Auswertung der rheologischen und optischen Untersuchungen während der Gelierung des Systems Gelatine / Wasser mit Hilfe der Perkolationstheorie Dem Fachbereich 6 (Chemie-Geographie) der Gerhard-Mercator-Universität-Gesamthochschule Duisburg zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.) eingereichte Dissertation von Markus Lechtenfeld aus Duisburg Die vorliegende Arbeit wurde im Fachgebiet Angewandte Physikalische Chemie der Gerhard-Mercator-Universität-GH Duisburg angefertigt. Berichterstatter: Prof. Dr. Werner Borchard Prof. Dr. Wiebren S. Veeman Eingereicht am: Tag der mündlichen Prüfung: 13.03.2001 13.06.2001 Ich danke Herrn Prof. Dr. W. BORCHARD für die interessante Aufgabenstellung, seine fachliche Betreuung, Hilfestellung, die gewährte Freiheit bei der Durchführung dieser Arbeit sowie seine ständige und unermüdliche Bereitschaft zur fruchtbaren Diskussion. Herrn Prof. Dr. W. S. VEEMAN danke ich für die freundliche Übernahme des Korreferats. Mein Dank gilt der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT (DFG) für die finanzielle Unterstützung. Ich danke allen Mitarbeitern des Fachgebietes Angewandte Physikalische Chemie, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. In wissenschaftlicher Hinsicht danke ich MICHAEL KISCHEL für seine ständige Hilfsbereitschaft in Hard- und Softwarefragen, die insbesondere bei der Realisierung der neuen Steuereinrichtung des Rheometers auftraten. In diesem Zusammenhang danke ich ebenfalls VOLKER FISCHER für seine unerlässlichen Hilfestellungen beim Umgang mit dem Atari Computer sowie VOLKER KÖRSTGENS für die zeitsparende Hilfe bei der Programmierung der neuen Software. In verwaltungstechnischer Hinsicht danke ich Frau CHRISTEL VON DER WARTH, die nicht selten unter Aufwendung von Mehrarbeit alle personaltechnischen Fragen stets zuverlässig koordiniert hat. Ich danke der Urbesetzung der Kaffeerunde, Dr. DIRK KISTERS und PASCAL JABLONSKI für die wissenschaftlichen Diskussionen, Unterstützung und prompte Hilfsbereitschaft bei auftretenden Problemen. Herrn JABLONSKI danke ich weiterhin für die Übersicht des Manuskriptes und die Hilfestellungen bei der Gestaltung dieser Arbeit. Ganz besonders möchte ich mich bei zwei Lehrern bedanken, die mir aus meiner Schul- bzw. Lehrzeit in bester Erinnerung geblieben sind. Frau BREXEL danke ich für ihre Toleranz und Geduld, die ich während meiner Realschulzeit sehr strapaziert habe. Herrn HAIER, der die Fähigkeit besitzt, Theorie und Praxis der Chemie so zu vermitteln, dass daraus eine lebendige Wissenschaft wird, die man sich nach seiner Ausbildung gerne zum Beruf macht, sei ebenfalls gedankt. If you are right – you are happy, if you are wrong – you learn something. Sir Harold Kroto (Winner of the 1996 Nobel Prize in Chemistry) Justina, Luca, dem Kikimann und meiner lieben Mutter gewidmet. INHALT INHALT EINLEITUNG ................................................................................... 1 THEORETISCHER TEIL ........................................................... 3 1 Dreidimensionale Netzwerke .............................................................. 3 1.1 Was ist ein Gel? ............................................................................ 3 1.2 Die Klassifizierung der Gele .......................................................... 4 1.3 Das System Gelatine / Wasser...................................................... 6 1.3.1 Struktur, Aufbau und Herstellung von Gelatine................. 7 1.3.2 Physikalische Eigenschaften ............................................ 9 2 Grundlagen der Rheologie................................................................ 11 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 Viskoses Verhalten von Flüssigkeiten ......................................... 11 Elastisches Verhalten von Festkörpern ....................................... 14 Viskoelastisches Verhalten von Polymerschmelzen.................... 16 Der Kriech- und Spannungsrelaxationsversuch .......................... 17 Das BOLTZMANNsche Superpositionsprinzip ................................ 18 Das dynamische Experiment....................................................... 20 3 Polarimetrie ........................................................................................ 23 4 Gelierung aus der Sicht der Perkolationstheorie............................ 27 4.1 Was ist Perkolation?.................................................................... 27 4.2 Perkolation und Sol-Gel-Umwandlung ........................................ 29 4.3 Kritische Exponenten .................................................................. 32 EXPERIMENTELLER TEIL ...................................................... 35 5 Probenmaterial und Vorbereitung.................................................... 35 6 Versuchsaufbau zur simultanen Bestimmung der optischen und rheologischen Kenngrößen....................................................... 36 6.1 Das dynamische Schwingungsviskosimeter................................ 37 6.1.1 Messsystematik .............................................................. 39 INHALT 6.1.2 Mathematische Beschreibung des dynamischen Experiments.................................................................... 42 6.2 Das Polarimeter........................................................................... 47 6.2.1 Messsystematik .............................................................. 49 6.2.2 Berechnung der Messgrößen ......................................... 50 ERGEBNISSE UND DISKUSSION ............................................ 51 7 Übersicht der durchgeführten Messungen...................................... 51 8 Die Bestimmung des Gelpunkts und der kritischen Exponenten . 52 8.1 Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls ................. 52 8.2 Auswertung nach der Perkolationstheorie................................... 54 8.2.1 Die normierten Perkolationsansätze ............................... 56 8.2.2 Der modellierte Verlauf der Gelierkurven........................ 61 8.2.3 Die kombinierten Perkolationsansätze............................ 63 8.3 Diskussion der kritischen Exponenten......................................... 68 8.3.1 Der kritische Exponent ν................................................. 68 8.3.2 Der kritische Exponent µ................................................. 69 8.3.3 Das Skalenverhalten der kritischen Exponenten ............ 74 8.4 Zusammenhang zwischen dem komplexen Schubmodul und der optischen Drehung ......................................................... 77 9 Die mathematische Beschreibung der G'(t) Funktion - Das Aggregationsmodell - .............................................................. 83 ZUSAMMENFASSUNG ........................................................... 89 ANHANG ............................................................................. 91 A-1 Ergebnisse der Auswertung nach der Perkolationstheorie. ................. 91 A-2 Ableitung weiterer CF. ......................................................................... 94 A-3 Messkurven der untersuchten Systeme............................................... 97 LITERATURVERZEICHNIS .................................................... 108 EINLEITUNG 1 EINLEITUNG Gelatine ist ein Polypeptid und wird vornehmlich aus dem im Stützgewebe (Haut, Knochen) von Rindern und Schweinen enthaltenen Kollagen gewonnen. Sie findet mannigfaltigen Einsatz in der Kosmetik-, Photo-, Pharma- und Lebensmittelchemie. Man bedient sich hierbei der besonderen Eigenschaft der Gelatine, in wässerigem Milieu thermoreversible Gele auszubilden. Hierunter versteht man, dass alleine durch die Veränderung der Temperatur der Übergang vom flüssigen Zustand (Sol) in den festen Zustand (Gel) beliebig oft wiederholt werden kann. Dieser Vorgang ist mit einer deutlichen Änderung der rheologischen Eigenschaften verbunden, was mit Hilfe der Rheologie, die sich mit den mechanischen Eigenschaften von Flüssigkeiten bzw. Festkörpern beschäftigt, beobachtet werden kann. Grundvoraussetzung für die Gelbildung im System Gelatine ist die Fähigkeit der Polypeptide, aufgrund von Wasserstoffbrückenbindung Ein- oder Mehrfachhelices zu bilden, die letzten Endes die Bildung der Netzwerkpunkte ausmachen. Der Charakter des Netzwerkes ist daher physikalischer Natur, was die thermoreversiblen Eigenschaften des Systems Gelatine / Wasser erklärt. Die Bildung der Helices lässt sich wiederum mit Hilfe optischer Methoden verfolgen, da die Helices ähnlich der optisch aktiven Substanzen die Schwingungsebene des Lichtes drehen. Der Vorgang der Sol-Gel-Umwandlung bzw. der Gelierung wird als Phasenumwandlung bezeichnet und stellt für Wissenschaftler, die sich mit derartigen Problemen befassen, ein sogenanntes kritisches Phänomen dar. Für derartige kritische Phänomene wurden Theorien entwickelt, die Aufschluss über das Verhalten der untersuchten Systeme in diesem kritischen Bereich geben und dabei den Übergang - in diesem Fall die Umwandlung vom flüssigen in den festen Zustand - genau bestimmen. Eine Theorie, die sich mit diesen kritischen Phänomenen beschäftigt, ist die Perkolationstheorie. Sie sagt ein Potenzverhalten für den zeitlichen Verlauf der rheologischen Kenngrößen in der Nähe der SolGel-Umwandlung voraus. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, mit Hilfe des in der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalische Chemie der Gerhard-Mercator-Universität um Prof. Dr. W. BORCHARD konstruierten dynamischen Schwingungsviskosimeters den Punkt der Sol-Gel-Umwandlung genau zu lokalisieren, sprich die Gelierzeit zu bestimmen. Dies soll anhand der Auswertung der rheologischen Kenngrößen nach der Perkolationstheorie geschehen. Vorab soll die Steuereinrichtung des Schwingungsviskosimeters vom veralteten Atari Betrieb auf PC Betrieb umge- EINLEITUNG 2 stellt werden, sodass die Messzeit zwischen zwei Messpunkten von jetzt 18 s deutlich kleiner wird. Die oben erwähnte Perkolationstheorie besitzt nur Gültigkeit in der Nähe des Umwandlungspunktes. Das im späteren Verlauf der Arbeit als Perkolationsbereich bezeichnete Gebiet kann bis heute nicht scharf eingegrenzt werden. Im Zusammenhang mit der Auswertung nach der Perkolationstheorie soll hier der Versuch unternommen werden, diesen Perkolationsbereich unter Berücksichtigung der in der Theorie gemachten Annahmen besser zu definieren. Aus der Literatur ist kein Modell bekannt, das die Gelierung sowohl qualitativ als auch quantitativ beschreibt. Basierend auf der Perkolationstheorie soll ein Aggregationsmodell diskutiert werden, das die Kinetik in der Nähe des Umwandlungspunktes sowie in weiterer Entfernung dazu mathematisch und physikalisch sinnvoll beschreibt. Wie oben erwähnt lässt sich mit Hilfe rheologischer sowie optischer Kenngrößen die Sol-Gel-Umwandlung beobachten. Durch Konstruktion eines Versuchsaufbaus, in dem das dynamische Schwingungsviskosimeter sowie ein Polarimeter integriert sind, sollen diese Größen miteinander korreliert werden. Es soll dabei die Frage geklärt werden, ob eine Proportionalität zwischen den optischen und rheologischen Kenngrößen in der Nähe des Gelpunkts existiert. Des Weiteren soll mit Hilfe der simultanen Messungen ein vor vielen Jahren gefundenes Potenzverhalten zwischen den oben erwähnten Kenngrößen überprüft werden. THEORETISCHER TEIL 3 THEORETISCHER TEIL 1 Dreidimensionale Netzwerke. 1.1 Was ist ein Gel? "The colloidal state, the gel, is one which is easier to recognize than to define".1 Dieser Kommentar von JORDAN LLOYD aus dem Jahre 1926 trifft 75 Jahre später die Sache deutlicher denn je. Die wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Gele halten weiterhin an und somit auch die Diskussion über die Definition des Zustandes eines Gels.2 Dass die Wissenschaftler mit der Definitionsfrage stellenweise sehr humorvoll umgehen, zeigt die Äußerung von KLAAS TE NIJENHUIS in seinem Buch Thermoreversible Networks.3 "A gel is a gel, as long as one cannot prove that it is not a gel". Eine allgemein anerkannte Definition stammt aus dem Jahre 1949 von P.H. HERMANS: 4 • • • Gele sind kohärente, kolloide, disperse Systeme, die sich aus mindestens zwei Komponenten zusammensetzen, sie verfügen über die für Festkörper charakteristischen mechanischen Eigenschaften, sowohl die dispergierte Komponente als auch das Dispersionsmedium erstrecken sich kontinuierlich über das gesamte System. Etwas anschaulicher lässt sich der Zustand des Gels wie folgt beschreiben: Bildet ein makromolekularer Stoff bei der Synthese in einem Lösemittel unter der Aufnahme desselben ein dreidimensionales Netzwerk aus oder quillt ein bereits vorhandenes Netzwerk durch Aufnahme des Lösemittels, so spricht man von einem Gel. Ein Gel ist dadurch charakterisiert, dass das Netzwerk seine äußere Gestalt beibehält und elastische Eigenschaften besitzt. Im engeren physikalischen Sinne besitzt das Netzwerk jetzt viskoelastische Eigenschaften (s. Kap. 2).5 Der Vorgang einer kontinuierlichen Phasenumwandlung einer 1 Lloyd JD (1926) In: Alexander J (ed) Colloid chemistry I. Chemical Catalog Company, New York, p. 767 2 Almdal K, Dyre J, Hvidt S, Kramer O (1993) Polymer Gels Networks 1:5 3 te Nijenhuis K (1997) Thermoreversible Networks, Springer, Berlin Heidelberg New York, p. 3 4 Hermans PH (1949) In: Kruyt HR (ed) Colloid Science II, Elsevier, Amsterdam, p. 483 5 Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10 THEORETISCHER TEIL 4 polymeren Lösung (Sol) zu einem viskoelastischen Festkörper (Gel) wird als Prozess der "Gelierung" bezeichnet. Die kürzeste Definition eines Gels stammt von BORCHARD. Er definiert ein Gel als eine aus dreidimensionalen, polymeren Netzwerken bestehende flüssige Mischphase, die elastische Eigenschaften besitzt.6 1.2 Die Klassifizierung der Gele. Anhand ihrer strukturellen Eigenschaften teilt FLORY die Gele in vier Gruppen ein:7 1. 2. 3. 4. Geordnete lamellare Strukturen, die Gelmesophasen enthalten. Kovalente polymere Netzwerke, die vollständig ungeordnet vorliegen. Durch physikalische Aggregation gebildete physikalische Netzwerke, die überwiegend ungeordnete und teilweise geordnete Bereiche aufweisen. Kleinste Teilchen mit ungeordneten Strukturen. Beispiele für die in Gruppe 1 aufgeführten Gele sind Seifengele sowie wässrige Dispersionen verschiedener Tonmaterialien (Kaolinit). Dabei können die Kräfte zwischen den Lamellen polarer oder elektrostatischer Natur sein.8 Unter kovalenten polymeren Netzwerken (Gruppe 2) versteht man Makromoleküle, die nach einer chemischen Reaktion (wie z.B. Polykondensation, radikalische Polymerisation, Polyaddition) hauptvalenzmäßig, d.h. chemisch miteinander verknüpft sind (s. Abb. 1.1.). Für die Ausbildung eines dreidimensionalen Netzwerkes bedeutet dies, dass eine Verknüpfungsstelle im Netzwerk mindestens trifunktionell sein muss, d.h. mindestens drei von ihr ausgehende kovalente Bindungen aufweisen muss. Chemisch vernetzte Polymersysteme werden außerdem als permanente oder auch irreversible Gele bezeichnet, da sie nur durch einen Bindungsbruch wieder in einzelne Polymerketten (bzw. Solzustand) überführt werden können.9 Beispiele für diese Art von Gelen sind vulkanisierter Kautschuk (Gummi) oder wassersensitive Polyurethannetzwerke. 6 Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580 Flory PJ (1974) Disc Faraday Soc 57:1 8 Borchard W (1983) In: Finch CA (ed) Thermoreversible Gelation, Cambridge Residental School of Chemistry, Plenum Press 9 Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10 7 THEORETISCHER TEIL 5 Physikalisch vernetzte Makromoleküle (Gruppe 3) werden in den Vernetzungsstellen durch schwächere Kräfte wie z.B. durch inter- und intramolekulare HBrückenbindungen oder durch mechanische Verschlaufungen der Polymerketten (entanglements) zusammengehalten. Abb. 1.1. Chemisch (hauptvalenzmäßig) vernetzte Makromoleküle mit einer Funktionalität (f) von f = 4 an den Verknüpfungstellen des Netzwerkes Weiterhin können polymere Ketten über kristalline sowie glasige Bereiche miteinander verknüpft sein.10 (s. Abb. 1.2.). Bei den physikalisch vernetzten Gelen ist es möglich, die Struktur des Netzwerkes (Gel) durch Änderung der Temperatur oder der Konzentration zu zerstören und wieder in den Zustand der Polymerlösung (Sol) zu überführen. Diese Gel-Sol-Umwandlung kann rückgängig gemacht werden, wenn die ursprünglichen äußeren Bedingungen wieder hergestellt werden. Aus diesem Grund werden diese physikalisch vernetzten Gele auch als reversible Gele bezeichnet 11 Vernetzungen durch mechanische Verschlaufungen (entanglements) treten bei Molekülen mit großen molekularen Massen, langen Ketten und ausreichender Kettenflexibilität auf. Diese Verschlaufungen oder Verhakungen der Polymerketten werden durch hohe Konzentrationen und niedrige Temperaturen begünstigt. Vernetzungen über glasige Bereiche können bei aus zwei Komponenten bestehenden Blockcopolymeren auftreten. Dabei liegt eine der beiden Komponenten bei der Versuchstemperatur glasig erstarrt, die andere im gummielastischen Zustand vor. Bei der Vernetzung über kristalline Bereiche liegt ein teilkristallines Polymer vor, dessen amorphe Bereiche über kristalline Bereiche vernetzt sind. Die Ausbildung von H-Brückenbindungen wird häufig bei aminofunktionellen Makromolekülen beobachtet. Es können sich hier Assoziate oder Mikrokristallite in den Netzwerkbe- 10 Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10 Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Gels and Mesophases, The Centre of Professional Advancement 5, Chicago 11 THEORETISCHER TEIL 6 reichen bilden.12 Diese Art der Vernetzung wird ebenfalls bei der Gelierung von wässriger Gelatine-Lösung beobachtet. Hinsichtlich der Thematik der vorliegenden Arbeit soll der Gelatine und deren physikalischem Verhalten in Wasser ein gesondertes Kapitel gewidmet werden (s. Kap. 1.3). a b c Abb. 1.2. Nebenvalenzmäßige Vernetzung über a) mechanische Verschlaufungen (entanglements), b) kristalline Bereiche und c) glasige Bereiche Bei den in der Gruppe 4 definierten Gelen handelt es sich im Allgemeinen um lockere Ausflockungen, die gewöhnlich aus Partikeln mit großer geometrischer Anisotropie bestehen, wie z.B. Protein-Aggregate oder das natürliche Kollagen.13 1.3 Das System Gelatine / Wasser. Die wässrigen Lösungen der Gelatine sind die klassischen Vertreter der thermoreversiblen Gele. Sie gelten als die in der Vergangenheit am häufigsten untersuchten reversibel gelierenden Systeme. In den Forschungsarbeiten des 20. Jahrhunderts erfreuen sie sich deshalb hoher Beliebtheit, da noch kein zuverlässiges Modell gefunden wurde, das eine qualitative und quantitative Beschreibung der Kinetik der Netzwerkbildung zulässt. Im Folgenden soll kurz auf die Struktur, die Gewinnung bzw. Herstellung, die Anwendungsgebiete der Gelatine sowie auf ihr physikalisches Verhalten im wässrigen Medium eingegangen werden. 12 Rehage G (1977) Berichte der Bunsengesellschaft Bd. 81, Nr.10 Borchard W (1983) In: Finch CA (ed) Thermoreversible Gelation, Cambridge Residental School of Chemistry, Plenum Press 13 THEORETISCHER TEIL 7 1.3.1 Struktur, Aufbau und Herstellung von Gelatine. Bei der Gelatine handelt es sich um ein hochmolekulares Polypeptidgemisch, welches aus dem im Stützgewebe (Knochen, Haut) von Schweinen oder Rindern enthaltenen Kollagen gewonnen wird. Bis heute sind 17 verschiedene Kollagen-Typen identifiziert, die sich nur durch die Zusammensetzungen der Aminosäuren unterscheiden.14 35 nm 300 nm Kollagen-Fibrille (Quartärstruktur) 67 nm 300 nm stäbchenförmiges Tropokollagen rechtsgängige Superhelix (Tertiärstruktur) linksgängige α-Helix (Sekundärstruktur) - X - Y - GLY - X - Y Aminosäuresequenz (Primärstruktur) Abb. 1.3. Feinstruktur und molekularer Aufbau von Kollagen15 Der Aufbau des Kollagens ergibt sich aus einer gestaffelten Anordnung der Kollagenmoleküle, dem sogenannten fibrillären Aufbau. Jedes dieser einzelnen Kettenmoleküle, der Tropokollagene, wird durch die Ausbildung einer rechtsgängigen Superhelix aufgebaut. Diese Superhelix besteht wiederum aus drei Polypeptidketten, von denen sich jede aus ca. 1050 Aminosäuren zusammensetzt. Die Polypeptidketten unterscheiden sich ihrerseits durch die Anordnung der Aminosäuren in den Ketten. Das Mittelstück der Peptidketten weist einen regelmäßigen Aufbau der Aminosäuresequenzen auf, wobei die folgenden Anordnungen häufig beobachtet werden: 14 15 Babel W (1996) Chemie in unserer Zeit 30:86 Pezron I, Djabourov J (1990) Polym Sci B, Polym Phys 28:1823 THEORETISCHER TEIL 8 gly - pro - hyp gly - pro - ala gly - ala - hyp (gly: Glycin; pro: Prolin; ala: Alanin; hyp: Hydroxyprolin). Die Realisierung der Helicierung sowie die Bildung der Superhelix ist vermutlich durch die kleine, räumlich günstige Aminosäure Glycin gegeben.16,17 Herstellung. Bei den Herstellungsverfahren zur Gewinnung der Gelatine aus Kollagen unterscheidet man zwei Aufschlussverfahren: Beim alkalischen Verfahren werden Knochen oder Rinderspalt als Rohstoff verwendet, welcher in einem mehrwöchigen, als Äscherung bezeichneten Verfahren, mit konzentrierter Calciumhydroxid-Lösung behandelt wird. Durch die Verwendung von Schweineschwarten von Jungtieren, die einen geringen Anteil an quervernetztem Kollagen enthalten, ist dieser langwierige Prozess der Äscherung nicht erforderlich. Im sogenannten sauren Verfahren genügt eine kurze Behandlungszeit von drei Tagen mit verdünnter Salzsäure, um das Kollagen aufzuschließen. Beiden Verfahren schließt sich derselbe Extrahierungsprozess an. Dieser gestaltet sich derart, dass, nach einer ausreichenden Neutralisation, die Gelatine mit heißem Wasser in mehreren Schritten zwischen 40 und 90°C behandelt wird. Die Extrakte unterscheiden sich anschließend in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften. So weisen die ersten Extrakte höhere molare Massen, eine engere Molmassenverteilung und eine höhere Gelfestigkeit auf.18 Anwendungsgebiete. Aufgrund der Fähigkeit der Gelatine, thermoreversible Gele zu bilden, sowie als Schutzkolloid zu fungieren, findet sie in der Industrie ein weitgefächertes Anwendungsgebiet. In der Lebensmittelchemie wird sie als Gelierungsmittel, Emulgator, Film- oder Schaumbildner verwendet. In der Photoindustrie zum Beschichten von Filmmaterial, in der Pharmaindustrie hingegen in hydrolisierter Form als Blutplasmaersatz. In der Kosmetik verwendet man 16 Pezron I, Djabourov J (1990) Polym Sci B, Polym Phys 28:1823 nd Piez KA (1985) In: Encyclopedia of Polymer Science and Engeneering, Collagen, 2 Ed. Vol. 3, Wiley and Sons, London, p.699 18 Internetseite der Firma DGF Stoess AG http://www.gelita.com 17 THEORETISCHER TEIL 9 Gelatine als Emulgator in Salben und Cremes. Technische Gelatine dient z.B. zur Mikroverkapselung von Farbstoffen.19 1.3.2 Physikalische Eigenschaften. Durch den chemischen Aufbau eines Gelatinemoleküls sind drei Prozesse denkbar, die zur Netzwerkbildung führen können: Die Bildung von H-Brückenbindungen, die Ausbildung kristalliner Bereiche sowie die Verschlaufungen der langen in der Solphase flexiblen Ketten (entanglements). Betrachtet man nun eine wässrige Gelatine-Lösung bei einer Temperatur von 40°C, so liegen die Polymerketten als statistische Knäule vor. Senkt man die Temperatur, nimmt die Beweglichkeit der Polymerketten ab und ermöglicht den entlang der Ketten befindlichen Carbonylsauerstoffatomen mit den in nächster Nachbarschaft liegenden Wasserstoffatomen der NH-Gruppen "intramolekulare" H-Brückenbindungen auszubilden. Dies hat die Bildung einer Helix bzw. eines helikalen Bereiches in der Kette zur Folge - man sagt die Polymerkette ist jetzt partiell heliciert. Das ursprüngliche Gelatinemolekül weist jetzt mehrere steife helikale Bereiche auf, ist aber weiterhin durch die nicht helicierten Kettenabschnitte weitestgehend flexibel. Diese helikalen Bereiche unterschiedlicher, vorzugsweise benachbarter Polymerketten, sind nun in der Lage, über "intermolekulare" H-Brückenbindungen zu aggregieren. Bei genügend hoher Polymerkonzentration findet so eine räumliche Vernetzung der Gelatineketten statt, deren Netzwerkpunkte die aggregierten Helices darstellen. Es sei erwähnt, dass in der Literatur weitere Modelle zur Klärung des Geliermechanismus diskutiert werden, wobei es unterschiedliche Auffassungen von der Ausbildung bzw. Gestalt der Netzwerkpunkte gibt. Diese interessanten, nach Studium der Arbeiten von BORCHARD und MAIBAUM20,21,22 jedoch als sehr fraglich erscheinenden Modelle, finden weitverbreitet enormen Zuspruch und sollen daher hier nicht unerwähnt bleiben. Ein Modell geht davon aus, dass die Netzwerkpunkte durch die diffusionskontrollierte Aggregation bereits vorhandener Helices gebildet werden. Bei günsti- 19 Internetseite der Firma DGF Stoess AG http://www.gelita.com - siehe hierzu auch Venohr H (1999) Dissertation Duisburg. 