1 Was Abiturienten wollen – Interessen, Motive und

1
Was Abiturienten wollen – Interessen, Motive und Entscheidungsprozesse der
Berufswahl als Grundlage für ein wirksames Personalmarketing
Valerie Bethke1, M.A. / Prof. Dr. Andreas Gourmelon 2
Dieser Beitrag behandelt das Entscheidungs- und Informationsverhalten schleswigholsteinischer Abiturienten 3 bei der Berufswahl. Er gibt einen aktuellen Einblick in die
beruflichen Interessen sowie die Berufswahlkriterien dieser jungen Frauen und Männer. Im
Sinne des Diversity Management werden Teilgruppen, die nach den Kriterien Geschlecht,
Migrationshintergrund und schulische Leistungen, gebildet werden, genauer betrachtet. Die
dem Beitrag zugrundeliegenden Daten stammen aus einer repräsentativen Querschnittstudie
mit 338 Abiturienten aus dem Frühsommer 2013. Die dargestellten Ergebnisse stellen eine
bedeutsame Grundlage für ein informationsbasiertes und wirksames Personalmarketing dar.
I.
Daten für ein wirksames Personalmarketing
Bedingt durch den demografischen Wandel der Gesellschaft steht auch der öffentliche Sektor
vor tief greifenden Veränderungen4. Um die Anforderungen einer immer älter werdenden
Gesellschaft bewältigen zu können, muss der öffentliche Dienst in seine größte Ressource sein Personal - investieren. Die bloße Personalverwaltung ist deshalb zu einem ganzheitlichen
und strategischen Personalmanagement weiterzuentwickeln. Der Handlungsbedarf umfasst
dabei unter anderem die Arbeitsgestaltung und -organisation, die Gesundheitsförderung, das
Wissensmanagement sowie die Personalbeschaffung5. In der hier vorgestellten Studie steht
ein Teilaspekt der Personalbeschaffung im Vordergrund: das Personalmarketing.
Das externe Personalmarketing hat in erster Linie die Funktion, neue Mitarbeiter zu
akquirieren 6. Dabei spielen die objektiven Merkmale eines Arbeitsplatzes wie Entgelt und
Arbeitszeit eine tragende Rolle. Welche Anforderungen ein potenzieller Mitarbeiter an einen
Arbeitgeber stellt - das heißt, welche objektiven Arbeitsplatzmerkmale wichtig sind -, ist sehr
unterschiedlich und richtet sich nach den persönlichen Umständen und Eigenschaften jedes
Individuums. Das hat zur Folge, dass eine Personalmarketingstrategie nicht so gestaltet sein
kann, dass sich jeder potenzielle Bewerber davon positiv angesprochen fühlt 7. Vielmehr
besteht die Notwendigkeit, sowohl die Strategie als auch die Instrumente des
Personalmarketing an den verschiedenen Anforderungen der einzelnen Bewerber
1
Die Verfasserin ist Master of Human Resource Management (M. A.) der Ruhr-Universität Bochum / FHöV NRW
und an einer Obersten Landesbehörde in Kiel tätig.
2
Der Verfasser lehrt und forscht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen,
Gelsenkirchen.
3
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z.B.
Abiturienten/Abiturientinnen verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten - soweit nicht anders angegeben - im
Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter.
4
R. Schulz, in: Gourmelon / Kirbach / Etzel (Hrsg.), Personalauswahl im öffentlichen Sektor, 2009, S. 13. BadenBaden: Nomos Verlagsgesellschaft.
5
U. Brandenburg / J.-P. Domschke, Die Zukunft sieht alt aus, 2007, S. 110. Wiesbaden: Gabler.
6
B. Tietz / R. Köhler / J. Zentes, Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, 1995, Bd. 4, S. 2009. Stuttgart:
Schäffer-Poeschel Verlag.
7
H. Simon / K. Wiltinger / G. Tacke / K-H. Sebastian, Effektives Personalmarketing: Strategien, Instrumente,
Fallstudien, 1995, S. 16. Wiesbaden: Gabler.
2
auszurichten8. Daraus folgt, dass im Personalmarketing die Ermittlung von Bedürfnissen der
Zielgruppe und das Signalisieren bzw. Realisieren ihrer Erfüllung im Vordergrund stehen 9.
Da die Umstände der jeweiligen Organisationen unterschiedlich sind, hat jede Behörde oder
Kommunalverwaltung ihr eigenes Personalmarketing-Konzept zu entwickeln 10. In Anlehnung
an Behrens und Zempel 11 sind bei der Entwicklung und Umsetzung eines PersonalmarketingKonzepts im öffentlichen Sektor vier Schritte erforderlich, diese sind in Abbildung 1 aufgelistet.
