Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische

PERSPEKTIVE
Frankreich, Deutschland und
die gemeinsame europäische
Verteidigungspolitik
JEAN-PIERRE MAULNY
März 2016
„„ Nach einem Jahrzehnt der Misserfolge ist Frankreich in Bezug auf politische Initiativen
für eine europäische Verteidigungspolitik sehr zögerlich geworden und beschränkt
sich auf pragmatische Positionen. Dagegen sind aus Deutschland in regelmäßigen
Abständen Vorschläge für den Aufbau einer europäischen Armee zu hören.
„„ Um der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik auf politischer Ebene
neuen Schwung zu verleihen, ist es nicht nur erforderlich, die Verteidigungspolitiken
unserer Länder stärker miteinander zu verflechten, sondern auch, dafür zu sorgen,
dass nach dem Vorbild des »Euro-Zone« ein echter »Verteidigungsraum« geschaffen
wird.
„„ Zunächst muss deshalb die erforderliche Methodik definiert werden, damit der
deutsch-französische Dialog überhaupt gemeinsame Vorschläge hervorbringen
kann. In einem zweiten Schritt sollte auf eine Zusammenlegung aller deutschen
und französischen Fähigkeiten hingewirkt werden, die für unsere beiderseitigen
Sicherheitsinteressen relevant sind. Dann kann auch die Zusammenlegung unserer
gemeinsamen europäischen militärischen Fähigkeiten noch weiter vorangetrieben
werden.
Jean-Pierre Maulny | Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
Vor fast 25 Jahren schufen Frankreich und Deutschland die Grundlagen für das, was damals im Vertrag
von Maastricht als die »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) bezeichnet wurde. Dadurch
wurden sie zu Vorreitern einer europäischen Verteidigungspolitik. Diese Außenpolitik beinhaltete auch eine
verteidigungspolitische Komponente, die allerdings auf
die Westeuropäische Union (WEU) Bezug nahm – einem
nach dem Zweiten Weltkrieg von einigen europäischen
Ländern geschlossenen Sicherheitsvertrag, der 1948 unterzeichnet wurde und dem sich Deutschland im Jahr
1954 anschloss.
Deutschland seine Außen- und Verteidigungspolitik innerhalb des europäischen Rahmens zur Geltung bringen
würde.
Frankreich und Deutschland verfolgen zwar durchaus
dasselbe Ziel, ihre Beweggründe für die von ihnen vertretene Politik unterscheiden sich aber voneinander. Diese
Differenzen spiegeln sich auch in ihren Entscheidungen
hinsichtlich des Aufbaus einer europäischen Verteidigungspolitik wider. Während Frankreich den Prozess
als eine Möglichkeit zur Stärkung seiner militärischen
Macht begreift und deshalb einen intergouvernementalen Mechanismus favorisiert, sieht Deutschland in ihm
vielmehr ein Instrument zur Eingrenzung seiner eigenen
militärischen Stärke und spricht sich deshalb für eine
föderalistisch gestaltete gemeinsame europäische Verteidigungspolitik aus. Dabei gilt es zu berücksichtigen,
dass die GASP in einer Zeit entstanden ist, als Europa
gerade der Feind abhandengekommen war: Die Aussicht
auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik war damals
umso größer, als die NATO und die USA von da an de
facto eine weniger bedeutende Rolle für die Sicherheit
Europas spielten.
Europas Absicht, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, kam Frankreichs Wunsch
entgegen, seinen strategischen Raum um die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu erweitern
und ihn in ein politisches Gemeinwesen einzubetten,
das kohärenter sein sollte als es der transatlantische
Raum je hätte sein können. Frankreich war zwar Mitglied der Atlantischen Allianz und zudem ein treuer
Verbündeter derselben. Es vertrat jedoch die Ansicht,
dass die Divergenzen zwischen den französischen und
den amerikanischen Sicherheitsinteressen unsere Verteidigungsfähigkeit hätten beeinträchtigen können. Aus
diesem Grund sah sich General de Gaulle im Jahr 1966
gezwungen, Frankreich aus der integrierten militärischen
Kommandostruktur der NATO herauszulösen.