20 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht 21 Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580 22 Maibaum R (1999) Dissertation Duisburg THEORETISCHER TEIL 10 ger räumlicher Anordnung der Ketten wird hier die Bildung von Mehrfachhelices nicht ausgeschlossen, die als solche ebenfalls an der Aggregation teilnehmen.23,24 Ein zweites Modell schließt eine Aggregation von Einfachhelices vollständig aus. Die Netzwerkpunkte werden hier durch die Verdrillung von anfänglich gebildeten Einfachhelices zu Dreifachhelices gebildet.25,26 Ein weiteres Modell geht nicht von einer anfänglichen Einfachhelicierung aus, sondern von einer direkten Bildung von Dreifachhelices. Dies kann entweder durch die Verdrillung dreier nahezu parallel verlaufender Ketten erfolgen 27,28 oder über die Verdrillung zweier Ketten, indem die eine Kette einen 180°-Knick aufweist (hairpine-model) und somit über einen zweiten Bereich in der Kette die Bildung der Dreifachhelix ermöglicht.29,30 MAIBAUMs Kritik richtet sich vor allem gegen die Renaturierung des Kollagens, d.h. die Entstehung von Tripelhelices, die in solch einer Form im Kollagen als Superhelix vorliegen. Seiner Ansicht nach bedarf es einer zu komplexen Konformationsänderung bei der Verdrillung der Einfachhelices, die darüber hinaus noch simultan ablaufen müsste.31 Zur Verdrillung ist weiterhin erforderlich, dass der Rest der jeweiligen Einzelketten frei beweglich sein muss und keinesfalls in anderen Netzwerkpunkten fixiert vorliet. Ein Zustand, der mit voranschreitender Reaktion immer unwahrscheinlicher wird. MAIBAUMs Ansicht nach spricht der schlagartige Abbau des Netzwerks bei Temperaturerhöhung für ein Modell, das hauptsächlich aus aggregierten Einfachhelices aufgebaut ist. Die für die Entwirrung der Dreifachhelices erforderliche konformative Umlagerung dürfte dahingegen weit mehr Zeit in Anspruch nehmen. Unumstritten ist aber, dass die Knäuel-Helix-Umwandlung mit einem erheblichen Anstieg des End-zu-End-Abstandes der vorher geknäuelten Kette ver- 23 v. Hippel PH, Harrington WF (1959) Biochem Biophys Acta 37:427 Engel J (1962) Arch Biochem Biophysics 97:150 25 te Nijenhuis K (1981) Colloid Polym Sci 259(5):522 26 Bohidar HB, Jena SS (1993) J Chem Phys 8(11):8970 27 Djabourov M (1988) Contemp Phys 29(3):273 28 Pezron I, Djabourov M (1990) J Polm Sci B, Polym Phys 28:1823 29 Benguigui L, Busnel JP, Durand D (1991) Polymer 32(14):2680 30 Ross-Murphy SB (1992) Polymer 33(12):2622 31 Maibaum R (1999) Dissertation Duisburg 24 THEORETISCHER TEIL 11 bunden ist.32 Diese Erkenntnis ermöglicht es erst, die Gelierung von O / W Emulsionen zu erklären, in denen die Konzentration der Gelatine in der kontinuierlichen Phase, in Bezug auf das gesamte System, weit unterhalb der erforderlichen sogenannten kritischen Konzentration zur Netzwerkbildung liegt.33 Zur Untersuchung der Gelierung bieten sich ganz besonders optische und rheologische Methoden an. Optische Untersuchungen erfolgen u.a. mit Hilfe der Polarimetrie. Hier nutzt man den Effekt aus, dass die während der Gelierung gebildeten Helices die Schwingungsebene linear polarisierten Lichtes drehen (s. Kap. 3). Die Helicierung bzw. deren Aggregation zu immer größer werdenden Clustern bewirkt einen Anstieg der Viskosität. Die Viskosität divergiert am Gelpunkt (GP) - damit meint man den Übergangspunkt vom Sol- in den Gelzustand - liegt die Polymerkonzentration oberhalb der kritischen Konzentration. Signifikant ändert sich aber im Bereich dieser Phasenumwandlung die für ein Gel charakteristische elastische Verformbarkeit. Diese Effekte lassen sich im rheologischen Experiment beobachten. 2 Grundlagen der Rheologie. Unter Rheologie versteht man die Wissenschaft von der Deformation und dem Fließen der Körper. Fließvorgänge werden vornehmlich in Flüssigkeiten beobachtet, Deformationen hingegen in Festkörpern. Der idealisierte Zustand einer Flüssigkeit und der eines Festkörpers gehen auf NEWTON und HOOKE zurück. NEWTON bezeichnet eine Flüssigkeit, die ausschließlich über viskose Anteile verfügt, als ideal-viskose Flüssigkeit, HOOKE bezeichnet einen Festkörper, der ausschließlich über elastische Anteile verfügt, als einen ideal-elastischen Festkörper. In der Literatur spricht man von der sogenannten NEWTONschen Flüssigkeit bzw. dem HOOKEschen Körper.34 2.1 Viskoses Verhalten von Flüssigkeiten. Das Fließverhalten einer NEWTONschen Flüssigkeit lässt sich am Modell der einfachen Laminarströmung (Scherströmung) erklären. 32 Hinsken H, Borchard W (1995) Colloid Polym Sci 273:913 Lechtenfeld M, Borchard W (1999) Phys Chem Chem Phys 1:3129 34 Pahl MH (1983) Praktische Rheologie der Kunststoffschmelzen und Lösungen, VDI-Verlag 33 THEORETISCHER TEIL 12 vx Fx y dy dvx x z dv x γ = dy y Abb. 2.1. Stationäre Scherung bei einer NEWTONschen Flüssigkeit Hierzu stellt man sich eine stromlinienförmige Massenströmung zwischen parallelen, ebenen, unendlich ausgedehnten Platten vor (s. Abb. 2.1.). Die untere Platte ruht, die andere wird in x-Richtung mit einer konstanten Geschwindigkeit vx bewegt. Da benachbarte Flüssigkeitsschichten sich unterschiedlich schnell bewegen, beobachtet man senkrecht zu dieser Bewegung (d.h. in y-Richtung) ein Geschwindigkeitsgefälle γ = dv x / dy . Zum Ausgleich dieses Geschwindigkeitsgefälles ist eine Kraft F nötig, um ein Flüssigkeitsteilchen aus seiner Flüssigkeitsschicht in eine andere zu überführen und dabei schnellere Schichten zu verlangsamen oder langsamere zu → beschleunigen. Bezeichnet vx den Betrag der örtlichen Geschwindigkeit v x , A die Plattenfläche und y die zur Geschwindigkeit vx senkrechte Koordinate, so gilt für alle (nicht sehr zähflüssigen) Flüssigkeiten die lokale Formulierung des NEWTONschen Reibungsgesetzes: & dv x F =F=ηA dy (2.1) Dementsprechend ist die Reibungskraft F der Plattenfläche A und dem Geschwindigkeitsgefälle bzw. Schergradienten γ proportional. Die Proportionalitätskonstante η, die sogenannte "Viskosität", ist eine temperaturabhängige Stoffkonstante und ein Maß für den Reibungswiderstand, dem ein strömendes Fluidum der Scherkraft entgegenwirkt (Einheit: Pascalsekunde, Pas). Führt man für die Schubspannung σ (Reibungsdruck) ein, so erhält man: σ= F A (2.2) THEORETISCHER TEIL 13 σ = η ⋅ γ. (2.3) Aus Gl. (2.3) geht hervor, dass η unabhängig vom Geschwindigkeitsgefälle γ ist. Flüssigkeiten, die dieser Gesetzmäßigkeit gehorchen, bezeichnet man demzufolge auch als NEWTONsche Flüssigkeiten. Bei einer Vielzahl von Flüssigkeiten gibt es jedoch keinen linearen Zusammenhang zwischen der Schubspannung σ und dem Schergradienten γ , sodass η selbst bei einwandfrei laminarem Fließen eine Funktion von γ ist. Dieses Verhalten findet man bei den sogenannten "nicht-NEWTONschen" Flüssigkeiten, wie z.B. Polymerlösungen, deren Teilchen durch die Strömung orientiert, verformt oder zerkleinert werden und so im Scherexperiment zu "scheinbaren Viskositäten" und nicht zu Viskositäten im Sinne von NEWTONschen Flüssigkeiten führen. Zu nicht-NEWTONschem Verhalten zählt man u.a. "Dilatanz" und "Strukturviskosität", wobei im ersten Fall die Viskosität mit zunehmender Scherbeanspruchung zunimmt, im letzteren Fall abnimmt. Dilatantes Verhalten beobachtet man in der Regel bei Schmelzen und Lösungen von Makromolekülen (z.B. Stärke / Wasser), selten dagegen bei Dispersionen. Dieses erklärt man durch die Immobilisierung des Lösemittels im System. Strukturviskoses Verhalten tritt dagegen sowohl bei asymmetrischen, starren Teilchen als auch bei flexiblen Knäueln in Erscheinung, wobei die Platzwechselvorgänge durch parallele Ausrichtung der Polymerketten bzw. Deformation der Knäuels im Schergefälle mit einem geringeren Energieaufwand verbunden sind als bei NEWTONschen Flüssigkeiten. Ein besonderes strukturviskoses Verhalten zeigen die sogenannten plastischen Flüssigkeiten (Bingham Körper). Bei ihnen stellt sich das Fließen erst oberhalb einer bestimmten Schubspannung ein. Man spricht hier von einer Fließgrenze. Beobachtet man außerdem noch eine zeitabhängige Änderung der Viskosität, so spricht man im Fall einer Zunahme von "Rheopexie", im Fall einer Abnahme von "Thixotropie". Beide Phänomene können reversibler oder irreversibler Art sein. Anhand von sogenannten Fließkurven [ σ = f ( γ ) ] sollen diese unterschiedlichen rheologischen Verhalten deutlich gemacht werden.35 35 Pahl MH (1983) Praktische Rheologie der Kunststoffschmelzen und Lösungen, VDI-Verlag THEORETISCHER TEIL a 14 b B σ A σ E D C γ γ Abb. 2.2. Fließkurven (a) und (b) für verschiedene rheologische Verhalten: A = NEWTONsch, B = dilatant, C = strukturviskos, D = plastisch, E = thixotrop 2.2 Elastisches Verhalten von Festkörpern. Wirken auf einen festen Körper äußere Kräfte, die im Gleichgewicht sind, so tritt eine Änderung des Volumens und der Form ein. Gehen Volumen- und Formänderung nach Beendigung der äußeren Krafteinwirkung vollständig zurück, so finden reversible Verformungsprozesse statt, der Körper ist ideal elastisch. Der Zustand eines solchen Körpers unter Spannung und Deformation kann durch die korrespondierenden Tensoren beschrieben werden. Die Komponenten des Spannungs- und Deformationstensors beschreiben die an einem kubischen Volumenelement angreifenden Kräfte sowie dessen Änderung bzw. äußeren Abmessungen. Der Spannungszustand lässt sich durch die drei Normalspannungen σxx, σyy, σzz und sechs Tangentialspannungen (auch Scher- oder Schubspannungen genannt) σxy, σxz, σyx, σyz, σzx, σzy beschreiben (s. Abb. 2.3.). Die ursprünglichen neun Komponenten des Spannungstenors reduzieren sich auf sechs, schließt man eine Rotation des Körpers während der Beanspruchung aus, d.h σxz = σzx, σyz = σzy, und σxy = σyx.36,37,38 Im allgemeinsten Fall ist jede unabhängige Komponente des Deformationstensors eine Funktion aller 6 unabhängigen Komponenten des Spannungstensors. Nimmt man eine lineare Abhängigkeit an, so erhält man ein Gleichungssystem mit 36 Komponenten. 36 Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour, Springer, Berlin Heidelberg New York 37 Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Rheology I: Dilute Polymer-Water Systems, The Centre of Professional Advancement 5, Chicago 38 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York THEORETISCHER TEIL 15 σyy y σyx σyz σxy σxx σxz x σzy σzx σzz z Abb. 2.3. Nomenklatur der Spannungen im würfelförmigen Körper Diese Zahl reduziert sich deutlich, geht man von einem isotropen, inkompressiblen Körper aus, der, wie oben erwähnt, bei Beanspruchung nicht zu rotieren beginnt. Legt man weiterhin Volumenkonstanz des Körpers im Experiment zu Grunde, so lässt sich das Deformationsverhalten aus der einfachen Scherung ableiten (s. Abb. 2.4.).39 dx Fx y y x z ϕ Abb. 2.4. Einfache Scherung am HOOKEschen Körper Hierzu wird ein Würfel (in der Zeichnung stark vereinfacht) mit der Seitenfläche A zu einem Parallelepiped gleicher Höhe und Breite durch eine in x-Richtung angreifende Kraft Fx verzerrt, wonach die ursprünglich zur y-Richtung parallelen 39 Borchard W (1994) In: Water Based Polymers, Rheology I: Dilute Polymer-Water Systems, The Centre of Professional Advancement 5, Chicago THEORETISCHER TEIL 16 Kanten einen Winkel ϕ mit der y-Richtung einschließen. Die Scherung wird definiert als: γ xy = dx = tan ϕ y (2.4) Die Schubspannung σxy ist dann proportional der Scherung γxy. Da man nur Deformationen bezüglich der indizierten Koordinaten zulässt, kann für die weiteren Behandlungen auf diese Indizierung verzichtet werden. In Analogie zum NEWTONschen Gesetz besteht für einen HOOKEschen Körper eine direkte Proportionalität zwischen der Schubspannung σ und der Scherung γ. σ=G⋅γ (2.5) In Gl. (2.5) nennt man die Proportionalitätskonstante G den Schubmodul. Unter einem HOOKEschen Körper versteht man einen Körper, bei dem bei Einwirken einer Kraft die gesamte Deformation eintritt und nach der Entlastung direkt auf ihren Ausgangswert wieder zurückgeht. 2.3 Viskoelastisches Verhalten von Polymerschmelzen. Das viskoelastische Verhalten von Stoffen ergibt sich aus der Überlagerung von viskosem und elastischem Verhalten und wird bei Polymerschmelzen und Polymer – Lösemittel - Systemen beobachtet. Bei der Behandlung dieser Systeme ist also das Zusammenspiel von elastischer Verformung, zeitabhängiger elastischer Deformation und viskosem Fließen zu erwarten. Es kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die in Kap. 2.1 und Kap. 2.2 eingeführten Größen G und η zeitunabhängige Materialkonstanten, sondern vornehmlich frequenzabhängige Größen sind. Dass Spannung und Dehnung in viskoelastischen Mischphasen frequenz- bzw. zeitabhängige Größen sind, zeigen die nun folgenden zwei klassischen Versuche. THEORETISCHER TEIL 17 2.4 Der Kriech und Spannungsrelaxationsversuch. Zur Beobachtung des zeitlichen σ mechanischen Verhaltens eines viskoelastischen Systems wird die Probe im Kriechversuch in einem bestimmten Zeitraum einer konstanten Spannung σ0 ausgesetzt 0 (s. Abb. 2.5.oben). Im anschließenden Erholungsversuch (s. Abb. 2.5.unten) verfolgt man den Deformationsverlauf γ(t) während und nach der Beanspruchung. σ0 t0 γ t1 t viskos viskoelastisch elastisch 0 t0 t t1 A Abb. 2.5. Zeitprofil des Kriech (oben)- und Erholungsversuches (unten) Der Versuch ist für viskoelastische Systeme wie folgt zu deuten. Mit einsetzender konstanter Spannung σo zum Zeitpunkt t = t0 tritt ein Teil der Deformation γ0 sofort auf, ein anderer bildet sich erst mit zunehmender Dauer der Beanspruchung aus. Im Erholungsversuch (t > t1) federt ein Teil der Deformation teilweise um den Betrag zurück, der durch die zu Beginn des Kriechexperiments aufgebrachten Spannung σo hervorgerufen wurde. Ein weiterer Teil kann bleibend sein und ist auf das Fließen der Probe zurückzuführen. Für ideal elastische Körper setzt eine der aufgebrachten Spannung proportionale Deformation spontan ein, welche im Erholungsversuch ebenfalls spontan zurückfedert. Für ideal viskose Flüssigkeiten setzt eine zeitverzögerte Deformation ein, die im Erholungsexperiment vollständig erhalten bleibt.40 40 Es muss erwähnt werden, dass es sich bei diesem Deformationsverlauf um eine Näherung handelt, da die Träge der Masse nicht berücksichtigt wurde. THEORETISCHER TEIL 18 Beim Spannungsrelaxationsversuch wird dem viskoelastischen System von einem Zeitpunkt t0 an für eine unbestimmte Zeit eine definierte Deformation γ0 aufgezwungen (s. Abb. 2.6. oben). γ(t) γ0 t0 t Die für den Deformationsablauf erforderliche σ(t) Spannung wird als Funktion der Zeit σ(t) gemessen (s. Abb. 2.6.unten). γ0 G(t) γ0 t0 t Abb. 2.6. Zeitprofil des Spannungsrelaxationsversuches Die zu beobachtende Abnahme der Spannung nach der Deformation ist auf Fließ- und Platzwechselvorgänge in der viskoelastischen Probe zurückzuführen. Mit diesen Erkenntnissen lässt sich eine Beziehung zwischen dem in Kap. 2.2 eingeführten Schubmodul G und der Zeit herstellen. Bildet man gemäß Gl. (2.6) den Quotienten aus der Spannung σ(t) und der konstanten Dehnung γ0, so erhält man den Spannugsrelaxationsmodul, G(t).41,42 G( t ) = σ( t ) γo (2.6) 2.5 Das BOLTZMANNsche Superpositionsprinzip. Möchte man das viskoelastische Verhalten eines Systems bei zeitlich variabler Belastungsfolge beschreiben, dann genügen die oben erläuterten Kriech- und Spannungsrelaxationsversuche nicht, da es sich hier um zwei statische Versuche unter Vorgabe einer "konstanten" Spannung bzw. Dehnung handelt. Eine Lösung dieses Problems bietet das von BOLTZMANN im Jahre 1874 aufgestellte stoffunabhängige Superpositionsprinzip. Es besagt: Die Wirkung einer Summe 41 42 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York THEORETISCHER TEIL 19 von Ursachen ist gleich der Summe der Wirkungen der einzelnen Ursachen.43 Man kann auch sagen: Wenn eine Spannung σ1(t) erforderlich ist, um die Deformation γ1(t) hervorzurufen und σ2(t) nötig ist, um γ2(t) zu bewirken, so muss für die Deformation γ1(t) + γ2(t) die Summe der Spannungen wirksam sein. In symbolischer Schreibweise liest sich:44,45 ∑ σ i (t ) ∝ ∑ γ i (t ) (2.7) Mit Hilfe der mathematischen Formulierung des Superpositionsprinzips ist man nun in der Lage, die Deformation zum Zeitpunkt t zu bestimmen, wenn die Vorgeschichte des Spannungsablaufes bekannt ist. Aufgrund der dualen Fassung des Superpositionsprinzips gilt gleiches auch für die Berechnung der Spannung, wenn die Vorgeschichte des Deformationsverlaufes bekannt ist. Die Vorgeschichte einer Deformation berücksichtigt man, indem man alle Deformationen im Zeitbereich von -∞ bis t betrachtet. Es gilt: γ (ξ ) für −∞<ξ≤t (2.8) Durch eine Graphik veranschaulicht sucht man die Fläche unter der Deformations – Zeitkurve, die sich durch Aufsummieren der horizontalen Streifen ergibt. Der Flächeninhalt eines Streifens ist gegeben durch die zu einem Zeitpunkt ξ einsetzende konstante Deformation γ (ξ ) ∆ξ (s. Abb. 2.7.).46 Wählt man die Stufenbreite ∆ξ infinitisemal klein (∆ξ→0), dann ergibt sich unter Berücksichtigung der Gl. (2.6) für die Summierung über alle Beiträge: σ(t ) = ∫ G (t − ξ ) γ (ξ) dξ t (2.9) −∞ Für den Fall der einfachen Scherung bezeichnet man Gl. (2.9) als die lineare rheologische Zustandsgleichung eines isotropen, viskoelastischen Körpers. 43 Boltzmann L (1874) Sitzber KGl Akad Wiss Wien 2. Abt. 70:225 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York 45 Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour, Springer, Berlin Heidelberg New York 46 Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York 44 THEORETISCHER TEIL 20 γ(ξ) γ (ξ) γ (ξ ) ∆ξ ∆ξ = t - ξ ξ laufende Zeit t Abb. 2.7. Zerlegung des Deformationsverlaufes in horizontale Streifen47 2.6 Das dynamische Experiment. Mit Hilfe des dynamischen Experiments lassen sich die viskosen und die elastischen Anteile eines viskoelastischen Systems getrennt voneinander bestimmen. Hierzu wird die Probe einer sinusförmigen oszillierenden Scherbeanspruchung unterworfen. Für die vorgegebene Deformation, bzw. für die Ableitung nach der Zeit gilt folgender Ausdruck: γ (t ) = γ 0 sin (ωt ) (2.10) γ (t ) = ωγ 0 cos (ωt ). (2.11) Ersetzt man in Gl. (2.11) t durch ξ und bringt den daraus resultierenden Ausdruck für γ (ξ ) in die lineare rheologische Zustandsgleichung Gl. (2.9) ein, dann erhält man: σ(t ) = ωγ 0 t ∫ G (t − ξ ) cos (ωξ )dξ . (2.12) −∞ Zur Vereinfachung substituiert man (t - ξ) durch s und ändert die Integrationsvariablen auf das Zeitintervall [0 bis ∞]:48 47 48 Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York Goodwin JW, Hughes RW (2000) Rheology for chemists, Royal Society of Chemistry THEORETISCHER TEIL 21 σ(t ) = ωγ 0 ∞ ∫ G(s) cos [ω (t − s)] ds (2.13) 0 mit Hilfe des Additionstheorems Gl. (2.14) ergibt sich: cos(α−β) = cosα cosβ + sinα sinβ (2.14) ∞ ∞ 0 0 σ( t ) = γ 0 sin(ωt ) ω ∫ G(s) sin (ωs ) ds + γ 0 cos(ωt ) ω ∫ G(s) cos( ωs) ds (2.15) Der linke Teil der Gleichung schwingt im Experiment in Phase mit der aufgebrachten sinusförmigen Anregung, er wird ausgedrückt durch den frequenzabhängigen Speichermodul G'. Der rechte Teil der Gleichung schwingt um den Betrag der Differenz von Sinus zu Cosinus außer Phase, dies wird durch den ebenfalls frequenzabhängigen Verlustmodul G'', ausgedrückt. ∞ G' (ω) = ω ∫ G(s) sin(ωs)ds (2.16) 0 ∞ G' ' (ω) = ω ∫ G(s) cos( ωs)ds (2.17) 0 Entsprechend kann Gl. (2.15) wie folgt formuliert werden: σ( t ) = γ 0 sin (ωt ) G' (ω) + γ 0 cos (ωt ) G' ' (ω) (2.18) Der Spannungs- und Deformationsverlauf der Probe lässt sich im dynamischen Experiment (s. Abb. 2.8.) veranschaulichen, wobei im Regelfall die aufgebrachte Spannung der Deformation um den Winkel δ vorauseilt. THEORETISCHER TEIL 22 δ/ω σ(t) σ(t) γ(t) γ(t) t 2π/ω Abb. 2.8. Spannungs-Dehnungsverlauf im dynamischen Experiment Für den zeitlichen Spannungsverlauf ergibt sich dann Gl. (2.19): σ(t) = σ0sin(ωt + δ). (2.19) Mit Hilfe des Additionstheorems Gl. (2.20) geht Gl. (2.19) in Gl. (2.21) über: sin(α+β) = sinαcosβ − cosαsinβ (2.20) σ(t) = σ0sin(ωt)cos(δ) + σ0cos(ωt)sin(δ). (2.21) Stellt man Gl. (2.18) und Gl. (2.21) gegenüber, so ergibt sich für den Speicherund den Verlustmodul der reinen gescherten Probe: G' (ω) = σ0 cos( δ) γ0 (2.22) G' ' (ω) = σ0 sin(δ), γ0 (2.23) wobei der Speichermodul G' den elastischen und der Verlustmodul G'' den viskosen Anteil einer viskoelastischen Probe beschreibt. Wird im dynamischen THEORETISCHER TEIL 23 Experiment keine Phasenverschiebung beobachtet (d.h. δ = 0°), so ergibt sich nach Gl. (2.23) für G'' der Wert Null, d.h. die Probe verfügt nur über elastische Anteile und kann als ein ideal elastischer Körper angesehen werden. Beobachtet man eine Phasenverschiebung von δ = 90°, so ergibt sich nach Gl. (2.22) für G' der Wert Null, d.h. die Probe verfügt ausschließlich über viskose Anteile und ist demzufolge als ideal viskos anzusehen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die Gl. (2.22) und Gl. (2.23) nur dann als Auswertegleichung für die Moduli herangezogen werden können, wenn es gelingt, den Einfluss der Messapparatur gering zu halten. Der Speicher- und der Verlustmodul lassen sich in einer komplexen Schreibweise darstellen: G * (ω) = G' (ω) + iG' ' (ω). (2.24) Der Speichermodul stellt hier den Realteil und der Verlustmodul den Imaginärteil des sogenannten komplexen Schubmoduls dar.49,50,51 Der Realteil in Gl. (2.24) repräsentiert die während einer Schwingung im Netzwerk reversibel gespeicherte Arbeit, der Imaginärteil repräsentiert hingegen die während einer Schwingung durch Reibung im Netzwerk dissipierte Arbeit. 