < 1.8 nach dem Gelpunkt. Sowohl in Abb. 8.13. als auch in 8.14. ist
zu erkennen, dass in einem Abstand von ca. 0.6 min ein Knick in den Geraden
auftaucht. Diese 0.6 min entsprechen dem Abstand des Perkolationsbereiches
zum Gelpunkt, welcher durch die Auswertung der rheologischen Kenngrößen
nach den normierten Perkolationsansätzen für dieses System ermittelten wurde
(s. Tab. A-1.1.).
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
80
0,5
(α gel - α) / grad
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,0
0,3
0,6
0,9
1,2
(t - tgel) / min
1,5
1,8
Abb. 8.14. Die Differenz (αgel - α) gegen die Differenz (tgel – t) einer wässerigen DGF
STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C, nach dem Gelpunkt
Mit Hilfe der Abkürzungen in Gln. (8.38a) bzw. (8.39a) lassen sich die Gln.
(8.34) und (8.35) umstellen in die Gln. (8.38) bzw.(8.39):205
(G' ')− ν∗
1
(
= K⊗
η ⋅ α − α gel
( )
−1
∗
K⊗
η = Kη
(G')
1
µ∗
⋅
ν
(
⊗
= KG
⋅ α gel − α
( )
⊗
= K ∗G
KG
1
µ∗
)
⋅
)
für α < α gel
1
α∞ − α0
für α > α ∗
1
αo − α∞
.
(8.38)
(8.38a)
(8.39)
(8.39a)
Hieraus lässt sich die Bedingung (ν = ν* bzw. µ = µ*) testen, wenn man für µ*
bzw. ν* die Werte einsetzt, die im Kap. 8.2.1 nach den normierten Perkolationsansätzen bestimmt wurden. Durch Auftragen der rechten gegen die linken Seiten der Gln. (8.38) und (8.39) müssten lineare Beziehungen resultieren. Dies ist
in den Abbn. 8.15. und 8.16. wiedergegeben.
205
Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
81
Der lineare Verlauf der Kurven in den Abbn. 8.15. und 8.16. ist als Beweis dafür
anzusehen, dass aus der Abhängigkeit der rheologischen Kenngrößen von der
optischen Drehung die kritischen Exponenten bestimmt werden können.
(G'')
-1/ν
/ Pa
14
13
α gel = -14.05
12
R = 0.99806
ν = 0.60
2
11
10
9
8
0,22
0,24
0,26
(α - α gel) / grad
0,28
0,30
Abb. 8.15. Die (-1/ν)-te Potenz des Verlustmoduls G" als Funktion der Differenz der
optischen Drehung(α - αgel) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C vor dem
Gelpunkt
0,9
α gel = -14.05
0,8
2
R = 0.99976
(G')
1/µ
/ Pa
µ = 1.91
0,7
0,6
0,18
0,21
0,24
0,27
(α gel - α ) / grad
0,30
Abb. 8.16. Die (1/µ)-te Potenz des Speichermoduls G' als Funktion der Differenz der
optischen Drehung(αgel - α) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C nach
dem Gelpunkt
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
82
Exkurs. Gl. (8.39) entspricht der vor 40 Jahren von TODD gefundenen Relation
zwischen der optischen Drehung und dem Speichermodul.206 Für die Abhängigkeit des Speichermoduls von der optischen Drehung fand TODD den Wert
µ* = 2.
Bildet man den natürlichen Logarithmus der Gl. (8.39), so müsste ein lineares
Verhältnis der Größen resultieren mit einer Steigung von 0.5. In Abb. 8.17. ist
dieser Sachverhalt aufgetragen.
Aus Abb. 8.17. ist eindeutig ersichtlich, dass die TODD-Relation voll erfüllt ist.
