Erfahrungsbericht Erasmus Plus Rijksuniversiteit Groningen 2014/2015 Wenn man als Bremer Studierender erwägt, mit dem Erasmus-Programm ins Ausland zu gehen, denkt man im ersten Moment vielleicht nicht daran, nach Groningen zu gehen. Es ist eine sehr naheliegende Option. Für die Vorbereitung auf einen Aufenthalt ist dies von Vorteil, da man innerhalb weniger Stunden und für wenig Geld dort sein kann. Die Stadt Groningen an sich ist eine Studentenstadt: Studierende machen 25% der Bevölkerung aus. Je näher man dem Stadtzentrum kommt, desto deutlicher wird einem diese Tatsache, da das Stadtbild von jungen Menschen dominiert wird. Da die Rijksuniversiteit Groningen (RUG) direkt in der Innenstadt liegt und dadurch ein stetiger Strom an Studierenden für eine gewisse Betriebsamkeit sorgt, finden sich dort auch viele Geschäfte, Cafés und Kneipen. Falls man sich für Groningen entschieden und den Erasmus-Platz auch bekommen hat, sollte man sich schnellstmöglich auf Wohnungssuche begeben. In Groningen, wie in jeder Studentenstadt, ist Wohnungsraum äußerst knapp. Ob man sich für ein Studentenwohnheim oder für eine Privatunterkunft entscheidet, ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich. In beiden Fällen gilt aber: je früher man sich darum kümmert, desto besser. Bei der Wohnungssuche ist die eher geringe Entfernung zwischen Bremen und Groningen ein eindeutiger Vorteil, da man einfach mal einen Tag für Wohnungsbesichtigungen hinfahren kann. Sollte man ein Studentenwohnheim bevorzugen, bewirbt man sich beim Housing Office auf dessen Internetseite. Da in den Studentenwohnheimen fast nur ausländische Studierende wohnen, trifft man hier sehr einfach Menschen aus der ganzen Welt. Allerdings tut man dies im Allgemeinen sowieso allein durch die Tatsache, dass man in Groningen studiert. Die Miete ist in den Studentenwohnheimen ein wenig höher als in einer privaten Unterkunft, grundsätzlich aber höher als in Bremen. Während man im Privatsektor Glück haben kann und für ein Zimmer weniger als 300 Euro zahlen muss, fangen die meisten Unterkünfte des Housing Office da gerade an. Je nach Studentenwohnheim und Größe kosten die Zimmer dort bis zu 450 Euro. Eine Ausnahme bildet das Hausboot, dessen 750 Euro Miete im Monat tägliche Mahlzeiten und ein eigenes Badezimmer mit einschließt. Dies ist allerdings meistens nur ein letzter Ausweg für verzweifelte Studierende, die sonst keine Unterkunft gefunden haben. Eine definitiv bessere Alternative sind kurzfristige Unterkünfte, bis man etwas Besseres gefunden hat. Bestenfalls bringt man sich selbst gar nicht erst in eine solche Situation und hat rechtzeitig eine Unterkunft gesorgt. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Einführungsveranstaltungen mitzumachen. Die Faculty of Arts der RUG richtet in der Woche vor Semesterbeginn eine Faculty Introduction aus, auf der man erste Eindrücke und eine Einführung mit mehr oder weniger hilfreichen Tipps zum Thema Studium in den Niederlanden erhält. Außerdem werden dort die verschiedenen Online-Plattformen vorgestellt, die an der RUG wichtig sind. Dazu gehören Nestor und Progress, die in etwa Elearning und Flex Now entsprechen. Dort stellt sich auch das International Office der Fakultät vor, deren Angehörige man bei dieser Gelegenheit sicher nicht zum letzten Mal gesehen hat. Bei dieser Gelegenheit kann man auch erste Kontakte mit anderen Erasmus-Studierenden knüpfen. Später muss man dann mit der Koordinatorin des