BRENNPUNKT ARZNEI Jahrg. 20, Nr. 3 | September 2015 Pharmakotherapie Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis Wie sehr schadet die Hyperglykämie den Gefäßen? ANÄMIE Diabetestherapie ECIA -SP r L e fü Hilf isalltag e Prax rapi den akothe ung l m Phar Behand r r ve in de operati prä mien Anä STANDPUNKT NACHRICHTEN FORSCHUNG UND PRAXIS Innovationen: Wenn die Statistik besser ist als die Substanz Oseltamivir und Zanamivir: Kritische Anmerkungen Inhalationssprays: Korrekte Anwendung bei Asthma und COPD EDITORIAL Lohnen sich die Risiken der Therapie und wenn ja, für wen? Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, Hinweis KVH – Brennpunkt Arznei Die vorliegende Publikation „KVH – Brennpunkt Arznei“ ist ein Informationsangebot zur rationalen und rationellen Pharmakotherapie in der Praxis. Sie wird herausgegeben und mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Die enthaltenen Beiträge geben die Auffassung der Verfasser bzw. der Redaktion wieder. Aufgrund der regionalen Unterschiede können nicht alle Inhalte auf die Gegebenheiten in Hamburg übertragen werden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann keine Gewähr übernommen werden. KOMMENTAR die SGLT-2-Inhibitoren Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin sind als Monotherapie und in Kombination mit Metformin oder Insulin zur Therapie des Typ-2-Diabetes zugelassen. Sie wirken über eine insulinabhängige Glukoserückresorptionsminderung in der Niere. In der frühen Nutzenbewertung wurde für sie kein Zusatznutzen, weder in der Mono- noch in der Kombinationstherapie des Typ-2Diabetes, festgestellt. Bezüglich Dapagliflozin haben wir unter anderem darüber berichtet, dass neben dem fehlenden Zusatznutzen auch über mögliche Langzeitschäden bisher nichts belegt ist. Dies sollte man vor einer eventuellen Verordnung bedenken – besonders angesichts des Angriffspunkts im proximalen Nierentubulus. Außerdem bestehen laut Literatur fragliche Risiken hinsichtlich Leberfunktionsstörungen und Krebserkrankungen sowie Hinweise auf erhöhte Sterblichkeit. Auch für Canagliflozin sieht es nicht besser aus und es gibt die gleichen Bedenken und Fragen. Nach Aussage des arznei-telegramms® liegen darüber hinaus Hinweise für erhöhte kardiovaskuläre Risiken vor. Empagliflozin ist den beiden anderen SGLT-2-Inhibitoren bezüglich geringer Wirkung, fehlenden Zusatznutzens und offener Fragen zu dieser Arzneimittelgruppe sowie Risiken vergleichbar. Jetzt hat das BfArM darüber berichtet, dass ein europäisches Bewertungsverfahren zur Untersuchung diabetischer Ketoazidosen unter der SGLT-2-Inhibitorentherapie eingeleitet worden ist. Der Grund ist die Beobachtung von mehr als 100 schwerwiegenden Ketoazidosefällen. Die diabetische Ketoazidose kann lebensbedrohlich sein und tritt typischerweise bei Typ-1-Diabetes auf, wurde jetzt aber auch bei Typ-2-Diabetes beobachtet. Interessant ist, dass sie normalerweise mit sehr hohen Blutzuckerwerten einhergeht, nun aber auch bereits bei mäßig erhöhten Blutzuckerwerten beobachtet wurde. Was ergibt sich daraus? Eine kritische Beurteilung einer Pharmakotherapie ist für die Sicherheit unserer Patienten unverzichtbar und die SGLT-2-Therapie lohnt sich nach derzeitigem Stand des Wissens nicht. Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich HILFE FÜR FLÜCHTLINGE Eine wachsende Zahl von Asylsuchenden braucht medizinische Betreuung. Informationen zum Thema „Versorgung von Flüchtlingen in Hessen“, Dokumente wie Anamnesebögen oder Medikamentenpläne in verschiedenen Sprachen sowie die geltenden rechtlichen Grundlagen finden Sie unter www.kvhessen.de/fluechtlinge. 2 KVH aktuell 3|2015 kvh.link/1503011 3|2015 Inhalt EDITORIAL SEITE 2 SGLT-2-Inhibitoren: Lohnen sich die Risiken der Therapie und wenn ja, für wen? SCHWERPUNKT SEITEN 4 –9 Diabetestherapie: Effektive Stoffwechselkontrolle: Ist die Hyperglykämie das eigentliche Problem? STANDPUNKT SEITEN 10 –13 Innovationen: Wenn die Statistik besser ist als die Substanz Raucherentwöhnung mit Vareniclin (Champix®): Zu welchem Preis? SGLT-2-Inhibitoren: Auslöser diabetischer Ketoazidosen? NACHRICHTEN SEITEN 14 –18 CSE-Hemmer: IMNM als seltene Komplikation Kodein: Nicht für Kinder unter 12 Jahren Neuramidasehemmer: Oseltamivir und Zanamivir – kritische Anmerkungen und weitere Meldungen FORSCHUNG & PRAXIS SEITEN 19 –26 Inhalationssprays: Korrekte Anwendung von Inhalativa bei Asthma und COPD Urikostatika und Urikosurika: Einsatz von Allopurinol bei Hyperurikämie Gastroenterologie: Eradikation von Helicobacter pylori bei Clarithromycin-Unverträglichkeit DIALOG SEITEN 27 –30 Umgang mit klinischen Studien: Transparenzoffensive der WHO Ceterum censeo: Wie gefahrlich darf unsere Therapie sein? Stellungnahme: Aktuelle Auswertungen zu Ezetimib und die Bedeutung unabhängiger Fachjournale Impressum ANÄMIE-SPECIAL SEITEN I –XII Transfusionsmedizin: Richtig handeln bei präoperativer Anämie KVH aktuell 3|2015 3 SCHWERPUNKT DIABETESTHERAPIE Effektive Stoffwechselkontrolle: Ist die Hyperglykämie das eigentliche Problem? Neue Veröffentlichungen zum Typ-1-Diabetes ermöglichen eine rationale Einschätzung der Effektivität „intensiver“ antihyperglykämischer Therapien. Dabei stellen sie eine sicher geglaubte Hypothese einer Gefahr infrage: Gibt es eine direkte Gefäßschädigung durch die Hyperglykämie? Und wenn es sie gäbe – spielt sie wirklich eine Rolle? DR. MED. TIL UEBEL 4 KVH aktuell 3|2015 D Primäre Schlussfolgerungen der DCCT In der klinischen Studie des National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Disease wurden in den USA und Kanada 1.441 Patienten mit mindestens einem Jahr, maximal 15 Jahre bestehendem Typ-1-Diabetes entweder mit einer intensivierten Therapie (ICT) oder der zu dieser Zeit üblichen konventionellen Insulintherapie (CT) behandelt. Ausgeschlossen waren unter anderem Patienten mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen, fortgeschrittenen diabetischen Spätkomplikationen oder mit schweren Hypoglykämien in der Vorgeschichte. Während die Patienten der CT-Gruppe ein Therapieschema mit zwei festen Dosen ohne Variation der Insulindosis erhielten, spritzten die Probanden der ICT-Gruppe das heute häufig genutzte Schema mit mindestens drei Insulininjektionen. Die Dosis war einem jeweils zuvor abgeschätzten Bedarf angepasst, abhängig vom aktuell gemessenen Blutzucker, und jeder Teilnehmer hatte eine individuelle Basalinsulinrate. Ein Teil der Probanden waren Pumpenträger. Eine Verblindung fand nicht statt. Die Ziele richteten sich nach der Therapieform: Während in der ICT-Gruppe ein Nüchternwert von 70–120 mg sowie ein niedriger postpran- dialer Wert und die Vermeidung einer nächtlichen Unterzuckerung durch wöchentliche Kontrollen gewährleistet werden sollten, war für die Probanden der CT-Gruppe einziges Ziel, keine Symptome der Erkrankung, wie Ketoazidosen, Hypo- oder Hyperglykämien oder Glukosurien spüren zu müssen. Sie brauchten keine Stoffwechselselbstkontrolle durchzuführen, Dosierungen der Insulineinheiten waren durch die betreuenden Ärzte vorgegeben. In der Gruppe mit intensiver Therapie erreichten die Patienten auf Dauer HbA1c-Werte von 7,1 ± 0,9 % (Mittelwert ± Standardabweichung), in der konventionellen Gruppe lag der erreichte Wert bei 9,1 ± 1,3 %. Bei etwa 200 der 1.441 Patienten entwickelte sich im Verlauf der Studie entweder eine diabetische Retinopathie neu oder es verschlechterte sich eine vorbestehende Retinopathie. SCHWERPUNKT er 1983 initiierte und 1993 publizierte Diabetes Control and Complications Trial (DCCT)i und die sich anschließende Beobachtungsstudie Epidemiology of Diabetes Intervention and Complications (EDIC) mit zahlreichen Veröffentlichungen gelten als die Meilensteineii der Forschung zum Typ-1-Diabetes. Im Januar 2015 wird von der gleichen Arbeitsgruppe eine weitere hochwertige Publikation im JAMA (The Journal of the American Medical Association) veröffentlicht, die sich der Frage der Langzeitmortalität in Abhängigkeit von der Blutzuckereinstellung widmet (Orchard et al: Association Between 7 Years of Intensive Treatment of Type 1 Diabetes and Long-Term Mortality)iii. Bereits im letzten Jahr erschien ein Cochrane-Review von Fullerton, der sich mit den Effekten einer intensiven Glukosekontrolle beschäftigte und insbesondere die DCCT-Daten im Blick hatte (Fullerton et al: Intensive glucose control versus conventional glucose control for type 1 diabetes mellitus)iv. Ebenfalls im letzten Jahr untersuchten Lind und Kollegen die Ursachen der Exzessmortalität von Typ-1-Diabetikern in einem schwedischen Register. Dies führte zu einer aufsehenerregenden Publikation im New England Journal of Medicine, denn sie konnten darstellen, dass selbst „hervorragend eingestellte“ Patienten mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Sterberisiko hatten (Lind et al: Glycemic Control and Excess Mortality in Type 1 Diabetes)v. Folgen der DCCT Direkte Konsequenz der ersten Auswertungen der DCCT-Daten 1995 und die Schlussfolgerungen der Autoren waren, dass durch die intensive Therapieform signifikant weniger diabetische Retinopathien – bzw. deren Verschlechterungen – entstehen als unter konventioneller Therapie. Aufgrund der Annahme, dass die intensive Therapieform besser vor einer diabetischen Retinopathie schütze als die konventionelle Therapieform, wird seither die intensive Insulintherapie als Standard der Insulinbehandlung gesehen. Wie sich 15 Jahre später herausstellte, beruhte diese Behauptung jedoch auf Randomisierungs- und Auswertungsfehlern.vi Nur etwa 4 % des Gruppen-Unterschieds bei der Retinopathie bezogen sich auf die Therapieform (konventionelle oder intensive Insulintherapie), 96 % des GruppenUnterschieds waren auf den jeweils erreichten HbA1c-Wert zurückzuführen, unabhängig davon, ob jemand in der Intensiv- oder der konventionellen Gruppe behandelt worden war. Die Autoren nahmen daher ihre frühere Behauptung zurück, konventionell behandelte Patienten hätten ein höheres Risiko für diabetische Folgeschäden als intensiviert behandelte. Die Empfehlung, Typ-1-Diabetiker sollten sich so früh wie möglich möglichst so normnah einstellen, wie sie es ohne Gefährdung ihrer Sicherheit (durch Hypoglykämien) schaffen könnten, hielten sie hingegen aufrecht. Und das, obwohl die Teilnehmer der Gruppe mit intensiver Insulintherapie dreimal häufiger schwere Hypoglykämien aufwiesen. Vielleicht war diese Einschätzung den eigenen Berechnungen geschuldet, da zu diesem Zeitpunkt noch niemand von einer erhöhten Mortalität bei Hypoglykämien ausging. Die Autoren konnten keinen der 11 Todesfälle während der DCCT-Laufzeit dem erheblichen Hypoglykämierisiko einer damals neuen Therapiestrategie zuordnen. Schließlich war in der DCCT niemand an direkten KVH aktuell 3|2015 5 SCHWERPUNKT Folgen einer der zahlreichen Unterzuckerungen gestorben. Allerdings war den Forschern bekannt, dass vermutlich zwei „fatale Verkehrsunfälle“ diesen Unterzuckerungen zuzuschreiben waren. „Für die Enthusiasten einer Zielsetzung auf normnahe HbA1c-Werte (d. h. 6,1 %) hielt diese DCCT-Publikation noch einen weiteren Dämpfer parat“ (so E. Chantelau in einer Übersichtsarbeit in der ZFA 2009)vii: „Nur ein kleiner Bruchteil des gesamten Retinopathie-Risikos war in der DCCT-Studie auf den HbA1c-Wert zurückzuführen, wie von nun an die logistische Regressionsanalyse zeigte. Nur 11 % der Varianz des Auftretens einer Retinopathie wurden durch den auf Dauer erreichten HbA1c-Wert bestimmt und 89 % wurden auf anBei neun von zehn Patien- dere, nicht näher bezeichnete Risikofaktoren (wie Umweltfaktoren ten mit „diabetogenen“ und genetischer Einfluss) unabFolgeerkrankungen ist die hängig vom HbA1c-Wert zurückUrsache bis heute nicht geführt.“ Erst die 2006 schockierend geklärt. Folgekrankheiten wirkende Übersterblichkeit in der entstehen also unabhän- ACCORD-Studie bei intensiv Typ-2-Diabetespagig vom therapeutisch behandelten tientenviii und die enttäuschenden, erreichten HbA1c-Wert! weil faktisch fehlenden Benefits für eine intensive Diabetes-Therapie der zwei weiteren großen Studien ADVANCEix und VADTx, führten zu einem Umdenken. Überzogen niedrige HbA1c-Ziele haben seither die Leitlinien für alle Diabetes-Typen endgültig verlassen. Sie werden allerdings von wenigen „Spezialisten“ weiterhin favorisiert. EDIC Der signifikante HbA1c-Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe (7,4 % vs. 9,1 %; p < 0,01), war schon bald nicht mehr nachweisbar bei den weiterhin, nun ohne Therapievorgabe von den Autoren kontrollierten Patienten (EDICStudie) – wenngleich sich diese HbA1c-Differenz nie vollständig anglich. Und obwohl es sich somit nur noch um Beobachtungen von ursprünglichen Studienteilnehmern mit kaum abschätzbaren Confoundern handelt und die daraus resultierenden Daten keinen Anspruch auf hochklassige Evidenz für eine Therapiestudie erfüllen, scheinen die Ergebnisse schlüssig. Dies gilt auch für die zuletzt 2014 in einem Übersichtsartikelxi in Diabetes Care aufgearbeiteten Daten. Sie können Folgendes aufzeigen: Eine frühe intensive Insulintherapie geht für einen Teil der Patienten mit einer Reduktion des Risikos einher, mikrovaskuläre Folgeerkrankungen, sowohl währenddessen als auch in einer 20-jährigen Nachbeobachtungszeit, zu entwickeln. Die Ergebnisse hinsichtlich makrovaskulärer Komplikationen hingegen sind weniger klar: Obwohl die Gesamtzahl der Ereignisse in der Nachbeobachtung höher war, waren alle Ereignisse insgesamt weiterhin sehr selten, sodass die der Studie unterlegten statistischen Annahmen nicht ausreichen, um Effekte sicher zu erkennen („fehlende Power“). 30 Jahre nach Initialisierung des DCCT werden mikro- wie makrovaskuläre Ereignisse durch eine Verbesserung des HbA1c-Werts aber teilweise reduziert und es scheint sich das Phänomen des metabolischen Gedächtnisses (Legacy-Effekt, siehe Kasten) zu bestätigen, das auch das UKPDS-Follow-upxii postulierte. Besser als in den Typ-2-Diabetes-Studien lässt sich hier also der reine Effekt der insulinabhängigen Blutglukosekonzentrationsänderung beobachten. Während der 17 Jahre Follow-up traten in der Interventionsgruppe bei weniger Personen als in der Kontrollgruppe erste kardiovaskuläre Ereignisse auf (31 Personen versus 52 Personen; Hazard Ratio 0,58; 95-%-CI: 0,37–0,91). Die DCCT-EDIC-Autoren fassten im Jahr 2015 die Ergebnisse zusammen: Nach einem Mittel von 27 Jahren kann eine initial intensive Insulintherapie über 6,5 Jahre im Vergleich zu einer konventionellen Therapie eine moderate Senkung der kardiovaskulären Mortalität bewirken. Die Senkung der Gesamtmortalität ist allerdings allenfalls marginal, wenn auch knapp statistisch signifikant LEGACY-EFFEKT: POSITIVES VERMÄCHTNIS DER FRÜHEREN THERAPIE Dem Phänomen des metabolischen Gedächtnisses liegt folgende Hypothese zugrunde: Spätkomplikationen einer chronischen Hyperglykämie können durch eine zeitlich sehr früh durchgeführte intensive Therapie 6 KVH aktuell 3|2015 verhindert werden. Die in fortgeschrittenem Stadium durchgeführte antihyperglykämische Stoffwechselkontrolle kann dies nicht mehr möglich machen. Exzessmortalität bei Typ-1-Diabetes Die eigentliche kardiovaskuläre Mortalität eines ansonsten gesunden Typ-1-Diabetespatienten bleibt also erfreulich gering und das Sterberisiko auch nach 30 Jahren scheint ganz überwiegend nicht kardiovaskulärer Ursache zu sein. Dies legen aktuelle EDIC-Daten aus dem Jahr 2015 nahe. Trotzdem bleibt die absolute Gefährdung, die vom Diabetes ausgeht (Exzessmortalität), ungewiss. Welchen Einfluss der HbA1c-Wert dabei hat, wurde in einer Register-basierten Beobachtungsstudie an Patienten in einer schwedischen Kohorte von 1998 bis 2011 untersucht (Lind et al: Glycemic Control and Excess Mortality in Type-1Diabetes). Erstaunlicherweise hatten auch die insulinabhängigen Typ-1-Diabetiker mit einem HbA1c < 7 % ein zweifaches Mortalitätsrisiko jeglicher, aber auch kardiovaskulärer Ursachen im Vergleich zur entsprechenden Kontrollgruppe („Matched control“). Der Unterschied zwischen denjenigen mit optimalem HbA1c-Wert und denjenigen mit einem HbA1c-Wert von bis zu 7,8 % war marginal. Erst Werte jenseits 8,7 % gingen mit einer deutlichen (vierfach höheren) Exzessmortalität einher. Jedoch war selbst dieser Risikofaktor nicht vergleichbar mit dem wichtigsten Prädiktor für die kardiovaskuläre Mortalität, einer zeitgleich bestehenden Nephropathie (siehe Tabelle unten). Eine Beobachtung, aus der sich schließen lässt, dass auch niedrige HbA1c-Werte unter einer Insulintherapie keine Sicherheit für diese Therapieform darstellen. Eine Schlussfolgerung, die schon Registerdaten aus Großbritannien bei Patienten mit Typ-2-Diabetes nahelegten. Diese waren aber wegen der Vielzahl der dort eingesetzten Substanzen