1.
2.
3.
4.
• Analyse der inneren und äußeren
Faktoren einer Organisation
• strategische Planung
• Umsetzung des Plans
• Kontrolle der Maßnahmen
Ergebnis: ein für die jeweilige Organisation
passendes Personalmarketing-Konzept
Abbildung 1: Vier Schritte zu einem individualisierten Personalmarketing-Konzept.
Bei der Analyse der inneren und äußeren Faktoren einer Organisation steht die Erhebung von
entscheidungsrelevanten Informationen im Vordergrund. Der Blick richtet sich dabei in die
Organisation (innere Faktoren) und in deren Umwelt (äußere Faktoren). In Tabelle 1 sind
Beispiele für innere und äußere Faktoren aufgeführt, zu denen Informationen erhoben werden
sollten.
8
innere Faktoren
äußere Faktoren
• quantitativer und qualitativer Personalbedarf
• Arbeitsmarktlage insgesamt, Entwicklung des
H. Simon / K. Wiltinger / G. Tacke / K-H. Sebastian, Effektives Personalmarketing: Strategien, Instrumente,
Fallstudien, 1995, S. 16. Wiesbaden: Gabler.
9
B. Tietz / R. Köhler / J. Zentes, Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, 1995, Bd. 4, S. 2009. Stuttgart:
Schäffer-Poeschel Verlag.
10
I. Behrens / C. Zempel, Personalmarketing im öffentlichen Sektor, in: Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement
im öffentlichen Sektor, 2012, Band 2, S. 30. München: Rehm.
11
I. Behrens / C. Zempel, Personalmarketing im öffentlichen Sektor, in: Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement
im öffentlichen Sektor, 2012, Band 2, S. 32 ff. München: Rehm.
3
• Werte und Leitbild der Organisation (z. B.
Orientierung
am
Gemeinwohl
oder
Gewinnorientierung)
• aktuelle und zukünftige Personalpolitik (z. B.
Vereinbarkeit Familie und Beruf), Eckpunkte
des
Personalmanagements
(z. B.
Karrierepfade)
• aktuelle und zukünftige Arbeitsinhalte und
-bedingungen
• Arbeitszufriedenheit
und
verhalten der Beschäftigten
Fluktuations-
Erwerbspersonenpotenzials
• Lage auf Teilarbeitsmärkten, z. B. bezogen
auf Berufe oder Regionen
• Image von Berufen
• Bekanntheitsgrad
Arbeitsmarkt
der
Organisation
am
• Arbeitgeber-Image
• Bedürfnisse und Wünsche von Bewerbern an
den zukünftigen Beruf/Job
• …
• …
Tabelle 1: Innere und äußere Faktoren, die bei der Entwicklung eines Personalmarketing-Konzepts beachtet
werden sollten.
Unter Berücksichtigung der im ersten Prozessschritt gewonnenen Informationen müssen
Festlegungen darüber getroffen werden, welches die Grundzüge einer zukünftigen
Personalpolitik sind und wie sich die Organisation nach außen darstellen will. Hier geht es
weniger um die konkrete Ausgestaltung von einzelnen Werbemitteln, sondern um die
Festlegung eines „roten Fadens“. Es soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden,
weshalb sich die Bewerber gerade für die eigene Organisation interessieren sollen. Die
Behörde positioniert sich – durchaus in Abgrenzung zu anderen Arbeitgebern – als Marke auf
dem Arbeitgebermarkt („employer branding“12). Eine gute Marke zeichnet sich durch Klarheit
der Botschaft, Unverwechselbarkeit, Stetigkeit und Verlässlichkeit aus; eine attraktive
Arbeitgebermarke hilft, geeignete Bewerber anzulocken und das Bestandspersonal an die
Organisation zu binden 13. Idealerweise weist eine Marke ein positives Alleinstellungsmerkmal
am Arbeitsmarkt auf.
Im dritten Schritt sind die Maßnahmen zur Umsetzung des Plans durchzuführen. Ein
Schwerpunkt der Maßnahmen ist die Personalwerbung. Ziele der Personalwerbung sind z.B.:
•
den Bekanntheitsgrad des Arbeitgebers zu erhöhen,
•
das Image des Arbeitgebers an die Markenbotschaft anzugleichen,
• die Anzahl der Bewerbungen zu erhöhen.
