Der schwierige Angehörige Sonja Fruhwald Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Med. Universität Graz [email protected] Fall 1: Patient, 76a Reoperation (AKE bei Z.n. CABG) mit konsekutivem MOV Sekundär sklerosierende Cholangitis würde eine LTX erfordern, diese verbietet sich aufgrund der Gesamtsituation des Patienten, damit ist allerdings längerfristig die Prognose infaust. Aufgrund der aussichtslosen Prognose wird ein Ethikkonsil angefordert. Die ohnehin schon schwierige Situation mit der Familie wird noch angespannter. Die Familie ist hyperprotektiv, fordernd, uneinsichtig, mischt sich überall ein und macht Therapievorschläge Fall 2: Patientin, 27a Dritte Operation bei komplexem Herzfehler Postoperativ kam es zu einem schweren Herzversagen, eine ECMO war unvermeidlich Ein Weaning von der ECMO schlägt fehl, aufgrund eines septisch bedingten MOV kommt weder eine Herztransplantation noch ein VAD als Bridging zur Transplant in Frage Gute Kontakte mit dem Bruder, „problemlose Familie“ Nach dem Tod der Patientin werden zwei Chirurgen von mit Messern bewaffneten Angehörigen bedroht Erst das Einsatzkommando der Polizei kann die Angehörigen stoppen Fall 3: Patientin, 20 a 20 jährige Patientin, bekanntes aber untherapiertes Asthma bronchiale, beginnt in einem Pferdestall zu arbeiten Schickt am Nachmittag den Freund zur Apotheke, dieser verständigt nach der Rückkehr die Rettung Hypoxie im Status Asthmatikus -> Reanimation Schwerer hypoxischer Hirnschaden – nach 7 Tagen isoelektrisches EEG Bereits beim ersten Gespräch wird die Mutter der Patientin über die ernste Prognose aufgeklärt, mit feststehendem Hirntod verweigert sie das Abschalten der Beatmung. „Ich war bei einer Reikimeisterin, diese hat mir versichert, dass meine Tochter in ihren Körper zurückkehren möchte“ Fall 4: Patient, 74 a Vor 8 Tagen kontaktiert mich unsere Rechtsabteilung. Es gehrt um eine Klagsdrohung eines Anwalts der dem Ethikomitee im Namen der Familie „Anordnen eines ungerechtfertigten Therapierückzuges“ vorwirft. Bitte um Stellungnahme- wie soll sich die Rechtsabteilung verhalten? Im April 2014 hatte der Patient einen Schlaganfall mit Einblutung/Hirndruck erlitten. Der Patient hat sich initial etwas erholt, dann kam es wieder zu einer deutlichen Verschlechterung, resp. Insuffizienz/Pneumonie – Reintubation, dabei kurze Reanimation Im weiteren Verlauf neurologisch inadäquat, Weaningversagen (2x Reintubation). Warum sind Angehörige so schwierig? Was Angehörige wollen aufrichtige Antworten Erklärungen in verständlicher Sprache bekommen Kontinuität der Gesprächspartner täglich Auskunft/Besuch zu Hause kontaktiert werden spüren, dass sich das Team um den Patienten sorgt sicher sein, dass der Patient die bestmögliche Versorgung bekommt die Prognose kennen Einzelheiten über den Zustand wissen Informationen über die Medizinische Behandlung genau wissen, was für den Patienten getan wird, und was getan wurde Auskunft über verfügbare religiöse Services Besuch von einem Pfarrer bekommen gutes Essen im Krankenhaus komfortables Mobiliar im Wartebereich jederzeit allein sein können einen Platz um im KH allein sein zu können ein Telefon im Wartebereich wissen, dass es kein Problem ist zu weinen Informationen bekommen wer bei familiären Problemen helfen kann mit jemanden über negative Gefühle