sowie des differierenden Schweregrades von Grund- und Folgeerkrankungen schlecht als direkte Therapiefolge zu interpretieren.xiii SCHWERPUNKT (p-Wert: 0,045 (CI: 0,46–0,99). Primäre Ursache für den Tod ist zwar die kardiovaskuläre Mortalität (24 Todesfälle; 22,4 %), fast ebenso häufig sind jedoch folgende Ursachen festgehalten: Krebs (21 Todesfälle; 19,6 %), akute Diabeteskomplikationen (19 Todesfälle; 17,8 %) und Unfälle sowie Suizide (18 Todesfälle; 16,8 %). Assoziationen zwischen höheren HbA1c-Werten und Gesamtmortalität waren ebenfalls signifikant vorhanden. Die eigentliche Frage, die diese Daten mit sich bringen, nämlich die nach dem tatsächlichen Benefit für Betroffene, dem Abwägen zwischen Gefahr und Nutzen einer Therapie bei einem nicht wesentlichen, wohl bis heute deutlich überschätzten kardiovaskulären Risiko, lassen die Autoren unbeantwortet. Viele offene Fragen Es stellt sich die Frage, ob der pathophysiologisch als sicher geglaubte Zusammenhang einer Gefäßschädigung durch die chronische Hyperglykämie als entscheidende Ursache der erhöhten Mortalität betroffener Diabetespatienten zu hal- Type 1 Diabetes: Hazard ratios for death from any cause and from cardiovascular causes Death from any cause Death from cardiovascular disease Time-updated mean glycated hemoglobin level – no. of events/ total no. Reference group (controls) 7386/200,539 2326/200,539 1.00 1.00 ≤ 6.9% 2.36 (1.97–2.83) 2.92 (2.07–4.13) 7.0–7.8% 2.38 (2.02–2.80) 3.39 (2.49–4.61) 7.9–8.7% 3.11 (2.66–3.62) 4.44 (3.32–5.96) 8.8–9.6% 3.65 (3.11–4.30) 5.35 (3.94–7.26) ≥ 9.7% 8.51 (7.24–10.01) 10.46 (7.62–14.37) > 120 ml/min 4.41 (3.53–5.50) 4.65 (2.91–7.42) 60 to 120 ml/min 3.24 (2.74–3.84) 4.56 (3.30–6.31) 15 to < 60 ml/min 7.64 (6.26–9.32) 10.42 (7.25–14.98) Stage 5 chronic kidney disease 29.01 (23.68–35.54) 41.32 (28.52–59.86) eGFR KVH aktuell 3|2015 7 SCHWERPUNKT ten ist. Insbesondere beim Vergleich der Patienten in der schwedischen Kohortenstudie muss man – zieht man die gesteigerte kardiovaskuläre Mortalität heran – konstatieren, dass für die Gesamtmortalität andere Faktoren ursächlich sind. Vergleichbares gilt für die bis heute nicht geklärten Umstände bei der Entstehung einer diabetischen RetiMehr als je zuvor müssen nopathie. Ursachen der kardiovasku lären Schäden könnZulassungsbehörden heute darauf bestehen, ten auch die Insulintherapie selbst oder aber andere, heute dass Antidiabetika nur noch nicht identifizierte Faktoren noch über den realen sein. Als gesichert gelten muss: Nutzen für den Patienten Todesfälle durch die Therapie (Ketoazidose, Koma und Hypobeurteilt werden. Die rein glykämie) sind zumindest bei glukoseregulierende Patienten mit Typ-1-Diabetes im Wirkung wird dabei eine Rahmen einer 30-jährigen Therapie, wie sie heute üblich ist, fast zunehmend untergeord- ebenso häufig wie die in der Vernete Rolle spielen. gangenheit deutlich häufiger in den Blickpunkt genommene kardiovaskuläre Mortalität. Beide Formen der Sterblichkeit für diese Patientengruppe liegen im Bereich der Häufigkeit von Unfällen oder Krebserkrankungen. Und für eben diese Erkrankungen werden ursächliche, pathophysiologisch plausible Zusammenhänge mit einer Insulintherapie diskutiert. Damit wankt aber auch das Konzept der reinen Stoffwechselkontrolle als Surrogat für eine erfolgreiche Diabetestherapie. Mehr als je zuvor müssen Dr. Til Uebel Zulassungsbehörden heute darauf bestehen, dass Seit 2002 niedergelasseAntidiabetika nur noch über den Aspekt des ner Allgemeinmediziner realen Nutzens für den Patienten beurteilt werund Diabetologe in einer den. Dabei wird die reine glukoseregulierende überörtlichen BAG. Wirkung eine zunehmend untergeordnete Rolle Sprecher der AG Diabetes spielen. Kardiovaskuläre Sicherheitsaspekte und und „Sonderbeauftragter das zu befürchtende Hypoglykämie-Risiko, beides Diabetes“ der DEGAM; heute schon relevant für das VerordnungsverhalMitautor der NVL ten in der Praxis, werden vorübergehend zwar zu Fußkomplikationen bei wichtigen Fragestellungen, aber sie reichen nicht Diabetes, Auge und Diabetes, S3-Leitlinie aus, um die letztlich entscheidende Frage zu beTyp-1-Diabetes. antworten: Welches ist die optimale Therapie eines an Diabetes erkrankten Patienten, um desKontakt: [email protected] sen erhöhtes Sterberisiko zu reduzieren? Und deutlicher als je zuvor tritt eine weitere FragestelZUR PERSON lung zutage: Welche absoluten Risiken tragen die 8 KVH aktuell 3|2015 heute diagnostizierten Patienten in sich – in Zeiten ganz allgemein abnehmender kardiovaskulärer Mortalität, aber auch durch die geänderten Definitionen des Typ-2- und Typ-1-Diabetes der letzten Jahre? Hier herrscht vorrangiger Forschungsbedarf. Denn nur wenn das absolute Risiko bekannt ist, kann – gemeinsam mit den Patienten – entschieden werden, ob und welche Form der Diabetestherapie eingesetzt wird. Sei diese wie bisher vorrangig eine die Hyperglykämie senkende oder, künftig sicherlich wichtiger, eine direkt Folgeerkrankungen verhindernde. Fazit für die Praxis Das kardiovaskuläre und das mikrovaskuläre Risiko ebenso wie der Nutzen einer intensivierten Insulintherapie werden bei Typ-1-Diabetikern über einen Zeitraum von 30 Jahren überschätzt. Die Gefahr, die einer intensivierten Insulintherapie innewohnt, wird hingegen unterschätzt. Die meisten Patienten sterben eher an Komplikationen, Krebserkrankungen oder Unfällen. Und auch vermeintlich gute Blutzuckerwerte schützen nicht vor dem erhöhten Sterberisiko. Dieses steigt zwar bis zu einem HbA1c von 8,7 % moderat an, ist aber vor allem mit dem Vorhandensein von Nierenkomplikationen assoziiert. Ein Teil der mikrovaskulären Komplikationen scheint durch eine HbA1c-Senkung mit Insulin vermeidbar zu sein, allerdings ist nur ein Bruchteil der Retinopathien wirklich Folge eines erhöhten HbA1c. Kardiovaskuläre Sicherheitsaspekte, das zu befürchtende Hypoglykämie-Risiko und nicht zuletzt das bis heute nicht verstandene zusätzliche Risiko, das der diabetischen Hyperglykämie sowie deren Insulintherapie innewohnt, werden die Forschungsthemen der Zukunft sein. 쮿 ✓ Interessenkonflikte: keine In seiner Übersichtsarbeit gibt uns Til Uebel einen umfassenden Überblick über die Fallstricke eines „glukozentrischen Weltbilds“. Wenn man die Absenkung des Blutzuckers als wesentliches Ziel der Therapie des Typ-2-Diabetikers sieht, so wird man laut Uebel richtigerweise die makrovaskulären Komplikationen und damit die Prognose des Patienten nicht verbessern – sondern eher verschlechtern. Ob man nun die zitierte ACCORD-Studie nimmt oder eine große Übersichtsarbeit von Craig (Craig J; J Clin Endocrin Met, 2013; 98 (2): 668–677), in der 84.622 Diabetiker randomisiert wurden auf 5 Therapiearme: Trotz guter Blutzucker- und HbA1c-Werte war die Insulin-Monotherapie mit einer Verdoppelung der Herzinfarktmortalität assoziiert. Es geht eben nicht nur um die Komplikationen der Hypoglykämie, sondern offenbar spielt die schwere diabetische Dyslipoproteinämie eine Rolle. Besonders kleine, aggressive LDL-Partikel bilden sich, es kommt zur Reduktion von HDL, das zudem noch eine schlechtere Qualität aufweist als das von Nichtdiabetikern. Diese beiden ungünstigen Veränderungen der Lipoproteine entstehen aber nicht durch zu viel Zucker im Blut, sondern durch zu viel Insulin. Unter dem Ein- SCHWERPUNKT ENDE DES GLUKOZENTRISCHEN WELTBILDS? fluss von Insulinresistenz und Insulin auf den Stoffwechsel kommt es zu einem Anstieg der freien Fettsäuren, damit zu einer Bildung der kleinen (V)LDL und über eine gesteigerte Aktivität der Triglyceridlipase zur Ausbildung der aggressiven LDL-Subgruppen 5 und 6. Fatalerweise ist das Gewicht dieser LDL-Partikel gering, sodass der behandelnde Arzt sich in falscher Sicherheit wiegt bei vermeintlich niedrigem LDL in mg/dl. Wenn man die vielen kleinen aggressiven Partikel dagegen zählen würde … Die HPS- und die 4S-Studie haben daher gerade bei Diabetikern zeigen können, dass auch bei vermeintlich „normalem“ LDL eine Statintherapie präventiv wirkt und die Prognose signifikant verbessert – sogar noch mehr als bei Nichtdiabetikern. Und vor allem besser als Insulin, das ja die makrovaskuläre Prognose (s. o.) verschlechtert. Es wird Zeit, sich vom „glukozentrischen Weltbild“ zu verabschieden und den Typ-2-Diabetiker eher mit Statinen und einer stark kohlenhydratreduzierten Kost zu behandeln, als ihn mit Insulin oder insulinotropen Antidiabetika im Verbund mit einer fettarmen, kohlehydratreichen Kost zu „therapieren“ oder besser gesagt: zu mästen. DR. MED. CHRISTIAN ALBRECHT Quellen: i ii iii iv v vi vii The Diabetes Control and Complications Trial Research Group. The effect of intensive treatment, of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus. N Engl J Med. 1993;329(14): 977–986 Results of the EDIC are reported in the New England Journal of Medicine, 353(25), December 22, 2005 Association Between 7 Years of Intensive Treatment of Type 1 Diabetes and Long-term Mortality. JAMA. 2015;313(1): 45–53. doi:10.1001/jama.2014.16107, The Authors/Writing Group for the DCCT/EDIC Research Group Corresponding Author: Trevor J. Orchard Fullerton B, Jeitler K, Seitz M, Horvath K, Berghold A, Siebenhofer A. Intensive glucose control versus conventional glucose control for type 1 diabetes mellitus (Review), 2014 The Cochrane Collaboration. Published by JohnWiley & Sons, Ltd. Lind M, et al. Glycemic Control and Excess Mortality in Type 1 Diabetes. N Engl J Med 2014;371: 1972–82. DOI: 10.1056/NEJMoa1408214 The Diabetes Control and Complications Trial Research Group 2008. The relationship of glycemic exposure (A1c) to the risk of development and progression of retinopathy in the Diabetes Control and Complications Trial. Diabetes 1995;44: 968–983 Chantelau E. Doch kein Vorteil der intensiven Insulintherapie? Zentrale DCCT-Schlussfolgerung nachträglich korrigiert. Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2009; 85 (3) viii ix x xi xii xiii Gerstein HC, Miller ME, Byington RP, Goff DC, Jr., Bigger JT, Buse JB, et al. Effects of intensive glucose lowering in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358(24): 2545–2559 Patel A, MacMahon S, Chalmers J, Neal B, Billot L, Woodward M, et al. Intensive blood glucose control and vascular outcomes in patients with type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 358(24): 2560–2572 Duckworth W, Abraira C, Moritz T, Reda D, Emanuele N, Reaven PD, et al. Glucose control and vascular complications in veterans with type 2 diabetes. N Engl J Med 2009; 360(2): 129–139 Nathan DM, McGee P, Steffes MW, Lachin JM. Relationship of Glycated Albumin to Blood Glucose and HbA1c Values and to Retinopathy, Nephropathy and Cardiovascular Outcomes in the DCCT/EDIC Study. Diabetes 2014 Jan; 63(1): 282–290 Holman RR, et al. 10-Year Follow-up of Intensive Glucose Control in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2008; 359: 1577–1589; doi: 10.1056/NEJMoa0806470 Currie G. Mortality and Other Important DiabetesRelated Outcomes With Insulin vs Other Antihyperglycemic Therapies in Type 2 Diabetes. J Clin Endocrinol Metab 98: 668–677, 2013 KVH aktuell 3|2015 9 INNOVATIONEN STANDPUNKT Wenn die Statistik besser ist als die Substanz Wie mit Subgruppenanalysen, Relativprozenten und Vergleichsgruppen Ergebnisse gedreht werden können. DR. MED. STEFAN GRENZ W as ist eine Innovation? – Beispielsweise wäre Ihr Tankwart innovativ, wenn er Ihnen den kompletten Tankinhalt berechnet, obwohl Ihr Tank vorher nur halb leer war. SchließNachträgliche Subgrup- lich habe er Ihr Auto ja vollgepenanalysen sind wie tankt! Mithin seien nach Ihrem Tankstopp 100 Prozent mehr im Roulette, bei dem man Tank als vorher. Und wenn man in noch setzen darf, wenn einen Behälter 100 Prozent eindie Kugel bereits gefal- füllt, dann koste das auch 100 Prozent. Für Sie ein Grund, einen len ist. Sagen Sie „Rien kleineren Tank einzubauen? Oder ne va plus!“ aufs Fahrrad umzusteigen? Mit dem Rad wären Sie immerhin 300 Prozent schneller als zu Fuß (20 km/h gegen 5 km/h). Es soll aber auch echte Innovationen geben: Diesen Titel beanspruchen seit geraumer Zeit die sogenannten neuen oder direkten Antikoagulantien (NOAK/DOAK). Mit Verweis auf neuste Studienergebnisse sind die Kernaussagen der zahllosen Meetings, Workshops, Symposien und Fachartikel zu Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) vergleichbar euphorisch. Zum Beispiel Apixaban: Es wirke bei Patienten mit Vorhofflimmern besser und sei dabei sicherer als das bisherige Standardmedikament. In einer Studie habe die Substanz 21 % mehr Schlaganfälle und arterielle Embolien verhindert als Warfarin (sog. primary efficacy-endpoint). Gleichzeitig sei es zu 31 % weniger schweren Blutungen als unter Warfarin gekommen (sog. primary safety-endpoint). So darf man nicht rechnen? Was sagen Sie dann zu folgendem Beispiel: In einer Studie wirkt die Substanz ALT in 11 % aller Fälle, die Substanz NEU wirkt dagegen bei 13 % aller Patienten. Also ist NEU rein rechnerisch 2 % wirksamer als ALT (13 % minus 11 %). Beworben wird Substanz NEU dagegen mit einer um 18 % gesteigerten Wirksamkeit (2 % geteilt durch 11 %)! Damit ist Substanz NEU zumindest die Innovation einer hellwachen Marketingabteilung. Raten Sie mal, was NEU im Vergleich zu ALT kosten wird? 10 KVH aktuell 3|2015 Ein Blick in die Originalarbeit lohnt Ein Blick in die Originalarbeit (ARISTOTLE-Studie) ernüchtert: Dort sind „nur“ die Absolutwerte der Ergebnisdifferenzen angegeben. Immerhin 0,33 % weniger Apoplexe/Embolien und 0,96 % weniger schwere Blutungen (efficacy: 1,57 % - 1,80 % = -0,33 % bzw. safety: 2,75 % - 3,43 % = -0,96 %).1 Was bleibt? Es bleibt unsicher, ob die um 0,33 % beziehungsweise 0,96 % besseren Ergebnisse von Apixaban gegenüber einer sorgfältigen Warfarin-Therapie immer noch statistisch signifikant gewesen wären. Diesen Nachweis bleiben leider auch die RELY-Studie für Dabigatran, die ROCKET-AF-Studie für Rivaroxaban und die ENGAGE-AF-Studie für Edoxaban größtenteils schuldig. Es bleibt deshalb in eigener Pflicht, bei Differenzangaben in Prozent zu prüfen, ob hier absolut oder relativ gerechnet wurde. Relative Prozentangaben (also Prozente von Prozenten) sind manipulativ missbrauchbar: Wir haben den Umgang mit Prozenten verinnerlicht als das Denken in Anteilen vom Ganzen. Intuitiv setzen wir voraus, dass sich jeder daran hält. Werden dagegen zwei Prozentangaben nochmals prozentual miteinander ins Verhältnis gesetzt, ist der Bezugspunkt weg. Kleine Differenzen erscheinen auf diese Weise unverhältnismäßig groß. So verständlich das Interesse eines Herstellers sein mag, die Vorteile einer neuen Substanz nach Jahren teurer Forschung ins beste Licht zu rücken: Werden hierfür Studiendaten missverständlich präsentiert, ist jeder Anspruch auf Wissenschaftlichkeit an der Restaurantgarderobe abgegeben worden. Die Konsequenzen kosten in harmlosen Fällen nur unnötig Geld. Im schlimmsten Fall können sie die Gesundheit derer beeinträchtigen, die mit der bisherigen Standardtherapie vergleichbar oder sogar besser gefahren wären. 쮿 STANDPUNKT Die Menge an zusätzlichen Subgruppenergebnissen braucht nicht zu verwirren: Aussagekräftig sind nur solche Ergebnisse, die vor Studienbeginn im Protokoll2 als Endpunkte definiert wurden. Außerdem müssen bei kombinierten Endpunkten alle einzelnen Signifikanzniveaus ausreichend hoch sein, sonst steigt nämlich die Irrtumswahrscheinlichkeit an (statistisch Kundige können das mit der Faustformel nach Bonferroni schätzen). Es ist also kein Fehler, sich auf die primären Endpunkte zu konzentrieren. Ist Apixaban nun ein Fortschritt gegenüber Warfarin? Das ist schwer zu beurteilen. Der Grund: Die Einstellungsqualität in der Warfarin-Kontrollgruppe (ermittelt als TTR: Time in Therapeutic Range) war mit 66 % schlecht. Sie lag damit 9 % unter dem in Nordeuropa Erreichbaren. Eine schwedische Registerstudie hatte im Jahr 2011 gezeigt, dass unter Alltagsbedingungen eine TTR von 75 % erreichbar ist.3 Konrad Wink: Wie liest und bewertet man eine klinische Studie? Verlag: Schattauer 2006 ISBN: 978-3794525270 Taschenbuch: 72 Seiten, 16,99 Euro Quellen: 1. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJV, et al. Apixaban versus Warfarin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2011; 365: 981–992 2. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJV, et al. Protocol for: Apixaban versus Warfarin in patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2011; 365: 981–992 3. Wieloch M, Själander A, Frykman V, et al. Anticoagulation control in Sweden: reports of time in therapeutic range, major bleeding, and thrombo-embolic complications from the national quality registry Auricula. Eur Heart J. 2011; 32: 2282–2289 ✓ Interessenkonflikte: keine KVH aktuell 3|2015 11 RAUCHERENTWÖHNUNG MIT VARENICLIN (CHAMPIX®) STANDPUNKT Zu welchem Preis? Es sei daran erinnert, dass die sogenannte Kurzintervention beim Arzt durchaus wirkungsvoll sein kann, bei gleichzeitig wohl geringeren Nebenwirkungen. Das Problem der Nikotinsucht sollte in der Arztpraxis nach Möglichkeit, wie ein Medikament, wohldosiert thematisiert werden. PRAXISTIPP Quellen: 1. FDA: http://www.fda.gov/Saf ety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm437415.htm 2. a-t 2012; 43: 59–61 3. Prescire International. 2014 Sep; 34 (368): 423 4. Prescire International. 2012 April; 32 (342): 271 5. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020005p.pdf 6. Batra A. Therapie der Tabakabhängigkeit, Dtsch Ärztebl Int. 2011; (108) 33: 555–64 7. AMB 2015; 49, 46b Angesichts der Nebenwirkungen könnte man darüber spekulieren, ob eine Marktrücknahme nicht sinnvoller wäre. DR. MED. JOACHIM SEFFRIN D ie FDA hat eine Änderung der Beipackinformationen für Vareniclin bestimmt.1 Der Wirkstoff, ein partieller Nikotin-Azetylcholin-RezeptorAgonist, der nach Ansicht des arznei-telegramms® äußerst problembehaftet ist, hat wohl weitere bedenkliche Eigenschaften. Nach Einschätzung der FDA kann der Wirkstoff die Wirkung von Alkohol auf die betroffenen Patienten verstärken („increased intoxicating effects“)1. Zusätzlich soll die Information die Patienten zukünftig darüber informieren und davor warnen, dass durch Champix® das Auftreten von Krampfanfällen möglich ist. Es wird berichtet, dass fast 50 unerwünschte Ereignisse in Zusammenhang mit Alkohol gemeldet wurden, darunter verminderte Alkoholtoleranz, aggressives Verhalten und Amnesie. Die Agentur hat über 60 Ereignisse von Krampfanfällen registriert, wobei die meisten der Betroffenen vorher keine Anfälle hatten. Man muss wie immer von einer Dunkelziffer nicht berichteter Komplikationen ausgehen. Die FDA empfiehlt, dass Patienten die Einnahme des Wirkstoffs beenden sollen, wenn sie einen Krampfanfall erlitten haben, und ihren Arzt konsultieren sollen. Nach den vielfältigen kritischen Berichten über Champix® muss man sich als Arzt ernsthaft fragen, ob der Einsatz dieses Medikaments überhaupt verantwortet werden kann. Nach wie vor muss als hochbedenkliches Nebenwirkungsrisiko das Auftreten von Suizidgedanken benannt werden (bis 2009: 19 bekannt gewordene Suizidfälle)2. Am häufigsten klagen Anwender über Übelkeit, Schlaflosigkeit, abnorme Träume und Kopfschmerzen. Das französische Journal Prescrire3, 4 sieht ebenfalls eine negative Nutzen-Schaden-Bilanz. Auch nach der Einschätzung von Prescrire ist die erwünschte Wirkung eher geringfügig und vorübergehend, während ernsthafte Nebenwirkungen auffällig häufig sein sollen. In Leitlinien und Aufsätzen zur Nikotinentwöhnung findet Vareniclin mit anderen Substanzen Erwähnung, die darauf schließen lassen könnte, dass ein Einsatz gerechtfertigt sein könnte.5, 6 Herstellergesponserte Studien scheinen eine gute Wirkung zu bestätigen,2 doch stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von potenziellem Nutzen und Schaden durch die Behandlung. Falls man überhaupt eine medikamentöse Maßnahme erwägt, empfiehlt Prescrire am ehesten den Einsatz von Nikotinersatzpräparaten. Natürlich steht der Behandlung des Nikotinabusus durch Medikamente die Gefahr unzähliger Komplikationen durch Weiterrauchen gegenüber. Man muss sogar in Rechnung stellen, dass allein der Nikotinverzicht beziehungsweise der Entzug die beschriebenen Depressionen erklären könnte.7 쮿 ✓ Interessenkonflikte: keine FAZIT Weitere Literatur: a-t 2007; 38: 25–7 Journal Watch: http://www.jwatch.org/fw 109959/2015/03/11/fdachantix-carries-potentialalcohol-interaction-and 12 KVH aktuell 3|2015 Man sollte nicht versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Auch ansonsten hochgeschätzte Leitlinien können nur die Daten von Studien wiedergeben. Auch wenn diese herstellergesponsert und deren Daten, wie in früheren Folgen von KVH aktuell be- schrieben, oftmals bereinigt sind. Sowohl Prescrire als auch das arznei-telegramm® und der Arzneimittelbrief stellen ältere Ausgaben kostenlos für jedermann ins Netz. Die Abonnements dieser unabhängigen und werbefreien Journale sind preisgünstig erhältlich. SGLT-2-INHIBITOREN D as Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert über die Einleitung eines europäischen Bewertungsverfahrens zum Risiko diabetischer Ketoazidosen unter Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren.1, 2 Anlass sind über 100 Berichte schwerwiegender Ketoazidosefälle in der europäischen Nebenwirkungsdatenbank EudraVigilance, von denen jedoch mehr als ein Drittel im Zusammenhang mit der Off-Label-Anwendung bei Typ-1-Diabetes aufgetreten ist.2 In der öffentlich zugänglichen Datenbank des BfArM finden sich aus Deutschland drei Fälle von Ketoazidose unter der Behandlung mit SGLT-2-Inhibitoren. Auch die US-amerikanische FDA hat kürzlich über Ketoazidosen im Zusammenhang mit SGLT-2-Inhibitoren informiert.3 SGLT-2-Inhibitoren senken den Blutzuckerspiegel durch Hemmung des Natrium-GlukoseCotransporters 2 (SGLT-2) in den proximalen Nierentubuli, der den Großteil der glomerulär filtrierten Glukose reabsorbiert. SGLT-2-Inhibitoren sind zugelassen zur Behandlung Erwachsener mit Diabetes mellitus Typ 2, wenn Diät und Bewegung den Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren können. Sie können in Mono- und Kombinationstherapie mit anderen Antidiabetika (einschließlich Insulin) angewendet werden. In Deutschland sind derzeit Dapagliflozin und Empagliflozin verfügbar. Die diabetische Ketoazidose kann lebensbedrohlich sein und tritt typischerweise bei Diabetes mellitus Typ 1 auf, in der Regel einhergehend mit massiv erhöhten Blutzuckerwerten. Einige der vorliegenden Fälle wiesen hingegen nur mäßig erhöhte Blutzuckerwerte auf, was zu einer verzögerten Diagnosestellung und Therapie führen kann. Fazit Ärzte sollten bei Symptomen wie Atembeschwerden, Verwirrung, extremem Durstgefühl, Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwindel, ungewöhnlicher Müdigkeit oder Erschöpfung unter Behandlung mit einem SGLT-2-Inhibitor eine Ketoazidose in Erwägung ziehen. Dies gilt auch bei nur mäßig erhöhten Blutzuckerwerten. 쮿 STANDPUNKT Auslöser diabetischer Ketoazidosen? Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers aus der AkdÄ Drug Safety Mail 17-2015 übernommen. AkdÄ Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist ein wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer. Sie informiert unter anderem über aktuelle Arzneimitteltherapien und Fragen der Arzneimittelsicherheit. Diese werden zudem regelmäßig und kostenlos in dem Journal „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP) veröffentlicht. Die AkdÄ veranstaltet auch ärztliche Fortbildungsveranstaltungen. Gemäß ärztlicher Berufsordnung müssen ihr unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) mitgeteilt werden. Quellen: 1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): SGLT2-Hemmer: Einleitung eines europäischen Risikobewertungsverfahrens zur Untersuchung diabetischer Ketoazidosen. Bonn, 16. Juni 2015. 2. European Medicines Agency (EMA): Review of diabetes medicines called SGLT2 inhibitors started. London, 12. Juni 2015. 3. U.S. Food and Drug Administration (FDA): FDA Drug Safety Communication: FDA warns that SGLT2 inhibitors for diabetes may result in a serious condition of too much acid in the blood. Silver Spring, 15. Mai 2015. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bietet unter www.akdae.de einen kostenlosen Newsletter mit Fakten zu neuen Arzneimitteln und Therapieempfehlungen an. Hier kann man auch UAWs melden. kvh.link/1503004 PRAXISTIPP MELDEN SIE NEBENWIRKUNGEN Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Auf der Internetseite der AkdÄ finden Sie einen Berichtsbogen, mit dem die UAWVerdachtsfälle jederzeit auch online (siehe Kurzlink) gemeldet werden können. KVH aktuell 3|2015 13 CSE-HEMMER NACHRICHTEN Seltene Komplikation: IMNM Quelle: Pharm Ztg. 2015; 160 (10): 108 Nach Angaben der European Medicines Agency wurde in sehr seltenen Fällen das Auftreten einer immunvermittelten nekrotisierenden Myopathie (IMNM) unter der Therapie mit CSE-Hemmern (Atorvastatin, Simvastatin, Pravastatin, Fluvastatin, Pitavastatin, Lovastatin) beobachtet. Die Symptome sind proximale Muskelschwäche und erhöhte Serum-Kreatininkinase-Werte, die trotz Absetzen des Statins persistieren. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine IBUPROFEN Warnung vor zu hohen Dosen Unter der Therapie mit Tagesdosen von Ibuprofen über 2.400 mg oder über 1.200 mg Dexibuprofen besteht ein geringfügiges Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse. Es ist vergleichbar mit dem Risiko, das mit der Einnahme von Diclofenac oder COX-2-Inhibitoren verbunden ist. Die hohen Dosen sollten insbesondere bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermieden werden, ebenso bei Rauchern, bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus und hohen Blut-Cholesterol-Werten. Bei Dosen unter 1.200 mg/d Ibuprofen konnte kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet werden. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine Quellen: Pharm. Ztg. 2015; 160 (16): 92 „CHOOSING WISELY“ Die Kampagne ist in Deutschland gestartet Quelle: Rheinisches Ärzteblatt 4/2015 Überflüssige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen können Patienten schädigen (und finanzielle Ressourcen aufbrauchen). In den USA haben sich zahlreiche Fachgesellschaften der Kampagne „Choosing wisely“ angeschlossen und TOP-5-Listen mit Maßnahmen erstellt, bei denen die Nutzen-Evidenz als nicht ausreichend beziehungsweise die Nutzen-Risiko-Relation als nicht akzeptabel eingestuft wird (siehe KVH-Beitrag „Weniger ist mehr“, Heft 4/2011, Seite 4 ff.). In Deutschland hat die AWMF ein Leitlinienvorhaben angekündigt und die DEGAM bereitet eine Zusammenstellung der wichtigsten überflüssigen Maßnahmen und Negativempfehlungen für den hausärztlichen Bereich vor. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine 14 KVH aktuell 3|2015 HORMONERSATZTHERAPIE Risiko für Eierstockkrebs erhöht NACHRICHTEN Eine Hormonersatztherapie (HRT) erhöht das Risiko für ein Ovarialkarzinom um circa 40 Prozent, auch wenn die Frauen das Präparat nur wenige Jahre einnehmen. Dies ist das Ergebnis einer groß angelegten Studie aus England mit circa 21.500 Datensätzen aus 52 epidemiologischen Studien. Dabei gab es keine Unterschiede zwischen Östrogen-Monopräparaten und Östrogen-GestagenKombinationen. Ein Ovarialkarzinom gehört zu den aggressivsten Tumoren, ist die zweithäufigste bösartige Erkrankung der weiblichen Geschlechtsorgane und wird erst spät entdeckt, da lange Zeit keine Symptome auftreten. Nach einer neuen Studie hat jede zweite Frau über sieben und mehr Jahre ausgeprägte vasomotorische Symptome. Es wird Zeit, nach alternativen Therapiekonzepten zu forschen.■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine Quelle: Pharm. Ztg. 2015;160 (8): 30 KVH-KOMMENTAR Die Wechseljahre (Klimakterium) machen oft keine Therapie erforderlich. Es gibt Angaben darüber, dass etwa ein Drittel der Frauen keine Wechseljahresbeschwerden hat, und ein weiteres Drittel verspürt nur leichte Beschwerden, ohne Notwendigkeit einer Behandlung. Hormone sind in der geringstmöglichen Dosis für die kürzestmögliche Dauer zu substituieren. Die Hormonsubstitution sollte nur so lange er- folgen, wie Mangelbeschwerden bestehen (durchschnittlich 2–5 Jahre), da mit zunehmender Dauer unter der Hormonbehandlung das Risiko für z. B. die Entwicklung von Brustkrebs steigt. Es kann empfohlen werden, jährlich ein drei- bis vierwöchiges einnahmefreies Intervall einzulegen, sodass die Frau merkt, ob eine weitere Therapie noch notwendig ist. KLAUS HOLLMANN PRIMÄRPRÄVENTION MIT ASS Individuelle Risiken berücksichtigen Während der Einsatz von ASS zur Sekundärprävention bereits Routine ist, streiten die Gelehrten weiter, ob die Gabe von ASS in der Primärprävention sinnvoll ist. Erst kürzlich wurde eine japanische Studie abgebrochen, weil kein signifikant besseres Abschneiden einer der beiden Gruppen absehbar war. Es nahmen 15.000 Männer und Frauen zwischen 60 und 85 Jahren teil, eine Gruppe erhielt 100 mg ASS/d. Primäre Studienendpunkte waren tödliche und nicht tödliche Herzinfarkte sowie ischämische oder hämorrhagische Insulte. Sekundäre Studienendpunkte waren extrakranielle Blutungen, die eine Blutinfusion und/oder eine Klinikeinweisung erforderten. In beiden Gruppen waren nur marginale Unterschiede festzustellen. Eine Arbeitsgruppe der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt ein pragmatischeres Vorgehen bei der Primärprävention mit ASS. Eine Therapie sollte sich am individuellen kardiovaskulären Risiko orientieren und das individuelle Blutungsrisiko berücksichtigen. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine Quelle: Pharm Ztg. 2014; 159 (48): 24–26 KVH aktuell 3|2015 15 KODEIN NACHRICHTEN Nicht für Kinder unter 12 Jahren Quelle: Pharm. Ztg. 2015; 160 (18): 104 Eine weitere europäische Organisation, die Coordination Group for Mutal Recognition and Decentralised Procedures (CMDH), hat sich für Einschränkungen der Anwendung von Kodein bei Kindern ausgesprochen. Bei Husten und Erkältungskrankheiten ist: • Kodein kontraindiziert bei Kindern unter 12 Jahren, bei stillenden Frauen und bekannten ultraschnellen CYP2D6-Metabolisierern, • Kodein nicht empfohlen bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre bei vorhandener Einschränkung der Atemfunktion. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine VERORDNUNGSEINSCHRÄNKUNG: ANTITUSSIVA Nach § 34 Sozialgesetzbuch V sind für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, auch die verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten und grippalen Infekten von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Dies schließt die bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel, hustendämpfenden und hustenlösenden Mittel ein. Kodein und andere verschreibungspflichtige Antitussiva können bei Erkältungserkran- kungen nur bis zum 18. Geburtstag zulasten der GKV verordnet werden. Nach dem 18. Geburtstag kann die Verordnung solcher Präparate nur bei schwerwiegenden Erkrankungen, wie z. B. bei tumorinduziertem Husten, zu Kassenlasten erfolgen. Auch die Kombination von Kodein mit Paracetamol in der Schmerztherapie sollte aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials nur in Ausnahmefällen zu Kassenlasten erfolgen. KLAUS HOLLMANN METHADON Long-QT-Syndrom Quelle: Notarzt 2015; 2: 93–4 16 KVH aktuell 3|2015 Methadon zur Substitutionstherapie bei Suchtkranken kann hoch dosiert werden, birgt allerdings die Gefahr eines Kammerflimmerns. Ein 33Jähriger musste innerhalb von 36 Stunden viermal defibrilliert werden, da er sich weigerte, zugunsten eines anderen Substitutionsmittels (z. B. Buprenorphin) auf Methadon (220 mg/d) und Diazepam (50 mg/d) zu verzichten. Aufgrund der permanenten Gefahr eines plötzlichen Herztods wurde eine Implantation eines permanenten Defibrillators durchgeführt und die Dosis von Methadon leicht reduziert. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine ANÄMIE-SPECIAL TRANSFUSIONSMEDIZIN Richtig handeln bei präoperativer Anämie Häufige Anämieformen und ihre adäquate Behandlung durch Transfusionen, Eisensubstitution und blutsparende Maßnahmen wie das Konzept des Patienten-Blutmanagements (PBM). PROFESSOR DR. MED. PATRICK MEYBOHM1, DR. MED. CHRISTOF GEISEN2, DR. MED. MARKUS M. MÜLLER2, PROFESSOR DR. DR. MED. KAI ZACHAROWSKI1 1 2 Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen gemeinnützige GmbH, Frankfurt am Main KVH aktuell 3|2015 I D ANÄMIE-SPECIAL ie gängige Praxis der Erythrozytenkonzentrat(EK)-Transfusion weist weltweit eine sehr hohe Variabilität auf. Deutschland liegt mit derzeit etwa 50 transfundierten EK pro 1.000 Einwohner an der Spitze in Europa und weltweit (im Vergleich: Australien 36; Niederlande 34; Norwegen 42; Großbritannien 36; Schweiz 41).1, 2 Blutkonserven selbst werden zukünftig aber aufgrund medizinischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen zu einer zunehmend knappen Ressource. Einen vielversprechenden Lösungsansatz stellt das multidisziplinäre Konzept des Patienten-Blutmanagements dar (engl. Patient Blood Management, PBM), dessen Umsetzung seit 2011 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefordert wird.3 PBM ist ein Evidenz-basierter, multidisziplinärer Ansatz, um die Behandlung von Patienten zu optimieren, die gegebenenfalls eine Bluttransfusion benötigen. PBM wurde bereits erfolgreich in verschiedenen Kliniken in Europa (Osterreich4, Schweiz5, 6, England7) sowie Australien8 und den USA9 implementiert. Aktuelle Analysen unter- streichen die Verbesserung des gesundheitlichen Outcomes der Patienten nach Einführung eines umfassenden PBM-Konzepts und zeigen zudem teilweise eine Reduktion der Behandlungskosten.10–12 Auf Initiative der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen, Frankfurt am Main) wurde im Jahr 2013 PBM an den Universitätskliniken Frankfurt, Bonn, Schleswig-Holstein (Campus Kiel) und Münster, von einer epidemiologischen Studie begleitet, implementiert.13 In den vergangenen Monaten haben sich zahlreiche deutsche Kliniken dieser Initiative angeschlossen und bereits die Implementierung von PBM gestartet oder werden dies in naher Zukunft tun.14 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden PBM auszugsweise mit seinen wichtigsten Komponenten Anämie, blutsparende Maßnahmen sowie Transfusionstrigger vorgestellt. Verbrauch Erythrozytenkonzentrate – Spitzenreiter Deutschland Transfundierte EK pro 1.000 Einwohner im europäischen Vergleich: Deutschland Norwegen Schweiz Großbritannien Niederlande 50 42 41 36 34 1. Diagnose einer präoperativ therapierbaren Anämie 1.1. Prävalenz und Relevanz Entsprechend den Kriterien der WHO besteht eine Anämie dann, wenn der Hämoglobinwert bei Frauen unter 12 g/dl und bei Männern unter 13 g/dl liegt. Die Prävalenz der Anämie ist mit circa zwei Milliarden weltweit betroffenen Menschen sehr hoch, wobei die Hauptursache ein Eisenmangel ist.15 Im Bereich der Chirurgie berichteten Musallam et al. in einer Gesamtkohorte von 227.425 stationären Patienten aus den USA von einer Prävalenz der präoperativen Anämie von 30 %.16 Ähnliche Zahlen zeigten sich in der retrospektiven Analyse mit 39.309 chirurgischen Patienten aus 28 europäischen Ländern. Die Anämieprävalenz präoperativ betrug 31 % bei Männern sowie 27 % bei Frauen.17 Im operativen Bereich ist die prä- II KVH aktuell 3|2015 operative Anämie einer der stärksten Prädiktoren für die Gabe von EK während oder nach einer Operation. Darüber hinaus ist eine präoperative Anämie aber auch als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von postoperativen Komplikationen und einer erhöhten postoperativen Sterblichkeit einzustufen.16 So zeigte die Analyse von Musallam et al.16, dass Patienten mit einer präoperativen Anämie eine 30-Tage-Sterblichkeit von 10 % aufwiesen, verglichen mit einer Mortalität von 0,8 % bei nichtanämischen Patienten. Loor und Kollegen untersuchten das Überleben bei herzchirurgischen Patienten in Abhängigkeit vom Vorhandensein einer präoperativen Anämie sowie von perioperativen EK-Transfusionen bei 9.144 herzchirurgischen Patienten und kamen zu dem Schluss, dass nicht nur die präoperative Anämie mit einer Erhöhung der Sterblichkeit assoziiert war, sondern auch die Gabe von EK die Sterblich- 1.2. Ursachen der Anämie Anämien können angeboren (z. B. bei Hämoglobinopathien) oder erworben (z. B. chronische Blutverluste, Mangelernährung, Hämolysen, Erkrankungen der Blutbildung, Niereninsuffizienz, Toxine, Parasiten, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Malignome) sein. Im klinischen Alltag hat sich die in der Abbildung dargestellte vereinfachte Einteilung der Anämieformen bewährt.22–23 ANÄMIE-SPECIAL keit zusätzlich negativ beeinflussen könnte.18 Aus all diesen Gründen sind alternative Behandlungsmöglichkeiten bei präoperativer Anämie nicht nur wünschenswert, sondern erforderlich.19–20 Nicht dringliche Eingriffe sollten im Einzelfall sogar verschoben werden, wenn die Anämieabklärung und Anämietherapie eine zeitnahe Korrektur des zu niedrigen Hämoglobinwerts noch vor der Operation ermöglichen würde.21 URSACHEN EINER PRÄOPERATIVEN ANÄMIE (VEREINFACHTE DARSTELLUNG)19, 24 EISENMANGELANÄMIE (ca. 40–50%) IDA (iron defiency anemia) SELTENE FORMEN (ca. 5%) unklare Anämie, Mangel von Vitamin B12/Folsäure, genetische Mutation ANÄMIE DER CHRONISCHEN ERKRANKUNGEN (ca. 40%) ACD (anemia of chronic desease) Chronische Entzündungen, Tumorerkrankungen, Autoimmunerkrankungen, chronische Niereninsuffizienz PRÄOPERATIVE ANÄMIE Zu den Ursachen der Eisenmangelanämie gehören wiederum:23 쐍 erhöhter Eisenbedarf (z. B. bei Schwangeren, Blutspendern, Leistungssportlern) 쐍 Mangelernährung (Vegetarier, Veganer) 쐍 Störung der enteralen Eisenresorption (Zöliakie, Helicobacter-pylori-Gastritis, Z. n. Gastrektomie, duodenaler Bypass, Magenbypass, atrophische Gastritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankung, genetische Faktoren) 쐍 chronischer Blutverlust im Magen-Darm-Trakt (Angiodysplasien, Neoplasien, Ulcus, Divertikel, Hämorrhoiden, Darmwurm) 쐍 chronischer Blutverlust urogenital (Menorrhagie) 쐍 Medikamenten-assoziiert (Antazida, NSAR, Aspirin) 쐍 chronische Niereninsuffizienz und/oder Gabe von Erythropoese-stimulierenden Agenzien 쐍 chronische Herzinsuffizienz (Resorption reduziert und Inflammation) 쐍 Adipositas (chronische Inflammation) 쐍 geriatrische Patienten (multifaktoriell: Ernährung, Begleiterkrankungen, Begleitmedikamente etc.) KVH aktuell 3|2015 III 1.3. Präoperative Diagnostik ANÄMIE-SPECIAL In der Anämieerkennung gehen Anamnese, klinisches Bild, klinische und medizinisch-chemische Untersuchungen Hand in Hand. Das klinische Bild einer Anämie wird von Betroffenen – je nach zugrunde liegender Erkrankungsform – oft (wenn überhaupt!) nur sehr zeitverzögert wahrgenommen oder verdrängt. Daran angeschlossen sind gezielte Fragestellungen abzuklären: 쐍 Vorerkrankungen: Niere, Leber, Endokrinopathien, Infektionen, Operationen, Malignome 쐍 Blutungen (auffällige Menstruation, Melaena, Hämatemesis, Hämoptyse, Hämaturie) 쐍 Diätauffälligkeiten, Alkoholabusus, Medikamente, Drogen 쐍 Blutspenden, Bluttransfusionen 쐍 ungewollter, nicht erklärbarer Gewichtsverlust In der Leitlinie Eisenmangelanämie finden Sie wichtige Informationen zur Behandlung der häufigsten Anämieformen mit Eisenpräparaten. kvh.link/1503001 PRAXISTIPP IV KVH aktuell 3|2015 쐍 Retikulozyten-Hämoglobin < 27 pg 쐍 löslicher Transferrinrezeptor (sTfR) erhöht (> 1,75 mg/dl mit Dade-Behring-Test; > 5mg/dl mit Roche-Test) Bei (unklaren) Mischformen von Eisenmangelanämie und/oder Anämie der chronischen Erkrankungen kann ergänzend der Thomas-Plot als diagnostisches Diagramm mit Informationen zum Ferritinindex und Hämoglobingehalt der Retikulozyten hinzugezogen werden.25 Lässt sich präoperativ keine (einfach und schnell) korrigierbare Form der Anämie (z. B. Eisenmangel) detektieren, sollte nach erfolgreicher Operation die eigentliche Ursache der Anämie differenzialdiagnostisch durch den Hausarzt/Internisten weiter abgeklärt werden. 1.4. Präoperative Therapie einer Anämie Laboruntersuchungen sind eine wesentliche Ergän- Eine präoperative Anämietherapie verfolgt vor zung zur Anamnese und einem sorgfältig erhobe- allem das Ziel, die Operation mit einem höheren nen klinischen Befund. Sie umfassen – bei stufen- Ausgangshämoglobinwert zu starten, um so (unweiser Abarbeitung – Blutbild, Parameter des Ei- nötige) Transfusionen von EK zu reduzieren. Insofern muss sich ein Anämietherasenstoffwechsels (Ferritin, TransDie Bluttransfusion piekonzept im präoperativen ferrinsättigung), Nierenwerte (Kreatinin), Vitamin B12 und zur symptomatischen Bereich insbesondere auf kurzfristig therapierbare AnämieurFolsäure-Spiegel, immunhämaKorrektur des sachen sowie auf Patienten mit tologische Gegebenheiten (diniedrigen Hämoeiner relevanten Transfusionsrekter und indirekter Coombswahrscheinlichkeit beim geplanTest mit Suche nach gegen eryglobinwerts ist ten Eingriff (z. B. große Tumorthrozytäre Oberflächenmerkimmer nur eine von chirurgie, Herzchirurgie, Endomale gerichteten Antikörpern) mehreren – und prothetik) fokussieren. bis hin zur KnochenmarkspunkIn einer englischen Studie tion als diagnostische Ultima dabei die letzte – konnte in enger ZusammenarRatio. Nicht alle diese UntersuTherapieoptionen. beit mit den jeweils behandelnchungen können präoperativ durchgeführt werden. Patienten mit einer prä- den Hausärzten durch eine präoperative Anämieoperativen Anämie weisen häufig einen Eisen- korrektur die Inzidenz einer Anämie am OP-Tag mangel und keine schwerwiegende hämatologi- von 26 % auf 10 % sowie das Risiko für eine intrasche Grunderkrankung auf, sodass bei einem operative Fremdbluttransfusion um mehr als die Großteil der Patienten präoperativ durch eine Hälfte von 26 % auf 13 % gesenkt werden.7 (einfache) Maßnahme der Hämoglobinwert, zuIm deutschen Alltag werden die Trennung von mindest teilweise, korrigiert werden kann. ambulanter und stationärer Versorgung, die potenzielle zeitliche Verschiebung des operativen Für die Diagnostik der Eisenmangelanämie Eingriffs sowie die Kosten der Therapie, z. B. einer reichen bei dem Großteil der Patienten meist intravenösen Eisentherapie mit Kosten pro wenige Laborparameter: Patient von circa 100–130 EUR, häufig als Argumente gegen die präoperative Behandlung der 쐍 Serum-Ferritin < 30 ng/ml (cave: bei Entzündung/Infektion, Autoimmunerkrankung, hepato- Anämie in die Diskussion geführt. Ehrlich gesagt zellulärer Erkrankung, Alkoholismus, Hypothyist die Frage noch nicht endgültig geklärt, wer im reose ist Ferritin ein schlechter Indikator bzw. deutschen Gesundheitswesen für eine optimale müssen höhere Triggerwerte von Ferritin Vorbereitung des Patienten vor der Operation < 100 ng/ml angewandt werden) medizinisch verantwortlich ist und wer die Kosten dieser potenziellen Therapie tragen muss – der 쐍 Serum-Transferrinsättigung < 16–20 % Hausarzt, der einweisende Arzt, der Chirurg, der 쐍 Blutbild: MCH < 27 pg und/oder MCV < 80 fl Anästhesist/Intensivmediziner oder das Kranken(hypochrome, mikrozytäre Anämie) 1.5. Die Behandlung mit Eisen Eine Bluttransfusion hat bei elektiven Eingriffen und vorliegendem Eisenmangel im präoperativen Zeitfenster keine Anwendungsberechtigung. Das gilt besonders dann, wenn sie möglicherweise nur zur Sicherung des Terminplans auf dem Operationskalender herhalten muss! Im Fall einer behandelbaren Anämieform (z. B. Eisenmangelanämie) ist es besonders wichtig, ein Therapieintervall von idealerweise vier Wochen einzuplanen, um den Behandlungserfolg dem Patienten für die geplante Operation zugutekommen zu lassen. Ein Behandlungsversuch mit oraler Eisenpräparate-Gabe, wie sie in der Leitlinie „Eisenmangel und Eisenmangelanämie“ der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie empfohlen wird, sollte nur im Einzelfall und bei einem Zeitfenster von drei bis sechs Monaten Wartezeit bis zur Operation versucht werden. In der Regel müssen Patienten mit einer präoperativen Anämie aber innerhalb von 5–20 Tagen operiert werden, sodass die Zeit für eine orale Therapie absolut unzureichend ist. Ferner können Patienten, die eine Anämie der chronischen Erkrankung aufweisen, aufgrund einer gestörten systemischen Eisenhomöostase kein oral verabreichtes Eisen absorbieren. Aus den genannten Gründen rücken parenterale Eisensubstitutionspräparate zunehmend in den Fokus der prä- und perioperativen Eisenmangelanämiebehandlung. Sie unterscheiden sich u. a. durch ihre Komplexstabilität voneinander. Geringe Komplexstabilität führt hierbei zu vermehrter Freisetzung von Eisenionen in der Blutbahn, bevor der Komplex von den Makrophagen des mononukleären Phagozyten-Systems vor allem in Leber und Milz phagozytiert werden kann. Solche freien Eisenionen im Blut können die Transportkapazität von Transferrin übersteigen und zu oxidativem Stress, Blutdruckabfall und Endothelschäden führen. Aus diesem Grund werden für die präoperative Behandlung aktuell komplexstabile Eisenpräparate mit einer verzögerten Freisetzung, wie z. B. Eisen(III)-Carboxymaltose oder Eisen(III)-Isomaltosid, empfohlen, die das niedrigste Nebenwirkungspotenzial zeigen und in der Regel nur einmalig appliziert werden müssen.23 1.6. Andere Anämietherapien Erythropoiese-stimulierende Agentien wie Erythropoietin haben eine Zulassung für die Behandlung renaler Anämien mit einem nachweisbaren Erythropoietin-Mangel (Fachinfo). Inwieweit auch bei anderen Anämieformen der Einsatz von Erythropoietin gerechtfertigt ist, ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.26–28 Zu beachten ist ferner, dass für viele Erythropoiese-stimulierende Agentien in Deutschland im präoperativen Setting lediglich eine Zulassung bei erwachsenen Patienten ohne Eisenmangel vor großen orthopädischen Eingriffen besteht. Und das auch nur, wenn diese mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für Transfusionen sowie gleichzeitig erwartbarem hohem Blutverlust, trotz Anwendung fremdblutsparender Maßnahmen, vergesellschaftet sind. Bei allen anderen präoperativen Anämietherapien wäre der Einsatz „off-label“. Hinzu kommt, dass natürlich auch der Einsatz von Erythropoiese-stimulierenden Agentien nicht nebenwirkungsfrei ist. Viele Tumorzellen tragen auf ihrer Oberfläche ErythropoietinRezeptoren, die das Wachstum dieser Tumorzellen anregen könnten. ANÄMIE-SPECIAL haus? Neben den Kosten- und Budgetaspekten lohnt sich die präoperative Anämiebehandlung im Vergleich zur Fremdbluttransfusion vor allem für den Patienten selbst (weniger Transfusions-assoziierte Risiken und Nebenwirkungen, bessere Heilungsverläufe) und die Allgemeinheit (Blutkonservenknappheit, schnellere Rehabilitation). 2. Blutsparende Maßnahmen 2.1. Minimierung der iatrogenen Blutverluste Perioperative Blutentnahmen und interventionelle Prozeduren können eine iatrogene Anämie zur Folge haben.29 So kann z. B. bei intensivpflichtigen Patienten einzig durch Blutlaborkontrollen ein wöchentlicher Blutverlust von bis zu 500 ml auftreten.30 Eine aktuelle Hochrechnung gibt allein für die westliche Welt unter Berücksichtigung der aktuellen Standards von Laborblutentnahmen einen jährlichen Verlust von 25 Millionen Litern Blut an, der unweigerlich zur Hospitalaquired Anaemia führt.31 Durch Verkleinerung der Blutentnahmeröhrchen sowie tägliche strenge Indikationsstellung können die Abnahmemengen und unnötige Blutverluste deutlich reduziert werden, ohne dass die diagnostische Qualität leidet.32 KVH aktuell 3|2015 V 2.2. Maschinelle Autotransfusion (MAT) ANÄMIE-SPECIAL Technische Hilfsmittel wie die maschinelle Autotransfusion spielen sowohl intra- als auch postoperativ eine große Rolle. Ab einem geschätzten intraoperativen Blutverlust von 700–1.000 ml wird die Aufbereitung von Wundblut als sinnvoll erachtet und reduziert nachweislich den Verbrauch an Fremdblutkonserven.33 Ebenso kann der Einsatz von MAT auch bei Tumorpatienten nach vorheriger Bestrahlung des Wundbluts34 oder durch den Einsatz von speziellen leukozytendepletierenden Filtern35 erwogen werden. 