Wie sehr schadet die Hyperglykämie den Gefäßen?

BRENNPUNKT ARZNEI
Jahrg. 20, Nr. 3 | September 2015
Pharmakotherapie
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis
Wie sehr schadet
die Hyperglykämie
den Gefäßen?
ANÄMIE
Diabetestherapie
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STANDPUNKT
NACHRICHTEN
FORSCHUNG UND PRAXIS
Innovationen: Wenn die Statistik
besser ist als die Substanz
Oseltamivir und Zanamivir:
Kritische Anmerkungen
Inhalationssprays: Korrekte
Anwendung bei Asthma und COPD
EDITORIAL
Lohnen sich die
Risiken der Therapie und
wenn ja, für wen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
Hinweis KVH –
Brennpunkt Arznei
Die vorliegende
Publikation „KVH –
Brennpunkt Arznei“ ist
ein Informationsangebot
zur rationalen und
rationellen Pharmakotherapie in der Praxis.
Sie wird herausgegeben
und mit freundlicher
Genehmigung zur
Verfügung gestellt von
der Kassenärztlichen
Vereinigung Hessen.
Die enthaltenen Beiträge
geben die Auffassung
der Verfasser bzw. der
Redaktion wieder.
Aufgrund der regionalen
Unterschiede können
nicht alle Inhalte auf die
Gegebenheiten in
Hamburg übertragen
werden. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit
der Angaben kann keine
Gewähr übernommen
werden.
KOMMENTAR
die SGLT-2-Inhibitoren Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin sind als Monotherapie und in
Kombination mit Metformin oder Insulin zur Therapie des Typ-2-Diabetes zugelassen. Sie wirken über
eine insulinabhängige Glukoserückresorptionsminderung in der Niere. In der frühen Nutzenbewertung
wurde für sie kein Zusatznutzen, weder in der Mono- noch in der Kombinationstherapie des Typ-2Diabetes, festgestellt.
Bezüglich Dapagliflozin haben wir unter anderem darüber berichtet, dass neben dem fehlenden
Zusatznutzen auch über mögliche Langzeitschäden bisher nichts belegt ist. Dies sollte man vor einer
eventuellen Verordnung bedenken – besonders angesichts des Angriffspunkts im proximalen Nierentubulus. Außerdem bestehen laut Literatur fragliche Risiken hinsichtlich Leberfunktionsstörungen und
Krebserkrankungen sowie Hinweise auf erhöhte Sterblichkeit.
Auch für Canagliflozin sieht es nicht besser aus und es gibt die gleichen Bedenken und Fragen. Nach
Aussage des arznei-telegramms® liegen darüber hinaus Hinweise für erhöhte kardiovaskuläre
Risiken vor. Empagliflozin ist den beiden anderen SGLT-2-Inhibitoren bezüglich geringer Wirkung, fehlenden Zusatznutzens und offener Fragen zu dieser Arzneimittelgruppe sowie Risiken vergleichbar.
Jetzt hat das BfArM darüber berichtet, dass ein europäisches Bewertungsverfahren zur Untersuchung diabetischer Ketoazidosen unter der SGLT-2-Inhibitorentherapie eingeleitet worden ist. Der Grund ist die Beobachtung von mehr
als 100 schwerwiegenden Ketoazidosefällen. Die diabetische Ketoazidose kann
lebensbedrohlich sein und tritt typischerweise bei Typ-1-Diabetes auf, wurde jetzt
aber auch bei Typ-2-Diabetes beobachtet. Interessant ist, dass sie normalerweise
mit sehr hohen Blutzuckerwerten einhergeht, nun aber auch bereits bei mäßig
erhöhten Blutzuckerwerten beobachtet wurde.
Was ergibt sich daraus? Eine kritische Beurteilung einer
Pharmakotherapie ist für die Sicherheit unserer Patienten
unverzichtbar und die SGLT-2-Therapie lohnt sich nach derzeitigem Stand des Wissens nicht.
Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
HILFE FÜR FLÜCHTLINGE
Eine wachsende Zahl von Asylsuchenden braucht
medizinische Betreuung. Informationen zum
Thema „Versorgung von Flüchtlingen in Hessen“,
Dokumente wie Anamnesebögen oder Medikamentenpläne in verschiedenen Sprachen sowie
die geltenden rechtlichen Grundlagen finden Sie
unter www.kvhessen.de/fluechtlinge.
2
KVH aktuell 3|2015
kvh.link/1503011
3|2015
Inhalt
EDITORIAL
SEITE 2
SGLT-2-Inhibitoren: Lohnen sich die Risiken der Therapie und wenn ja, für wen?
SCHWERPUNKT
SEITEN 4 –9
Diabetestherapie:
Effektive Stoffwechselkontrolle: Ist die Hyperglykämie das eigentliche Problem?
STANDPUNKT
SEITEN 10 –13
Innovationen: Wenn die Statistik besser ist als die Substanz
Raucherentwöhnung mit Vareniclin (Champix®): Zu welchem Preis?
SGLT-2-Inhibitoren: Auslöser diabetischer Ketoazidosen?
NACHRICHTEN
SEITEN 14 –18
CSE-Hemmer: IMNM als seltene Komplikation
Kodein: Nicht für Kinder unter 12 Jahren
Neuramidasehemmer: Oseltamivir und Zanamivir – kritische Anmerkungen
und weitere Meldungen
FORSCHUNG & PRAXIS
SEITEN 19 –26
Inhalationssprays: Korrekte Anwendung von Inhalativa bei Asthma und COPD
Urikostatika und Urikosurika: Einsatz von Allopurinol bei Hyperurikämie
Gastroenterologie: Eradikation von Helicobacter pylori bei Clarithromycin-Unverträglichkeit
DIALOG
SEITEN 27 –30
Umgang mit klinischen Studien: Transparenzoffensive der WHO
Ceterum censeo: Wie gefahrlich darf unsere Therapie sein?
Stellungnahme: Aktuelle Auswertungen zu Ezetimib und die Bedeutung unabhängiger Fachjournale
Impressum
ANÄMIE-SPECIAL
SEITEN I –XII
Transfusionsmedizin:
Richtig handeln bei präoperativer Anämie
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SCHWERPUNKT
DIABETESTHERAPIE
Effektive Stoffwechselkontrolle: Ist die
Hyperglykämie das
eigentliche Problem?
Neue Veröffentlichungen zum Typ-1-Diabetes ermöglichen eine rationale
Einschätzung der Effektivität „intensiver“ antihyperglykämischer Therapien.
Dabei stellen sie eine sicher geglaubte Hypothese einer Gefahr infrage:
Gibt es eine direkte Gefäßschädigung durch die Hyperglykämie? Und wenn es
sie gäbe – spielt sie wirklich eine Rolle?
DR. MED. TIL UEBEL
4
KVH aktuell 3|2015
D
Primäre Schlussfolgerungen
der DCCT
In der klinischen Studie des National Institute of
Diabetes and Digestive and Kidney Disease wurden
in den USA und Kanada 1.441 Patienten mit mindestens einem Jahr, maximal 15 Jahre bestehendem Typ-1-Diabetes entweder mit einer intensivierten Therapie (ICT) oder der zu dieser Zeit üblichen
konventionellen Insulintherapie (CT) behandelt.
Ausgeschlossen waren unter anderem Patienten
mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen, fortgeschrittenen diabetischen Spätkomplikationen
oder mit schweren Hypoglykämien in der Vorgeschichte. Während die Patienten der CT-Gruppe ein
Therapieschema mit zwei festen Dosen ohne Variation der Insulindosis erhielten, spritzten die Probanden der ICT-Gruppe das heute häufig genutzte
Schema mit mindestens drei Insulininjektionen. Die
Dosis war einem jeweils zuvor abgeschätzten Bedarf angepasst, abhängig vom aktuell gemessenen
Blutzucker, und jeder Teilnehmer hatte eine individuelle Basalinsulinrate. Ein Teil der Probanden waren Pumpenträger. Eine Verblindung fand nicht
statt. Die Ziele richteten sich nach der Therapieform: Während in der ICT-Gruppe ein Nüchternwert von 70–120 mg sowie ein niedriger postpran-
dialer Wert und die Vermeidung einer nächtlichen
Unterzuckerung durch wöchentliche Kontrollen
gewährleistet werden sollten, war für die Probanden der CT-Gruppe einziges Ziel, keine Symptome
der Erkrankung, wie Ketoazidosen, Hypo- oder Hyperglykämien oder Glukosurien spüren zu müssen.
Sie brauchten keine Stoffwechselselbstkontrolle
durchzuführen, Dosierungen der Insulineinheiten
waren durch die betreuenden Ärzte vorgegeben.
In der Gruppe mit intensiver Therapie erreichten
die Patienten auf Dauer HbA1c-Werte von 7,1 ±
0,9 % (Mittelwert ± Standardabweichung), in der
konventionellen Gruppe lag der erreichte Wert bei
9,1 ± 1,3 %. Bei etwa 200 der 1.441 Patienten
entwickelte sich im Verlauf der Studie entweder
eine diabetische Retinopathie neu oder es verschlechterte sich eine vorbestehende Retinopathie.
SCHWERPUNKT
er 1983 initiierte und 1993 publizierte
Diabetes Control and Complications Trial
(DCCT)i und die sich anschließende Beobachtungsstudie Epidemiology of Diabetes Intervention and
Complications (EDIC) mit zahlreichen Veröffentlichungen gelten als die Meilensteineii der Forschung zum Typ-1-Diabetes. Im Januar 2015 wird
von der gleichen Arbeitsgruppe eine weitere hochwertige Publikation im JAMA (The Journal of the
American Medical Association) veröffentlicht, die
sich der Frage der Langzeitmortalität in Abhängigkeit von der Blutzuckereinstellung widmet
(Orchard et al: Association Between 7 Years of Intensive Treatment of Type 1 Diabetes and Long-Term
Mortality)iii. Bereits im letzten Jahr erschien ein
Cochrane-Review von Fullerton, der sich mit den
Effekten einer intensiven Glukosekontrolle beschäftigte und insbesondere die DCCT-Daten im
Blick hatte (Fullerton et al: Intensive glucose control versus conventional glucose control for type 1
diabetes mellitus)iv. Ebenfalls im letzten Jahr untersuchten Lind und Kollegen die Ursachen der Exzessmortalität von Typ-1-Diabetikern in einem
schwedischen Register. Dies führte zu einer aufsehenerregenden Publikation im New England
Journal of Medicine, denn sie konnten darstellen,
dass selbst „hervorragend eingestellte“ Patienten
mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Sterberisiko
hatten (Lind et al: Glycemic Control and Excess
Mortality in Type 1 Diabetes)v.
Folgen der DCCT
Direkte Konsequenz der ersten Auswertungen
der DCCT-Daten 1995 und die Schlussfolgerungen
der Autoren waren, dass durch die intensive Therapieform signifikant weniger diabetische Retinopathien – bzw. deren Verschlechterungen – entstehen
als unter konventioneller Therapie. Aufgrund der
Annahme, dass die intensive Therapieform besser
vor einer diabetischen Retinopathie schütze als die
konventionelle Therapieform, wird seither die intensive Insulintherapie als Standard der Insulinbehandlung gesehen. Wie sich 15 Jahre später herausstellte, beruhte diese Behauptung jedoch auf Randomisierungs- und Auswertungsfehlern.vi Nur etwa 4 %
des Gruppen-Unterschieds bei der Retinopathie bezogen sich auf die Therapieform (konventionelle
oder intensive Insulintherapie), 96 % des GruppenUnterschieds waren auf den jeweils erreichten
HbA1c-Wert zurückzuführen, unabhängig davon,
ob jemand in der Intensiv- oder der konventionellen
Gruppe behandelt worden war. Die Autoren nahmen daher ihre frühere Behauptung zurück, konventionell behandelte Patienten hätten ein höheres
Risiko für diabetische Folgeschäden als intensiviert
behandelte. Die Empfehlung, Typ-1-Diabetiker sollten sich so früh wie möglich möglichst so normnah
einstellen, wie sie es ohne Gefährdung ihrer Sicherheit (durch Hypoglykämien) schaffen könnten, hielten sie hingegen aufrecht. Und das, obwohl die Teilnehmer der Gruppe mit intensiver Insulintherapie
dreimal häufiger schwere Hypoglykämien aufwiesen. Vielleicht war diese Einschätzung den
eigenen Berechnungen geschuldet, da zu diesem
Zeitpunkt noch niemand von einer erhöhten
Mortalität bei Hypoglykämien ausging. Die Autoren konnten keinen der 11 Todesfälle während der
DCCT-Laufzeit dem erheblichen Hypoglykämierisiko
einer damals neuen Therapiestrategie zuordnen.
Schließlich war in der DCCT niemand an direkten
KVH aktuell 3|2015
5
SCHWERPUNKT
Folgen einer der zahlreichen Unterzuckerungen gestorben. Allerdings war den Forschern bekannt,
dass vermutlich zwei „fatale Verkehrsunfälle“ diesen Unterzuckerungen zuzuschreiben waren. „Für
die Enthusiasten einer Zielsetzung auf normnahe
HbA1c-Werte (d. h. 6,1 %) hielt diese DCCT-Publikation noch einen weiteren Dämpfer parat“ (so
E. Chantelau in einer Übersichtsarbeit in der ZFA
2009)vii: „Nur ein kleiner Bruchteil des gesamten
Retinopathie-Risikos war in der DCCT-Studie auf
den HbA1c-Wert zurückzuführen, wie von nun an
die logistische Regressionsanalyse zeigte. Nur 11 %
der Varianz des Auftretens einer Retinopathie wurden durch den auf Dauer erreichten HbA1c-Wert bestimmt und 89 % wurden auf anBei neun von zehn Patien- dere, nicht näher bezeichnete Risikofaktoren (wie Umweltfaktoren
ten mit „diabetogenen“ und genetischer Einfluss) unabFolgeerkrankungen ist die hängig vom HbA1c-Wert zurückUrsache bis heute nicht geführt.“
Erst die 2006 schockierend
geklärt. Folgekrankheiten wirkende Übersterblichkeit in der
entstehen also unabhän- ACCORD-Studie bei intensiv
Typ-2-Diabetespagig vom therapeutisch behandelten
tientenviii und die enttäuschenden,
erreichten HbA1c-Wert! weil faktisch fehlenden Benefits für
eine intensive Diabetes-Therapie
der zwei weiteren großen Studien ADVANCEix und
VADTx, führten zu einem Umdenken. Überzogen
niedrige HbA1c-Ziele haben seither die Leitlinien für
alle Diabetes-Typen endgültig verlassen. Sie werden
allerdings von wenigen „Spezialisten“ weiterhin
favorisiert.
EDIC
Der signifikante HbA1c-Unterschied zwischen Interventions- und Kontrollgruppe (7,4 % vs. 9,1 %;
p < 0,01), war schon bald nicht mehr nachweisbar
bei den weiterhin, nun ohne Therapievorgabe
von den Autoren kontrollierten Patienten (EDICStudie) – wenngleich sich diese HbA1c-Differenz
nie vollständig anglich. Und obwohl es sich somit
nur noch um Beobachtungen von ursprünglichen
Studienteilnehmern mit kaum abschätzbaren
Confoundern handelt und die daraus resultierenden Daten keinen Anspruch auf hochklassige
Evidenz für eine Therapiestudie erfüllen, scheinen
die Ergebnisse schlüssig. Dies gilt auch für die
zuletzt 2014 in einem Übersichtsartikelxi in Diabetes Care aufgearbeiteten Daten. Sie können Folgendes aufzeigen: Eine frühe intensive Insulintherapie geht für einen Teil der Patienten mit einer
Reduktion des Risikos einher, mikrovaskuläre
Folgeerkrankungen, sowohl währenddessen als
auch in einer 20-jährigen Nachbeobachtungszeit,
zu entwickeln. Die Ergebnisse hinsichtlich makrovaskulärer Komplikationen hingegen sind weniger klar: Obwohl die Gesamtzahl der Ereignisse in
der Nachbeobachtung höher war, waren alle
Ereignisse insgesamt weiterhin sehr selten, sodass
die der Studie unterlegten statistischen Annahmen nicht ausreichen, um Effekte sicher zu erkennen („fehlende Power“).
30 Jahre nach Initialisierung des DCCT werden
mikro- wie makrovaskuläre Ereignisse durch eine
Verbesserung des HbA1c-Werts aber teilweise
reduziert und es scheint sich das Phänomen des
metabolischen Gedächtnisses (Legacy-Effekt,
siehe Kasten) zu bestätigen, das auch das
UKPDS-Follow-upxii postulierte. Besser als in den
Typ-2-Diabetes-Studien lässt sich hier also der reine Effekt der insulinabhängigen Blutglukosekonzentrationsänderung beobachten. Während
der 17 Jahre Follow-up traten in der Interventionsgruppe bei weniger Personen als in der Kontrollgruppe erste kardiovaskuläre Ereignisse auf
(31 Personen versus 52 Personen; Hazard Ratio
0,58; 95-%-CI: 0,37–0,91).
Die DCCT-EDIC-Autoren fassten im Jahr 2015
die Ergebnisse zusammen: Nach einem Mittel von
27 Jahren kann eine initial intensive Insulintherapie über 6,5 Jahre im Vergleich zu einer konventionellen Therapie eine moderate Senkung der
kardiovaskulären Mortalität bewirken. Die Senkung der Gesamtmortalität ist allerdings allenfalls
marginal, wenn auch knapp statistisch signifikant
LEGACY-EFFEKT: POSITIVES VERMÄCHTNIS
DER FRÜHEREN THERAPIE
Dem Phänomen des metabolischen Gedächtnisses liegt folgende Hypothese zugrunde:
Spätkomplikationen einer chronischen
Hyperglykämie können durch eine zeitlich
sehr früh durchgeführte intensive Therapie
6
KVH aktuell 3|2015
verhindert werden. Die in fortgeschrittenem
Stadium durchgeführte antihyperglykämische
Stoffwechselkontrolle kann dies nicht mehr
möglich machen.
Exzessmortalität bei Typ-1-Diabetes
Die eigentliche kardiovaskuläre Mortalität eines
ansonsten gesunden Typ-1-Diabetespatienten
bleibt also erfreulich gering und das Sterberisiko
auch nach 30 Jahren scheint ganz überwiegend
nicht kardiovaskulärer Ursache zu sein. Dies legen
aktuelle EDIC-Daten aus dem Jahr 2015 nahe.
Trotzdem bleibt die absolute Gefährdung, die
vom Diabetes ausgeht (Exzessmortalität), ungewiss. Welchen Einfluss der HbA1c-Wert dabei hat,
wurde in einer Register-basierten Beobachtungsstudie an Patienten in einer schwedischen Kohorte von 1998 bis 2011 untersucht (Lind et al: Glycemic Control and Excess Mortality in Type-1Diabetes). Erstaunlicherweise hatten auch die
insulinabhängigen Typ-1-Diabetiker mit einem
HbA1c < 7 % ein zweifaches Mortalitätsrisiko jeglicher, aber auch kardiovaskulärer Ursachen im
Vergleich zur entsprechenden Kontrollgruppe
(„Matched control“). Der Unterschied zwischen
denjenigen mit optimalem HbA1c-Wert und denjenigen mit einem HbA1c-Wert von bis zu 7,8 %
war marginal. Erst Werte jenseits 8,7 % gingen
mit einer deutlichen (vierfach höheren) Exzessmortalität einher. Jedoch war selbst dieser Risikofaktor nicht vergleichbar mit dem wichtigsten
Prädiktor für die kardiovaskuläre Mortalität, einer
zeitgleich bestehenden Nephropathie (siehe Tabelle unten).