sprechen Fortunatti CFP Invest Educ Enferm 2014 Was sollten wir über Angehörige wissen? Das Informationsbedürfnis der Angehörigen ist enorm und wird vom betreuenden Team immer unterschätzt. Angehörige wollen uns nicht gegeneinander ausspielen -> sie unterscheiden nur in ihrem Informationsbedürfnis nicht zwischen Ärzten und Pflegepersonal. Und sie benutzen beide um ihren Informationsbedarf zu decken. Ein Informationsdefizit verstärkt Misstrauen und Konflikte. Das wurde auch in einer Umfrage bestätigt: Konflikte können bei 48% der befragten Angehörigen durch unzureichende Information ausgelöst werden – niemals wurde zu viel informiert. Davidson JE. Critical Care Nurse 2009 Abbott KH et al. Crit Care Med 2001 Kuhlmann B Pflege 2004 Konfliktquellen Krankenhaus Chirurgen Nephrologen Neurologen….. ICU Teaminterne Konflikte Pflege Ärzte Physiotherapeuten Leitung Auszubildende….. Familieninterne Konflikte Patient Familienmitglieder Freunde Bevollmächtigte Arbeitgeber……. mod. nach Fassier T et al. Curr Opin Crit Care 2010 Wie häufig sind diese Konflikte? Konflikt Häufigkeit Konflikt 78% kein Konflikt 22% Beteiligte Familie - Familie ICU Team– Familie Team interner Konflikt 24% 48% 48% Gründe Therapieentscheidung andere Gründe soziale Gründe 63% 45% 19% Breen CM et al. J Gen Intern Med 2001 Fassier T et al. Curr Opin Crit Care 2010 Conflicus Studie 9274 Fragebögen -> 397 ICUs (29 Länder) 81% Responderrate 71,6% meldeten mindestens 1 Konflikt innerhalb der letzten Woche Azoulay E et al. Am J Resp Crit Care 2009 Conflicus Studie 9274 Fragebögen -> 397 ICUs (29 Länder) 81% Responderrate 71,6% meldeten mindestens 1 Konflikt innerhalb der letzten Woche Azoulay E et al. Am J Resp Crit Care 2009 Posttraumatischer Stress Kentish-Barnes N et al. Crit Care Med 2009 Der Angehörigenstress Symptome von Angst und Depression bei – 72,7% der Familienangehörigen – 84% der Ehepartner die Stresssituation und die Angst reduzieren – Konzentrationsfähigkeit – Fähigkeit einem Gespräch zu folgen Kentish-Barnes N et al. Crit Care Med 2009 Bijttebier P er al. Int Care Med 2001 Kuhlmann B Pflege 2004 Gesprächsplanung Gesprächsplanung – störungsfreier Raum, die Angehörigen stehen im „Zentrum“ – ausreichend Sitzgelegenheiten – dabei „Opposition“ vermeiden – ausreichend Zeit nehmen – Störungen vermeiden Gesprächsteilnehmer festlegen Gesprächsinhalte – medizinische Fakten – Behandlungsplan und Prognose – Unterschied zwischen allgemeiner Therapie/Prognose und der patientenspezifischen Situation klar darstellen – Informationsmaterial einsetzen Anpassen an die Bedürfnisse der Familie (Wording und Konzentrationsphasen) Davidson JE. Critical Care Nurse 2009 Abbott KH et al. Crit Care Med 2001 Kuhlmann B Pflege 2004 Gesprächsführung Geben -> Informationen – erklären sie die Erkrankung und die individuelle Prognose Nehmen -> Informationen – wurden die gegeben Informationen verstanden – gibt es noch unbekannte Probleme/Ängste – lernen sie die Familie besser kennen/einschätzen Geben -> erklären sie das weitere Prozedere Nehmen -> Was ist “hängen geblieben” Geben -> kommunizieren sie die Überlegungen und Entscheidungen Nehmen sie Pflegeperson mit zum Gespräch -> Wiederholung für die Familie mod. nach Deschepper R et al. Br J Gen Pract 2006 Wann erkennen Angehörige das Unausweichliche? 