2.3. Gerinnungsmanagement Hier finden Sie die Querschnitts-Leitlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, 4. überarbeitete und aktualisierte Auflage 2014. kvh.link/1503002 INFO VI KVH aktuell 3|2015 Eine sorgfältige präoperative Gerinnungsanamnese mit Dokumentation aller gerinnungsbeeinflussenden Medikamente des Patienten sowie gegebenenfalls rechtzeitiges Absetzen von Gerinnungshemmern oder Überbrücken („bridging“) nicht absetzbarer Gerinnungshemmer helfen dabei, perioperative unnötige Blutverluste zu minimieren. Die adäquate und sorgfältige chirurgische Blutstillung ist elementar für die Prophylaxe und die effiziente Therapie perioperativer Blutungen. Daneben sind physiologische Rahmenbedingungen wie pH-Wert > 7,1, ionisiertes Calcium > 1,2 mmol/l und eine Körperkerntemperatur > 36 °C Basisvoraussetzungen für eine optimale Blutgerinnung (Hämostase).36 Bei dem geringsten Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse sollte eine medikamentöse antihyperfibrinolytische Therapie, beispielsweise mit Tranexamsäure, gestartet werden.37 Aber auch die zellulär vermittelte (primäre) Hämostase kann beispielsweise mittels Vasopressinanaloga (Desmopressin) verbessert werden.38 Auf diese Basistherapie muss jedwede weitere Therapie aufbauen, wobei insbesondere die Algorithmus-basierte Therapie blutender Patienten ein effektives und ökonomisches Management erlaubt. Primäres Ziel bei einer Koagulopathie muss die kausale Therapie der Ursache und nicht die symptomatische Therapie mittels Fremdblutersatz sein. 3. Variabilität der Transfusionspraxis und transfusionsassoziierte Immunmodulation Die Transfusionspraxis insbesondere hinsichtlich der Verabreichung von EK ist in verschiedenen Ländern und Krankenhäusern äußerst variabel, was die Schlussfolgerungen zulässt, dass Unsicherheit hinsichtlich der adäquaten Indikationsstellung besteht und dass allogene Blutprodukte transfundiert werden, die ggf. nicht benötigt werden.2, 39 Diese große Variabilität in der gängigen Transfusionspraxis ist umso überraschender, da in Deutschland klare Empfehlungen für den Umgang mit Blutprodukten durch die Querschnitts-Leitlinien der Bundesärztekammer ausgesprochen wurden.34 Diese empfehlen die Berücksichtigung der Kriterien Hämoglobin-Konzentration, Kompensationsfähigkeit und Risikofaktoren des Patienten. Immunologisch vermittelte Risiken Dazu gehören: 쐍 allergische Transfusionsreaktion 쐍 febrile nicht-hämolytische Transfusionsreaktion 쐍 transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz 쐍 hämolytische Transfusionsreaktion 쐍 transfusionsassoziierte Graft-versus-HostErkrankung 쐍 transfusionsassoziierte Immunmodulation Hinsichtlich potenzieller Risiken von EK sind transfusionsassoziierte Übertragungen von Bakterien, Viren, Parasiten oder Prionen sowie nicht immunologisch vermittelte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z. B. transfusionsassoziierte Volumenüberladung, Hypothermie, Hyperkaliämie, Zitrat-Überladung, Transfusionshämosiderose) bekannt.40 Zudem stellt die Transfusion von zellulären Blutpräparaten als „Transplantation des flüssigen Organs Blut“ trotz Blutgruppenkompatibilität eine immunologische Herausforderung für den Empfängerorganismus dar. Welche Langzeitbedeutung der transfusionsassoziierten Immunmodulation zukommt, ist derzeit Gegenstand klinischer Untersuchungen. ANÄMIE-SPECIAL Basierend auf den Ergebnissen bisheriger retro- lon-Karzinom-Patienten ein erhöhtes Risiko von spektiver Studien könnte eine liberale Indikati- Tumorrezidiven bereits nach intraoperativer onsstellung von EK-Transfusionen allerdings mit Transfusion von ein bis zwei Erythrozytenkonzeneinem erhöhten Risiko an nosokomialen Infektio- traten beschrieben (Odds Ratio für Rezidiv, Metasnen41 und höherer Morbidität18, 42, 43 assoziiert tasen, Tod: 1,66 (95-%-KI 1,41–1,97).46 sein. Pathogenetisch ist ein multifaktorielles Die bisher größte Observationsstudie wurde im Geschehen anzunehmen. Eine Juni 2015 im British Medical ErythrozytenRolle spielen vermutlich LageJournal basierend auf einer Porungsschäden der Erythrozykonzentrate sollten pulationsanalyse mit mehr als tenkonzentrate, denn während 1,5 Millionen chirurgischen Pawie andere der Lagerung kommt es zu tienten pubiziert.47 Bereits die Medikamente mit metabolischen, biomechaniGabe von einem einzigen EK war schen und oxidativen Veränderim Vergleich zu Patienten ohne einem relevanten ungen.44 Beispielsweise steigt EK auch nach Korrektur und AdNebenwirkungsjustierung für bekannte Condas Laktat, die Verformbarkeit spektrum ausfounder mit einem doppelt so nimmt ab und es kommt zu hohen Risiko für einen periopeHämolyse, wodurch Hämogloschließlich rational rativen Schlaganfall oder neuen bin freigesetzt wird. Freies und medizinisch Herzinfarkt assoziiert (Odds Ratio Hämoglobin wiederum verindiziert verabreicht 2,33, 95-%-KI 1,90–2,86). Ob braucht Stickstoffmonoxid, was der oben beschriebene Zusamin Vasokonstriktion und der werden. menhang zwischen Transfusion Entstehung reaktiver Sauerstoffspezies resultiert. Die geringere Verfügbar- und Komplikation kausal sein könnte, ist derzeit keit von Stickstoffmonoxid aktiviert überdies die Gegenstand klinischer Untersuchungen. Beispielsweise konnte durch die Nutzung Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten. Zusätzlich sind zahlreiche immunmodulatorische eines EDV-gestützten Anforderungssystems für Effekte der Fremdbluttransfusion beschrieben, allogene EK mit einem leitlinienbasiert programdie vermutlich ein „malignomfreundliches“ Mi- mierten Entscheidungsalgorithmus und Dokulieu bewirken könnten.45 Die Immunantwort von mentation des jeweiligen Transfusionstriggers in Natural-Killer-Zellen, Makrophagen und TH1- Stanford (USA) der Anteil an nicht leitlinienkonZellen wird zugunsten einer TH2-Zellantwort ver- formen Erythozytengaben zwischen 2009 und schoben, was die Ergebnisse von Acheson et al. 2012 von 66 % auf unter 30 % aller Transerklären könnte, die in einer Meta-Analyse von fusionen gesenkt und die Gesamtmenge an EK 55 Studien an 20.795 hemikolektomierten Ko- um 24 % reduziert werden.9 FAZIT Das Hauptaugenmerk eines multimodalen PBM liegt darauf, patienteneigene Ressourcen zu schonen und zu stärken. Dies kann durch die Erkennung und Therapie einer präoperativen Anämie mit Anhebung des Hämoglobinwerts, akribische Minimierung des perioperativen Blutverlusts, restriktive diagnos- tische Blutentnahmen, evidenzbasierte Gerinnungs- und Hämotherapiekonzepte sowie leitliniengerechte rationale Indikationsstellung von EK erreicht werden. Die Auswirkungen eines PBM-Konzepts an deutschen Kliniken werden aktuell wissenschaftlich multizentrisch untersucht.13 KVH aktuell 3|2015 VII Literatur: ANÄMIE-SPECIAL 1. Hofmann A, Ozawa S, Farrugia A, Farmer SL, Shander A: Economic considerations on transfusion medicine and patient blood management. Best Pract Res Clin Anaesthesiol 2013; 27: 59-68. 2. Van Der Poel CL, Janssen MP, Behr-Gross ME: The collection, testing and use of blood and blood components in Europe: 2008 Report. https://www.edqm.eu/en/blood-transfusion-reports70.html (last accessed on 20.12.2014. 3. World Health Organization (WHO): The World Health Assembly. 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Ein wichtiger Aspekt seines Beitrags ist die Therapie der Anämie mit Eisen: Ist bei einem elektiven Eingriff der Zeitraum für die orale Substitution nicht gegeben, kann eine parenterale Substitution zulasten der Krankenkasse indiziert sein. Bei einer geplanten OP mit vitaler Indikation, die keinen Aufschub duldet (Beispiel: BypassOP), ist die i.-v.-Eisensubstitution gerechtfertigt, wenn die Risiken bei Anämie größer sind als die Nebenwirkungen der i.-v.-Gabe. Es sollte dagegen niemals eine i.-v.-Substitution versucht werden, wenn bei der OP kein Zeitdruck besteht (Beispiel: Gelenkersatz) – auch nicht aus logisti- schen Gründen (OP-Planung/Kapazität). Wie Klaus Hollmann in dem nachfolgenden Beitrag darüber hinaus ausführt, sind in den Fachinformationen genaue Durchführungsbestimmungen vorgegeben. Auch wenn die Allergiequote nach Gysling* mit 0,6 pro 1 Million Einzeldosen niedrig erscheint, sollten diese Maßnahmen immer erfolgen. Es ist zum Beispiel durchaus denkbar, dass ein Hausarzt zwar ein Eisenpräparat verordnet, dieses dann aber in der behandelnden Klinik verabreicht wird. Im Vordergrund steht dabei immer die Reduktion der operativen Komplikationen, die durch Anämien verursacht werden können. DR. MED. JOACHIM FESSLER *Gysling. pharma-kritik, Jahrgang 28, Nr. 17/2006 S. 66 KVH aktuell 3|2015 IX ANÄMIE-SPECIAL Umgang mit komplexstabilen Eisenpräparaten Beispiele für häufig verwendete Präparate KLAUS HOLLMANN Präparate Wirkstoff Preis pro Dosis Ferinject® 50 mg/ml, 10 ml Eisen(III)-Carboxymaltose 190,36 Euro Monofer® 100mg/ml, 5 ml Eisen(III)-Isomaltosid 142,76 Euro Anwendungsgebiete (Indikationen) Ferinject®: Zur Behandlung von Eisenmangelzuständen, wenn orale Eisenpräparate unwirksam sind oder nicht angewendet werden können. Die Diagnose muss durch geeignete Laboruntersuchungen bestätigt sein. Hinweis: 1 ml Lösung enthält 50 mg elementares, dreiwertiges Eisen als Eisencarboxymaltose. Die 2-ml-Durchstechflasche enthält 100 mg, die 10-ml-Durchstechflasche 500 mg und die 20-ml-Durchstechflasche 1.000 mg elementares, dreiwertiges Eisen als Eisencarboxymaltose. 1 ml unverdünnte Lösung enthält bis zu 0,24 mmol (5,5 mg) Natrium. Dies ist zu berücksichtigen bei Personen unter Natrium-kontrollierter (natriumarmer/kochsalzarmer) Diät. Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen: 쐍 Während und nach jeder Anwendung des Arzneimittels müssen die Patienten sorgfältig auf Anzeichen oder Symptome von Überempfindlichkeitsreaktionen überwacht werden. 쐍 Das Arzneimittel sollte nur angewendet werden, wenn in der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer Reaktionen geschulte Fachkräfte unverzüglich verfügbar sind und die kardiopulmonale Reanimation durch eine entsprechende Ausrüstung sichergestellt ist. X KVH aktuell 3|2015 쐍 Der Patient sollte für mindestens eine halbe Stunde nach jeder Eiseninjektion von speziell geschultem Fachpersonal hinsichtlich des Auftretens von Nebenwirkungen beobachtet werden. 쐍 Wenn während der Behandlung Überempfindlichkeitsreaktionen oder Anzeichen einer Unverträglichkeit auftreten, muss die Behandlung sofort abgebrochen werden. Eine Ausrüstung zur kardiopulmonalen Reanimation sowie zur Behandlung einer akuten anphylaktischen bzw. anaphylaktoiden Reaktion sollte verfügbar sein, einschließlich einer injizierbaren 1:1.000-Adrenalinlösung. Falls erforderlich, sollte eine zusätzliche Behandlung mit Antihistaminika und/oder Kortikosteroiden erfolgen. Anwendungsgebiete (Indikationen) Monofer®: Zur Behandlung einer Eisenmangelanämie in den folgenden Situationen: 쐍 wenn orale Eisenpräparate nicht wirksam sind oder nicht angewendet werden können, 쐍 wenn klinisch die Notwendigkeit besteht, schnell Eisen zuzuführen. 쐍 Intravenöse Bolusinjektion: Das Arzneimittel kann bis zu dreimal wöchentlich als intravenöse Bolusinjektion mit bis zu 500 mg verabreicht werden. Dabei beträgt die Verabreichungsgeschwindigkeit bis zu 50 mg Eisen/Minute. Das Präparat kann unverdünnt oder in maximal 20 ml steriler 0,9-%-Natriumchloridlösung verdünnt verabreicht werden. 쐍 Intravenöse Tropfinfusion: Die benötigte kumulative Eisendosis kann im Rahmen einer einzigen Eiseninfusion mit bis zu 20 mg Eisen/kg Körpergewicht verabreicht werden oder in Einzeldosen mit wöchentlichem Abstand, bis die kumulative Eisendosis erreicht ist. Wenn die kumulative Dosis an Eisen 20 mg Eisen/kg Körpergewicht übersteigt, muss die Dosis auf zwei Infusionen aufgeteilt werden, zwischen denen ein Abstand von mindestens einer Woche liegen muss. Dosen bis zu 1.000 mg müssen über 30 Minuten infundiert werden. Dosen über 1.000 mg müssen über 60 Minuten infundiert werden. Die Eisenlösung sollte zu maximal 500 ml steriler 0,9-%-Natriumchloridlösung hinzugefügt werden. Hinweis bei Therapieabbruch: Da parenteral verabreichte Eisenpräparate Überempfindlichkeitsreaktionen einschließlich schwerwiegender und potenziell tödlich verlaufender anaphylaktischer bzw. anaphylaktoider Reaktionen hervorrufen können, sollte das Arzneimittel nur angewendet werden, wenn in der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer Reaktionen geschulte Fachkräfte unverzüglich verfügbar sind und die kardiopulmonale Reanimation durch eine entsprechende Ausrüstung sichergestellt ist. Jeder Patient sollte für mindestens eine halbe Stunde nach jeder Eiseninjektion hinsichtlich des Auftretens von Nebenwirkungen beobachtet werden. Wenn während der Behandlung Überempfindlichkeitsreaktionen oder Anzeichen einer Unverträglichkeit auftreten, muss die Behandlung sofort abgebrochen werden. Eine Ausrüstung zur kardiopulmonalen Reanimation sowie zur Behandlung einer akuten anphylaktischen/anaphylaktoiden Reaktion sollte verfügbar sein, einschließlich einer injizierbaren 1:1.000Adrenalinlösung. Falls erforderlich, sollte eine zusätzliche Behandlung mit Antihistaminika und/oder Kortikosteroiden erfolgen. ÜBEREMPFINDLICHKEITSREAKTIONEN Die Patienten sollten während und bis ✓ Interessenkonflikte: keine ANÄMIE-SPECIAL Art und Dauer der Anwendung: 쐍 Das Arzneimittel kann entweder als intravenöse Bolusinjektion, als intravenöse Tropfinfusion oder als direkte Injektion in den venösen Arm eines Dialysegeräts verabreicht werden. Leistungsrecht Bei einer dokumentierten Eisenmangelanämie ist die Therapie mit eisenhaltigen Arzneimitteln zulasten der GKV verordnungsfähig. Dies gilt für die orale sowie die parenterale Arzneimittelgabe. PRAXISTIPP 30 Minuten mindestens 30 Minuten nach jeder i.-v.Applikation einer eisenhaltigen Injektionslösung sorgfältig auf Anzeichen von Überempfindlichkeitsreaktionen hin überwacht werden! KVH aktuell 3|2015 XI ANÄMIE-SPECIAL Aktuelles aus Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers aus dem arznei-telegramm® 2013; Jg. 44, Nr. 8 übernommen. Hier finden Sie die Empfehlungen der European Medicines Agency (EMA) zum Umgang mit allergischen Reaktionen auf die i.-v.-Eisengabe aus dem Jahr 2013. kvh.link/1503003 INTERNET XII KVH aktuell 3|2015 Schwere allergische Reaktionen auf parenterales Eisen E in 68-jähriger Rentner mit Eisenmangelanämie wird unmittelbar nach Beginn einer Infusion des Eisen(III)-hydroxid-Dextran-Komplexes CosmoFer® bewusstlos. Nach kardiopulmonaler Reanimation kommt es im Verlauf zu einem vermutlich hypoxisch bedingten Krampfanfall. Die behandelnden Mediziner gehen von einer anaphylaktischen Reaktion auf die parenteral zugeführte Eisenverbindung aus (NETZWERK-Bericht 14.805). Eine 35-Jährige reagiert nach der dritten Injektion des Eisen(III)-Natriumglukonat-SukroseKomplexes Ferrlecit® mit Blutdruckabfall und Atemnot (11.020), eine 16-Jährige zehn Minuten nach Infusion des Eisen(III)-hydroxid-PolymaltoseKomplexes Ferinject® mit allergischem Gesichtsödem (16.273). Alle intravenösen Eisenpräparate bergen das Risiko lebensbedrohlicher oder gar tödlicher allergischer Reaktionen und sind daher speziellen Situationen vorbehalten, beispielsweise bei chronisch entzündlicher Darmerkrankung oder Versagen der Therapie per os. Die europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) empfiehlt aktuell nach Abschluss eines von der französischen Behörde initiierten Risikobewertungsverfahrens, Eisenpräparate parenteral nur noch dann anzuwenden, wenn medizinisches Personal, das die Behandlung von Anaphylaxien beherrscht, unmittelbar bereitsteht und Notfalleinrichtungen zur Reanimation vorhanden sind. Da mit allergischen Reaktionen auch dann gerechnet werden muss, wenn die Präparate zuvor vertragen wurden, rät die EMA jetzt von der bislang üblichen Praxis einer Testdosis ab. Die Patienten sind während und mindestens 30 Minuten nach jeder parenteralen Eisengabe sorgfältig zu überwachen. Treten Überempfindlichkeitssymptome auf, muss die Infusion sofort beendet werden. NEURAMINIDASEHEMMER Nach Auffassung einer kritischen medizinischen Zeitschrift wurde lange Zeit der Nutzen von Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) überbewertet und die unerwünschten Wirkungen wurden heruntergespielt. Nach Cochrane-Analysen werde die Zeit bis zu einer spürbaren Besserung der Grippesymptome nur um durchschnittlich 16,8 beziehungsweise 14,4 Stunden NACHRICHTEN Oseltamivir und Zanamivir – kritische Anmerkungen verringert. Bei genauer Diagnose Pneumonie zeigten beide Neuraminidasehemmer keine Symptomverbesserung, genauso wenig wie bei ernsthaften Komplikationen wie Otitis media oder Sinusitis. Der Sinn einer Bevorratung für den Einsatz im Pandemiefall muss deshalb überdacht werden. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine Quelle: Intern. Prax. 2014; 55 (3): 628–30 TROTZ NEGATIVER MELDUNGEN: GRIPPE-IMPFEN BESSER ALS THERAPIEREN! Die Grippezeit rückt näher. Weiterhin werden zur Therapie Oseltamivir und Zanamivir angeboten. Jedoch kann man die Behandlungsoptionen mit den Neuraminidasehemmern eigentlich vernachlässigen, schaut man sich das Review der Cochrane Collaboration Schweiz vom 10.4.2014 an. Aus 107 Studienreports waren 20 für Oseltamivir und 26 für Zanamivir, trotz Designschwachpunkten, bedingt verwertbar. Oseltamivir verkürzte die Zeit, ab der es zu einer Symptomverbesserung kam, geringfügig von 7,0 auf 6,3 Tage und Zanamivir von 6,6 auf 6,0 Tage. Schwere Komplikationen einer Influenza konnten durch die Medikamente nicht verhindert werden. Zwar scheinen beide Medikamente, wenn sie prophylaktisch gegeben werden, Grippesymptome zu reduzieren, jedoch ist dies bei der Häufigkeit der unerwünschten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und psychischen Symptomen wohl keine gute Strategie. Eine bessere Form der Prophylaxe bleibt die Grippeimpfung, auch wenn sie in manchen Jahren nicht so wirksam wie erwartet ist. 2012/2013 lag die Effektivität für A(H1N1) bei 59 % (95-%-CI: 29–77 %), für A(H3N2) bei 30 % (95-%-CI: 13–56 %) und für Influenza B bei 27 % (95-%-CI: 18–54 %). Für 2014/2015 befanden die Centers for Disease Control and Prevention im Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR, January 16, 2015/64 (01); 10–15), dass es bei 67 % von A(H3N2) zu einem Antigendrift gekommen war, sodass die Effektivität nur 22 % (CI = 5 %– 35 %) betrug. A(H1N1) und B scheinen gleichermaßen wirksam wie im Vorjahr gewesen zu sein. In Anbetracht der geringen Nebenwirkungsrate und anderer Untersuchungen in Hinblick auf die Reduktion schwerer Verläufe macht es somit Sinn, chronisch Kranke, Ältere und insbesondere Altenheimbewohner, so gut es geht, vor einer Influenza zu schützen – und das heißt, sie zu impfen. DR. GERT VETTER KVH aktuell 3|2015 17 ANTIOXIDANTIEN NACHRICHTEN Bei Sportlern sinnlos Quelle: Pharm. Ztg. 2015; 160 (8): 48 In Studien nahmen 54 Ausdauersportler täglich 1.000 mg Vitamin C und 235 mg Vitamin E über elf Wochen ein. Eine günstige Wirkung auf die Ausdauertrainingsleistung konnte nicht nachgewiesen werden. 