Text von Kevin

Kurt Tucholsky: „Der Mensch mit dem Smartphone“ (Auszug)
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Der Nationalökonom Alfons Goldschmidt hat mir neulich die Augen geöffnet. »Das Kennzeichen
Frankfurts«, sagte er, »ist der Mann mit dem Smartphone.«
Ich sah um mich, und dies war es, was ich sah:
Alle Menschen auf der Straße sind an ihrem Smartphone. Es ist nicht auszudenken, was in
Frankfurt täglich für E-Mails empfangen wird: die ganze Stadt schleppt emsig ein oder mehrere
Smartphones von einem Fleck zum anderen. Was mag in dem Smartphone besonders sein ?
Die Erreichbarkeit natürlich und Neuigkeiten übers Smartphone lesen. Diese Lektüren im
Smartphone werden kaum angefasst, wie ja überhaupt alle Leute von dem Aberglauben besessen
sind, gewisse Sachen »unterwegs erledigen zu können« - aber niemals wird etwas daraus. Abends
zieht der Smartphone Mensch seine Zeitung Apps genauso unberührt auf dem Tisch, wie er sie
hingelegt hat. Bei dem allgemein gültigen Bestreben, nicht unter acht Sachen zugleich zu tun,
belastet diese Vorratsarbeit die Smartphone Träger, aber sie lassen nicht davon ab. Was ist aber
noch im Smartphone?
In dem Smartphone ist das, was der Besucher nach den einleitenden Sätzen mit den Worten
herauszieht: »Ich habe hier eine Sache ...«, und dann geht es los. Meist findet er sie nicht auf Anhieb,
er sucht sie erst aus den unterschiedlichen Ordnern, in dem verschiedene Apps sind, angelt schwupp! Wenn es gut geht, hat er sie zu Hause gelöscht.
Smartphone muss sein.
Das Smartphone ziert den gemeinen Mann und deutet auf jeistige Arbeit - daher sie denn wohl auch
der Schnorrer mit paar Cents in der Hand baumeln lässt. Kümmerlich zusammengeschrumpft hängt
die Verhungerte armselig neben seinem abgeschabten Überzieher ... Es gibt aber auch wohlhabende
Smartphones; bis zur Speicherkapazität gefüllt, die Smartphone Hüllen leuchten herrlich gelackt oder
gewachst im Sonnenschein, die Swarowski Steine protzen: »P! Wir! Uns kann keiner, und uns
können sie alle - !« So feine Smartphone Hüllen sind das.
Manche Menschen mit gestörtem Empfindungsleben tragen zwei Smartphones mit sich herum, aber
das ist selten: ein besserer Herr ist in dieser Sache monosmartphone.
Warum tragen aber alle dieses Smartphone mit sich - ?
Weil sie Dienst haben, den ganzen Tag. Weil die Arbeit sie auffrisst, täglich, stündlich, weil sie »ze
tun« haben - etwa in dem Tempo, in dem der Komiker Otto Wallburg spricht. Ginge es logisch zu in
der Welt, so müsste ja der Mann im Smartphone liegen und sich nur gelegentlich, zu dienstlichen
Zwecken, ans Tageslicht ziehen. Ja, das Frankfurter Smartphone hat es in sich.
Sie regiert den Mensch, der sie trägt, sie bestimmt dessen Dasein, nicht umgekehrt. Er
durchraschelt alle Apps, die er haben muss - er durchstöbert ihren Wust, er rummelt darin umher, und
wenn es hochgekommen ist, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen, und es muss ja wohl Leute
geben, die glauben, zu diesem Behufe auf der Welt zu sein. Smartphone, du trauriges Smartphone,
wie beschwerst du das Leben! Nie lässt du die Leute schlendern, mit den Händen in den Taschen,
ohne dich, frei! Was einer nicht im Kopf hat, das muss er im Smartphone haben.
Das Internet trägt seine Weisheit in die innere Stadt, Facebook transportiert das Jus nach dem
Osten, Youtube wedelt mit dem Smartphone nach dem Westen, keine App darf da bleiben, wo sie
entwickelt wurde - trage, Liebchen, trage! […]
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