StraFo Strafverteidiger Forum Heft 1 Januar 2015 G 26104 Aufstze Salditt, Strafverteidiger in streitiger Hauptverhandlung Heydenreich, Zwingt die Umsetzung der EU-Rahmenbeschlsse Freiheitsstrafen und Bewhrungsberwachung zur Vollstreckung unverhltnismßiger oder auf rechtsstaatswidrigen Verfahren beruhender Sanktionen in Deutschland? Entscheidungen OLG Mnchen: Kritik an Amtshandlungen ist nicht stets beleidigend HansOLG Hamburg: Bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist dem Verletzten die Akteneinsicht in aller Regel wegen Gefhrdung des Untersuchungszwecks zu versagen – Durch den Fortgang der Hauptverhandlung kann sie (auch sukzessiv) entfallen OLG Rostock: Auch wer als Zeuge ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht hat, muss dennoch erscheinen, damit ihn das Gericht provozieren und seine Reaktion wrdigen kann m. Anm. Wollschlger LG Regensburg: Wer sich gesetzestreu verhalten will und verhalten hat, steht nicht allein deshalb unter Generalverdacht AG Bautzen: Beweisverwertungsverbot nach Durchsuchung auf einen anonymen Anruf hin BGH, OLG Karlsruhe: Zu den Voraussetzungen der konkludenten Beiordnung OLG Nrnberg: Der Vergtungsanspruch des vertretungsweise beigeordneten Rechtsanwalts umfasst alle verwirklichten Gebhrentatbestnde LG Essen: Die Vertretung der Arrestbetroffenen im Arrestverfahren zur Sicherung der Rckgewinnungshilfe lçst die Wertgebhr nach Nr. 4142 aus m. Anm. Mosiek Seiten 1–44 www.ag-strafrecht.de Herausgeber RA Dr. Heiko Ahlbrecht RA Prof. Dr. Ferdinand Gillmeister RAin Dr. Gina Greeve RAin Dr. Ines Kilian RA Dr. Dirk Lammer RA Dr. Klaus Leipold RA Prof. Dr. Werner Leitner RA Dr. Panos Pananis RA Dr. Manfred Parigger RA Christof Pschel RA Dr. Christian Rode RA Prof. Dr. Ulrich Sommer RA Dr. Rainer Spatscheck und die Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV Redaktion RA Prof. Dr. Ferdinand Gillmeister RA Dr. Klaus Leipold RA Prof. Dr. Werner Leitner RA Michael Rosenthal Schriftleitung RA Dr. Klaus Leipold RA Michael Rosenthal Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … StraFo 1/2015 Zwingt die Umsetzung der EU-Rahmenbeschlsse Freiheitsstrafen und Bewhrungsberwachung zur Vollstreckung unverhltnismßiger oder auf rechtsstaatswidrigen Verfahren beruhender Sanktionen in Deutschland? Rechtsanwalt Carl W. Heydenreich, Bonn Der Gesetzgeber steht vor der Aufgabe, die EU-Rahmenbeschlüsse Freiheitsstrafen1 und Bewährungsüberwachung2 umzusetzen. Sinn des RB Freiheitstrafen ist, verbindliche Standards der EU-Staaten für die Übertragung der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen,3 zu denen eine Person im Ausland verurteilt worden ist, auf den Staat zu schaffen, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt hat. Der um Vollstreckung ersuchte Mitgliedsstaat soll die Übernahme nur in engen, ausdrücklich formulierten Grenzen ablehnen können. Der RB Bewährungsüberwachung regelt ergänzend die Übertragung der Überwachung von Bewährungsauflagen vom Urteilsstaat auf den Staat des Aufenthalts der Person. Zweck beider Rahmenbeschlüsse ist, bessere Resozialisierungsbedingungen der verurteilten Person in ihrem angestammten sozialen Umfeld zu ermöglichen und die Zurückhaltung der Gerichte bei der Verhängung von Bewährungsstrafen gegen ausländische Staatsangehörige abzubauen. Wie immer beim Versuch der Umsetzung europäischer Vorgaben, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen zur Grundlage haben, ist man mit der Frage der Vergleichbarkeit der rechtlichen Standards und damit der Anerkennungsfähigkeit an sich konfrontiert. Diese Frage stellt sich naturgemäß in besonderer Schärfe dort, wo es um die Vollstreckung ausländischer Sanktionen im Inland 8 geht. Denn bei der Strafvollstreckung wird die Diskrepanz des Strafniveaus und die sich hierin spiegelnde Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme besonders deutlich. Das Bundesjustiz- und Verbraucherschutzministerium hat im Juli einen Entwurf vorgelegt.4 Der hält sich allerdings mit der ohnehin schon problematischen Suche nach Antworten auf Fragen der Vollstreckungsfähigkeit im EU-Kontext nicht lange auf. Er sieht – über die Vollstreckungshilfe zwischen den Mitgliedsstaaten hinaus – zugleich generelle, den genannten Rahmenbeschlüssen nicht geschuldete Regelungen zur Übernahme der Vollstreckung von mit unserer Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden Sanktionen vor: von überlangen, weil das in Deutschland vorgesehene Höchstmaß überschreitenden, und solchen Freiheitsstrafen, die auf EMRK-widrigen Verfahren 1 2 3 4 Rahmenbeschluss 2008/909/JI v. 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der EU. Rahmenbeschluss 2008/947/JI v. 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen. Freiheits- oder Jugendstrafen, Maßregeln der Sicherung und Besserung. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen. StraFo 1/2015 beruhen oder deren Vollstreckung in Deutschland der Grundsatz ne bis in idem oder Verjährungsgründe an sich entgegenstehen würden. Dies wirft die grundsätzliche Frage der Zulässigkeit der hoheitlichen Vollstreckung solcher Sanktionen in Deutschland auf. Bevor ich mich hiermit näher befasse,5 seien die übrigen wesentlichen Grundzüge des Gesetzentwurfs kurz dargestellt.6 Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … rungsaspekte und damit Belange des Verurteilten im Fokus haben.9 Ansonsten überwiegt die Kritik. Auch bleiben Freiräume, die die Rahmenbeschlüsse kreativer Anpassung an die innerstaatliche Rechtslage lassen, weitgehend ungenutzt. Auf die aus meiner Sicht gravierenden Schwachstellen sei kurz eingegangen. 1. Anwendungs- und praxisfeindlich I. Allgemeines zum Referentenentwurf Durch das Umsetzungsgesetz sind die Voraussetzungen der Übertragung der Vollstreckung deutscher Urteile ins EUAusland und die möglichen Ablehnungsgründe der Übernahme der Vollstreckung ausländischer Urteile im Inland entsprechend den Vorgaben der Rahmenbeschlüsse zu konkretisieren. Der nun vorgelegte Entwurf folgt der schon bislang praktizierten Vorgehensweise,7 der auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen gegründeten Rechtsetzung der EU durch jeweils einzelne Ergänzungen der Vorschriften des IRG Rechnung zu tragen. Das IRG erhält so neben seinen bisherigen generellen Regelungen einen parallelen und speziell dem Rechtshilfeverkehr innerhalb der EU gewidmeten Teil. Bei der allgemeinen, vertragsfreien Vollstreckungshilfe regelt es die Vollstreckungsübernahme ausländischer Erkenntnisse bislang in den §§ 48 ff. und die Vollstreckungsübertragung an ausländische Staaten in § 71. In den §§ 84 bis 84n und 85 bis 85f IRGE sieht der Referentenentwurf nunmehr zahlreiche Detailregelungen für den europäischen Vollstreckungshilfeverkehr vor, die sich am Wortlaut des RB Freiheitsstrafen orientieren. Gleiches gilt für den RB Bewährungsüberwachung in den §§ 90a bis 90n IRGE. Hierbei hält sich der Entwurf eng an die bisherige Systematik der Rechtshilfe, insbesondere bleibt die überkommene Zweistufigkeit von Zulässigkeits- und Bewilligungsentscheidungen unangetastet. Ein entsprechendes Vorgehen ist auch für die spätere Umsetzung von Gegenständen gegenseitiger Anerkennung zu erwarten.8 Sprachlich nimmt der Entwurf von dem Erfordernis des „Ersuchens“ Abstand und wird damit dem Umstand gerecht, dass nach den zugrunde liegenden Rahmenbeschlüssen sowohl der Vollstreckungs- oder Urteilsstaat als auch der Betroffene selbst initiativ werden können. Zugleich nutzt er die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung zur Schaffung geschlechtsneutraler Formulierungen. Das Positive an dem Entwurf ist fraglos, dass er endlich vorliegt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gegenständen europäischer Strafrechtssetzung, die der Effektivierung der Strafverfolgung dienen, hat sich der Gesetzgeber dafür reichlich Zeit gelassen. Die Rahmenbeschlüsse nennen eine Umsetzungsfrist bis Dezember 2011; ab Ende 2014 droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Die Umsetzung ist vor allem deshalb überfällig, weil die Rahmenbeschlüsse Resozialisie- Vor allem stößt auf, dass die Umsetzung europäischer Vorgaben trotz ihrer strukturellen und inhaltlichen Vergleichbarkeit nicht aus einem Guss gerät. Es wird je nach aktuellem Bedarf und Rahmenbeschluss gesondert angestückelt. Dies hat eine Verweistechnik, Komplexität und Unübersichtlichkeit des Gesetzes zur Folge, die es unansehnlich, wenig handhabbar und für jeden Nichtjuristen10 unverstehbar macht.11 Zahlreiche der bei der Umsetzung der verschiedenen Gegenstände der EURechtsetzung geschaffenen bzw. vorgesehenen Zulässigkeitsund Bewilligungsvoraussetzungen und deren erneute Einschränkung durch Ausnahmeklauseln sind identisch oder inhaltsgleich.12 Es drängt sich auf, diese Kriterien übersichtlich zusammenzufassen und hierfür einen „allgemeinen europäischen“ und anschließend dann dort, wo sich Abweichungen ergeben, jeweils einen „besonderen“, allein den jeweiligen Regelungsgegenstand betreffenden Teil vorzusehen. Bereits ein solches Vorgehen würde die Übersichtlichkeit und Verstehbarkeit deutlich erhöhen. Wenig nachvollziehbar ist insbesondere die nochmalige Aufspaltung in Zulässigkeits- und ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen in den §§ 84a, 84b, 90b und 90c IRGE. 2. Zustndigkeiten, Ablufe und Wege Der Vollstreckungshilfeverkehr leidet bislang unter komplexen Abläufen, die unnötig zu massiven Verzögerungen führen. Nur selten dauert eine Vollstreckungsübertragung ins benachbarte 5 6 7 8 9 10 11 12 Weiter unten II. Zum Gesetzentwurf insgesamt vgl. die im Wesentlichen inhaltsgleiche Stellungnahme von RAV und Strafverteidigervereinigungen: http://www.strafverteidigertag.de/Material/Stellungnahmen/ IRG_okt_2014.html oder http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen. So u.a. beim Rahmenbeschluss über den EU-Haftbefehl (2002/584/JI) im Achten Teil, §§ 78 ff., und über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (2005/214/JI) in Abschnitt 2 des Neunten Teils, §§ 86 ff. IRG. So bei der Überwachungsanordnung oder der Europäischen Ermittlungsanordnung. Das gilt gleichermaßen für den Rahmenbeschluss 2009/829/JI vom 23.10.2009 zur gegenseitigen Anerkennung von Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft. Und nicht nur für den. Die zwangsläufige Folge, jeweils Fälle notwendiger Beistandsleistung anzunehmen, realisiert der Referentenentwurf nicht. Dies betrifft die bei der gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in §§ 86 ff. IRG geschaffenen Vorschriften ebenso wie Regelungen, die sich aus der Berücksichtigung des Rahmenbeschlusses Abwesenheitsentscheidungen ergeben; es gilt ähnlich für den EU-Haftbefehl. 