Eine Beobachtung, aus der sich schließen lässt,
dass auch niedrige HbA1c-Werte unter einer
Insulintherapie keine Sicherheit für diese Therapieform darstellen. Eine Schlussfolgerung, die
schon Registerdaten aus Großbritannien bei
Patienten mit Typ-2-Diabetes nahelegten. Diese
waren aber wegen der Vielzahl der dort eingesetzten Substanzen sowie des differierenden
Schweregrades von Grund- und Folgeerkrankungen schlecht als direkte Therapiefolge zu
interpretieren.xiii
SCHWERPUNKT
(p-Wert: 0,045 (CI: 0,46–0,99). Primäre Ursache
für den Tod ist zwar die kardiovaskuläre
Mortalität (24 Todesfälle; 22,4 %), fast ebenso
häufig sind jedoch folgende Ursachen festgehalten: Krebs (21 Todesfälle; 19,6 %), akute Diabeteskomplikationen (19 Todesfälle; 17,8 %) und
Unfälle sowie Suizide (18 Todesfälle; 16,8 %).
Assoziationen zwischen höheren HbA1c-Werten
und Gesamtmortalität waren ebenfalls signifikant
vorhanden. Die eigentliche Frage, die diese Daten
mit sich bringen, nämlich die nach dem tatsächlichen Benefit für Betroffene, dem Abwägen zwischen Gefahr und Nutzen einer Therapie bei
einem nicht wesentlichen, wohl bis heute deutlich überschätzten kardiovaskulären Risiko, lassen
die Autoren unbeantwortet.
Viele offene Fragen
Es stellt sich die Frage, ob der pathophysiologisch
als sicher geglaubte Zusammenhang einer Gefäßschädigung durch die chronische Hyperglykämie
als entscheidende Ursache der erhöhten
Mortalität betroffener Diabetespatienten zu hal-
Type 1 Diabetes: Hazard ratios for death from any cause and from cardiovascular causes
Death from any cause
Death from cardiovascular disease
Time-updated mean
glycated hemoglobin
level – no. of events/
total no.
Reference group
(controls)
7386/200,539
2326/200,539
1.00
1.00
≤ 6.9%
2.36 (1.97–2.83)
2.92 (2.07–4.13)
7.0–7.8%
2.38 (2.02–2.80)
3.39 (2.49–4.61)
7.9–8.7%
3.11 (2.66–3.62)
4.44 (3.32–5.96)
8.8–9.6%
3.65 (3.11–4.30)
5.35 (3.94–7.26)
≥ 9.7%
8.51 (7.24–10.01)
10.46 (7.62–14.37)
> 120 ml/min
4.41 (3.53–5.50)
4.65 (2.91–7.42)
60 to 120 ml/min
3.24 (2.74–3.84)
4.56 (3.30–6.31)
15 to < 60 ml/min
7.64 (6.26–9.32)
10.42 (7.25–14.98)
Stage 5 chronic kidney
disease
29.01 (23.68–35.54)
41.32 (28.52–59.86)
eGFR
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SCHWERPUNKT
ten ist. Insbesondere beim Vergleich der Patienten in der schwedischen Kohortenstudie muss
man – zieht man die gesteigerte kardiovaskuläre
Mortalität heran – konstatieren, dass für die
Gesamtmortalität andere Faktoren ursächlich
sind. Vergleichbares gilt für die bis heute nicht
geklärten Umstände bei der Entstehung einer diabetischen RetiMehr als je zuvor müssen nopathie.
Ursachen
der
kardiovasku
lären
Schäden
könnZulassungsbehörden
heute darauf bestehen, ten auch die Insulintherapie
selbst oder aber andere, heute
dass Antidiabetika nur noch nicht identifizierte Faktoren
noch über den realen sein. Als gesichert gelten muss:
Nutzen für den Patienten Todesfälle durch die Therapie
(Ketoazidose, Koma und Hypobeurteilt werden. Die rein glykämie) sind zumindest bei
glukoseregulierende Patienten mit Typ-1-Diabetes im
Wirkung wird dabei eine Rahmen einer 30-jährigen Therapie, wie sie heute üblich ist, fast
zunehmend untergeord- ebenso häufig wie die in der Vernete Rolle spielen. gangenheit deutlich häufiger in
den Blickpunkt genommene kardiovaskuläre Mortalität. Beide
Formen
der
Sterblichkeit
für
diese
Patientengruppe liegen im Bereich der Häufigkeit
von Unfällen oder Krebserkrankungen. Und für
eben diese Erkrankungen werden ursächliche,
pathophysiologisch plausible Zusammenhänge
mit einer Insulintherapie diskutiert. Damit wankt
aber auch das Konzept der reinen Stoffwechselkontrolle als Surrogat für eine erfolgreiche
Diabetestherapie. Mehr als je zuvor müssen
Dr. Til Uebel
Zulassungsbehörden heute darauf bestehen, dass
Seit 2002 niedergelasseAntidiabetika nur noch über den Aspekt des
ner Allgemeinmediziner
realen Nutzens für den Patienten beurteilt werund Diabetologe in einer
den. Dabei wird die reine glukoseregulierende
überörtlichen BAG.
Wirkung eine zunehmend untergeordnete Rolle
Sprecher der AG Diabetes
spielen. Kardiovaskuläre Sicherheitsaspekte und
und „Sonderbeauftragter
das zu befürchtende Hypoglykämie-Risiko, beides
Diabetes“ der DEGAM;
heute
schon relevant für das VerordnungsverhalMitautor der NVL
ten
in
der
Praxis, werden vorübergehend zwar zu
Fußkomplikationen bei
wichtigen
Fragestellungen, aber sie reichen nicht
Diabetes, Auge und
Diabetes, S3-Leitlinie
aus, um die letztlich entscheidende Frage zu beTyp-1-Diabetes.
antworten: Welches ist die optimale Therapie
eines an Diabetes erkrankten Patienten, um desKontakt:
[email protected]
sen erhöhtes Sterberisiko zu reduzieren? Und
deutlicher als je zuvor tritt eine weitere FragestelZUR PERSON
lung zutage: Welche absoluten Risiken tragen die
8
KVH aktuell 3|2015
heute diagnostizierten Patienten in sich – in Zeiten ganz allgemein abnehmender kardiovaskulärer Mortalität, aber auch durch die geänderten
Definitionen des Typ-2- und Typ-1-Diabetes der
letzten Jahre? Hier herrscht vorrangiger Forschungsbedarf. Denn nur wenn das absolute Risiko bekannt ist, kann – gemeinsam mit den Patienten – entschieden werden, ob und welche
Form der Diabetestherapie eingesetzt wird. Sei
diese wie bisher vorrangig eine die Hyperglykämie senkende oder, künftig sicherlich wichtiger,
eine direkt Folgeerkrankungen verhindernde.
Fazit für die Praxis
Das kardiovaskuläre und das mikrovaskuläre Risiko
ebenso wie der Nutzen einer intensivierten Insulintherapie werden bei Typ-1-Diabetikern über einen
Zeitraum von 30 Jahren überschätzt. Die Gefahr,
die einer intensivierten Insulintherapie innewohnt,
wird hingegen unterschätzt. Die meisten Patienten
sterben eher an Komplikationen, Krebserkrankungen oder Unfällen. Und auch vermeintlich gute
Blutzuckerwerte schützen nicht vor dem erhöhten
Sterberisiko. Dieses steigt zwar bis zu
einem HbA1c von 8,7 % moderat an, ist aber vor
allem mit dem Vorhandensein von Nierenkomplikationen assoziiert. Ein Teil der mikrovaskulären
Komplikationen scheint durch eine HbA1c-Senkung mit Insulin vermeidbar zu sein, allerdings ist
nur ein Bruchteil der Retinopathien wirklich
Folge eines erhöhten HbA1c. Kardiovaskuläre
Sicherheitsaspekte, das zu befürchtende Hypoglykämie-Risiko und nicht zuletzt das bis heute
nicht verstandene zusätzliche Risiko, das der diabetischen Hyperglykämie sowie deren Insulintherapie innewohnt, werden die Forschungsthemen
der Zukunft sein. 쮿
✓ Interessenkonflikte: keine
In seiner Übersichtsarbeit gibt uns Til Uebel
einen umfassenden Überblick über die Fallstricke eines „glukozentrischen Weltbilds“.
Wenn man die Absenkung des Blutzuckers als
wesentliches Ziel der Therapie des Typ-2-Diabetikers sieht, so wird man laut Uebel richtigerweise die makrovaskulären Komplikationen
und damit die Prognose des Patienten nicht
verbessern – sondern eher verschlechtern. Ob
man nun die zitierte ACCORD-Studie nimmt
oder eine große Übersichtsarbeit von Craig
(Craig J; J Clin Endocrin Met, 2013; 98 (2):
668–677), in der 84.622 Diabetiker randomisiert
wurden auf 5 Therapiearme: Trotz guter Blutzucker- und HbA1c-Werte war die Insulin-Monotherapie mit einer Verdoppelung der Herzinfarktmortalität assoziiert. Es geht eben nicht
nur um die Komplikationen der Hypoglykämie,
sondern offenbar spielt die schwere diabetische
Dyslipoproteinämie eine Rolle. Besonders kleine, aggressive LDL-Partikel bilden sich, es
kommt zur Reduktion von HDL, das zudem
noch eine schlechtere Qualität aufweist als das
von Nichtdiabetikern. Diese beiden ungünstigen Veränderungen der Lipoproteine entstehen aber nicht durch zu viel Zucker im Blut,
sondern durch zu viel Insulin. Unter dem Ein-
SCHWERPUNKT
ENDE DES GLUKOZENTRISCHEN WELTBILDS?
fluss von Insulinresistenz und Insulin auf den
Stoffwechsel kommt es zu einem Anstieg der
freien Fettsäuren, damit zu einer Bildung der
kleinen (V)LDL und über eine gesteigerte Aktivität der Triglyceridlipase zur Ausbildung der aggressiven LDL-Subgruppen 5 und 6. Fatalerweise
ist das Gewicht dieser LDL-Partikel gering, sodass
der behandelnde Arzt sich in falscher Sicherheit
wiegt bei vermeintlich niedrigem LDL in mg/dl.
Wenn man die vielen kleinen aggressiven Partikel
dagegen zählen würde …
Die HPS- und die 4S-Studie haben daher gerade bei Diabetikern zeigen können, dass auch bei
vermeintlich „normalem“ LDL eine Statintherapie präventiv wirkt und die Prognose signifikant
verbessert – sogar noch mehr als bei Nichtdiabetikern. Und vor allem besser als Insulin, das ja die
makrovaskuläre Prognose (s. o.) verschlechtert.
Es wird Zeit, sich vom „glukozentrischen Weltbild“ zu verabschieden und den Typ-2-Diabetiker
eher mit Statinen und einer stark kohlenhydratreduzierten Kost zu behandeln, als ihn mit Insulin
oder insulinotropen Antidiabetika im Verbund
mit einer fettarmen, kohlehydratreichen Kost zu
„therapieren“ oder besser gesagt: zu mästen.
DR. MED. CHRISTIAN ALBRECHT
Quellen:
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ii
iii
iv
v
vi
vii
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Research Group. The effect of intensive treatment,
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Orchard
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Siebenhofer A. Intensive glucose control versus conventional glucose control for type 1 diabetes mellitus
(Review), 2014 The Cochrane Collaboration.
Published by JohnWiley & Sons, Ltd.
Lind M, et al. Glycemic Control and Excess Mortality
in Type 1 Diabetes. N Engl J Med 2014;371:
1972–82. DOI: 10.1056/NEJMoa1408214
The Diabetes Control and Complications Trial
Research Group 2008. The relationship of glycemic
exposure (A1c) to the risk of development and
progression of retinopathy in the Diabetes Control
and Complications Trial. Diabetes 1995;44: 968–983
Chantelau E. Doch kein Vorteil der intensiven
Insulintherapie? Zentrale DCCT-Schlussfolgerung
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x
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2008; 359: 1577–1589; doi:
10.1056/NEJMoa0806470
Currie G. Mortality and Other Important DiabetesRelated Outcomes With Insulin vs Other Antihyperglycemic Therapies in Type 2 Diabetes. J Clin
Endocrinol Metab 98: 668–677, 2013
KVH aktuell 3|2015
9
INNOVATIONEN
STANDPUNKT
Wenn die Statistik besser
ist als die Substanz
Wie mit Subgruppenanalysen, Relativprozenten und Vergleichsgruppen Ergebnisse gedreht werden können.
DR. MED. STEFAN GRENZ
W
as ist eine Innovation? – Beispielsweise wäre
Ihr Tankwart innovativ, wenn er Ihnen den
kompletten Tankinhalt berechnet, obwohl Ihr Tank
vorher nur halb leer war. SchließNachträgliche Subgrup- lich habe er Ihr Auto ja vollgepenanalysen sind wie tankt! Mithin seien nach Ihrem
Tankstopp 100 Prozent mehr im
Roulette, bei dem man Tank als vorher. Und wenn man in
noch setzen darf, wenn einen Behälter 100 Prozent eindie Kugel bereits gefal- füllt, dann koste das auch 100 Prozent. Für Sie ein Grund, einen
len ist. Sagen Sie „Rien kleineren Tank einzubauen? Oder
ne va plus!“ aufs Fahrrad umzusteigen? Mit
dem Rad wären Sie immerhin
300 Prozent schneller als zu Fuß (20 km/h gegen
5 km/h).
Es soll aber auch echte Innovationen geben: Diesen Titel beanspruchen seit geraumer Zeit die sogenannten neuen oder direkten Antikoagulantien (NOAK/DOAK). Mit Verweis auf neuste
Studienergebnisse sind die Kernaussagen der
zahllosen Meetings, Workshops, Symposien und
Fachartikel zu Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban
(Lixiana®) vergleichbar euphorisch. Zum Beispiel
Apixaban: Es wirke bei Patienten mit Vorhofflimmern besser und sei dabei sicherer als das bisherige Standardmedikament. In einer Studie habe
die Substanz 21 % mehr Schlaganfälle und arterielle Embolien verhindert als Warfarin (sog. primary efficacy-endpoint). Gleichzeitig sei es zu
31 % weniger schweren Blutungen als unter Warfarin gekommen (sog. primary safety-endpoint).
So darf man nicht rechnen?
Was sagen Sie dann zu folgendem Beispiel: In einer Studie wirkt die Substanz ALT in 11 % aller Fälle, die Substanz NEU wirkt dagegen bei 13 % aller
Patienten. Also ist NEU rein rechnerisch 2 % wirksamer als ALT (13 % minus 11 %). Beworben wird
Substanz NEU dagegen mit einer um 18 % gesteigerten Wirksamkeit (2 % geteilt durch 11 %)! Damit ist Substanz NEU zumindest die Innovation einer hellwachen Marketingabteilung. Raten Sie
mal, was NEU im Vergleich zu ALT kosten wird?
10
KVH aktuell 3|2015
Ein Blick in die Originalarbeit lohnt
Ein Blick in die Originalarbeit (ARISTOTLE-Studie)
ernüchtert: Dort sind „nur“ die Absolutwerte der
Ergebnisdifferenzen angegeben. Immerhin 0,33 %
weniger Apoplexe/Embolien und 0,96 % weniger
schwere Blutungen (efficacy: 1,57 % - 1,80 % =
-0,33 % bzw. safety: 2,75 % - 3,43 % = -0,96 %).1
Was bleibt?
Es bleibt unsicher, ob die um 0,33 % beziehungsweise 0,96 % besseren Ergebnisse von Apixaban
gegenüber einer sorgfältigen Warfarin-Therapie
immer noch statistisch signifikant gewesen wären. Diesen Nachweis bleiben leider auch die RELY-Studie für Dabigatran, die ROCKET-AF-Studie
für Rivaroxaban und die ENGAGE-AF-Studie für
Edoxaban größtenteils schuldig.
Es bleibt deshalb in eigener Pflicht, bei Differenzangaben in Prozent zu prüfen, ob hier absolut
oder relativ gerechnet wurde. Relative Prozentangaben (also Prozente von Prozenten) sind manipulativ missbrauchbar: Wir haben den Umgang mit
Prozenten verinnerlicht als das Denken in Anteilen
vom Ganzen. Intuitiv setzen wir voraus, dass sich
jeder daran hält. Werden dagegen zwei Prozentangaben nochmals prozentual miteinander ins
Verhältnis gesetzt, ist der Bezugspunkt weg. Kleine Differenzen erscheinen auf diese Weise unverhältnismäßig groß.
So verständlich das Interesse eines Herstellers
sein mag, die Vorteile einer neuen Substanz nach
Jahren teurer Forschung ins beste Licht zu rücken:
Werden hierfür Studiendaten missverständlich
präsentiert, ist jeder Anspruch auf Wissenschaftlichkeit an der Restaurantgarderobe abgegeben
worden. Die Konsequenzen kosten in harmlosen
Fällen nur unnötig Geld. Im schlimmsten Fall können sie die Gesundheit derer beeinträchtigen, die
mit der bisherigen Standardtherapie vergleichbar
oder sogar besser gefahren wären. 쮿
STANDPUNKT
Die Menge an zusätzlichen Subgruppenergebnissen braucht nicht zu verwirren: Aussagekräftig
sind nur solche Ergebnisse, die vor Studienbeginn
im Protokoll2 als Endpunkte definiert wurden. Außerdem müssen bei kombinierten Endpunkten alle einzelnen Signifikanzniveaus ausreichend hoch
sein, sonst steigt nämlich die Irrtumswahrscheinlichkeit an (statistisch Kundige können das mit
der Faustformel nach Bonferroni schätzen). Es ist
also kein Fehler, sich auf die primären Endpunkte
zu konzentrieren.
Ist Apixaban nun ein Fortschritt gegenüber
Warfarin? Das ist schwer zu beurteilen. Der Grund:
Die Einstellungsqualität in der Warfarin-Kontrollgruppe (ermittelt als TTR: Time in Therapeutic
Range) war mit 66 % schlecht. Sie lag damit 9 %
unter dem in Nordeuropa Erreichbaren. Eine
schwedische Registerstudie hatte im Jahr 2011
gezeigt, dass unter Alltagsbedingungen eine TTR
von 75 % erreichbar ist.3
Konrad Wink: Wie liest
und bewertet man eine
klinische Studie?
Verlag: Schattauer 2006
ISBN: 978-3794525270
Taschenbuch:
72 Seiten, 16,99 Euro
Quellen:
1. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJV, et al. Apixaban versus Warfarin in Patients with Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2011; 365: 981–992
2. Granger CB, Alexander JH, McMurray JJV, et al. Protocol for: Apixaban versus Warfarin in patients with
Atrial Fibrillation. N Engl J Med. 2011; 365: 981–992
3. Wieloch M, Själander A, Frykman V, et al. Anticoagulation control in Sweden: reports of time in therapeutic range, major bleeding, and thrombo-embolic
complications from the national quality registry Auricula. Eur Heart J. 2011; 32: 2282–2289
✓ Interessenkonflikte: keine
KVH aktuell 3|2015
11
RAUCHERENTWÖHNUNG MIT VARENICLIN (CHAMPIX®)
STANDPUNKT
Zu welchem Preis?
Es sei daran erinnert,
dass die sogenannte
Kurzintervention beim
Arzt durchaus wirkungsvoll sein kann, bei
gleichzeitig wohl geringeren Nebenwirkungen.
Das Problem der Nikotinsucht sollte in der
Arztpraxis nach Möglichkeit, wie ein Medikament, wohldosiert
thematisiert werden.
PRAXISTIPP
Quellen:
1. FDA:
http://www.fda.gov/Saf
ety/MedWatch/SafetyInformation/SafetyAlertsforHumanMedicalProducts/ucm437415.htm
2. a-t 2012; 43: 59–61
3. Prescire International.
2014 Sep; 34 (368):
423
4. Prescire International.
2012 April; 32 (342):
271
5. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020005p.pdf
6. Batra A. Therapie der
Tabakabhängigkeit,
Dtsch Ärztebl Int.