3 Polarimetrie. Optisch aktive Verbindungen drehen die Schwingungsebene von Licht. Je höher die Konzentration der optisch aktiven Verbindung, desto größer der Betrag, um den die Schwingungsebene gedreht wird. Eine gewöhnliche Lichtquelle hat aber beliebig viele Schwingungsebenen, d.h., es kann unter diesen Bedingungen keine Aussage über den Betrag, um den die Schwingungsebene gedreht wurde, gemacht werden. Letzten Endes wird man auch so keine Aussage darüber machen können, ob überhaupt eine Verbindung optisch aktiv ist. Aus diesem Grunde verwendet man bei den polarimetrischen Untersuchungen Licht mit "einer" definierten Schwingungsebene. Diese Bedingung erfüllt das sogenannte linear polarisierte Licht. 49 Schwarzl FR (1990) Polymermechanik, Springer, Berlin Heidelberg New York Tschoegel NW (1989) The phenomenological theory of linear viscoelastic behaviour, Springer, Berlin Heidelberg New York 51 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York 50 THEORETISCHER TEIL 24 Linear polarisiertes Licht. Licht breitet sich als transversale elektromagnetische Welle aus. Das elektrische- (Ê) und magnetische Feld (V stehen dabei senkrecht zur Ausbreitungsrichtung und selbst in einem rechten Winkel zueinander (s. Abb. 3.1.).52 V Magnetisches Feld Ç Elektrisches Feld Strahlungsrichtung Abb. 3.1. Elektromagnetische Welle Bei gewöhnlichen Lichtquellen schwingen die Feldvektoren in alle Raumrichtungen mit verschiedenen Wellenlängen, das Licht ist unpolarisiert. Setzt sich aber Licht aus Strahlen einer Wellenlänge zusammen, deren elektrisches Feld in einer Ebenen liegt, dann spricht man von linear polarisiertem Licht. Dieses Licht stellt man sich jetzt als die Überlagerung von zwei entgegengesetzt rotierenden zirkular polarisierten Lichtkomponenten vor (s. Abb. 3.2.). Blickt ein Beobachter dem Lichtstrahl entgegen, und der elektrische Feldvektor rotiert im Uhrzeigersinn, spricht man von rechts zirkular polarisiertem Licht, rotiert der elektrische Feldvektor entgegengesetzt dem Uhrzeigersinn, spricht man von links zirkular polarisiertem Licht. Man betrachtet demnach eine linksdrehende L-Komponente und eine rechtsdrehende R-Komponente. Tritt dieses Licht nun in ein optisch aktives Medium ein, dann findet eine Wechselwirkung der Elektronen der verschiedenen chemischen Spezies mit dem elektrischen Feld einer der Komponenten statt. Dies hat eine Polarisation der Materie, verbunden mit einer Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit v und damit des Brechungsindex n53 der Kompo52 Fa. LOT Oriel Instruments (2000) The book of photon tools Der Brechungsindex (Brechungsquotient, Brechzahl) ist das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum zur Lichtgeschwindigkeit in dem betroffenen Medium. 53 THEORETISCHER TEIL 25 nente in dem Medium zur Folge. Beim Austritt aus dem Medium ergibt die Überlagerung der elektrischen Feldvektoren einen polarisierten Lichtstrahl, dessen Polarisationsebene gegenüber der des eingestrahlten Lichtes um einen Winkel α gedreht ist. L-Komponente ∆α R-Komponente Abb. 3.2. Linear polarisiertes Licht tritt durch ein optisch aktives Medium54 Nimmt man an, dass die L-Komponente die langsamere ist, d.h. dass deren elektrisches Feld mit der Probe in Wechselwirkung getreten ist, dann ergibt sich bei einer Probenlänge l ein Zeitunterschied für die Komponenten von: ∆t = l vR − l . vL (3.1) Durch die Brechungsindices ausgedrückt ergibt sich: ∆t = (nR − nL ) ⋅ l , c (3.2) wobei c für die Lichtgeschwindigkeit steht. Der resultierende Drehwinkel aus der Überlagerung der elektrischen Feldvektoren ist dann gegeben durch Gl. (3.3), wobei λ die Wellenlänge des Lichtes ist:55 ∆α = 2π (nL − nR ) ⋅ l . λ (3.3) Den messbaren Winkel, um den die Schwingungsebene des Lichtes gedreht wird, nennt man optische Drehung. Für eine Lösung mit optisch aktiven Substanzen ist α abhängig von: 54 55 Atkins PW (1990) Physikalische Chemie, VCH, Weinheim Atkins PW (1990) Physikalische Chemie, VCH, Weinheim THEORETISCHER TEIL • • • • • 26 der Temperatur der Wellenlänge des Lichtes der Konzentration der Länge der Messstrecke der räumlichen Anordnung der Liganden, Unsymmetrien. Häufig wird eine stoffspezifische Größe, eine sogenannte spezifische optische Drehung [α] angegeben, in welcher die oben angegebenen Abhängigkeiten berücksichtigt werden: [α]ϑλ = α . l⋅c (3.4) In Gl. (3.4) bedeuten: α = optischer Drehwinkel l = Länge der Messstrecke c = Konzentration des gelösten Stoffes ϑ = Temperatur. Worin unterschieden sich optisch aktive von optisch inaktiven Substanzen molekular? Optisch aktiv sind Moleküle, die ein asymmetrisches C-Atom haben, d.h. ein Kohlenstoffatom mit vier unterschiedlichen Substituenten. Die Spiegelbilder von Molekülen, die solche asymmetrischen C-Atome enthalten, können nicht mit dem Molekül zur Deckung gebracht werden. Man bezeichnet solche Moleküle als chiral. Diese Moleküle haben kein Symmetriezentrum. Grob formuliert: Aufgrund der Symmetrie eines optisch inaktiven Moleküls wird jeder Effekt, den der Teil des Moleküls bzw. der Elektronen auf den elektrischen Feldvektor eines zirkular polarisierten Lichtes hat, durch den Effekt des spiegelbildlichen Teils des Moleküls auf den anderen Teil des zirkular polarisierten Lichtes aufgehoben. Die Schraubenstruktur eines Moleküls (Helixstruktur s. Kap. 1.3.2) trägt ebenfalls zur Drehung der Schwingungsebene von Licht bei.56 Man erwartet demnach bei den in dieser Arbeit untersuchten Gelatine / Wasser Systemen, dass ein Teil des ermittelten Drehwinkels durch die in der Gelatine enthaltenen asymmetrischen Kohlenstoffatome hervorgerufen wird, ein weiterer Teil durch die Helicierung der Ketten während der Sol-Gel-Umwandlung. 56 Vollhardt KPC (1990) Organische Chemie, VCH Weinheim THEORETISCHER TEIL 4 27 Gelierung aus der Sicht der Perkolationstheorie. Eine Infektionskrankheit breitet sich in der Bevölkerung aus, Erdöl sickert durch Gestein, ein Waldbrand breitet sich aus, ein Ei wird beim Kochen hart, Quittengelee wird im Marmeladenglas fest. All diese Prozesse lassen sich mit den Mitteln der Perkolationstheorie mathematisch beschreiben. Durch die Anwendung der Perkolationstheorie auf derartige Beispiele kann z.B. folgende Frage beantwortet werden. Wieviel Prozent der Bevölkerung muss geimpft sein, damit keine Epidemie ausbricht? Weitere, wissenschaftlicher abgehandelte Beispiele findet man in der Literatur.57,58 Mit Hilfe der Perkolationstheorie lassen sich auch Phasenübergänge beschreiben, was für die in dieser Arbeit untersuchten Sol-Gel-Umwandlung während der thermoreversiblen Gelierung des Systems Gelatine / Wasser von besonderer Bedeutung ist. Anhand dieses Prozesses soll die Perkolationstheorie näher beschrieben werden. 4.1 Was ist Perkolation? Hierzu stellt man sich eine große Anordnung von Quadraten vor, die zusammen in idealer Weise ein unendlich großes Gitter darstellen sollen (s. Abb. 4.1.). Einige Quadrate sind dabei mit einem Punkt versehen, andere Quadrate bleiben leer. Quadrate, die eine gemeinsame Seite haben bezeichnet man als nächste Nachbarn. Sind solche Quadrate mit einem Punkt versehen, dann bilden sie gemeinsam einen sogenannten Cluster. Die Perkolationstheorie handelt nun von der Anzahl und den Eigenschaften solcher Cluster. Die Belegung der Quadrate mit Punkten findet dabei zufällig statt, so als ob die Punkte untereinander nichts voneinander wüßten bzw. sich ignorierten. Man nimmt an, dass die Quadrate mit der Wahrscheinlichkeit p mit einem Punkt belegt sind, bzw. mit der Wahrscheinlichkeit (1-p) frei sind. Nimmt p einen kritischen Wert pc an, beobachtet man einen Cluster, der sich von einer Seite des Gitters zur anderen Seite erstreckt. 57 58 Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim THEORETISCHER TEIL a 28 b c Abb. 4.1. Definition von Perkolation und seinen Clustern. a) Teile eines quadratischen Gitters, b) Besetzung einzelner Quadrate durch Punkte angedeutet, c) Zusammenfassung nächstbenachbarter besetzter Quadrate zu Clustern was, durch Kreise angedeutet ist59 Man spricht von einem Cluster, der durch das System perkoliert, wie Wasser durch den mit Kaffee gefüllten Filter in einer Kaffeemaschine, die deshalb auch "percolator" genannt wird (lat. percolare = durchsickern). Durchquert man den Bereich knapp unterhalb bis knapp oberhalb dieser kritischen Konzentration, dann erfahren die Systeme eine starke Änderung ihrer Eigenschaften. Unterhalb von pc kann ein System nichtleitend sein, oberhalb dagegen leitend, oder das System liegt unterhalb von pc als Sol vor, oberhalb hingegen als Gel. Diese Änderungen während der Perkolation bezeichnet man als kritische Phänomene und die Theorie, die versucht, diese Phänomene zu beschreiben als Skalentheorie.60 Der Beginn der Perkolationstheorie wird mit einer Veröffentlichung von BROADBENT und HAMMERSLEY aus dem Jahre 1957 in Verbindung gebracht. Hier wurde der Name Perkolationstheorie eingeführt und das oben erläuterte geometrische und wahrscheinlichkeitstheoretische Konzept mathematisch behandelt. Die damals aufkommenden Computer waren nach Angaben von HAMMERSLEY ausschlaggebend für die Entwicklung dieser Theorie.61 Eine ausführliche und sehr anschauliche Erklärung, wie mit Hilfe der Monte - Carlo Simulation die Perkolation auf einem Gitter abläuft, geben STAUFFER und AHARONY in ihrem Buch Perkolationstheorie.62 59 Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim 61 Broadbent SR, Hammersley JM (1954) Proc Camp Phil Soc 53:629 62 Stauffer D, Aharony A (1995) Perkolationstheorie, VCH Weinheim 60 THEORETISCHER TEIL 29 4.2 Perkolation und Sol–Gel-Umwandlung. Bereits im Zweiten Weltkrieg entwickelten FLORY und STOCKMAYER die erste Theorie der Gelierung für die Sol – Gel Phasenumwandlung.63,64 Grundlage ihres Modells stellt das baumartige Wachstum f-funktioneller Monomerer auf einem Bethe – Gitter (Cayley – Baum) dar. Diese Theorie bezeichnet man heute als die Perkolationstheorie auf dem Bethe – Gitter.65 In der Literatur spricht man in der Regel von der klassischen Theorie (mean field theory) sie soll im weiteren Verlauf der Arbeit auch als solche bezeichnet werden. Die für die Bildung eines vollständigen Netzwerkes erforderliche Konzentration an ffunktionellen Gruppen pc ist gegeben durch: pc = 1 . f −1 (4.1) Hauptkritikpunkt an dieser Theorie ist, dass sie keine Ringschlüsse der Makromoleküle zulässt und den Einfluss des ausgeschlossenen Volumens (excluded volume effect) nicht berücksichtigt.66,67,68 STEPTO behandelt diese Probleme in seinen neueren Arbeiten ausführlich.69 Wie in Kap. 4.1 erwähnt behandelt die Perkolationstheorie die kritischen Phänomene in der Nähe von pc, d.h. knapp unter- bzw. knapp oberhalb von pc. Im Falle der Sol–Gel-Umwandlung liegt ein System im Bereich p < pc als Sol vor hier schließen sich multifunktionelle Monomere zu endlichen Clustern zusammen. Im Bereich p > pc liegt es als Gel vor - hier existiert ein unendlich großer Cluster (unendliches Netzwerk), das eine Seite der Probe mit der anderen verbindet. Diese Phasenumwandlung vollzieht sich am sogenannten Gelpunkt (GP). Das besondere an diesem Punkt ist, dass bestimmte Messgrößen an diesem Punkt gegen Null gehen oder gegen unendlich. 63 Flory PJ (1941) J Amer Chem Soc 63:3083,3091,3096 Stockmayer WH (1944) J Chem Phys 11:45 ibid 12:125 65 Letztlich perkoliert auch hier ein Cluster durch ein Gitter, wobei nur nächste Nachbarn eine Bindung ausbilden können. Bei dieser Theorie ist jedoch die Richtung durch den baumartigen Wachstum vorgegeben, nicht zuletzt erfolgen die Berechnungen nicht über Computersimulationen. Aus diesen Gründen ist die Bezeichnung Perkolationstheorie eher irreführend. 66 Stauffer D (1979) Physics Reports 54:1 67 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 68 Stauffer D, Coniglio A, Adam M (1982) Advances in Polymer Science 44:103, Springer Verlag, Berlin 69 Stepto RFT persönliche Mitteilung, World Polymer Congress 2000, Warschau, Polen 64 THEORETISCHER TEIL 30 ηdyn, G‘ G‘ ηdyn GP p Abb. 4.2. Schematischer Verlauf der dynamischen Viskosität ηdyn und des Speichermoduls G’ am Gelpunkt (GP) in einer logarithmischen Darstellung Eines dieser Verhalten zeigt die dynamische Viskosität ηdyn. Sie ist im wesentlichen über den Verlustmodul über folgende Beziehung verknüpft 1 ηdyn (G' 2 + G' ' 2 ) 2 G' ' = ≈ ω ω ; t < t gel (4.2) und gilt nur in dem Zeitbereich vor dem Gelpunkt. Am Gelpunkt zeigt das System kein Fließverhalten mehr, d.h. die Viskosität muss am Gelpunkt divergieren. Das entgegengestzte Verhalten zeigt der Speichermodul G'. Er geht am Gelpunkt gegen Null (s. Abb. 4.2.). Für diesen Fall finden STAUFFER und gesetze:70,71 ηdyn = DE G' ' = K ν (p c − p )− ν ω G' = K µ (p − p c ) µ GENNES folgende sogenannte Potenz- für p < p c und ν > 0 für p > p c und µ > 0 . (4.3) (4.4) In diesen Formeln bedeuten die Konstanten Kν und Kµ die kritischen Amplituden, p den Anteil bereits geschlossener Bindungen während einer Reaktion, demnach pc den kritischen Anteil an bereits geschlossenen Bindungen, die zur 70 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 71 Stauffer D, Coniglio A, Adam M (1982) Advances in Polymer Science 44:103, Springer Verlag, Berlin THEORETISCHER TEIL 31 Netzwerkbildung erforderlich sind und ν sowie µ die kritischen Exponenten.72 Den kritischen Exponenten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie sollen in Kap. 4.3 gesondert behandelt werden. Beim Umgang mit den Gln. (4.3) und (4.4) stellt sich dem experimentierenden Wissenschaftler ein Problem: Welche durch Experimente zugängliche Größe verwendet man anstelle der durch Computersimulationen erhaltene Größe p, um anhand des im Experiment ermittelten komplexen Schubmoduls kritische Phänomene mit Hilfe der Perkolationstheorie zu beschreiben? Dieses Problem wird von verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich angegangen. Im Falle der Sol–Gel-Umwandlung des Systems Gelatine / Wasser bestimmen DJABOUROV und Mitarbeiter eine Konvertierungsvarible Φ73, die sich auf den Helixanteil in einer Probe bezieht. Zum Aufbau eines Netzwerkes muss ein kritischer Helixanteil im System vorliegen, der durch die kritische Konvertierungsvariable Φc angegeben wird. Bei einer bestimmten Temperatur beobachten DJABOUROV und Mitarbeiter das Verhalten der rheologischen Kenngrößen im Bereich Φ < Φc und Φ > Φc.74 Für das gleiche System ermittelten KUMAGAI und Mitarbeiter eine kritische Konzentration an Gelatine φc und ermittelt für eine Konzentrationsreihe im Bereich φ < φc und φ > φc die rheologischen Größen.75 MICHALCZYK76 und später VENOHR77 folgten der Empfehlung STAUFFERs, die Wahrscheinlichkeiten p in den Gln. (4.3) und (4.4) durch die Zeit zu substituieren. Dass in der Nähe des Gelpunkts eine Proportionalität zwischen diesen Größen existiert, ist in verschiedenen Veröffentlichungen niedergeschrieben. 78,79,80,81,82 Für eine konstante Frequenz gehen damit die Gln. (4.3) und (4.4) in folgende Ausdrücke über: 72 Je nach dem welche kritische Phänomene mit der Perkolationstheorie behandelt werden, werden in der Literatur unterschiedliche Symbole für die kritischen Exponenten benutzt. Die in dieser Arbeit verwendeten Symbolen wurden von Stauffer vorgeschlagen. 73 siehe hierzu Gl. (8.30) in Kap. 8.4 74 Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:333 75 Kumagai H, Fujii T, Inukai, T, Yano T (1993) Biosci Biotech Biochem 57(4):532 76 Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg 77 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 78 Penich-Covas C, Dev SB, Gordon M, Judd M, Kajiwara K (1974) Discussion of the Faraday Division on Gels and Gelling Processes 57:165 79 Parker TG, Dalgleish DG (1977) J Dairy Res 44:85 80 Adam M, Delsanti M, Okasha R, Hild G (1979) J Phys Lett (Paris) 40:L 539 81 Gauthier-Manuel B, Guyon E (1980) J Phys Lett (Paris) 41:L503 82 Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580 THEORETISCHER TEIL 32 G' ' = K η t gel,η − t ( ) −ν für t < t gel,η (4.5) ( )µ für t > t gel,G (4.6) G' = K G t − t gel,G Durch die Anwendung der Gln. (4.4) und (4.5) auf die rheologischen Experimente ist nun die Möglichkeit gegeben, den Gelpunkt bzw. die Gelierzeit, (tgel) d.h. die Zeit zu bestimmen, die vergeht bis sich ein Gel gebildet hat.83 Für die industrielle Anwendung gelierender Systeme ist eine genaue Bestimmung der Gelierzeit von großer Bedeutung. 4.3 Kritische Exponenten. Die kritischen Exponenten sind entscheidend vom Verhalten der untersuchten Systeme am kritischen Punkt abhängig. Anhand von unterschiedlichen Simulationen und Modellrechnungen versuchen verschiedene Wissenschaftler für die kritischen Phänomene, wie z.B. die Gelierung, die kritischen Exponenten vorherzusagen. DE GENNES simuliert die Gelierung mit Hilfe eines Widerstandsnetzwerkes.84 Später bemühte sich SAHIMI, die Bindung in einem Netzwerk als vektorielle Größen zu berücksichtigen und nicht als skalare Größen wie durch das Widerstandsnetzwerk vorgegeben. SAHIMI trägt damit dem Dehn- und Biegevermögen (bond bending) eines Netzwerkes Rechnung.85,86,87 Im Folgenden soll eine von VENOHR angefertigte Zusammenstellung der in diesen und weiteren Fällen vorhergesagten kritischen Exponenten wiedergegeben werden.88 83 Die Auswertung zweier experimentell ermittelter Größen ηdyn und G‘ nach der Perkolationstheorie in der Form Gln. (4.5) und (4.6) hat zwei Lösungen für die Gelierzeit zur Folge tgel,η und tgel,G. Auf dieses "Problem" wird in Kap. 8 genauer eingegangen. 84 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 85 Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725 86 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 87 Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis 88 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg THEORETISCHER TEIL 33 Vorhersage für den kritischen Exponenten ν: ν = 0: Ergebnis der klassischen Theorie.89,90 Demnach ergibt sich am Gelpunkt für die Viskosität ein endlicher Wert. ν ≈ 0.65: ARBABI und SAHIMI nehmen hier an, dass starke hydrodynamische Wechselwirkungen zwischen den Polymeren am Gelpunkt bestehen und keine oder wenig Diffusion stattfindet (ZIMM – Regime).91,92 ν = 0.7: DE GENNES vergleicht hierbei die Viskosität mit der Leitfähigkeit einer Mischung aus Leitern und Supraleitern.93,94 ν = 1.3: Ergebnis der ROUSE Approximation. Der Beitrag eines Clusters zur Viskosität ist hierbei proportional zum Quadrat seines Radius. Die Polymere werden hierbei als lange inflexible Ketten angenommen. Geringe Polymer - Polymer und Polymer - LM Wechselwirkungen.95,96 ν ≈ 1.35: ARBABI und SAHIMI nehmen an, dass in der Nähe des Gelpunkts keine hydrodynamische Wechselwirkung zwischen den Polymeren verschiedener Größen besteht (ROUSE – Regime).97,98 0 ≤ν ≤ 1.35: Resultate der Berechnungen von MARTIN und Mitarbeitern, abhängig vom Ausmaß der hydrodynamischen Wechselwirkungen der Polymere.99 Vorhersage für den kritischen Exponenten µ: µ = 1.7: 89 Annahme der Analogie von Elastizität zur Leitfähigkeit bei einem Netzwerk aus Leitern und Isolatoren.100 Flory PJ (1941) J Amer Chem Soc 63:3083,3091,3096 Stockmayer WH (1944) J Chem Phys 11:45 ibid 12:125 91 Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725 92 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 93 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 94 de Gennes PG (1979) J Physique (Paris) Lett 40:197 95 de Gennes PG (1979) J Physique (Paris) Lett 40:197 96 de Gennes PG (1980) Comp Rendus Acad Sci (Paris) 286B:131 97 Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725 98 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 99 Martin JE, Adolf D, Wilcoxon JP (1989) Phys Rev A 39:1325 90 THEORETISCHER TEIL 34 µ = 2.1: Die Bindungen auf einem Perkolationsnetzwerk werden durch elastische Elemente dargestellt, die gedehnt werden können (stretching forces).101 µ = 2.67: Diesen Wert berechnete Martin für ein Sol aus verzweigten Polymeren.102 µ = 3: Ergebnis der klassischen Theorie.103,104,105 µ = 3.75: Die Bindungen auf einem Perkolationsnetzwerk werden durch elastische Elemente dargestellt, die sowohl gedehnt als auch gebogen werden können (bond bending).106 µ ≤ 3.78: Diesen Wert erhalten ROUx und GUYON unter der Annahme, dass sich Drehmomente wie die elektrische Leitung ausbreiten.107 µ = 2.85 bzw. 3.55: KANTOR und WEBMAN ermittelten diese Werte unter Berücksichtigung der Änderung von Bindungswinkeln, der Gestalt der Polymerketten und der Richtung der angreifenden Kraft.108 Behandelt man ein kritisches Phänomen mit Hilfe der Skalentheorie und erhält identische oder zumindest ähnliche kritische Exponenten, dann spricht man von einer Universalität der kritischen Exponenten. Systemen, die einer Universalitätsklasse zugeordnet werden können, kann man unterstellen, dass sie sich, bezüglich ihres Verhaltens am kritischen Punkt, sehr ähnlich sind. Im Falle der Polymerisation kann man daraus schließen, dass ähnliche molekulare Abläufe stattfinden. 