9 Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … Ausland weniger als ein Jahr. Der Gesetzentwurf unterlässt es, dieses Gestrüpp zu lichten und Zuständigkeiten, Abläufe und Wege zu straffen und zu vereinfachen; ganz im Gegenteil wird durch gesonderte Regelungen für den europäischen Verkehr die Unübersichtlichkeit noch erhöht. StraFo 1/2015 Erwägungen haben insbesondere vor dem Hintergrund keinen Raum, dass Art. 8 Abs. 2 RB eine Umwandlung dem Vollstreckungsstaat ausdrücklich versagt und allenfalls eine Anpassung auf das dort vorgesehene Höchstmaß zulässt. 4. Maßregeln und Beistandschaft Grundsätzlich begrüßenswert ist sicherlich die Verlagerung der Bewilligungszuständigkeit von der Ministerial- auf die Vollstreckungsebene; der Gesetzgeber hätte sich jedoch einheitlich entweder für die Staatsanwaltschaft oder die Vollstreckungsbehörde entscheiden13 und eine gleichlautende Regelung auch für den vertragsfreien Verkehr14 vorsehen sollen. Ebenso hätte es ausgereicht, gerichtliche Zulässigkeitsentscheidungen einheitlich der Strafvollstreckungskammer zuzuweisen;15 der besonderen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts bedarf es ersichtlich nicht. Schließlich ist die Zuständigkeitszuweisung an Gerichte für die Erklärung der Zustimmung zur Überstellung16 ebenso unnötig wie zeitraubend. Sachgerecht wäre allerdings eine – einheitliche – Verbesserung des Rechtsschutzes der verurteilten Person dahingehend, ihr gegen belastende Entscheidungen der StVK die Beschwerde zum OLG zu ermöglichen. 3. Das Bewilligungsermessen der Staatsanwaltschaft Nach § 85 Abs. 1 IRGE (und vergleichbar § 90l Abs. 1 IRGE) kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion einem anderen Mitgliedsstaat übertragen. Bewilligt die Vollstreckungsbehörde die von der verurteilten Person begehrte Übertragung nicht und beantragt diese die richterliche Entscheidung, so weist das Gericht den Antrag zurück, wenn die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Ist der Antrag dagegen zulässig und begründet, erklärt das Gericht die Vollstreckung in dem anderen Mitgliedsstaat für zulässig (§ 85b Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 IRGE). Ermessenskriterien nennt der Gesetzentwurf keine. Ein derart uferloser Ermessensspielraum und die gänzlich unterlassene Bindung der Vollstreckungsbehörde sind nicht akzeptabel. Es bedarf daher einer gesetzlichen Konkretisierung des Bewilligungsermessens der Vollstreckungsbehörde in §§ 85 Abs. 1, 90l Abs. 1 IRGE. Nach Art. 3 Abs. 1 RB 2008/909/JI ist Zweck des Rahmenbeschlusses, im Hinblick auf die Erleichterung der sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person Regeln der Vollstreckungsübertragung zu formulieren. Die Orientierung am Ziel der bestmöglichen Resozialisierung der verurteilten Person findet im Rahmenbeschluss an zahlreichen weiteren Stellen Erwähnung. Es wäre wünschenswert, diese ausdrückliche Zweckbindung so auch in das den Rahmenbeschluss umsetzende Gesetz zu übernehmen. In der Begründung des Gesetzentwurfs erneut aufscheinende diffuse Kriterien wie die der „Belange der Rechtspflege an einer wirksamen inländischen (?) Strafvollstreckung“ oder etwa generalpräventive 10 Es wäre sicherlich hilfreich, wenn sich der Entwurf detaillierter zu Fragen der Übertragung von Maßregeln der Sicherung und Besserung verhalten hätte. Es handelt sich um einen noch weitgehend ungeklärten Bereich, in dem jedoch die Resozialisierungsbedürftigkeit und Dringlichkeit der Regelung besonders im Vordergrund stehen.17 Nach Art. 1b RB Freiheitsstrafen ist übertragbare Sanktion jede Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung. Wie sich aus dem Versagungsgrund des Art. 9 Abs. 1 lit. k des RB ergibt, zählen hierzu auch Maßnahmen der psychiatrischen Betreuung oder der Gesundheitsvorsorge. Der Referentenentwurf erwähnt dies nur am Rande in § 84a Abs. 1 Nr. 2 IRGE. Schließlich erscheint in der Praxis eine Überarbeitung der Vorschriften der notwendigen Beistandschaft gerade auch im Bereich der Vollstreckungshilfe besonders dringlich. Die zuständigen Gerichte neigen in aller Regel dazu, trotz der Bedeutung der Angelegenheit und der Komplexität der Materie die Voraussetzungen notwendiger Beistandschaft i.S.v. § 53 Abs. 2 IRG abzulehnen.18 An dieser Stelle besteht erheblicher gesetzlicher Ergänzungsbedarf. II. bernahme der Vollstreckung unverhltnismßiger oder auf rechtsstaatswidrigen Verfahren beruhender Sanktionen Vor allem die Regelungen des Gesetzentwurfs zur Übernahme der Vollstreckung unverhältnismäßiger oder auf EMRK-widrigen Verfahren beruhender Sanktionen begegnen gravierenden Bedenken, besonders im allgemeinen, letztlich aber auch im