2011; (108) 33:
555–64
7. AMB 2015; 49, 46b
Angesichts der Nebenwirkungen könnte man darüber spekulieren, ob eine Marktrücknahme nicht sinnvoller wäre.
DR. MED. JOACHIM SEFFRIN
D
ie FDA hat eine Änderung der Beipackinformationen für Vareniclin bestimmt.1 Der Wirkstoff, ein partieller Nikotin-Azetylcholin-RezeptorAgonist, der nach Ansicht des arznei-telegramms®
äußerst problembehaftet ist, hat wohl weitere
bedenkliche Eigenschaften. Nach Einschätzung
der FDA kann der Wirkstoff die Wirkung von
Alkohol auf die betroffenen Patienten verstärken
(„increased intoxicating effects“)1. Zusätzlich soll
die Information die Patienten zukünftig darüber informieren und davor warnen, dass durch Champix® das Auftreten von Krampfanfällen möglich ist.
Es wird berichtet, dass fast 50 unerwünschte
Ereignisse in Zusammenhang mit Alkohol gemeldet wurden, darunter verminderte Alkoholtoleranz, aggressives Verhalten und Amnesie. Die
Agentur hat über 60 Ereignisse von Krampfanfällen registriert, wobei die meisten der Betroffenen
vorher keine Anfälle hatten. Man muss wie immer
von einer Dunkelziffer nicht berichteter Komplikationen ausgehen. Die FDA empfiehlt, dass Patienten die Einnahme des Wirkstoffs beenden sollen,
wenn sie einen Krampfanfall erlitten haben, und
ihren Arzt konsultieren sollen.
Nach den vielfältigen kritischen Berichten über
Champix® muss man sich als Arzt ernsthaft
fragen, ob der Einsatz dieses Medikaments überhaupt verantwortet werden kann. Nach wie vor
muss als hochbedenkliches Nebenwirkungsrisiko
das Auftreten von Suizidgedanken benannt werden (bis 2009: 19 bekannt gewordene Suizidfälle)2. Am häufigsten klagen Anwender über
Übelkeit, Schlaflosigkeit, abnorme Träume und
Kopfschmerzen. Das französische Journal Prescrire3, 4 sieht ebenfalls eine negative Nutzen-Schaden-Bilanz. Auch nach der Einschätzung von Prescrire ist die erwünschte Wirkung eher geringfügig und vorübergehend, während ernsthafte Nebenwirkungen auffällig häufig sein sollen. In Leitlinien und Aufsätzen zur Nikotinentwöhnung findet Vareniclin mit anderen Substanzen Erwähnung, die darauf schließen lassen könnte, dass ein
Einsatz gerechtfertigt sein könnte.5, 6
Herstellergesponserte Studien scheinen eine
gute Wirkung zu bestätigen,2 doch stellt sich die
Frage nach dem Verhältnis von potenziellem Nutzen und Schaden durch die Behandlung. Falls man
überhaupt eine medikamentöse Maßnahme erwägt, empfiehlt Prescrire am ehesten den Einsatz
von Nikotinersatzpräparaten. Natürlich steht der
Behandlung des Nikotinabusus durch Medikamente die Gefahr unzähliger Komplikationen
durch Weiterrauchen gegenüber. Man muss sogar
in Rechnung stellen, dass allein der Nikotinverzicht beziehungsweise der Entzug die beschriebenen Depressionen erklären könnte.7 쮿
✓ Interessenkonflikte: keine
FAZIT
Weitere Literatur:
a-t 2007; 38: 25–7
Journal Watch:
http://www.jwatch.org/fw
109959/2015/03/11/fdachantix-carries-potentialalcohol-interaction-and
12
KVH aktuell 3|2015
Man sollte nicht versuchen, den Teufel mit
dem Beelzebub auszutreiben. Auch ansonsten
hochgeschätzte Leitlinien können nur die
Daten von Studien wiedergeben. Auch wenn
diese herstellergesponsert und deren Daten,
wie in früheren Folgen von KVH aktuell be-
schrieben, oftmals bereinigt sind. Sowohl Prescrire als auch das arznei-telegramm® und der
Arzneimittelbrief stellen ältere Ausgaben kostenlos für jedermann ins Netz. Die Abonnements dieser unabhängigen und werbefreien
Journale sind preisgünstig erhältlich.
SGLT-2-INHIBITOREN
D
as Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) informiert über die Einleitung eines europäischen Bewertungsverfahrens zum Risiko diabetischer Ketoazidosen unter
Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren.1, 2 Anlass sind
über 100 Berichte schwerwiegender Ketoazidosefälle in der europäischen Nebenwirkungsdatenbank EudraVigilance, von denen jedoch
mehr als ein Drittel im Zusammenhang mit der
Off-Label-Anwendung bei Typ-1-Diabetes aufgetreten ist.2 In der öffentlich zugänglichen Datenbank des BfArM finden sich aus Deutschland drei
Fälle von Ketoazidose unter der Behandlung mit
SGLT-2-Inhibitoren. Auch die US-amerikanische
FDA hat kürzlich über Ketoazidosen im Zusammenhang mit SGLT-2-Inhibitoren informiert.3
SGLT-2-Inhibitoren senken den Blutzuckerspiegel durch Hemmung des Natrium-GlukoseCotransporters 2 (SGLT-2) in den proximalen
Nierentubuli, der den Großteil der glomerulär
filtrierten Glukose reabsorbiert. SGLT-2-Inhibitoren sind zugelassen zur Behandlung Erwachsener
mit Diabetes mellitus Typ 2, wenn Diät und
Bewegung den Blutzucker nicht ausreichend
kontrollieren können. Sie können in Mono- und
Kombinationstherapie mit anderen Antidiabetika
(einschließlich Insulin) angewendet werden. In
Deutschland sind derzeit Dapagliflozin und Empagliflozin verfügbar. Die diabetische Ketoazidose kann lebensbedrohlich sein und tritt typischerweise bei Diabetes mellitus Typ 1 auf, in der
Regel einhergehend mit massiv erhöhten Blutzuckerwerten. Einige der vorliegenden Fälle wiesen
hingegen nur mäßig erhöhte Blutzuckerwerte
auf, was zu einer verzögerten Diagnosestellung
und Therapie führen kann.
Fazit
Ärzte sollten bei Symptomen wie Atembeschwerden, Verwirrung, extremem Durstgefühl,
Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwindel, ungewöhnlicher Müdigkeit oder Erschöpfung unter Behandlung mit
einem SGLT-2-Inhibitor eine Ketoazidose in
Erwägung ziehen. Dies gilt auch bei nur mäßig
erhöhten Blutzuckerwerten. 쮿
STANDPUNKT
Auslöser diabetischer
Ketoazidosen?
Dieser Beitrag wurde
mit freundlicher
Genehmigung des
Herausgebers aus der
AkdÄ Drug Safety
Mail 17-2015
übernommen.
AkdÄ
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist ein wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer. Sie informiert unter anderem über aktuelle Arzneimitteltherapien
und Fragen der Arzneimittelsicherheit. Diese werden zudem regelmäßig und kostenlos in dem Journal „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP) veröffentlicht. Die AkdÄ veranstaltet auch ärztliche
Fortbildungsveranstaltungen. Gemäß ärztlicher
Berufsordnung müssen ihr unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) mitgeteilt werden.
Quellen:
1. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM): SGLT2-Hemmer: Einleitung eines europäischen Risikobewertungsverfahrens zur Untersuchung
diabetischer Ketoazidosen. Bonn, 16. Juni 2015.
2. European Medicines Agency (EMA): Review of
diabetes medicines called SGLT2 inhibitors started.
London, 12. Juni 2015.
3. U.S. Food and Drug Administration (FDA): FDA Drug
Safety Communication: FDA warns that SGLT2 inhibitors for diabetes may result in a serious condition
of too much acid in the blood. Silver Spring, 15. Mai
2015.
Die Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft
bietet unter
www.akdae.de
einen kostenlosen
Newsletter mit Fakten
zu neuen Arzneimitteln
und Therapieempfehlungen an. Hier kann
man auch UAWs
melden.
kvh.link/1503004
PRAXISTIPP
MELDEN SIE
NEBENWIRKUNGEN
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten
Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit.
Auf der Internetseite der AkdÄ finden Sie
einen Berichtsbogen, mit dem die UAWVerdachtsfälle jederzeit auch online (siehe
Kurzlink) gemeldet werden können.
KVH aktuell 3|2015
13
CSE-HEMMER
NACHRICHTEN
Seltene Komplikation: IMNM
Quelle:
Pharm Ztg. 2015; 160
(10): 108
Nach Angaben der European Medicines Agency
wurde in sehr seltenen Fällen das Auftreten
einer immunvermittelten nekrotisierenden Myopathie (IMNM) unter der Therapie mit CSE-Hemmern (Atorvastatin, Simvastatin, Pravastatin,
Fluvastatin, Pitavastatin, Lovastatin) beobachtet.
Die Symptome sind proximale Muskelschwäche
und erhöhte Serum-Kreatininkinase-Werte, die
trotz Absetzen des Statins persistieren. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
IBUPROFEN
Warnung vor zu hohen Dosen
Unter der Therapie mit Tagesdosen von Ibuprofen
über 2.400 mg oder über 1.200 mg Dexibuprofen
besteht ein geringfügiges Risiko für das Auftreten
kardiovaskulärer Ereignisse. Es ist vergleichbar mit
dem Risiko, das mit der Einnahme von Diclofenac
oder COX-2-Inhibitoren verbunden ist. Die hohen
Dosen sollten insbesondere bei Patienten mit
Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermieden werden,
ebenso bei Rauchern, bei Bluthochdruck, Diabetes
mellitus und hohen Blut-Cholesterol-Werten. Bei
Dosen unter 1.200 mg/d Ibuprofen konnte kein
erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse
beobachtet werden. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
Quellen:
Pharm. Ztg. 2015; 160
(16): 92
„CHOOSING WISELY“
Die Kampagne ist in Deutschland gestartet
Quelle:
Rheinisches Ärzteblatt
4/2015
Überflüssige diagnostische oder therapeutische
Maßnahmen können Patienten schädigen (und
finanzielle Ressourcen aufbrauchen). In den USA
haben sich zahlreiche Fachgesellschaften der
Kampagne „Choosing wisely“ angeschlossen und
TOP-5-Listen mit Maßnahmen erstellt, bei denen
die Nutzen-Evidenz als nicht ausreichend beziehungsweise die Nutzen-Risiko-Relation als nicht
akzeptabel eingestuft wird (siehe KVH-Beitrag
„Weniger ist mehr“, Heft 4/2011, Seite 4 ff.). In
Deutschland hat die AWMF ein Leitlinienvorhaben
angekündigt und die DEGAM bereitet eine
Zusammenstellung der wichtigsten überflüssigen
Maßnahmen und Negativempfehlungen für den
hausärztlichen Bereich vor. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
14
KVH aktuell 3|2015
HORMONERSATZTHERAPIE
Risiko für Eierstockkrebs erhöht
NACHRICHTEN
Eine Hormonersatztherapie (HRT) erhöht das Risiko für ein Ovarialkarzinom um circa 40 Prozent,
auch wenn die Frauen das Präparat nur wenige
Jahre einnehmen. Dies ist das Ergebnis einer groß
angelegten Studie aus England mit circa 21.500
Datensätzen aus 52 epidemiologischen Studien.
Dabei gab es keine Unterschiede zwischen Östrogen-Monopräparaten und Östrogen-GestagenKombinationen. Ein Ovarialkarzinom gehört zu
den aggressivsten Tumoren, ist die zweithäufigste
bösartige Erkrankung der weiblichen Geschlechtsorgane und wird erst spät entdeckt, da lange Zeit
keine Symptome auftreten.
Nach einer neuen Studie hat jede zweite Frau
über sieben und mehr Jahre ausgeprägte vasomotorische Symptome. Es wird Zeit, nach alternativen Therapiekonzepten zu forschen.■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
Quelle:
Pharm. Ztg. 2015;160
(8): 30
KVH-KOMMENTAR
Die Wechseljahre (Klimakterium) machen oft
keine Therapie erforderlich. Es gibt Angaben
darüber, dass etwa ein Drittel der Frauen keine
Wechseljahresbeschwerden hat, und ein weiteres Drittel verspürt nur leichte Beschwerden,
ohne Notwendigkeit einer Behandlung. Hormone sind in der geringstmöglichen Dosis für
die kürzestmögliche Dauer zu substituieren.
Die Hormonsubstitution sollte nur so lange er-
folgen, wie Mangelbeschwerden bestehen
(durchschnittlich 2–5 Jahre), da mit zunehmender Dauer unter der Hormonbehandlung das
Risiko für z. B. die Entwicklung von Brustkrebs
steigt. Es kann empfohlen werden, jährlich ein
drei- bis vierwöchiges einnahmefreies Intervall
einzulegen, sodass die Frau merkt, ob eine
weitere Therapie noch notwendig ist.
KLAUS HOLLMANN
PRIMÄRPRÄVENTION MIT ASS
Individuelle Risiken berücksichtigen
Während der Einsatz von ASS zur Sekundärprävention bereits Routine ist, streiten die Gelehrten
weiter, ob die Gabe von ASS in der Primärprävention sinnvoll ist. Erst kürzlich wurde eine japanische Studie abgebrochen, weil kein signifikant
besseres Abschneiden einer der beiden Gruppen
absehbar war. Es nahmen 15.000 Männer und
Frauen zwischen 60 und 85 Jahren teil, eine Gruppe erhielt 100 mg ASS/d. Primäre Studienendpunkte waren tödliche und nicht tödliche Herzinfarkte sowie ischämische oder hämorrhagische
Insulte. Sekundäre Studienendpunkte waren
extrakranielle Blutungen, die eine Blutinfusion
und/oder eine Klinikeinweisung erforderten. In
beiden Gruppen waren nur marginale Unterschiede festzustellen. Eine Arbeitsgruppe der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie empfiehlt ein
pragmatischeres Vorgehen bei der Primärprävention mit ASS. Eine Therapie sollte sich am individuellen kardiovaskulären Risiko orientieren und das
individuelle Blutungsrisiko berücksichtigen. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
Quelle:
Pharm Ztg. 2014; 159
(48): 24–26
KVH aktuell 3|2015
15
KODEIN
NACHRICHTEN
Nicht für Kinder unter 12 Jahren
Quelle:
Pharm. Ztg. 2015; 160
(18): 104
Eine weitere europäische Organisation, die Coordination Group for Mutal Recognition and Decentralised Procedures (CMDH), hat sich für Einschränkungen der Anwendung von Kodein bei
Kindern ausgesprochen. Bei Husten und Erkältungskrankheiten ist:
• Kodein kontraindiziert bei Kindern unter 12 Jahren, bei stillenden Frauen und bekannten ultraschnellen CYP2D6-Metabolisierern,
• Kodein nicht empfohlen bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre bei vorhandener Einschränkung der Atemfunktion. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
VERORDNUNGSEINSCHRÄNKUNG: ANTITUSSIVA
Nach § 34 Sozialgesetzbuch V sind für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, auch
die verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur
Anwendung bei Erkältungskrankheiten und
grippalen Infekten von der Versorgung in der
gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Dies schließt die bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel,
hustendämpfenden und hustenlösenden Mittel
ein. Kodein und andere verschreibungspflichtige Antitussiva können bei Erkältungserkran-
kungen nur bis zum 18. Geburtstag zulasten der
GKV verordnet werden. Nach dem 18. Geburtstag kann die Verordnung solcher Präparate nur
bei schwerwiegenden Erkrankungen, wie z. B.
bei tumorinduziertem Husten, zu Kassenlasten
erfolgen. Auch die Kombination von Kodein
mit Paracetamol in der Schmerztherapie sollte
aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials
nur in Ausnahmefällen zu Kassenlasten erfolgen.
KLAUS HOLLMANN
METHADON
Long-QT-Syndrom
Quelle:
Notarzt 2015; 2: 93–4
16
KVH aktuell 3|2015
Methadon zur Substitutionstherapie bei Suchtkranken kann hoch dosiert werden, birgt allerdings die Gefahr eines Kammerflimmerns. Ein 33Jähriger musste innerhalb von 36 Stunden viermal
defibrilliert werden, da er sich weigerte, zugunsten
eines anderen Substitutionsmittels (z. B. Buprenorphin) auf Methadon (220 mg/d) und Diazepam
(50 mg/d) zu verzichten. Aufgrund der permanenten Gefahr eines plötzlichen Herztods wurde eine
Implantation eines permanenten Defibrillators
durchgeführt und die Dosis von Methadon leicht
reduziert. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
ANÄMIE-SPECIAL
TRANSFUSIONSMEDIZIN
Richtig handeln
bei präoperativer
Anämie
Häufige Anämieformen und ihre adäquate Behandlung durch
Transfusionen, Eisensubstitution und blutsparende Maßnahmen
wie das Konzept des Patienten-Blutmanagements (PBM).
PROFESSOR DR. MED. PATRICK MEYBOHM1, DR. MED. CHRISTOF GEISEN2,
DR. MED. MARKUS M. MÜLLER2, PROFESSOR DR. DR. MED. KAI ZACHAROWSKI1
1
2
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main
Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg –
Hessen gemeinnützige GmbH, Frankfurt am Main
KVH aktuell 3|2015
I
D
ANÄMIE-SPECIAL
ie gängige Praxis der Erythrozytenkonzentrat(EK)-Transfusion weist weltweit eine
sehr hohe Variabilität auf. Deutschland liegt mit
derzeit etwa 50 transfundierten EK pro 1.000
Einwohner an der Spitze in Europa und weltweit
(im Vergleich: Australien 36; Niederlande 34; Norwegen 42; Großbritannien 36; Schweiz 41).1, 2
Blutkonserven selbst werden zukünftig aber aufgrund medizinischer, gesellschaftlicher und
ökonomischer Veränderungen zu einer zunehmend knappen Ressource. Einen vielversprechenden Lösungsansatz stellt das multidisziplinäre Konzept des Patienten-Blutmanagements dar (engl. Patient Blood Management,
PBM), dessen Umsetzung seit 2011 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefordert wird.3
PBM ist ein Evidenz-basierter, multidisziplinärer
Ansatz, um die Behandlung von Patienten zu
optimieren, die gegebenenfalls eine Bluttransfusion benötigen. PBM wurde bereits erfolgreich in
verschiedenen Kliniken in Europa (Osterreich4,
Schweiz5, 6, England7) sowie Australien8 und den
USA9 implementiert. Aktuelle Analysen unter-
streichen die Verbesserung des gesundheitlichen
Outcomes der Patienten nach Einführung eines
umfassenden PBM-Konzepts und zeigen zudem
teilweise eine Reduktion der Behandlungskosten.10–12
Auf Initiative der Klinik für Anästhesiologie,
Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Frankfurt in Zusammenarbeit mit
dem Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DRK-Blutspendedienst Baden-Württemberg – Hessen, Frankfurt am Main) wurde im
Jahr 2013 PBM an den Universitätskliniken Frankfurt, Bonn, Schleswig-Holstein (Campus Kiel) und
Münster, von einer epidemiologischen Studie
begleitet, implementiert.13 In den vergangenen
Monaten haben sich zahlreiche deutsche Kliniken
dieser Initiative angeschlossen und bereits die Implementierung von PBM gestartet oder werden
dies in naher Zukunft tun.14 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden PBM auszugsweise mit
seinen wichtigsten Komponenten Anämie, blutsparende Maßnahmen sowie Transfusionstrigger
vorgestellt.