Lediglich für den Bereich sehr nahe am Gelpunkt ergibt sich ein stärkerer
Anstieg des Kurvenverlaufes. Das diese Bedingung ebenfalls für verschiedene
Konzentrationen bei unterschiedlichen Temperaturen erfüllt wird, konnte inzwischen von BORCHARD und Mitarbeitern gezeigt werden.207
4
(1 / µ*) = 0.74
+
ln(α gel- α ) / α
3
(1 / µ*) = 0.49
2
1
0
-1
-2
-6
-4
-2
0
2
+
ln G' / G
4
6
Abb. 8.17. Auftragung des natürlichen Logarithmus der Differenzen (αgel - α) gegen
den natürlichen Logarithmus des Speichermoduls G‘ für eine wässerige ROUSSELOT
Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C, G+ = 1Pa, α+ = 1 Grad
206
207
Todd A (1961) Nature 191:567
Borchard W, Lechtenfeld M unveröffentlichte Ergebnisse
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
9
83
Die mathematische Beschreibung der G'(t) Funktion
- Das Aggregationsmodell -
Im gleichen Maße wie die Wissenschaftler sich mit der Frage beschäftigen:
"Wie beschreibt man das Verhalten eines Systems am Gelpunkt mathematisch?", beschäftigt sie die Frage: "Welches Modell beschreibt den Verlauf des
Speichermoduls vollständig?" Der G'(t) Verlauf, der an den Verlauf einer Wurzelfunktion erinnert, lässt sich mathematisch problemlos durch eine Vielzahl
unterschiedlicher Funktionen beschreiben,208 jedoch "lediglich" mathematisch,
aber nicht physikalisch sinnvoll.209
VENOHR wendete die von V. SMOLUCHOWSKI210 aufgestellte Theorie, die, kurz
erklärt, auf der langsamen Koagulation von Teilchen basiert, in der jeder Kontakt zwischen zwei Teilchen irreversibel zu einem Aggregat führt, erfolglos auf
seine für das System Gelatine / Wasser Systemen experimentell ermittelten
G'(t) Funktionen an.211 Als Hauptgrund für das Misslingen gibt VENOHR die in der
Theorie nicht berücksichtigten Rückreaktionen an, die bei der Gelierung des
Systems Gelatine / Wasser auftreten.
In einem weiteren Vorhaben versuchte VENOHR die Pearson Verteilungsfunktion212 auf den Verlauf der G'(t)-Kurven anzuwenden. Hieraus konnten zwar für
den Endwert des Speichermoduls Werte extrapoliert werden, jedoch gibt dieser
empirische Ansatz nicht die Entwicklung des Speichermoduls bei kleinen Zeiten
wieder.213
DJABOUROV und Mitarbieter formulierten einen Ansatz, der sich aus der Summe
zweier logarithmischer Terme zusammensetzt, um den Verlauf des Konvertierungsgrades214 während der Gelierung des Systems Gelatine / Wasser als
Funktion der Zeit zu beschreiben.215 Hiermit lässt sich der Verlauf der Messkurve gut beschreiben, jedoch liefert die Funktion aufgrund ihres logarithmischen Terms einen stetigen Anstieg der Funktion und, für sehr lange Zeiten
Werte für den Konvertierungsgrad, die größer als eins und damit mathematisch
sowie physikalisch unmöglich sind. DJABOUROV vertritt die Meinung, dass der
208
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
Borchard W persönliche Mitteilung
210
v. Smoluchowski M (1917) Z phys Chem 92:129
211
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
212
Huismann R, Heuvel HM (1989) J Appl Polym Sci 37:595
213
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
214
siehe Kap. 8.4 hier Gl. (8.30)
215
Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319
209
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
84
Helixanteil in "Tausenden von Stunden" keinen Gleichgewichtswert liefert.216 Für
die Anwendung auf die zeitliche Änderung des Konvertierungsgrades während
der Gelierung müsste die Funktion jedoch in einen Sättigungswert übergehen.
Der Versuch, den DJABOUROV - Ansatz auf den G'(t)-Verlauf anzuwenden
scheiterte, da der Kurvenverlauf von G'(t) in der Nähe des Gelpunkts nur
schlecht wiedergegeben wird.217
In den Arbeiten MAIBAUM218 und VENOHR219 wird auf einen Ansatz hingewiesen,
der auf BORCHARD zurückgeht und zum ersten Mal auf der Bunsentagung 1998
in Münster vorgetragen wurde.220
Der Verlauf der G'(t)-Kurven erinnert an die Langmuirsche Adsorptionsisotherme, bei denen die Kinetik der Adsorption sowie die der Desorption eine entscheidende Rolle spielt. Die Aggregation der gebildeten Helices, was die Voraussetzung für die Gelierung ist, kann als Adsorption verstanden werden,
ebenso wie die Desaggregation der Helixstapel als Desorption (siehe Kap.
1.3.2). BORCHARD macht in seinem Modell die Annahme, dass ein Gleichgewicht zwischen partiell helicierten Molekülketten in der Solphase und Molekülketten, die bereits in das Netzwerk eingebaut wurden, herrscht.
[partiell helicierte Molekülketten]Sol Φ [Netzwerkketten]Gel
Entsprechend dem Adsorptions- bzw. Desorptionsverhalten an Oberflächen
formuliert er für die Aggregationsgeschwindigkeit der Helices, va bzw. für die
Dessaggregationsgeschwindigkeit, vd,
v a = k a (1 − Θ ) (x 2h − x 2hc )
(9.1)
v d = k d Θ.