100 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 101 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 102 Martin JE, Adolf D, Wilcoxon JP (1989) Phys Rev A 39:1325 103 Dobson GR, Gordon M (1965) J Chem Phys 43:705 104 de Gennes PG (1976) J Phys (Paris) 37:L1 105 Gordon M, Ross-Murphy SB (1979) J. Phys A 12:L155 106 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 107 Roux S, Guyon E (1986) In: Stanley HE, Ostrowski N (eds) On Growth and Form, Martinus Nijhoff Boston 108 Kantor Y, Webman I (1984) Phys Rev Lett 52:1891 EXPERIMENTELLER TEIL 35 EXPERIMENTELLER TEIL 5 Probenmaterial und Vorbereitung. In dieser Arbeit wurden zwei verschiedene Gelatine - Typen verwendet. Bei der einen Sorte handelte es sich um eine sauer aufbereitete Schweineschwarten Gelatine der Firma DEUTSCHE-GELATINE-FABRIKEN STOESS AG (kurz DGF STOESS AG),109 bei der anderen handelt es sich um eine basisch geäscherte Rinderknochen - Gelatine vom Typ M92 der Firma ROUSSELOT S.A..110 Das Gelatinegranulat wurde mit Hilfe einer Analysenwaage unter Berücksichtigung des in einem Trocknungsversuch bestimmten Wassergehaltes der Gelatine von 14.00 Gew.-% (STOESS Gelatine) und 11.97% (ROUSSELOT Gelatine) in mit Schwefelsäure gereinigte Hochdruckflaschen eingewogen. Die Proben wurden durch Zusatz von 0.15mL Raschitlösung111 pro 1g Gelatine gegen den bakteriellen Befall geschützt. Im Anschluss daran wurden die Proben über Nacht bei 5-7°C quellen gelassen, um beim späteren Lösen des Polymeren ein Verklumpung des Gelatinegranulats (gel-blocking) zu verhindern. Hierdurch ließen sich die Proben problemlos im 45°C temperierten Wasserbad homogenisieren. Das längere Behandeln von Gelatinelösungen oberhalb von 45°C führt zu irreversiblen Zerstörungen der Gelatinemoleküle. Dies wurde durch die Verwendung eines auf 45°C eingestellten Kontaktthermometers, welches in das Wasserbad ragt, verhindert. Das Wasserbad verhindert gleichzeitig, dass die Hochdruckflaschen direkt mit der Heizplatte in Verbindung stehen und somit die Temperatur in der Probe lokal über 45°C ansteigt. Die Gelatine-Lösungen wurden mit Hilfe einer Plastikspritze aus den Hochdruckflaschen entnommen und direkt, wie oben beschrieben in die Messzellen eingebracht. Diese wässrigen Proben sind sowohl als Sol als auch als Gel äußerst transparent und sind somit bestens für die optischen Untersuchungen geeignet. Die Verwahrung der Proben erfolgte im Kühlschrank bei 5-7°C. 109 Herrn Dipl. Ing. Pflaumbaum von der Firma DGF Stoess AG danke ich für die Überlassung der Gelatine Proben. 110 Der Firma Dupont de Nemours danke ich für die Überlassung einiger Gelatineproben. 111 5%ige Lösung aus 4-Chlor-3-Methylphenol in Methanol EXPERIMENTELLER TEIL 6 36 Versuchsaufbau zur simultanen Bestimmung der optischen und rheologischen Kenngrößen. Die in dieser Arbeit durchgeführten Bestimmungen des Drehwertes des Lichts und des komplexen Schubmoduls während der isothermen Gelierung des Systems Gelatine / Wasser erfolgten mit einem in der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalischen Chemie an der Universität Duisburg selbst konstruierten, dynamischen Schwingungsviskosimeter112,113,114 und einem Präzisionspolarimeter vom Typ POL S-1 der Firma DRE – DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH. PC Rheometer Polarimeter PC T1 T2 Abb. 6.1. Blockschaltbild für den Messplatz zur simultanen Bestimmung der optischen und rheologischen Kenngrößen Da sowohl die optische Drehung und der komplexe Schubmodul sehr stark temperaturabhängig sind, wurden zur Gewährleistung identischer thermischer Bedingungen in den Messzellen beide Messgeräte über einen gemeinsamen Thermostaten (T1) temperiert (s. Abb. 6.1.). Zum Aufschmelzen der Probe in den Messzellen kann ein zweiter Thermostat (T2) über die in den Temperier112 Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen 114 im Verlauf der Arbeit wird das dynamische Schwingungsviskosimeter gelegentlich auch als Rheometer bezeichnet 113 EXPERIMENTELLER TEIL 37 kreislauf eingebauten Drei-Wege-Hähne "kurzgeschlossen" werden. Der eigentliche Thermostat des primären Kreislaufes kann dadurch bei einer Temperatur eingestellt bleiben. Sowohl das dynamische Schwingungsviskosimeter als auch das Polarimeter werden separat mit einem Personalcomputer (PC) gesteuert. In den nächsten beiden Kapiteln sollen diese beiden Messgeräte beschrieben werden. 6.1 Das dynamische Schwingungsviskosimeter. Bei dem in dieser Arbeit verwendeten Rheometer handelt es sich wie oben erwähnt um eine Eigenkonstruktion der Arbeitsgruppe Angewandte Physikalische Chemie der Universität Duisburg. Es stellt die "zweite Generation" eines von BORCHARD entwickelten und BURG konstruierten dynamischen Schwingungsviskosimeters dar.115,116 Bei der Entwicklung des neuen Rheometers realisierten BORCHARD und MICHALCZYK eine Messzelle mit wesentlich geringerem Probenvolumen und damit deutlich geringerem Gewicht der schwingenden Komponenten (s. Abb. 6.2.).117,118 Dies hat zum einen den Vorteil, dass die Abkühlzeiten der Proben in der Messzelle kürzer sind, zum anderen erhöht sich der Frequenzmessbereich. Die erheblich kürzeren Abkühlzeiten des neu konstruierten Rheometers gehen hauptsächlich auf die neu entwickelte Doppelspaltanordnung zurück.119 Die Probe wird hierbei sowohl durch einen äußeren Glaszylinder sowie durch einen inneren Stahlzylinder temperiert. Durch diese Anordnung ergibt sich eine Rheometergeometrie, die sich aus einem sogenannten Searl- und einem Couette-Typ zusammensetzt.120 Die zu untersuchende Probe in dem erwähnten Doppelspalt wird im Experiment über einen einseitig offenen, schwingungsfähigen Hohlzylinder einer oszillierenden, sinusförmigen Scherdeformation ausgesetzt. In diesen Zylinder ragt ein auf einer Metallplatte fixierter, etwas kleinerer Zylinder, der von der Temperierflüssigkeit durchströmt wird. 115 Burg B (1988) Dissertation Duisburg Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 117 Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg 118 Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen 119 Eine von mir beim Europäischen Patentamt in Auftrag gegebene Patentrecherche hat ergeben, dass diese Messzellenanordnung nicht bekannt ist. 120 Searl – Typ: Der innere Zylinder wird angetrieben, der äußere Zylinder steht fest. CouetteTyp: Der innere Zylinder steht fest, der äußere wird angetrieben. 116 EXPERIMENTELLER TEIL 38 Stabmagnet Metallmessfahne äußeres anregendes Magnetfeld rostfreier Stahldraht oszillierender Stahlzylinder temperierter Glaszylinder Einspritzvorrichtung gelierende Probe innerer temperierter Stahlzylinder Abb. 6.2. Skizzierung des dynamischen Schwingungsviskosimeter mit Doppelspaltanordnung121 Nach außen ist die Messzelle durch den temperierten Glaszylinder abgegrenzt. Die Schwingungsanregung erfolgt elektrodynamisch durch ein induziertes Magnetfeld, welches durch zwei Wechselstrom durchflossene Kupferspulen erzeugt wird. Dieses Magnetfeld wirkt orthogonal auf einen Stabmagneten, der starr mit dem beweglichen Innenzylinder verbunden ist. Die daraus resultierende Auslenkung des schwingenden Systems wird berührungslos durch einen induktiven Wegaufnehmer über eine Messfahne am Innenzylinder gemessen. Der zur Schwingungsanregung erforderliche sinusförmige Wechselstrom wird durch einen Frequenzganganalysator erzeugt, der seinerseits durch einen Leistungsverstärker unterstützt wird. Das am Innenzylinder wirkende Drehmoment ist abhängig von der momentanen Stromstärke in der Erregerspule, welcher proportional einem Spannungsabfall UE über einem reinen Ohmschen Widerstand ist. Der Messverstärker des induktiven Wegaufnehmers liefert als Signal eine der momentanen Auslenkung des schwingenden Systems proportionalen Spannung UA. Der Frequenzganganalysator analysiert den Zusammenhang zwischen aufgegebenem Drehmoment und resultierender Auslenkung des Systems. Die Größen sind hier die aus dem Quotienten von UE(max) und UA(max) erhaltene Amplitudenverhältnis und Phasenverschiebung zwischen Erregungsschwingung und der Schwingung der Auslenkung. Beide Größen werden im 121 Ich bedanke mich bei Dr. H. Venohr für die freundliche Überlassung eines Teils der Skizze des dynamischen Schwingungsviskosimeters. EXPERIMENTELLER TEIL 39 Display des Frequenzganganalysators angezeigt. Die zu bestimmenden Größen G' und G'' werden anhand einer Kalibrierungsmessung von Ölen mit definierter Viskosität aus den ermittelten Messdaten berechnet. Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Steuerung des dynamischen Schwingungsviskosimeters von längst veraltetem Ataribetrieb auf PC umgestellt.122 Der oben erwähnte Frequenzganganalysator wird hierbei über einen GPIB–Port mit einer in den PC eingebauten IEEE 486 Schnittstelle der Firma KEITHLEY gesteuert. Mit Hilfe des Programms Test PointTM wurde ein Programm zur Steuerung des Rheometers geschrieben, das die Einstellungen aller relevanten Versuchsparameter über eine Programmmaske erlaubt. Das Softwareprogramm wurde dabei so gestaltet, dass der Verlauf der Gelierung online verfolgt werden kann. Der Vorteil gegenüber der Steuerung über Atari ist, dass Fehlmessungen sofort erkannt und abgebrochen werden können. Durch den Ataribetrieb wurden Fehlmessungen erst dann sichtbar, wenn nach Ende der Messungen die Daten umgeformt und dann mit Hilfe einer geeigneten Software als Diagramm dargestellt wurden. Insbesondere bei Messungen, die über einen längeren Zeitraum laufen (1 Woche), ist diese Neuerung sehr zeitsparend. Der alles entscheidende Vorteil ist aber, dass die wesentlich höhere Rechnerleistung Abtastraten in Sekundenintervallen erlaubt. Durch den Ataribetrieb konnte maximal alle 18 s ein Messwert ermittelt werden. Bei Untersuchungen schnell gelierender Systeme stehen somit 18mal so viele Messwerte zur Verfügung, wodurch eine Auswertung der Gelierkurven nach der Perkolationstheorie überhaupt erst möglich wird. Die Bestimmung der Temperatur während des Experiments geschieht mit Hilfe eines Thermoelements. Über eine ebenfalls in den PC eingebaute Schnittstelle der Firma KEITHLEY ist es möglich, die Temperaturmessung in das Softwareprogramm zu implementieren, sodass die Kontrolle des Temperaturverlaufs ebenfalls online erfolgen kann. 6.1.1 Messsystematik. Für die Durchführung der Experimente ist es unbedingt erforderlich im linear viskoelastischen Bereich zu arbeiten. Dies ist gewährleistet, wenn unterschiedlich große Schwingungsamplituden keinen Einfluss auf die Messgrößen, sprich 122 Herrn Michael Kischel, Herrn Volker Körstgens und Herrn Volker Fischer danke ich für die Hilfe bei der Hardwarekonfiguration sowie der Formulierung der Auswertesoftware. EXPERIMENTELLER TEIL 40 Speicher- und Verlustmodul, haben. Dies wurde durch die Bestimmung des Speichermoduls als Funktion der Anregungsspannug, ständig überprüft. Da die Messungen sehr empfindlich auf äußere Einflüsse reagieren, wurden die Beeinträchtigungen durch Gebäudeschwingung, welche insbesondere Messungen bei kleinen Frequenzen sehr stören, weitestgehend verhindert, indem das dynamische Schwingungsviskosimeter auf eine massive Stahlplatte gestellt wurde, die ihrerseits von vier nach unten spitz zulaufende Messingkegeln getragen wurde.123 Die vorliegenden Arbeit hat die Absicht, die Gelierung möglichst von Anbeginn der Messung unter isothermen Bedingungen zu verfolgen. Dies wurde in den früheren Arbeiten weitestgehend durch die Verwendung zweier Temperaturkreisläufe realisiert. Ein Temperaturkreislauf wurde auf die gewünschte Temperatur, bei der die Untersuchung durchgeführt werden sollte, eingestellt, der zweite temperierte die Messzelle mit einer Temperatur oberhalb der Gelbildungstemperatur. Über die Einspritzvorrichtung (s. Abb. 6.2.) wurde nun die wie in Kap. 5 aufbereitete Probe in die Messzelle eingebracht. Durch das Verstellen zweier Drei-Wege-Hähne wurde das höher temperierte Wasserreservoir vom Kreislauf abgeklemmt und die Messzelle jetzt von dem auf Geliertemperatur eingestellten Thermostaten temperiert. Die Abkühlzeiten in der Probe lagen bei 18 s.124,125,126 Zur Realisierung wirklicher isothermer Bedingungen von Anbeginn der Messung an wurde in dieser Arbeit ein einfacher, aber sehr wirksamer "Kunstgriff" getätigt. Das Probenmaterial wurde hier direkt in die bereits auf die gewünschte Geliertemperatur eingestellte Messzelle eingespritzt. Da garantiert werden sollte, dass die Temperatur des schwingenden Zylinders, der nicht an den Temperierkreislauf angeschlossen ist, mit der Temperatur des Stahl- bzw. Glaszylinders identisch ist (kein Temperaturgradient in der Probe), wurde vor allen Messungen die Messzelle mit Aceton gefüllt und ausreichend lange gewartet bis ein Temperaturausgleich mit dem schwingenden Stahlylinder stattfinden konnte. Im Anschluss wurde das Aceton durch die Spritzeinrichtung abgesaugt und die Messzelle zügig mit Pressluft vom Restlösemittel befreit. Unmittelbar danach wurde das Probenmaterial blasenfrei mit Hilfe einer Plastik123 Trotz aller Vorkehrungen konnte der Einfluss der Straßenbahnlinie 901 der Duisburger Verkehrsgesellschaft, die unmittelbar am Gebäude vorbeiführt, auf die Gebäudeschwingung nicht vollständig eliminiert werden. 124 Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg 125 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 126 Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen EXPERIMENTELLER TEIL 41 spritze in die Messzelle eingespritzt und die Messung direkt gestartet.127,128 Aus der Abb. 6.3. geht hervor, wie deutlich sich die beiden Methoden unterscheiden. 160 140 100 2,0 80 1,5 A G' / Pa G' / Pa 120 60 40 B 20 A B 1,0 0,5 0,0 0,0 2 4 t / min 6 0 0 5 10 15 t / min 20 Abb. 6.3. Vergleich des Verlaufes des Speichermoduls G‘ während der Gelierung einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% bei 16°C nach vorangegangenem Temperatursprung (B) bzw. Direkteinspritzung (A) Wird das Experiment nach der Methode der Direkteinspritzung ausgelöst, entwickelt sich bereits nach 2.82 min der Verlauf des Speichermoduls. Wird das Experiment durch den Temperatursprung gestartet, tritt dies erst nach 4 min auf. Wie im späteren Verlauf der Arbeit deutlich wird, liegt der Punkt, bei dem ein messbarer Wert für den Speichermodul vorliegt, sehr nahe an der Perkolationsschwelle und damit an der Gelierzeit. Bei der Auswertung nach den Kriterien der Perkolationstheorie dürften hier deutliche Unterschiede auftreten, die sich auf die Messergebnisse auswirken. Aus Abb. 6.3. wird allerdings auch deutlich, dass im weiteren Verlauf der Gelierung dieses verzögerte Einsetzen der Gelierung keine Auswirkung hat, denn bereits nach 20 min nehmen die Moduli gleiche Werte an. Grund hierfür ist, dass zu diesem Zeitpunkt ausschließlich die Temperatur das Gelierverhalten bestimmt und nicht mehr die Vorgeschichte. 127 Eine weitere Entwicklung dieser Methode wird sein, eine temperierte Einfüllvorrichtung zu konstruieren, sodass bereits vortemperiertes Probenmaterial in die Messzelle eingebracht wird. 128 Da sich die Messungen über einen längeren Zeitraum erstreckten, wurden die in die Messzelle eingebrachten Proben mit Paraffinöl überschichtet um das Verdunsten des Wassers, das eine Änderung der Konzentration zur Folge hätte, zu verhindern. EXPERIMENTELLER TEIL 6.1.2 42 Mathematische Beschreibung des dynamischen Experiments. Die erzwungene harmonische Schwingung des oszillierenden Zylinders kann durch Gl. (6.1) ausgedrückt werden:129 (t ) + η * ϕ (t ) + Dϕ(t ) = M(t ) = M0 eiωt . Iϕ (6.1) Auf der rechten Seite der Gl. (6.1) steht der Ausdruck für den durch das äußere Feld hervorgerufene Drehmoment M(t), das auf den Zylinder wirkt - M0 ist dabei die maximale Amplitude. Auf der linken Seite stehen alle Beiträge, die auf die Messzelle zurückzuführen sind. Dies sind der oszillierende Zylinder, der Magnet, der Stab, an dem die beiden Komponenten befestigt sind, der Draht und die viskoelastische Probe, die sich im Verlauf des Experiments am Zylinder (t ) repräsentiert den Beitrag der Massenträgheit mit dem Masanlagert.130 I ϕ senträgheitsmoment I des oszillierenden Zylinders inklusive aller damit verbun (t ) . Der Ausdruck η * ϕ (t ) steht denen Massen und der Winkelgeschwindigkeit ϕ für die Reibungsverluste bei der Winkelgeschwindigkeit ϕ(t) und der komplexen Viskosität η*.131 Dϕ(t) gibt den Beitrag des Rückstellmoments mit der Direktionskonstanten D des Systems und dem Winkel ϕ(t) wieder. η* und D setzten sich aus einem apparativen Anteil (Index ap) und einem Anteil, verursacht durch die viskoelastische Probe (Index pr), zusammen.132 ′ η * = η′ap + η′pr − iη′pr (6.2) D = D ap + Dpr . (6.3) η′ap wird durch die Verwendung von nicht rein elastischem Stahldraht verursacht, an dem der oszillierende Zylinder aufgehängt ist anstelle von reinem aber korrodierenden Stahl. Dpr in Gl. (6.3) berücksichtigt das Rückstellmoment der Probe nach dem Gelpunkt. Der Rückstellmoment ist proportional zum Winkel ϕ. 129 Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 Dieser Term kann bei schwachen Gelen und niedrigen Frequenzen unberücksichtigt bleiben. 131 In Analogie zu dem in Kap. (2.5) eingeführten komplexen Schubmodul Gl. (2.25), lässt sich * auch eine komplexe Viskosität formulieren. η = η' - iη''. Hierbei ist η' die dynamische Viskosität (im Verlauf der Arbeit nur als ηdyn bezeichnet), die die wirklichen rein - viskosen Anteile einer Probe berücksichtigt, η'' repräsentiert hingegen mögliche elastische Anteile eines Fluids. 132 Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 130 EXPERIMENTELLER TEIL 43 Gl. (6.4) liefert die Lösung der Gl. (6.1): ϕ(t ) = ϕ0 ei(ωt − δ ) . (6.4) ϕ0 ist die maximale Auslenkungsamplitude und δ der Phasenwinkel zwischen dem äußeren Drehmoment und dem des schwingenden Zylinders. Die erste und zweite Ableitung des Winkels ϕ nach der Zeit sind gegeben durch: ϕ (t ) = iωϕ 0 ei(ωt − δ ) = iωϕ(t ) (t ) = − ω2 ϕ 0 ei(ωt − δ ) = iωϕ (t ) . ϕ (6.5) Aus den Gln. (6.1), (6.4) und (6.5) ergibt sich: M M(t ) D = iω I + η * + = 0 eiδ . iω iωϕ 0 ϕ (t ) (6.6) Der Quotient aus M(t) und der Winkelgeschwindigkeit ϕ (t ) wird die komplexe mechanische Impedanz genannt.133,134 Gl. (6.6) lautet dann: Z≡ M 0 iδ M e = 0 (cos δ + i sin δ) . iωϕ 0 iωϕ 0 (6.7) Unter Berücksichtigung der Gln. (6.1), (6.2) und (6.7) können zwei Gleichungen für Z formuliert werden, eine für die leere (Index l) und eine für die mit Probe gefüllte (Index g) Messzelle:135 ′ + Z g = iω I + η′ap + η′pr − iη′pr Zl = iω I + η′ap + ( 1 D ap + Dpr iω 1 D ap . iω ) (6.8) (6.9) Aus der Differenz der Gln. (6.8) und (6.9) ergibt sich die Komplexe mechanische Impedanz der viskoelastischen Probe Zpr: 133 Schwarzl F, Staverman AJ (1956) In: Stuart HA (ed) Physik der Hochpolymere IV, Springer Verlag, Berlin Göttingen Heidelberg 134 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc. New York 135 Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 EXPERIMENTELLER TEIL 44 ′ + Z pr = η′pr − iη′pr D 1 ′ + pr Dpr = η′pr − i η′pr ω iω (6.10) Unter Verwendung der Abkürzungen Gl. (6.11): geht Gl. (6.7) in Gl. (6.12) über, ein Ausdruck nach dem sich Zpr aus der Zeitanalyse der Erregerschwingung bestimmen lässt.136 Kl = Z pr = M0 ϕ 0,l Kg = und [( M0 ϕ 0, g (6.11) )] ) ( 1 K g cos δ g − K l cos δl + i K g sin δ g − K l sin δl . iω (6.12) Der komplexe Schubmodul G* hängt über die Beziehung: G * = iω 1 Z b (6.13) mit der komplexen mechanischen Impedanz Z zusammen und lässt sich unter Berücksichtigung der Gl. (6.10) bestimmen, wenn b der Formfaktor in Gl. (6.13) richtig angesetzt ist. Der Formfaktor berücksichtigt die Geometrie der verwendeten Messzelle. In geometrischer Hinsicht stellt sich das neu entwickelte dynamische Schwingungsviskosimeter, wie oben erwähnt, aus einem kombinierten Searl und Couette Typ zusammen. Bei der Berechnung des Formfaktors sind daher 4 Radien zu berücksichtigen. Der Radius R1 des inneren feststehenden Zylinders, der "innere" Radius R2 des oszillierenden Zylinders, der "äußere" Radius R3 des oszillierenden Zylinders und R4, der Radius des äußeren Glaszylinders. In Anbetracht der dünnen Wandstärke des oszillierenden Zylinders (R3 – R2 = 0.2mm) kann folgende Näherung eingeführt werden: (R2 + R3) / 2 = Rm≈ R2 ≈ R3. Aus den Berechnungen ergibt sich für den kombinierten Searl – Couette Typ folgender Formfaktor:137,138,139 b= 136 [ ( (R − ) ( 4πLRm2 R24 R12 − Rm2 + R12 R 24 − Rm2 2 4 )( Rm2 R12 − Rm2 ) )] (6.14) Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 Ferry JD (1970) Viscoelastic Properties of Polymers, John Wiley & Sons Inc., New York 138 Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg 139 Lechtenfeld M, Michalczyk A, Borchard W (2001) Rheol Acta angenommen 137 EXPERIMENTELLER TEIL 45 Unter Berücksichtigung dieses Terms lässt sich für den wie in Gl. (2.23) komplex angesetzten Schubmodul folgender Ausdruck formulieren: ′ =i G∗pr = G′pr + iG′pr [ ] ω 1 ′ + iωη′pr ′ Z pr = Dpr + ωη′pr . b b (6.15) Die separaten Ausdrücke für den frequenzabhängigen Real- bzw. Imaginärteil des komplexen Schubmoduls sind gegeben durch: [ ′ G′pr (ω) = Dpr + ωη′pr ′ (ω) = G′pr ] b1 ω η′pr . b (6.16a) (6.16b) Berücksichtigt man Gl. (6.12) ergibt sich entsprechend für den Real- und Imaginärteil: mit K ′g = Kg b , K l′ = G′pr = K ′g cos δ g − K ′l cos δl (6.17a) ′ (ω) = K ′g sin δ g − K l′ sin δl G′pr (6.17b) Kl . b Experimentell lassen sich K ′g und K ′l indirekt aus dem Verhältnis zweier Spannungen Um und Uϕ bestimmen. Führt man km und kϕ als Proportionalitätskonstanten ein, dann erhält man:140 K ′g = M0 k U0 U0 = M 0M = E 0M = EA g bϕ 0,g bk ϕUϕ,g Uϕ,g K ′l = 0 0 M0 k M UM UM = =E = EA l . bϕ 0,l bk ϕU0ϕ,l U0ϕ,l (6.18) (6.19) Die Größe E ist hierbei die elektro – mechanische Apparatekonstante, deren Bestimmung weiter unten beschrieben wird. Durch die Einführung der Verhältnisse der Spannungsamplituden Ag bzw. Al können schließlich der Speicherund Verlustmodul nach folgender Gleichung berechnet werden: 140 Borchard W, Burg B (1990) Progr Colloid Polym Sci 83:200 EXPERIMENTELLER TEIL 46 [ ] (6.20) [ ] (6.21) G′pr (ω) = E A g cos δg − A l cos δl G′pr′ (ω) = E A g sin δg − A l sin δl . Wie bereits in Kap. 2.6 erwähnt, können die Gln. (2.22) und (2.23) nur dann zur Auswertung herangezogen werden, wenn der Einfluss der Messapparatur vernachlässigt werden kann. Da dies, wie gerade gezeigt, nicht der Fall ist, muss die oben erwähnte elektro - mechanische Apparatekonstante ermittelt werden. Dies geschieht, indem die Apparatur mit einem Mineralöl kalibriert wird, dessen Viskosität sehr genau bestimmt und der NEWTONsche Bereich kontrolliert wurde. Dies wurde bei unterschiedlichen Temperaturen durchgeführt, um der Temperaturabhängigkeit der Viskosität Rechnung zu tragen. Für die späteren frequenzabhängigen Messungen ist es erforderlich, eine Apparatekonstante ebenfalls frequenzabhängig zu bestimmen.141 Die Apparatekonstante lässt sich nach folgender Gleichung berechnen: E= ω ⋅ (η1 − η 2 ) A 1 sin(δ1 ) − A 2 sin (δ 2 ) (6.22) In Gl. (6.22) bedeuten: η1 = dynamische Viskosität des Öls bei der Temperatur T1 η2 = dynamische Viskosität des Öls bei der Temperatur T2 δ1 = Phasenverschiebung bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T1 δ2 = Phasenverschiebung bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T2 A1 = Amplitudenverhältnis bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T1 A2 = Amplitudenverhältnis bei der Messung mit Öl bei der Temperatur T2 6.2 Das Polarimeter. Die in dieser Arbeit durchgeführten Bestimmungen der optischen Drehung während der thermoreversiblen Gelierung des Systems Gelatine / Wasser wurden mit einem Präzisionspolarimeter vom Typ Pol S-1 der Firma DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH durchgeführt (s. Abb. 6.4.). Die Steuerung des Messplatzes erfolgte durch eine vom Hersteller programmierte Software. 