8,3% 24,1% 67,6% Nicht nur das „Was“ auch das „Wie“ ist wichtig Empathie – Versuch, den Gesprächspartner intensiv wahrzunehmen. Versuch, seine Gefühle und seine Sicht der Dinge zu vergegenwärtigen. Wertschätzung – Versuch, dem Gesprächspartner Achtung und Wertschätzung entgegenzubringen, ihm das Gefühl zu geben, dass er ernst genommen wird. Echtheit – Versuch, die eigene Meinung überlegt und klar zum Ausdruck zu bringen. Transparenz – Informationen sollten verständlich, d.h. dem jeweiligen Auffassungsvermögen des Gesprächspartners angepasst sein. Bedeutung von Worten, Stimme und Körpersprache 7% 38% 55% Stimme Körpersprache Worte Kommunikationsmodell von Schulz von Thun Transaktionsanalyse (unsere IchZustände) Eltern-Ich fürsorglich - wohlwollend kritisch - fordernd ErwachsenenIch erwachsen reagierend Kindheits-Ich angepasst kreativ-natürlich Transaktionsanalyse (unsere IchZustände) Arzt/Ärztin Angehörige Eltern-Ich Eltern-Ich Erwachsenen-Ich Erwachsenen-Ich Kindheits-Ich Kindheits-Ich Angehörigentypen – die Realisten haben Angst und Zuversicht – aber die Emotionen passen zutreffende Einschätzung der Probleme und der Gefahr empathisch gegenüber dem Patienten verhalten sich fürsorglich kooperativ-partnerschaftlich Mecke 1987 Angehörigentypen – die Ängstlichen hyperprotektiv scheinen überfordert sind misstrauisch erwarten Misserfolge reagieren auf problematische Informationen mit Panik aber vereinzelt auch aggressiv Mecke 1987 Angehörigentypen: die Verleugner hyperprotektiv suchen Informationen minimieren Gefahr wollen nur „das Gute“ hören – akzeptieren nur bestimmte Gesprächspartner – reduzieren Besuchsfrequenz fallen aus allen Wolken Mecke 1987 Angehörige als Informationsquelle Käthe Kollwitz, Mütter (Lithographie) Erfragen des mutmaßlichen Patientenwillens: Worauf sollten sie achten? Sie werden sich einer schweren Operation unterziehen. Wo sind ihre Grenzen, wie wollen sie nicht leben? Könnten sie sich vorstellen ein Pflegefall zu werden? Wir müssen uns zusammensetzen und entscheiden, wie sich ihr Angehöriger sein Leben vorgestellt hat. Davon hängt ab, wie wir die Behandlung weiterführen! Welche Fragen helfen ihnen weiter? Bei Gespräch mit dem Patienten: Was sind die Gründe warum sie sich der OP unterziehen? Was sind die Erwartungen/Hoffnungen? Vor der OP/schweren Erkrankung – was hat sie belastet/eingeschränkt? Sind diese Einschränkungen für sie akzeptabel? Wie schätzen sie ihr Leben ein? Was ist in Ordnung was nicht? Was haben sie für Pläne? Welche Fähigkeiten sind ihnen besonders wichtig? Was würde der Verlust von Eigenversorgung/.... für sie bedeuten? Beim Angehörigengespräch: Wie ist der Betroffene früher mit Schicksalsschlägen, eigener Krankheit, Behinderung oder anderem persönlichen Leid zurecht gekommen? Wie ist der Betroffene mit dem Leid anderer umgegangen? Wie war seine Fähigkeit, die Hilfe anderer anzunehmen? Wie zuverlässig entscheiden Angehörige? 60 Umfrage von Karzinompatienten und deren Angehörigen in München. Angehörige waren meist weiblich (73%), Ehefrauen der Patienten (69%) oder deren Kinder (20%). 