(9.2)
Hierbei bedeuten:
Θ
1-Θ
216
= Kontaktflächenanteil bereits aggregierter Helices in der Gelphase
= Kontaktflächenanteil der freien, nicht aggregierten Helices in der
Gelphase
Djabourov M, Lechaire JP, Gaill F (1993) Biorheology 30:191
Borchard W, Lechtenfeld M unveröffentlichte Ergebnisse
218
Maibaum R (1998) Dissertation Duisburg
219
Venohr H (1999) Dissertation Duisburg
220
Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580
217
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
X2h
X2hc
85
= Zahlenanteil der Helices im Sol
= kritischer Zahlenanteil der Helices im Sol
Im Gleichgewicht gilt:
va = vd
(9.3)
Für den Kontaktflächenanteil bereits aggregierter Helices in der Gelphase ergibt
sich:
Θ=
k a (x 2h − x 2hc )
k d + k a (x 2h − x 2hc )
(9.4)
Wohlweislich, dass die Perkolationstheorie das Verhalten am Gelpunkt sehr gut
beschreibt, berücksichtigt BORCHARD den ursprünglichen Perkolationsansatz
Gl.(4.4) und nimmt folgende Bedingungen an:
(p − p c ) = k 1 Θ
(x 2h
(9.5)
(
)
− x 2hc ) = k 2 t − t gel .
(9.6)
Hieraus lässt sich jetzt für den zeitabhängigen Verlauf des Speichermoduls folgender Ausdruck Gl. (9.7) bzw. Gl. (9.8) formulieren, wobei die Konstanten K1
und K2 in den Gln. (9.9a) und (9.9b) wiedergeben sind.
(
)
 k 2 k 1 k a t − t gel
G' (t ) = K µ 
 k d + k 2 k a t − t gel

(
(
)
 K 1 t − t gel
G' (t ) = 
1 + K 2 t − t gel

K1 ≡
(
k 2 k1 k d
kd
K2 ≡
(K µ )µ1
k2 ka
.
kd




)




)
µ
(9.7)
µ
(9.8)
(9.9a)
(9.9b)
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
86
Der alles entscheidende "Clou" an Gl. (9.8) ist, dass für den Fall, t→tgel, die
Größe K2 (t – tgel) im Nenner der Gl. (9.8) sehr klein wird und der Nenner damit
annähernd 1. Gl. (9.8) geht mit den Annahmen in Gl. (9.10) in den Perkolationsansatz Gl. (4.6) bzw. (9.11) über:
KG
k k k 
≡ Kµ  1 2 a 
 kd 
µ
t gel = t gel,G
und
(
G' (t ) = K G t − t gel
(9.10)
) µ.
(9.11)
Für den Fall t→∞, wird K2(t - tgel) >> 1 und Gl. (9.8) liefert eine Konstante. Es
lässt sich also ein Endwert für den Speichermodul G'∞ Gl. (9.12) formulieren
bzw. durch ein Experiment bei endlichen Zeiten bestimmen:
µ
K 
G'∞ =  1  .
K 2 
(9.12)
Die Auswertungsprozedur gestaltete sich folgendermaßen. Die aus den Perkolationsansätzen bestimmten Gelierzeiten bzw. kritische Exponenten wurden in
der Auswertegleichung vorgeben und die Größen K1 und K2 mit Hilfe einer
nichtlinearen Kurvenanpassung berechnet.221 Die ersten Versuche, die G'(t)Kurven nach Gl. (9.8) auszuwerten lieferten Ausgleichskurven, die zu späteren
Zeit von den Messwerten deutlich abwichen und keinem konstanten Wert zuzustreben schienen. Dies konnte dadurch behoben werden, indem die Zeitdifferenzen in Gl. (9.8) zu einer Potenz α erhoben wurden, die ebenfalls durch die
nichtlineare Kurvenanpassung berechnet wurde. Gl. (9.8) geht damit in Gl.
(9.13) über, in der µ' durch Gl. (9.14) wiedergegeben ist:
(
)
 K 1 t − t gel α
G' (t ) = 
1 + K 2 t − t gel

µ' =
221
(


α

µ'
(9.13)
)
µ
.
α
(9.14)
TM
Die Berechnung wurden mit Hilfe des Programms Origin 6.0 der Fa. Microcal
durchgeführt. Die nichtlinearen Approximation erfolgt nach der Methode der kleinsten
Abweichungsquadrate, basierent auf dem Levenberg – Marquardt – Algorithmus.