32 junge Männer und Frauen trainierten über zehn Wochen in einem Fitnessstudio. Die Teilnehmer in der Placebogruppe erzielten beim Armbeugen mit Kurzhanteln bessere Ergebnisse. Die Biomarker für die Proteinsynthese waren in der Vitamingruppe vermindert. Wie beim genaueren Nachdenken ersichtlich, haben auch freie Radikale eine biologische Funktion, die jedoch durch unphysiologische Antioxidantiengabe gestört wird. Die hohen empfohlenen Dosen liegen oft um Größenordnungen über einer für die Vitaminfunktion nötigen Konzentration – Konsequenzen aus diesen Megadosen sind nicht genau analysiert. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine DABIGATRAN Achtung, exfoliative Ösophagitis Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2015; 140: 515–18 Eine 77-jährige Patientin mit Vorhofflimmern vertrug über 13 Monate 2 x 150 mg/d Dabigatran (Pradaxa®) problemlos. Eine schmerzhafte Dysphagie führte zur Krankenhausaufnahme. Es fand sich eine ausgedehnte Ablösung von Plattenepithelschichten, besonders ausgeprägt im kranialen Ösophagus. Nach Absetzen von Dabigatran und entsprechender Medikation mit Säureblocker und Antacidum zeigte sich nach zwölf Tagen ein Normalbefund der Speiseröhre. Besonders gefährdet scheinen ältere Patienten mit geringer Flüssigkeitsaufnahme, verminderter Speichelfunktion, herabgesetzter Ösophagus-Clearance und Bettlägerigkeit zu sein. Eine Einnahme mit reichlich Flüssigkeit (100 ml kontrolliert) und 30-minütiges Aufrechtsitzen der Patienten scheint ausreichend zu sein, um einen verlängerten Kontakt mit der Dabigatran-Kapsel im Ösophagus zu vermeiden. ■ DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine 18 KVH aktuell 3|2015 FORSCHUNG & PRAXIS INHALATIONSSPRAYS Korrekte Anwendung von Inhalativa bei Asthma und COPD Welche Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen in der Asthmaund COPD-Behandlung zur Verfügung stehen, ist in medizinischen Leitlinien ausführlich dokumentiert. Jedoch existieren bei den inhalativ eingesetzten Arzneimitteln verschiedene Applikationssysteme, die je nach Patient mit verschiedenen Anwendungsfehlern einhergehen können. Worauf Sie und Ihre Patienten bei der Auswahl des richtigen Systems achten müssen, erfahren Sie im folgenden Artikel. D ie inhalative Applikation von Arzneistoffen besitzt in der Therapie des Asthma bronchiale und der COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) eine große Bedeutung. Gründe dafür sind die hohe lokale Wirkstoffkonzentration bei geringer Gesamtdosis, das damit verbundene günstige Wirkungs-NebenwirkungsVerhältnis (zum Beispiel bei den inhalativen Kortikosteroiden) sowie der rasche Wirkeintritt (zum Beispiel bei Beta-2-Sympathomimetika). Die klinische Wirkung der Inhalativa wird ganz wesentlich von ihrer bronchopulmonalen Ausbreitung bestimmt. Diese ist abhängig unter anderem von der Galenik des Präparats und der Inhalationstechnik des Patienten.1, 2 Falsche Anwendung und ihre Folgen Bei der Asthmabehandlung stehen inhalative Kortikosteroide (ICS) im Vordergrund. Asthma-Patienten, die ICS nicht regelmäßig einnehmen, erscheinen zweimal häufiger in Notaufnahmen, werden dreimal häufiger hospitalisiert und suchen viermal häufiger den Hausarzt auf. Einer von vier Patienten, die ICS absetzen, wird innerhalb der nächsten sechs Monate eine (vermeidbare) Exazerbation erleiden. Eine Auswertung der Verordnungsdaten der KVBW hat ergeben, dass nur etwa 40 Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres nach Erstverordnung erneut eine oder mehrere ICS-Verordnungen in der Apotheke einlösen. Auch bei COPD Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von Autor, Redaktion, Verlag und Herausgeber – Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg – aus dem Verordnungsforum 33, Januar 2015, übernommen. ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 1,5 Jahren hospitalisiert zu werden, bei guter Compliance um fast 30 Prozent geringer.4 Die Gründe für die unregelmäßige Einnahme von ICS sind sicherlich vielfältig und reichen von Unsicherheiten der Patienten in der Bedienung der Inhalationsgeräte bis hin zur Unkenntnis, dass diese Arzneimittel regelmäßig angewendet werden müssen. Inhalationssysteme Selbst bei guter Compliance ist die Behandlung oft nicht optimal, weil die Arzneimittel-Applikation fehlerhaft verläuft. Bei der topisch-inhalativen Verabreichung von Arzneistoffen kommt der Wahl des geeigneten Inhalationssystems deshalb zentrale Bedeutung zu. Grundsätzlich existieren drei verschiedene Typen von Inhalationssystemen: ■ Dosieraerosol ■ Pulverinhalator ■ elektrischer Vernebler KVH aktuell 3|2015 19 FORSCHUNG & PRAXIS TYPEN VON INHALATIONSSYSTEMEN ■ Dosieraerosol ■ Pulverinhalator ■ Elektrischer Vernebler Bei korrekter Anwendung ist das therapeutische Resultat von der Art des Inhalators unabhängig. Deshalb sollten die Fertigkeiten und Präferenzen des Patienten bei der Wahl des Inhalationssystems im Vordergrund stehen! Dosieraerosole Elektrische Vernebler Das Wirkprinzip aller treibgasgetriebenen Dosieraerosole ist im Wesentlichen gleich. Sie können den Wirkstoff entweder gelöst oder suspendiert im flüssigen Treibgas enthalten. Dosieraerosole werden überwiegend als hand- oder druckausgelöste („press and breath“) Inhalationssysteme eingesetzt; es werden aber auch atemzuggetriggerte Systeme angeboten. Sie zeichnen sich durch eine hohe Dosiskonstanz aus, die – ebenso wie die Teilchengrößenverteilung – unabhängig vom inspiratorischen Fluss des Patienten ist. Bis zu 95 Prozent der Patienten machen bei der Anwendung eines solchen Geräts mindestens einen Fehler (siehe hierzu auch Tabelle zu den häufigsten Anwendungsfehlern), was durch eine einmalige Schulung über fünf bis zehn Minuten auf 75 Prozent gesenkt werden kann. Auch die Beurteilung des Füllungszustands des Aerosols ist schwierig – der Patient sollte sich daher vor Anbruch einer neuen Packung notieren, bis zu welchem Datum sie bei regelmäßiger Einnahme reichen wird.2–4 Elektrische Vernebler werden als Ultraschallvernebler oder Düsenvernebler angeboten. Düsenvernebler benötigen Druckluft, die durch Kompressoren, mittels Gasflaschen oder Druckluftleitungen erzeugt wird. Ultraschallvernebler erzeugen mechanische Schwingungen, die von der Oberfläche der zu vernebelnden Flüssigkeit Aerosoltröpfchen ablösen. Der apparative Aufwand beim Einsatz von Verneblern ist groß, die Geräte sind teuer und sie eignen sich nur eingeschränkt dazu, mitgenommen zu werden. Die Gerätepflege ist hier am aufwendigsten. Bei der Handhabung von Verneblern und den entsprechenden Arzneimitteln müssen die hygienischen Richtlinien streng beachtet werden, um mikrobielle Kontaminationen und daraus potenziell resultierende bronchopulmonale Infektionen zu vermeiden.1, 2, 4, 5 Außerdem sind viele moderne Medikamente (beispielsweise lang wirkende Beta-2-Mimetika) in einer für Vernebler geeigneten Form nicht verfügbar. Pulverinhalatoren Wahl des richtigen Gerätetyps Pulverinhalatoren dienen dazu, pulverförmige Wirkstoffe ohne zusätzliche Treibmittel für die Inhalation zugänglich zu machen. Bei allen Pulverinhalatoren muss das zu inhalierende Pulver durch den Inspirationsluftstrom des Patienten in ein Aerosol überführt werden. Das Trockenpulver kann hierfür in Form von Kapseln, als Blister oder in Mehrdosenbehältnissen eingesetzt werden. Pulverinhalatoren verfügen meist über ein Zählwerk, sodass die verfügbaren verbliebenen Dosen erkennbar sind. Auch Patienten, die Pulverinhalatoren anwenden sollen, benötigen eine Schulung. Denn in Abhängigkeit vom Inhalatortyp begehen vier bis 94 Prozent der Patienten relevante Anwendungsfehler.1, 2, 4, 5 20 KVH aktuell 3|2015 Ausgehend von den Unterschieden zwischen den Applikationssystemen sollte patientenindividuell ein Gerätetypus ausgewählt werden. Hierbei sollten insbesondere die Fähigkeiten, das Applikationssystem richtig anzuwenden, berücksichtigt werden. So können beispielsweise kognitive oder feinmotorische Einschränkungen oder auch die Schwere der Atem-Hand-Koordination haben oder bei denen die Kraft oder Fingerfertigkeit für ein handausgelöstes Dosieraerosol fehlt. Die Dosieraerosole haben allgemein den Vorteil im Vergleich zu Pulverinhalatoren, dass sie auch noch bei eingeschränktem inspiratorischem Fluss angewendet werden können.1, 2, 4–6 Beispiele für atemzuggetriggerte Inhalationssysteme: Autohaler®, easi-Breathe®. Im Gegensatz zu den handausgelösten Dosieraerosolen ist bei den Pulverinhalatoren keine Koordination zwischen Auslösen und Einatmung erforderlich. Allerdings ist ein gewisser geräteabhängiger minimaler Atemzug (mindestens 30 l/min, teilweise sogar 60 l/min) nötig, um die Verwirbelung des Pulvers zu erzeugen. Zudem kann der Ladevorgang Kraft erfordern: Bei Pulverinhalatoren mit eingelegter Hartkapsel kann fehlende Kraft zum unvollständigen Perforieren der Kapsel führen und die Wirkstofffreigabe reduzieren. In solchen Fällen kann der Wechsel der Griffart oder auf ein anderes Gerät (Pulverinhalator oder atemzuggetriggertes Dosieraerosol) erforderlich sein. Es gibt Pulverinhalatoren, die dem Patienten mittels Geräuschen (Klick- oder Einrastgeräusche, surrende Betriebsgeräusche) und/oder optischer Kontrollfunktion (Farbwechsel von Rot nach Grün – und zurück – im Kontrollfenster) bestätigen, dass er das Gerät bei der Inhalation richtig bedient hat. Schwerhörigen Patienten hilft der Einsatz eines Inhalators mit optischer Kontrollfunktion.1, 4–6 Beispiele für Pulverinhalatoren mit optischer Kontrollfunktion während/nach der Inhalation: Genuair®, Novolizer®. Beispiele für Pulverinhalatoren mit akustischer Kontrollfunktion während der Inhalation: Aerolizer®, Breezhaler®, Cyclohaler®, Genuair®, Handihaler®, NeXthaler®, Novolizer®. Vernebler kommen bei schwerem akutem Asthma (hochgradige Atemnot) oder bei jungen Säuglingen zum Einsatz, da in diesen Situationen ein ordnungsgemäßer Gebrauch von Dosieraerosolen mit Spacer oft nicht möglich ist, wobei auch hier die Effektivität der Dosieraerosolanwendung mit Spacer gezeigt wurde. In der Therapie der COPD werden Vernebler bei Patienten eingesetzt, die trotz entsprechender Anweisung und Anwendung von Inhalationshilfen eine effektive Inhalationstechnik nicht erlernen können. Auch Patien- FORSCHUNG & PRAXIS Erkrankung dazu führen, dass der Patient bestimmte Geräte nicht korrekt bedienen kann. Handausgelöste Dosieraerosole sind für Patienten geeignet, die über ausreichend Kraft und Fingerfertigkeit verfügen, um einen Sprühstoß auszulösen. Wenn Kraft oder Fingerfertigkeit fehlen, kann der Patient anstelle des Spitzgriffs den vergleichsweise stärkeren Schlüsselgriff einsetzen; dies kann ihm das Entleeren einer Dosieraerosolflasche erleichtern. Um ein Dosieraerosol richtig bedienen zu können, muss der Patient außerdem in der Lage sein, das Auslösen des Sprühstoßes und den Beginn des Einatmens zu koordinieren. Gibt es hiermit Probleme, stehen Inhalierhilfen (Hohlraumsysteme, sogenannte Spacer) zur Verfügung. Großvolumige Spacer erleichtern den Inhalationsvorgang. Eine direkte Koordination zwischen der Auslösung des Sprühstoßes und der Inspiration ist bei Verwendung eines solchen Systems nicht mehr erforderlich. Die Verwendung von Spacern führt außerdem zu einer Steigerung der bronchialen Arzneistoffdeposition. Hinzu kommt, dass sie die oropharyngeale Wirkstoffdeposition um das 7- bis 20-Fache reduzieren. Atemzuggetriggerte Dosieraerosole sind für diejenigen Patienten von Vorteil, die entweder Probleme mit der Material zur Patienteninformation Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) „Richtig inhalieren bei Asthma und COPD“ kvh.link/1503005 Deutsche Atemwegsliga e. V. Demonstrationsvideos zur korrekten Anwendung verschiedener Gerätetypen: kvh.link/1503006 INTERNET KVH aktuell 3|2015 21 FORSCHUNG & PRAXIS ten, die nicht bewusst inhalieren können, sollten mit einem Vernebler versorgt werden. Der Wirkstoff Ipratropium sollte beim Einsatz eines Verneblers möglichst über ein Mundstück appliziert werden. Falls eine Verneblermaske eingesetzt wird, sollte diese richtig sitzen. Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass durch Eintritt von Inhalationsflüssigkeit oder Sprühnebel in die Augen ein akutes Engwinkelglaukom entsteht.1, 2, 5, 8 Fehlendes Ansprechen auf die Behandlung mit Bronchodilatatoren sowie Probleme mit der Applikationstechnik, die auch durch weitere Schulungen nicht abgestellt werden können, sollten zu einer Neueinstellung auf ein anderes Gerät oder zur Verwendung einer Inhalationshilfe führen. Bei einem Wechsel des Arzneimittels oder des Inhalationssystems kann es notwendig sein, die Dosis individuell neu anzupassen. Dabei sind das Arzneimittel (Arzneistoff, Galenik), das Dosisregime und die Applikationsmethode zu berücksichtigen.1, 2, 5 Anwendungstipps Die Wirkstoffdeposition im Bronchialsystem wird durch die korrekte Anwendung der Inhalationssysteme entscheidend beeinflusst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die verschiedenen Inhalationssysteme unterschiedliche Inhalationstechniken und Atemmanöver als optimal anzusehen sind: ■ Dosieraerosol ohne Spacer: ein langsamer, tiefer Atemzug, dabei Dosieraerosol auslösen (dann Atem anhalten), ■ Dosieraerosol mit Spacer: langsame, tiefe Inspiration über mehrere Atemzüge (dann Atem anhalten), Häufigste Anwendungsfehler in Abhängigkeit vom Inhalatortyp DOSIERAEROSOL Korrekte Anwendung bei Suspensionen: Dosieraerosol zur gleichmäßigen Verteilung des Wirkstoffs kräftig schütteln Fehler Häufigkeit (geordnet nach der chronol. Abfolge der Anwendungsschritte) (in Prozent) kein Schütteln vor der Anwendung 26 Schutzkappe entfernen Inhalation mit verschlossenem Mundstück Dosieraerosol senkrecht halten Behälter wird nicht aufrecht gehalten 26 3 langsam und tief einatmen kein langsames Einatmen kein tiefes Einatmen Stoppen der Inhalation (Cold Freon Effect) 75 54 6 Sprühstoß auslösen fehlendes Betätigen des Inhalators 13 nach Auslösen des Sprühstoßes langsam weiteratmen kein langsames Weiteratmen 51 Atem für etwa 5 bis 10 Sekunden anhalten Atem wird nicht lange genug angehalten 71 weitere Inhalationen frühestens nach einer Minute keine ausreichende Wartezeit zwischen zwei Inhalationen 87 PULVERINHALATOR Korrekte Anwendung Häufigkeit (geordnet nach der chronol. Abfolge der Anwendungsschritte) (in Prozent)* Inhalator wie vom Hersteller beschrieben laden (z. B. Hartkapsel ausreichend perforieren) falsches Laden des Inhalators langsam und entspannt ausatmen, keinesfalls in den Pulverinhalator kein Ausatmen vor dem Einatmen Mundstück mit den Lippen fest umschließen, dabei etwaige Lufteinlassöffnungen nicht verdecken falsche Position des Mundstücks Inhalator wie vom Hersteller beschrieben halten falsche Position des Inhalators rasch und tief einatmen (minimaler Atemzug 30 l/min) kein kräftiges Einatmen durch den Inhalator 0–48 Atem für etwa 5 bis 10 Sekunden anhalten Atem wird nicht lange genug angehalten 0–73 Mundstück vor dem Ausatmen aus dem Mund nehmen kein langsames Ausatmen nach Verabreichung 2–43 langsam ausatmen (Lippenbremse) Ausatmen in den Inhalator * Die Angaben zur Häufigkeit variieren stark in Abhängigkeit vom untersuchten Gerätetypus. 22 Fehler KVH aktuell 3|2015 0–45 12–77 0–33 33 20 Tabellen nach Haefeli4 Unabhängig vom System gibt es einige Grundprinzipien der Inhalation. Grundsätzlich sollte mit aufrechtem Oberkörper (also am besten im Sitzen oder Stehen) inhaliert werden. Außerdem gilt: ■ Inhalation vorbereiten, ■ langsam und entspannt ausatmen, ■ Inhalation auslösen und einatmen; das Atemmanöver ist abhängig vom Inhalationssystem, ■ Inhalation je nach Gerät zu Beginn der Einatmungsphase auslösen, ■ je nach Gerät schnell oder langsam, immer jedoch tief einatmen, ■ Atem für etwa 5–10 Sekunden anhalten, damit das Medikament auch in den Bronchien genügend Zeit hat, die Wirkung zu entfalten, ■ langsam ausatmen (Lippenbremse), ■ bei Pulverinhalatoren, die mit Kapseln befüllt werden, prüfen, ob noch Pulver in der Kapsel übrig geblieben ist, gegebenenfalls erneut inhalieren, ■ weitere Inhalationen frühestens nach einer Minute durchführen,9 ■ nach der Inhalation von Kortikosteroiden sollte der Patient den Mund mit Wasser ausspülen oder die Zähne putzen, um lokale Nebenwirkungen wie Mundsoor zu vermeiden.11 Um die Funktionsfähigkeit der Inhalationssysteme zu erhalten und eine gleichmäßige Wirkstofffreigabe sicherzustellen, ist es erforderlich, dass der Patient die Reinigungshinweise in der Packungsbeilage des Arzneimittels beachtet. Beispielsweise können Wirkstoffablagerungen an den Ventilstiften von Dosieraerosolen zum Nachlassen der Sprühstärke führen.3 Bei Pulverinhalatoren sollte der Patient darauf achten, dass er nicht in den Inhalator ausatmet, um ein Verklumpen des Pulvers zu verhindern.11 aufgeführt. Der G-BA hat jedoch bereits angekündigt zu prüfen, inwieweit diese Arzneimittel ebenfalls in die Liste aufgenommen werden müssten.10 Um den Austausch des verordneten Arzneimittels gegen ein anderes in der Apotheke zu verhindern, ist es daher erforderlich, ein Aut-idem-Kreuz zu setzen. Grundsätzlich soll der Apotheker überprüfen, ob der Patient das Medikament kompetent bedienen kann, und ihn gegebenenfalls nachschulen. Dies gilt ganz besonders für den Fall, dass ein verordnetes Gerät gegen ein anderes ausgetauscht wird. 