EU-Kontext. Der Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen räumt dem ersuchten Mitgliedsstaat bei der Übernahme der Vollstreckung einer frei13 14 15 16 17 18 § 84e IRGE sieht bei der Vollstreckungsübernahme die Staatsanwaltschaft und § 85 IRGE bei der Vollstreckungsübertragung die Vollstreckungsbehörde vor. Hier verbleibt es nach dem Entwurf bei der (delegierbaren) Zuständigkeit der Bundesregierung. Bei der Vollstreckungsübertragung nach wie vor das OLG. §§ 85 Abs. 2 S. 2, 90l Abs. 2 S. 2 IRGE. Es erscheint bezeichnend, dass diese Problemstellung gänzlich vernachlässigt wird, wohingegen die gegenseitige Anerkennung bei der Vollstreckung von Geldstrafen oder Geldbußen bereits lange detaillierte Regelung erfahren hat. Manche eine Beiordnung ablehnenden Beschlüsse lesen sich so, als sei die Sach- und Rechtslage einfach, weil das OLG ja ohnehin eine richtige Entscheidung treffe. StraFo 1/2015 heitsentziehenden Sanktion eines anderen Mitgliedsstaates gegen eigene Staatsangehörige oder im Inland wohnende Personen einen nur sehr geringen Ablehnungsspielraum ein,19 zumal wenn die verurteilte Person zustimmt. Eine Umwandlung der Sanktion ist i.d.R. ausgeschlossen, eine Anpassung nur möglich in Fällen, in denen die Dauer der erkannten Strafe mit dem Recht des Vollstreckungsmitgliedsstaates nicht vereinbar ist, und allenfalls bis auf die dort vorgesehene Höchststrafe. Angesichts des noch immer bestehenden stark unterschiedlichen Straf- und Rechtsschutzniveaus unter den Mitgliedsstaaten birgt dies zwangsläufig für manchen Vollstreckungsstaat Friktionen im Hinblick auf die eigene Rechtsordnung. Der Referentenentwurf widmet sich dieser Problematik eingehend: Er orientiert sich strikt an den Versagungsmöglichkeiten des Rahmenbeschlusses und sieht in § 84g Abs. 4 IRGE die Ermäßigung einer Strafe auf das Höchstmaß der in Deutschland vorgesehenen Strafe vor, sofern diese in dem Erkenntnis überschritten ist.20 Dies mag bis hierhin nach den Vorgaben europäischen Rechts im Regelfall unumgänglich21 sein. Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … bindliche Vollstreckungsgrundlage schaffen, solche Sanktionen der hiervon betroffenen Person gegenüber in Deutschland zwangsweise durchzusetzen? Und darf der deutsche Staat dies dem (Unrechts-) Urteilsstaat gegenüber verbindlich gewährleisten? Die Betrachtung soll sich beschränken auf die Frage der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen, die auf mit der EMRK nicht zu vereinbarenden Verfahren beruhen oder wegen ihrer Höhe mit unserem Rechtsverständnis nicht vereinbar sind. Letzteres kann durchaus auch im europäischen Kontext der Fall sein, wenn gem. Art. 8 Abs. 2 RB, § 84g Abs. 4 IRGE eine Absenkung der im Ausland erkannten Strafe nur bis auf das in Deutschland angedrohte Höchstmaß vorgenommen wird. 19 20 21 22 Der Referentenentwurf geht jedoch weiter. Er schafft ohne Not und erkennbaren Anlass, wohlgemerkt im allgemeinen, nicht nur auf die Mitgliedsstaaten der EU bezogenen Teil, einen neuen § 54a Abs. 1 IRGE, demzufolge in Fällen, in denen der Urteilsstaat dies zur Bedingung macht, die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion gegen eine Person deutscher Staatsangehörigkeit über die im Inland vorgesehene Höchststrafe hinaus auch dann für zulässig erklärt oder eine Reststrafenaussetzung von der Zustimmung des Urteilsstaates abhängig gemacht werden kann, wenn 1. sich die verurteilte Person damit einverstanden erklärt hat und 2. die Vollstreckung unter Beachtung der Interessen der verurteilten Person nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde.22 Und in § 49 Abs. 3 IRGE wird bestimmt, dass unter denselben Voraussetzungen möglich ist, die Vollstreckung einer im Ausland verhängten freiheitsentziehenden Sanktion für zulässig zu erklären, die in einem Verfahren ergangen ist, welches mit der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht im Einklang steht, im Inland bereits verjährt wäre oder deren Vollstreckung an sich die fehlende gegenseitige Strafbarkeit oder der Grundsatz ne bis in idem entgegenstünden.23 Vergleichbares findet sich im EU-Zusammenhang in den §§ 84b Abs. 2 und 84g Abs. 4 S. 2 IRGE, der explizit auf § 54a IRGE verweist. Begründet wird all dies mit humanitären Belangen und Bedürfnissen einer im Ausland verurteilten und gefangenen Person. Die Frage ist grundsätzlicher Natur: Darf der Gesetzgeber, wie es der Entwurf vorsieht, die hoheitliche Vollstreckung auf rechtsstaatswidrigen Verfahren beruhender oder nach deutschem Rechtsverständnis unverhältnismäßiger ausländischer Sanktionen sanktionieren? Darf er eine rechtlich ver- 23 Art. 9 RB; vornehmlich in Fällen eines Verstoßes gegen ne bis in idem, Strafmündigkeits-, Verjährungs- und Immunitätsvorschriften des Vollstreckungsstaates sowie in bestimmten Fällen fehlender beiderseitiger Strafbarkeit und von Abwesenheitsentscheidungen. Und in Abs. 5 die Umwandlung etwa in Jugendstrafe bei Vorliegen der Umwandlungsvoraussetzungen. Es entspricht im Wesentlichen auch dem bisherigen Rechtszustand. § 54a IRGE lautet auszugsweise: Vollstreckung langer freiheitsentziehender Sanktionen (1) Hat der Urteilsstaat