Verbrauch Erythrozytenkonzentrate – Spitzenreiter Deutschland
Transfundierte EK pro 1.000 Einwohner im europäischen Vergleich:
Deutschland
Norwegen
Schweiz
Großbritannien
Niederlande
50
42
41
36
34
1. Diagnose einer präoperativ
therapierbaren Anämie
1.1. Prävalenz und Relevanz
Entsprechend den Kriterien der WHO besteht
eine Anämie dann, wenn der Hämoglobinwert
bei Frauen unter 12 g/dl und bei Männern unter
13 g/dl liegt. Die Prävalenz der Anämie ist mit circa
zwei Milliarden weltweit betroffenen Menschen
sehr hoch, wobei die Hauptursache ein Eisenmangel ist.15
Im Bereich der Chirurgie berichteten Musallam
et al. in einer Gesamtkohorte von 227.425 stationären Patienten aus den USA von einer Prävalenz
der präoperativen Anämie von 30 %.16 Ähnliche
Zahlen zeigten sich in der retrospektiven Analyse
mit 39.309 chirurgischen Patienten aus 28 europäischen Ländern. Die Anämieprävalenz präoperativ betrug 31 % bei Männern sowie 27 %
bei Frauen.17 Im operativen Bereich ist die prä-
II
KVH aktuell 3|2015
operative Anämie einer der stärksten Prädiktoren
für die Gabe von EK während oder nach einer
Operation. Darüber hinaus ist eine präoperative
Anämie aber auch als eigenständiger und unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von postoperativen Komplikationen und einer erhöhten
postoperativen Sterblichkeit einzustufen.16 So
zeigte die Analyse von Musallam et al.16, dass
Patienten mit einer präoperativen Anämie eine
30-Tage-Sterblichkeit von 10 % aufwiesen, verglichen mit einer Mortalität von 0,8 % bei nichtanämischen Patienten. Loor und Kollegen untersuchten das Überleben bei herzchirurgischen
Patienten in Abhängigkeit vom Vorhandensein
einer präoperativen Anämie sowie von perioperativen EK-Transfusionen bei 9.144 herzchirurgischen Patienten und kamen zu dem
Schluss, dass nicht nur die präoperative Anämie
mit einer Erhöhung der Sterblichkeit assoziiert
war, sondern auch die Gabe von EK die Sterblich-
1.2. Ursachen der Anämie
Anämien können angeboren (z. B. bei Hämoglobinopathien) oder erworben (z. B. chronische
Blutverluste, Mangelernährung, Hämolysen, Erkrankungen der Blutbildung, Niereninsuffizienz,
Toxine, Parasiten, chronisch-entzündliche Erkrankungen, Malignome) sein. Im klinischen Alltag hat
sich die in der Abbildung dargestellte vereinfachte
Einteilung der Anämieformen bewährt.22–23
ANÄMIE-SPECIAL
keit zusätzlich negativ beeinflussen könnte.18 Aus
all diesen Gründen sind alternative Behandlungsmöglichkeiten bei präoperativer Anämie nicht nur
wünschenswert, sondern erforderlich.19–20 Nicht
dringliche Eingriffe sollten im Einzelfall sogar verschoben werden, wenn die Anämieabklärung und
Anämietherapie eine zeitnahe Korrektur des zu
niedrigen Hämoglobinwerts noch vor der Operation ermöglichen würde.21
URSACHEN EINER PRÄOPERATIVEN ANÄMIE (VEREINFACHTE DARSTELLUNG)19, 24
EISENMANGELANÄMIE
(ca. 40–50%)
IDA
(iron defiency anemia)
SELTENE
FORMEN
(ca. 5%)
unklare Anämie, Mangel
von Vitamin B12/Folsäure,
genetische Mutation
ANÄMIE DER
CHRONISCHEN
ERKRANKUNGEN
(ca. 40%)
ACD (anemia of chronic desease)
Chronische Entzündungen,
Tumorerkrankungen,
Autoimmunerkrankungen,
chronische Niereninsuffizienz
PRÄOPERATIVE
ANÄMIE
Zu den Ursachen der Eisenmangelanämie
gehören wiederum:23
쐍 erhöhter Eisenbedarf (z. B. bei Schwangeren,
Blutspendern, Leistungssportlern)
쐍 Mangelernährung (Vegetarier, Veganer)
쐍 Störung der enteralen Eisenresorption (Zöliakie,
Helicobacter-pylori-Gastritis, Z. n. Gastrektomie,
duodenaler Bypass, Magenbypass, atrophische
Gastritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankung, genetische Faktoren)
쐍 chronischer Blutverlust im Magen-Darm-Trakt
(Angiodysplasien, Neoplasien, Ulcus, Divertikel,
Hämorrhoiden, Darmwurm)
쐍 chronischer Blutverlust urogenital (Menorrhagie)
쐍 Medikamenten-assoziiert (Antazida, NSAR,
Aspirin)
쐍 chronische Niereninsuffizienz und/oder Gabe
von Erythropoese-stimulierenden Agenzien
쐍 chronische Herzinsuffizienz (Resorption
reduziert und Inflammation)
쐍 Adipositas (chronische Inflammation)
쐍 geriatrische Patienten (multifaktoriell:
Ernährung, Begleiterkrankungen, Begleitmedikamente etc.)
KVH aktuell 3|2015
III
1.3. Präoperative Diagnostik
ANÄMIE-SPECIAL
In der Anämieerkennung gehen Anamnese, klinisches Bild, klinische und medizinisch-chemische
Untersuchungen Hand in Hand. Das klinische Bild
einer Anämie wird von Betroffenen – je nach zugrunde liegender Erkrankungsform – oft (wenn
überhaupt!) nur sehr zeitverzögert wahrgenommen
oder verdrängt.
Daran angeschlossen sind gezielte Fragestellungen abzuklären:
쐍 Vorerkrankungen: Niere, Leber, Endokrinopathien, Infektionen, Operationen, Malignome
쐍 Blutungen (auffällige Menstruation, Melaena,
Hämatemesis, Hämoptyse, Hämaturie)
쐍 Diätauffälligkeiten, Alkoholabusus, Medikamente, Drogen
쐍 Blutspenden, Bluttransfusionen
쐍 ungewollter, nicht erklärbarer Gewichtsverlust
In der Leitlinie Eisenmangelanämie finden Sie
wichtige Informationen
zur Behandlung der häufigsten Anämieformen
mit Eisenpräparaten.
kvh.link/1503001
PRAXISTIPP
IV
KVH aktuell 3|2015
쐍 Retikulozyten-Hämoglobin < 27 pg
쐍 löslicher Transferrinrezeptor (sTfR) erhöht
(> 1,75 mg/dl mit Dade-Behring-Test; > 5mg/dl
mit Roche-Test)
Bei (unklaren) Mischformen von Eisenmangelanämie und/oder Anämie der chronischen Erkrankungen kann ergänzend der Thomas-Plot als
diagnostisches Diagramm mit Informationen zum
Ferritinindex und Hämoglobingehalt der Retikulozyten hinzugezogen werden.25
Lässt sich präoperativ keine (einfach und schnell)
korrigierbare Form der Anämie (z. B. Eisenmangel)
detektieren, sollte nach erfolgreicher Operation die
eigentliche Ursache der Anämie differenzialdiagnostisch durch den Hausarzt/Internisten weiter
abgeklärt werden.
1.4. Präoperative Therapie einer
Anämie
Laboruntersuchungen sind eine wesentliche Ergän- Eine präoperative Anämietherapie verfolgt vor
zung zur Anamnese und einem sorgfältig erhobe- allem das Ziel, die Operation mit einem höheren
nen klinischen Befund. Sie umfassen – bei stufen- Ausgangshämoglobinwert zu starten, um so (unweiser Abarbeitung – Blutbild, Parameter des Ei- nötige) Transfusionen von EK zu reduzieren. Insofern muss sich ein Anämietherasenstoffwechsels (Ferritin, TransDie Bluttransfusion
piekonzept im präoperativen
ferrinsättigung),
Nierenwerte
(Kreatinin), Vitamin B12 und zur symptomatischen Bereich insbesondere auf kurzfristig therapierbare AnämieurFolsäure-Spiegel, immunhämaKorrektur des
sachen sowie auf Patienten mit
tologische Gegebenheiten (diniedrigen Hämoeiner relevanten Transfusionsrekter und indirekter Coombswahrscheinlichkeit beim geplanTest mit Suche nach gegen eryglobinwerts ist
ten Eingriff (z. B. große Tumorthrozytäre Oberflächenmerkimmer nur eine von chirurgie, Herzchirurgie, Endomale gerichteten Antikörpern)
mehreren – und
prothetik) fokussieren.
bis hin zur KnochenmarkspunkIn einer englischen Studie
tion als diagnostische Ultima
dabei die letzte –
konnte in enger ZusammenarRatio. Nicht alle diese UntersuTherapieoptionen.
beit mit den jeweils behandelnchungen können präoperativ
durchgeführt werden. Patienten mit einer prä- den Hausärzten durch eine präoperative Anämieoperativen Anämie weisen häufig einen Eisen- korrektur die Inzidenz einer Anämie am OP-Tag
mangel und keine schwerwiegende hämatologi- von 26 % auf 10 % sowie das Risiko für eine intrasche Grunderkrankung auf, sodass bei einem operative Fremdbluttransfusion um mehr als die
Großteil der Patienten präoperativ durch eine Hälfte von 26 % auf 13 % gesenkt werden.7
(einfache) Maßnahme der Hämoglobinwert, zuIm deutschen Alltag werden die Trennung von
mindest teilweise, korrigiert werden kann.
ambulanter und stationärer Versorgung, die
potenzielle zeitliche Verschiebung des operativen
Für die Diagnostik der Eisenmangelanämie
Eingriffs sowie die Kosten der Therapie, z. B. einer
reichen bei dem Großteil der Patienten meist intravenösen Eisentherapie mit Kosten pro
wenige Laborparameter:
Patient von circa 100–130 EUR, häufig als Argumente gegen die präoperative Behandlung der
쐍 Serum-Ferritin < 30 ng/ml (cave: bei Entzündung/Infektion, Autoimmunerkrankung, hepato- Anämie in die Diskussion geführt. Ehrlich gesagt
zellulärer Erkrankung, Alkoholismus, Hypothyist die Frage noch nicht endgültig geklärt, wer im
reose ist Ferritin ein schlechter Indikator bzw.
deutschen Gesundheitswesen für eine optimale
müssen höhere Triggerwerte von Ferritin
Vorbereitung des Patienten vor der Operation
< 100 ng/ml angewandt werden)
medizinisch verantwortlich ist und wer die Kosten
dieser potenziellen Therapie tragen muss – der
쐍 Serum-Transferrinsättigung < 16–20 %
Hausarzt, der einweisende Arzt, der Chirurg, der
쐍 Blutbild: MCH < 27 pg und/oder MCV < 80 fl
Anästhesist/Intensivmediziner oder das Kranken(hypochrome, mikrozytäre Anämie)
1.5. Die Behandlung mit Eisen
Eine Bluttransfusion hat bei elektiven Eingriffen
und vorliegendem Eisenmangel im präoperativen
Zeitfenster keine Anwendungsberechtigung. Das
gilt besonders dann, wenn sie möglicherweise nur
zur Sicherung des Terminplans auf dem Operationskalender herhalten muss! Im Fall einer behandelbaren Anämieform (z. B. Eisenmangelanämie)
ist es besonders wichtig, ein Therapieintervall von
idealerweise vier Wochen einzuplanen, um den
Behandlungserfolg dem Patienten für die geplante
Operation zugutekommen zu lassen. Ein Behandlungsversuch mit oraler Eisenpräparate-Gabe, wie
sie in der Leitlinie „Eisenmangel und Eisenmangelanämie“ der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie empfohlen
wird, sollte nur im Einzelfall und bei einem Zeitfenster von drei bis sechs Monaten Wartezeit bis
zur Operation versucht werden. In der Regel müssen Patienten mit einer präoperativen Anämie
aber innerhalb von 5–20 Tagen operiert werden,
sodass die Zeit für eine orale Therapie absolut unzureichend ist. Ferner können Patienten, die eine
Anämie der chronischen Erkrankung aufweisen,
aufgrund einer gestörten systemischen Eisenhomöostase kein oral verabreichtes Eisen absorbieren. Aus den genannten Gründen rücken parenterale Eisensubstitutionspräparate zunehmend in
den Fokus der prä- und perioperativen Eisenmangelanämiebehandlung. Sie unterscheiden sich u. a.
durch ihre Komplexstabilität voneinander. Geringe
Komplexstabilität führt hierbei zu vermehrter Freisetzung von Eisenionen in der Blutbahn, bevor der
Komplex von den Makrophagen des mononukleären Phagozyten-Systems vor allem in Leber
und Milz phagozytiert werden kann. Solche freien
Eisenionen im Blut können die Transportkapazität
von Transferrin übersteigen und zu oxidativem
Stress, Blutdruckabfall und Endothelschäden führen. Aus diesem Grund werden für die präoperative Behandlung aktuell komplexstabile Eisenpräparate mit einer verzögerten Freisetzung, wie z. B.
Eisen(III)-Carboxymaltose oder Eisen(III)-Isomaltosid, empfohlen, die das niedrigste Nebenwirkungspotenzial zeigen und in der Regel nur einmalig appliziert werden müssen.23
1.6. Andere Anämietherapien
Erythropoiese-stimulierende Agentien wie Erythropoietin haben eine Zulassung für die Behandlung
renaler Anämien mit einem nachweisbaren Erythropoietin-Mangel (Fachinfo). Inwieweit auch bei
anderen Anämieformen der Einsatz von Erythropoietin gerechtfertigt ist, ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.26–28 Zu beachten ist
ferner, dass für viele Erythropoiese-stimulierende
Agentien in Deutschland im präoperativen Setting
lediglich eine Zulassung bei erwachsenen Patienten ohne Eisenmangel vor großen orthopädischen
Eingriffen besteht. Und das auch nur, wenn diese
mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für Transfusionen sowie gleichzeitig erwartbarem hohem Blutverlust, trotz Anwendung fremdblutsparender
Maßnahmen, vergesellschaftet sind. Bei allen anderen präoperativen Anämietherapien wäre der
Einsatz „off-label“. Hinzu kommt, dass natürlich
auch der Einsatz von Erythropoiese-stimulierenden
Agentien nicht nebenwirkungsfrei ist. Viele Tumorzellen tragen auf ihrer Oberfläche ErythropoietinRezeptoren, die das Wachstum dieser Tumorzellen
anregen könnten.
ANÄMIE-SPECIAL
haus? Neben den Kosten- und Budgetaspekten
lohnt sich die präoperative Anämiebehandlung im
Vergleich zur Fremdbluttransfusion vor allem für
den Patienten selbst (weniger Transfusions-assoziierte Risiken und Nebenwirkungen, bessere Heilungsverläufe) und die Allgemeinheit (Blutkonservenknappheit, schnellere Rehabilitation).
2. Blutsparende Maßnahmen
2.1. Minimierung der iatrogenen
Blutverluste
Perioperative Blutentnahmen und interventionelle Prozeduren können eine iatrogene Anämie
zur Folge haben.29 So kann z. B. bei intensivpflichtigen Patienten einzig durch Blutlaborkontrollen ein wöchentlicher Blutverlust von bis zu
500 ml auftreten.30 Eine aktuelle Hochrechnung
gibt allein für die westliche Welt unter Berücksichtigung der aktuellen Standards von Laborblutentnahmen einen jährlichen Verlust von 25 Millionen Litern Blut an, der unweigerlich zur Hospitalaquired Anaemia führt.31 Durch Verkleinerung
der Blutentnahmeröhrchen sowie tägliche strenge Indikationsstellung können die Abnahmemengen und unnötige Blutverluste deutlich reduziert werden, ohne dass die diagnostische
Qualität leidet.32
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V
2.2. Maschinelle Autotransfusion
(MAT)
ANÄMIE-SPECIAL
Technische Hilfsmittel wie die maschinelle Autotransfusion spielen sowohl intra- als auch postoperativ eine große Rolle. Ab einem geschätzten
intraoperativen Blutverlust von 700–1.000 ml
wird die Aufbereitung von Wundblut als sinnvoll
erachtet und reduziert nachweislich den Verbrauch an Fremdblutkonserven.33 Ebenso kann
der Einsatz von MAT auch bei Tumorpatienten
nach vorheriger Bestrahlung des Wundbluts34
oder durch den Einsatz von speziellen leukozytendepletierenden Filtern35 erwogen werden.
2.3. Gerinnungsmanagement
Hier finden Sie die Querschnitts-Leitlinie der Bundesärztekammer (BÄK)
zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, 4. überarbeitete und aktualisierte
Auflage 2014.
kvh.link/1503002
INFO
VI
KVH aktuell 3|2015
Eine sorgfältige präoperative Gerinnungsanamnese
mit Dokumentation aller gerinnungsbeeinflussenden Medikamente des Patienten sowie gegebenenfalls rechtzeitiges Absetzen von Gerinnungshemmern oder Überbrücken („bridging“) nicht absetzbarer Gerinnungshemmer helfen dabei, perioperative unnötige Blutverluste zu minimieren.
Die adäquate und sorgfältige chirurgische Blutstillung ist elementar für die Prophylaxe und die
effiziente Therapie perioperativer Blutungen.
Daneben sind physiologische Rahmenbedingungen wie pH-Wert > 7,1, ionisiertes Calcium > 1,2
mmol/l und eine Körperkerntemperatur > 36 °C
Basisvoraussetzungen für eine optimale Blutgerinnung (Hämostase).36 Bei dem geringsten Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse sollte eine medikamentöse antihyperfibrinolytische Therapie,
beispielsweise mit Tranexamsäure, gestartet werden.37 Aber auch die zellulär vermittelte (primäre)
Hämostase kann beispielsweise mittels Vasopressinanaloga (Desmopressin) verbessert werden.38
Auf diese Basistherapie muss jedwede weitere
Therapie aufbauen, wobei insbesondere die
Algorithmus-basierte Therapie blutender Patienten ein effektives und ökonomisches Management erlaubt. Primäres Ziel bei einer Koagulopathie muss die kausale Therapie der Ursache
und nicht die symptomatische Therapie mittels
Fremdblutersatz sein.
3. Variabilität der
Transfusionspraxis und
transfusionsassoziierte
Immunmodulation
Die Transfusionspraxis insbesondere hinsichtlich
der Verabreichung von EK ist in verschiedenen
Ländern und Krankenhäusern äußerst variabel,
was die Schlussfolgerungen zulässt, dass Unsicherheit hinsichtlich der adäquaten Indikationsstellung besteht und dass allogene Blutprodukte
transfundiert werden, die ggf. nicht benötigt
werden.2, 39 Diese große Variabilität in der gängigen Transfusionspraxis ist umso überraschender,
da in Deutschland klare Empfehlungen für den
Umgang mit Blutprodukten durch die Querschnitts-Leitlinien der Bundesärztekammer ausgesprochen wurden.34 Diese empfehlen die Berücksichtigung der Kriterien Hämoglobin-Konzentration, Kompensationsfähigkeit und Risikofaktoren des Patienten.