Die darauffolgenden Jahre waren vom Siegeszug der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)
gekennzeichnet. So wurden zu Beginn der 2000er Jahre
alle Institutionen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik errichtet. Diese genossen jedoch nur
für kurze Zeit hohe Anerkennung, denn die tief liegenden Ursachen des relativen Scheiterns der GSVP waren
schon von Anfang an offenkundig. Zum einen hat die
1991 begonnene Erweiterung der Europäischen Union
von 12 auf 28 Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für
die Entwicklung einer einheitlichen Betrachtung der europäischen Außenpolitik erschwert. Zum anderen traten
die Zweideutigkeiten der tatsächlichen Beweggründe
Frankreichs und Deutschlands, für eine gemeinsame Verteidigungspolitik einzutreten, immer deutlicher zu Tage,
als die Zahl der Krisen zunahm. Proportional zur gewachsenen Zahl der Krisen nahmen nämlich auch die Anlässe
zu, bei denen Frankreich und Deutschland ihre unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Zweckmäßigkeit der Anwendung militärischer Gewalt offenbarten.
Aus diesem Grund hatte das Thema »die gemeinsame
europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik funktioniert nicht« in vielen Diskursen der letzten Jahre Hochkonjunktur. Auf Frankreich trifft das in besonderem Maße
zu: Das Paradoxon der nach Ende des Kalten Krieges
Dass Frankreich im Jahr 1992 unserem Verteidigungssystem auch eine europäische Komponente verleihen
wollte, war Ausdruck eines starken Engagements. Die
Entscheidung bedeutete, dass die Unabhängigkeit unserer Nation nicht mehr ausschließlich in einem rein französischen Politikrahmen gewährleistet werden konnte,
obwohl mit dem Untergang der UdSSR eigentlich auch
die größte Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes
verschwunden war.
Für Deutschland war der Aufbau einer gemeinsamen
europäischen Verteidigungspolitik die logische Fortsetzung seiner seit 1945 konzipierten Sicherheitspolitik. Da
diese nicht auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollte
und konnte, wurden die deutschen Streitkräfte ab 1954
im Rahmen der NATO wieder neu aufgestellt. Die im
Jahr 1957 gegründete Europäische Gemeinschaft (EG)
war nicht nur das Symbol, sondern auch das Instrument
der wiederhergestellten Einheit Europas. Insofern war es
1992 ganz selbstverständlich, dass das wiedervereinigte
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Jean-Pierre Maulny | Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
begonnenen Phase liegt nämlich darin begründet, dass
die Verteidigungspolitik seitdem kein rein theoretisches
Thema mehr ist, sondern – man denke nur an die zahlreichen von Frankreich durchgeführten Militäraktionen –
ein Thema von hoher praktischer Relevanz geworden
ist. Aus eben diesem Grunde sah sich auch die NATO
im Zuge der Kriege in den Balkanstaaten seit Mitte der
Neunzigerjahre dazu veranlasst, ihre Handlungsfähigkeit
wiederherzustellen.
in ihren Positionen – miteinander verflochten sind, so
wie sie es Anfang der Neunzigerjahre beteuerten? Wollen sie, dass Europa auf der internationalen Bühne eine
immer wichtigere Rolle spielt? Wollen sie, dass diese
Rolle langfristig ein größeres Gewicht bekommt als die
jedes einzelnen Staates? Objektiv betrachtet könnte
sich dies für unsere beiden Länder als sinnvoll erweisen. Deutschland entwickelt sich zu einer Macht, auf die
es ankommt. Seit Angela Merkels Wiederwahl im Jahr
2013 hat Deutschland angekündigt, auf internationalem Parkett eine bedeutendere Rolle spielen zu wollen.