Dreh- und Angelpunkt aller werberischen Maßnahmen ist die Kommunikation der
Arbeitgebermarke sowie der zu besetzenden Stellen. Hierfür sind kreative Kampagnen zu
entwickeln und die angemessenen Kommunikationskanäle zu verwenden.
„Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche
Hälfte“ – dieses dem Industriellen Henry Ford zugesprochene Zitat weist darauf hin, dass die
12
M. Kolb, Personalmanagement, 2010, S. 89. Wiesbaden: Gabler.
13
S. Döring, „Employer Branding“ – Wer oder was bin ich als Arbeitgeber? PersonalMentor, September 2012, S.
3.
4
Wirkung von Personalmarketing-Maßnahmen nicht selbstverständlich ist und deren Wirkung
im vierten Schritt kontrolliert werden muss, um unnötigen Aufwand zu vermeiden.
Die in diesem Artikel beschriebene Studie setzt nun am ersten Schritt der Entwicklung eines
Personalmarketing-Konzepts an. Im Rahmen der Studie werden Informationen zu den
Erwartungen und Wünschen von potenziellen Bewerbern an ihren zukünftigen Beruf oder
Arbeitgeber erhoben. Als Zielgruppe sind in dieser Studie schleswig-holsteinische Abiturienten
bestimmt.
Ausgehend von der Überlegung, dass die Berufswahl als rationaler Entscheidungsprozess
verstanden werden kann, befasst sich die Untersuchung mit folgenden Fragen:
1. Welche beruflichen Interessenschwerpunkte weisen die schleswig-holsteinischen
Abiturienten auf?
2. Wo stehen schleswig-holsteinische Abiturienten kurz vor Ende der Schulzeit im
Berufswahlprozess?
3. Welche Informationsquellen nutzen schleswig-holsteinische Abiturienten bei der
Arbeitgebersuche/Berufswahl?
4. Welche Anforderungen stellen schleswig-holsteinische Abiturienten an einen
Arbeitgeber? Welche Berufswahlmotive sind entscheidend für die Berufswahl?
Diese Fragen werden nicht nur für die Gesamtheit der Abiturienten beantwortet. Darüber
hinaus werden auch Antworten für Teilgruppen von Abiturienten erarbeitet. Teilgruppen
werden nach den Merkmalen Geschlecht, Migrationshintergrund und Schulleistung gebildet.
Mit der Ermittlung von Informationen zu diesen Teilgruppen soll der Informationsbedarf
befriedigt werden, der entsteht, wenn vermehrt Bewerberinnen, Bewerber mit
Migrationshintergrund oder sogenannte „high potentials“ angeworben werden sollen.
Die Studie und deren Ergebnisse sind in Zusammenhang mit anderen Datenquellen zu
betrachten. Studien zur Berufswahlmotivation im öffentlichen Sektor gibt es zumindest seit
dem Jahr 196414, neuere Studien 15 unterscheiden sich hinsichtlich Methodik und ausgewählter
Fragestellungen und Zielgruppen.
II.
Methodik der Studie
Um die beschriebenen Fragestellungen zu beantworten, ist eine quantitative Querschnittstudie
bei der oben genannten Zielgruppe durchgeführt worden. Nach Angaben des Statistikamtes
Nord haben im Schuljahr 2012/2013 an 143 allgemeinbildenden Schulen in Schleswig14
z.B. G. Hartfiel / L. Sedatis / D. Claessens, Beamte und Angestellte in der Verwaltungspyramide, 1964; G.
Etzkorn, Motive der Berufswahl, in: Bosetzky (Hrsg.), FHSVR-Absolventen in der Berliner Verwaltung, 1978, S. 8 ff;
E. Pappermann / S. Frechen / H. Kauther / W. Pippke / S. Roters, Zur Bewährung der Ausbildung an
Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst, 1982, Regensburg: Verlag Recht, Verwaltung, Wirtschaft.
15
z.B. A. Gourmelon, Berufswahlmotive von Nachwuchsbeamten und deren Einfluss auf Studienleistungen, DÖD,
12/2005, S. 265 – 270; M. Oechsle / H. Knauf / C. Maschetzke / E. Rosowski, Abitur und was dann? 2009,
Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften; B. Neubach, Differenzierte Bewerberansprache von Schülerinnen
und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund, Berufsbildung - Zeitschrift für Praxis und Theorie in Betrieb
und Schule, 2012, 137, S. 37-39; A. Schmidt-Koddenberg / S. Zorn, Zukunft gesucht! Berufs- und
Studienorientierung in der Sek. II, 2012, Opladen.