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
87
Durch die Einführung der Größe µ' ist gewährleistet, dass die Randbedingungen t→0 und t→∞ Gl. (9.13) trotzdem in die oben angeführten Gln. (9.11) und
(9.12) übergehen.
In Abb. 9.1. ist exemplarisch eine nach GL. (9.13) ausgewertete G'(t) Kurve für
eine wässrige DGF STOESS Gelatine dargestellt. Die Abbildung dient zur Verdeutlichung, dass das Aggregationsmodell den Bereich in der Nähe des Gelpunkts sehr gut wiedergibt. Die in dieser Arbeit verwendeten DGF STOESS
Gelatine wurden nur über eine Messzeit von maximal 120 min untersucht. Zur
Veranschaulichung, dass das Aggregationsmodell auch Langzeitmessungen
beschreibt, soll an anderen Systemen verdeutlicht werden. Hierbei handelt es
sich um eine Gelatine der Fa. ROUSSELOT S.A., bei der die rheologischen Experimente noch mit dem Atari gesteuerten Schwingungsviskosimeter durchgeführt
wurden. Für die Anpassung der Messwerte weit vom Gelpunkt mit dem Aggregationsmodell ist es nicht erforderlich, im Bereich des Gelpunkts sehr viele
Wertepaare zu detektieren. Abb. 9.2. zeigt, dass das Aggregationsmodell den
Verlauf des Speichermoduls über eine Messzeit von 4000 min gut wiedergibt.
Aus den Konstanten, die weiter unten kurz diskutiert werden, lässt sich ein
Endwert für den Speichermodul G'∞ mit 295 Pa bestimmen. Die Ergebnisse
weiterer Auswertungen nach dem Aggregationsmodell sind im Anhang A-1 in
Tab. A-1.3. wiedergegeben.
160
K1= 1.383 ± 0.0051
K2 = 0.019 ± 0.001
α = 1.565 ± 0.002
µ = 2.07 (vorgegeben)
140
G' / Pa
120
100
80
60
40
20
0
0
2
4
6
8 10 12
(t - tgel) / min
14
16
18
Abb. 9.1. Verlauf des Speichermoduls G‘ als Funktion der Zeitdifferenz (t – tgel) für
eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
während der isothermen Gelierung bei 16°C. Die fett gezeichnete Kurve gibt den mit
Hilfe der in der Abbildung aufgeführten Konstanten berechneten Verlauf des Aggregationsmodells Gl. (9.13) wieder. Die durch leere Quadrate dargestellten Messwerte liegen fast komplett unter der fett gezeichneten Ausgleichskurve und sind damit sehr
schlecht zu erkennen
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
88
160
140
120
G' / Pa
100
80
K1
60
α
K2
40
µ
20
0.231 ± 0.004
0.590 ± 0.004
0.033 ± 0.001
1.70
(vorgegeben)
0
0
1000
2000
3000
(t - tgel) / min
4000
Abb. 9.2. Verlauf des Speichermoduls G‘ als Funktion der Zeitdifferenz (t – tgel) für
eine wässerige ROUSSELOT Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.%
während der isothermen Gelierung bei 26°C. Die fett gezeichnete Kurve gibt den mit
Hilfe der in der Abbildung aufgeführten Konstanten berechneten Verlauf des Aggregationsmodells Gl. (9.13) wieder. Die durch leere Quadrate dargestellten Messwerte liegen fast komplett unter der fett gezeichneten Ausgleichskurve und sind damit sehr
schlecht zu erkennen
Diskussion der Konstanten. K1 beschreibt die Hinreaktion. K1 nimmt mit steigender Temperatur ab. Das ist insofern verständlich, als mit steigender Temperatur die Helixbildung langsamer abläuft. Hieraus folgt, dass K2, die
Geschwindigkeitskonstante für die Rückreaktion, ebenfalls abnehmen muss, da
bei einer mäßig schnell ablaufenden Helixbildung auch die Rückreaktion mäßig
schnell abläuft.