Diese Absicht brachte vor allem Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2013 zum Ausdruck. Deutschland kann seine
militärische Stärke nur in einem europäischen Rahmen
zur Geltung bringen. Es tut dies auf der Grundlage des
europäischen Modells, das es auf internationaler Ebene
zu fördern gedenkt und das auf Toleranz, Freiheit, Frieden, Sicherheit, Wohlstand und der Verringerung von
Ungleichheiten gründet. Frankreich muss seinerseits dazu
bereit sein, sich in dieses europäische Gesamtgefüge einzugliedern, weil es nur auf diese Weise den Erhalt seiner
Macht gewährleisten kann. In der Tat hat Frankreich gar
keine Alternative: weder im natio­nalen Rahmen noch in
einer privilegierten bilateralen Beziehung zu den USA, die
sich als allzu unausgewogen herausstellen würde.
Wie kann dieser Stillstand überwunden werden? Und
was können Franzosen und Deutsche, die in der Vergangenheit stets für eine Europäische Politische Union eintraten, zu seiner Überwindung beitragen? Es herrscht der
Eindruck vor, dass die Franzosen in früheren Jahren immer nur theoretisch über das Thema reflektierten, während die Deutschen sich praktische Lösungen wünschten.
Heute hat sich diese Tendenz umgekehrt. Nach einem
Jahrzehnt der Misserfolge ist Frankreich in Bezug auf
politische Initiativen für eine europäische Verteidigungspolitik sehr zögerlich geworden und beschränkt sich auf
pragmatische Positionen. Dagegen sind aus Deutschland
in regelmäßigen Abständen Vorschläge für den Aufbau
einer europäischen Armee zu hören.
Was können Frankreich und Deutschland also tun, um
die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
wieder zu beleben? Sollte man politischen Initiativen den
Vorrang einräumen, oder ist es vielmehr geboten, sich
auf pragmatischere Initiativen zu beschränken, die vornehmlich darauf abzielen, die militärischen Fähigkeiten
der Europäischen Union zu stärken? Wahrscheinlich ist
beides erforderlich.
Schaffung eines »VerteidigungsRaums«
Um der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik
auf politischer Ebene neuen Schwung zu verleihen, ist es
nicht nur erforderlich, die Verteidigungspolitiken unserer
Länder stärker miteinander zu verflechten, sondern auch,
dafür zu sorgen, dass nach dem Vorbild des »Euro-Zone«
ein echter »Verteidigungsraum« geschaffen wird. Da
man gegenwärtig aber nicht davon ausgehen kann, dass
eine derartige Initiative die Zustimmung aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union erhalten würde – und
schon gar nicht die des Vereinigten Königreichs – , müsste
es einer kleinen Gruppe von Ländern, die dazugehören
möchten, erlaubt werden, den »Verteidigungsraum«
nach dem gleichen Schema wie bei der Einführung der
gemeinsamen Währung zu errichten. Solch eine Initiative
würde keineswegs den Zerfall der Europäischen Union
nach sich ziehen. Im Gegenteil: Sie würde sie stärken.
Zu diesem Zweck müsste der Verteidigungsraum kohärent und mit den bestehenden Strukturen kompatibel
Eine Neubelebung der europäischen
Verteidigungspolitik
Die »politischen« Vorstöße in der europäischen Verteidigungspolitik sind wegen ihrer vermeintlichen Ineffizienz
in Verruf geraten. Allerdings wird dabei vergessen, dass
die Frage der Integration im Verteidigungssektor zunächst einmal eine politische ist und erst in einem zweiten Schritt etwas mit militärischer Effizienz zu tun hat.