5
Holstein 9.616 Schüler die allgemeine Hochschulreife als Schulabschluss angestrebt. Aus der
Gesamtheit dieser Schulen wurde eine geschichtete Zufallsstichprobe von 20 Schulen (14 %)
gezogen. Von diesen 20 Schulen waren 8 (6 %) dazu bereit, an der Untersuchung
teilzunehmen. Daraus ergab sich eine theoretische Anzahl von 572 teilnehmenden
Abiturienten, von denen 53 % weiblich und 47 % männlich waren. Die regionale Verteilung
(Nord-Süd, Ost-West) der Schulen in der Stichprobe war ausgewogen. Es waren sowohl
städtische als auch ländliche Schulen vertreten. Hinsichtlich der Schulgröße ist die Stichprobe
leicht zugunsten der größeren Schulen ausgefallen. Die kleinste Schule umfasste 720 Schüler,
während die größte Schule von 1.175 Schülern besucht wurde.
Als Erhebungsinstrument wurde ein Fragebogen mit 5 Fragen zur Untersuchungsthematik
sowie 3 Fragen zu soziodemografischen Merkmalen eingesetzt (siehe Tabelle 2).
Untersuchungsfragen
Antwortmöglichkeiten
1. In wenigen Wochen verlassen Sie die Schule. 6 verschiedene Antworten in
Wenn Sie an Ihre Pläne hinsichtlich Beruf/Studium Anlehnung an den Ablauf eines
denken, welche Aussage trifft am ehesten auf Sie zu? Entscheidungsprozesses
2. Wenn Sie sich schon entschieden haben, wann ist 6 verschiedene Antworten in
chronologischer Abfolge
die Entscheidung gefallen?
12 Items mit bipolaren
3. Bitte kreuzen Sie für jede der nachfolgend
Ratingskalen von
genannten Tätigkeiten auf der Skala an, wie
1 (=sehr interessant) bis
interessant Sie sie finden.
5 (=nicht interessant)
19 Items mit bipolaren
4. Welche Informationsquellen haben Sie genutzt, um
Ratingskalen von
sich über mögliche Berufe zu informieren und wie
1 (=sehr hilfreich) bis
hilfreich waren diese Quellen?
5 (=nicht hilfreich) sowie
„nicht genutzt“
16 Items mit bipolaren
5. Unabhängig von den Tätigkeiten, die Sie
Ratingskalen von
interessieren, wie wichtig sind Ihnen folgende Kriterien
1 (=sehr wichtig) bis
bei der Berufswahl?
5 (=nicht wichtig)
6. Geschlecht
Weiblich / Männlich
7. Migrationshintergrund 16
Ja / Nein
8. Aktueller Notendurchschnitt
Freitextfeld
Tabelle 2: Inhalte des Fragebogens.
Der Inhalt sowie die äußere Gestaltung des Fragebogens wurden bei einer Pilotbefragung
getestet. Bei den Items zur Frage Nr. 3 handelt es sich um eine selbstentwickelte Kurzversion
16
Migrationshintergrund liegt vor, sofern der Schüler nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder neben
der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt oder er nicht in Deutschland geboren wurde oder
mindestens einer der Elternteile nicht in Deutschland geboren wurde und nach 1949 nach Deutschland
zugewandert ist.
6
des Allgemeinen Interessen-Struktur-Tests (AIST-R) 17. In der Pilotbefragung wurden
diejenigen Items des AIST-R, die sich auf akademische Berufe beziehen lassen, einer
Faktorenanalyse 18 unterzogen. Anschließend wurden für die Kurzversion die beiden Items pro
Dimension ausgewählt, die am höchsten auf der jeweiligen Dimension luden.