Immunologisch vermittelte Risiken
Dazu gehören:
쐍 allergische Transfusionsreaktion
쐍 febrile nicht-hämolytische Transfusionsreaktion
쐍 transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz
쐍 hämolytische Transfusionsreaktion
쐍 transfusionsassoziierte Graft-versus-HostErkrankung
쐍 transfusionsassoziierte Immunmodulation
Hinsichtlich potenzieller Risiken von EK sind
transfusionsassoziierte Übertragungen von Bakterien, Viren, Parasiten oder Prionen sowie nicht
immunologisch vermittelte unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z. B. transfusionsassoziierte
Volumenüberladung, Hypothermie, Hyperkaliämie, Zitrat-Überladung, Transfusionshämosiderose) bekannt.40 Zudem stellt die Transfusion von
zellulären Blutpräparaten als „Transplantation
des flüssigen Organs Blut“ trotz Blutgruppenkompatibilität eine immunologische Herausforderung für den Empfängerorganismus dar. Welche Langzeitbedeutung der transfusionsassoziierten Immunmodulation zukommt, ist derzeit
Gegenstand klinischer Untersuchungen.
ANÄMIE-SPECIAL
Basierend auf den Ergebnissen bisheriger retro- lon-Karzinom-Patienten ein erhöhtes Risiko von
spektiver Studien könnte eine liberale Indikati- Tumorrezidiven bereits nach intraoperativer
onsstellung von EK-Transfusionen allerdings mit Transfusion von ein bis zwei Erythrozytenkonzeneinem erhöhten Risiko an nosokomialen Infektio- traten beschrieben (Odds Ratio für Rezidiv, Metasnen41 und höherer Morbidität18, 42, 43 assoziiert tasen, Tod: 1,66 (95-%-KI 1,41–1,97).46
sein. Pathogenetisch ist ein multifaktorielles
Die bisher größte Observationsstudie wurde im
Geschehen anzunehmen. Eine
Juni 2015 im British Medical
ErythrozytenRolle spielen vermutlich LageJournal basierend auf einer Porungsschäden der Erythrozykonzentrate sollten pulationsanalyse mit mehr als
tenkonzentrate, denn während
1,5 Millionen chirurgischen Pawie andere
der Lagerung kommt es zu
tienten pubiziert.47 Bereits die
Medikamente mit
metabolischen,
biomechaniGabe von einem einzigen EK war
schen und oxidativen Veränderim Vergleich zu Patienten ohne
einem relevanten
ungen.44 Beispielsweise steigt
EK auch nach Korrektur und AdNebenwirkungsjustierung für bekannte Condas Laktat, die Verformbarkeit
spektrum ausfounder mit einem doppelt so
nimmt ab und es kommt zu
hohen Risiko für einen periopeHämolyse, wodurch Hämogloschließlich rational
rativen Schlaganfall oder neuen
bin freigesetzt wird. Freies
und medizinisch
Herzinfarkt assoziiert (Odds Ratio
Hämoglobin wiederum verindiziert verabreicht 2,33, 95-%-KI 1,90–2,86). Ob
braucht Stickstoffmonoxid, was
der oben beschriebene Zusamin Vasokonstriktion und der
werden.
menhang zwischen Transfusion
Entstehung reaktiver Sauerstoffspezies resultiert. Die geringere Verfügbar- und Komplikation kausal sein könnte, ist derzeit
keit von Stickstoffmonoxid aktiviert überdies die Gegenstand klinischer Untersuchungen.
Beispielsweise konnte durch die Nutzung
Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten.
Zusätzlich sind zahlreiche immunmodulatorische eines EDV-gestützten Anforderungssystems für
Effekte der Fremdbluttransfusion beschrieben, allogene EK mit einem leitlinienbasiert programdie vermutlich ein „malignomfreundliches“ Mi- mierten Entscheidungsalgorithmus und Dokulieu bewirken könnten.45 Die Immunantwort von mentation des jeweiligen Transfusionstriggers in
Natural-Killer-Zellen, Makrophagen und TH1- Stanford (USA) der Anteil an nicht leitlinienkonZellen wird zugunsten einer TH2-Zellantwort ver- formen Erythozytengaben zwischen 2009 und
schoben, was die Ergebnisse von Acheson et al. 2012 von 66 % auf unter 30 % aller Transerklären könnte, die in einer Meta-Analyse von fusionen gesenkt und die Gesamtmenge an EK
55 Studien an 20.795 hemikolektomierten Ko- um 24 % reduziert werden.9
FAZIT
Das Hauptaugenmerk eines multimodalen
PBM liegt darauf, patienteneigene Ressourcen zu schonen und zu stärken. Dies kann
durch die Erkennung und Therapie einer präoperativen Anämie mit Anhebung des Hämoglobinwerts, akribische Minimierung des perioperativen Blutverlusts, restriktive diagnos-
tische Blutentnahmen, evidenzbasierte Gerinnungs- und Hämotherapiekonzepte sowie
leitliniengerechte rationale Indikationsstellung von EK erreicht werden. Die Auswirkungen eines PBM-Konzepts an deutschen Kliniken werden aktuell wissenschaftlich multizentrisch untersucht.13
KVH aktuell 3|2015
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KOMMENTAR
Zum Wohle des Patienten ist eine gute und
vertrauensvolle Zusammenarbeit von Hausarzt
und Klinik notwendig. Dies betrifft auch das
umfangreiche perioperative Blutmanagement,
wie Meybohm in seiner Arbeit zeigt. Ein wichtiger Aspekt seines Beitrags ist die Therapie der
Anämie mit Eisen: Ist bei einem elektiven Eingriff der Zeitraum für die orale Substitution
nicht gegeben, kann eine parenterale Substitution zulasten der Krankenkasse indiziert sein.
Bei einer geplanten OP mit vitaler Indikation,
die keinen Aufschub duldet (Beispiel: BypassOP), ist die i.-v.-Eisensubstitution gerechtfertigt,
wenn die Risiken bei Anämie größer sind als die
Nebenwirkungen der i.-v.-Gabe. Es sollte dagegen niemals eine i.-v.-Substitution versucht werden, wenn bei der OP kein Zeitdruck besteht
(Beispiel: Gelenkersatz) – auch nicht aus logisti-
schen Gründen (OP-Planung/Kapazität). Wie
Klaus Hollmann in dem nachfolgenden Beitrag
darüber hinaus ausführt, sind in den Fachinformationen genaue Durchführungsbestimmungen vorgegeben. Auch wenn die Allergiequote
nach Gysling* mit 0,6 pro 1 Million Einzeldosen
niedrig erscheint, sollten diese Maßnahmen
immer erfolgen. Es ist zum Beispiel durchaus
denkbar, dass ein Hausarzt zwar ein Eisenpräparat verordnet, dieses dann aber in der behandelnden Klinik verabreicht wird. Im Vordergrund steht dabei immer die Reduktion der
operativen Komplikationen, die durch Anämien
verursacht werden können.
DR. MED. JOACHIM FESSLER
*Gysling. pharma-kritik, Jahrgang 28, Nr. 17/2006 S. 66
KVH aktuell 3|2015
IX
ANÄMIE-SPECIAL
Umgang mit
komplexstabilen
Eisenpräparaten
Beispiele für häufig verwendete Präparate
KLAUS HOLLMANN
Präparate
Wirkstoff
Preis pro Dosis
Ferinject® 50 mg/ml, 10 ml
Eisen(III)-Carboxymaltose
190,36 Euro
Monofer® 100mg/ml, 5 ml
Eisen(III)-Isomaltosid
142,76 Euro
Anwendungsgebiete (Indikationen)
Ferinject®:
Zur Behandlung von Eisenmangelzuständen,
wenn orale Eisenpräparate unwirksam sind
oder nicht angewendet werden können. Die
Diagnose muss durch geeignete Laboruntersuchungen bestätigt sein.
Hinweis:
1 ml Lösung enthält 50 mg elementares,
dreiwertiges Eisen als Eisencarboxymaltose.
Die 2-ml-Durchstechflasche enthält 100 mg,
die 10-ml-Durchstechflasche 500 mg und die
20-ml-Durchstechflasche 1.000 mg elementares,
dreiwertiges Eisen als Eisencarboxymaltose.
1 ml unverdünnte Lösung enthält bis zu
0,24 mmol (5,5 mg) Natrium. Dies ist zu berücksichtigen bei Personen unter Natrium-kontrollierter
(natriumarmer/kochsalzarmer) Diät.
Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen:
쐍 Während und nach jeder Anwendung des
Arzneimittels müssen die Patienten sorgfältig
auf Anzeichen oder Symptome von Überempfindlichkeitsreaktionen überwacht werden.
쐍 Das Arzneimittel sollte nur angewendet
werden, wenn in der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer Reaktionen geschulte
Fachkräfte unverzüglich verfügbar sind und
die kardiopulmonale Reanimation durch eine
entsprechende Ausrüstung sichergestellt ist.
X
KVH aktuell 3|2015
쐍 Der Patient sollte für mindestens eine halbe
Stunde nach jeder Eiseninjektion von speziell
geschultem Fachpersonal hinsichtlich des
Auftretens von Nebenwirkungen beobachtet
werden.
쐍 Wenn während der Behandlung Überempfindlichkeitsreaktionen oder Anzeichen einer
Unverträglichkeit auftreten, muss die Behandlung sofort abgebrochen werden. Eine Ausrüstung zur kardiopulmonalen Reanimation sowie
zur Behandlung einer akuten anphylaktischen
bzw. anaphylaktoiden Reaktion sollte verfügbar sein, einschließlich einer injizierbaren
1:1.000-Adrenalinlösung. Falls erforderlich,
sollte eine zusätzliche Behandlung mit Antihistaminika und/oder Kortikosteroiden erfolgen.
Anwendungsgebiete (Indikationen)
Monofer®:
Zur Behandlung einer Eisenmangelanämie in
den folgenden Situationen:
쐍 wenn orale Eisenpräparate nicht wirksam
sind oder nicht angewendet werden können,
쐍 wenn klinisch die Notwendigkeit besteht, schnell
Eisen zuzuführen.
쐍 Intravenöse Bolusinjektion: Das Arzneimittel
kann bis zu dreimal wöchentlich als intravenöse
Bolusinjektion mit bis zu 500 mg verabreicht
werden. Dabei beträgt die Verabreichungsgeschwindigkeit bis zu 50 mg Eisen/Minute.
Das Präparat kann unverdünnt oder in maximal
20 ml steriler 0,9-%-Natriumchloridlösung
verdünnt verabreicht werden.
쐍 Intravenöse Tropfinfusion: Die benötigte
kumulative Eisendosis kann im Rahmen einer
einzigen Eiseninfusion mit bis zu 20 mg
Eisen/kg Körpergewicht verabreicht werden
oder in Einzeldosen mit wöchentlichem
Abstand, bis die kumulative Eisendosis
erreicht ist. Wenn die kumulative Dosis an
Eisen 20 mg Eisen/kg Körpergewicht übersteigt, muss die Dosis auf zwei Infusionen
aufgeteilt werden, zwischen denen ein
Abstand von mindestens einer Woche liegen
muss. Dosen bis zu 1.000 mg müssen über
30 Minuten infundiert werden. Dosen über
1.000 mg müssen über 60 Minuten infundiert
werden. Die Eisenlösung sollte zu maximal
500 ml steriler 0,9-%-Natriumchloridlösung
hinzugefügt werden.
Hinweis bei Therapieabbruch:
Da parenteral verabreichte Eisenpräparate
Überempfindlichkeitsreaktionen
einschließlich
schwerwiegender und potenziell tödlich verlaufender anaphylaktischer bzw. anaphylaktoider
Reaktionen hervorrufen können, sollte das
Arzneimittel nur angewendet werden, wenn in
der Erkennung und Behandlung anaphylaktischer
Reaktionen geschulte Fachkräfte unverzüglich verfügbar sind und die kardiopulmonale Reanimation
durch eine entsprechende Ausrüstung sichergestellt ist. Jeder Patient sollte für mindestens eine
halbe Stunde nach jeder Eiseninjektion hinsichtlich des Auftretens von Nebenwirkungen
beobachtet werden. Wenn während der Behandlung Überempfindlichkeitsreaktionen oder Anzeichen einer Unverträglichkeit auftreten, muss die
Behandlung sofort abgebrochen werden. Eine
Ausrüstung zur kardiopulmonalen Reanimation
sowie zur Behandlung einer akuten anphylaktischen/anaphylaktoiden Reaktion sollte verfügbar
sein, einschließlich einer injizierbaren 1:1.000Adrenalinlösung. Falls erforderlich, sollte eine
zusätzliche Behandlung mit Antihistaminika
und/oder Kortikosteroiden erfolgen.
ÜBEREMPFINDLICHKEITSREAKTIONEN
Die Patienten sollten während und bis
✓ Interessenkonflikte: keine
ANÄMIE-SPECIAL
Art und Dauer der Anwendung:
쐍 Das Arzneimittel kann entweder als intravenöse
Bolusinjektion, als intravenöse Tropfinfusion
oder als direkte Injektion in den venösen Arm
eines Dialysegeräts verabreicht werden.
Leistungsrecht
Bei einer dokumentierten
Eisenmangelanämie
ist die Therapie mit
eisenhaltigen
Arzneimitteln zulasten der GKV
verordnungsfähig.
Dies gilt für die orale
sowie die parenterale
Arzneimittelgabe.
PRAXISTIPP
30
Minuten
mindestens 30 Minuten nach jeder i.-v.Applikation einer eisenhaltigen Injektionslösung sorgfältig auf Anzeichen von Überempfindlichkeitsreaktionen hin überwacht werden!
KVH aktuell 3|2015
XI
ANÄMIE-SPECIAL
Aktuelles aus
Dieser Beitrag wurde
mit freundlicher
Genehmigung des
Herausgebers aus dem
arznei-telegramm®
2013; Jg. 44, Nr. 8
übernommen.
Hier finden Sie die
Empfehlungen der
European Medicines
Agency (EMA) zum
Umgang mit allergischen Reaktionen auf
die i.-v.-Eisengabe aus
dem Jahr 2013.
kvh.link/1503003
INTERNET
XII
KVH aktuell 3|2015
Schwere allergische
Reaktionen auf
parenterales Eisen
E
in 68-jähriger Rentner mit Eisenmangelanämie wird unmittelbar nach Beginn einer
Infusion des Eisen(III)-hydroxid-Dextran-Komplexes CosmoFer® bewusstlos. Nach kardiopulmonaler Reanimation kommt es im Verlauf zu einem
vermutlich hypoxisch bedingten Krampfanfall. Die
behandelnden Mediziner gehen von einer anaphylaktischen Reaktion auf die parenteral zugeführte Eisenverbindung aus (NETZWERK-Bericht
14.805). Eine 35-Jährige reagiert nach der dritten
Injektion des Eisen(III)-Natriumglukonat-SukroseKomplexes Ferrlecit® mit Blutdruckabfall und
Atemnot (11.020), eine 16-Jährige zehn Minuten
nach Infusion des Eisen(III)-hydroxid-PolymaltoseKomplexes Ferinject® mit allergischem Gesichtsödem (16.273). Alle intravenösen Eisenpräparate
bergen das Risiko lebensbedrohlicher oder gar
tödlicher allergischer Reaktionen und sind daher
speziellen Situationen vorbehalten, beispielsweise
bei chronisch entzündlicher Darmerkrankung
oder Versagen der Therapie per os. Die europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines
Agency, EMA) empfiehlt aktuell nach Abschluss
eines von der französischen Behörde initiierten
Risikobewertungsverfahrens, Eisenpräparate parenteral nur noch dann anzuwenden, wenn medizinisches Personal, das die Behandlung von Anaphylaxien beherrscht, unmittelbar bereitsteht und
Notfalleinrichtungen zur Reanimation vorhanden
sind. Da mit allergischen Reaktionen auch dann
gerechnet werden muss, wenn die Präparate zuvor vertragen wurden, rät die EMA jetzt von der
bislang üblichen Praxis einer Testdosis ab. Die Patienten sind während und mindestens 30 Minuten
nach jeder parenteralen Eisengabe sorgfältig zu
überwachen. Treten Überempfindlichkeitssymptome auf, muss die Infusion sofort beendet werden.
NEURAMINIDASEHEMMER
Nach Auffassung einer kritischen medizinischen
Zeitschrift wurde lange Zeit der Nutzen von
Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®)
überbewertet und die unerwünschten Wirkungen
wurden heruntergespielt. Nach Cochrane-Analysen werde die Zeit bis zu einer spürbaren
Besserung der Grippesymptome nur um durchschnittlich 16,8 beziehungsweise 14,4 Stunden
NACHRICHTEN
Oseltamivir und Zanamivir – kritische
Anmerkungen
verringert. Bei genauer Diagnose Pneumonie zeigten beide Neuraminidasehemmer keine Symptomverbesserung, genauso wenig wie bei ernsthaften
Komplikationen wie Otitis media oder Sinusitis.
Der Sinn einer Bevorratung für den Einsatz im
Pandemiefall muss deshalb überdacht werden. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
Quelle:
Intern. Prax. 2014; 55 (3):
628–30
TROTZ NEGATIVER MELDUNGEN:
GRIPPE-IMPFEN BESSER ALS THERAPIEREN!
Die Grippezeit rückt näher. Weiterhin werden
zur Therapie Oseltamivir und Zanamivir angeboten. Jedoch kann man die Behandlungsoptionen mit den Neuraminidasehemmern
eigentlich vernachlässigen, schaut man sich das
Review der Cochrane Collaboration Schweiz
vom 10.4.2014 an. Aus 107 Studienreports
waren 20 für Oseltamivir und 26 für Zanamivir,
trotz Designschwachpunkten, bedingt verwertbar. Oseltamivir verkürzte die Zeit, ab der es zu
einer Symptomverbesserung kam, geringfügig
von 7,0 auf 6,3 Tage und Zanamivir von 6,6 auf
6,0 Tage. Schwere Komplikationen einer Influenza konnten durch die Medikamente nicht
verhindert werden. Zwar scheinen beide Medikamente, wenn sie prophylaktisch gegeben
werden, Grippesymptome zu reduzieren,
jedoch ist dies bei der Häufigkeit der unerwünschten Nebenwirkungen wie Übelkeit,
Erbrechen und psychischen Symptomen wohl
keine gute Strategie. Eine bessere Form der
Prophylaxe bleibt die Grippeimpfung, auch
wenn sie in manchen Jahren nicht so wirksam
wie erwartet ist. 2012/2013 lag die Effektivität
für A(H1N1) bei 59 % (95-%-CI: 29–77 %), für
A(H3N2) bei 30 % (95-%-CI: 13–56 %) und für
Influenza B bei 27 % (95-%-CI: 18–54 %). Für
2014/2015 befanden die Centers for Disease
Control and Prevention im Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR, January 16,
2015/64 (01); 10–15), dass es bei 67 % von
A(H3N2) zu einem Antigendrift gekommen
war, sodass die Effektivität nur 22 % (CI = 5 %–
35 %) betrug. A(H1N1) und B scheinen gleichermaßen wirksam wie im Vorjahr gewesen
zu sein. In Anbetracht der geringen Nebenwirkungsrate und anderer Untersuchungen in
Hinblick auf die Reduktion schwerer Verläufe
macht es somit Sinn, chronisch Kranke, Ältere
und insbesondere Altenheimbewohner, so gut
es geht, vor einer Influenza zu schützen – und
das heißt, sie zu impfen.