Verteidigungspolitik ist somit die Konsequenz aus einer
politischen Lagebeurteilung, die schließlich auf internationaler Ebene zum Tragen kommt. Sind Frankreich und
Deutschland der Auffassung, dass ihre verteidigungspolitischen Geschicke – trotz einiger Zweideutigkeiten
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Jean-Pierre Maulny | Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
sein, damit den Ländern, die ihm nicht angehören, keine
Nachteile daraus erwachsen. Dann könnten auch seit langem festgefahrene Initiativen, wie die der Einsetzung eines Planungsstabes, umgesetzt werden. Gegebenenfalls
ließen sich darüber hinaus auch die durch Auslandseinsätze verursachten Kosten besser auf die Mitgliedsländer
dieses Raumes verteilen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
werden diese Aufwendungen nämlich im Wesentlichen
von den Ländern getragen, die sich an militärischen Operationen beteiligen. Das hängt damit zusammen, dass
mit dem Athena-Mechanismus lediglich ein Bruchteil
der Kosten solcher Einsätze beglichen werden kann. Das
führt zu Ungleichheit: Manche Länder, allen voran Frankreich, gewinnen den Eindruck, für alle anderen zahlen zu
müssen. Vorstellbar ist auch, dass sich die Mitgliedstaaten des Verteidigungsraums verpflichten würden, einen
größeren Teil ihrer Rüstungsprogramme im Rahmen von
Kooperationen durchzuführen.
im Rahmen der NATO ergriffen hatte? Es ist darüber
hinaus festzustellen, dass die Europäische Union ihren
größten außen- und verteidigungspolitischen Mehrwert
im Verhältnis zur NATO derzeit in den EU-Bereichen mit
dem höchsten Integrationsgrad erzielt: Dazu gehören
die Initiativen der Europäischen Kommission zur Regulierung des Verteidigungsmarktes (und bald auch der
Finanzierung der Forschung im Verteidigungssektor)
ebenso wie die gemeinsamen Politiken der Europäischen
Union, insbesondere bei der Nachbarschaftspolitik. Auch
die Gründung der Europäischen Verteidigungsagentur
(EDA) muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden.
Sie sollte die EU mit den gemeinsamen militärischen Fähigkeiten ausstatten, die ihr damals fehlten. Mit ihren
hoch gesteckten Zielen übertraf die EDA damit alle vergleichbaren Gremien der NATO.
Verteidigung nicht ausschließlich auf
nationaler Basis definieren
Die Gründung eines gemeinsamen »Verteidigungsraums«, die allein Frankreich und Deutschland anstoßen
können, setzt jedoch eine kopernikanische Wende in
unseren Ländern voraus. Vereinfacht gesagt, bestünde
eine der Voraussetzungen für das Gelingen einer derartigen Initiative in der Einsicht Frankreichs, dass sich mit
der Anwendung militärischer Gewalt nicht alle Probleme
lösen lassen. Deutschland wiederum müsste sich von der
Vorstellung trennen, dass Waffengewalt in keinem Falle
dazu geeignet sei, Probleme zu lösen. Daher ist in beiden
Ländern ein politisches und strategisches Aggiornamento
vonnöten. Die Fragestellung hat also eindeutig ihre Berechtigung.
Vor diesem Hintergrund scheint es zwar unumgänglich
zu sein, dass die Politik aktiv wird. Aber selbst wenn der
zum Ziel führende Weg nicht unbedingt lang sein muss,
setzt er dennoch tiefgreifende politische Veränderungen
in Frankreich und Deutschland voraus. Gleichzeitig muss
weiter an den militärischen Fähigkeiten gearbeitet werden. Auch hier sind Frankreich und Deutschland in der
Lage, gemeinsame Vorschläge zu erarbeiten.
Bei ihrer Jahreskonferenz 2014 hatte sich die Europäische
Verteidigungsagentur ganz dem Leitmotiv »pool it or
lose it« verschrieben. Besser lassen sich die Herausforderungen, denen sich die Europäer auf dem Gebiet der
militärischen Fähigkeiten gegenübersehen, wirklich nicht
auf eine Formel bringen. Es ist jedoch alles andere als
einfach, eine solche Bündelung der Fähigkeiten (pooling)
zu verwirklichen.