ZUSAMMENFASSUNG
89
ZUSAMMENFASSUNG
In der vorliegenden Arbeit wurde die thermoreversible Gelierung des Systems
Gelatine / Wasser anhand von rheologischen und optischen Methoden untersucht. Es kamen hierbei ein dynamisches Schwingungsviskosimeter sowie ein
Präzisionspolarimeter zum Einsatz. Beide Geräte wurden dabei in eine Versuchseinrichtung integriert, mit deren Hilfe eine simultane Bestimmung der
rheologischen und optischen Kenngrößen möglich wurde. Zur Untersuchung
schnell ablaufender Gelierungen schienen zwei experimentelle Veränderungen
des dynamischen Schwingungsviskosimeters erforderlich zu sein. Zum einen
schien die Zeit von mindestens 18 Sekunden zwischen zwei Messwerten nicht
ausreichend, um schnell ablaufende Reaktionen anhand der rheologischen
Kenngrößen im Anfangsbereich mit genügender Genauigkeit zu beobachten.
Daher wurde die Steuereinrichtung des dynamischen Schwingungsviskosimeters von Atari auf PC umgestellt, sodass nun Messungen in Sekundenschritten
erfolgen konnten. Zum anderen sollte, entgegen der früheren Temperatursprungmethode mit Hilfe zweier Thermostate, einem anderen Verfahren der
Vorzug gegeben werden, welches eine "Direkteinspritzung" des Probematerials
in die vortemperierte Messzelle zeitgleich mit dem Start der Messungen vorsieht. Erst durch die Direkteinspritzung konnten von Anbeginn der Messung die
zwingend erforderlichen isothermen Bedingungen zugrunde gelegt werden.
Die rheologischen Kenngrößen hatten die Aufgabe, das kritische Phänomen der
Gelierung mit Hilfe der Perkolationstheorie zu beschreiben. Zur Ermittlung des
Gelpunkts und der kritischen Exponenten wurde das von STAUFFER und DE
GENNES gefundene Potenzverhalten der rheologischen Kenngrößen in der
Nähe des Gelpunkts durch sogenannte normierte Perkolationsansätze zum
Ausdruck gebracht. Eine Auswertung der durchgeführten Experimente wurde
erst mit einer Substitution der Wahrscheinlichkeit, die für eine Auswertung nach
der Perkolationstheorie mit Hilfe von Computersimulationen relevant ist, durch
die Zeit ermöglicht. Durch die Auswertung nach den normierten Perkolationsansätzen erhielt man als Lösung eine sehr genaue Gelierzeit, des weiteren die
überaus wichtige Information, in welchem Bereich eine Auswertung nach der
Perkolationstheorie erfolgen darf und sollte.
Aus der Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls lässt sich nach
WINTER für chemisch vernetzte Systeme der Gelpunkt bestimmen. Dies wurde
in der vorliegenden Arbeit anhand eines Beispiels überprüft. Die so ermittelte
Gelierzeit ist in guter Übereinstimmung mit der Gelierzeit, die aus der normierten Perkolationstheorie bestimmt wurde.
90
Der aus der normierten Perkolationstheorie bestimmte kritische Exponent ν
stimmt sehr gut mit dem von SAHIMI und ARBABI vorhergesagten Wert für das
sogenannte ZIMM-Verhalten überein. Es ist demnach davon auszugehen, dass
am Gelpunkt starke hydrodynamische Wechselwirkungen zwischen den Gelatinemolekülen und nur geringe Diffusion stattfinden. Der kritische Exponent µ
liegt in einem Bereich, der von DE GENNES für die Annahme einer Analogie zwischen Elastizität und Leitfähigkeit eines Netzwerkes aus Isolatoren und Leitern
vorhergesagten Wertes von µ = 1.7, bzw. dem von SAHIMI vorhergesagten Wert
von µ = 2.1, der sich für Modellrechnungen unter Berücksichtigung des Dehnvermögens einer Bindung im Netzwerk ergibt. Diese Annahmen dienten der
veranschaulichten Darstellung eines molekularen Bildes der Gelierung, insbesondere die Aggregation der Helices am Gelpunkt.
Eine weitere Methode zur Bestimmung der kritischen Exponenten wurde durch
die Kombination des Speicher – und Verlustmoduls symmetrisch um den Gelpunkt geschaffen. Es handelt sich bei diesen sogenannten kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Functions) um eine Kombination der Größen in
äquidistanten Abständen zum Gelpunkt innerhalb der zuvor durch die normierten Perkolationsansätze bestimmten Perkolationsbereiche. Anhand der Auswertungen nach den CF wird deutlich, dass die klassische Theorie nicht in Lage
ist, das Phänomen der Gelierung zu beschreiben.