die Bedingung gestellt, dass ab der Überstellung die freiheitsentziehende Sanktion noch für einen bestimmten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt wird, kann das Gericht 1. abweichend von § 54 Abs. 1 S. 3 auch eine Sanktion festsetzen, die das Höchstmaß der im Geltungsbereich dieses Gesetzes für die Tat angedrohten Sanktion überschreitet, und 2. die Vollstreckung des Restes der in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbaren Freiheitsstrafe gem. § 57 Abs. 2 nur nach Zustimmung des Urteilsstaates zur Bewährung aussetzen. (2) Eine Entscheidung des Gerichts nach Abs. 1kann nur ergehen, wenn 1. sich die verurteilte Person damit einverstanden erklärt hat und 2. die Vollstreckung unter Beachtung der Interessen der verurteilten Person nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. … (Regelungen zur Abgabe des Einverständnisses) Das Einverständnis kann nicht widerrufen werden. Die verurteilte Person ist zuvor über die Rechtsfolgen ihres Einverständnisses und dessen Unwiderrufbarkeit zu belehren. § 49 IRGE lautet auszugsweise: (1) Die Vollstreckung ist zulässig, wenn 1. ein vollständiges rechtskräftiges und vollstreckbares Erkenntnis vorliegt, 2. das ausländische Erkenntnis in einem Verfahren ergangen ist, welches mit der Europäischen Konvention … zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten … im Einklang steht, 3. auch nach deutschem Recht … wegen der Tat, die dem ausländischen Erkenntnis zugrunde liegt, a) eine Strafe, eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Geldbuße hätte verhängt werden können, … 4. keine Entscheidung der in § 9 Nummer 1 ergangenen Art ergangen ist … (ne bis in idem) (2) … (3) Die Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion, die gegen eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit in einem ausländischen Staat verhängt worden ist, kann abweichend von Abs. 1 Nummer 2 bis 5 für zulässig erklärt werden, wenn 1. sich die verurteilte Person damit einverstanden erklärt hat und 2. die Vollstreckung unter Beachtung der Interessen der verurteilten Person nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. … (Regelungen zur Abgabe des Einverständnisses) Das Einverständnis kann nicht widerrufen werden. Die verurteilte Person ist zuvor über die Rechtsfolgen ihres Einverständnisses und dessen Unwiderrufbarkeit zu belehren. 11 Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … 1. Vollstreckung trotz Verstoß gegen EMRK im Urteilsstaat Bei der Vollstreckung von Sanktionen aufgrund EMRK-widriger Verfahren ist ein klares Nein angesagt. Die Vollstreckung solcher Sanktionen ist Unrecht, egal ob der Verurteilte zustimmt oder nicht. Der Staat darf seinen Bürgern gegenüber kein Unrecht zwangsweise durchsetzen. Die Frage ist schon, was Grundlage der hoheitlichen Vollstreckung wäre: Das in dem makelbehafteten Verfahren ergangene Urteil, die Einwilligung des Betroffenen oder etwa ein Mix aus beidem? Gegen die gesetzliche Regelung der Vollstreckung solcher „Unrechtsentscheidungen“ spricht zumal, dass sie diese aufwertet, vor allem aber, dass sie mit Blick auf den Urteilsstaat (und die eigene Verlässlichkeit für Folgefälle) einen (gesetzlichen) Regelfall schafft, auf den dieser sich berufen kann. Die Möglichkeiten diplomatischer Einflussnahme werden so konterkariert. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung könnte zudem den Rechtsanwender veranlassen, sie, da kodifiziert, als gesetzlich geregelte Normalität hinzunehmen. Jede einmal für Ausnahmefälle geschaffene Regelung entwickelt mit der Zeit ihre Eigendynamik und die Praxis ist nur zu gern bereit, sich hierauf einzulassen. Nichtssagend, nicht praktikabel und nicht akzeptabel ist zudem die vom Gesetzgeber vorgenommene Unterscheidung in Verfahren, die mit der EMRK in Einklang stehen, solchen, die dies nicht tun, jedoch unter Beachtung der Interessen der verurteilten Person nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen, und solchen, die nicht einmal dies vermögen. Verfahren, die mit der EMRK nicht in Einklang stehen, jedoch den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung genügen, sind nach dieser nicht vorstellbar. Nicht hinnehmbar ist, dass die Rechtsstaatswidrigkeit des Verfahrens in Relation zu den Interessen der betroffenen Person gesetzt, die Rechtmäßigkeit also relativiert und unter einen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt gestellt wird. Danach wären die Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens umso geringer, je schlimmer die Vollstreckungsumstände im Urteilsstaat sind: ein Paradoxon. Selbstredend werden humanitäre Belange immer umso dringlicher sein, je weniger die Verhältnisse im Urteilsstaat und das dort ergangene Erkenntnis den Anforderungen der EMRK oder den wesentlichen Grundzügen der deutschen Rechtsordnung genügen. Es betrifft Verfahren und Vollstreckungssituation gleichermaßen. In dieser Situation macht es keinen Sinn, zwischen humanitären Aspekten und Verfahrensmängeln abzuwägen, ein bisschen Folter etwa noch so eben hinnehmen, das durch massive Folter erzwungene Geständnis jedoch zum Hinderungsgrund einer