Ein politischer Vorstoß in diese Richtung erscheint zurzeit
nämlich umso notwendiger, als zu befürchten ist, dass
unsere Partner in der Europäischen Union die Ansicht vertreten könnten, die NATO – und eben nicht die EU – sei
das naheliegende Gremium für pragmatische Initiativen
zugunsten des Aufbaus militärischer Fähigkeiten. Genau
das war zu beobachten, als Frankreich in die integrierte
militärische Kommandostruktur des Atlantischen Bündnisses zurückkehrte: Mangels verteidigungspolitischer
Vorschläge seitens der Europäischen Union führte diese
Rückkehr – im Gegensatz zu Nicolas Sarkozys damaliger
Darstellung – zu keinen Fortschritten beim Aufbau der
gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und trifft es nicht auch zu, dass Deutschland seine Initiative für ein Framework Nation Concept
zur Bündelung von Fähigkeiten nicht in der EU, sondern
Frankreich befindet sich in einer – in dieser Hinsicht sehr
verständlichen – schizophrenen Situation. Einerseits
wünscht es sich eine europäische Zusammenarbeit bei
der Produktion von Rüstungsgütern und möchte darüber
hinaus auch die Möglichkeit haben, seine Streitkräfte mit
denen anderer Staaten zusammenzulegen. Andererseits
sind es vor Ort aber meistens die französischen Soldaten,
die in den Kampfeinsatz geschickt werden. Das bedeutet, dass die von ihnen benutzte militärische Ausrüstung
funktionstüchtig sein und sie schützen können muss.
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Jean-Pierre Maulny | Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
Deshalb haben die französischen Militärs auch eine ganz
präzise Vorstellung von der Ausrüstung, die sie brauchen,
selbst wenn sie sich darüber kaum mit anderen Kräften
austauschen. Das gilt umso mehr, als Frankreich nach
wie vor in der Lage ist, diese militärischen Ausrüstungsgüter im Rahmen von Militäraktionen einzusetzen, die
ausschließlich auf nationaler Ebene geplant worden sind.
Die »Serval-Operation« in Mali hat das deutlich gemacht.
Allerdings stellt diese Situation gleichzeitig ein Hindernis
für die Bündelung der Kräfte und die Kooperation im
Rüstungsbereich dar.
erarbeiten. Der Dialog sollte auf hoher hierarchischer
Ebene stattfinden, denn es war geplant, dass die Generalstabschefs, die politischen Entscheidungsträger der
Verteidigungsministerien und die nationalen Rüstungsdirektoren an einem Tisch zusammenkommen1.
In einem zweiten Schritt sollte auf eine Zusammenlegung aller deutschen und französischen Fähigkeiten
hingewirkt werden, die für unsere beiderseitigen Sicherheitsinteressen relevant sind. Dabei handelt es sich
bekanntlich um deckungsgleiche Interessen. Das gilt
zunächst für unsere kollektive Verteidigung, also den
Schutz unseres jeweiligen Landesgebietes. Frankreich
und Deutschland denken zurzeit über das Konzept eines
zukünftigen Kampfpanzers nach. Wir haben auf diesem
Gebiet das Glück, über ein Gemeinschaftsunternehmen
zu verfügen, welches sich aus den Konzernen Nexter
und Krauss-Maffei Wegmann zusammensetzt. Künftig
soll es seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
bündeln. Wir dürfen diese einzigartige Gelegenheit nicht
ungenutzt lassen2. Ganz allgemein sollten wir das gemeinsame Verteidigungsunternehmen Airbus und seine
verschiedenen Mitgliedsfirmen optimaler nutzen, um
gemeinsam Verteidigungsgüter zu produzieren. In der
Vergangenheit haben wir das bereits mit der Produktion
der Hubschrauber »Tiger« und »NH-90« sowie mit dem
Bau des Transportflugzeugs Airbus A400M getan. Heute
müssen wir daran anknüpfen, indem wir die künftige
MALE-Drohne (Drohne mittlerer Flughöhe und großer
Flugdauer) und die kommenden Hubschraubergenerationen gemeinsam in Angriff nehmen. Vor allem wegen
mangelnder deutsch-französischer Projekte im Verteidigungssektor vollzieht Airbus gegenwärtig eine Kehrtwende hin zum Bau von überwiegend zivilen Gütern.
Das ist auch der Grund, warum sich der Konzern vom
europäischen Markt abwendet.