Exkurs: RIASEC-Modell der beruflichen Interessen nach John Holland
Gemäß den Vorstellungen Hollands können mit dem RIASEC-Modell sechs grundlegende
berufliche Interessen- oder Persönlichkeitsorientierungen unterschieden werden19:
- Realistic (R) – Personen dieser Interessenorientierung bevorzugen Tätigkeiten, die Kraft,
Koordination und Handgeschicklichkeit erfordern und zu konkreten, sichtbaren Ergebnissen
führen,
- Investigative (I) – hier werden Aktivitäten bevorzugt, bei denen die Auseinandersetzung mit
physischen, biologischen oder kulturellen Phänomenen mithilfe systematischer Beobachtung
und Forschung im Mittelpunkt steht,
- Artistic (A) – bei dieser Interessenorientierung bevorzugen die Personen offene,
unstrukturierte Aktivitäten, die eine künstlerische Selbstdarstellung oder die Schaffung
kreativer Produkte ermöglichen,
- Social (S) – Personen dieser Orientierung bevorzugen Tätigkeiten, bei denen sie sich mit
anderen in Form von Unterrichten, Lehren, Ausbilden, Versorgen oder Pflegen befassen
können,
- Enterprising (E) – hier werden Tätigkeiten oder Situationen bevorzugt, bei denen die
Personen andere mithilfe der Sprache oder anderer Mittel beeinflussen, zu etwas bringen,
führen, auch manipulieren können,
- Conventional (C) – es werden Tätigkeiten bevorzugt, bei denen der strukturierte und
regelhafte Umgang mit Daten im Vordergrund steht, z. B. Aufzeichnungen führen, Daten
speichern, Dokumentationen führen u. Ä. m. (ordnend-verwaltend).
Die Interessensausprägung einer einzelnen Person kann aufgrund ihrer Nähe zu einer dieser
Grundorientierungen zugeordnet werden, mit einer weiteren Differenzierung können 120
Subtypen gebildet werden (z. B. R-I-S – hier hat die Interessenausprägung einer Person die
größte Nähe zum Typ R, die zweitgrößte Nähe zum Typ I, die drittgrößte Nähe zum Typ S).
Auch Berufe und Tätigkeiten lassen sich mit diesen Interessentypen klassifizieren. Personen
suchen gemäß dem Modell nach beruflichen Umwelten, die sich in höchstmöglicher
Übereinstimmung mit der eigenen Interessensorientierung befinden. Je höher die
Übereinstimmung – so die plausible Annahme –, desto größer die berufliche Leistung und
C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005,
Göttingen: Hogrefe-Verlag.
18
Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse, Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung.
19
C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005,
S. 14. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
17
7
Zufriedenheit und desto geringer die Fluktuation 20. Eine hohe Übereinstimmung läge z. B. vor,
wenn ein junger Mensch mit einer „R“-Interessensorientierung sich für einen der Berufe
Zahntechniker, Elektroingenieur, Bauingenieur, Kfz-Mechatroniker entscheiden würde, die sich
durch Anforderungen im „R“-Bereich auszeichnen.
I
A
R
S
C
E
Abbildung 2: Mit dem hexagonalen Modell kann die psychologische Verwandtschaft der einzelnen
Interessenorientierungen zueinander bestimmt werden. Je geringer die räumliche Distanz, desto größer die
psychologische Verwandtschaft. Beispiel: „Conventional“ und „Artistic“ weisen eine geringe psychologische
Verwandtschaft auf (Abbildung nach: Bergmann / Eder, 2005, S. 16).
Welcher RIASEC-Dimension ein Mensch angehört, kann mittels des Allgemeinen InteressenStruktur-Tests Revision (AIST-R) festgestellt werden. In der hier vorgestellten Untersuchung
wurde der AIST-R in einer verkürzten Form verwendet (vgl. Frage 3 im Fragebogen), um die
Gesamtheit der Abiturienten in die oben genannten sechs verschiedenen
Interessensdimensionen einzuteilen und um interessensbezogene Unter-Zielgruppen zu
bilden. Dies ist insofern nützlich, als dass es eine Interessensdimension gibt (Conventional),
die grundsätzlich gut zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst passt, da sich Menschen
dieser Orientierung für geordnete, systematische und verwaltende Tätigkeiten interessieren21.
Die Haupterhebung der Studie fand im Mai 2013, also kurz vor den Abiturprüfungen, statt.
Dabei wurden die Fragebögen in ausreichender Anzahl an die teilnehmenden Schulen
versandt und von diesen ausgefüllt zurückgesandt. Die Datenauswertung erfolgte mit dem
Statistikprogramm SPSS 18.
H. Schuler / S. Höft, Konstruktorientierte Verfahren der Personalauswahl, in: Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der
Personalpsychologie, 2006, S. 101-144 (126). Göttingen: Hogrefe-Verlag.
21
C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005,
S. 23. Göttingen: Hogrefe-Verlag.
20
8
III.