International Office die Kurse durchgehen und eventuelle Änderungen vornehmen. Man kann sich auch nicht selbst für die Kurse anmelden, denn das erledigt ebenfalls das International Office, deren Mitarbeiter immer sehr hilfsbereit sind. Eine Einführung in das studentische Leben in Groningen bietet die Introduction Week des Erasmus Student Network (ESN). Diese richtet sich nicht nur an die Faculty of Arts, sondern an alle neuen ausländischen Studierenden in Groningen. So lernt man nicht nur Studierende der eigenen Fakultät oder gar Universität kennen, sondern auch von der anderen großen Universität der Stadt Groningen, der Hanze School. Dies müssen nicht unbedingt nur Studierende sein, die für ein oder zwei Semester in Groningen sind, sondern können auch solche sein, die ihr gesamtes Studium in Groningen absolvieren. Sobald man sich registriert hat, wird man einer Gruppe zugeteilt. In jeder Gruppe sind zwei Studierende, die bereits länger in Groningen studieren, so wie auch etwa ein Dutzend Neuankömmlinge. Zusammen erkundet man die Stadt und nimmt an allen möglichen Akti- vitäten teil, beispielsweise einen Sports Day, einen Culture Day sowie jede Menge Partys. Darüber hinaus bietet ESN im ungefähr monatlichen Rhythmus Exkursionen an interessante Orte der Niederlande sowie wöchentlich verschiedene Aktivitäten an, wie zum Beispiel das International Dinner oder das Pub Quiz. So kann man immer wieder neue Leute aus der ganzen Welt kennenlernen. In der Anfangszeit sollte man sich im Rathaus registrieren lassen. Dazu ist man gesetzlich verpflichtet und zu Semesterbeginn gibt es dafür besondere Sprechzeiten sowie eine wesentlich schnellere Bearbeitung. Gegebenenfalls kann man sich auch ein niederländisches Bankkonto einrichten. Dies ist jedoch nicht unbedingt notwendig und lohnt sich allenfalls für einen ganzjährigen Aufenthalt. Wenn man sich für kulturelle Aktivitäten interessiert, kann man sich bei USVA für verschiedene Workshops anmelden. Auf jeden Fall empfehlenswert ist es, sich bei ACLO anzumelden. ACLO ist das sehr günstige Sportprogramm in Groningen mit einer Vielzahl von Kursen. Selbstverständlich gibt es alle gängigen Sportarten, aber wer mal etwas anderes machen will, kann auch Randsportarten wie Wallclimbing, Squash oder Pole Dancing ausprobieren. Das ACLOGelände befindet sich für Groninger Verhältnisse ziemlich weit im Norden – tatsächlich sind es aber nur wenige Kilometer und man ist von der Innenstadt aus sehr schnell dort. Wie bei allem anderen, so gilt auch bei USVA und ACLO: möglichst früh anmelden. Die meisten Kurse sind sehr schnell voll. Die meisten Studierenden leben etwa im Umkreis von anderthalb Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Daher wäre zwar eigentlich alles auch bequem zu Fuß zu erreichen, doch trotzdem ist es der Besitz eines Fahrrads wirklich ein Muss. Im Innenstadtbereich sind kaum Autos zu sehen, stattdessen sieht man wirklich überall Fahrräder. An verschiedenen Plätzen gibt es daher Abstellmöglichkeiten. Allerdings sollte man auf Verbotsschilder aufpassen, sonst wird das Fahrrad schnell mal entfernt. Außerdem sieht man manchmal eine Art roten Teppich, meist vor Geschäften. Diese zeigen ebenfalls an, wo man lieber nicht parken sollte. In Groningen gibt es folglich eine Menge Radläden, in denen man sich einen fahrbaren Untersatz kaufen kann. Dabei sollte man sich unbedingt eine Quittung mitgeben lassen, um zu beweisen, dass man das Fahrrad bei einem Händler legal