Vollstreckungsübernahme machen zu wollen. Es geht dem Referentenentwurf erkennbar allein darum, einen nichtssagenden, im Einzelfall je nach Interessenlage dehn12 StraFo 1/2015 baren Topos zu schaffen. Ein solcher ist für die Praxis völlig untauglich: Was wäre die Konsequenz, wenn der Verurteilte nach Beginn der Vollstreckung im Inland gegen diese mit der Begründung klagt, die gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift hätten nicht vorgelegen, die Vollstreckung widerspreche sehr wohl den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung? Man sieht, es handelt sich um Konstellationen, die sich abstrakt-gesetzlicher Regelung entziehen, in denen vielmehr immer im Einzelfall mit den Mitteln der Diplomatie und Politik versucht werden muss, eine annähernd befriedigende Lösung zu finden. Gänzlich unrealisierbar erscheint der verbindlich geregelte Ausschluss der Möglichkeit des Widerrufs eines vom Verurteilten im Urteilsstaat unter den dortigen Bedingungen erklärten Einverständnisses, wie § 49 Abs. 3 S. 3 IRGE dies vorsieht, sei dieses Einverständnis auch noch so formvollendet entgegengenommen. Je nachvollziehbarer die humanitäre Dringlichkeit der Vollstreckungsübernahme angesichts der – ihrerseits menschenrechtswidrigen – Vollstreckungsbedingungen im Urteilsstaat sein wird, desto weniger von einem freien Willen getragen ist ein unter diesen Bedingungen abgegebenes „Einverständnis“, mit der Folge, dass sein Widerruf nicht ausschließbar ist. Was wäre gar dann Grundlage der Vollstreckung, wenn das Einverständnis – ohne Rechtsgrundlage – widerrufen wird? Mit der Möglichkeit des späteren Widerrufs verliert die Regelung allerdings jeden Sinn. 2. Unverhltnismßige Sanktion Ähnliche Bedenken sind gegen die Einführung einer Regelung wie der des § 54a IRGE geltend zu machen. Die Vollstreckung einer das Höchstmaß der für die Tat im Inland angedrohten Strafe überschreitenden Sanktion ist nicht verhältnismäßig. Das gilt bei deutlich niedrigerem Strafniveau im Regelfall auch für die ausnahmslose Vollstreckung der im Inland angedrohten Höchststrafe, wie sie Art. 8 Abs. 2 RB, § 84g Abs. 4 IRGE vorsehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genießt Verfassungsrang und ist Teil des ordre public. Eine solche ausdrückliche gesetzliche Regelung wird der Urteilsstaat gar als Einladung verstehen können, entsprechende Bedingungen zu stellen. III. Resmee Unter der Geltung des Grundgesetzes kann der deutsche Gesetzgeber keinen generellen Erlaubnistatbestand für die Vollstreckung unverhältnismäßiger oder auf rechtsstaatswidrigen Verfahren beruhender Sanktionen formulieren, auch vor dem Hintergrund nicht, dass humanitäre Erwägungen in Einzelfällen danach verlangen, dem Betroffenen zu helfen. Dieses Bemühen muss im jeweiligen Einzelfall Gegenstand politscher Einflussnahme und der Diplomatie sein; es ver- StraFo 1/2015 schließt sich einer allgemeinen gesetzlichen Regelung, deren Nachteile bei einer Gesamtschau schon wegen ihrer Signalwirkung deutlich überwögen. Dies gilt erst recht für den Vollstreckungshilfeverkehr innerhalb der EU. In einem Raum gegenseitigen Vertrauens, der Voraussetzung der gegenseitigen Anerkennung ist und sein muss, darf es für Übermaßvollstreckung und die Vollstreckung auf nach unserem Rechtsverständnis fragwürdigen Verfahren beruhender Sanktionen keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage geben, wie sie etwa in den §§ 84b Abs. 2 und 84g Abs. 4 S. 2 IRGE vorgesehen ist. Entscheidet sich der Gesetzgeber gegen diese Bedenken und hält daran fest, vermeintlich humanitären Gesichtspunkten durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung Rechnung tragen zu wollen, so sollte er sich von der Formel, der zufolge die Vollstreckung wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht widersprechen darf, konsequenterweise gänzlich verabschieden. Der Gesetzgeber wäre dann allerdings, wie auch bei der Vollstreckung unverhältnismäßiger Sanktionen, gehalten, begleitende Vorkehrungen, etwa gesonderte Vollstreckungs- und Strafaussetzungsregelungen zu schaffen, um entstehende Härten abzufangen und einem ggf. anderen Vollstreckungsregime im Urteilsstaat Rechnung tragen zu können. Dies gilt genauso im Verhältnis zu EU-Staaten für die Fälle, in denen im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 RB die Vollstreckung der im Inland angedrohten Höchststrafe nach EU-Recht unvermeidbar ist. Es ist nicht nur das Strafniveau, gerade auch in den EU-Mitgliedsstaaten, z.T. sehr unterschiedlich; sehr unterschiedlich sind auch die begleitenden Vollstreckungsvorschriften, ohne die man oft eine erkannte Strafe nicht verstehen kann. So bestehen unterschiedliche Systeme der Strafzeitberechnung, unterschiedliche Strafaussetzungs- und auch Therapiemöglichkeiten und Unterschiede in der Art der Vollstreckung. Jedes System mag für sich kohärent sein (oder auch nicht), wenn man jedoch bei der Vollstreckung der erkannten Strafe allein die Strafhöhe zum Maßstab macht und die weiteren Vollstreckungsumstände in eine Regelung nicht mit einbezieht, entsteht zwangsläufig eine Inkohärenz.24 Der Gesetzentwurf wird diesem Problem nur peripher gerecht; es fehlen zahlreiche begleitende Vorschriften, die bei einer Vollstreckungsübernahme hierdurch entstehende Härten vermeiden helfen. Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … in den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich, auch die Voraussetzungen sind es. So macht § 57 Abs. 2 StGB die Halbstrafenaussetzung vom Vorliegen besonderer Umstände in Tat und Person abhängig; nach z.B. britischem Recht ist sie der Regelfall. Die Erfahrung lehrt, dass Vollstreckungsbehörden und Strafvollstreckungskammern sich am Gesetzeswortlaut orientieren und im Umstand der Vollstreckung ausländischer Sanktionen keine besonderen Umstände i.S.v. § 57 Abs. 2 StGB erkennen. Änderungsbedarf besteht auch im Hinblick auf § 35 BtMG und die dortige Zweijahresregelung.25 Gleiches gilt bei der Strafzeitberechnung. In Deutschland wird jeder Tag Freiheitsentziehung eins zu eins berechnet. Es gibt zahlreiche Staaten, in denen dann, wenn der Verurteilte in Haft arbeitet, eine höhere Anrechnung stattfindet. Bei der Vollstreckung nach hiesigem Rechtsverständnis unverhältnismäßig hoher Strafen26 stellt sich die Frage, ob hierfür nicht besondere Einrichtungen vorzusehen sind. Es drängt sich eine Regelung dergestalt auf, dass derartige Strafen grundsätzlich in Einrichtungen des Offenen Vollzuges zu vollstrecken sind. Und auch bei der nach Art. 8 Abs. 2 RB vermeintlich zwingenden Begrenzung einer Anpassung auf die im Inland angedrohte Höchststrafe sind Freiräume einer erträglicheren Gestaltung zugänglich. So sollten Straftatbestände und Strafrahmen in Einzelfällen daraufhin untersucht werden, ob man sie nicht im Hinblick auf den RB ändern und dessen Vorgaben entsprechend im Sinne einer größeren Kompatibilität mit dem deutschen Sanktionensystem anpassen muss. Ich denke hier vor allem an Struktur und Strafrahmen des BtMG. Verstöße gegen Betäubungsmittelvorschriften machen einen Großteil der für die Vollstreckungshilfe im EU-Verkehr relevanten Fälle aus. Eine wesentlich größere Flexibilität wäre erreicht, unterschiede man auf Tatbestands- und Rechtsfolgenebene – endlich – nach Art und Gefährlichkeit der Betäubungsmittel, wie dies etwa in den Niederlanden seit jeher der Fall ist.27 Und es gibt Fälle, in denen auch im EU-Rahmen eine nachhaltigere Anpassung als lediglich auf die im Inland angedrohte Höchststrafe möglich ist. Grundsätzlich wird sich der deutsche Gesetzgeber den Vorgaben des Rahmenbeschlusses nicht entziehen können, jedenfalls dann, wenn der deutsche 24 Konkret: Positiv ist, dass der Referentenentwurf in § 84k Abs. 1 S. 3 IRGE die Entscheidung über eine mögliche Reststrafenaussetzung auf den Zeitpunkt vorzieht, in dem eine solche nach dem Recht des Urteilsstaates frühestmöglich wäre. Dies reicht jedoch erkennbar nicht, bereits deshalb nicht, weil die Bestimmung sich allein auf EU-Staaten bezieht; eine vergleichbare Regelung für die Vollstreckungsübernahme gem. §§ 48 ff. IRG(E) fehlt. Und nicht nur der Zeitpunkt einer frühestmöglichen Reststrafenaussetzung ist 25 26 27 Den Gesetzgeber holt ein, was vor der Rechtsetzung der EU und der bedingungslosen Verfolgung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung unterblieben ist: eine gründliche Untersuchung und der Vergleich der jeweiligen nationalen Gegebenheiten und rechtlichen wie tatsächlichen Bedingungen. Es gibt EU-Staaten wie Griechenland, die eine deutlich frühere Therapieund Zurückstellungsmöglichkeit und ihr folgende Bewährungsentscheidung vorsehen. Seien es gar nicht angepasste oder gem. Art. 8 Abs. RB auf das inländische Höchstmaß abgesenkte. Dann könnte etwa beim Besitz nicht geringer Mengen weicher Drogen die im Inland angedrohte Höchststrafe deutlich niedriger liegen als die bislang angedrohten 15 Jahre. 13 Heydenreich, Zwingt die Umsetzung … Staat selbst keinen Anlass für die der Strafe zugrunde liegende Verurteilung gegeben und nicht an dem Verfahren mitgewirkt hat. Anders sieht dies jedoch aus, wenn er eine derartige Bestrafung erst ermöglicht hat. So ist es in Fällen der Auslieferung an den Urteilsstaat aufgrund EU-Haftbefehls. Hier sieht der RB zum Europäischen Haftbefehl28 in Art. 5 Nr. 3 die bedingungsfreie Rücküberstellung dann vor, wenn der an den Urteilsstaat Ausgelieferte Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaates ist oder in diesem lebt. In dieser Konstellation besteht ein Konflikt der Rahmenbeschlüsse EU-Haftbefehl und Freiheitsstrafen, der den Vollstreckungsstaat zu einer weitergehenden Anpassung berechtigt. Es wird nicht übersehen, dass auch die EU-Rechtsetzung diesen Konflikt gesehen und in Art. 25 RB Freiheitsstrafen dahingehend gelöst hat, dass der RB Freiheitsstrafen grundsätzlich Vorrang hat; aber seinem Wortlaut nach eben auch nur zwecks Vermeidung der Straflosigkeit der betreffenden Person. Dies bedeutet, dass der RB Freiheitsstrafen und die dort getroffene Regelung immer, aber auch immer nur dann vorrangig ist, wenn andernfalls Alternative allein die Straflosigkeit der verurteilten Person ist. Eine Anpassung wird also nicht ausgeschlossen. Das hat auch der Niederländische Gesetzgeber so gesehen und in 2.11 WETS berücksichtigt. Die Regelung lautet29: 4. Wenn die auferlegte Freiheitsstrafe höher ist als die nach niederländischem Recht für die Tat anzuwendende Maximalstrafe, wird die Dauer der Freiheitsstrafe auf dieses Strafmaximum reduziert. 