141 Während der Durchführung der vorliegenden Arbeit reichte es aus, die Kalibrierung alle 6 Monate zu wiederholen. EXPERIMENTELLER TEIL 47 Das Polarimeter arbeitet nach dem Prinzip des automatischen, optischen Nullabgleichs. Lichtquelle ist eine Laserdiode mit einer Wellenlänge von 670nm. Die Auswertung des von der zu messenden Substanz gedrehten Winkel erfolgt über einen fehlerkorrigierten Schrittmotor höchster Genauigkeit (360 000 Schritte je Umdrehung), der mit einem Polarisationsprisma verbunden ist. Ausgewertet wird das Licht mit einem Lichtdetektionssystem, das sich automatisch an die detektierte Lichtintensität anpasst. In Abb. 6.5. ist das Blockschaltbild des Polarimeters dargestellt. Ein- bzw. Ausgang für Therm ostaten Steuerelektronik Abb. 6.4. Schematische Darstellung des Polarimetermessplatzes142 EXPERIMENTELLER TEIL Laser fest orientierter Polarisator 48 Probe Interferenzfilter und Polarisator auf Schrittmotor montiert Detektor Abb. 6.5. Blockschaltbild des Polarimeters143 Bei höchster Auflösung beträgt die Messgenauigkeit 0.002° bei einem Drehwert zwischen –90° und +90°.144 Je nach Wahl der vier möglichen Genauigkeiten kann alle 2 – 15 s ein Messwert aufgenommen werden. Für die Verwendung dieses Polarimeters sprechen mehrere Gründe. Im Gegensatz zu herkömmlichen Polarimetern mit mechanischem Getriebe und Faraday-Modulator, kann im Pol S-1 kein fehlerproduzierender Verschleiß eines Zahnradgetriebes auftreten, da kein Getriebe vorhanden ist. Weiterhin ist kein Glasstab aus Schwerflintglas vorhanden, da der Faraday-Modulator ebenfalls entfällt. Schwerflintglas hat die negative Eigenschaft einer sehr großen Restanisotropie, die einen Langzeitdrift aufweist und damit die Linearität verändert. Die Spule eines Farady-Modulators unterliegt der Wärmeausdehnung und verändert in Abhängigkeit von der Temperatur den Stelleffekt. Ein weiterer negativer Effekt ist der Einfluss des Magnetfeldes des Faraday-Modulators auf die Endfenster der Küvetten. Eine mögliche Torsion des Chassis zwischen den beiden Polarisationsfiltern wird kompensiert, indem nach dem Anschalten des Gerätes bzw. nach der Aufwärmphase der Nullpunkt durch eine im Steuerprogramm integrierte "Zero orientation" neu gesetzt wird. Diese Funktion dient ebenfalls zur Kalibrierung des Polarimeters. Nach dieser Prozedur wird ein Drehwinkel ermittelt und abgespeichert, der automatisch von den im Experiment ermittelten Werten subtrahiert wird. Die Hersteller bieten für diesen Typ Polarimeter eine Reihe thermostatisierbarer Quarzküvetten mit einem Probenvolumen von 0.8 bis 16 mL an. Die Rotation einer leeren Küvette kann durch einen im Steurprogramm integrierten Menü- 142 Übernommen aus der Bedienungsanleitung für das Präzisionspolarimeter POL S-1 der Firma DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH. 143 Werbeprospekt für das Polarimeter POL S-1 der Firma LOT ORIEL. 144 Genauigkeit bezogen auf den Mittelwert einer Mehrfachmessung. EXPERIMENTELLER TEIL 49 punkt ermittelt und somit bei den Untersuchungen der Proben berücksichtigt werden.145,146 6.2.1 Messsystematik. Bei den in dieser Arbeit durchgeführten Experimenten wurde ausschließlich eine zylindrische, thermostatisierbare Polarimeterküvette aus Quarzglas verwendet. Die Länge der Küvette betrug 200 +/- 0.1 mm und hatte einen Innendurchmesser von 10mm, das Probenvolumen betrug 16 mL. Die Küvette verfügt über einen Ein- und Auslass für die Temperierflüssigkeit. Diese sind über zwei Silikonschläuche mit zwei Schnellkupplungen, inklusive Ventil, mit dem Temperierkreislauf verbunden. Durch die Betätigung der Schnellkupplung konnte die Küvette problemlos aus dem Polarimeter entnommen werden. Die wie in Kap. 5 aufbereiteten Proben wurden als Sol blasenfrei in die bereits auf die gewünschte Messtemperatur eingestellte Messzelle mit Hilfe einer Plastikspritze in die Küvette eingebracht. Hierdurch ergeben sich konform zur Messung mit dem Rheometer Abkühlzeiten, die innerhalb der Messraten von 2 s liegen. Von Anbeginn der Messung können auch hier isotherme Bedingungen zu Grunde gelegt werden.147 Während der Untersuchungen bei tiefen Temperaturen bildete sich an den Küvettenfenstern Kondenswasser, das den ein- bzw. ausfallenden Laserstrahl so stark streute, dass die Intensität des Lichtes am Detektor derart gering war, was einen automatischen Abbruch der Messung zur Folge hatte. Zur Verhinderung der Bildung von Kondenswasser, wurde das Polarimeter in einer GloveBox aufgestellt. Sämtliche Zuleitungen (Strom, Kühlung) wurden mit Hilfe von Silikonstopfen und Silikonkleber so in die Glove-Box geführt, dass diese luftdicht abgeschlossen werden konnte. Nachdem die Probe in die Küvette eingebracht, und die Glove-Box geschlossen wurde, sorgte das darin ausreichend verteilte wasserfreie Kieselgel dafür, dass störende Kodensationen an den Küvettenfenstern ausblieben. 145 Riss (DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH), persönliche Mitteilung Bedienungsanleitung vom 28.7.1997 für das Präzisionspolarimeter POL S-1 der Firma DRE DR. RISS ELLIPSOMETERBAU GmbH. 147 An dieser Stelle sei erwähnt, dass es dem Experimentator alleine nicht möglich ist, eine simultane Messung zu starten. Da die Messungen über die PC's ohne Zeitunterschied gestartet werden müssen, bedarf es zweier Personen, die in gemeinsamer Absprache die Messzellen zeitgleich befüllen und die Messungen starten. In einer weiteren Entwicklung könnte das Befüllen der Probenmesszellen automatisiert werden, sodass die Hilfe einer weiteren Person zum Befüllen der Probenmesszellen nicht mehr erforderlich wäre. 146 EXPERIMENTELLER TEIL 6.2.2 50 Berechnung der Messgrößen. Das Steuerprogramm des Polarimeters ermöglicht es, wahlweise den Wert der optischen Drehung bzw. den in Kap. 3 beschrieben Wert der spezifischen optischen Drehung, automatisch zu bestimmen bzw. die Entwicklung dieser Werte während der Gelierung online zu verfolgen. Die Messwerte wurden auf entsprechenden Datenträgern gespeichert und standen in dieser Form für die weiteren Auswertearbeiten bzw. graphischen Darstellungen mit den geläufigen Mathematikprogrammen zur Verfügung. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 51 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 7 Übersicht der durchgeführten Messungen. In der vorliegenden Arbeit wurden am System Gelatine / Wasser in einem Konzentrationsbereich von 2 bis 8 Gew.-% der komplexe Schubmodul und die optische Drehung während der isothermen Gelierung bei verschiedenen Temperaturen simultan bestimmt. Die Geliertemperaturen wurden dabei so gewählt, dass eine schnelle Gelierung zu erwarten war, und somit Messzeiten von 120 min ausreichten, um die Sol – Gel – Umwandlung zu beobachten. Vor der Umstellung auf den PC gesteuerten Rheometermessplatz wurden am System Gelatine / Wasser Messungen über einen Zeitbereich von 4000 min durchgeführt. Anhand dieser Langzeitmessungen sollte ein Modell überprüft werden, das den Verlauf des Speichermoduls in der Nähe und in weiter Entfernung des Gelpunkts beschreibt. Alle hier erwähnten Messungen wurden bei einer Frequenz von 6.28 rad⋅s-1 und einer Anregungsspannung von 0.1 V durchgeführt. Zur Untersuchung der Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls wurde für eine Probe - in einem Frequenzbereich von 1.256 rad⋅s-1 bis 37.68 rad⋅s-1 - die isotherme Gelierung untersucht. Die sich aus dem Ergebnis – und Diskussionsteil ergebenen neuen Auswerteverfahren sollen anhand eines Beispiels graphisch dargestellt und diskutiert werden. Die Ergebnisse der übrigen Messungen sind in Tabellenform im Anhang A-1 aufgeführt und werden im Text diskutiert. Im Anhang A-3 sind die Messkurven aller simultan durchgeführten Messungen aufgeführt.148 Die simultan durchgeführten Messungen hatten einerseits den Zweck, die während der Gelierung auftretende Änderungen der beiden Kenngrößen – komplexer Schubmodul und optische Drehung - zu korrelieren (s. Kap. 8.4). Andererseits sollten die rheologischen Kenngrößen hauptsächlich dazu benutzt werden, um mit ihnen nach der Perkolationstheorie den Gelpunkt und die kriti- 148 Auf eine Diskussion dieser Gelierkurven soll verzichtet werden. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 52 schen Exponenten zu bestimmen. Die Kenntnis dieser Größen ist für eine qualitative und quantitative Beschreibung des kompletten Verlaufes des Speichermoduls von Bedeutung. 8 Die Bestimmung des Gelpunkts und der kritischen Exponenten. Wie in Kap. 4.2 erwähnt, ist eine möglichst genaue Bestimmung des Gelpunkts von großem industriellen Interesse. Anhand des rheologischen Verhaltens der untersuchten Systeme lässt sich der Gelpunkt nach verschiedenen Methoden bestimmen. Zwei Methoden sollen hier näher erläutert werden. 8.1 Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls. WINTER und Mitarbeiter fanden bei der Untersuchung der Gelierung chemisch vernetzender Systeme, dass der zeitliche Verlauf des Relaxationsmoduls G(t) durch ein Potenzgesetz beschrieben werden kann, welches streng genommen nur in der Nähe des Gelpunkts Gültigkeit besitzt.149,150 G (t) ~ t − ∆ (8.1) Für die Frequenzabhängigkeit des Speicher- und Verlustmoduls findet man ebenfalls ein Potenzgesetz, das am Gelpunkt denselben Exponenten ∆ liefert. G' (ω) ~ G ' ' (ω) ~ ω ∆ (8.2) Hieraus ergibt sich, dass der Quotient aus Verlust– und Speichermodul, der sogenannte Verlustwinkel δ, am Gelpunkt frequenzunabhängig ist:151,152,153 tan δ = 149 G' ' = ω 0. G' Chambon F, Winter HH (1985) Polym Bull 13:499 Winter HH, Chambon F (1986) J Rheol 30:67 151 Winter HH, Chambon F (1986) J Rheol 30:67 152 Chambon F, Winter HH (1987) J Rheol 31(8):683 153 Cuvelier G, Launay B (1990) Makromol Chem, Macromol Symp 40:23 150 (8.3) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 53 Dieses Verhalten wurde später ebenfalls für physikalisch vernetzende Gele gefunden.154,155,156,157 Beispielhaft soll dieses Verhalten am System Gelatine / Wasser gezeigt werden (s. Abb.8.1. und Abb. 8.2.). 100 10 37.68 31.40 25.12 12.56 5.024 3.768 2.512 1.256 1 tan δ 0,1 0,01 0 1 2 3 4 t / min 5 -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s -1 rad*s 6 Abb. 8.1. Die Funktion tan δ in Abhängigkeit der Zeit für verschiedene Frequenzen (s. Diagramm) in einer halb-logarithmischen Darstellung während der isothermen Gelierung bei 16°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4Gew.-% In Abb. 8.1 ist der tan δ für verschiedene Frequenzen gegen die Zeit aufgetragen. Eine Streuung der Messwerte erschwert das Lokalisieren eines genauen Schnittpunktes, sodass die Gelierzeit mit 2.7 min angenommen werden kann, wenn man eine leichte Unschärfe in Kauf nimmt. Es ist deutlich zu erkennen, dass für alle Frequenzen die ersten Werte für tan δ sehr nahe am Schnittpunkt der Kurven liegen. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Gelierzeit im Bereich der ersten messbaren G‘-Werte liegen. Vorher sind keine Werte für G‘ vorhanden und somit lässt sich für die Zeit weit vor dem Gelpunkt nicht der tan δ berechnen. Weiterhin geht aus der Abb. 8.1. hervor, dass sich nicht alle Kurven im gleichen Punkt schneiden. Dies trifft insbesondere auf die Kurven, die aus den Messungen bei hohen Frequenzen hervorgehen. Dieser Befund ist in Übereinstimung mit den Ergebnissen von Venohr.158 Es muss davon ausgegan- 154 te Nijenhuis K, Winter HH (1989) Macromolecules, 22:411 Burg B, Borchard W (1989) In: Integration of Fundamental Polymer Science and Technology, Rolduc Meeting III, Elsevier, London p. 323 156 Cuvelier G, Peigney-Nourry C, Launay B (1990) In: Philips GO et. al. (eds) Gums and th Stabilisers for the Food Industry 5 ed, IRL Press, Oxford p.549 157 Lin YG, Mallin DT, Chien JCW, Winter HH (1991) Macromolecules 24:850 158 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 155 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 54 gen werden, dass die Frequenzunabhängigkeit von tan δ am Gelpunkt nur für geringe Frequenzen Gültigkeit besitzt. Für die Zeit t = 2.7 min soll nun überprüft werden, ob die Beziehung in Gl. (8.2) erfüllt ist. Hierzu ist in Abb. 8.2. der Logarithmus des Speicher bzw. Verlustmoduls gegen den Logarithmus der Frequenz aufgetragen. Durch diese Darstellung wird deutlich, dass zum Zeitpunkt t = 2.7 min, eine lineare Beziehung zwischen dem Speicher - bzw. Verlustmodul in Abhängigkeit von der Frequenz vorliegt. Bis auf eine geringe Abweichung ergeben sich identische Werte für die Exponenten ∆G' und ∆G''. Durch die Mittelwertbildung wird ∆ mit 0.695 berechnet. Diese Auswertungen bestätigen, dass die von W INTER für chemisch vernetzende Systeme gemachte Theorie ebenso für physikalisch vernetzende Systeme Gültigkeit besitzt. G' / Pa G'' / Pa 1 0,1 ∆ G' = 0.71 ∆ G'' = 0.68 0,01 0,1 1 ω / rad*s -1 10 Abb.8.2. Der Verlustmodul G’’ und der Speichermodul G’ als Funktion der Frequenz ω bei der Zeit t = 2.7 min in einer doppeltlogarithmischen Darstellung für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% bei 16°C 8.2 Auswertung nach der Perkolationstheorie. Eine weitere Methode ist die Bestimmung des Gelpunkts gelierender Systeme mit Hilfe der Perkolationstheorie. Grundlage für die Auswertung sind die in Kap. 4.2 aufgeführten Gln. (4.5) und (4.6). Diese beiden Gleichungen können nicht ERGEBNISSE UND DISKUSSION 55 dazu herangezogen werden, den kompletten zeitlichen Verlauf des Speicherund Verlustmoduls zu beschreiben, denn die Perkolationstheorie besitzt nur Gültigkeit in der Nähe der Perkolationsschwelle. Im hier vorliegenden Fall der Gelierung, ist dies der Bereich um den Gelpunkt (s. Kap. 4). Für die Auswertung sind folgende Fragen relevant: Wie nah ist "in der Nähe" der Perkolationsschwelle?159 Welche experimentell ermittelten Werte dürfen bzw. müssen zur Auswertung herangezogen werden? MICHALCZYK und später VENOHR begegneten dem Problem auf folgende Weise. Sie überführten die Perkolationsansätze Gln. (4.5) und (4.6) durch Logarithmieren in eine linearisierte Form log G' ' = log K η − ν log ( t gel,η − t ) (8.4) log G' = log K G + µ log ( t − t gel,G ) (8.5) und berücksichtigten bei ihren Auswertungen den Teil an Messwerten, der durch Regressionsrechnungen nach Gln. (8.4) bzw. (8.5) den größten Korrelationskoeffizienten lieferten. MICHALCZYK gab bei diesem Verfahren zu bedenken, dass der Korrelationskoeffizient mit zunehmender Länge der für die Regressionsrechnung verwendeten Zeitintervalle, in welchen die Messwerte liegen, ein Maximum durchläuft.160 Es muss also hierbei die Anzahl der zur Regressionsrechnung verwendeten Messwerte und damit auch die Länge des Zeitintervalls solange variiert werden, bis der Korrelationskoeffizient maximal wird. Im Falle einer Auswertung nach Gl. (8.5) beginnt das zu berücksichtigende Zeitintervall immer mit dem ersten gemessenen Wert von G'. Dieses birgt ein Problem, denn die Bestimmung des ersten Wertes von G' ist abhängig von der Empfindlichkeit des verwendeten Rheometers. Wie oben erwähnt, liegt die Empfindlichkeit des Rheometers bei 0.02 Pa. Wäre man in der Lage, ein sensibleres Rheometer zu konstruieren, so würde das zur Regression verwendete Zeitintervall vergrößert, was nicht ohne Einfluss auf die Ergebnisse bliebe. Anders ausgedrückt: Man macht den Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie abhängig von der Empfindlichkeit der verwendeten Messeinrichtung. An dieser Stelle könnte vorsichtig die Frage formuliert werden, ob der erste bestimmte G'-Wert auf den reversibel gespeicherten Anteil der Arbeit, bedingt durch ein bereits gebildetes Netzwerk, zurückzuführen ist, oder ob zu diesem 159 160 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg Michalczyk A (1993) Dissertation Duisburg ERGEBNISSE UND DISKUSSION 56 Zeitpunkt noch gar kein Netzwerk gebildet ist, und der geringe Beitrag des Speichermoduls durch Verschlaufungen der Moleküle im Sol geleistet wird?161 Der Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie würde hier ebenfalls verletzt, denn der Einfluss der entanglements wird in der Theorie nicht berücksichtigt. Welchen Einfluss die Breite des gewählten Zeitintervalls, bzw. die Anzahl der Messwerte, auf die Bestimmung der Gelierzeit hat, lässt sich nur abschätzen. Inwiefern sich die Gelierzeit auf die kritischen Exponenten auswirkt, wurde von BORCHARD und Mitarbeitern am System Gelatine / Wasser untersucht.162 Sie bestimmten für ein Zeitintervall, das wohlgemerkt über Regressionsrechnungen nach den Gln. (8.4) und (8.5) den besten Korrelationskoeffizienten lieferte, eine Gelierzeit von 7.0 min. Diese Zeit hoben sie um 10 s an, fixierten diesen Wert und führten einen weiteren Itterationsschritt durch. Die kritischen Exponenten µ und ν veränderten sich dabei um 10%. Hieraus lässt sich ableiten, dass zur genauen Bestimmung der Gelierzeit der genaue Perkolationsbereich bekannt sein muss. Eine genau bestimmte Gelierzeit ist wiederum Voraussetzung für eine genaue Bestimmung der kritischen Exponenten. Im folgenden Kapitel wird eine Methode beschrieben, die es ermöglicht, den Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie scharf einzugrenzen und dabei nur eine Gelierzeit tgel als Lösung zu liefern. 8.2.1 Die normierten Perkolationsansätze. Bezieht man die Klammerausdrücke in den Gln. (4.5) und (4.6) auf eine bestimmte Gelierzeit tgel, dann gehen die Gleichungen in sogenannte normierte Perkolationsansätze über: t G' ' = K η 1 − t gel −ν ⋅ t gel −ν für t < t gel (8.6) für t > t gel . (8.7) µ t µ G' = K G − 1 ⋅ t gel t gel Die logarithmierten Ableitungen der Gln. (8.6) und (8.7) nach der Zeit liefern die linearisierten Formen der normierten Perkolationsansätze: 161 162 Kästner S (1979) Polymer 20:1329 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht ERGEBNISSE UND DISKUSSION 57 νKη t dG' ' −ν ln ⋅ t gel − (ν + 1) ln 1 − = ln t gel dt t gel (8.8) µKG t dG' µ ln ⋅ t gel + (µ − 1) ln − 1. = ln t dt t gel gel (8.9) Auswerteverfahren. Trägt man nach Gl. (8.8) den rechten Teil der Gleichung gegen den linken Teil auf, dann weist die Kurve in ihrem Verlauf erst durch die Vorgabe physikalisch sinnvoller Gelierzeiten einen linearen Bereich auf.163 tgel wird solange variiert, bis der lineare Bereich maximal groß ist. Dieser Wert für tgel wird dann als die Gelierzeit angenommen, die Messwerte die zu dem linearen Bereich gehören bilden den Perkolationsbereich. In gleicher Weise verfährt man bei der Auswertung nach Gl. (8.9). Es ist bemerkenswert, dass man sowohl für die Auswertung des Verlust- als auch des Speichermoduls einen maximalen linearen Bereich für die gleiche Gelierzeit erhält. Hinzukommt, dass in beiden Fällen der lineare Bereich durch die gleiche Anzahl an Messwerten gebildet wird. Dies gilt für alle in Tabelle A-1.1. aufgeführten Systeme. Die Auswertung für eine 4 Gew.%ige Gelatine-Lösung ist in Abb. 8.3 bzw. Abb. 8.4 graphisch dargestellt. Im Gegensatz zu den Auswertungen nach der Methode von MICHALCZYK bzw. VENOHR, die den Perkolationsbereich ebenfalls aus einer linearisierten Form der Perkolationsansätze ermitteln (s. S. 55), wird hier deutlich, dass die ersten Werte für G' nicht dem Perkolationsbereich zugehören. Dies bestätigt die auf Seite 55 aufgestellte Vermutung, dass die ersten Werte von G' durch Verschlaufungen der Polymerketten (entanglements) hervorgerufen werden und damit nicht zur Auswertung nach der Perkolationstheorie herangezogen werden können. 163 Physikalisch sinnvolle Werte für die Gelierzeit sind solche im Zeitbereich um den ersten messbaren Wert von G'. Es sollten keine Werte aus dem Bereich genommen werden, in welchem die Viskosität noch keine deutlichen Anstiege zeigt, bzw. solche oberhalb des Schnittpunktes der G' und G'' Kurven. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 58 2.02min -2,2 -2,3 -2,4 ln (dG''/dt) -2,5 -2,6 -2,7 1.63min -2,8 -2,9 tgel = 2.65min -3,0 -1,4 -1,3 -1,2 -1,1 ln (1 - t / tgel) -1,0 -0,9 Abb. 8.3. Der natürliche Logarithmus der Ableitung des Verlustmoduls G'' nach der Zeit gegen den natürlichen Logarithmus der normierten Zeitdifferenz entsprechend Gl. (8.8) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C. Die beiden von der Geraden deutlich abweichenden Werte wurden bei der Anpassung der Messwerte durch die Gerade nicht berücksichtigt 3.67min 0,8 0,7 0,6 ln(dG'/dt) 0,5 0,4 0,3 0,2 3.28min 0,1 tgel= 2.65min 0,0 -0,1 -1,5 -1,4 -1,3 -1,2 -1,1 -1,0 -0,9 ln (t / tgel-1) Abb. 8.4. Der natürliche Logarithmus der Ableitung des Speichermoduls G' nach der Zeit gegen den natürlichen Logarithmus der normierten Zeitdifferenz entsprechend Gl. (8.9) für eine wässerige DGF Stoess Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C. Der von der Geraden deutlich abweichende Wert wurde bei der Anpassung der Messwerte mit der Geraden nicht berücksichtigt ERGEBNISSE UND DISKUSSION 59 Die linearen Bereiche in Abb. 8.3 und 8.4 beginnen in einer Entfernung von 0.63 min vor dem Gelpunkt und werden jeweils durch 12 Messwerte gebildet. Dies entspricht einem Zeitbereich für den Verlauf von G'' von 1.63 bis 2.02 min und für den Verlauf von G' von 3.28 bis 3.67 min. Diese schmalen Bereiche stellen den Gültigkeitsbereich der Perkolationstheorie dar und müssen zur Bestimmung der kritischen Exponenten herangezogen werden, will man nach den Perkolationsansätzen gemäß der Gln. (4.5) und (4.6) auswerten. Diese Auswertung ist in Abb. 8.5. bzw. 8.6. dargestellt und liefert als Lösung die kritischen Exponenten ν = 0.58±0.01 bzw. µ = 2.07±0.05, gibt man für tgel 2.65 min vor. Die Diskussion der kritischen Exponenten anhand von Literaturwerten bzw. anhand der Ergebnisse der anderen untersuchten Systemen soll geschlossen in Kap. 8.3 erfolgen. Für alle weiteren untersuchten Systeme ist im Anhang A-1 in der letzten Spalte der Tab. A-1.1. in Betragsstrichen die Zeit aufgeführt, in welcher Entfernung zum Gelpunkt der Perkolationsbereich anfängt und, angedeutet durch das Pluszeichen, über welchen Zeitbereich sich der Perkolationsbereich erstreckt. 