쮿 FORSCHUNG & PRAXIS ■ atemzuggetriggertes Dosieraerosol: langsame, tiefe Inspiration (dann Atem anhalten), ■ Pulverinhalator: rasche, tiefe Inspiration (dann Atem anhalten), ■ Vernebler: langsame, tiefe Inspiration, normale Exspiration; jeweils fünf Atemzüge mit Verneblung, dann 2–3 Atemzüge normal atmen.1, 5 Literatur: 1. Nationale Versorgungsleitlinie Asthma, Langfassung; 2. Auflage; zuletzt geändert: August 2013; www.asthma.versorgungsleitlinien.de 2. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD); Pneumologie; 2007; 61: e1–40; Stuttgart: Georg-Thieme-Verlag; 2007 3. Inhalativa: ihre Tücken und deren Behebung. Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 38/2011 4. Haefeli WE: Asthma und COPD im Alter: Das richtige Inhalieren muss trainiert werden; Allgemeinarztonline; 06.06.2014; http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1646514 5. Arbeitsgruppe Aerosolmedizin der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie: Empfehlungen für die Auswahl von Inhalationssystemen zur Medikamentenverabreichung; Pneumologie 2001; 55: 579–86; Stuttgart: Georg-Thieme-Verlag; 2001 6. Kircher W: Anwendung von Arzneimitteln: Wie sich ergonomische und audiologische Probleme lösen lassen. Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 26/2007 7. ÄzQ: Richtig inhalieren bei Asthma und COPD, Patienteninformation. Ausgabe September 2014; http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/kip/aezqversion-kip-richtig- inhalieren-bei-asthma-undcopd.pdf 8. Fachinformationen von ipratropiumhaltigen Lösungen zur Druckgasinhalation, z. B. Atrovent® 250 g/2 ml Fertiginhalat; Stand Mai 2012; www.fachinfo.de 9. Deutsche Atemwegsliga e. V.: Richtig inhalieren – Grundprinzipien der Inhalation; www.atemwegsliga.de/richtig-inhalieren.html (Zugriff 23.12.2014) 10. Gemeinsamer Bundesausschuss: Substitutionsausschluss: G-BA listet erste Arzneimittel pünktlich innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen kurzen Frist. Pressemitteilung vom 18. September 2014; https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/554/ 11. Fachinformationen von kortikosteroidhaltigen Inhalativa, z. B. Budesonid Easyhaler; Stand April 2014; www.fachinfo.de Austausch des verordneten Arzneimittels in der Apotheke Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat erstmals Arzneimittel festgelegt, die von den Apotheken nicht durch ein wirkstoffgleiches Produkt ersetzt werden dürfen. Diese Regelung gilt gerade auch in Fällen, in denen das Aut-idemKreuz nicht gesetzt ist. In der aktuell gültigen Version dieser G-BA-Liste sind Inhalativa zur Behandlung von Asthma bronchiale und COPD nicht KVH aktuell 3|2015 23 FORSCHUNG & PRAXIS URIKOSTATIKA UND URIKOSURIKA Einsatz von Allopurinol bei Hyperurikämie Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von Autor, Redaktion, Verlag und Herausgeber – Kassenärztliche Vereinigung BadenWürttemberg – aus dem Verordnungsforum 33, Januar 2015, übernommen. Ist das „gute alte“ Allopurinol wirklich immer ohne Probleme verwendbar? Welche potenziell gefährlichen Nebenwirkungen können auftreten? Und welche Wechselbeziehungen mit Begleittherapien oder Organfunktionseinschränkungen sind zu beachten? Der folgende Artikel fasst den aktuellen Kenntnisstand zusammen. B ereits im Jahr 1966 wurde Allopurinol in den USA und der Schweiz zur Behandlung der Gicht zugelassen. Außer dass im Jahr 2010 als zusätzliche Therapieoption Febuxostat auf den Markt kam, ist dieses klassische Krankheitsbild nicht von großen Innovationen geprägt. So ist es nicht verwunderlich, dass es bis ins Jahr 2013 keine in Deutschland anerkannte Leitlinie gab. Inzwischen stehen zwei S1-Leitlinien1, 2 (akute und chronische Gicht) zur Verfügung, die eine gezielte Vorgehensweise bei Gicht vorgeben. Sie halten außerdem fest, dass eine asymptomatische Hyperurikämie keine Indikation für eine medikamentöse Therapie darstellt. Denn es gibt keinen eigentlichen Grenzwert, bei dem die Harnsäurekristalle wegen verminderter Löslichkeit ausfallen und einen Gichtanfall auslösen. Dieser Wert ist individuell verschieden und von vielen Faktoren abhängig.3 Wie in der Realität vorgegangen wird, zeigte eine Befragung in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2013. Ergebnis war, dass circa 59 Prozent der befragten Ärzte ab einem Harnsäurespiegel > 8 mg/l auch ohne vorausgegangenen Gichtanfall Allopurinol verordnen.4 Unter Einbeziehung dieser Kenntnis zeigen die Verordnungsdaten aus Baden-Württemberg, dass es aller Voraussicht nach auch bei uns zu einer Übertherapie von Patienten mit vorliegender Hyperurikämie kommt. So liegt die Jahresprävalenz 2013 von Patienten mit medikamentöser Therapie (mit Allopurinol und/oder Febuxostat) bei circa 3,3 Prozent – dies ist am oberen Ende der Prävalenzangaben, die wir in der Literatur für die Gichterkrankung in Industrienationen finden (1,4 % bis 3,9 %).5, 6 Zweifelsfrei kann jedoch bei folgenden Indikationen rein auf Basis der Harnsäure-Plasmaspiegel therapiert werden:7 ■ persistierende hohe Harnsäurespiegel (> 13 mg/dl bei Männern und > 10 mg/dl bei Frauen) wegen des Risikos der Harnsäure-Nephropathie, ■ Harnsäureausscheidung über 1.100 mg/d wegen des Risikos einer Harnsäure-Urolithiasis (gilt nur für Allopurinol und Febuxostat), Urikostatika: Verordnungen in Hessen Region ATC3 Substanzen J 2014 Verordnungen J 2014 VO Umsatz (AVP) € 475.585 9.499.812 Allopurinol 422.061 5.957.770 Febuxostat 28.851 2.986.277 Colchicum autumnale L. 15.983 378.056 Benzbromaron 4.829 82.120 Allopurinol + Benzbromaron 3.600 78.264 Probenecid 261 17.325 Summe Hessen M04A Gichtmittel AUTOR TABELLE: KLAUS HOLLMANN 24 KVH aktuell 3|2015 Langzeitstudien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall bei konstant hohen Harnsäurewerten über 9 mg/dl bei circa fünf Prozent pro Jahr liegt. Bei geringeren Werten (7–9 mg/dl) ist die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall deutlich gesenkt (auf circa 0,5 %).8 Manche Ärzte sehen deswegen eine medikamentöse Therapie asymptomatischer Patienten mit Harnsäurespiegeln über 9 mg/dl als indiziert, da sich bei den hohen Werten potenziell eine Gicht manifestieren kann.7 Durch die Leitlinie ist diese Vorgehensweise jedoch nicht abgedeckt. Eine Verordnung von Allopurinol fur asymptomatische Patienten mit Harnsäurespiegeln unter 9 mg/dl kann schon allein durch eine nüchterne NutzenRisiko-Abwägung nicht empfohlen werden. Hier setzt man die Patienten einem nicht unerheblichen Risiko für schwerwiegende Hypersensibilitätsreaktionen aus.7 Diese können teilweise tödlich verlaufen. Auch Febuxostat weist schwerwiegende Nebenwirkungen ähnlich zu Allopurinol auf.8 Die Reduktion purinreicher Nahrungsmittel muss im Vordergrund stehen. 쮿 Literatur: 1. DEGAM: Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung. AWMF-Registernr. 053/032b, Klasse S1. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053_03 2bl_S1_akute_Gicht_2014-05.pdf (Zugriff 23.12.2014) 2. DEGAM: Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht in der hausärztlichen Versorgung. AWMF-Registernr. 053/032a, Klasse S1. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053032al_S1_Chronische_Gicht_2014-05.pdf (Zugriff 23.12.2014) 3. Bennack E: Therapie soll Gichtattacken verhindern, Pharmazeutische Zeitung online 45/2006. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/ index.php?id=2176 (Zugriff 23.12.2014) 4. Engel B et al.: Wie behandeln Hausärzte eine Gicht? Zeitschr. für Allgemeinmed 2014; 90(6). DOi 10.3238/zfa.2014.0277–0281 5. Tausche AK et al.: Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl int 2009; 106(34–35): 549–55 6. Khanna D et al.: 2012 American College of Rheumatology guidelines for management of gout. Part 1: Systematic nonpharmacologic and pharmacologic therapeutic approaches to hyperuricemia. Arthritis Care res 2012; 64(10): 1431–46 7. Bei asymptomatischer Hyperurikämie wird zu häufig Allopurinol verordnet. Arzneimittelbrief 2014; 48: 46 8. Campion EW et al.: Asymptomatic hyperuricemia. Risks and consequences in the Normative Aging Study. Am J Med 1987; 82(3): 421–6 9. Berlin-Chemie Menarini: Wichtige Informationen zum Zusammenhang des Risikos für schwere Hypersensitivitätsreaktionen, darunter auch Stevens-Johnson-Syndrom und akute anaphylaktische Reaktionen/ Schock mit Adenuric® (Febuxostat) (Rote-Hand-Brief vom 21.05.2012). http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/rHB/Archiv/2012/20120521.pdf (Zugriff 23.12.2014) 10. Fachinformation: Allopurinol Abz 100/300 mg Tabletten (Stand Oktober 2013) 11. KBV: Wirkstoff aktuell: Febuxostat – Ausgabe 5/2014 FORSCHUNG & PRAXIS ■ prophylaktisch in der Onkologie (Chemotherapie, Radiotherapie) wegen des Risikos der Harnsäure-Nephropathie. FAKTENBLATT ALLOPURINOL 1) Etwas mehr als 3 Prozent der Einwohner Baden-Württembergs erhalten Allopurinol. 2) Bei erhöhten Harnsäurewerten ist bei Therapiebeginn Vorsicht geboten – hier kann es zu einer Häufung von Gichtanfällen kommen. (Neben der Gabe von Allopurinol sollte deshalb die gleichzeitige prophylaktische Analgetika- oder Colchicingabe während der ersten vier Behandlungswochen in Betracht gezogen werden.)10 Die Anfangsdosis von Allopurinol sollte bei maximal 100 mg/d liegen. Dosissteigerung in zwei- bis fünfwöchigem Abstand, bis der Serumharnsäurewert ≤ 6 mg/dl erreicht ist.6 3) Insbesondere bei Patienten, die wegen Bluthochdrucks oder Herzinsuffizienz mit ACE-Hemmern oder Diuretika behandelt werden, sollte die Verabreichung von Allopurinol mit Vorsicht erfolgen, da bei dieser Patientengruppe eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion vorliegen kann.10 4) Bei einem akuten Gichtanfall darf eine Allopurinoltherapie nicht begonnen werden. Eine bereits bestehende Therapie soll jedoch während eines akuten Anfalls nicht abgebrochen werden. 5) Beim Auftreten von Hautausschlägen ist Allopurinol sofort abzusetzen. Die Gabe von Allopurinol ist die häufigste Ursache für ein StevensJohnson-Syndrom. 6) Die unter Amoxicillintherapie häufig auftretenden allergischen Hautreaktionen treten unter Allopurinol noch häufiger auf. Hier empfiehlt sich die Wahl eines alternativen Antibiotikums. 7) Bei eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion soll eine Dosisanpassung erfolgen. 8) Die Wirkung von Cumarinen (z. B. Phenprocoumon) kann erhöht werden. Es ist daher eine häufigere Kontrolle der Blutgerinnung erforderlich und gegebenenfalls eine entsprechende Dosisreduktion des Cumarin-Derivats notwendig. 9) Allopurinol hemmt den Metabolismus von Azathioprin (Dosisreduktion um 25 %) und Theophyllin (Spiegelkontrolle). 10) Allopurinol ist für die Behandlung der Hyperurikämie das Mittel der Wahl. Febuxostat sollte nur bei Unverträglichkeit von Allopurinol und/oder Probenecid eingesetzt werden. Eine duale Therapie von Allopurinol zusammen mit Febuxostat kann aufgrund fehlender Daten nicht empfohlen werden.11 KVH aktuell 3|2015 25 FORSCHUNG & PRAXIS GASTROENTEROLOGIE Eradikation von Helicobacter pylori bei ClarithromycinUnverträglichkeit Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von Autor, Redaktion, Verlag und Herausgeber – Kassenärztliche Vereinigung BadenWürttemberg – aus dem Verordnungsforum 34, April 2015, übernommen. F olgende Frage erreichte uns aus der Praxis: „Bei nachgewiesenem Helicobacter-pylori-Test bei einer Patientin würde ich gerne mit einem Tripel-Schema behandeln. Unglücklicherweise ist hier eine Unverträglichkeit für Clarithromycin bekannt. Im italienischen und französischen Schema ist Clarithromycin jeweils Bestandteil. Können Sie mir eine Alternative nennen?“ Die Antwort des PharmakotherapieInformationsdienstes Tübingen Hier kann man das folgende Schema – aus den Optionen für eine empirische Zweitlinientherapie – vorschlagen: Hier finden Sie die Leitlinie „Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit“ der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), die zurzeit überarbeitet wird. Omeprazol 20 mg Amoxicillin 1.000 mg Levofloxacin 500 mg über 10 Tage. 1-0-1 1-0-1 1-0-0 Sollte dieses Schema nicht zum Behandlungserfolg führen, ist die Absprache mit einem Spezialisten sinnvoll, ob eine Resistenztestung hilfreich ist. Literatur: 1. Bao-Zhu Li et al. Comparative effectiveness and tolerance of treatments for Helicobacter pylori: systematic review and network meta-analysis. BMJ 2015; 351: h4052; doi: 10.1136/bmj.h4052. Italienische Tripeltherapie für 7 Tage Dosierung Protonenpumpenhemmer (PPI*) 1-0-1 Clarithromycin 250–500 mg 1-0-1 Metronidazol 400–500 mg 1-0-1 Französische Tripeltherapie für 7 Tage Dosierung Protonenpumpenhemmer (PPI*) 1-0-1 Clarithromycin 250–500 mg 1-0-1 Amoxicillin 1.000 mg 1-0-1 *PPI: Esomeprazol 20 mg, Lansoprazol 30 mg, Omeprazol 20 mg, Pantoprazol 40 mg, Rabeprazol 20 mg. Quelle: S3-Leitlinie „Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit“, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 021/001 kvh.link/1503007 INFO 26 KVH aktuell 3|2015 UMGANG MIT KLINISCHEN STUDIEN Die zentrale Registrierung klinischer Studien scheint angenommen worden zu sein – nicht zuletzt, weil angesehene wissenschaftliche Fachjournale die Arbeiten ansonsten nicht veröffentlichen. Findige Forscher oder deren Sponsoren zögern die Veröffentlichung von Studienergebnissen in vielen Fällen weiterhin hinaus. Fast jede vierte (23 Prozent) größere Studie über 500 Teilnehmer, die in der Datenbank clinicaltrials.gov bis 2009 registriert wurde, ist auch 60 Monate nach ihrem Abschluss noch nicht publiziert worden. Dies gilt als unethisch, denn es besteht die Gefahr, dass sich Forschung wiederholt und die Teilnehmer einem unnötigen Risiko ausgesetzt sein könnten. Ab sofort sollen nach den Vorstellungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ergebnisse jeder klinischen Studie innerhalb von zwölf Monaten einem von Experten überprüften wissenschaftlichen Fachjournal zur Publikation eingereicht werden. Weitere zwölf Monate sind erlaubt bis zur tatsächlichen Publikation. Die wichtigsten Ergebnisse sollen innerhalb eines Jahres in der Datenbank eingestellt werden, in der die Studie registriert wurde. Auch die Ergebnisse älterer, bislang unveröffentlichter Studien sollen publiziert werden. Möglicherweise bleibt es beim Wunschdenken, denn der WHO fehlen Sanktionsmöglichkeiten. Es sei denn, es könnte ein ähnlicher sanfter Druck wie die Gefahr einer Nichtveröffentlichung von Studien bei fehlender Registrierung implementiert werden. 쮿 Quelle: Pharm. Ztg. 2015;160 (17): 46s DR. MED. GÜNTER HOPF ✓ Interessenkonflikte: keine ERST MIT GCP SIND STUDIEN SICHER Die Pharmaentwicklung scheint immer kostspieliger zu werden. Gleichzeitig steigt der Erwartungsdruck an Neumedikamente – und damit auf Ärzte, diese unverzüglich einzusetzen. Andererseits gilt das Prinzip des „Primum non nocere“. Der Arzt soll den Impuls seines Handelns abwägen gegen das Risiko, dem Patienten damit mehr zu schaden als zu nutzen. Klinische Studien mit Nutzen- und Sicherheitsendpunkten sind daher notwendig. Seit nunmehr 20 Jahren existiert ein Standard für Pharmastudien: die GCP-Leitlinie zur „Good Clinical Practice“. Herausgeber ist die ICH (International Conference on Harmonisation). ICH-Mitglieder sind die WHO, die EU, (über)staatliche Zulassungsbehörden (EMA, FDA, das japanische DIALOG Transparenzoffensive der WHO MHLW, Swissmedic) sowie wesentliche nationale Herstellerverbände. Die GCP-konforme Durchführung einer Pharmastudie ist folglich keine Gefälligkeit des Herstellers, sondern eine international vereinbarte Selbstverpflichtung zum Schutz der Patienten. Übrigens: Bei GCP hat das Studienprotokoll zentrale Bedeutung. Das Protokoll muss vor der Studie vorliegen und darf danach möglichst nicht verändert werden. Änderungen der Endpunkte (z. B. in Kenntnis von Zwischenauswertungen) sind unzulässig. Es ist daher unverständlich, warum die IMPROVE-IT-Studie zu Ezetimib nach 5-fachen Protokolländerungen (Amendment #1–5) dennoch veröffentlicht wurde. Quelle: 1. International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH): Guideline for Good Clinical Practice (GCP) E6(R1), Current Step 4 version, dated 10 June 1996 kvh.link/1503009 2. Cannon CP, Blazing MA, Giugliano RP, et al. Protocol for: Ezetimibe added to statin therapy after acute coronary syndromes. N Engl J Med 2015;372:2387–97 DR. MED. STEFAN GRENZ KVH aktuell 3|2015 27 Aktuelles aus CETERUM CENSEO DIALOG Wie gefährlich darf unsere Therapie sein? … On the 22nd of May she was given another injection of 0.6 whereupon the usual indications of salvarsan badly tolerated set in, and on May 25th death took place … (aus: Wechselmann W. The treatment of syphilis with salvarsan. 