Karl Harb, Salzburger Nachrichten am 27.11.2015

Salzburger Nachrichten
27/11/2015
Auflage 74.692
Cirque Le Roux:
Wenn knackige
Musik aufrauscht,wird
die Akrobatik
schmissig.
BILDER: SN/ANDREAS KOLARIK
Ein Circus wie ein
Wieder gibt es eine neue Facette beim Salzburger Winterfest. Man könnte sie Circus-Kino nennen.
"The Elephant in the Room" steht für ein Geheimnis, das ständig da, aber nicht sichtbar ist.
KARL HARB
SALZBURG. Nichtsschaut hier nach
Zirkus aus. Aufgebautist eine Bühne vor Zuschauerreihenmit Theaterbestuhlung.Es gibt ein echtes,
detailreiches Bühnenbild in
Schwarz-Weiß: ein Sofa, einen
Schrank, einen Tisch, altmodische
Lampen, Bilder an der Tapetenwand, ein Grammofon.Zum Auf-
takt wirdder Name derGruppe eingeblendet: Cirque Le Roux. Dann
der Titel des Stücks: "The Elephant
in the Room". Dann die Mitwirkenden und ihre Rollen, das Produktionsteam und allerlei Credits.Man
soll sich dabei wähnen, als säße
man im Kino und schaute einen alten Film.
Ein Abend in den I930er-Jahren:
Wir sind in einem Raucherzimmer.
Dorthin flieht kreischend und etwas irre überdreht lachend Miss
Betty vor der Hochzeit. Alsbald bevölkern die Filmkulissedrei Herren
von unterschiedlicher Statur: ein
eleganterBeau, ein kräftiger Lackel
und ein Diener, der die dankbare
Aufgabe des tollpatschigenComedian übernimmt. Mit seinen Servierkunststückenund mehr oder
Handstand- und Zauberkunststücke. Und immer wieder feiert der
Slapstickfröhliche Urständ .
Wird hier der Nouveau Cirque
aus demGeist des Kinos neu geboren? Aufjeden Fall wird die Artistik
der vier Akteure auchals eine zunehmendquirliger werdendeChoreografie aufgebaut. Also spielt in
diesemCircus-Kinoauchdastänzerische Elementeine Rolle.
Was der französischeCirque Le
Roux bei seiner Österreich-Premiere zum Auftakt des Winterfests
2015 im SalzburgerVolksgartenjedenfalls zeigt, ist wiedereine neue
Facette diesesim 15. Jahr stehenden
Festivals, das mittlerweile längstinternationale Reputation genießt.
de Akrobatik.Das kann ein hochvir- und ihre Kompagnonsvom Premie-
tuoser, mitreißend energetischer,
schwungvoller und buchstäblich
"schmissiger"Pas de quatre zu knackigen Rossini-Klängensein. Oder
ein Pas de deuxder Männer(freundschaft) im magisch schummrigen
Licht einer ganzen Batterie alter
ne Traumlogiksteigert, umso stär- Lampen,in dem sich quasi aus dem
ker wirktdann auch die faszinieren- Handstand wundervolle "Körperlandschaften"formen.
Da wirkt dann die Poesie der Bilderganz aus sich selbstheraus, egal
ob nun die Aktionen absurd übersteigert oder realistisch-erzählerisch, wie Theater oder wie ein
Stummfilm,ein Krimi odereine Liebesstoryaufgefasstwerden. In diesen Momenten entsteht unverBis 6. Jänner bleiben die zierliche
wechselbare, eigenständige,intensiv erlebbareKunst.
Die Poesie der Bilder
Die Aufführungverstehtes spätestens von da an, sich Stufe um
wird immer dichter
Stufe zu steigern,in einem sanften,
Lolita Costet (Miss Betty), der
schnöselige Philip Rosenberg (Mr.
Chance), der bärenstarke Yannick
Thomas (John Barick) und der
schieratemlos dahinpurzelndeund
herumtigemde Gregory Arsenal
(Jeune Bouchon)in Salzburg,um in
minderkapitalenStürzenhat dieser ihrem "Cirque-Cinema"Liebe und
schräge Butler viele Sympathien Leidenschaften, Eifersucht und ground Lacher auf seiner Seite.
ße Gefühle und eine fein abgeMan spricht in mehreren Spra- schmeckte Prise Sex andCrime auschen und durcheinanderund an- zuspielen.
einandervorbei. Babylonisch,nicht
wirklich verständlich. Es entsteht
der Eindruck, als würde ein Handlungsfadenfür eine kinematografische Sessionausgelegt,in die dann
auch die Dame des Hauses eingesponnen wird. Ein Psychothrillerin
Film-noir-Manierhebt an. Die Möbel müssen als erste Gerätschaften
herhalten für artistische Wurf-,
der "7 Fingers"aus Montreal und ihren diabolisch aufgeladenen, irrlichtemden, mit kräftigen Popelementen durchwirkten Produktionen wissen sie auch wie "Show"Spieler oder Varietekünstler zu
agieren.
Je mehrabersichderAbendin ei-
aber stetigen
Crescendo, nicht in
einer Explosionder Sinnlichkeiten.
Je länger, je mehr in diesen immer
dichter werdenden 75 Minutenintensiviert sich auch der zirzensische Ausdruck bis hin zurgroßen,
opulent ausgestellten Finalnummer an der raumhohen Stange, der
"Chinese Pole". Die da gezeigten Figuren atmen in ihrem trick- und er-
renpublikum am Donnerstag mit
StandingOvations gefeiertwurden.
Das Salzburger Winterfest, Vermächtnis des Circus-TräumersGeorg Daxner, zeigt ein Jahr nach
dessen überraschendem Tod, wie
unverbrüchlichdie Lebensberechtigung dieses Festivalsist.
Das Winterfest 2015
im Volksgarten
Drei weitereProduktionen sind
beim Winterfest zu erleben:
"Attached" von Magnamusaus
Schweden(4. bis 23.12.), das Objekttheater "Betes de Foire"
(10. bis 31.12.) und Les Rois Vagabonds mit Concertopour deux
Clowns (27.12. bis 6.1.2016).
Die Salzburger Circusschule
MOTA präsentiert am 13.12. ihr
Programm"Phantasia".
Das Spiegelzelt eröffnet am
5.12. mit The Talisman Collection
und Scheibsta.
WWW.WINTERFEST.AT
findungsreichenSpektrumspektakulärer Einfälle und derstringenten
(Körper-)Kompositionvollends den
Geist des Nouveau Cirque, wie ihn
die Winterfest-Besucherschätzen.
Die suggestiveWirkungder Musikmischung(Alexandra Streliski),
die perfekt ausgesteuerte Choreografie (Brad Musgrove), die unaufdringliche, aber spürbar effiziente
Regie (Charlotte Saliou) bilden die
Zugegeben:Das läuft ein wenig
langatmig an für den, der weniger
"Handlung"als von Anfangan zirzensischen Aplomb erwartet; die
ersten Kunststücke kommennoch
etwas beiläufigdaher. Aber es passt
durchauszum Kunstcharakterdieser Performance eines nicht nur
akrobatisch agierenden Quartetts. Das furiose Finale an der vertikalen Basis für ein letztlichkunstvoll ausAls frühere Mitgliederim Ensemble "chinesischen"Stange.
tariertes Ganzes, für das Miss Betty
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