0,5 0,4 G'' / Pa ν = 0.58 +/- 0.01 tgel = 2.65 min (vorgegeben) 0,3 0,2 0,1 0,0 0,0 0,2 0,4 0,6 (tgel - t) / min 0,8 1,0 Abb. 8.5. Auswertung des zeitlichen Verlaufes des Verlustmoduls G" nach Gl. (4.5) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C ERGEBNISSE UND DISKUSSION 60 0,9 0,8 µ = 2.07 +/- 0.05 0,7 tgel = 2.65 min (vorgegeben) G' / Pa 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 (t - tgel) / min 1,0 Abb. 8.6. Auswertung des zeitlichen Verlaufes des Speichermoduls G' nach Gl. (4.6) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.% während der isothermen Gelierung bei 16°C Durch die normierten Perkolationsansätze ist man nun in der Lage eine Gelierzeit zu ermitteln und den für die Perkolationstheorie relevanten oder gültigen Bereich vor und nach dem Gelpunkt anzugeben. Dies soll im folgenden Kapitel schematisch dargestellt werden. Vorerst sollen aber die in diesem Kapitel bestimmten Gelierzeiten verglichen werden. Vergleich der Gelierzeiten. Anhand der rheologischen Messgrößen wurde für das gleiche System Gelatine / Wasser mit gleicher Polymerkonzentration bei der gleichen Geliertemperatur der Gelpunkt aus der Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls mit ca. 2.7 min bzw. aus den normierten Perkolationsansätzen mit 2.65 min bestimmt. Berücksichtigt man die Schwierigkeiten bei der Schnittpunktsbestimmung der Messkurven in Abb. 8.1., so kann man von einer sehr guten Übereinstimmung der Gelierzeiten sprechen. In der vorliegenden Arbeit wurde lediglich für ein Gelierexperiment die Gelierzeit aus der Frequenzabhhängigkeit ermittelt, um einen Vergleich mit der aus den normierten Perkolationsansätzen bestimmten Gelierzeit aufzustellen. Für alle weiteren untersuchten Systeme wurden die Gelierzeiten nach den normierten Perkolationsansätzen bestimmt und die Ergebnisse im Anhang A-1 in Tab. A1.1. aufgeführt. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 61 8.2.2 Der modellierte Verlauf der Gelierung. Die hier gewählte Darstellung des Verhaltens der dynamischen Viskosität bzw. das des Speichermoduls in der Nähe des Gelpunkts basiert letzten Endes auf der in Abb. 4.2. dargestellten Gelierkurve. Die hier gewählte Darstellung soll darüber hinaus schematisch andeuten, welchen Einfluss die Bildung von entanglements auf den Verlauf der rheologischen Kenngrößen hat. In Abb. 8.7. sind für den Verlauf der Viskosität und den Verlauf des Speichermoduls während der isothermen Gelierung je zwei Kurvenzweige eingezeichnet, die im Falle der dynamischen Viskosität ηdyn aus einem Kurvenzweig entstehen bzw. im Falle des Speichermoduls in einen Kurvenzweig übergehen. Hierbei handelt es sich, wie in der Abbildung dargestellt, um eine experimentell ermittelte (Index exp), bzw. um eine hypothetische Kurve (Index hyp). Die hypothetische Kurve würde sich ergeben, liefe die Netzwerkbildung ohne einen Anteil von entanglements ab. Die entanglements haben insofern eine Auswirkung auf den komplexen Schubmodul, als dass die Viskosität einen schnelleren und steileren Zuwachs in der Nähe des Gelpunkts aufweist, bzw. G' vor dem wirklichen Gelpunkt einen messbaren Wert liefert. Hierdurch würde ein Gelpunkt (tgel,früh) suggeriert, der vor dem wirklichen Gelpunkt (tgel) liegt. ηdyn,hyp ηd yn ,G ' ηdyn,exp ∆t PB G 'exp PB G 'hyp ∆t M e s se m pfindlic h ke it t g el,früh t gel t Abb. 8.7. Schematischer Verlauf der dynamischen Viskosität und des Speichermoduls in der Nähe des Gelpunkts ERGEBNISSE UND DISKUSSION 62 Zu Beginn des Gelierexperiments ist die Viskosität in der Solphase gering, d.h. mögliche Verschlaufungen der Polymerketten können sich leicht wieder lösen, denn ein Abgleiten der Ketten gegeneinander ist fast uneingeschränkt möglich. Dazu kommt, dass die Konzentration der Helices zu diesem Zeitpunkt sehr gering ist, und daher kaum Polymerketten in Netzwerkpunkten fixiert sind, was deren freie Beweglichkeit einschränken würde. Zu diesem Zeitpunkt ist der Einfluss der entanglements auf die Viskosität vernachlässigbar gering. Mit voranschreitender Reaktion nimmt die Helixkonzentration zu und immer mehr Polymerketten finden sich über die Aggregation der helikalen Bereiche zu Molekülclustern zusammen. Die Anzahl und Größe der Cluster wirken sich im entsprechenden Maße auf die Viskosität aus. Zu diesem Zeitpunkt ist es durchaus denkbar, dass eine oder mehrere Polymerketten, welche in einem Cluster fixiert sind, einen benachbarten Cluster durchdringen, bzw. mit einer in diesem Cluster eingebauten Polymerkette eine Verschlaufung (entanglement) bildet und wieder in den urprünglichen Cluster zurückläuft bzw. in einen weiteren benachbarten Cluster eindringt. Dieser Effekt würde sich entscheidend auf die Viskosität auswirken, was durch eine Abweichung des experimentellen Kurvenverlaufes von dem hypothetischen in einem Abstand ∆t vom Gelpunkt (tgel) verdeutlicht werden soll. Es sei bereits an dieser Stelle erwähnt, dass die Perkolationstheorie den Einfluss der entanglements nicht berücksichtigt. Im Gel liegen die Dinge genau anders. Hier wird der erste detektierbare Wert des Speichermoduls, der das erste Auftreten eines unendlich großen Molekülclusters signalisiert, durch den Einfluss der entanglements beeinflusst. Gerade in der Nähe des Gelpunkts ist es denkbar, dass die entanglements den Verbund der unterschiedlichen Cluster, die letztlich den unendlich großen Cluster bilden, besonders stärken. Hat sich durch die immer weiter steigende Anzahl an Netzwerkpunkten das Gel immer engmaschiger vernetzt, dann dürfte die Netzwerkstabilität so hoch sein, dass der Einfluss der entanglements vernachlässigbar wird. Dieses Verhalten wird durch das Zusammenlaufen der experimentellen bzw. hypothetischen Kurven in einer Entfernung ∆t zum Gelpunkt angedeutet. Dieser ∆t- Bereich entspricht der in Kap. 8.2.1 bestimmten Zeit, welche die Entfernung des maximalen linearen Bereiches vom Gelpunkt angibt. Oberhalb bzw. unterhalb dieser Zeit können die Einflüsse der entanglements vernachlässigt werden, sodass von diesem Zeitpunkt an nach der Perkolationstheorie ausgewertet werden kann bzw. sollte. Dies macht Sinn, denn wie oben erwähnt berücksichtigt die Perkolationstheorie einzig und alleine nur Cluster, die durch das Knüpfen von neuen Bindungen (in diesem Fall Aggregation der Helices) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 63 zwischen Molekülen zustandekommen. Alle weiteren Einflüsse werden nicht berücksichtigt. Dies gilt für das Clusterwachstum im Sol wie auch im Gel. Der in den Kurven angegebene Bereich PB ist die Länge (Größe) des Perkolationsbereiches, bestimmt durch die Linearisierung der normierten Perkolationsansätze Kap.8.2.1. Für alle weiteren untersuchten Systeme sind die Perkolationsbereiche im Anhang A-1 in Tab. A-1.1. aufgeführt. Beim Vergleich dieser Werte wird deutlich, dass mit steigender Gelierzeit der Perkolationsbereich größer wird. Entsprechendes gilt auch für den Abstand des Perkolationsbereiches zum Gelpunkt. Dies sei jedoch nur summarisch erwähnt, denn bei den 2- und 4Gew.-%igen Gelatine-Lösung trifft dies nicht 100%ig zu. Ob dies nur zufälligen Charakter hat, kann nur geklärt werden, wenn Auswertungen aus zusätzlichen Messungen in einem umfangreicheren Temperaturbereich erfolgen. Weiterhin ist in Abb. 8.7. die durch das Rheometer vorgegebene Empfindlichkeit von 0.02 Pa (s. Kap. 6.1.1) durch einen Strich angedeutet. Es zeigt sich also, dass der Gelpunkt vor dem ersten Messwert der G' Kurve liegen muss, was im Experiment auch gefunden wird. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Perkolationstheorie streng nur für Messungen bei einer Frequenz von ω→0 Gültigkeit besitzt. Wertet man Messungen bei endlichen Frequenzen nach der Perkolationstheorie aus, begeht man demnach einen Fehler. Dieser Fehler ist unumgänglich, denn es kann kein dynamisches Experiment durchgeführt werden, ohne mit einer endlichen Frequenz anzuregen. Den Einfluss der Frequenz auf die Ergebnisse der Auswertung nach der Perkolationstheorie wurde von BORCHARD und Mitarbeiter untersucht. Sie konnten zeigen, dass die Reduzierung der in dieser Arbeit verwendeten Frequenz von 6.28 rad⋅s-1 auf 1.256 rad⋅s-1 keinen signifikanten Einfluss auf die Gelierzeit hat.164 Die Durchführung weiterer Messungen bei noch niedrigeren Frequenzen ist durch die in Kap. 6.1.1 erwähnten Schwierigkeiten beim Versuchsaufbau mit der erforderlichen Qualität nicht möglich. 8.2.3 Die kombinierten Perkolationsansätze. Werten man die Gelierkurven nach den in Kap. 8.2.1 erwähnten normierten Perkolationsansätzen aus, erhält man die überaus wichtige Information über den gültigen Perkolationsbereich sowie eine einzige Lösung für die Gelierzeit. 164 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 64 Hieraus lassen sich dann weiterhin die kritischen Exponenten ν bzw. µ bestimmen. Eine weitere elegante Methode zur Bestimmung der kritischen Exponenten basiert auf der Kombination des Speicher – und Verlustmoduls symmetrisch um den Gelpunkt. Es handelt sich bei diesen sogenannten kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Funktions) um eine Kombination der Größen in äquidistanten Abständen zum Gelpunkt innerhalb der zuvor bestimmten Perkolationsbereiche.165,166 Dies führt zu neuen Bestimmungsgleichungen, aus denen die kritischen Exponenten bestimmt werden können. Für die Formulierung der CF werden die äquidistanten Abstände zum Gelpunkt durch den Betrag It-tgelI ausgedrückt. Es soll gelten: (t − t gel ) = (t gel − t ) = t − t gel . (8.10) Hierdurch gehen die Gln. (4.5) und (4.6), unter der Annahme das tgel,η = tgel,G ist, über in: G' ' = K η t − t gel G' = K G t − t gel −ν µ . (8.11) (8.12) Bildet man sowohl für Gl. (8.11) als auch für Gl. (8.12) den natürlichen Logarithmus und leitet die Ausdrücke nach der Zeit ab, so erhält man: d ln G' ' 1 = −ν⋅ dt t − t gel (8.13) d ln G' 1 =µ⋅ . dt t − t gel (8.14) Setzt man die Gln. (8.13) und (8.14) gleich, so erhält man den Ausdruck:167,168 d ln G' µ d ln G' ' =− ⋅ . dt ν dt 165 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht 167 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 168 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht 166 (8.15) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 65 Man erwartet demnach eine lineare Relation mit einer Steigung (-µ/ν), wenn man die linke Seite der Gl. (8.15) gegen die rechte aufträgt. Aus dieser Relation alleine erhält man jedoch nur ein Verhältnis der kritischen Exponenten, nicht deren einzelnen Wert. Hierzu ist die Formulierung einer weiteren Relation erforderlich. Bildet man in Gl (8.16) die Differenz aus den Gln. (8.14) und (8.15) bzw. den reziproken Wert Gl. (8.17)169,170 d ln G' d ln G' ' 1 − = (µ − ν ) ⋅ dt dt t − t gel d ln G' d ln G' ' dt − dt −1 = t − t gel (µ − ν ) (8.16) , (8.17) dann erwartet man eine lineare Relation mit der Steigung 1/(µ-ν), wenn der linke Teil der Gl. (8.17) gegen den rechten Teil aufgetragen wird. Für beide Kurvenverläufe gilt, dass nahe bzw. direkt am Gelpunkt die Ausdrücke auf beiden Seiten der Gleichungen Null werden müssen, d.h. die Geraden müssen durch den Koordinatenursprung verlaufen. Bezeichnet man die Steigung der Geradengleichung (8.15) mit A = (µ/ν) und die Steigung der Geradengleichung (8.17) mit B = 1/(µ-ν), so lassen sich zwei Ausdrücke angeben, mit denen die kritischen Exponenten ausgerechnet werden können: ν= 1 B( A − 1) und µ= A B( A − 1) (8.18) Die hier angeführten Relationen sollen auf die Gelierung einer wässerigen Gelatine Lösung angewendet werden. 169 170 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht ERGEBNISSE UND DISKUSSION 66 3 dlnG'/dt 2 1 A = (µ / ν ) = 2.96 +/- 0.10 0 0,0 0,2 0,4 0,6 dlnG''/dt 0,8 1,0 Abb. 8.8. Die Ableitung des natürlichen Logarithmus des Speichermoduls G‘ nach der Zeit gegen die Ableitung des natürlichen Logarithmus des Verlustmoduls G‘‘ nach der Zeit für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C (dlnG'/dt - dlnG''/dt) -1 1,25 1,00 B = 1/(µ - ν ) = 0.80 +/- 0.04 0,75 0,50 0,25 0,00 0,00 0,25 0,50 0,75 It - tgelI / min 1,00 Abb. 8.9. Der reziproke Wert der Differenz der Ableitungen der natürlichen Logarithmen des Speicher - und Verlustmoduls nach der Zeit gegen den Betrag der Zeit für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C Abb. 8.8. und 8.9. zeigen die Auswertung der Messergebnisse nach Gl. (8.15) bzw. (8.17). Sowohl aus Abb. 8.8. als auch aus Abb. 8.9. geht hervor, dass die ERGEBNISSE UND DISKUSSION 67 Erwartung eines linearen Kurvenverlaufs nicht optimal erfüllt wird, denn die Werte streuen doch erheblich. Eine saubere Auswertung der Messkurven nach den CF erfordert absolut rauschfreie Werte der rheologischen Kenngrößen G' und G''. Insbesondere die G''- Werte unterliegen zu Beginn der Messung einem sehr starken Rauschen d.h. die Messwerte nehmen nicht kontinuierlich zu. Hieraus ergeben sich bei den Ableitungen nach der Zeit, viele negative Steigungen von denen kein natürlicher Logarithmus gebildet werden kann. Die Auswertung wäre daher nicht, oder zumindest nur äußerst bedingt möglich. Dies wird weitestgehend verhindert, indem alle Rohdaten einer Glättungsprozedur unterzogen werden.171 In Tab. 8.1. sind die kritischen Exponenten, ermittelt aus den normierten Perkolationsansätzen und der aus den CF für das im Laufe der Arbeit ausgewählte Beispiel für das System Gelatine / Wasser, gegenübergestellt. Tab. 8.1. Vergleich der kritischen Exponenten ν und µ bestimmt für das System Gelatine / Wasser mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% bei einer Temperatur von 16°C nach den normierten Perkolationsansätzen bzw. der CF normierte Perkolationsansätze CF ν µ 0.58±0.01 2.07±0.05 0.63±0.06 1.88±0.13 Berücksichtigt man die Fehler, kann man trotzdem von einer sehr guten Übereinstimmung der kritischen Exponenten sprechen. Die CF stellen demnach eine elegante Lösung zur Bestimmung der kritischen Exponenten dar, wenn die Gelierzeit genau genug bestimmt wurde. Eine Kombination der Größen um den Gelpunkt ist auf unterschiedlichen Wegen möglich. Dies können Kombinationen höherer Ableitungen sein bzw. verschiedenartige Verknüpfungen der Perkolationsansätze. Drei weitere Beispiele anderer CF werden im Anhang A-2. berechnet. Die hier aufgeführten, nach den verschiedenen Methoden bestimmten Exponenten, sind neben weiteren für unterschiedliche Konzentrationen und Temperaturen bestimmten Systemen im Anhang A-1 in den Tabellen A-1.1. und A-1.2. im Anhang aufgeführt. Ein Vergleich der hier aufgelisteten kritischen Exponen171 Durch die Glättungsprozedur wird ein gleitender Durchschnitt durch die Bildung eines Mittelwertes benachbarter Werte gebildet. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 68 ten zeigt, dass die Fehler bei dieser Methode wesentlich stärker ausfallen können. Ergebnisse der klassischen Theorie. Die Ergebnisse der klassischen Theorie liefern die kritischen Exponenten ν = 0 und µ = 3, die Ergebnisse der Perkolationstheorie liefern für die Exponenten Werte im Bereich 0.65 ≤ ν ≤ 1.35 und 1.3 ≤ µ ≤ 3.78 (s. Kap. 4.2 und 4.3). Hieraus lässt sich ableiten, dass nach der klassischen Theorie der Wert für den Quotienten (µ/ν) divergieren müsste, nach der Perkolationstheorie hingegen endliche Werte im Bereich von 1 ≤ (µ/ν) ≤ 5.8 liefern sollte. 172 In Abb. 8.8. ist die Steigung der Geraden (µ/ν) mit 2.96±0.09 berechnet worden. Der Wert liegt damit eindeutig im Bereich der Werte, die von der Perkolationstheorie vorhergesagt wurden. In keiner der untersuchten Fälle wird eine Gerade mit unendlicher Steigung gefunden, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die klassische Theorie keine Gültigkeit besitzt, bzw. anders ausgedrückt, das kritische Phänomen der Gelierung nicht beschreiben kann.173 Im folgenden Kapitel sollen die ermittelten kritischen Exponenten diskutiert werden. 8.3 Diskussion der kritischen Exponenten. Im Vergleich zu der Arbeit von VENOHR wurden in der vorliegenden Arbeit unter anderen Gesichtspunkten die kritischen Exponenten nach der Perkolationstheorie bestimmt. Es musste also davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse möglicherweise stark voneinander abweichen. Tatsächlich sind die in dieser Arbeit bestimmten Werte für ν und µ zu höheren Werten hin verschoben. 8.3.1 Der kritische Exponent ν. Hier findet VENOHR Werte im Bereich von 0.04 bis 0.40. Die in dieser Arbeit ermittelten Werte liegen mit einer Ausnahme bei dem für eine 4 Gew.-%ige Gelatine-Lösung ν mit 1.06±0.02 bestimmt wurde, im Bereich von 0.55 bis 0.76. Die Werte stimmen damit sehr gut mit dem von SAHIMI und ARBABI vorhergesagten Wert von ν ≈ 0.65, für das sogenannte ZIMM-Regime überein. Es ist demnach davon auszugehen, dass am Gelpunkt starke hydrodynamische 172 173 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Colloid Polym Sci eingereicht ERGEBNISSE UND DISKUSSION 69 Wechselwirkungen zwischen den Gelatinemolekülen und nur geringe Diffusion stattfinden.174,175 Die hier ermittelten kritischen Exponenten bestätigen die Ergebnisse von BORCHARD, der ebenfalls für das System Gelatine / Wasser einen kritischen Exponenten von ν = 0.61 bestimmt und in diesem Zusammenhang das ZIMM-Regime diskutiert hat.176 8.3.2 Der kritische Exponent µ. Hier findet VENOHR Werte im Bereich von 0.8 bis 2.25. Die in dieser Arbeit ermittelten Werte liegen in einem Bereich zwischen 1.75 bis 2.27. Die Werte von µ fallen demnach in den Bereich, des von DE GENNES für die Annahme einer Analogie zwischen Elastizität und Leitfähigkeit eines Netzwerkes aus Isolatoren und Leitern vorhergesagten Wertes von µ = 1.7,177 bzw. dem von SAHIMI vorhergesagten Wert von µ = 2.1,178 der sich für Modellrechnungen ergibt, wenn das Dehnvermögen einer Bindung im Netzwerk berücksichtigt wird (s. Kap. 4.3). Die hier ermittelten Werte für den kritischen Exponenten µ werden ebenfalls durch Literaturwerte gestützt, bei denen für das System Gelatine / Wasser die rheologischen Experimente nach der Perkolationstheorie ausgewertet wurden.179,180,181 Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass sehr ähnliche molekulare Abläufe während der Gelierung stattfinden und daher die Systeme einer Universalitätsklasse zuzuordnen sind. Sehr kritisch betrachtet liegen die in dieser Arbeit ermittelten Werte für µ nicht unbedeutend auseinander. Betrachtet man hierzu noch die Zusammenstellung der Ergebnisse in Tab. A-1.1. wird deutlich, dass die Schwankungen für eine Konzentration annähernd gleich groß sind. Für jede Konzentration gibt es sowohl hohe als auch niedrige Werte für µ. Bei näherem Betrachten der Ergebnisse deutet sich bei konstanter Konzentration ein Maximum des kritischen 174 Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 176 Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580 177 de Gennes PG (1979) Scalling Concepts in Polymer Physics, Cornell University Press, Ithaca New York 178 Sahimi M (1992) Mod Phys Lett B 6:507 179 Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:333 180 Djabourov M, Lechaire JP, Gaill F (1993) Biorheology 30:191 181 Kumagai H, Fujii T, Inukai, T, Yano T (1993) Biosci Biotech Biochem 57(4):532 175 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 70 Exponenten µ als Funktion der Geliertemperatur an, eine Tatsache, die von VENOHR auch gefunden, aber nicht gedeutet wird.182 Eine Bestätigung dieses Sachverhalts kann anhand der in Tab. A-1.1. aufgeführten geringen Anzahl Messungen nur mit einem "unwohlen" Gefühl gemacht werden. In Kap. 9 werden Langzeitmessungen am System Gelatine / Wasser diskutiert, die im Rahmen der Arbeit nach dem alten Messprinzip erfolgten sowie nach der Perkolationstheorie im Sinne von VENOHR ausgewertet wurden. Die Messergebnisse sind in der Tab. A-1.3. im Anhang aufgeführt und zeigen ebenfalls, dass der kritische Exponent µ als Funktion der Geliertemperatur ein Maximum durchläuft. Hier soll nun eine "mögliche" Erklärung für diesen Befund gegeben werden, der folgende Annahmen zu Grunde liegen. 1.) 2.) 3.) Für eine Polymerkonzentration existiert eine konstante Zahl potentieller Bindungsstellen. Am Gelpunkt ist unabhängig von der Polymerkonzentration die Zahl der Helices pro Volumen konstant.183,184 Die Bildung von Doppel- und Dreifachhelices wird ausgeschlossen.185 Des Weiteren werden die aus Modellrechnungen vorhergesagten kritischen Exponenten µ (s. Kap. 4.3) dazu benutzt, um folgendes molekulares Bild bezüglich der Netzwerkstabilität am Gelpunkt abzuleiten. Es wird davon ausgegangen, dass bei großen kritischen Exponenten das Netzwerk am Gelpunkt einen entsprechend großen Widerstand gegen eine äußere Krafteinwirkung leisten kann. Insbesondere die von SAHIMI bzw. ARBABI und SAHIMI gemachten Berücksichtigungen des Dehnvermögens elastischer Elemente, die einen Wert von µ = 2.1 liefern können und bei Annahme von Biegeanteilen im Netzwerk sogar bis hin zu µ = 3.75 ansteigen können, lassen diesen Schluss zu. Es soll zwischen einer schnell ablaufenden Gelierung, die bei tiefen Temperaturen zu erwarten ist, und einer mittelschnellen bzw. langsam ablaufenden Gelierung (mittleren bzw. hohen Temperaturen) unterschieden werden. Die Gelierung bei tiefen Temperaturen. Dies entspricht einer sehr raschen Gelierung und einem kleinen Wert von µ, d.h. es liegt ein schwaches Netzwerk am Gelpunkt vor. Es handelt sich hier um ein gummielastisches Netzwerk, bei 182 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319 184 Maibaum R (1998) Dissertation Duisburg 185 siehe hierzu Kap. 1.3.2 183 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 71 dem die Knotenpunkte nicht fluktuieren und im wesentlichen Konformationsänderungen bei der Dehnung unterliegen. Die schnelle Gelierung verhindert die ideale Ausbildung der Helices - sie erreichen u.U. nur einen Teil ihrer möglichen Länge, woraus ein geringer Überlappungsgrad (Kontaktfläche der Helices im Aggregat) bei der Aggregation der Helices resultiert. Die durch die tiefen Temperaturen eingeschränkte Beweglichkeit der Polymerketten unterbindet eine mögliche Fluktuation der Knotenpunkte. Es liegt keine ausreichende Triebkraft vor, um zwei nicht ideal gestapelte (aggregierte, überlappte) helikale Bereiche zu lösen, die daraufhin erneut mit einem höheren Überlappungsgrad durch einen Reifeprozess im Sinne einer Ostwaldreifung aggregieren. Der Prozess der Ostwaldreifung kann sich dabei über einen längeren Zeitraum erstrecken. BORCHARD und Mitarbeiter konnten zeigen, dass eine Ostwaldreifung erst nach 4 Tagen beendet ist.186 helicale Bereiche Abb. 8.10. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer schnellen Gelierung (tiefe Temperaturen) Es ist anzunehmen, dass die Ausbildung intermolekularer H – Brückenbindungen bei tiefen Temperaturen gegenüber den intramolekularen H – Brückenbindungen, welche fluktuieren können, bevorteilt sind. Dieses Verhalten der Helixbildung bzw. deren Aggregation hätte ein schwächeres Netzwerkgefüge am Gelpunkt zur Folge, was durch ein kleines µ experimentell bestätigt wird. Diese Modellvorstellung kollidiert nicht mit der Tatsache, dass bei tiefen Temperaturen die Gelierkurve schnell in einen entsprechend hohen Pla186 Borchard W, Bergmann K, Emberger A, Rehage G (1976) Progr. Colloid & Polymer Sci 60:120 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 72 teauwert für den Speichermodul übergeht, denn die Helixbildungsgeschwindigkeit ist bei tiefen Temperaturen größer als bei höheren Geliertemperaturen. Hinzu kommt, dass die Zeit nach dem Gelpunkt nicht mehr an die Bedingung geknüpft ist, dass im Netzwerk die gleiche Helixkonzentration vorliegen muss, wie es am Gelpunkt für Systeme unterschiedlicher Gelatinekonzentrationen gegeben ist. Die Gelierung bei mittleren Temperaturen. Hier findet man große Werte für µ, d.h. es liegt ein festes Netzwerk am Gelpunkt vor, in dem u.U. die Biegeanteile bei der Deformation von Bedeutung sind. Das Netzwerk besteht hier aus relativ steifen Ketten, die bei der Deformation einer Biegung unterliegen. Die Helices können sich hier, im Verhältnis zu denen bei sehr kurzen Gelierzeiten, fast uneingeschränkt ausbilden. Es liegt hier offensichtlich ein ideales Wechselspiel zwischen intermolekularen und intramolekularen H - Brückenbindungen vor. Einerseits führt jetzt das erhöhte Bestreben, intramolekulare H Brückenbindungen auszubilden, im Vergleich zu dem Netzwerk bei tiefen Temperaturen, zu einer erhöhten Fluktuation der Knotenpunkte, woraus eine größere Kontaktfläche der aggregierten Helices (hoher Überlappungsgrad) resultiert. Andererseits sind die Helixaggregate aufgrund der noch beträchtlich ausgebildeten intermolekularen H - Brückenbindungen dicht und sehr stabil gestapelt. Demnach besitzt das so entstandenen Netzwerk am Gelpunkt eine nicht zu vernachlässigende Biegefestigkeit, was durch ein teilweise sehr hohes µ von fast 2.3 bestätigt wird. Eine ideale und uneingeschränkte Ausbildung großer Helixstapel im Netzwerk ist unwahrscheinlich, da davon ausgegangen werden muss, dass die Helices nicht immer ideal, d.h. über die gesamte Länge der Helices, aggregieren können. helicale Bereiche Abb. 8.11. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer "mittelschnellen" Gelierung (mittlere Temperaturen) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 73 Die Gelierung bei hohen Temperaturen. Dies entspricht Gelierzeiten von mehr als 50 min und einem kleinen µ, d.h. es liegt ein schwaches Netzwerk am Gelpunkt vor. Das Netzwerk wird aus Polymerketten aufgebaut, in denen die Bindungsbereiche stark fluktuieren - es liegen allerdings pro Kette im Mittel mehr als zwei Bindungen vor. Ähnlich dem Modell bei mittleren Temperaturen können sich hier die Helices fast uneingeschränkt ausbilden. Die Fluktuation der Bindungsbereiche sind durch die hohen Temperaturen und die damit verbundenen schwachen intermolekularen H - Brückenbindungen wesentlich ausgeprägter als im Modell bei mittleren Temperaturen. Die Helices können sich fast uneingeschränkt zu relativ großen Helixstapeln zusammenfinden, jedoch ist der Verbund der Helixstapel, bedingt durch die schwachen intermolekularen H – Brückenbindungen, nicht so stabil wie der im Modell bei mittleren Temperaturen. Geht man von der idealen Stapelung der Helices und damit von einer hohen Helixstapelgröße verbunden mit einer verbesserten Thermostabilität aus, so würden während der Deformation keine Biegeanteile in dem System auftreten. Das Netzwerk besäße am Gelpunkt nicht die Stabilität wie das Netzwerk im Modell bei mittleren Temperaturen. Im weiteren Verlauf der Gelierung wirken die langsame Helixbildung und die ausgeprägten Fluktuationen der Bindungsbereiche einem schnellen Erreichen eines Plateauwertes für den Speichermodul entgegen. helicale Bereiche Abb. 8.12. Schematische Darstellung der Helixanordnung im System Gelatine / Wasser am Gelpunkt in Folge einer langsamen Gelierung (hohe Temperaturen) Der Maximalwert für µ wird für ein Gelatine / Wasser System bei mittlerer Konzentration gefunden. Es scheint demnach eine ideale Polymerkonzentration zu geben, bei der einerseits durch die Bereitstellung einer erhöhten Menge an Polymer und damit potentieller Netzwerkstellen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sich die Helices uneingeschränkt ideal stapeln bzw. aggregieren können. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 74 Andererseits ist die Polymerkonzentration immer noch so gering, dass lokal keine Behinderung der Helicierung bzw. deren Stapelung durch die in der Solphase befindlichen Polymermoleküle oder bereits helicierter Bereiche stattfindet. Ein erhöhter Anteil an Polymeren dürfte ebenfalls die Fluktuationen der Bindungsstellen negativ beeinflussen. Die oben erwähnte Behinderung der Helixbildung könnte sich durch die Rückfaltungen abgeknickter Helices, z.B. die Ausbildung von Hairpins äußern, die zwar eine Erhöhung der Viskosität der Solphase zur Folge haben, jedoch nicht zu Bildungen eines stabilen Netzwerks beitragen. Die Erwartung, dass sich mit zunehmender Gelatinekonzentration die dynamische Viskosität der Solphase erhöht, wird durch die Experimente bestätigt. Anmerkung. Aufgrund der von KISTERS mit Hilfe der analytischen Ultrazentrifuge ermittelten Daten wird eine Entmischung der Gele mit niedrigen Polymerkonzentrationen gefunden.187 Die stark von den übrigen kritischen Exponenten abweichenden Werte für ein 2 Gew.-%iges Gelatine / Wasser System (µCF = 4.02±0.25 und νCF = 1.58±0.19; s. Tab. A-1.2) lassen demnach darauf schließen, dass diese Systeme keine homogenen Phasen bilden. 8.3.3 Das Skalenverhalten der kritischen Exponenten. Untereinander können die kritischen Exponenten über sogenannte Skalengesetze (scalling laws) miteinander verknüpft sein.188 Hierbei handelt es sich um Ausdrücke, die, gehören die kritischen Exponenten einer Universalitätsklasse an, ebenfalls Universalitätscharakter besitzen. Ein scaling law beschreibt die Größe ∆, sie verknüpft µ und ν in folgender Form:189,190,191 ∆= µ µ+ν (8.19) Die Berechnungen dieser Größe aus den in dieser Arbeit ermittelten kritischen Exponenten sind in Anhang A-1.1 und A-1.2 aufgeführt. Im Falle der aus den normierten Perkolationsansätzen bestimmten kritischen Exponenten liegt der Wert für ∆ in einem Bereich von 0.62±0.01 bis 0.79±0.01, für die kritischen 187 Borchard W, Cölfen H, Kisters D, Straatmann A (2001) In: Borchard W (ed) Sonderband, Progress in Ultracentrifugation, in preparation 188 Liegt ein solcher Fall vor, spricht man auch von einem "scaling" der Größen 189 Clerc JP, Girand G, Laugier JM, Luck M (1985) J. Phys. A 18:2565 190 Michon C, Cuvelier G, Launay B (1993) Rheol Acta 32:94 191 Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis ERGEBNISSE UND DISKUSSION 75 Exponenten bestimmt nach den CF in einem Bereich von 0.61±0.01 bis 0.82±0.01, wobei in beiden Fällen für den größten Teil der Messungen der Wert im Bereich 0.75±0.02 liegt. In diesem Bereich sind die Ergebnisse in guter Übereinstimmung mit denen aus der Literatur. Für das System Gelatine / Wasser wurde von BORCHARD und Mitarbeitern bereits der Wert ∆ = 0.74±0.03 bestimmt,192 für chemisch vernetzte Gele ermittelte DURAND und Mitarbeiter den Wert ∆ = 0.72±0.02.193. Zweifelsfrei dürften die Systeme, für die diese Werte bestimmt werden, einer Universalitätsklasse angehören. Ausnahmen bilden aber nach wie vor Systeme, die unter den sogenannten "Randbedingungen" gelieren, Systeme für die ∆ - Werte oberhalb 0.80 bzw. unterhalb 0.65 bestimmt werden. Die Größe ∆ wurde bereits in Kap. 8.1 bei die Behandlung der Frequenzabhängigkeiten des komplexen Schubmoduls am Gelpunkt erwähnt. Dass diese Größe in einem direkten Zusammenhang mit dem scaling law steht, ist aus der Literatur bekannt,194,195,196 einen mathematischen Beweis findet man jedoch nicht. Nach BORCHARD kann der Beweis in folgender Weise geführt werden.197 Es gelten die Bedingungen aus Kap. 8.1, dass am Gelpunkt der Verlustwinkel frequenzunabhängig ist Gl. (8.20), der Verlust- und Speichermodul als Funktion der Frequenz dem selben Potenzgesetz mit gleichem Exponenten gehorchen Gl. (8.21) tan δ = G' ' = ω0 G' (8.20) G' ~ G' ' ~ ω ∆ (8.21) G' ' −1 ~ (p c − p ) − ν = (G' ') ν ⋅ ω− 1 ~ (p c − p ) ω (8.22) G' ~ (p − pc ) µ = (G')µ ~ (p − p c ). (8.23) 1 Die Klammerausdrücke in den Gln. (8.22) und (8.23) sollen vom Betrag her gleich sein, es gilt: 192 Borchard W, Lechtenfeld M (2001) Mat Res Innovat II Vol 4 No.5-6 p. 381 Durand D, Delsanti M, Adam M, Luck M (1987) Europhys Lett 3:297 194 Clerc JP, Girand G, Laugier JM, Luck M (1985) J. Phys. A 18:2565 195 Michon C, Cuvelier G, Launay B (1993) Rheol Acta 32:94 196 Sahimi M (1994) Applications of Percolation Theory, Taylor & Francis 197 Borchard W persönliche Mitteilung 193 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 76 p − p c = p c − p = Z. (8.24) Durch Einsetzen der Gln. (8.22) und (8.23) unter Berücksichtigung von Gl. (8.24) in Gl. (8.20) ergibt sich: tan δ = ωZ − ν Z µ = ωZ − (ν + µ ). (8.25) Mit Gl. (8.23) folgt: 1 tan δ = ω(G')µ − (ν + µ ) . (8.26) Aus Gl. (8.21) geht hervor, dass G' am Gelpunkt proportional ω∆ ist. Berücksichtigt man dies neben der Bedingung dass tanδ = ω0 ist, dann geht Gl. (8.26) über in: ( ) ω ω∆ 1 µ − (ν + µ ) = ω0 (8.27) = ω0 (8.28) Nach Auflösen der Klammerausdrücke folgt: 1 + ∆ ⋅ − ω ν + µ µ Ein Potenzenvergleich liefert als Lösung für ∆: ∆= µ . µ+ν (8.29) Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass ∆ bestimmt aus den Ergebnissen der Perkolationstheorie den selben Wert haben muss wie ∆ aus den frequenzabhängigen Messungen des komplexen Schubmoduls. In Kap. 8.1 wurde ein Mittelwert für ∆ mit 0.695 bestimmt, der damit sehr gut mit denen aus der Theorie erwähnten übereinstimmt (s.o). ERGEBNISSE UND DISKUSSION 77 8.4 Zusammenhang zwischen dem komplexen Schubmodul und der optischen Drehung. In den vorangegangenen Auswertungen wurde eine Substitution der Wahrscheinlichkeiten p in den Perkolationsansätzen Gln. (4.3) und (4.4) durch die Zeiten t vorgenommen, um nach der Perkolationstheorie auszuwerten. Inwiefern eine Substitution der Wahrscheinlichkeiten durch die optische Drehung erlaubt ist, soll anhand der simultanen Messungen der rheologischen Kenngrößen und der optischen Drehung während der isothermen Gelierung geklärt werden. Geht man davon aus, dass eine solche Substitution erlaubt ist, dann müsste eine Proportionalität zwischen der Zeit und der optischen Drehung in der Nähe des Gelpunkts existieren. Zur Überprüfung dieser Annahme ist es von Vorteil, eine aus der Literatur bekannte Größe, die sogenannte Konvertierungsvariable zu benutzen, die sich auf den Helixanteil einer Probe bezieht.198,199,200,201, Φ= [α] λ, t − [α] λ, t = 0 [α] λ,t =∞ − [α] λ, t = 0 = α t − α0 . α∞ − α0 (8.30) αt , im weiteren Verlauf der Arbeit als α bezeichnet, ist hierbei die optische Drehung der untersuchten Gelatine Lösung zum Zeitpunkt t, α0 ist der Anteil der Drehung, hervorgerufen durch die asymetrischen C-Atome in der Gelatine (siehe dazu Kap. 3) und α∞ der Wert der Drehung für Kollagen, also der theoretische Wert, der resultieren würde, wenn eine Renaturierung des Kollagens stattgefunden hätte. Hat keine Helixbildung stattgefunden, wie es bei einer Temperatur von 40°C der Fall ist, ist α = α0 und damit Φ = 0. Für den oben erwähnten Fall der Renaturierung wird α = α∞ und damit Φ = 1. Ersetzt man nun die Konvertierungsvariable Gl. (8.30) durch die Zeit in den Gln. (4.5) und (4.6), dann ergeben sich folgende Ausdrücke in Gln. (8.31) und (8.32), bei denen Φgel der kritische Helixanteil am Gelpunkt ist: 198 v. Hippel PH, Harrington WF (1960) In: Protein Structure and Function, Brookhaven Symposia in Biol 13:213 199 Harrington WF, v. Hippel PH (1962) Advan Protein Chem 16:1 200 Djabourov M; Maquet J, Theveneau H, Leblond J, Papon P (1985) British Polymer J Vol 17, 2:169 201 Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 78 ( G' ' = K ∗η Φ gel − Φ ( G' = K ∗G Φ − Φ gel ) −ν )µ ∗ ∗ für Φ < Φ gel (8.31) für Φ > Φ gel . (8.32) Die Konstanten sowie die kritischen Exponenten sind, um sie von den bereits bekannten kritischen Exponentent unterscheiden zu können, mit einem Stern gekennzeichnet.202 Ausgehend von Gl. (8.30) lässt sich folgender Ausdruck für Φgel formulieren: Φ gel = α gel − α 0 α∞ − α0 . (8.33) αgel ist der kritische Wert der optischen Drehung am Gelpunkt, also zum Zeitpunkt t = tgel. Durch Einsetzen der Gln. (8.30) und (8.33) in Gl. (8.31) bzw. (8.32) erhält man für den Verlust- bzw. Speichermodul:203 α gel − α G' ' = K ∗η α − α ∞ 0 G' = K ∗G α − α gel α − α 0 ∞ −ν∗ für α < α gel (8.34) α > α gel . (8.35) µ∗ für Die optische Drehung α ist bei den Untersuchungen des Systems Gelatine / Wasser stets eine negative Größe, die im Laufe der Gelierung weiter abnimmt. Die Betragsstriche sorgen dafür, dass die Klammerausdrücke in den Gln. (8.34) und (8.35) keine negativen Werte liefern und somit am Gelpunkt weiterhin der Verlustmodul divergiert bzw. der Speichermodul Null wird. Durch Gleichsetzten von Gl. (4.5) mit Gl. (8.34) und Gl. (4.6) mit (8.35) erhält man zwei Ausdrücke:204 α − α gel = K $η t gel − t ( 202 ν )ν* für t < t gel Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht 204 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht 203 (8.36) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 79 α gel − α = K $G t − t gel ( µ )µ * für t > t gel , (8.37) mit denen man nun in der Lage ist, die Annahme, dass die Zeit t in den Perkolationsansätzen durch den Konvertierungsgrad Φ substituiert werden kann, zu überprüfen. Ist die Annahme korrekt, müssen jeweils lineare Relationen resultieren (ν = ν* bzw. µ = µ*), trägt man nach den Gln. (8.36) und (8.37) die linken Seiten der Gleichungen gegen die rechten auf. Dies ist in den Abbn. 8.13. und 8.14. dargestellt. 0,30 (α - α gel) / grad 0,25 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 (tgel - t) / min 1,2 1,4 Abb. 8.13. Die Differenz (α - αgel) gegen die Differenz (t – tgel) einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C, vor dem Gelpunkt Die linearen Bereiche erstrecken sich demnach in einem Bereich von 0 < [(tgel t) / min] < 1.4 vor dem Gelpunkt und in einem Bereich von 0 < [(t – tgel) / min] < 1.8 nach dem Gelpunkt. Sowohl in Abb. 8.13. als auch in 8.14. ist zu erkennen, dass in einem Abstand von ca. 0.6 min ein Knick in den Geraden auftaucht. Diese 0.6 min entsprechen dem Abstand des Perkolationsbereiches zum Gelpunkt, welcher durch die Auswertung der rheologischen Kenngrößen nach den normierten Perkolationsansätzen für dieses System ermittelten wurde (s. Tab. A-1.1.). ERGEBNISSE UND DISKUSSION 80 0,5 (α gel - α) / grad 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0,0 0,3 0,6 0,9 1,2 (t - tgel) / min 1,5 1,8 Abb. 8.14. Die Differenz (αgel - α) gegen die Differenz (tgel – t) einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C, nach dem Gelpunkt Mit Hilfe der Abkürzungen in Gln. (8.38a) bzw. (8.39a) lassen sich die Gln. (8.34) und (8.35) umstellen in die Gln. (8.38) bzw.(8.39):205 (G' ')− ν∗ 1 ( = K⊗ η ⋅ α − α gel ( ) −1 ∗ K⊗ η = Kη (G') 1 µ∗ ⋅ ν ( ⊗ = KG ⋅ α gel − α ( ) ⊗ = K ∗G KG 1 µ∗ ) ⋅ ) für α < α gel 1 α∞ − α0 für α > α ∗ 1 αo − α∞ . (8.38) (8.38a) (8.39) (8.39a) Hieraus lässt sich die Bedingung (ν = ν* bzw. µ = µ*) testen, wenn man für µ* bzw. ν* die Werte einsetzt, die im Kap. 8.2.1 nach den normierten Perkolationsansätzen bestimmt wurden. Durch Auftragen der rechten gegen die linken Seiten der Gln. (8.38) und (8.39) müssten lineare Beziehungen resultieren. Dies ist in den Abbn. 8.15. und 8.16. wiedergegeben. 205 Borchard W, Lechtenfeld M (1999) Macromolecules eingereicht ERGEBNISSE UND DISKUSSION 81 Der lineare Verlauf der Kurven in den Abbn. 8.15. und 8.16. ist als Beweis dafür anzusehen, dass aus der Abhängigkeit der rheologischen Kenngrößen von der optischen Drehung die kritischen Exponenten bestimmt werden können. (G'') -1/ν / Pa 14 13 α gel = -14.05 12 R = 0.99806 ν = 0.60 2 11 10 9 8 0,22 0,24 0,26 (α - α gel) / grad 0,28 0,30 Abb. 8.15. Die (-1/ν)-te Potenz des Verlustmoduls G" als Funktion der Differenz der optischen Drehung(α - αgel) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C vor dem Gelpunkt 0,9 α gel = -14.05 0,8 2 R = 0.99976 (G') 1/µ / Pa µ = 1.91 0,7 0,6 0,18 0,21 0,24 0,27 (α gel - α ) / grad 0,30 Abb. 8.16. Die (1/µ)-te Potenz des Speichermoduls G' als Funktion der Differenz der optischen Drehung(αgel - α) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 22°C nach dem Gelpunkt ERGEBNISSE UND DISKUSSION 82 Exkurs. Gl. (8.39) entspricht der vor 40 Jahren von TODD gefundenen Relation zwischen der optischen Drehung und dem Speichermodul.206 Für die Abhängigkeit des Speichermoduls von der optischen Drehung fand TODD den Wert µ* = 2. Bildet man den natürlichen Logarithmus der Gl. (8.39), so müsste ein lineares Verhältnis der Größen resultieren mit einer Steigung von 0.5. In Abb. 8.17. ist dieser Sachverhalt aufgetragen. Aus Abb. 8.17. ist eindeutig ersichtlich, dass die TODD-Relation voll erfüllt ist. Lediglich für den Bereich sehr nahe am Gelpunkt ergibt sich ein stärkerer Anstieg des Kurvenverlaufes. Das diese Bedingung ebenfalls für verschiedene Konzentrationen bei unterschiedlichen Temperaturen erfüllt wird, konnte inzwischen von BORCHARD und Mitarbeitern gezeigt werden.207 4 (1 / µ*) = 0.74 + ln(α gel- α ) / α 3 (1 / µ*) = 0.49 2 1 0 -1 -2 -6 -4 -2 0 2 + ln G' / G 4 6 Abb. 8.17. Auftragung des natürlichen Logarithmus der Differenzen (αgel - α) gegen den natürlichen Logarithmus des Speichermoduls G‘ für eine wässerige ROUSSELOT Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C, G+ = 1Pa, α+ = 1 Grad 206 207 Todd A (1961) Nature 191:567 Borchard W, Lechtenfeld M unveröffentlichte Ergebnisse ERGEBNISSE UND DISKUSSION 9 83 Die mathematische Beschreibung der G'(t) Funktion - Das Aggregationsmodell - Im gleichen Maße wie die Wissenschaftler sich mit der Frage beschäftigen: "Wie beschreibt man das Verhalten eines Systems am Gelpunkt mathematisch?", beschäftigt sie die Frage: "Welches Modell beschreibt den Verlauf des Speichermoduls vollständig?" Der G'(t) Verlauf, der an den Verlauf einer Wurzelfunktion erinnert, lässt sich mathematisch problemlos durch eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen beschreiben,208 jedoch "lediglich" mathematisch, aber nicht physikalisch sinnvoll.209 VENOHR wendete die von V. SMOLUCHOWSKI210 aufgestellte Theorie, die, kurz erklärt, auf der langsamen Koagulation von Teilchen basiert, in der jeder Kontakt zwischen zwei Teilchen irreversibel zu einem Aggregat führt, erfolglos auf seine für das System Gelatine / Wasser Systemen experimentell ermittelten G'(t) Funktionen an.211 Als Hauptgrund für das Misslingen gibt VENOHR die in der Theorie nicht berücksichtigten Rückreaktionen an, die bei der Gelierung des Systems Gelatine / Wasser auftreten. In einem weiteren Vorhaben versuchte VENOHR die Pearson Verteilungsfunktion212 auf den Verlauf der G'(t)-Kurven anzuwenden. Hieraus konnten zwar für den Endwert des Speichermoduls Werte extrapoliert werden, jedoch gibt dieser empirische Ansatz nicht die Entwicklung des Speichermoduls bei kleinen Zeiten wieder.213 DJABOUROV und Mitarbieter formulierten einen Ansatz, der sich aus der Summe zweier logarithmischer Terme zusammensetzt, um den Verlauf des Konvertierungsgrades214 während der Gelierung des Systems Gelatine / Wasser als Funktion der Zeit zu beschreiben.215 Hiermit lässt sich der Verlauf der Messkurve gut beschreiben, jedoch liefert die Funktion aufgrund ihres logarithmischen Terms einen stetigen Anstieg der Funktion und, für sehr lange Zeiten Werte für den Konvertierungsgrad, die größer als eins und damit mathematisch sowie physikalisch unmöglich sind. DJABOUROV vertritt die Meinung, dass der 208 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg Borchard W persönliche Mitteilung 210 v. Smoluchowski M (1917) Z phys Chem 92:129 211 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 212 Huismann R, Heuvel HM (1989) J Appl Polym Sci 37:595 213 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 214 siehe Kap. 8.4 hier Gl. (8.30) 215 Djabourov M, Leblond J, Papon P (1988) J Phys (France) 49:319 209 ERGEBNISSE UND DISKUSSION 84 Helixanteil in "Tausenden von Stunden" keinen Gleichgewichtswert liefert.216 Für die Anwendung auf die zeitliche Änderung des Konvertierungsgrades während der Gelierung müsste die Funktion jedoch in einen Sättigungswert übergehen. Der Versuch, den DJABOUROV - Ansatz auf den G'(t)-Verlauf anzuwenden scheiterte, da der Kurvenverlauf von G'(t) in der Nähe des Gelpunkts nur schlecht wiedergegeben wird.217 In den Arbeiten MAIBAUM218 und VENOHR219 wird auf einen Ansatz hingewiesen, der auf BORCHARD zurückgeht und zum ersten Mal auf der Bunsentagung 1998 in Münster vorgetragen wurde.220 Der Verlauf der G'(t)-Kurven erinnert an die Langmuirsche Adsorptionsisotherme, bei denen die Kinetik der Adsorption sowie die der Desorption eine entscheidende Rolle spielt. Die Aggregation der gebildeten Helices, was die Voraussetzung für die Gelierung ist, kann als Adsorption verstanden werden, ebenso wie die Desaggregation der Helixstapel als Desorption (siehe Kap. 1.3.2). BORCHARD macht in seinem Modell die Annahme, dass ein Gleichgewicht zwischen partiell helicierten Molekülketten in der Solphase und Molekülketten, die bereits in das Netzwerk eingebaut wurden, herrscht. [partiell helicierte Molekülketten]Sol Φ [Netzwerkketten]Gel Entsprechend dem Adsorptions- bzw. Desorptionsverhalten an Oberflächen formuliert er für die Aggregationsgeschwindigkeit der Helices, va bzw. für die Dessaggregationsgeschwindigkeit, vd, v a = k a (1 − Θ ) (x 2h − x 2hc ) (9.1) v d = k d Θ. (9.2) Hierbei bedeuten: Θ 1-Θ 216 = Kontaktflächenanteil bereits aggregierter Helices in der Gelphase = Kontaktflächenanteil der freien, nicht aggregierten Helices in der Gelphase Djabourov M, Lechaire JP, Gaill F (1993) Biorheology 30:191 Borchard W, Lechtenfeld M unveröffentlichte Ergebnisse 218 Maibaum R (1998) Dissertation Duisburg 219 Venohr H (1999) Dissertation Duisburg 220 Borchard W (1998) Ber Bunsenges Phys Chem 102:1580 217 ERGEBNISSE UND DISKUSSION X2h X2hc 85 = Zahlenanteil der Helices im Sol = kritischer Zahlenanteil der Helices im Sol Im Gleichgewicht gilt: va = vd (9.3) Für den Kontaktflächenanteil bereits aggregierter Helices in der Gelphase ergibt sich: Θ= k a (x 2h − x 2hc ) k d + k a (x 2h − x 2hc ) (9.4) Wohlweislich, dass die Perkolationstheorie das Verhalten am Gelpunkt sehr gut beschreibt, berücksichtigt BORCHARD den ursprünglichen Perkolationsansatz Gl.