Ergebnisse
Die Rücklaufquoten der acht teilnehmenden Schulen reichten von 25 % bis 86 %. Von den
572 Abiturienten, die theoretisch an der Erhebung hätten teilnehmen können, haben 338 einen
Fragebogen ausgefüllt. Demnach betrug die Rücklaufquote insgesamt 59 %. Von diesen 338
Abiturienten waren 175 weiblich (52 %) und 160 (47 %) männlich. Drei Teilnehmer (1 %)
haben ihr Geschlecht nicht angegeben. Von den 338 Abiturienten hatten 22 (7 %) einen
Migrationshintergrund. Drei Teilnehmer haben auch hier keine Angabe getätigt. Insgesamt
hatten 63 Schüler (19 %) einen sehr guten Notendurchschnitt (<2,0). 260 Abiturienten (77 %)
hatten einen Notendurchschnitt von 2,0 und schlechter. 15 Schüler (4 %) haben ihre Note
nicht angegeben.
III.1 Berufliche Interessen der Abiturienten
Der berufliche Interessenschwerpunkt der teilnehmenden Abiturienten (in Anlehnung an das
RIASEC-Modell nach John Holland) ist aus nachstehender Abbildung 3 ersichtlich.
Realistic
12%
gemischte
Interessen
20%
Investigative
9%
Conventional
4%
Artistic
20%
Enterprising
21%
Social
14%
Abbildung 3: Berufliche Interessen der befragten Abiturienten insgesamt.
Die knappe Mehrheit der Schüler ist unternehmerisch (Enterprising = 21 %) orientiert. Fast
ebenso viele Zuordnungen hat die künstlerisch-sprachliche Interessensdimension (Artistic =
20 %). 20 % der Schüler sind unter der Kategorie gemischte Interessen erfasst. Diese Schüler
lassen sich keiner Dimension eindeutig zuordnen, da sie eine vielseitige Orientierung zeigen
und zwischen 2 und 4 Dimensionen gleichermaßen interessant finden. Konventionell orientiert
sich lediglich 4 % der Abiturienten.
III.2
Entscheidungsphase und -zeitpunkt
In welcher Phase des Entscheidungsprozess sich die Abiturienten kurz vor Schulende
befinden, ist aus Abbildung 4 ersichtlich.
9
Ich habe mich schon entschieden und bin mir
meiner Entscheidung sicher.
39%
Ich habe mich schon entschieden, bin mir aber
nicht ganz sicher.
19%
Ich entscheide mich derzeit zwischen mehreren
Alternativen.
18%
Ich möchte mich entscheiden und sammle derzeit
Informationen.
8%
Ich habe andere Pläne und entscheide mich später
hinsichtlich Beruf/Studium.
11%
Ich habe noch gar keine Ahnung, was ich machen
werde.
5%
Abbildung 4: Phase im Berufswahl-Entscheidungsprozess (N=338).
Von den 338 Abiturienten haben 58 % kurz vor Ende ihrer Schulzeit bereits eine Entscheidung
hinsichtlich ihrer beruflichen Pläne getroffen. 26 % der Abiturienten befinden sich noch im
Entscheidungsprozess, während die übrigen 16 % noch nicht in den Entscheidungsprozess
eingetreten sind. Abbildung 5 gibt Informationen zum Entscheidungszeitpunkt wieder.
Kann ich nicht sagen.
8%
Bereits vor Beginn des letztes Schuljahres.
26%
Im letzten Schuljahr (unabhängig vom
Wirtschaftspraktikum).
Im Rahmen des Wirtschaftspraktikums im letzten
Schuljahr.
18%
3%
Im 1. Halbjahr des aktuellen Schuljahres.
24%
Im 2. Halbjahr des aktuellen Schuljahres.
21%
0%
10%
20%
Abbildung 5: Entscheidungszeitpunkt von denjenigen Abiturienten, die bereits eine berufliche Entscheidung
getroffen haben (N = 196).
Von den 196 Abiturienten, die schon Pläne hinsichtlich Studium und/oder Beruf hatten, haben
sich 45 % im 13. Jahrgang und 21 % im 12. Jahrgang entschieden. Weitere 26 % haben ihre
Entscheidung bereits vor Beginn des 12. Jahrgangs getroffen.
III.3
Informationsquellen
Welche Quellen die Abiturienten genutzt haben, um sich über mögliche Berufe zu informieren,
geht aus Tabelle 3 hervor.