gekauft hat. Unumgänglich ist auch noch, eine möglichst dicke Kette für gutes Geld zu kaufen, sonst kann das Rad ganz schnell weg sein. Wenn man abends im Stadtzentrum unterwegs ist, werden auf der Straße oft Fahrräder angeboten, die zwar sehr günstig, aber eben auch gestohlen sind. Wer meint, dass die neue Wohnung nicht voll genug ist, sollte unbedingt zu Mamamini gehen. In Groningen gibt es vier Standorte dieses Geschäfts, bei dem man für wenig Geld gebrauchte Möbel, Kleidung, Bücher und vieles mehr kaufen kann. Auf jeden Fall empfehlenswert ist es außerdem, frische Nahrungsmittel auf dem Markt auf dem Vismarkt und Grote Markt in der Innenstadt zu kaufen, der dreimal in der Woche stattfindet: am Dienstag, Freitag und Samstag. Dort zahlt man grundsätzlich weniger als in den Supermärkten und hat immer qualitativ hochwertige Produkte, die überdies aus der Region kommen. Im Allgemeinen kosten Lebensmittel in den Niederlanden etwa zehn Prozent mehr als in Deutschland. Die RUG ist nur wenige hundert Meter von den zentralen Plätzen, dem Vismarkt und dem Grote Markt, entfernt. Das Herzstück der RUG bildet das Academy Building, wo einige offizielle Empfänge sowie viele Vorlesungen stattfinden und das eher an das Bremer Rathaus denn an die Keksdose erinnert. Gegenüber befindet sich die Universitätsbibliothek (UB) der RUG. Die UB hat vergleichsweise weniger Bücher in den Regalen, daher müssen fast alle Bücher erst aus dem Magazin bestellt werden. Im Gegensatz zur SuUB der Universität Bremen muss man in der UB allerdings Jacke und Tasche nicht abgeben, sondern kann alles mit ins Gebäude nehmen, was den gesamten Prozess doch merklich erleichtert. Im obersten Stockwerk gibt es eine kleine Cafeteria und Sitzmöglichkeiten, wenn man mal eine Pause braucht. Zwischen dem Academy Building und der Bibliothek gibt es Abstellmöglichkeiten für hunderte von Fahrrädern, was zwar immer noch zu wenig ist, aber man kann das Rad auch einfach in einer der Nebenstraßen anschließen. Das Gebäude der Faculty of Arts ist das Harmony Building, welches sich wiederum nur etwa einhundert Meter vom Academy Building und der UB in einer dieser Nebenstraßen befindet. Dort gibt es ebenfalls gute Parkmöglichkeiten. Im Harmony Building finden die meisten Seminare statt, außerdem haben viele Dozierende sowie das International Office der Faculty of Arts hier ihre Büros. Die Seminarräume im Harmony Building sind alle mit Beamer und Computer ausgestattet. Es gibt dort auch eine Cafeteria, doch die wenigsten Studierenden essen dort, da fast alle sehr nah wohnen und zuhause essen. Viele nutzen die Cafeteria eher als einen Treffpunkt zwischen den Seminaren oder für Gruppenarbeiten. An der RUG wird im Gegensatz zur Uni Bremen nicht zwischen Mensa- und Bibliothekskarte getrennt, sondern man hat praktischerweise eine Karte für alles. Um die Karte aufzuladen, braucht man allerdings Paypal. Der Aufbau eines Semesters an der RUG unterscheidet sich stark von dem der Uni Bremen. Das Wintersemester beginnt am 1. September, das Sommersemester am 1. Februar. Ein Semester ist in zwei Blocks aufgeteilt, die jeweils zehn Wochen dauern. In den ersten sieben Wochen finden die Vorlesungen und Seminare statt, die letzten drei Wochen sind die Prüfungsphase. Teilweise kann es in bestimmten Seminaren aber auch schon während der Vorlesungszeit Zwischenprüfungen geben. Einige Veranstaltungen erstrecken sich über beide Semesterhälften, andere finden nur während einer der