Durch die simultane Bestimmung der rheologischen und optischen Kenngrößen
wurde deutlich, dass eine Proportionalität zwischen der Zeit und der optischen
Drehung während der thermoreversiblen Gelierung am Gelpunkt existiert. Es ist
demnach möglich, nicht nur den Verlauf der rheologischen Kenngrößen als
Funktion der Zeit, sondern auch als Funktion der optischen Drehung im Sinne
der Perkolationstheorie auszuwerten. Es wurde gezeigt, dass beide Möglichkeiten die gleichen kritischen Exponenten liefern.
Die Gelierzeit sowie der kritische Exponent dienten bei der mathematischen
Beschreibung des kompletten Verlaufs des Speichermoduls als Funktion der
Zeit. Es wurde ein mathematisches und physikalisches Aggregationsmodell formuliert, das auf den reaktionskinetischen Schritten der Langmuirschen Adsorptionsisotherme beruht. Das Modell ist so aufgebaut, dass es in der Nähe des
Gelpunkts komplett in den typischen Perkolationsansatz übergeht, bzw. für
Zeiten in weiter Entfernung zum Gelpunkt einen Gleichgewichtswert für den
Speichermodul liefert. Beide Bereiche werden von dem Aggregationsmodell
exakt beschrieben.
ANHANG
91
ANHANG
Anhang A-1
Ergebnisse der Auswertung nach der Perkolationstheorie.
Tab. A-1.1.
Ergebnisse der Auswertung nach den normierten Perkolationsansätzen.
wGelatine/ϑ(°C)
tgel (min)
µ
ν
∆
PB(min)
0.02 / 14
8.42
1.76±0.01
0.64±0.01
0.64±0.01
I1.36I+0.45
0.02 / 15
11.19
2.22±0.01
0.72±0.01
0.72±0.01
I1.22I+0.50
0.02 / 16
14.70
1.79±0.01
1.06±0.02
0.62±0.01
I3.00I+0.67
0.04 / 16
2.65
2.07±0.05
0.58±0.01
0.78±0.01
I0.63I+0.39
0.04 / 18
3.67
2.26±0.02
0.72±0.02
0.76±0.01
I0.85I+0.61
0.04 / 20
6.38
1.75±0.02
0.55±0.02
0.76±0.01
I0.60I+0.36
0.06 / 20
2.00
2.27±0.01
0.61±0.02
0.79±0.01
I0.54I+0.18
0.06 / 22
4.64
1.91±0.02
0.60±0.01
0.76±0.01
I0.68I+0.40
0.06 / 24
15.08
1.77±0.01
0.61±0.01
0.73±0.01
I2.92I+0.65
0.08 / 18
0.54
1.96±0.08
0.61±0.01
0.76±0.01
I0.14I+0.25
0.08 / 20
1.10
2.11±0.06
0.76±0.01
0.76±0.01
I0.21I+0.39
0.08 / 22
2.22
1.86±0.05
0.68±0.07
0.73±0.03
I0.31I+0.47
wGelatine
= Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser
ϑ
= Geliertemperatur in °C
tgel
= Gelierzeit in Minuten
µ bzw. ν
= kritische Exponenten
∆
= Scaling law, berechnet sich nach: ∆ =
PB
= Perkolationsbereich, in dem nach der Perkolationstheorie ausgewertet wurde. Der Wert in Betragsstrichen gibt die zeitliche Entfernung des Perkolationsbereiches zum Gelpunkt an, der Wert
dahinter gibt an, über welchen Zeitbereich sich der Perkolationsbereich erstreckt. Beides sind Minutenangaben.
µ
µ+ν
ANHANG
92
Tab. A-1.2.
Ergebnisse der Auswertung nach den kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Functions)
wGelatine
ϑ(°C)
µCF
νCF
∆CF
0.02
14
4.02±0.25 1.58±0.19 0.72±0.04
0.02
15
2.17±0.15 0.61±0.08 0.78±0.03
0.02
16
1.81±0.28 1.17±0.23 0.61±0.08
0.04
16
1.88±0.13 0.63±0.06 0.75±0.03
0.04
18
1.79±0.12 0.62±0.07 0.74±0.03
0.04
20
2.98±0.10 0.74±0.05 0.81±0.02
0.06
20
2.95±0.15 0.61±0.05 0.82±0.02
0.06
22
1.95±0.01 0.61±0.05 0.76±0.01
0.06
24
1.72±0.17 0.65±0.11 0.73±0.05
0.08
18
2.20±0.26 0.76±0.14 0.74±0.06
0.08
20
2.20±0.16 0.82±0.08 0.73±0.03
0.08
22
3.10±0.18 1.06±0.08 0.75±0.03
wGelatine
= Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser
ϑ
= Geliertemperatur in °C
µCF bzw. νCF
= kritische Exponenten bestimmt aus den Combined Functions
∆CF
= Scaling law, berechnet sich nach: ∆ CF =
µ CF
µ CF + ν CF
ANHANG
93
Tab. A-1.3.