DR. GERT VETTER
KVH aktuell 3|2015
17
ANTIOXIDANTIEN
NACHRICHTEN
Bei Sportlern sinnlos
Quelle:
Pharm. Ztg. 2015; 160
(8): 48
In Studien nahmen 54 Ausdauersportler täglich
1.000 mg Vitamin C und 235 mg Vitamin E über
elf Wochen ein. Eine günstige Wirkung auf die
Ausdauertrainingsleistung konnte nicht nachgewiesen werden. 32 junge Männer und Frauen
trainierten über zehn Wochen in einem Fitnessstudio. Die Teilnehmer in der Placebogruppe erzielten
beim Armbeugen mit Kurzhanteln bessere Ergebnisse. Die Biomarker für die Proteinsynthese
waren in der Vitamingruppe vermindert. Wie
beim genaueren Nachdenken ersichtlich, haben
auch freie Radikale eine biologische Funktion, die
jedoch durch unphysiologische Antioxidantiengabe gestört wird. Die hohen empfohlenen Dosen
liegen oft um Größenordnungen über einer für
die Vitaminfunktion nötigen Konzentration –
Konsequenzen aus diesen Megadosen sind nicht
genau analysiert. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
DABIGATRAN
Achtung, exfoliative Ösophagitis
Quelle:
Dtsch. Med. Wschr. 2015;
140: 515–18
Eine 77-jährige Patientin mit Vorhofflimmern vertrug über 13 Monate 2 x 150 mg/d Dabigatran (Pradaxa®) problemlos. Eine schmerzhafte Dysphagie
führte zur Krankenhausaufnahme. Es fand sich
eine ausgedehnte Ablösung von Plattenepithelschichten, besonders ausgeprägt im kranialen
Ösophagus. Nach Absetzen von Dabigatran und
entsprechender Medikation mit Säureblocker
und Antacidum zeigte sich nach zwölf Tagen ein
Normalbefund der Speiseröhre.
Besonders gefährdet scheinen ältere Patienten mit geringer Flüssigkeitsaufnahme, verminderter Speichelfunktion, herabgesetzter Ösophagus-Clearance und Bettlägerigkeit zu sein. Eine
Einnahme mit reichlich Flüssigkeit (100 ml kontrolliert) und 30-minütiges Aufrechtsitzen der
Patienten scheint ausreichend zu sein, um einen
verlängerten Kontakt mit der Dabigatran-Kapsel
im Ösophagus zu vermeiden. ■
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
18
KVH aktuell 3|2015
FORSCHUNG & PRAXIS
INHALATIONSSPRAYS
Korrekte Anwendung
von Inhalativa bei
Asthma und COPD
Welche Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen in der Asthmaund COPD-Behandlung zur Verfügung stehen, ist in medizinischen Leitlinien ausführlich dokumentiert. Jedoch existieren
bei den inhalativ eingesetzten Arzneimitteln verschiedene
Applikationssysteme, die je nach Patient mit verschiedenen
Anwendungsfehlern einhergehen können. Worauf Sie und
Ihre Patienten bei der Auswahl des richtigen Systems achten
müssen, erfahren Sie im folgenden Artikel.
D
ie inhalative Applikation von Arzneistoffen
besitzt in der Therapie des Asthma bronchiale und der COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) eine große Bedeutung. Gründe
dafür sind die hohe lokale Wirkstoffkonzentration bei geringer Gesamtdosis, das damit verbundene
günstige
Wirkungs-NebenwirkungsVerhältnis (zum Beispiel bei den inhalativen
Kortikosteroiden) sowie der rasche Wirkeintritt
(zum Beispiel bei Beta-2-Sympathomimetika).
Die klinische Wirkung der Inhalativa wird ganz
wesentlich von ihrer bronchopulmonalen Ausbreitung bestimmt. Diese ist abhängig unter
anderem von der Galenik des Präparats und der
Inhalationstechnik des Patienten.1, 2
Falsche Anwendung und ihre Folgen
Bei der Asthmabehandlung stehen inhalative Kortikosteroide (ICS) im Vordergrund. Asthma-Patienten, die ICS nicht regelmäßig einnehmen, erscheinen zweimal häufiger in Notaufnahmen, werden
dreimal häufiger hospitalisiert und suchen viermal
häufiger den Hausarzt auf. Einer von vier Patienten, die ICS absetzen, wird innerhalb der nächsten
sechs Monate eine (vermeidbare) Exazerbation
erleiden. Eine Auswertung der Verordnungsdaten
der KVBW hat ergeben, dass nur etwa 40 Prozent
der Patienten innerhalb eines Jahres nach Erstverordnung erneut eine oder mehrere ICS-Verordnungen in der Apotheke einlösen. Auch bei COPD
Dieser Beitrag wurde
mit freundlicher
Genehmigung von
Autor, Redaktion, Verlag und Herausgeber –
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg – aus dem Verordnungsforum 33, Januar
2015, übernommen.
ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 1,5 Jahren hospitalisiert zu werden, bei guter Compliance
um fast 30 Prozent geringer.4 Die Gründe für die
unregelmäßige Einnahme von ICS sind sicherlich
vielfältig und reichen von Unsicherheiten der
Patienten in der Bedienung der Inhalationsgeräte
bis hin zur Unkenntnis, dass diese Arzneimittel
regelmäßig angewendet werden müssen.
Inhalationssysteme
Selbst bei guter Compliance ist die Behandlung oft nicht optimal, weil die
Arzneimittel-Applikation fehlerhaft
verläuft. Bei der topisch-inhalativen Verabreichung von Arzneistoffen kommt der Wahl des geeigneten
Inhalationssystems
deshalb zentrale Bedeutung
zu. Grundsätzlich existieren
drei verschiedene Typen von
Inhalationssystemen:
■ Dosieraerosol
■ Pulverinhalator
■ elektrischer Vernebler
KVH aktuell 3|2015
19
FORSCHUNG & PRAXIS
TYPEN VON INHALATIONSSYSTEMEN
■ Dosieraerosol
■ Pulverinhalator
■ Elektrischer Vernebler
Bei korrekter Anwendung ist das
therapeutische Resultat von der Art des Inhalators unabhängig. Deshalb sollten die Fertigkeiten und Präferenzen des
Patienten bei der Wahl des Inhalationssystems im Vordergrund stehen!
Dosieraerosole
Elektrische Vernebler
Das Wirkprinzip aller treibgasgetriebenen Dosieraerosole ist im Wesentlichen gleich. Sie können
den Wirkstoff entweder gelöst oder suspendiert
im flüssigen Treibgas enthalten. Dosieraerosole
werden überwiegend als hand- oder druckausgelöste („press and breath“) Inhalationssysteme eingesetzt; es werden aber auch atemzuggetriggerte
Systeme angeboten. Sie zeichnen sich durch eine
hohe Dosiskonstanz aus, die – ebenso wie die Teilchengrößenverteilung – unabhängig vom inspiratorischen Fluss des Patienten ist. Bis zu 95 Prozent
der Patienten machen bei der Anwendung eines
solchen Geräts mindestens einen Fehler (siehe
hierzu auch Tabelle zu den häufigsten Anwendungsfehlern), was durch eine einmalige Schulung über fünf bis zehn Minuten auf 75 Prozent
gesenkt werden kann. Auch die Beurteilung des
Füllungszustands des Aerosols ist schwierig – der
Patient sollte sich daher vor Anbruch einer neuen
Packung notieren, bis zu welchem Datum sie bei
regelmäßiger Einnahme reichen wird.2–4
Elektrische Vernebler werden als Ultraschallvernebler oder Düsenvernebler angeboten. Düsenvernebler benötigen Druckluft, die durch Kompressoren, mittels Gasflaschen oder Druckluftleitungen
erzeugt wird. Ultraschallvernebler erzeugen mechanische Schwingungen, die von der Oberfläche
der zu vernebelnden Flüssigkeit Aerosoltröpfchen
ablösen. Der apparative Aufwand beim Einsatz
von Verneblern ist groß, die Geräte sind teuer und
sie eignen sich nur eingeschränkt dazu, mitgenommen zu werden. Die Gerätepflege ist hier am
aufwendigsten. Bei der Handhabung von Verneblern und den entsprechenden Arzneimitteln müssen die hygienischen Richtlinien streng beachtet
werden, um mikrobielle Kontaminationen und
daraus potenziell resultierende bronchopulmonale Infektionen zu vermeiden.1, 2, 4, 5
Außerdem sind viele moderne Medikamente (beispielsweise lang wirkende
Beta-2-Mimetika) in einer für Vernebler geeigneten Form nicht verfügbar.
Pulverinhalatoren
Wahl des richtigen
Gerätetyps
Pulverinhalatoren dienen dazu, pulverförmige
Wirkstoffe ohne zusätzliche Treibmittel für die
Inhalation zugänglich zu machen. Bei allen Pulverinhalatoren muss das zu inhalierende Pulver durch
den Inspirationsluftstrom des Patienten in ein
Aerosol überführt werden. Das Trockenpulver
kann hierfür in Form von Kapseln, als Blister oder
in Mehrdosenbehältnissen eingesetzt werden.
Pulverinhalatoren verfügen meist über ein Zählwerk, sodass die verfügbaren verbliebenen Dosen
erkennbar sind. Auch Patienten, die Pulverinhalatoren anwenden sollen, benötigen eine Schulung.
Denn in Abhängigkeit vom Inhalatortyp begehen
vier bis 94 Prozent der Patienten relevante Anwendungsfehler.1, 2, 4, 5
20
KVH aktuell 3|2015
Ausgehend von den Unterschieden zwischen den Applikationssystemen sollte patientenindividuell ein Gerätetypus ausgewählt werden. Hierbei sollten insbesondere die Fähigkeiten,
das
Applikationssystem
richtig anzuwenden, berücksichtigt werden. So
können beispielsweise kognitive oder feinmotorische
Einschränkungen
oder auch die Schwere der
Atem-Hand-Koordination haben oder bei denen
die Kraft oder Fingerfertigkeit für ein handausgelöstes Dosieraerosol fehlt. Die Dosieraerosole
haben allgemein den Vorteil im Vergleich zu
Pulverinhalatoren, dass sie auch noch bei eingeschränktem inspiratorischem Fluss angewendet
werden können.1, 2, 4–6 Beispiele für atemzuggetriggerte Inhalationssysteme: Autohaler®,
easi-Breathe®.
Im Gegensatz zu den handausgelösten Dosieraerosolen ist bei den Pulverinhalatoren keine
Koordination zwischen Auslösen und Einatmung
erforderlich. Allerdings ist ein gewisser geräteabhängiger minimaler Atemzug (mindestens
30 l/min, teilweise sogar 60 l/min) nötig, um die
Verwirbelung des Pulvers zu erzeugen. Zudem
kann der Ladevorgang Kraft erfordern: Bei Pulverinhalatoren mit eingelegter Hartkapsel kann fehlende Kraft zum unvollständigen Perforieren der
Kapsel führen und die Wirkstofffreigabe reduzieren. In solchen Fällen kann der Wechsel der Griffart
oder auf ein anderes Gerät (Pulverinhalator oder
atemzuggetriggertes Dosieraerosol) erforderlich
sein. Es gibt Pulverinhalatoren, die dem Patienten
mittels Geräuschen (Klick- oder Einrastgeräusche,
surrende Betriebsgeräusche) und/oder optischer
Kontrollfunktion (Farbwechsel von Rot nach Grün –
und zurück – im Kontrollfenster) bestätigen, dass er
das Gerät bei der Inhalation richtig bedient hat.
Schwerhörigen Patienten hilft der Einsatz eines Inhalators mit optischer Kontrollfunktion.1, 4–6 Beispiele für Pulverinhalatoren mit optischer Kontrollfunktion während/nach der Inhalation: Genuair®,
Novolizer®. Beispiele für Pulverinhalatoren mit
akustischer Kontrollfunktion während der Inhalation: Aerolizer®, Breezhaler®, Cyclohaler®,
Genuair®, Handihaler®, NeXthaler®, Novolizer®.
Vernebler kommen bei schwerem
akutem
Asthma
(hochgradige
Atemnot) oder bei jungen Säuglingen zum Einsatz, da in diesen
Situationen ein ordnungsgemäßer Gebrauch von Dosieraerosolen mit Spacer oft nicht
möglich ist, wobei auch
hier die Effektivität der Dosieraerosolanwendung mit Spacer gezeigt wurde. In der
Therapie der COPD werden
Vernebler bei Patienten eingesetzt, die trotz entsprechender Anweisung und
Anwendung von Inhalationshilfen eine effektive
Inhalationstechnik nicht erlernen können. Auch Patien-
FORSCHUNG & PRAXIS
Erkrankung dazu führen, dass der Patient bestimmte Geräte nicht korrekt bedienen kann.
Handausgelöste Dosieraerosole sind für
Patienten geeignet, die über ausreichend Kraft
und Fingerfertigkeit verfügen, um einen Sprühstoß auszulösen. Wenn Kraft oder Fingerfertigkeit
fehlen, kann der Patient anstelle des Spitzgriffs
den vergleichsweise stärkeren Schlüsselgriff einsetzen; dies kann ihm das Entleeren einer Dosieraerosolflasche erleichtern. Um ein Dosieraerosol
richtig bedienen zu können, muss der Patient
außerdem in der Lage sein, das Auslösen des
Sprühstoßes und den Beginn des Einatmens zu
koordinieren. Gibt es hiermit Probleme, stehen
Inhalierhilfen (Hohlraumsysteme, sogenannte
Spacer) zur Verfügung. Großvolumige Spacer
erleichtern den Inhalationsvorgang. Eine direkte
Koordination zwischen der Auslösung des Sprühstoßes und der Inspiration ist bei Verwendung
eines solchen Systems nicht mehr erforderlich. Die
Verwendung von Spacern führt außerdem zu
einer Steigerung der bronchialen Arzneistoffdeposition. Hinzu kommt, dass sie die oropharyngeale Wirkstoffdeposition um das 7- bis 20-Fache
reduzieren. Atemzuggetriggerte Dosieraerosole sind
für diejenigen Patienten von Vorteil, die
entweder Probleme
mit der
Material zur
Patienteninformation
Ärztliches Zentrum für
Qualität in der Medizin
(ÄZQ)
„Richtig inhalieren bei
Asthma und COPD“
kvh.link/1503005
Deutsche
Atemwegsliga e. V.
Demonstrationsvideos
zur korrekten
Anwendung verschiedener Gerätetypen:
kvh.link/1503006
INTERNET
KVH aktuell 3|2015
21
FORSCHUNG & PRAXIS
ten, die nicht bewusst inhalieren können, sollten
mit einem Vernebler versorgt werden. Der Wirkstoff Ipratropium sollte beim Einsatz eines Verneblers möglichst über ein Mundstück appliziert
werden. Falls eine Verneblermaske eingesetzt
wird, sollte diese richtig sitzen. Diese Maßnahmen
sollen verhindern, dass durch Eintritt von Inhalationsflüssigkeit oder Sprühnebel in die Augen ein
akutes Engwinkelglaukom entsteht.1, 2, 5, 8
Fehlendes Ansprechen auf die Behandlung mit
Bronchodilatatoren sowie Probleme mit der Applikationstechnik, die auch durch weitere Schulungen nicht abgestellt werden können, sollten zu
einer Neueinstellung auf ein anderes Gerät oder
zur Verwendung einer Inhalationshilfe führen. Bei
einem Wechsel des Arzneimittels oder des Inhalationssystems kann es notwendig sein, die Dosis
individuell neu anzupassen. Dabei sind das Arzneimittel (Arzneistoff, Galenik), das Dosisregime und
die Applikationsmethode zu berücksichtigen.1, 2, 5
Anwendungstipps
Die Wirkstoffdeposition im Bronchialsystem wird
durch die korrekte Anwendung der Inhalationssysteme entscheidend beeinflusst. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass für die verschiedenen Inhalationssysteme unterschiedliche Inhalationstechniken
und Atemmanöver als optimal anzusehen sind:
■ Dosieraerosol ohne Spacer: ein langsamer,
tiefer Atemzug, dabei Dosieraerosol auslösen
(dann Atem anhalten),
■ Dosieraerosol mit Spacer: langsame, tiefe Inspiration über mehrere Atemzüge (dann Atem
anhalten),
Häufigste Anwendungsfehler in Abhängigkeit vom Inhalatortyp
DOSIERAEROSOL
Korrekte Anwendung
bei Suspensionen: Dosieraerosol zur gleichmäßigen
Verteilung des Wirkstoffs kräftig schütteln
Fehler
Häufigkeit
(geordnet nach der chronol. Abfolge der Anwendungsschritte)
(in Prozent)
kein Schütteln vor der Anwendung
26
Schutzkappe entfernen
Inhalation mit verschlossenem Mundstück
Dosieraerosol senkrecht halten
Behälter wird nicht aufrecht gehalten
26
3
langsam und tief einatmen
kein langsames Einatmen
kein tiefes Einatmen
Stoppen der Inhalation (Cold Freon Effect)
75
54
6
Sprühstoß auslösen
fehlendes Betätigen des Inhalators
13
nach Auslösen des Sprühstoßes langsam weiteratmen
kein langsames Weiteratmen
51
Atem für etwa 5 bis 10 Sekunden anhalten
Atem wird nicht lange genug angehalten
71
weitere Inhalationen frühestens nach einer Minute
keine ausreichende Wartezeit zwischen zwei Inhalationen
87
PULVERINHALATOR
Korrekte Anwendung
Häufigkeit
(geordnet nach der chronol. Abfolge der Anwendungsschritte)
(in Prozent)*
Inhalator wie vom Hersteller beschrieben laden
(z. B. Hartkapsel ausreichend perforieren)
falsches Laden des Inhalators
langsam und entspannt ausatmen,
keinesfalls in den Pulverinhalator
kein Ausatmen vor dem Einatmen
Mundstück mit den Lippen fest umschließen, dabei
etwaige Lufteinlassöffnungen nicht verdecken
falsche Position des Mundstücks
Inhalator wie vom Hersteller beschrieben halten
falsche Position des Inhalators
rasch und tief einatmen (minimaler Atemzug 30 l/min)
kein kräftiges Einatmen durch den Inhalator
0–48
Atem für etwa 5 bis 10 Sekunden anhalten
Atem wird nicht lange genug angehalten
0–73
Mundstück vor dem Ausatmen aus dem Mund nehmen
kein langsames Ausatmen nach Verabreichung
2–43
langsam ausatmen (Lippenbremse)
Ausatmen in den Inhalator
* Die Angaben zur Häufigkeit variieren stark in Abhängigkeit vom untersuchten Gerätetypus.