beiden statt. Hierauf sollte man bei der Kurswahl definitiv achten, sonst hat man am Ende zwei sehr asymmetrische Semesterhälften. Anders als in Deutschland beginnen die Veranstaltungen nicht c.t., sondern s.t., haben dafür aber eine Pause von 15 Minuten – beziehungsweise haben sie diese im Regelfall. Von den für Erasmus-Studierende zur Verfügung gestellten Seminaren ist keines Teil eines allgemeinen Geschichtsstudiums, sondern gehören zu anderen Studiengängen. Dies schlägt sich vor allem in den zu erbringenden Prüfungsleistungen nieder: Anstatt längeren Hausarbeiten, die in einem Geschichtsstudium an der Universität Bremen die vorrangige Form der Prüfungsleistung darstellen, werden in diesen Kursen der RUG eher Klausuren, Präsentationen oder kürzere Hausarbeiten verlangt. Die meisten Klausuren werden, auch eher ungewohnt, am Computer in einem eigens dafür eingerichteten Saal im Zernike-Campus in der Nähe des ACLO-Geländes geschrieben. Alle Erasmus-Kurse werden in Englisch abgehalten, um mit dem breit gefächerten Feld der internationalen Studierenden auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Die Kurse an der RUG sind fordernder als in Bremen und erfordern ein vergleichsweise hohes Arbeitspensum vonseiten der Studierenden. Das Benotungssystem in den Niederlanden unterscheidet sich sehr deutlich von dem in Deutschland. Die Skala reicht von 1 bis 10, wobei man mindestens eine 5,5 braucht, um zu bestehen. An der RUG werden alle Noten auf- bzw. abgerundet, sodass als Endnote keine Zahl mit einem Komma steht. Die Note 10 wird prinzipiell nicht gegeben und auch die 9 ist eigentlich nur in Klausuren möglich, die nur aus Multiple Choice bestehen – was in den Erasmus-Kursen allerdings nicht der Fall ist. Eine 8 ist also die beste zu erreichende Note, die man allerdings auch nur mit einigem Fleiß erreichen kann, da der Anspruch an die Studierenden relativ hoch ist. In den Niederlanden geht es grundsätzlich eher darum, eine Prüfung zu bestehen, und nicht um die Note. Einen Schnitt von 7 zu haben, ist in Groningen daher eher ungewöhnlich. Dies manifestiert sich zu einem großen Teil auch in einem Unterschied zwischen den meisten niederländischen und vielen Erasmus-Studierenden, was die Mentalität angeht: Während erstere mit einer 6 vollauf zufrieden sind, kann es schon einmal passieren, dass einige Erasmus-Studierende von ihren ersten Noten geradezu geschockt sind, auch wenn sie für niederländische Verhältnisse ziemlich gut sind. Groningen ist eine absolut lebenswerte und schöne Stadt mit einer besonderen Atmosphäre. Sowohl die Stadt als auch die Rijksuniversiteit Groningen sind sehr international ausgerichtet und ziehen eine Menge junger Menschen an. Die Stadt Groningen ist stolz auf ihre Universität und empfängt ausländische Studierende mit offenen Armen. Mitunter kann man da schon mal vergessen, dass auch noch eine Welt außerhalb der Uni existiert und es auch Menschen gibt, die nicht an der RUG studieren oder arbeiten. Falls möglich, sollte man gleich für zwei Semester nach Groningen gehen, denn sonst muss man zurück, wenn man sich gerade eingelebt hat. Im Studium muss man damit rechnen, auch mit großem Aufwand nicht die besten Noten zu bekommen. Davon kann man sich aber wunderbar ablenken, denn in Groningen wird es nie langweilig. Irgendwo gibt es immer ein Konzert oder eine Party, wo man alte Freunde treffen oder neue Freunde machen kann.
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