Ergebnisse der Auswertung nach dem Aggregationsmodell für eine
wässerige M92 Gelatine.(3 Gew.-%; Ergebnisse und Messkurven
sind von Venohr, 4 Gew.-%; Messkurven von Lechtenfeld, Bestimmung der Gelierzeiten und der kritischen Exponenten nach der
Methode von Venohr)
wGelatine
ϑ
tgel/ min
K1
K2
α
µ
G'∞
0.03
18
3.52
4.59388
0.99633
0.29504
1.34
908
0.03
20
4.36
3.08363
0.7597
0.33521
1.40
768
0.03
22
8.45
1.85372
0.35674
0.3798
1.47
615
0.03
24
21.56
0.739
0.08837
0.4712
1.40
459
0.03
25
50.93
0.36165
0.03584
0.53157
1.30
354
0.03
26
114,61
0.10277
0.00493
0.70511
1.29
238
0.04
18
2.41
6.74376
0.6846
0.3332
1.01
1027
0.04
20
2.83
4.89106
0.69107
0.32148
1.12
914
0.04
22
4.12
2.6836
0.674
0.34652
1.65
720
0.04
24
9.44
1.23844
0.31118
0.40268
1.83
532
0.04
25
16.80
0.57174
0.1919
0.46849
2.49
331
0.04
26
39.50
0.23093
0.0332
0.59046
1.70
295
0.04
27
114.15
0.0014
5.1E-6
1.60671
1.12
50
wGelatine
= Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser
ϑ
= Geliertemperatur in °C
tgel
= Gelierzeit in Minuten
K1, K2 und α = Konstanten, ermittelt aus den Berechnungen des
Aggregationsmodells (Gl. 9.13)
µ
= kritischer Exponenten
G' ∞
= Endwert für den Speichermodul
ANHANG
Anhang A-2
94
Ableitung weiterer CF.
Ausgehend von den Gln. (8.11) und (8.12) lässt sich eine Proportionalität zwischen den Modulen G' und G'' und dem Betrag der Zeitdifferenz It - tgelI herstellen.
(G' ')ν
~
(G')µ
~ t − t gel
1
1
1
(A-2.1)
t − t gel
(A-2.2)
Die Kombination dieser beiden Ausdrücke liefert eine Funktion F1,222
F1 ≡ (G' )µ (G' ')ν = const.
1
1
(A-2.3)
die, hat man tgel, µ und ν richtig bestimmt, eine konstanten Wert am Gelpunkt
liefen soll.
0,030
0,025
F1
0,020
0,015
0,010
0,005
0,000
0,0
0,2
0,4
0,6
It - tgelI / min
0,8
1,0
Funktion F1 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF
Abb. A-2.1.
STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C
222
Borchard W persönliche Mitteilung
ANHANG
95
Stellt man die Gln. (A-3.1) und (A-3.2) zu:
G' ~ t − t gel
µ
1
G' ' ~
t − t gel
ν
(A-2.4)
(A-2.5)
um, dann ergibt sich nach Multiplikation der beiden Relationen eine weitere
Funktion F2,223
F2 ≡ (G' ⋅ G' ')µ − ν ~ t − t gel
1
(A-2.6)
die am Gelpunkt It – tgelI → 0 verschwinden sollte.
0,14
0,12
F2
0,10
0,08
0,06
0,04
0,02
0,00
0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
It - tgelI / min
Funktion F2 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF
Abb. A-2.2.
Stoess Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C
223
Borchard W persönliche Mitteilung
ANHANG
96
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Kombination der Zeitableitungen der
Gln. (8.11) und (8.12),
1
 dG' '  1 + ν
ν


~−
t − t gel
 dt 
(A-2.7)
1
 dG'  µ − 1


~ µ ⋅ t − t gel
 dt 
(A-2.8)
zu einer Funktion F3,224
1
 dG'  µ − 1

F3 ≡ 
 dt 
1
 dG' '  1 + ν

⋅ 
~ const.
 dt 
(A-2.9)
für die ein konstanter Wert am Gelpunkt erwartet wird.
28
24
F3
20
16
12
8
4
0
0,0
0,2
0,4
0,6
It - tgelI / min
0,8
1,0
Funktion F3 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF
Abb. A-2.3.
STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C
224
Borchard W persönliche Mitteilung
ANHANG
97
Anhang A-3
Messkurven der untersuchten Systeme.
