Kantate-Gottesdienst Immanuelskirche Wuppertal am 14.Februar 2016 um 10 Uhr Musik: Knabenkurrende Wuppertal Leitung: Stephan Hensen Kantorei Barmen-Gemarke Leitung und Orgel: Wolfgang Kläsener Gedanken zu Lukas 4, 16 – 21 Erhard Ufermann Eine Versuchung steht immer am Anfang. Manchmal besiegelt sie das Ende. So war das auch mit der sog. „Versuchung Jesu“. Sie stand zu Beginn seines öffentlichen Auftretens. Lukas erzählt die Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu mit knappen Worten. Dann kommt er ganz schnell zu Johannes, dem merkwürdigen Einsiedler und Exoten in der Wüste. Irgendwann hörte Johannes die Stimme Gottes und fing daraufhin an, das Gericht Gottes zu predigen. Die einzige Chance, im Gericht zu bestehen, so sagte er, seien die Buße zur Vergebung der Sünden und die anschließende Taufe. Die Menschen kamen damals in Massen zu ihm - total neugierig. Es gab ja noch kein Fernsehen und keine Playstation. Wer etwas erleben wollte, musste dorthin gehen, wo etwas los war. Und wenn jemand verrückte Ideen vertrat, so wurde er entweder zum Event oder ziemlich schnell aus dem Verkehr gezogen. Die Menschen fragten Johannes: Was sollen wir denn tun? Und Johannes predigte, es käme auf die „Früchte“ an. Wichtig sei das, was man tut; nicht, wer man glaubt zu sein. „Wer zwei Mäntel hat, der gebe einen davon dem, der keinen hat, und wer zu essen hat, der handle genauso.“ Sogar Zöllner waren unter den neugierigen Besucherinnen und Besuchern. Also Steuerbeamte, die für die Besatzungsmacht Rom arbeiteten. Sie waren natürlich völlig verhasst, weil sie Rom halfen, das eigene Volk auszunehmen. Ganz nebenbei füllten sie noch die eigenen Taschen. Auch sie fragten Johannes: Was können wir denn tun? Gibt es für uns im Gericht Gottes überhaupt eine Chance, durchgewinkt zu werden? Und Johannes sagte: „Verlangt einfach nicht mehr als nötig.“ Auf die Frage von Soldaten, die die Besatzungssituation natürlich ebenso zum eigenen Vorteil nutzten, sagte er: „Tut niemandem Gewalt oder Unrecht an und lasst Euch genügen an eurem Gehalt!“ So etwas muss man erst einmal Soldaten einer Besatzungsmacht erzählen…. Bei Gott sei wichtig, wie man sich im Sinne seiner Gerechtigkeit verhielte. Dann taufte Johannes die Menschen im Jordan. Auch Jesus taufte er. Und im selben Augenblick war Johannes klar, dass dieser Mann aus Nazareth seine Ideen von einer gerechteren Welt Gottes weiter entwickeln und konsequent vertreten werde. Übrigens: kurz danach nahm man Johannes fest. Die Idee von einer ganz anderen Gerechtigkeit Gottes, die zuerst der Liebe verpflichtet ist und nicht gesetzlichen Bestimmungen, kann man nicht einfach ungestraft in die Welt setzen und das Volk irritieren. Was Gerechtigkeit ist, wer etwas zu sagen hat, was zu tun und zu glauben ist, bestimmen weder Exoten, noch Wanderprediger, noch Revolutionäre. So etwas wird in Rom entschieden, in den Zentren der Macht. Bis heute. Nach der Taufe kam „Jesus, voll heiligen Geistes vom Jordan zurück und wurde vom Geist in die Wüste geführt und vierzig Tage lang vom Teufel versucht. Er aß nichts in diesen Tagen, und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn….“ Eine alte, mythologische Geschichte mit ganz vielen archaischen Motiven. Mythen stellen Lebensfragen, Sinnfragen. Es ist spannend, sich mit den alten Geschichten einen Moment zu beschäftigen. Nach der Taufe rennt Jesus nicht einfach mit der neu gewonnenen Energie (voll heiligen Geistes) los, um seine Arbeit aufzunehmen. Im Gegenteil: Er findet sich plötzlich in der Wüste wieder. „Wüste“ ist beides zugleich: ein Ort der Gefahr und Bewährung und zugleich ein Ort, sich zu besinnen oder sich auf einen Neuanfang vorzubereiten. Zwischen der Sklaverei in Ägypten und dem „gelobten Land“ führte Moses das jüdische Volk in und durch die Wüste. 40 Jahre lang. Vielleicht brauchte das Volk diese lange Zeit, um reif zu sein für die Freiheit. „Freiheit“ ist verführerisch. Sie ist aber nicht billig zu haben. Man kann sie nicht einfach käuflich erwerben, auch wenn die Werbung etwas anderes verspricht. Man kann Freiheit noch nicht einmal militärisch erzwingen. Der Westen scheiterte gerade erst im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder Syrien. Freiheit ist auch nicht automatisch durch eine „Be-Freiung“ gegeben. Diese Erfahrung machen gerade ganz viele Flüchtlinge unter uns. Freiheit liegt immer vor einem. Sie entzieht sich, wenn wir nicht verantwortlich mit ihr umgehen. Sie durchläuft ganz viele Stadien der Versuchung und Bewährung. Manchmal 40 Tage, manchmal 40 Jahre…. In der Wüste begegnet Jesus dem Versucher: „Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, dass er Brot werde!“ Steine zu Brot! Das wär´s doch! Ich gestehe, ich fand die Idee des Teufels ziemlich genial. Mal abgesehen von dem Schmankerl, dass er Jesus mit der Brotnummer anmacht, wo der gerade versucht, in der Wüste 40 Tage zu fasten. Steine zu Brot! Was ist dagegen einzuwenden? Eine Milliarde Menschen hungern in der Welt. Jeden Tag. Wenn wir aus Steinen Brot machen könnten, das wäre so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen. Ganz viel Not, ganz viel Leid wäre behoben. Warum verweigert sich Jesus? „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ zitiert Jesus daraufhin Moses (Deut. 8, 3). Moses erinnerte damals seine Leute in Sichtweite des „gelobten Landes“ nach 40 Jahren Wüstenwanderung daran, dass sich das Volk unterwegs an die „Fleischtöpfe Ägyptens“ zurück sehnte. Freiheit oder Fleischspieße? Freiheit, oder bleibt besser alles beim Alten? Das jüdische Volk war in der Wüste schnell bereit, die Freiheit zu verkaufen. Man wollte lieber festhalten an dem, was man für sicher erachtete. Damals griff Gott ein und ließ Manna vom Himmel regnen. An diese Erfahrung der Befreiung aus der Sklaverei und der Fürsorge Gottes erinnert sich das jüdische Volk bis heute jedes Jahr im Passahfest. Die ungesäuerten Brote lassen die fürsorgliche Begleitung Gottes über 40 Jahre auf dem Weg in die Freiheit schmecken. Natürlich drängt sich die Frage auf, warum Gott nicht heute Manna regnen lässt – in der Sahelzone und in Aleppo? Warum die Menschen dort nicht aus den Steinen ihrer Ruinen Brot backen können? Für arme, für hungernde Menschen muss die Antwort Jesu zynisch klingen. Oder meinte dieser etwas ganz anderes? „Wenn du Gottes Sohn bist…“ schmeichelt ihm der Teufel. Und Jesus reagiert: „Der Mensch lebt nicht von Brot allein…“ Der historische Jesus lehnte einen „Sohn-Gottes-Titel“ für sich immer ab. Er hat sich nie als Messias vorgestellt. Da ist sich die historisch-kritische Forschung ziemlich sicher. Andere haben ihm den Titel zugesprochen. Er selbst wollte sein Gottes- und Menschenbild, seine Sichtweise auf Welt, Gerechtigkeit und Freiheit, auf Verantwortung und Liebe den Menschen nahe bringen. In Worten und mit Taten. Mit vergleichbarer