22
Fehler
KVH aktuell 3|2015
0–45
12–77
0–33
33
20
Tabellen nach Haefeli4
Unabhängig vom System gibt es einige Grundprinzipien der Inhalation. Grundsätzlich sollte mit
aufrechtem Oberkörper (also am besten im Sitzen
oder Stehen) inhaliert werden. Außerdem gilt:
■ Inhalation vorbereiten,
■ langsam und entspannt ausatmen,
■ Inhalation auslösen und einatmen; das Atemmanöver ist abhängig vom Inhalationssystem,
■ Inhalation je nach Gerät zu Beginn der Einatmungsphase auslösen,
■ je nach Gerät schnell oder langsam, immer
jedoch tief einatmen,
■ Atem für etwa 5–10 Sekunden anhalten, damit
das Medikament auch in den Bronchien genügend Zeit hat, die Wirkung zu entfalten,
■ langsam ausatmen (Lippenbremse),
■ bei Pulverinhalatoren, die mit Kapseln befüllt
werden, prüfen, ob noch Pulver in der Kapsel
übrig geblieben ist, gegebenenfalls erneut
inhalieren,
■ weitere Inhalationen frühestens nach einer
Minute durchführen,9
■ nach der Inhalation von Kortikosteroiden sollte
der Patient den Mund mit Wasser ausspülen
oder die Zähne putzen, um lokale Nebenwirkungen wie Mundsoor zu vermeiden.11
Um die Funktionsfähigkeit der Inhalationssysteme
zu erhalten und eine gleichmäßige Wirkstofffreigabe sicherzustellen, ist es erforderlich, dass der Patient die Reinigungshinweise in der Packungsbeilage des Arzneimittels beachtet. Beispielsweise können Wirkstoffablagerungen an den Ventilstiften von
Dosieraerosolen zum Nachlassen der Sprühstärke
führen.3 Bei Pulverinhalatoren sollte der Patient darauf achten, dass er nicht in den Inhalator ausatmet,
um ein Verklumpen des Pulvers zu verhindern.11
aufgeführt. Der G-BA hat jedoch bereits angekündigt zu prüfen, inwieweit diese Arzneimittel ebenfalls in die Liste aufgenommen werden müssten.10
Um den Austausch des verordneten Arzneimittels
gegen ein anderes in der Apotheke zu verhindern,
ist es daher erforderlich, ein Aut-idem-Kreuz zu
setzen. Grundsätzlich soll der Apotheker überprüfen, ob der Patient das Medikament kompetent
bedienen kann, und ihn gegebenenfalls nachschulen. Dies gilt ganz besonders für den Fall, dass
ein verordnetes Gerät gegen ein anderes ausgetauscht wird. 쮿
FORSCHUNG & PRAXIS
■ atemzuggetriggertes Dosieraerosol: langsame,
tiefe Inspiration (dann Atem anhalten),
■ Pulverinhalator: rasche, tiefe Inspiration (dann
Atem anhalten),
■ Vernebler: langsame, tiefe Inspiration, normale
Exspiration; jeweils fünf Atemzüge mit Verneblung, dann 2–3 Atemzüge normal atmen.1, 5
Literatur:
1. Nationale Versorgungsleitlinie Asthma, Langfassung; 2. Auflage; zuletzt geändert: August 2013;
www.asthma.versorgungsleitlinien.de
2. Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der
Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von
Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und
Lungenemphysem (COPD); Pneumologie; 2007; 61:
e1–40; Stuttgart: Georg-Thieme-Verlag; 2007
3. Inhalativa: ihre Tücken und deren Behebung.
Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 38/2011
4. Haefeli WE: Asthma und COPD im Alter: Das richtige Inhalieren muss trainiert werden; Allgemeinarztonline; 06.06.2014; http://www.allgemeinarzt-online.de/a/1646514
5. Arbeitsgruppe Aerosolmedizin der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie: Empfehlungen für
die Auswahl von Inhalationssystemen zur Medikamentenverabreichung; Pneumologie 2001; 55:
579–86; Stuttgart: Georg-Thieme-Verlag; 2001
6. Kircher W: Anwendung von Arzneimitteln: Wie sich
ergonomische und audiologische Probleme lösen
lassen. Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 26/2007
7. ÄzQ: Richtig inhalieren bei Asthma und COPD,
Patienteninformation. Ausgabe September 2014;
http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/kip/aezqversion-kip-richtig- inhalieren-bei-asthma-undcopd.pdf
8. Fachinformationen von ipratropiumhaltigen Lösungen zur Druckgasinhalation, z. B. Atrovent® 250 g/2
ml Fertiginhalat; Stand Mai 2012; www.fachinfo.de
9. Deutsche Atemwegsliga e. V.: Richtig inhalieren –
Grundprinzipien der Inhalation; www.atemwegsliga.de/richtig-inhalieren.html (Zugriff 23.12.2014)
10. Gemeinsamer Bundesausschuss: Substitutionsausschluss: G-BA listet erste Arzneimittel pünktlich
innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen kurzen Frist. Pressemitteilung vom 18. September
2014; https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/554/
11. Fachinformationen von kortikosteroidhaltigen Inhalativa, z. B. Budesonid Easyhaler; Stand April 2014;
www.fachinfo.de
Austausch des verordneten Arzneimittels in der Apotheke
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat
erstmals Arzneimittel festgelegt, die von den
Apotheken nicht durch ein wirkstoffgleiches Produkt ersetzt werden dürfen. Diese Regelung gilt
gerade auch in Fällen, in denen das Aut-idemKreuz nicht gesetzt ist. In der aktuell gültigen
Version dieser G-BA-Liste sind Inhalativa zur Behandlung von Asthma bronchiale und COPD nicht
KVH aktuell 3|2015
23
FORSCHUNG & PRAXIS
URIKOSTATIKA UND URIKOSURIKA
Einsatz von Allopurinol
bei Hyperurikämie
Dieser Beitrag wurde
mit freundlicher
Genehmigung von
Autor, Redaktion,
Verlag und Herausgeber – Kassenärztliche
Vereinigung BadenWürttemberg – aus
dem Verordnungsforum 33, Januar 2015,
übernommen.
Ist das „gute alte“ Allopurinol wirklich immer ohne Probleme
verwendbar? Welche potenziell gefährlichen Nebenwirkungen
können auftreten? Und welche Wechselbeziehungen mit
Begleittherapien oder Organfunktionseinschränkungen sind
zu beachten? Der folgende Artikel fasst den aktuellen Kenntnisstand zusammen.
B
ereits im Jahr 1966 wurde Allopurinol in den
USA und der Schweiz zur Behandlung der
Gicht zugelassen. Außer dass im Jahr 2010 als zusätzliche Therapieoption Febuxostat auf den
Markt kam, ist dieses klassische Krankheitsbild
nicht von großen Innovationen geprägt. So ist es
nicht verwunderlich, dass es bis ins Jahr 2013 keine in Deutschland anerkannte Leitlinie gab. Inzwischen stehen zwei S1-Leitlinien1, 2 (akute und
chronische Gicht) zur Verfügung, die eine gezielte
Vorgehensweise bei Gicht vorgeben. Sie halten
außerdem fest, dass eine asymptomatische Hyperurikämie keine Indikation für eine medikamentöse
Therapie darstellt. Denn es gibt keinen eigentlichen Grenzwert, bei dem die Harnsäurekristalle
wegen verminderter Löslichkeit ausfallen und
einen Gichtanfall auslösen. Dieser Wert ist individuell verschieden und von vielen Faktoren abhängig.3 Wie in der Realität vorgegangen wird, zeigte
eine Befragung in Nordrhein-Westfalen aus dem
Jahr 2013. Ergebnis war, dass circa 59 Prozent der
befragten Ärzte ab einem Harnsäurespiegel
> 8 mg/l auch ohne vorausgegangenen Gichtanfall Allopurinol verordnen.4 Unter Einbeziehung
dieser Kenntnis zeigen die Verordnungsdaten aus
Baden-Württemberg, dass es aller Voraussicht
nach auch bei uns zu einer Übertherapie von
Patienten mit vorliegender Hyperurikämie kommt.
So liegt die Jahresprävalenz 2013 von Patienten
mit medikamentöser Therapie (mit Allopurinol
und/oder Febuxostat) bei circa 3,3 Prozent – dies
ist am oberen Ende der Prävalenzangaben, die wir
in der Literatur für die Gichterkrankung in Industrienationen finden (1,4 % bis 3,9 %).5, 6
Zweifelsfrei kann jedoch bei folgenden Indikationen rein auf Basis der Harnsäure-Plasmaspiegel
therapiert werden:7
■ persistierende hohe Harnsäurespiegel (> 13
mg/dl bei Männern und > 10 mg/dl bei Frauen) wegen des Risikos der Harnsäure-Nephropathie,
■ Harnsäureausscheidung über 1.100 mg/d
wegen des Risikos einer Harnsäure-Urolithiasis
(gilt nur für Allopurinol und Febuxostat),
Urikostatika: Verordnungen in Hessen
Region
ATC3
Substanzen
J 2014 Verordnungen
J 2014 VO Umsatz (AVP) €
475.585
9.499.812
Allopurinol
422.061
5.957.770
Febuxostat
28.851
2.986.277
Colchicum autumnale L.
15.983
378.056
Benzbromaron
4.829
82.120
Allopurinol + Benzbromaron
3.600
78.264
Probenecid
261
17.325
Summe
Hessen
M04A Gichtmittel
AUTOR TABELLE: KLAUS HOLLMANN
24
KVH aktuell 3|2015
Langzeitstudien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall bei konstant
hohen Harnsäurewerten über 9 mg/dl bei circa
fünf Prozent pro Jahr liegt. Bei geringeren Werten
(7–9 mg/dl) ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Gichtanfall deutlich gesenkt (auf circa 0,5 %).8
Manche Ärzte sehen deswegen eine medikamentöse Therapie asymptomatischer Patienten mit
Harnsäurespiegeln über 9 mg/dl als indiziert, da
sich bei den hohen Werten potenziell eine Gicht
manifestieren kann.7 Durch die Leitlinie ist diese
Vorgehensweise jedoch nicht abgedeckt. Eine Verordnung von Allopurinol fur asymptomatische
Patienten mit Harnsäurespiegeln unter 9 mg/dl
kann schon allein durch eine nüchterne NutzenRisiko-Abwägung nicht empfohlen werden. Hier
setzt man die Patienten einem nicht unerheblichen
Risiko für schwerwiegende Hypersensibilitätsreaktionen aus.7 Diese können teilweise tödlich verlaufen. Auch Febuxostat weist schwerwiegende
Nebenwirkungen ähnlich zu Allopurinol auf.8 Die
Reduktion purinreicher Nahrungsmittel muss im
Vordergrund stehen. 쮿
Literatur:
1. DEGAM: Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung. AWMF-Registernr. 053/032b, Klasse S1.
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053_03
2bl_S1_akute_Gicht_2014-05.pdf
(Zugriff 23.12.2014)
2. DEGAM: Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht
in der hausärztlichen Versorgung. AWMF-Registernr.
053/032a, Klasse S1.
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053032al_S1_Chronische_Gicht_2014-05.pdf
(Zugriff 23.12.2014)
3. Bennack E: Therapie soll Gichtattacken verhindern,
Pharmazeutische Zeitung online 45/2006.
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/
index.php?id=2176 (Zugriff 23.12.2014)
4. Engel B et al.: Wie behandeln Hausärzte eine Gicht?
Zeitschr. für Allgemeinmed 2014; 90(6).
DOi 10.3238/zfa.2014.0277–0281
5. Tausche AK et al.: Gicht – aktuelle Aspekte in Diagnostik und Therapie. Dtsch Arztebl int 2009;
106(34–35): 549–55
6. Khanna D et al.: 2012 American College of Rheumatology guidelines for management of gout. Part 1:
Systematic nonpharmacologic and pharmacologic
therapeutic approaches to hyperuricemia. Arthritis
Care res 2012; 64(10): 1431–46
7. Bei asymptomatischer Hyperurikämie wird zu häufig
Allopurinol verordnet. Arzneimittelbrief 2014; 48: 46
8. Campion EW et al.: Asymptomatic hyperuricemia.
Risks and consequences in the Normative Aging Study. Am J Med 1987; 82(3): 421–6
9. Berlin-Chemie Menarini: Wichtige Informationen
zum Zusammenhang des Risikos für schwere Hypersensitivitätsreaktionen, darunter auch Stevens-Johnson-Syndrom und akute anaphylaktische Reaktionen/
Schock mit Adenuric® (Febuxostat) (Rote-Hand-Brief
vom 21.05.2012).
http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/rHB/Archiv/2012/20120521.pdf
(Zugriff 23.12.2014)
10. Fachinformation: Allopurinol Abz 100/300 mg
Tabletten (Stand Oktober 2013)
11. KBV: Wirkstoff aktuell: Febuxostat – Ausgabe
5/2014
FORSCHUNG & PRAXIS
■ prophylaktisch in der Onkologie (Chemotherapie, Radiotherapie) wegen des Risikos der
Harnsäure-Nephropathie.
FAKTENBLATT ALLOPURINOL
1) Etwas mehr als 3 Prozent der Einwohner Baden-Württembergs erhalten Allopurinol.
2) Bei erhöhten Harnsäurewerten ist bei Therapiebeginn Vorsicht geboten
– hier kann es zu einer Häufung von Gichtanfällen kommen. (Neben der
Gabe von Allopurinol sollte deshalb die gleichzeitige prophylaktische
Analgetika- oder Colchicingabe während der ersten vier Behandlungswochen in Betracht gezogen werden.)10 Die Anfangsdosis von Allopurinol sollte bei maximal 100 mg/d liegen. Dosissteigerung in zwei- bis fünfwöchigem Abstand, bis der Serumharnsäurewert ≤ 6 mg/dl erreicht ist.6
3) Insbesondere bei Patienten, die wegen Bluthochdrucks oder Herzinsuffizienz mit ACE-Hemmern oder Diuretika behandelt werden, sollte die
Verabreichung von Allopurinol mit Vorsicht erfolgen, da bei dieser
Patientengruppe eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion vorliegen
kann.10
4) Bei einem akuten Gichtanfall darf eine Allopurinoltherapie nicht begonnen werden. Eine bereits bestehende Therapie soll jedoch während eines akuten Anfalls nicht abgebrochen werden.
5) Beim Auftreten von Hautausschlägen ist Allopurinol sofort abzusetzen.
Die Gabe von Allopurinol ist die häufigste Ursache für ein StevensJohnson-Syndrom.
6) Die unter Amoxicillintherapie häufig auftretenden allergischen Hautreaktionen treten unter Allopurinol noch häufiger auf. Hier empfiehlt
sich die Wahl eines alternativen Antibiotikums.
7) Bei eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion soll eine Dosisanpassung erfolgen.
8) Die Wirkung von Cumarinen (z. B. Phenprocoumon) kann erhöht werden. Es ist daher eine häufigere Kontrolle der Blutgerinnung erforderlich und gegebenenfalls eine entsprechende Dosisreduktion des Cumarin-Derivats notwendig.
9) Allopurinol hemmt den Metabolismus von Azathioprin (Dosisreduktion
um 25 %) und Theophyllin (Spiegelkontrolle).
10) Allopurinol ist für die Behandlung der Hyperurikämie das Mittel der
Wahl. Febuxostat sollte nur bei Unverträglichkeit von Allopurinol
und/oder Probenecid eingesetzt werden. Eine duale Therapie von
Allopurinol zusammen mit Febuxostat kann aufgrund fehlender
Daten nicht empfohlen werden.11
KVH aktuell 3|2015
25
FORSCHUNG & PRAXIS
GASTROENTEROLOGIE
Eradikation von
Helicobacter pylori
bei ClarithromycinUnverträglichkeit
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Genehmigung von
Autor, Redaktion,
Verlag und Herausgeber – Kassenärztliche
Vereinigung BadenWürttemberg – aus
dem Verordnungsforum 34, April 2015,
übernommen.
F
olgende Frage erreichte uns aus der Praxis:
„Bei nachgewiesenem Helicobacter-pylori-Test
bei einer Patientin würde ich gerne mit einem
Tripel-Schema behandeln. Unglücklicherweise ist
hier eine Unverträglichkeit für Clarithromycin
bekannt. Im italienischen und französischen
Schema ist Clarithromycin jeweils Bestandteil.
Können Sie mir eine Alternative nennen?“
Die Antwort des PharmakotherapieInformationsdienstes Tübingen
Hier kann man das folgende Schema – aus den
Optionen für eine empirische Zweitlinientherapie
– vorschlagen:
Hier finden Sie die
Leitlinie „Helicobacter
pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit“
der Deutschen
Gesellschaft für
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS), die zurzeit
überarbeitet wird.
Omeprazol 20 mg
Amoxicillin 1.000 mg
Levofloxacin 500 mg
über 10 Tage.
1-0-1
1-0-1
1-0-0
Sollte dieses Schema nicht zum Behandlungserfolg
führen, ist die Absprache mit einem Spezialisten
sinnvoll, ob eine Resistenztestung hilfreich ist.
Literatur:
1. Bao-Zhu Li et al. Comparative effectiveness and tolerance of treatments for Helicobacter pylori: systematic review and network meta-analysis. BMJ 2015;
351: h4052; doi: 10.1136/bmj.h4052.
Italienische Tripeltherapie für 7 Tage
Dosierung
Protonenpumpenhemmer (PPI*)
1-0-1
Clarithromycin 250–500 mg
1-0-1
Metronidazol 400–500 mg
1-0-1
Französische Tripeltherapie für 7 Tage
Dosierung
Protonenpumpenhemmer (PPI*)
1-0-1
Clarithromycin 250–500 mg
1-0-1
Amoxicillin 1.000 mg
1-0-1
*PPI: Esomeprazol 20 mg, Lansoprazol 30 mg, Omeprazol 20 mg, Pantoprazol 40 mg, Rabeprazol 20 mg. Quelle: S3-Leitlinie „Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit“, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 021/001
kvh.link/1503007
INFO
26
KVH aktuell 3|2015
UMGANG MIT KLINISCHEN STUDIEN
Die zentrale Registrierung klinischer Studien
scheint angenommen worden zu sein – nicht zuletzt, weil angesehene wissenschaftliche Fachjournale die Arbeiten ansonsten nicht veröffentlichen. Findige Forscher oder deren Sponsoren
zögern die Veröffentlichung von Studienergebnissen in vielen Fällen weiterhin hinaus. Fast jede
vierte (23 Prozent) größere Studie über 500 Teilnehmer, die in der Datenbank clinicaltrials.gov
bis 2009 registriert wurde, ist auch 60 Monate
nach ihrem Abschluss noch nicht publiziert worden. Dies gilt als unethisch, denn es besteht die
Gefahr, dass sich Forschung wiederholt und die
Teilnehmer einem unnötigen Risiko ausgesetzt
sein könnten. Ab sofort sollen nach den Vorstellungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
die Ergebnisse jeder klinischen Studie innerhalb
von zwölf Monaten einem von Experten überprüften wissenschaftlichen Fachjournal zur
Publikation eingereicht werden. Weitere zwölf
Monate sind erlaubt bis zur tatsächlichen Publikation. Die wichtigsten Ergebnisse sollen innerhalb eines Jahres in der Datenbank eingestellt
werden, in der die Studie registriert wurde. Auch
die Ergebnisse älterer, bislang unveröffentlichter
Studien sollen publiziert werden. Möglicherweise bleibt es beim Wunschdenken, denn der
WHO fehlen Sanktionsmöglichkeiten. Es sei
denn, es könnte ein ähnlicher sanfter Druck wie
die Gefahr einer Nichtveröffentlichung von
Studien bei fehlender Registrierung implementiert werden. 쮿
Quelle:
Pharm. Ztg. 2015;160
(17): 46s
DR. MED. GÜNTER HOPF
✓ Interessenkonflikte: keine
ERST MIT GCP SIND STUDIEN SICHER
Die Pharmaentwicklung scheint immer kostspieliger zu werden. Gleichzeitig steigt der
Erwartungsdruck an Neumedikamente – und
damit auf Ärzte, diese unverzüglich einzusetzen. Andererseits gilt das Prinzip des „Primum
non nocere“. Der Arzt soll den Impuls seines
Handelns abwägen gegen das Risiko, dem
Patienten damit mehr zu schaden als zu nutzen.
Klinische Studien mit Nutzen- und Sicherheitsendpunkten sind daher notwendig. Seit nunmehr 20 Jahren existiert ein Standard für Pharmastudien: die GCP-Leitlinie zur „Good Clinical
Practice“. Herausgeber ist die ICH (International
Conference on Harmonisation). ICH-Mitglieder
sind die WHO, die EU, (über)staatliche Zulassungsbehörden (EMA, FDA, das japanische
DIALOG
Transparenzoffensive
der WHO
MHLW, Swissmedic) sowie wesentliche nationale Herstellerverbände. Die GCP-konforme
Durchführung einer Pharmastudie ist folglich
keine Gefälligkeit des Herstellers, sondern
eine international vereinbarte Selbstverpflichtung zum Schutz der Patienten. Übrigens:
Bei GCP hat das Studienprotokoll zentrale
Bedeutung. Das Protokoll muss vor der Studie
vorliegen und darf danach möglichst nicht verändert werden. Änderungen der Endpunkte
(z. B. in Kenntnis von Zwischenauswertungen)
sind unzulässig. Es ist daher unverständlich,
warum die IMPROVE-IT-Studie zu Ezetimib
nach 5-fachen Protokolländerungen (Amendment #1–5) dennoch veröffentlicht wurde.