(4.4) und nimmt folgende Bedingungen an: (p − p c ) = k 1 Θ (x 2h (9.5) ( ) − x 2hc ) = k 2 t − t gel . (9.6) Hieraus lässt sich jetzt für den zeitabhängigen Verlauf des Speichermoduls folgender Ausdruck Gl. (9.7) bzw. Gl. (9.8) formulieren, wobei die Konstanten K1 und K2 in den Gln. (9.9a) und (9.9b) wiedergeben sind. ( ) k 2 k 1 k a t − t gel G' (t ) = K µ k d + k 2 k a t − t gel ( ( ) K 1 t − t gel G' (t ) = 1 + K 2 t − t gel K1 ≡ ( k 2 k1 k d kd K2 ≡ (K µ )µ1 k2 ka . kd ) ) µ (9.7) µ (9.8) (9.9a) (9.9b) ERGEBNISSE UND DISKUSSION 86 Der alles entscheidende "Clou" an Gl. (9.8) ist, dass für den Fall, t→tgel, die Größe K2 (t – tgel) im Nenner der Gl. (9.8) sehr klein wird und der Nenner damit annähernd 1. Gl. (9.8) geht mit den Annahmen in Gl. (9.10) in den Perkolationsansatz Gl. (4.6) bzw. (9.11) über: KG k k k ≡ Kµ 1 2 a kd µ t gel = t gel,G und ( G' (t ) = K G t − t gel (9.10) ) µ. (9.11) Für den Fall t→∞, wird K2(t - tgel) >> 1 und Gl. (9.8) liefert eine Konstante. Es lässt sich also ein Endwert für den Speichermodul G'∞ Gl. (9.12) formulieren bzw. durch ein Experiment bei endlichen Zeiten bestimmen: µ K G'∞ = 1 . K 2 (9.12) Die Auswertungsprozedur gestaltete sich folgendermaßen. Die aus den Perkolationsansätzen bestimmten Gelierzeiten bzw. kritische Exponenten wurden in der Auswertegleichung vorgeben und die Größen K1 und K2 mit Hilfe einer nichtlinearen Kurvenanpassung berechnet.221 Die ersten Versuche, die G'(t)Kurven nach Gl. (9.8) auszuwerten lieferten Ausgleichskurven, die zu späteren Zeit von den Messwerten deutlich abwichen und keinem konstanten Wert zuzustreben schienen. Dies konnte dadurch behoben werden, indem die Zeitdifferenzen in Gl. (9.8) zu einer Potenz α erhoben wurden, die ebenfalls durch die nichtlineare Kurvenanpassung berechnet wurde. Gl. (9.8) geht damit in Gl. (9.13) über, in der µ' durch Gl. (9.14) wiedergegeben ist: ( ) K 1 t − t gel α G' (t ) = 1 + K 2 t − t gel µ' = 221 ( α µ' (9.13) ) µ . α (9.14) TM Die Berechnung wurden mit Hilfe des Programms Origin 6.0 der Fa. Microcal durchgeführt. Die nichtlinearen Approximation erfolgt nach der Methode der kleinsten Abweichungsquadrate, basierent auf dem Levenberg – Marquardt – Algorithmus. ERGEBNISSE UND DISKUSSION 87 Durch die Einführung der Größe µ' ist gewährleistet, dass die Randbedingungen t→0 und t→∞ Gl. (9.13) trotzdem in die oben angeführten Gln. (9.11) und (9.12) übergehen. In Abb. 9.1. ist exemplarisch eine nach GL. (9.13) ausgewertete G'(t) Kurve für eine wässrige DGF STOESS Gelatine dargestellt. Die Abbildung dient zur Verdeutlichung, dass das Aggregationsmodell den Bereich in der Nähe des Gelpunkts sehr gut wiedergibt. Die in dieser Arbeit verwendeten DGF STOESS Gelatine wurden nur über eine Messzeit von maximal 120 min untersucht. Zur Veranschaulichung, dass das Aggregationsmodell auch Langzeitmessungen beschreibt, soll an anderen Systemen verdeutlicht werden. Hierbei handelt es sich um eine Gelatine der Fa. ROUSSELOT S.A., bei der die rheologischen Experimente noch mit dem Atari gesteuerten Schwingungsviskosimeter durchgeführt wurden. Für die Anpassung der Messwerte weit vom Gelpunkt mit dem Aggregationsmodell ist es nicht erforderlich, im Bereich des Gelpunkts sehr viele Wertepaare zu detektieren. Abb. 9.2. zeigt, dass das Aggregationsmodell den Verlauf des Speichermoduls über eine Messzeit von 4000 min gut wiedergibt. Aus den Konstanten, die weiter unten kurz diskutiert werden, lässt sich ein Endwert für den Speichermodul G'∞ mit 295 Pa bestimmen. Die Ergebnisse weiterer Auswertungen nach dem Aggregationsmodell sind im Anhang A-1 in Tab. A-1.3. wiedergegeben. 160 K1= 1.383 ± 0.0051 K2 = 0.019 ± 0.001 α = 1.565 ± 0.002 µ = 2.07 (vorgegeben) 140 G' / Pa 120 100 80 60 40 20 0 0 2 4 6 8 10 12 (t - tgel) / min 14 16 18 Abb. 9.1. Verlauf des Speichermoduls G‘ als Funktion der Zeitdifferenz (t – tgel) für eine wässerige DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C. Die fett gezeichnete Kurve gibt den mit Hilfe der in der Abbildung aufgeführten Konstanten berechneten Verlauf des Aggregationsmodells Gl. (9.13) wieder. Die durch leere Quadrate dargestellten Messwerte liegen fast komplett unter der fett gezeichneten Ausgleichskurve und sind damit sehr schlecht zu erkennen ERGEBNISSE UND DISKUSSION 88 160 140 120 G' / Pa 100 80 K1 60 α K2 40 µ 20 0.231 ± 0.004 0.590 ± 0.004 0.033 ± 0.001 1.70 (vorgegeben) 0 0 1000 2000 3000 (t - tgel) / min 4000 Abb. 9.2. Verlauf des Speichermoduls G‘ als Funktion der Zeitdifferenz (t – tgel) für eine wässerige ROUSSELOT Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.% während der isothermen Gelierung bei 26°C. Die fett gezeichnete Kurve gibt den mit Hilfe der in der Abbildung aufgeführten Konstanten berechneten Verlauf des Aggregationsmodells Gl. (9.13) wieder. Die durch leere Quadrate dargestellten Messwerte liegen fast komplett unter der fett gezeichneten Ausgleichskurve und sind damit sehr schlecht zu erkennen Diskussion der Konstanten. K1 beschreibt die Hinreaktion. K1 nimmt mit steigender Temperatur ab. Das ist insofern verständlich, als mit steigender Temperatur die Helixbildung langsamer abläuft. Hieraus folgt, dass K2, die Geschwindigkeitskonstante für die Rückreaktion, ebenfalls abnehmen muss, da bei einer mäßig schnell ablaufenden Helixbildung auch die Rückreaktion mäßig schnell abläuft. ZUSAMMENFASSUNG 89 ZUSAMMENFASSUNG In der vorliegenden Arbeit wurde die thermoreversible Gelierung des Systems Gelatine / Wasser anhand von rheologischen und optischen Methoden untersucht. Es kamen hierbei ein dynamisches Schwingungsviskosimeter sowie ein Präzisionspolarimeter zum Einsatz. Beide Geräte wurden dabei in eine Versuchseinrichtung integriert, mit deren Hilfe eine simultane Bestimmung der rheologischen und optischen Kenngrößen möglich wurde. Zur Untersuchung schnell ablaufender Gelierungen schienen zwei experimentelle Veränderungen des dynamischen Schwingungsviskosimeters erforderlich zu sein. Zum einen schien die Zeit von mindestens 18 Sekunden zwischen zwei Messwerten nicht ausreichend, um schnell ablaufende Reaktionen anhand der rheologischen Kenngrößen im Anfangsbereich mit genügender Genauigkeit zu beobachten. Daher wurde die Steuereinrichtung des dynamischen Schwingungsviskosimeters von Atari auf PC umgestellt, sodass nun Messungen in Sekundenschritten erfolgen konnten. Zum anderen sollte, entgegen der früheren Temperatursprungmethode mit Hilfe zweier Thermostate, einem anderen Verfahren der Vorzug gegeben werden, welches eine "Direkteinspritzung" des Probematerials in die vortemperierte Messzelle zeitgleich mit dem Start der Messungen vorsieht. Erst durch die Direkteinspritzung konnten von Anbeginn der Messung die zwingend erforderlichen isothermen Bedingungen zugrunde gelegt werden. Die rheologischen Kenngrößen hatten die Aufgabe, das kritische Phänomen der Gelierung mit Hilfe der Perkolationstheorie zu beschreiben. Zur Ermittlung des Gelpunkts und der kritischen Exponenten wurde das von STAUFFER und DE GENNES gefundene Potenzverhalten der rheologischen Kenngrößen in der Nähe des Gelpunkts durch sogenannte normierte Perkolationsansätze zum Ausdruck gebracht. Eine Auswertung der durchgeführten Experimente wurde erst mit einer Substitution der Wahrscheinlichkeit, die für eine Auswertung nach der Perkolationstheorie mit Hilfe von Computersimulationen relevant ist, durch die Zeit ermöglicht. Durch die Auswertung nach den normierten Perkolationsansätzen erhielt man als Lösung eine sehr genaue Gelierzeit, des weiteren die überaus wichtige Information, in welchem Bereich eine Auswertung nach der Perkolationstheorie erfolgen darf und sollte. Aus der Frequenzabhängigkeit des komplexen Schubmoduls lässt sich nach WINTER für chemisch vernetzte Systeme der Gelpunkt bestimmen. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit anhand eines Beispiels überprüft. Die so ermittelte Gelierzeit ist in guter Übereinstimmung mit der Gelierzeit, die aus der normierten Perkolationstheorie bestimmt wurde. 90 Der aus der normierten Perkolationstheorie bestimmte kritische Exponent ν stimmt sehr gut mit dem von SAHIMI und ARBABI vorhergesagten Wert für das sogenannte ZIMM-Verhalten überein. Es ist demnach davon auszugehen, dass am Gelpunkt starke hydrodynamische Wechselwirkungen zwischen den Gelatinemolekülen und nur geringe Diffusion stattfinden. Der kritische Exponent µ liegt in einem Bereich, der von DE GENNES für die Annahme einer Analogie zwischen Elastizität und Leitfähigkeit eines Netzwerkes aus Isolatoren und Leitern vorhergesagten Wertes von µ = 1.7, bzw. dem von SAHIMI vorhergesagten Wert von µ = 2.1, der sich für Modellrechnungen unter Berücksichtigung des Dehnvermögens einer Bindung im Netzwerk ergibt. Diese Annahmen dienten der veranschaulichten Darstellung eines molekularen Bildes der Gelierung, insbesondere die Aggregation der Helices am Gelpunkt. Eine weitere Methode zur Bestimmung der kritischen Exponenten wurde durch die Kombination des Speicher – und Verlustmoduls symmetrisch um den Gelpunkt geschaffen. Es handelt sich bei diesen sogenannten kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Functions) um eine Kombination der Größen in äquidistanten Abständen zum Gelpunkt innerhalb der zuvor durch die normierten Perkolationsansätze bestimmten Perkolationsbereiche. Anhand der Auswertungen nach den CF wird deutlich, dass die klassische Theorie nicht in Lage ist, das Phänomen der Gelierung zu beschreiben. Durch die simultane Bestimmung der rheologischen und optischen Kenngrößen wurde deutlich, dass eine Proportionalität zwischen der Zeit und der optischen Drehung während der thermoreversiblen Gelierung am Gelpunkt existiert. Es ist demnach möglich, nicht nur den Verlauf der rheologischen Kenngrößen als Funktion der Zeit, sondern auch als Funktion der optischen Drehung im Sinne der Perkolationstheorie auszuwerten. Es wurde gezeigt, dass beide Möglichkeiten die gleichen kritischen Exponenten liefern. Die Gelierzeit sowie der kritische Exponent dienten bei der mathematischen Beschreibung des kompletten Verlaufs des Speichermoduls als Funktion der Zeit. Es wurde ein mathematisches und physikalisches Aggregationsmodell formuliert, das auf den reaktionskinetischen Schritten der Langmuirschen Adsorptionsisotherme beruht. Das Modell ist so aufgebaut, dass es in der Nähe des Gelpunkts komplett in den typischen Perkolationsansatz übergeht, bzw. für Zeiten in weiter Entfernung zum Gelpunkt einen Gleichgewichtswert für den Speichermodul liefert. Beide Bereiche werden von dem Aggregationsmodell exakt beschrieben. ANHANG 91 ANHANG Anhang A-1 Ergebnisse der Auswertung nach der Perkolationstheorie. Tab. A-1.1. Ergebnisse der Auswertung nach den normierten Perkolationsansätzen. wGelatine/ϑ(°C) tgel (min) µ ν ∆ PB(min) 0.02 / 14 8.42 1.76±0.01 0.64±0.01 0.64±0.01 I1.36I+0.45 0.02 / 15 11.19 2.22±0.01 0.72±0.01 0.72±0.01 I1.22I+0.50 0.02 / 16 14.70 1.79±0.01 1.06±0.02 0.62±0.01 I3.00I+0.67 0.04 / 16 2.65 2.07±0.05 0.58±0.01 0.78±0.01 I0.63I+0.39 0.04 / 18 3.67 2.26±0.02 0.72±0.02 0.76±0.01 I0.85I+0.61 0.04 / 20 6.38 1.75±0.02 0.55±0.02 0.76±0.01 I0.60I+0.36 0.06 / 20 2.00 2.27±0.01 0.61±0.02 0.79±0.01 I0.54I+0.18 0.06 / 22 4.64 1.91±0.02 0.60±0.01 0.76±0.01 I0.68I+0.40 0.06 / 24 15.08 1.77±0.01 0.61±0.01 0.73±0.01 I2.92I+0.65 0.08 / 18 0.54 1.96±0.08 0.61±0.01 0.76±0.01 I0.14I+0.25 0.08 / 20 1.10 2.11±0.06 0.76±0.01 0.76±0.01 I0.21I+0.39 0.08 / 22 2.22 1.86±0.05 0.68±0.07 0.73±0.03 I0.31I+0.47 wGelatine = Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser ϑ = Geliertemperatur in °C tgel = Gelierzeit in Minuten µ bzw. ν = kritische Exponenten ∆ = Scaling law, berechnet sich nach: ∆ = PB = Perkolationsbereich, in dem nach der Perkolationstheorie ausgewertet wurde. Der Wert in Betragsstrichen gibt die zeitliche Entfernung des Perkolationsbereiches zum Gelpunkt an, der Wert dahinter gibt an, über welchen Zeitbereich sich der Perkolationsbereich erstreckt. Beides sind Minutenangaben. µ µ+ν ANHANG 92 Tab. A-1.2. Ergebnisse der Auswertung nach den kombinierten Perkolationsansätzen (Combined Functions) wGelatine ϑ(°C) µCF νCF ∆CF 0.02 14 4.02±0.25 1.58±0.19 0.72±0.04 0.02 15 2.17±0.15 0.61±0.08 0.78±0.03 0.02 16 1.81±0.28 1.17±0.23 0.61±0.08 0.04 16 1.88±0.13 0.63±0.06 0.75±0.03 0.04 18 1.79±0.12 0.62±0.07 0.74±0.03 0.04 20 2.98±0.10 0.74±0.05 0.81±0.02 0.06 20 2.95±0.15 0.61±0.05 0.82±0.02 0.06 22 1.95±0.01 0.61±0.05 0.76±0.01 0.06 24 1.72±0.17 0.65±0.11 0.73±0.05 0.08 18 2.20±0.26 0.76±0.14 0.74±0.06 0.08 20 2.20±0.16 0.82±0.08 0.73±0.03 0.08 22 3.10±0.18 1.06±0.08 0.75±0.03 wGelatine = Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser ϑ = Geliertemperatur in °C µCF bzw. νCF = kritische Exponenten bestimmt aus den Combined Functions ∆CF = Scaling law, berechnet sich nach: ∆ CF = µ CF µ CF + ν CF ANHANG 93 Tab. A-1.3. Ergebnisse der Auswertung nach dem Aggregationsmodell für eine wässerige M92 Gelatine.(3 Gew.-%; Ergebnisse und Messkurven sind von Venohr, 4 Gew.-%; Messkurven von Lechtenfeld, Bestimmung der Gelierzeiten und der kritischen Exponenten nach der Methode von Venohr) wGelatine ϑ tgel/ min K1 K2 α µ G'∞ 0.03 18 3.52 4.59388 0.99633 0.29504 1.34 908 0.03 20 4.36 3.08363 0.7597 0.33521 1.40 768 0.03 22 8.45 1.85372 0.35674 0.3798 1.47 615 0.03 24 21.56 0.739 0.08837 0.4712 1.40 459 0.03 25 50.93 0.36165 0.03584 0.53157 1.30 354 0.03 26 114,61 0.10277 0.00493 0.70511 1.29 238 0.04 18 2.41 6.74376 0.6846 0.3332 1.01 1027 0.04 20 2.83 4.89106 0.69107 0.32148 1.12 914 0.04 22 4.12 2.6836 0.674 0.34652 1.65 720 0.04 24 9.44 1.23844 0.31118 0.40268 1.83 532 0.04 25 16.80 0.57174 0.1919 0.46849 2.49 331 0.04 26 39.50 0.23093 0.0332 0.59046 1.70 295 0.04 27 114.15 0.0014 5.1E-6 1.60671 1.12 50 wGelatine = Massenbruch des Polymeren im System Gelatine / Wasser ϑ = Geliertemperatur in °C tgel = Gelierzeit in Minuten K1, K2 und α = Konstanten, ermittelt aus den Berechnungen des Aggregationsmodells (Gl. 9.13) µ = kritischer Exponenten G' ∞ = Endwert für den Speichermodul ANHANG Anhang A-2 94 Ableitung weiterer CF. Ausgehend von den Gln. (8.11) und (8.12) lässt sich eine Proportionalität zwischen den Modulen G' und G'' und dem Betrag der Zeitdifferenz It - tgelI herstellen. (G' ')ν ~ (G')µ ~ t − t gel 1 1 1 (A-2.1) t − t gel (A-2.2) Die Kombination dieser beiden Ausdrücke liefert eine Funktion F1,222 F1 ≡ (G' )µ (G' ')ν = const. 1 1 (A-2.3) die, hat man tgel, µ und ν richtig bestimmt, eine konstanten Wert am Gelpunkt liefen soll. 0,030 0,025 F1 0,020 0,015 0,010 0,005 0,000 0,0 0,2 0,4 0,6 It - tgelI / min 0,8 1,0 Funktion F1 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF Abb. A-2.1. STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C 222 Borchard W persönliche Mitteilung ANHANG 95 Stellt man die Gln. (A-3.1) und (A-3.2) zu: G' ~ t − t gel µ 1 G' ' ~ t − t gel ν (A-2.4) (A-2.5) um, dann ergibt sich nach Multiplikation der beiden Relationen eine weitere Funktion F2,223 F2 ≡ (G' ⋅ G' ')µ − ν ~ t − t gel 1 (A-2.6) die am Gelpunkt It – tgelI → 0 verschwinden sollte. 0,14 0,12 F2 0,10 0,08 0,06 0,04 0,02 0,00 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 It - tgelI / min Funktion F2 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF Abb. A-2.2. Stoess Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C 223 Borchard W persönliche Mitteilung ANHANG 96 Eine weitere Möglichkeit besteht in der Kombination der Zeitableitungen der Gln. (8.11) und (8.12), 1 dG' ' 1 + ν ν ~− t − t gel dt (A-2.7) 1 dG' µ − 1 ~ µ ⋅ t − t gel dt (A-2.8) zu einer Funktion F3,224 1 dG' µ − 1 F3 ≡ dt 1 dG' ' 1 + ν ⋅ ~ const. dt (A-2.9) für die ein konstanter Wert am Gelpunkt erwartet wird. 28 24 F3 20 16 12 8 4 0 0,0 0,2 0,4 0,6 It - tgelI / min 0,8 1,0 Funktion F3 gegen die Zeitdifferenz It – tgelI für eine wässerige DGF Abb. A-2.3. STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% während der isothermen Gelierung bei 16°C 224 Borchard W persönliche Mitteilung ANHANG 97 Anhang A-3 Messkurven der untersuchten Systeme. 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 0,1 1 10 100 t / min 1000 Abb. A-3.1.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 14°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% 0 1000 2000 t / min 3000 4000 5000 6000 -4 -5 α / grad -6 -7 -8 -9 Abb. A-3.1.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 14°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% ANHANG 98 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 0,1 1 10 100 t / min Abb. A-3.2.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 15°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -4,0 -4,5 α / grad -5,0 -5,5 -6,0 -6,5 -7,0 -7,5 Abb. A-3.2.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 15°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% ANHANG 99 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 0,1 1 10 100 t / min Abb. A-3.3.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 16°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -4,5 -5,0 α / grad -5,5 -6,0 -6,5 -7,0 -7,5 Abb. A-3.3.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 16C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 2 Gew.-% ANHANG 100 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 1 10 100 t / min Abb. A-3.4.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% 0 50 t / min 100 150 200 250 300 350 400 -8 -9 α / grad -10 -11 -12 -13 -14 Abb. A-3.4.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% ANHANG 101 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 1 10 t / min 100 Abb. A-3.5.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -8 α / grad -9 -10 -11 -12 -13 Abb. A-3.5.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 4 Gew.-% ANHANG 102 1000 G' / Pa G'' / Pa 100 10 1 0,1 0,01 1 10 100 t / min Abb. A-3.6.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -13 -14 α / grad -15 -16 -17 -18 -19 -20 Abb. A-3.6.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% ANHANG 103 100 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 1 10 100 t / min Abb. A-3.7.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -11 -12 α / grad -13 -14 -15 -16 -17 -18 Abb. A-3.7.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% ANHANG 104 G' / Pa G'' / Pa 10 1 0,1 0,01 1 10 100 t / min Abb. A-3.8.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 24°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -12,0 -12,5 -13,0 α / grad -13,5 -14,0 -14,5 -15,0 -15,5 -16,0 Abb. A-3.8.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 24°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 6 Gew.-% ANHANG 105 1000 G' / Pa G'' / Pa 100 10 1 0,1 0,01 1 10 t / min 100 Abb. A-3.9.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -16 -18 α / grad -20 -22 -24 -26 -28 Abb. A-3.9.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 18°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% ANHANG 106 1000 G' / Pa G'' / Pa 100 10 1 0,1 0,01 0,1 1 10 100 t / min Abb. A-3.10.a. Verlauf des Speicher und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -16 α / grad -18 -20 -22 -24 -26 Abb. A-3.10.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 20°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% ANHANG 107 1000 G' / Pa G'' / Pa 100 10 1 0,1 0,01 0,01 0,1 1 10 100 t / min Abb. A-3.11.a. Verlauf des Speicher- und Verlustmoduls als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% 0 20 40 t / min 60 80 100 120 -16 -17 -18 α / grad -19 -20 -21 -22 -23 -24 Abb. A-3.11.b. Verlauf der optischen Drehung als Funktion der Zeit während der isothermen Gelierung bei 22°C einer wässerigen DGF STOESS Gelatine mit einer Polymerkonzentration von 8 Gew.-% LITERATURVERZEICHNIS 108 LITERATURVERZEICHNIS Adam M, Delsanti M, Okasha R, Hild G (1979) J Phys Lett (Paris) 40:L 539 Almdal K, Dyre J, Hvidt S, Kramer O (1993) Polymer Gels Networks 1:5 Arbabi S, Sahimi M (1990) Phys Review Lett 65:725 Atkins PW (1990) Physikalische Chemie, VCH, Weinheim Babel W (1996) Chemie in unserer Zeit 30:86 Benguigui L, Busnel JP, Durand D (1991) Polymer 32(14):2680 Bohidar HB, Jena SS (1993) J Chem Phys 8(11):8970 Boltzmann L (1874) Sitzber KGl Akad Wiss Wien 2. 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Kollegschule und Fachschule für Technik in Duisburg Abschluss: Fachhochschulreife (in Teilzeitform) Berufliche Ausbildung 1985 – 1988 Chemielaborant Thyssen Stahl AG, Duisburg 1989 Zivildienst in Duisburg Wissenschaftliche Ausbildung 1989 – 1992 Fachhochschule Niederrhein Studienschwerpunkt: Chemieingenieurwesen Diplom: 4.12.1992 1993 – 1997 Gerhard-Mercator-Universität Duisburg Studienschwerpunkt: Chemie (DII) – Angewandte Physikalische Chemie Vordiplom: 4.3.1994 Diplom: 14.3.1997 seit 1997 Gerhard-Mercator-Universität Duisburg Wissenschaftliche Hilfskraft im Fachgebiet Angewandte Physikalische Chemie unter Leitung von Prof. W. Borchard, Anfertigung der Dissertation (Beginn: 4/97) Beruflicher Hintergrund 1988 – 1989 Thyssen Stahl AG, Duisburg Chemielaborant ab 4/2001 Anstellung als Chemiker in der F+E bei der DGF Stoess AG
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