Umgekehrt lässt sich konstatieren, dass die Bündelung
von Fähigkeiten all jenen europäischen Staaten leichter
fällt, die entweder ihre Landesverteidigung ausschließlich
in einem multinationalen Rahmen wahrnehmen, weil
sie auf eigene nationale Fähigkeiten verzichtet haben,
oder sich nur in seltenen Fällen an militärischen Operationen beteiligen. Gegenwärtig nehmen die nordeuropäischen Länder diese Haltung ein. Gleichzeitig lassen
sich damit aber auch die deutsch-niederländischen und
belgisch-niederländischen Initiativen im Bereich der
Bündelung von Kräften erklären. Diese Sichtweise liegt,
ganz allgemein gesprochen, auch dem deutschen Vorschlag für ein sogenanntes Framework Nation Concept
zugrunde. In diesem Zusammenhang erschweren die
deutsch-französischen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des Einsatzes militärischer
Gewalt zur Konfliktbeilegung sicherlich jedweden gemeinsamen Vorstoß unserer beiden Länder im Bereich
der militärischen Fähigkeiten. Nichtsdestoweniger gibt es
mehrere mögliche Initiativen.
Eine Methodik schaffen, um gemeinsame Kapazitäten zu definieren
In einem ersten Schritt sollte die erforderliche Methodik
definiert werden, damit der deutsch-französische Dialog
überhaupt gemeinsame Vorschläge hervorbringen kann.
Ein vom Institut de Relations Internationales et Stratégiques (IRIS) und der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) durchgeführtes Programm hatte uns 2015 dazu
veranlasst, die Einrichtung eines systematischen Dialogs
vorzuschlagen, welcher zwischen den jeweiligen Militärbehörden, den für Beschaffung und Durchführung von
Rüstungsprogrammen zuständigen Gremien sowie zwischen den Industrieunternehmen beider Länder geführt
werden sollte. Ziel war es, gemeinsame Vorschläge zu
1. Marcel Dickow, Olivier de France, Hilmar Linnenkamp, Jean-Pierre
Maulny, French and German defence, the opportunities of transformation,
Les notes de l’IRIS, März 2015: http://www.iris-france.org/wp-content/
uploads/2015/03/IRIS-Note-march-2015-IRIS-SWP.pdf
2. Zu diesem Thema ist die Studie Pooling and sharing dans le domaine
aéroterrestre, IRIS/DGRIS, Juni 2015, erschienen: http://www.iris-france.
org/wp-content/uploads/2015/10/EPS2014-Pooling-and-sharing-dans-­ledomaine-a%C3%A9roterrestre.pdf
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Jean-Pierre Maulny | Frankreich, Deutschland und die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
Schaffung eines Sicherheitsprinzips
ten Militärgütern aus den Bereichen Logistik, Unterstützung, Transport oder Aufklärung beginnen. Deutschland
verfolgt diesen Ansatz bereits heute: Gemeinsam mit den
Niederlanden nutzt seine Marine das Versorgungsschiff
Karel Doormann, das genau dieser Logik entspricht.
In einem dritten Schritt müssen wir schließlich die Zusammenlegung unserer militärischen Fähigkeiten noch
weiter vorantreiben. Heutzutage ist kein Land mehr imstande, das gesamte Arsenal an militärischen Fähigkeiten
allein zu unterhalten – nicht einmal Frankreich oder das
Vereinigte Königreich. Bisweilen sind bestimmte Rüstungsgüter in so geringen Mengen vorhanden – sei es
in absoluten Zahlen oder in Bezug auf ihre tatsächliche
operative Einsatzfähigkeit – , dass sie in einem Prozess
der Kräftegenerierung gar keine nennenswerte Fähigkeit
darstellen können. Die Festlegung von Fähigkeiten, die
in einem europäischen Rahmen genutzt werden sollen,
wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Das wurde in den
letzten Jahren am Beispiel der Battlegroups deutlich,
die bis heute nicht zum Einsatz gekommen sind. Das
größte Hindernis ist die Tatsache, dass die Entsendung
von Soldaten in Auslandseinsätze nicht in allen Ländern
gleich hohe Akzeptanz genießt. Die Entscheidungshoheit
darüber liegt auch heute noch bei den Mitgliedstaaten.