50 40 30 Patienten 20 Angehörige für sich selbst 100 Angehörige für Patienten 10 0 80 weder Ernährung noch Flüssigkeit Flüssigkeit nur Ernährung aber keine Ernährung 60 Patient 40 Angehörige 20 0 Hunger/Durst Schmerzen Stress/Angst Bükki J et al. Support Care Cancer 2014 Fall 1: Patient 76a Reoperation (AKE bei Z.n. CABG) mit konsekutivem MOV Die Familie ist hyperprotektiv, fordernd, uneinsichtig, machen Therapievorschläge Großfamilie: – jüngster Sohn studiert Medizin, macht sich Vorwürfe, weil er dem Vater zur OP geraten hat – und ist mit der Rolle des Familiensprechers in die er sich selbst gedrängt hat überfordert – Tochter und Schwiegersohn arbeiten im Ausland bei einem Pharmakonzern (fehlender medizinischer Background) – älteste Tochter hat die Familie eigentlich gut im Griff, aber .. Prozedere: Wechsel des Familiensprechers, psycholog. Unterstützung, und gemeinsame Gespräche wenn Tochter und Schwiegersohn aus dem Ausland da waren Fall 2: Patientin 27 a Erst das Einsatzkommando der Polizei kann die Angehörigen stoppen Im Hintergrund steht eine Großfamilie, als Familiensprecher hat sich uns der jüngste Sohn angeboten Was wir anfangs nicht realisiert hatten, er musste als einziger Sohn auch die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen Aufgrund seines Alters und seiner Psychostruktur („Verleugner“) war er völlig überfordert die Großfamilie hat Informationen eingefordert, daher hat er die Besuchsfrequenz nicht reduzieren können, aber er hat die erhaltenen Informationen „ausgeblendet“ und damit wurde die Familie bis zum Tod der Patientin nicht korrekt informiert Fall 3: Patientin 20a Die Reikimeisterin behauptet, die Therapie darf nicht beendet werden weil der Geist dann nicht mehr in den Körper kann Wechsel des ärztlichen Gesprächspartners, verstärktes Einbinden der Pflege Versuch, andere Familienmitglieder einzubinden – Lebensgefährte der Mutter und Freund der Patientin werden nur einmalig „mitgenommen“ Psychologische Betreuung – der Mutter wird für die ges. Familie psychologische Betreuung angeboten, bei einer Eskalation beiziehen des psychologischen Notdienstes Beiziehen des Ethikkomitees Ethikkomitee – – – – Team der Intensivstation 2 Mitglieder des Ethikkomitees Psychologin Mutter und Großmutter der Patientin, Bruder der Patientin (15 Jahre), Freundin der Mutter (DGKS arbeitet in einer Neurorehab) Ergebnis des Ethikkonsils Im Rahmen eines langen Gesprächs gelingt es uns, der Großmutter und der Freundin der Mutter die aussichtslose Situation der Patientin verständlich zu machen. Die Mutter reagiert aggressiv und muss letztendlich vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Fall 4: Patient, 74 a Klagsdrohung gegen das Ethikkomitee Familie bittet um einen Therapieabbruch, Ärzteteam plante eine Tracheotomie -> Konfliktlösung: Ethikkonsil im Auftrag der ärztlichen Direktion Ethikkonsil: Familie (Gattin, 3 Töchter) kommuniziert klar und absolut glaubwürdig den mutmaßlichen Patientenwillen. Empfehlung des Ethikkonsils: RID, CTC Die Klagsdrohung kam vom Sohn des Patienten der kaum zu Besuch gekommen war und auch bei allen Gesprächen nicht anwesend war. Hier kann ich ihnen noch keine Lösung bringen Sorgen sie Konflikten vor Adäquate Gesprächsplanung mit der Familie Ärzte und Pflege sind ein Team, sie brauchen – gute Kommunikation im Team – Einigkeit im Team – bei Problemen eine effiziente Führung Wenn keine Einigung erreichbar ist, oder Konflikte nicht gelöst werden können – beiziehen einer „außenstehenden Partei“, z.B: Ethikkomitee
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