Quelle:
1. International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals
for Human Use (ICH):
Guideline for Good Clinical Practice (GCP)
E6(R1), Current Step 4
version, dated 10 June
1996
kvh.link/1503009
2. Cannon CP, Blazing
MA, Giugliano RP, et
al. Protocol for: Ezetimibe added to statin
therapy after acute coronary syndromes. N
Engl J Med
2015;372:2387–97
DR. MED. STEFAN GRENZ
KVH aktuell 3|2015
27
Aktuelles aus
CETERUM CENSEO
DIALOG
Wie gefährlich darf
unsere Therapie sein?
… On the 22nd of May she was given another injection of 0.6
whereupon the usual indications of salvarsan badly tolerated
set in, and on May 25th death took place …
(aus: Wechselmann W. The treatment of syphilis with salvarsan. 1911, Rebman London)
Über 100 Jahre nach der Einführung von Salvarsan
in die Therapie sind wir geneigt anzunehmen,
unsere therapeutischen Interventionen seien weit
besser verträglich als damals und das bedauernswerte Schicksal der jungen Frau, die an der „üblichen“ Salvarsan-Unverträglichkeit starb, wäre heute undenkbar. Wie kommt es dann, dass Peter Gøtzsche, der Leiter des nordischen Cochrane-Zentrums
in Kopenhagen, in seinem neuesten Buch von etwa
200.000 Todesfällen infolge von Olanzapin
(Zyprexa® u. a.) – etwa 1 Todesfall auf 100 Behandelte – schreiben kann? Und dazu noch: „Besonders traurig daran ist, dass viele dieser Patienten nie
mit Zyprexa hätten behandelt werden sollen.“1
Schon seit unserem Studium sind wir alle daran
gewöhnt, fast ausschließlich an die positiven
Aspekte der Pharmakotherapie zu denken. Gewiss:
Unerwünschte Wirkungen werden erwähnt, haben
jedoch nie dasselbe Gewicht wie die erwünschten
Wirkungen. Es ist verständlich,
dass
wir wesentlich an den vorteilEs wäre wichtig, dass wir
haften Auswirkungen der Medikauns von der – oft auch mente interessiert sind – schließvon „Meinungsbildnern“ lich erwarten unsere Patientinnen
vertretenen – Überzeu- und Patienten wirksame Hilfe von
uns. Auch befasst sich ja der größgung distanzieren, dass wir te Teil der klinischen Studien mit
mit unserer Behandlung der (er-wünschten) Wirksamkeit
(und besonders mit einem von Arzneimitteln. Daraus ergibt
sich von selbst, dass negative Ausneuen Mittel) immer wirkungen in vielen Studienprotoetwas Gutes tun. kollen und erst recht in den entsprechenden Publikationen stiefmütterlich behandelt werden. Wenn neue Medikamente eingeführt werden, lesen wir in großen Lettern über die „bedeutsamen“ Vorteile der neuen
Mittel und bei unseren Fortbildungsveranstaltungen hören wir von angesehenen Fachleuten fast
nur Gutes über den entsprechenden Fortschritt.
Wird von unerwünschten Wirkungen gesprochen,
Dieser Beitrag wurde
mit freundlicher
Genehmigung des
Herausgebers aus
pharma-kritik 2014;
Jahrgang 36, Nr. 12
übernommen.
28
KVH aktuell 3|2015
dann meistens in dem Sinne, dass das „neue“ Mittel besser verträglich sei als ein „älteres“ Vergleichsmedikament. Da heute ein großer Teil der Medikamente aufgrund von Surrogat-Endpunkten zugelassen wird, ist aber in der Regel völlig unklar, ob die
neuen Mittel einen Vorteil bezüglich echter klinischer Endpunkte bringen. Es ist deshalb fast unvermeidlich, dass wir uns allzu oft in Sicherheit wiegen,
wenn tatsächlich relevante Gefahren bestehen.
Nur wenn wir möglichst genaue Kenntnis der
möglichen Probleme hätten, könnten wir sinnvoll
über den Einsatz von Medikamenten entscheiden.
Leider verhalten sich nicht nur die Pharma-Hersteller, sondern auch die Behörden so, dass uns möglicherweise wichtige Fakten verborgen bleiben. So
erfolgt die Zulassung eines neuen Mittels nicht
selten unter bestimmten Vorbehalten („Postmarketing Commitments“, PMC) – dass nämlich gewisse
Sicherheitsaspekte innert nützlicher Frist noch genauer geklärt werden sollten. Eigenartigerweise
können solche Bedingungen jahrelang straflos vernachlässigt werden: Von 85 „Postmarketing Commitments“, die von der amerikanischen Behörde
(FDA) im Jahr 2008 gefordert wurden, waren 2013
nur gerade 26 (31 %) erfüllt.2 In der Zwischenzeit
waren zudem bei den 2008 untersuchten Medikamenten fünf zusätzliche Probleme entdeckt worden. Berichte über medikamentös induzierte Todesfälle sind offensichtlich keineswegs immer ein
Grund zum Rückzug eines Medikaments und selbst
bei denjenigen Mitteln, die – mindestens in einem
Land – vom Markt genommen werden, dauert es
nach dem ersten Bericht über Todesfälle sehr oft
mehr als zwei Jahre, bis der Rückruf erfolgt.3 Dass
die Herstellerfirmen auch sonst alles Mögliche tun,
um zu vermeiden, dass unerwünschte Wirkungen
bekannt werden, muss hier wohl nicht groß wiederholt werden. Gut bekannte Beispiele sind die
Manipulation von Publikationen zu Rofecoxib
(Vioxx®)4 und die selektive Veröffentlichung von
teile hören wir auch sonst genug – die Gratisblätter,
die wir erhalten, sind voll von offener und versteckter Pharma-Werbung. Der medizinische Fortschritt
beruht aber mindestens ebenso sehr auf einem bewussteren Abwägen von Nutzen und Risiken. Übrigens: Das bitterböse Buch von Gøtzsche sollte man
lesen, es enthält wichtige Wahrheiten – auch wenn
es manchmal irritiert, dass der Autor kaum einen
guten Faden an unserer Pharmakotherapie lässt. 쮿
DR. MED. ETZEL GYSLING
Literatur:
1. Gøtzsche PC.
Tödliche Medizin und
organisierte Kriminalität. 2015, Riva Verlag
München, S. 351
2. Moore TJ, Furberg CD.
JAMA Intern Med
2014; 174: 90–5
3. Onakpoya IJ, et al.
BMC Med 2015; 13:
26
4. Curfman GD, et al. N
Engl J Med 2005;
353: 2813–4
5. Turner EH, et al. N Engl
J Med 2008; 358:
252–60
DIALOG
Studien zu den Antidepressiva.5 Im Buch von Gøtzsche werden noch viele andere Beispiele angeführt,
alle gut dokumentiert.
Es ist mir bewusst, dass es keineswegs einfach
ist, ein akzeptables Risiko unserer Pharmakotherapie zu definieren. Jede einzelne Verabreichung eines
Medikaments stellt ja ein neues biologisches Experiment dar, ist doch bei jedem Individuum mit einer
möglicherweise abweichenden Reaktion zu rechnen. Müssen wir resignieren, weil man ja nicht ständig mit „negativen Vorzeichen“ behandeln kann?
Nein, aber wir können uns angewöhnen, zurückhaltender mit Medikamenten und Dosierungen
umzugehen, neue Medikamente besonders vorsichtig einzusetzen und genauer hinzuhorchen,
wenn jemand von Nebenwirkungen berichtet.
Dabei ist es durchaus angebracht, auch die Verordnungen aus dem Spital (oder von Spezialistinnen
und Spezialisten) zu hinterfragen und ungenügend
dokumentierte Mittel abzusetzen bzw. durch bessere zu ersetzen. Leider ist es ja so, dass maßgebende
Fachleute oft besonders intensiv von der Industrie
beeinflusst werden.
Besonders wichtig wäre es wohl, dass sich unsere Fortbildung stärker mit medikamentös induzierten Problemen befassen würde. Über mögliche Vor-
IHRE MEINUNG
Wie gehen Sie mit Medikamenten-Nebenwirkungen um, die Sie bei Ihren Patientinnen
und Patienten beobachten?
Welche Erfahrungen haben Sie mit Behörden
gesammelt, denen Sie die unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (UAW) berichten?
Schreiben Sie uns Ihre Meinung an
[email protected]
HINWEIS
Der Wert unabhängiger Fachjournale
Nach Sir Muir Gray: „Im 19. Jahrhundert
wurde die Gesundheit durch klares, sauberes
Wasser verändert. Im 21. Jahrhundert wird
die Gesundheit durch sauberes und klares
Wissen verändert werden.“
Im Gegensatz zu vielen großen Wissenschaftsjournalen wie dem New England Journal of Medicine
sind Fachmedien wie pharma-kritik vom Schweizer infomed-Verlag, das arznei-telegramm® oder
der Arzneimittelbrief finanziell und auch sonst
unabhängig von externer Einflussnahme. Kann
ein großer Pharmakonzern beim New England
Journal of Medicine zum Beispiel damit drohen,
teure Anzeigen zurückzuziehen und dem Journal
damit schweren finanziellen Schaden zuzufügen,
kann dies den genannten Zeitschriften nicht
geschehen. Diese finanzieren sich ausschließlich
durch die Zahlung ihrer Abonnenten. Die Autoren
sind damit frei im Denken und Schreiben, im arznei-telegramm® und Arzneimittelbrief sogar anonym, unabhängig und nicht erpressbar. Sie können sich kritisch äußern, ohne unter Druck gesetzt
werden zu können oder irgendwelchen Auftraggebern gegenüber willfährig sein zu müssen. Die
Serie von drei Editorials im New England Journal of
Medicine von Lisa Rosenbaum1 zum Thema Interessenkonflikte spricht Bände und ist aus unserer
Sicht blamabel – die eingestandene Kapitulation
vor der Finanz- und Meinungsmacht der Pharmakonzerne. Diesen Zeitschriften stehen die Journale
der ISDB gegenüber, den Zeitschriften der International Society of Drug Bulletins.2 Hier kooperieren
international etwa fünfzig Zeitschriften, die kritisch
über Pharmaka berichten. In Deutschland sind dies
das bereits genannte arznei-telegramm® aus Berlin, der Arzneimittelbrief, der ebenfalls aus Berlin
stammt, die Buko Pharmakampagne aus Bielefeld
sowie die Arzneiverordnung in der Praxis, die von
der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegeben wird. Wir empfehlen unseren Lesern die Lektüre dieser Zeitschriften. 쮿
Quelle:
1. http://www.nejm.org/
doi/pdf/10.1056/
NEJMms1502493
http://www.nejm.org/
doi/pdf/10.1056/
NEJMms1502497
http://www.nejm.org/
doi/pdf/10.1056/
NEJMms1502498
2. http://www.isdbweb.
org/members/
bulletin_index
TEXT: JOACHIM SEFFRIN
✓ Interessenkonflikte: keine
KVH aktuell 3|2015
29
STELLUNGNAHME
Veröffentlichung nach Redaktionsschluss
DIALOG
Quelle:
http://www.nejm.org/
doi/pdf/10.1056/
NEJMoa1410489
Während der Drucklegung von KVH aktuell 2/15
ist die IMPROVE-IT-Studie im NEJM erschienen.
Die Studie zeigt eine grenzwertige signifikante
Hazard Ratio von 0,936 (p = 0,016), Confidence
Interval 0,89–0,99, für die kombinierten End-
punkte ohne signifikante Reduktion der Gesamtmortalität. Die Aussagen des Berichts im
arznei-telegramm® bleiben vom Ergebnis der
Publikation unberührt. 쮿
Erratum KVH aktuell 2/15
Druckfehler in der
DEGAM-Leitlinie
Bridging: letzte Seite,
zweiter vom Hausarzt
auszufüllender Block,
mittlere Spalte: Statt „in
therapeutischer“ muss es
hier „in halbtherapeutischer“ Dosierung heißen.
INFO
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IMPRESSUM
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Redaktionsschluss: 20. 8. 2015
INTERNET
30
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Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang
LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. med. Uwe Popert,
Hinweis:
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Die KVH aktuell-Redaktion freut sich
Dr. med. Michael Viapiano, Dr. med. Jutta Witzke-Gross
über Ihre Statements, behält sich
Wissenschaftlicher Beirat:
aber das Recht der Kürzung vor.
Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der
Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für
klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
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anderen als redaktionseigenen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung
der Verfasser wieder und decken sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der
umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation
erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
Verlag:
wdv Gesellschaft für Medien mbH & Co. OHG, Siemensstraße 6, 61352 Bad Homburg. Objektleitung: Karin Oettel;
Redaktionskoordination: Dr. med. Detlef v. Meien-Vogeler; freie Mitarbeit: Dr. phil. nat. Andreas Häckel, Gestaltung:
Steffen Klein, Udo Schankat; Bildredaktion: Uta Schöninger; Herstellung: Dieter Kempiak; Vertrieb: Brigitte Hoemberg
Bildnachweise: © Hywards – Dreamstime (1), wdv – Oana Szekely (2), © Sashkinw – Dreamstime (I),
doc-stock – Science Photo Library (4 – 5), Verlag Schattauer (11), Fotolia/Alex White (14), Logo G-ba (16),
imaginando – Fotolia (17), wdv (19 – 26).
DEGAM S1-HANDLUNGSEMPFEHLUNG
Medikamentenmonitoring
Definition
Medikamente mit einem bestimmten Risikopotenzial, das entweder bereits klinisch identifiziert ist
oder aufgrund bestimmter biopharmazeutischer und/oder präklinischer Erkenntnisse wahrscheinlich ist,
bedürfen eines Monitorings auf arzneimittelbedingte Organschäden. Neben der Erfassung klinischer
Symptome sollten regelmäßig auch technische und laborchemische Untersuchungen erfolgen.
Epidemiologie/Versorgungsproblem
Autor: Armin Mainz
Konzeption und
wissenschaftliche
Redaktion: M. Scherer,
C. Muche-Borowski,
A. Wollny
Multimorbidität und Multimedikation steigen im Alter an. Die Herausforderung für die hausärztliche
Versorgung besteht in der Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW). Bislang existiert
jedoch noch kein flächendeckendes, systematisches Programm für Kontrolluntersuchungen.
DEGAM-Leitlinien
Einteilung
Hilfen für eine gute
Medizin
Stand 2013 © DEGAM
degam-leitlinien.de
Die mit dieser Leitlinie zur Überwachung vorgeschlagenen Medikamente werden überwiegend in der
Dauertherapie eingesetzt und können den folgenden Gruppen zugeordnet werden: Medikamente zur
Vorbeugung und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen, zur Beeinflussung des Immunsystems sowie zur Behandlung neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen. Das Intervall für die
vorgeschlagene Erhebung der Parameter richtet sich nach Schwere und Dynamik der zu verhütenden
UAW sowie der Dauer der Medikamenteneinnahme.
Prognose/Verlauf
Werden unerwünschte Arzneimittelwirkungen rechtzeitig erkannt, können durch eine Änderung in der
Medikation Folgeschäden verhindert werden.
Abwendbar gefährliche Verläufe
Arzneimittelbedingte Organschäden können zur Hospitalisierung, dauerhaften Schädigungen oder
Behinderungen oder zum vorzeitigen Tod führen. Andererseits müssen Patientinnen und Patienten
auch vor Überdiagnostik und falscher Beunruhigung durch übermäßige oder nicht gerechtfertigte
Untersuchungen geschützt werden (Quartärprävention).
Diagnostik
Fachinformationen, wissenschaftliche Literatur und konsensbasierte Evidenz bilden die Grundlage
für eine Monitoring-Tabelle zur Erfassung von Laborparametern. Die Verwendung von Makros und
Recall-Verfahren in den Praxisverwaltungssystemen kann die Umsetzung der erforderlichen Kontrollen
erleichtern.
Therapie
Änderungen in der Medikation aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen sollten ggf. in
Kooperation mit den mitbehandelnden gebietsärztlichen Praxen erfolgen.
Die hier erfolgte Listung von Medikamenten ist unabhängig von der Frage ihrer sinnvollen Indikation zu
betrachten. Der Medikamenten-Monitor bedarf einer laufenden Aktualisierung. Die angegebenen
Kontrolluntersuchungen sind ein Minimal-Standard für die stabile Dauerbehandlung von Erwachsenen
und ersetzen nicht die Fachinformationen; in Einzelfällen sollen die aufgeführten Untersuchungen um
weitere Parameter ergänzt werden. Insbesondere in den Einstellungs- und Umstellungsphasen können
weitere Untersuchungen erforderlich sein.
DEGAM-Bundesgeschäftsstelle
Haus 15, 4. OG, Klinikum
der Johann Wolfgang
Goethe-Universität
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt
Telefon 069 65007245
geschaeftsstelle@
degam.de
kvh.link/1503010
INFO
Mesalazin/Sulfasalazin (Salofalk)
xx
x
4 Mo. lang
>
x
x
x
x
x
x
x
6 Mo. lang
>
x
3 Mo. lang
x
x
x
>
xx
x
x
x
1 Mo. lang
x
x
weitere 2 Mo.
x
>
Clozapin (Leponex)1
xx
4 Mo. lang
>
Olanzepin (Zyprexa)
x
Amiodaron
DOAK (Pradaxa, Xarelto, Eliquis)
x
x
x2
x
3 Mo. lang
>
x
x
x
x
x
6 Mo. lang
>
x
x
x
Risperidon (Risperdal)
Phenytoin (Zentropil)
x
x
x
Dronedaron (Multaq)
x
x
Valproat (Ergenyl, Orfiril, Leptilan)
x
Lithium (Quilonum)
x
x
x
x
3 Mo. lang
>
x
3
x3
x
x
x
x
x
x
x4
x
1 Mo. lang
x
weitere 5 Mo.
x
>
Carbamazepin
x
x
x3
1 Mo. lang
weitere 5 Mo.
x
x
x
>
Primidon (Liskantin, Mylepsinum)
x
Agomelatin (Valdoxan)
Phenprocoumon (Marcumar)
x
x
x
x
x
Jährlich
x
weitere 3 Mo.
Methotrexat (Lantarel)
halbjährlich
im Quartal
alle 8 Wo.
alle 4 Wo.
xx
2 Mo. lang
>
alle 2 Wo.
Leflunomid (Arava)
Intervall
wöchentlich
xx
Spiegel
Cyclophosphamid (Endoxan)
Zeitraum
Gerinnung
xx
BZ
Chloroquin (Resochin)
TSH
x
Urin-stix
xx
eGFR
Azathioprin (Imurek)
Mögliches Makro-Kürzel
(einzelne Handelsnamen)
Na, K, Ca
GGT, GPT
Laborparameter
BB=x
Diff. BB=xx
Medikamente
3 Mo. lang
>
x
x
ACE-Hemmer/Sartan
x6
x
Diuretikum
x6
x
Kortison > 7,5 mg/Tag
5
x
x
x
x
x
x
x
(MonoEmbolex,
Embolex,Clexane
Clexaneusw.)
usw.)
HeparinNMH7
NMH7(Mono
Heparin
Statin [Myopathie]8
Digitalis8 [Intoxikationszeichen]
Thiamazol8 [Agranulozytose]
1
Version 1.2
Evtl. nach 9 Jahren Kontrollen beenden; 2 7 Tage nach Beginn; 3 nur Na; 4 im Quartal; 5 Intervall nach INR individuell gestalten; 6 nur K und Na; 7 zu der Notwendigkeit
von Thrombozyten-Kontrollen existieren widersprüchliche Aussagen; bei der dauerhaften Gabe kann auf Laborkontrollen verzichtet werden; 8 Labor nur bei klinischanamnestischen Hinweisen (Agranulozytose bei Thiamazol: 3 von 10.000).