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
0,1
1
10
100
t / min
1000
Abb. A-3.1.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 14°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
0
1000
2000
t / min
3000 4000
5000
6000
-4
-5
α / grad
-6
-7
-8
-9
Abb. A-3.1.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 14°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
ANHANG
98
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
0,1
1
10
100
t / min
Abb. A-3.2.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 15°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-4,0
-4,5
α / grad
-5,0
-5,5
-6,0
-6,5
-7,0
-7,5
Abb. A-3.2.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 15°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
ANHANG
99
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
0,1
1
10
100
t / min
Abb. A-3.3.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 16°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-4,5
-5,0
α / grad
-5,5
-6,0
-6,5
-7,0
-7,5
Abb. A-3.3.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 16C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-%
ANHANG
100
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
1
10
100
t / min
Abb. A-3.4.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
0
50
t / min
100 150 200 250 300 350 400
-8
-9
α / grad
-10
-11
-12
-13
-14
Abb. A-3.4.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
ANHANG
101
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
1
10
t / min
100
Abb. A-3.5.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-8
α / grad
-9
-10
-11
-12
-13
Abb. A-3.5.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 4 Gew.-%
ANHANG
102
1000
G' / Pa
G'' / Pa
100
10
1
0,1
0,01
1
10
100
t / min
Abb. A-3.6.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-13
-14
α / grad
-15
-16
-17
-18
-19
-20
Abb. A-3.6.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
ANHANG
103
100
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
1
10
100
t / min
Abb. A-3.7.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-11
-12
α / grad
-13
-14
-15
-16
-17
-18
Abb. A-3.7.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
ANHANG
104
G' / Pa
G'' / Pa
10
1
0,1
0,01
1
10
100
t / min
Abb. A-3.8.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 24°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-12,0
-12,5
-13,0
α / grad
-13,5
-14,0
-14,5
-15,0
-15,5
-16,0
Abb. A-3.8.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 24°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 6 Gew.-%
ANHANG
105
1000
G' / Pa
G'' / Pa
100
10
1
0,1
0,01
1
10
t / min
100
Abb. A-3.9.a.
Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-16
-18
α / grad
-20
-22
-24
-26
-28
Abb. A-3.9.b.
Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
ANHANG
106
1000
G' / Pa
G'' / Pa
100
10
1
0,1
0,01
0,1
1
10
100
t / min
Abb. A-3.10.a. Verlauf des Speicher und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-16
α / grad
-18
-20
-22
-24
-26
Abb. A-3.10.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
ANHANG
107
1000
G' / Pa
G'' / Pa
100
10
1
0,1
0,01
0,01
0,1
1
10
100
t / min
Abb. A-3.11.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit
einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
0
20
40
t / min
60
80
100
120
-16
-17
-18
α / grad
-19
-20
-21
-22
-23
-24
Abb. A-3.11.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der
isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer
Polymerkonzentration von 8 Gew.-%
LITERATURVERZEICHNIS
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LEBENSLAUF
Name:
Geboren am:
Familienstand:
Markus Lechtenfeld
08.07.1969 in Duisburg
verheiratet, 2 Kinder
Schulbildung
1975 – 1979
Grundschule in Duisburg
1979 – 1985
Wilhelm-Lehmbruck-Realschule in Duisburg
Abschluss: Fachoberschulreife
1987 – 1989
Städt. Kollegschule und Fachschule für Technik in
Duisburg
Abschluss: Fachhochschulreife (in Teilzeitform)
Berufliche Ausbildung
1985 – 1988
Chemielaborant
Thyssen Stahl AG, Duisburg
1989
Zivildienst in Duisburg
Wissenschaftliche Ausbildung
1989 – 1992
Fachhochschule Niederrhein
Studienschwerpunkt: Chemieingenieurwesen
Diplom: 4.12.1992
1993 – 1997
Gerhard-Mercator-Universität Duisburg
Studienschwerpunkt: Chemie (DII) – Angewandte
Physikalische Chemie
Vordiplom: 4.3.1994
Diplom: 14.3.1997
seit 1997
Gerhard-Mercator-Universität Duisburg
Wissenschaftliche Hilfskraft im Fachgebiet Angewandte
Physikalische Chemie unter Leitung von Prof. W.
Borchard, Anfertigung der Dissertation (Beginn: 4/97)
Beruflicher Hintergrund
1988 – 1989
Thyssen Stahl AG, Duisburg
Chemielaborant
ab 4/2001
Anstellung als Chemiker in der F+E bei der
DGF Stoess AG