Konsequenz wie Johannes der Täufer und wie sich später erwies: mit denselben Folgen. Auf die Verführung des Teufels, „wenn du Gottes Sohn bist“, geht Jesus gar nicht ein. Er ist Mensch, ganz Mensch und uns damit ganz nah. Er versteht etwas von Angst, vom Alleinsein, von Niederlagen, von Versuchungen. Nach seiner Wüstenerfahrung konnte er sagen: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Er hätte auch sagen können: Ich habe verstanden: Ich lebe nicht von Brot allein. Vielleicht aber hat Jesus auch gerade die Erfahrung in der Wüste zu seiner Erkenntnis gebraucht, dass nicht der Mensch um der Gesetze willen geschaffen wurde, sondern dass Gesetze und Strukturen den Menschen dienen müssen. Und immer da, wo Gesetze und Strukturen Ungerechtigkeiten manifestieren, mag der Teufel verführt haben. Und wenn Menschen auf Kosten anderer Menschen leben, so ist das ganz sicher nicht im Sinne Gottes. Wir Menschen haben unseren Überfluss zu teilen, wie schon Johannes sagte, um selbst Mensch zu bleiben. Jeder braucht zum Überleben Brot, „Lebensmittel“. Auch wenn das nicht alles ist. Die zweite Versuchung des Teufels setzt genau an diesem Punkt an: an dem Verhältnis von Macht und Mensch. Von einem Berg aus zeigte er Jesus „alle Reiche der Welt in einem Augenblick“. Alle Macht der Welt legte er ihm zu Füßen. „Sie ist mir übergeben, die Macht, und ich kann sie dir überlassen - wenn! - Ja, wenn Du mich anbetest!“ Gerade noch hatte Jesus den messianischen Titel abgelehnt, um sich als Mensch den Menschen menschlich vorzustellen. Der andere dagegen lockt mit seiner ganzen Macht und Möglichkeit. Er, Jesus, könne alles haben. Nur eine einzige Bedingung! Dann würde er verstehen lernen können, wie Macht und Herrschaft funktioniert. Er hätte die Schlüsselkompetenz! Ihm würde bekannt, wie man die kleinsten Bausteine der Materie spaltet und den Code des Lebens entschlüsselt. Ja, er würde verstehen lernen, wie zwei schwarze Löcher fusionieren und neue Welten entstehen lassen. Der Mensch könne nun selbst zum Schöpfer werden. Allmächtig. Zeitlos. Frei. All das bot der Teufel seinem Gesprächspartner an. Mehr geht nicht. Wenn man bedenkt, mit wie viel Energie die Menschheit seit Jahrtausenden versucht, nur einigen dieser Geheimnisse auf die Spur zu kommen, um damit Gott ähnlich oder gleich zu werden?! Fast beiläufig nüchtern zitiert Jesus noch mal Moses: „Du sollst den Herrn, deinen Gott anbeten und ihm allein dienen!“ Jesus relativiert alle Macht: Man dient keinen Gesetzen. Man dient nicht der Macht. Man dient keinen Traditionen. Man dient nicht dem Wohlstand und nicht dem Fortschritt. Man dient noch nicht einmal der Freiheit. Der Mensch soll, so Jesus, allein Gott dienen. Der Teufel versucht es ein letztes Mal: Er stellt Jesus auf die Mauer des Jerusalemer Tempels und wiederholt die Anmache: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinunter.“ Dann zitiert er selbst den wunderschönen Vers aus Psalm 91 – soeben noch in der Vertonung von Mendelssohn-Bartholdy gehört: „Es steht geschrieben: Gott wird seinen Engeln befehlen, dass sie dich behüten….“ Daraufhin Jesus mit einem dritten und letzten Zitat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen!“ Da ist am Ende wieder dieses Wort: Versuchung! Es gehört zu unserem Menschsein dazu: unsere Begrenztheit, unsere Fehlbarkeit, unsere Anfälligkeit für Macht und die Neigung, sie zu missbrauchen. „Und führe uns nicht in Versuchung“. Ich hatte immer Probleme mit dieser Stelle. Der Teufel hat doch Jesus versucht. Die Stelle im „Vater unser“ wurde leider, wie wir heute wissen, falsch aus dem Aramäischen tradiert. Besser übersetzt wäre: Lass uns nicht in Versuchung geführt werden! Oder: Schütze uns vor Versuchungen! Die alte mythologische Geschichte greift alte Lebens- und Sinnfragen auf, sagte ich: - Was ist eigentlich wichtig in meinem Leben? Was lenkt mich ab? - Wovon leben wir wirklich? - Wie ist unser Verhältnis zur Macht? Womit sind wir korrumpierbar? - Wofür setze ich aktuell meine Kraft ein? Was wäre eigentlich besser? - Oder welche Rolle spielt für mich Gott? Und wie ging´s weiter? Eine Versuchung steht immer am Anfang. Manchmal besiegelt sie das Ende. Die Versuchung Jesu war der Auftakt für eine Geschichte, die für die Wahrnehmung von Welt wichtiger ist als die aktuelle Entdeckung und der beweis von Gravitationswellen. Als Jesus dem Teufel trotz aller Verlockungen nicht auf den Leim ging, wanderte er gestärkt nach Hause, nach Nazareth, in seinen Alltag zurück und begann, sein Bild, seine Sichtweise von Mensch und Gott öffentlich zu vertreten: Das Evangelium gilt den armen Menschen. Gefangene sollen frei sein, Blinde sehend und alle Strukturen, die Menschen in Abhängigkeiten halten, gelten abgeschafft. Es ist verführerisch, diese Klarheit aus den Augen zu verlieren. Man macht sich auch heute keine Freunde damit, die Zusammenfassung der Botschaft Jesu in politische Forderungen umzusetzen. Dabei ist doch eigentlich alles ganz einfach: Es gibt bei Jesus offenbar eine klare Vorstellung vom Reich Gottes. Eine „Utopie“, ein „Denken nach Vorn“ (Ernst Bloch); „die Kritik dessen, was ist, und die Darstellung dessen, was sein soll“ (Max Horkheimer). In diesem Sinne haben wir nach vorn zu denken und zu vertreten, was Gott will und zugleich zu kritisieren und zu bekämpfen, was nicht gut ist. Eigentlich ist alles ganz einfach…. Aber dann gibt es bekanntlich noch Mächte, die einer aktuellen Darstellung des Reiches Gottes entgegen wirken – in einem selbst, innerkirchlich, ökonomisch oder politisch. Diese Mächte sind sehr mächtig. Sie befürchten meist einen Machtverlust und haben sich im Lauf der Jahrtausende immer neue Verführungen und Sauereien einfallen lassen, um ihren Machtverlust zu verhindern. Selbst Jesus musste ihren Verführungen widerstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ganz viele Menschen darauf warten, dass wir uns in der Kirche heute neu positionieren. Viele suchen bei allen Verführungen, aber auch bei allen alltäglichen Überforderungen nach Orientierung und Klarheit, wohin es gehen kann, und was Sinn macht. Viele spüren, dass es nicht gut ist, was gerade passiert. In der Politik und mit uns. Wovor haben wir eigentlich in der Kirche so viel Angst? Wo sind wir „Protestanten“ heute? Überlassen wir das „Protestieren“ lieber anderen. Was könnte denn schlimmstenfalls passieren, wenn wir mehr Klarheit im Teilen, eine gerechtere Form des Wirtschaftens mit Nachdruck, unüberhörbar forderten? Vielleicht müssen wir mal zusammen in die Wüste, um uns neu zu orientieren. Vielleicht begegnen wir dort dem, der sich nicht korrumpieren ließ. Amen. Erhard Ufermann Orgel: Dieterich Buxtehude (1637-1707) Praeludium in e • Teil 2 Kurrende u. Kantorei Johann Sebastian Bach (1685-1750): Jesu, meine Freude, Verse 1.3.12
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