5. Wenn der Verurteilte mit der Garantie der Rücküberstellung ausgeliefert wird, … wird Artikel 4 nicht angewandt, sondern es wird geprüft, ob die auferlegte freiheitsentziehende Maßnahme mit einer entsprechenden Strafe für die jeweilige Tat in den Niederlanden vereinbar ist. Sofern notwendig, wird die Strafe entsprechend umgewandelt, wobei die im die Strafe auferlegenden Mitgliedsstaat geltende Auffassung bezüglich der Schwere der Tat berücksichtigt wird. Eine vergleichbare Regelung sollte auch der deutsche Gesetzgeber finden. IV. Mçgliche Anwendungssituationen Die Relevanz der vom Referentenentwurf vorgesehenen Regelungen ergibt sich in der Betrachtung erdachter und möglicher Anwendungsfälle. Etwa Hussein A.: Er wird in Ägypten als vermeintlicher Anhänger der Muslimbrüder in einem nur eintägigen Massenverfahren gegen mehrere hundert Angeklagte ohne Beweisaufnahme und Verteidigungsmöglichkeit zur Todesstrafe verurteilt, die später im Gnadenweg in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Und gegen Ali B. wird in Marokko nach einem islamistischen Terroranschlag auf einer Ferieninsel auf Grundlage eines auf Folter beruhenden Geständnisses in nicht öffentlicher Hauptverhandlung wegen Mitgliedschaft in einer 14 StraFo 1/2015 terroristischen Vereinigung eine Freiheitsstrafe von 30 Jahren verhängt. Beiden ist gemeinsam, dass sie deutsche Staatsangehörige und unter inhumanen und z.T. grob menschrechtswidrigen Bedingungen in den jeweiligen Urteilsstaaten gefangen sind. Beide wünschen ihre Überstellung nach Deutschland und stimmen der dortigen Vollstreckung der Strafen und der Unwiderruflichkeit ihrer diesbezüglichen Erklärung zu. Und in beiden Fällen macht der Urteilsstaat die Vollstreckung von jedenfalls mindestens 20 Jahren der erkannten Haftstrafe zur Bedingung einer Überstellung. Hier kumulieren, zugegebenermaßen in einer extremen Zuspitzung, Rechtsstaatswidrigkeit der Verfahren und Unverhältnismäßigkeit der Strafen. Und es erscheint nachgerade zwingend, beiden Verurteilten aus ihrer jeweiligen Vollstreckungssituation zu helfen. Aber um den Preis einer gesetzlich geregelten Anerkennung derartiger Vollstreckung in Deutschland? Um den weiteren Lauf der Dinge vorweg zu nehmen: Hussein A. widerruft nach Überstellung und Vollstreckungsübernahme sein Einverständnis und erhebt Klage und Verfassungsbeschwerde gegen die weitere Vollstreckung des ägyptischen Urteils, mit denen er die Nichtigkeit seiner Einverständniserklärung und Rechtswidrigkeit der Vollstreckung geltend macht. Ihm wird sein formvollendet erklärtes Einverständnis entgegengehalten. Ali B. begehrt nach Vollstreckung der Hälfte Strafaussetzung. Die Strafvollstreckungskammer lehnt im Hinblick auf das fehlende Einverständnis des Urteilsstaates gem. § 54a Abs. 1 Nr. 2 IRGE ab – oder wegen Nichtvorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB. Theorie? Mitnichten, die Möglichkeiten sind im Gesetz so angelegt. Ähnliche Friktionen drängen sich auch im europäischen Vergleich auf, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 54a IRGE bedürfte. Klaus C. wird in Rumänien mit 5 Gramm Heroin guter Qualität angetroffen und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Heike D. erhält in Griechenland wegen Handelns mit Betäubungsmitteln in großer Menge eine 16-jährige Freiheitsstrafe, weil in ihrem Hotelzimmer nach der Abreise 100 Gramm Marihuana gefunden werden.30 Sie war nach ihrer Rückkehr von einer Ferienreise aufgrund eines in Griechenland ausgestellten europäischen Haftbefehls nach dort ausgeliefert und dann dort verurteilt worden. Ohne dass es einer gesonderten Bedingung des Urteilsmitgliedsstaates bedürfte, werden beide Strafen bei Überstellung nach Deutschland in Höhe von 15 Jahren für vollstreckbar erklärt.31 War bei Heike D. nur ein kleiner Joint gefunden worden, beträgt die angepasste und für vollstreck28 29 30 31 Rahmenbeschluss 2002/584/JI. In deutscher Übersetzung. Vergleichbare Beispiele lassen sich bilden für die Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen oder in Fällen von Doppelverfolgung oder Verjährung im Inland. § 29a BtMG sieht für Besitz von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einen Strafrahmen von einem bis zu 15 Jahren vor, es sei denn, es lägen minder schwere Fälle vor. Strafzumessungsregelungen haben allerdings bei der Anpassung außer Betracht zu bleiben. StraFo 1/2015 bar erklärte Freiheitsstrafe noch immer 5 Jahre. Es ist die andere Seite der Freiheit des Personenverkehrs innerhalb der EU. Die Erfahrung lehrt, dass spätere Gnadengesuche der Verurteilten mit der Begründung abgelehnt werden, es sei Verfahrensrecht nicht Aufgabe der Gnadengewährung, etwa völkerrechtliche Vereinbarungen zu umgehen. Der Gesetzgeber ist erkennbar über den vorgelegten Referentenentwurf hinaus gefordert. 15
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