Selbst wenn manche Länder tatsächlich bestrebt sind,
ihre parlamentarischen Genehmigungsverfahren für
militärische Auslandseinsätze stärker aufeinander abzustimmen – vor allem Deutschland hat dies mit der Arbeit der »Rühe-Kommission« gezeigt3 – , wird sich dieser
Wandel nicht von heute auf morgen vollziehen können.
Deshalb sollten Maßnahmen erwogen werden, die sich
auf die Verfügbarkeit der Ausrüstung unserer Armeen
beschränken. Zwar ist zu hoffen, dass die Europäische
Union und ihre Mitgliedstaaten eines Tages auf gemeinsame Ausrüstungsbestände zurückgreifen können. Es
wäre aber auch denkbar, dass zunächst eine Sicherheitsregelung für die Bereitstellung von Militärausrüstung im
Rahmen von Auslandseinsätzen verabschiedet wird. Eine
solche Bestimmung, die der Regelung bezüglich der Versorgungssicherheit im Zusammenhang mit dem Export
von Rüstungsgütern und Technologien nachempfunden
wäre, würde bedeuten, dass ein Land seine militärischen
Ausrüstungen einem anderen Land für Auslandseinsätze
zur Verfügung stellen kann. Diese auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbare Regelung
könnte zunächst in einem deutsch-französischen Kontext
erprobt werden. Hierbei könnte man mit ganz bestimm-
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frankreich
und Deutschland wegen ihrer historischen Verantwortung für das europäische Aufbauwerk und ihrer langfristig gemeinsamen strategischen Interessen wieder
zum Motor der politischen Integration Europas werden
müssen. Im Verteidigungsbereich muss sich ihr Engagement in einer politischen Initiative niederschlagen, mit
der die Integration ihrer nationalen Verteidigungspolitiken in beträchtlichem Ausmaß vertieft wird. Andernfalls
liefe die Europäische Union Gefahr, neben der NATO nur
noch ein Schattendasein zu führen. Außerdem verlöre
Europa in diesem Falle jede Möglichkeit, sein eigenes
Gewicht auf internationalem Parkett in die Waagschale
zu werfen. Deshalb sollte ein Plan zur Gewährleistung
einer vollkommenen Konvergenz der deutschen und der
französischen Außen- und Verteidigungspolitik erstellt
werden. Ein solcher Plan existiert nach wie vor nur in
Ansätzen (z. B. die gemeinsamen deutsch-französischen
Bestrebungen zur Beilegung der Krise in der Ukraine).
Zwar schließt diese Vorgehensweise praktische Initiativen
nicht aus. Diese müssen aber auf einer gemeinsamen
Methodik basieren und von der Einsicht geleitet sein –
vor allem auf französischer Seite – , dass es heutzutage
nicht mehr möglich ist, ein komplettes und kohärentes
Arsenal an militärischen Ausrüstungsgütern auf einer rein
nationalen Basis zu unterhalten.
3. Bericht der Kommission zur Überprüfung und Sicherung der
Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr, Bundestag, 16. Juni 2015: https://www.bundestag.
de/blob/385152/99246426196309fe16a8416e65668903/berichtfranzoesisch-data.pdf
5
Über den Autor
Impressum
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gemeinsamen Positionen insbesondere zur europäischen Integration gelangen und bei der Formulierung von Lösungen für die jeweils
eigenen Probleme auf vorhandene Kenntnisse und Erfahrungen des Nachbarlandes zurückgreifen.
Langjährige Veranstaltungsreihen sind
� die Deutsch-Französischen Strategiegespräche (»Cercle stratégique«) über aktuelle außen- und sicherheitspolitische Themen,
� Jahreskonferenzen zu aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen (»Cercle des Economistes«)
� das Deutsch-Französische Gewerkschaftsforum
Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten
sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
ISBN 978-3-95861-448-2