10
Rang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Quelle
genutzt von
Internet allgemein (z. B. google)
Praktika
Freunde / Bekannte
Eltern / Verwandte
Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und Berufswahl
Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein
Webseiten von Hochschulen
Infomaterialien / Flyer / Broschüren / Plakate
Webseiten von Unternehmen / Behörden
Veranstaltungen und Angebote der Schule
Job-Messen
Berufseignungstests / Persönlichkeitstests
BiZ / Arbeitsagentur
Lehrer
Angebote von Hochschulen (z. B. Studienberatung)
Radio / Fernsehen
Soziale Netzwerke im Internet (z. B. facebook)
Angebote von Unternehmen / Behörden (z. B. Tag der offenen Tür)
Girls' Day / Boys' Day
95,24 %
91,96 %
89,29 %
87,80 %
86,90 %
81,55 %
79,46 %
78,27 %
75,89 %
69,64 %
69,35 %
64,58 %
62,20 %
60,12 %
55,65 %
53,87 %
51,79 %
42,86 %
22,62 %
Tabelle 3: Nutzungsgrad der Informationsquellen (Mehrfachantworten möglich).
Die am häufigsten genutzte Informationsquelle ist das allgemeine Internet. Weitere häufig
genutzte Quellen sind Praktika mit fast 92 % Nutzungsniveau sowie Freunde / Bekannte und
Eltern / Verwandte. Ebenfalls beliebt sind Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und
Berufswahl sowie Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein. Soziale Netzwerke im
Internet werden von rund der Hälfte aller Abiturienten genutzt und rangieren auf dem
drittletzten Platz. Angebote von Unternehmen / Behörden nutzen lediglich 43 %. Die am
wenigsten genutzte Quelle sind Girls‘ Days bzw. Boys‘ Days.
Als wie hilfreich die genutzten Quellen bewertet worden sind, kann aus Tabelle 4 entnommen
werden. Die Quellen sind aufsteigend nach ihrem Mittelwert sortiert, wobei die Quelle umso
hilfreicher eingeschätzt wurde je kleiner der Mittelwert ist.
Rang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Quelle
Internet allgemein
Webseiten von Hochschulen
Webseiten von Unternehmen/Behörden
Praktika
Freunde/Bekannte
Angebote von Hochschule
Eltern/Verwandte
Bücher zur Studien-/Berufswahl
Job-Messen
Berufseignungstests/Persönlichkeitstests
Mittelwert
1,84
2,07
2,33
2,49
2,53
2,55
2,55
2,64
2,82
2,91
Standardabweichung
,903
1,001
1,090
1,113
1,049
,996
1,068
1,037
1,103
1,257
11
11
12
13
14
15
16
17
18
19
2,93
2,97
3,10
3,11
3,41
3,47
3,52
3,54
4,38
Zeitung/Zeitschriften allgemein
Flyer/Broschüren/Plakate
Angebote von Unternehmen/Behörden
BiZ / Arbeitsagentur
Soziale Netzwerke im Internet (facebook)
Lehrer
Radio/Fernsehen
Schulveranstaltungen
Girls‘Day/Boys‘Day
1,041
1,054
,980
1,078
1,217
1,202
1,041
1,077
1,107
Tabelle 4: Einschätzung der Abiturienten, wie hilfreich die jeweilige Informationsquelle war.
Auch hier steht das allgemeine Internet an erster Stelle. Ebenfalls als ziemlich hilfreich wurden
Webseiten von Hochschulen sowie Webseiten von Unternehmen und Behörden empfunden.
Wenig hilfreich waren Lehrer, Radio und Fernsehen, soziale Netzwerke sowie
Schulveranstaltungen. Am wenigsten hilfreich waren Girls‘ Days bzw. Boys‘ Days.
III.4
Anforderungen an einen Arbeitgeber / Berufswahlmotive
Wie wichtig den Abiturienten die im Fragebogen genannten Kriterien bei der Berufswahl sind,
ist aus Tabelle 5 ersichtlich. Die Kriterien sind aufsteigend nach ihrem Mittelwert sortiert,
wobei das Kriterium umso wichtiger bewertet wurde je kleiner der Mittelwert ist.
Rang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Kriterien
Spaß bei der Arbeit
Sicherer Arbeitsplatz
Berufliche Erfüllung
Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Abwechslungsreiche Aufgaben
Eigenverantwortliche Tätigkeit
Gute Aufstiegschancen
Gehalt
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Weiterbildungsmöglichkeiten
Teamarbeit
Geregelte Arbeitszeiten
Soziales Engagement
Internationalität
Gesellschaftliches Ansehen
Heimatnaher Standort
Mittelwert
1,41
1,70
1,77
1,80
1,91
1,95
2,02
2,06
2,09
2,18
2,52
2,64
2,67
2,78
2,92
3,28
Standardabweichung
,689
,749
,906
,885
,932
,826
,962
,829
1,084
,979
1,080
1,169
1,237
1,194
1,081
1,303
Tabelle 5: Bedeutung von Berufswahlmotiven.