1911, Rebman London) Über 100 Jahre nach der Einführung von Salvarsan in die Therapie sind wir geneigt anzunehmen, unsere therapeutischen Interventionen seien weit besser verträglich als damals und das bedauernswerte Schicksal der jungen Frau, die an der „üblichen“ Salvarsan-Unverträglichkeit starb, wäre heute undenkbar. Wie kommt es dann, dass Peter Gøtzsche, der Leiter des nordischen Cochrane-Zentrums in Kopenhagen, in seinem neuesten Buch von etwa 200.000 Todesfällen infolge von Olanzapin (Zyprexa® u. a.) – etwa 1 Todesfall auf 100 Behandelte – schreiben kann? Und dazu noch: „Besonders traurig daran ist, dass viele dieser Patienten nie mit Zyprexa hätten behandelt werden sollen.“1 Schon seit unserem Studium sind wir alle daran gewöhnt, fast ausschließlich an die positiven Aspekte der Pharmakotherapie zu denken. Gewiss: Unerwünschte Wirkungen werden erwähnt, haben jedoch nie dasselbe Gewicht wie die erwünschten Wirkungen. Es ist verständlich, dass wir wesentlich an den vorteilEs wäre wichtig, dass wir haften Auswirkungen der Medikauns von der – oft auch mente interessiert sind – schließvon „Meinungsbildnern“ lich erwarten unsere Patientinnen vertretenen – Überzeu- und Patienten wirksame Hilfe von uns. Auch befasst sich ja der größgung distanzieren, dass wir te Teil der klinischen Studien mit mit unserer Behandlung der (er-wünschten) Wirksamkeit (und besonders mit einem von Arzneimitteln. Daraus ergibt sich von selbst, dass negative Ausneuen Mittel) immer wirkungen in vielen Studienprotoetwas Gutes tun. kollen und erst recht in den entsprechenden Publikationen stiefmütterlich behandelt werden. Wenn neue Medikamente eingeführt werden, lesen wir in großen Lettern über die „bedeutsamen“ Vorteile der neuen Mittel und bei unseren Fortbildungsveranstaltungen hören wir von angesehenen Fachleuten fast nur Gutes über den entsprechenden Fortschritt. Wird von unerwünschten Wirkungen gesprochen, Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers aus pharma-kritik 2014; Jahrgang 36, Nr. 12 übernommen. 28 KVH aktuell 3|2015 dann meistens in dem Sinne, dass das „neue“ Mittel besser verträglich sei als ein „älteres“ Vergleichsmedikament. Da heute ein großer Teil der Medikamente aufgrund von Surrogat-Endpunkten zugelassen wird, ist aber in der Regel völlig unklar, ob die neuen Mittel einen Vorteil bezüglich echter klinischer Endpunkte bringen. Es ist deshalb fast unvermeidlich, dass wir uns allzu oft in Sicherheit wiegen, wenn tatsächlich relevante Gefahren bestehen. Nur wenn wir möglichst genaue Kenntnis der möglichen Probleme hätten, könnten wir sinnvoll über den Einsatz von Medikamenten entscheiden. Leider verhalten sich nicht nur die Pharma-Hersteller, sondern auch die Behörden so, dass uns möglicherweise wichtige Fakten verborgen bleiben. So erfolgt die Zulassung eines neuen Mittels nicht selten unter bestimmten Vorbehalten („Postmarketing Commitments“, PMC) – dass nämlich gewisse Sicherheitsaspekte innert nützlicher Frist noch genauer geklärt werden sollten. Eigenartigerweise können solche Bedingungen jahrelang straflos vernachlässigt werden: Von 85 „Postmarketing Commitments“, die von der amerikanischen Behörde (FDA) im Jahr 2008 gefordert wurden, waren 2013 nur gerade 26 (31 %) erfüllt.2 In der Zwischenzeit waren zudem bei den 2008 untersuchten Medikamenten fünf zusätzliche Probleme entdeckt worden. Berichte über medikamentös induzierte Todesfälle sind offensichtlich keineswegs immer ein Grund zum Rückzug eines Medikaments und selbst bei denjenigen Mitteln, die – mindestens in einem Land – vom Markt genommen werden, dauert es nach dem ersten Bericht über Todesfälle sehr oft mehr als zwei Jahre, bis der Rückruf erfolgt.3 Dass die Herstellerfirmen auch sonst alles Mögliche tun, um zu vermeiden, dass unerwünschte Wirkungen bekannt werden, muss hier wohl nicht groß wiederholt werden. Gut bekannte Beispiele sind die Manipulation von Publikationen zu Rofecoxib (Vioxx®)4 und die selektive Veröffentlichung von teile hören wir auch sonst genug – die Gratisblätter, die wir erhalten, sind voll von offener und versteckter Pharma-Werbung. Der medizinische Fortschritt beruht aber mindestens ebenso sehr auf einem bewussteren Abwägen von Nutzen und Risiken. Übrigens: Das bitterböse Buch von Gøtzsche sollte man lesen, es enthält wichtige Wahrheiten – auch wenn es manchmal irritiert, dass der Autor kaum einen guten Faden an unserer Pharmakotherapie lässt. 쮿 DR. MED. ETZEL GYSLING Literatur: 1. Gøtzsche PC. Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. 2015, Riva Verlag München, S. 351 2. Moore TJ, Furberg CD. JAMA Intern Med 2014; 174: 90–5 3. Onakpoya IJ, et al. BMC Med 2015; 13: 26 4. Curfman GD, et al. N Engl J Med 2005; 353: 2813–4 5. Turner EH, et al. N Engl J Med 2008; 358: 252–60 DIALOG Studien zu den Antidepressiva.5 Im Buch von Gøtzsche werden noch viele andere Beispiele angeführt, alle gut dokumentiert. Es ist mir bewusst, dass es keineswegs einfach ist, ein akzeptables Risiko unserer Pharmakotherapie zu definieren. Jede einzelne Verabreichung eines Medikaments stellt ja ein neues biologisches Experiment dar, ist doch bei jedem Individuum mit einer möglicherweise abweichenden Reaktion zu rechnen. Müssen wir resignieren, weil man ja nicht ständig mit „negativen Vorzeichen“ behandeln kann? Nein, aber wir können uns angewöhnen, zurückhaltender mit Medikamenten und Dosierungen umzugehen, neue Medikamente besonders vorsichtig einzusetzen und genauer hinzuhorchen, wenn jemand von Nebenwirkungen berichtet. Dabei ist es durchaus angebracht, auch die Verordnungen aus dem Spital (oder von Spezialistinnen und Spezialisten) zu hinterfragen und ungenügend dokumentierte Mittel abzusetzen bzw. durch bessere zu ersetzen. Leider ist es ja so, dass maßgebende Fachleute oft besonders intensiv von der Industrie beeinflusst werden. Besonders wichtig wäre es wohl, dass sich unsere Fortbildung stärker mit medikamentös induzierten Problemen befassen würde. Über mögliche Vor- IHRE MEINUNG Wie gehen Sie mit Medikamenten-Nebenwirkungen um, die Sie bei Ihren Patientinnen und Patienten beobachten? Welche Erfahrungen haben Sie mit Behörden gesammelt, denen Sie die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) berichten? Schreiben Sie uns Ihre Meinung an [email protected] HINWEIS Der Wert unabhängiger Fachjournale Nach Sir Muir Gray: „Im 19. Jahrhundert wurde die Gesundheit durch klares, sauberes Wasser verändert. Im 21. Jahrhundert wird die Gesundheit durch sauberes und klares Wissen verändert werden.“ Im Gegensatz zu vielen großen Wissenschaftsjournalen wie dem New England Journal of Medicine sind Fachmedien wie pharma-kritik vom Schweizer infomed-Verlag, das arznei-telegramm® oder der Arzneimittelbrief finanziell und auch sonst unabhängig von externer Einflussnahme. Kann ein großer Pharmakonzern beim New England Journal of Medicine zum Beispiel damit drohen, teure Anzeigen zurückzuziehen und dem Journal damit schweren finanziellen Schaden zuzufügen, kann dies den genannten Zeitschriften nicht geschehen. Diese finanzieren sich ausschließlich durch die Zahlung ihrer Abonnenten. Die Autoren sind damit frei im Denken und Schreiben, im arznei-telegramm® und Arzneimittelbrief sogar anonym, unabhängig und nicht erpressbar. Sie können sich kritisch äußern, ohne unter Druck gesetzt werden zu können oder irgendwelchen Auftraggebern gegenüber willfährig sein zu müssen. Die Serie von drei Editorials im New England Journal of Medicine von Lisa Rosenbaum1 zum Thema Interessenkonflikte spricht Bände und ist aus unserer Sicht blamabel – die eingestandene Kapitulation vor der Finanz- und Meinungsmacht der Pharmakonzerne. Diesen Zeitschriften stehen die Journale der ISDB gegenüber, den Zeitschriften der International Society of Drug Bulletins.2 Hier kooperieren international etwa fünfzig Zeitschriften, die kritisch über Pharmaka berichten. In Deutschland sind dies das bereits genannte arznei-telegramm® aus Berlin, der Arzneimittelbrief, der ebenfalls aus Berlin stammt, die Buko Pharmakampagne aus Bielefeld sowie die Arzneiverordnung in der Praxis, die von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegeben wird. Wir empfehlen unseren Lesern die Lektüre dieser Zeitschriften. 쮿 Quelle: 1. http://www.nejm.org/ doi/pdf/10.1056/ NEJMms1502493 http://www.nejm.org/ doi/pdf/10.1056/ NEJMms1502497 http://www.nejm.org/ doi/pdf/10.1056/ NEJMms1502498 2. http://www.isdbweb. org/members/ bulletin_index TEXT: JOACHIM SEFFRIN ✓ Interessenkonflikte: keine KVH aktuell 3|2015 29 STELLUNGNAHME Veröffentlichung nach Redaktionsschluss DIALOG Quelle: http://www.nejm.org/ doi/pdf/10.1056/ NEJMoa1410489 Während der Drucklegung von KVH aktuell 2/15 ist die IMPROVE-IT-Studie im NEJM erschienen. Die Studie zeigt eine grenzwertige signifikante Hazard Ratio von 0,936 (p = 0,016), Confidence Interval 0,89–0,99, für die kombinierten End- punkte ohne signifikante Reduktion der Gesamtmortalität. Die Aussagen des Berichts im arznei-telegramm® bleiben vom Ergebnis der Publikation unberührt. 쮿 Erratum KVH aktuell 2/15 Druckfehler in der DEGAM-Leitlinie Bridging: letzte Seite, zweiter vom Hausarzt auszufüllender Block, mittlere Spalte: Statt „in therapeutischer“ muss es hier „in halbtherapeutischer“ Dosierung heißen. INFO Wenn Sie diese Ausgabe von KVH aktuell auch auf Ihrem Smartphone oder Tablet lesen möchten, scannen Sie einfach den QR-Code. Sie kommen damit auf unsere Homepage kvhessen.de. IMPRESSUM kvh.link/1503008 Redaktionsschluss: 20. 8. 2015 INTERNET 30 KVH aktuell 3|2015 Schreiben Sie uns! Herausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Zuschriften bitte per E-Mail Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, oder Post an: 60325 Frankfurt [email protected] | Tel.: 069 79502-580 | www.kvhessen.de [email protected], Redaktionsstab: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Dr. med. Joachim Fessler (verantw.), Dr. med. Christian Albrecht, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Petra Bendrich, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frankfurt Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. med. Uwe Popert, Hinweis: Karl Matthias Roth, Dr. med. Joachim Seffrin, Dr. med. Gert Vetter, Die KVH aktuell-Redaktion freut sich Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross über Ihre Statements, behält sich Wissenschaftlicher Beirat: aber das Recht der Kürzung vor. Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseigenen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Verlag: wdv Gesellschaft für Medien mbH & Co. OHG, Siemensstraße 6, 61352 Bad Homburg. Objektleitung: Karin Oettel; Redaktionskoordination: Dr. med. Detlef v. Meien-Vogeler; freie Mitarbeit: Dr. phil. nat. Andreas Häckel, Gestaltung: Steffen Klein, Udo Schankat; Bildredaktion: Uta Schöninger; Herstellung: Dieter Kempiak; Vertrieb: Brigitte Hoemberg Bildnachweise: © Hywards – Dreamstime (1), wdv – Oana Szekely (2), © Sashkinw – Dreamstime (I), doc-stock – Science Photo Library (4 – 5), Verlag Schattauer (11), Fotolia/Alex White (14), Logo G-ba (16), imaginando – Fotolia (17), wdv (19 – 26). DEGAM S1-HANDLUNGSEMPFEHLUNG Medikamentenmonitoring Definition Medikamente mit einem bestimmten Risikopotenzial, das entweder bereits klinisch identifiziert ist oder aufgrund bestimmter biopharmazeutischer und/oder präklinischer Erkenntnisse wahrscheinlich ist, bedürfen eines Monitorings auf arzneimittelbedingte Organschäden. Neben der Erfassung klinischer Symptome sollten regelmäßig auch technische und laborchemische Untersuchungen erfolgen. Epidemiologie/Versorgungsproblem Autor: Armin Mainz Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny Multimorbidität und Multimedikation steigen im Alter an. Die Herausforderung für die hausärztliche Versorgung besteht in der Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW). Bislang existiert jedoch noch kein flächendeckendes, systematisches Programm für Kontrolluntersuchungen. DEGAM-Leitlinien Einteilung Hilfen für eine gute Medizin Stand 2013 © DEGAM degam-leitlinien.de Die mit dieser Leitlinie zur Überwachung vorgeschlagenen Medikamente werden überwiegend in der Dauertherapie eingesetzt und können den folgenden Gruppen zugeordnet werden: Medikamente zur Vorbeugung und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen, zur Beeinflussung des Immunsystems sowie zur Behandlung neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen. Das Intervall für die vorgeschlagene Erhebung der Parameter richtet sich nach Schwere und Dynamik der zu verhütenden UAW sowie der Dauer der Medikamenteneinnahme. Prognose/Verlauf Werden unerwünschte Arzneimittelwirkungen rechtzeitig erkannt, können durch eine Änderung in der Medikation Folgeschäden verhindert werden. Abwendbar gefährliche Verläufe Arzneimittelbedingte Organschäden können zur Hospitalisierung, dauerhaften Schädigungen oder Behinderungen oder zum vorzeitigen Tod führen. Andererseits müssen Patientinnen und Patienten auch vor Überdiagnostik und falscher Beunruhigung durch übermäßige oder nicht gerechtfertigte Untersuchungen geschützt werden (Quartärprävention). Diagnostik Fachinformationen, wissenschaftliche Literatur und konsensbasierte Evidenz bilden die Grundlage für eine Monitoring-Tabelle zur Erfassung von Laborparametern. Die Verwendung von Makros und Recall-Verfahren in den Praxisverwaltungssystemen kann die Umsetzung der erforderlichen Kontrollen erleichtern. Therapie Änderungen in der Medikation aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen sollten ggf. in Kooperation mit den mitbehandelnden gebietsärztlichen Praxen erfolgen. Die hier erfolgte Listung von Medikamenten ist unabhängig von der Frage ihrer sinnvollen Indikation zu betrachten. Der Medikamenten-Monitor bedarf einer laufenden Aktualisierung. Die angegebenen Kontrolluntersuchungen sind ein Minimal-Standard für die stabile Dauerbehandlung von Erwachsenen und ersetzen nicht die Fachinformationen; in Einzelfällen sollen die aufgeführten Untersuchungen um weitere Parameter ergänzt werden. Insbesondere in den Einstellungs- und Umstellungsphasen können weitere Untersuchungen erforderlich sein. DEGAM-Bundesgeschäftsstelle Haus 15, 4. OG, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Telefon 069 65007245 geschaeftsstelle@ degam.de kvh.link/1503010 INFO Mesalazin/Sulfasalazin (Salofalk) xx x 4 Mo. lang > x x x x x x x 6 Mo. lang > x 3 Mo. lang x x x > xx x x x 1 Mo. lang x x weitere 2 Mo. x > Clozapin (Leponex)1 xx 4 Mo. lang > Olanzepin (Zyprexa) x Amiodaron DOAK (Pradaxa, Xarelto, Eliquis) x x x2 x 3 Mo. lang > x x x x x 6 Mo. lang > x x x Risperidon (Risperdal) Phenytoin (Zentropil) x x x Dronedaron (Multaq) x x Valproat (Ergenyl, Orfiril, Leptilan) x Lithium (Quilonum) x x x x 3 Mo. lang > x 3 x3 x x x x x x x4 x 1 Mo. lang x weitere 5 Mo. x > Carbamazepin x x x3 1 Mo. lang weitere 5 Mo. x x x > Primidon (Liskantin, Mylepsinum) x Agomelatin (Valdoxan) Phenprocoumon (Marcumar) x x x x x Jährlich x weitere 3 Mo. Methotrexat (Lantarel) halbjährlich im Quartal alle 8 Wo. alle 4 Wo. xx 2 Mo. lang > alle 2 Wo. Leflunomid (Arava) Intervall wöchentlich xx Spiegel Cyclophosphamid (Endoxan) Zeitraum Gerinnung xx BZ Chloroquin (Resochin) TSH x Urin-stix xx eGFR Azathioprin (Imurek) Mögliches Makro-Kürzel (einzelne Handelsnamen) Na, K, Ca GGT, GPT Laborparameter BB=x Diff. BB=xx Medikamente 3 Mo. lang > x x ACE-Hemmer/Sartan x6 x Diuretikum x6 x Kortison > 7,5 mg/Tag 5 x x x x x x x (MonoEmbolex, Embolex,Clexane Clexaneusw.) usw.) HeparinNMH7 NMH7(Mono Heparin Statin [Myopathie]8 Digitalis8 [Intoxikationszeichen] Thiamazol8 [Agranulozytose] 1 Version 1.2 Evtl. nach 9 Jahren Kontrollen beenden; 2 7 Tage nach Beginn; 3 nur Na; 4 im Quartal; 5 Intervall nach INR individuell gestalten; 6 nur K und Na; 7 zu der Notwendigkeit von Thrombozyten-Kontrollen existieren widersprüchliche Aussagen; bei der dauerhaften Gabe kann auf Laborkontrollen verzichtet werden; 8 Labor nur bei klinischanamnestischen Hinweisen (Agranulozytose bei Thiamazol: 3 von 10.000).
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