Das mit Abstand wichtigste Kriterium bei der Berufswahl ist der Spaß bei der Arbeit. Es folgen
ein sicherer Arbeitsplatz, berufliche Erfüllung sowie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur
mittelmäßig wichtig sind unter anderem Internationalität und das gesellschaftliche Ansehen.
Das im Durchschnitt am wenigsten wichtige Berufswahlkriterium ist ein heimatnaher Standort.
12
III.5
Unterschiede von Teilgruppen
Die Verteilung auf die beruflichen Interessensdimensionen innerhalb der Geschlechter ist in
den Abbildungen 6 und 7 dargestellt.
Männer
Frauen
gemischt
=20%
R=3%
I=9%
gemischt
=21%
R=22%
C=3%
C=5%
A=26%
I=10%
E=15%
E=27%
A=13%
S=23%
Abbildungen 6 und 7: Berufliche Interessenschwerpunkte der Abiturienten getrennt nach Geschlechtern
(R=Realistic, I=Investigative, A=Artistic, S=Social, E=Enterprising, C=Conventional, gemischt=gemischte
Interessen).
Während die männlichen Abiturienten überwiegend unternehmerisch (E = 27 %) orientiert
sind, zeigen die Abiturientinnen vornehmlich künstlerisch-sprachliche Interessen (A = 26%).
Die Dimension Realistic ist bei den Männern sehr beliebt, bei den Frauen hingegen eher
unbeliebt. Bei der Dimension Social verhält es sich genau umgekehrt: sozial orientiert sind
23 % der Abiturientinnen, jedoch lediglich 3 % der männlichen Abiturienten.
In welcher Phase des Entscheidungsprozesses sich die Schüler befinden, ist signifikant22 vom
Geschlecht abhängig. Deutlich mehr Abiturientinnen (15,4 %) als ihre männlichen
Klassenkameraden (5,6 %) haben nach dem Abitur zunächst andere Pläne und entscheiden
sich deshalb später über Beruf / Studium. Außerdem haben dreimal so viele männliche
Abiturienten (6,9 %) als ihre Mitschülerinnen (2,3 %) noch gar keine Ahnung, was sie nach
dem Abitur machen werden. Auch mit der Entscheidung zwischen Alternativen sowie mit der
Sammlung von Informationen sind etwas mehr männliche Schüler als Schülerinnen befasst.
Unterschiede zwischen den Teilgruppen differenziert nach Migrationshintergrund oder
Notendurchschnitt weisen keine Signifikanzen im Hinblick auf Entscheidungsphase und –
zeitpunkt auf.
Bei der Nutzung und Bewertung der Informationsquellen sind einige statistisch signifikante 23
Unterschiede zwischen den nachfolgend genannten Teilgruppen vorhanden.
Frauen versus Männer
22
23
Chi-Quadrat-Test, p=,030.
Exakter Test nach Fisher bei Quellennutzung, p<,05; Mann-Whitney-U-Test bei Quellenbewertung, p<,05.
13
•
•
•
Job-Messen und Internet allgemein werden von den Abiturientinnen häufiger genutzt
als von ihren männlichen Klassenkameraden.
Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und Berufswahl, Zeitung / Zeitschriften
allgemein sowie Girls‘ Day / Boys‘ Day werden von den Abiturientinnen besser
bewertet als von ihren männlichen Mitschülern.
Lehrer als Informationsquelle sind für die männlichen Abiturienten hilfreicher als für die
Abiturientinnen.
Notendurchschnitt <2,0 versus Notendurchschnitt >=2,0
•
•
•
Job-Messen, Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein und soziale Netzwerke im
Internet wie facebook werden von den „high potentials“ weniger häufig genutzt als von
den übrigen Schülern.
Webseiten von Hochschulen werden eher von den „high potentials“ frequentiert als von
ihren Mitschülern mit einem weniger guten Notendurchschnitt.
Girls‘ Day / Boys‘ Day sind für die Abiturienten mit einem weniger guten
Notendurchschnitt hilfreicher als für die „high potentials“.
Hinsichtlich der Anforderungen an einen Arbeitgeber bzw. den Berufswahlmotiven
unterscheiden sich die Teilgruppen in vielerlei Hinsicht.
Frauen versus Männer
Die Unterschiede zwischen den Abiturientinnen und Abiturienten sind mit Tabelle 6 dargestellt.
Mittel Frauen
Mittel Männer
Signifikanz 24
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
1,81
2,41
<,001
Soziales Engagement
2,26
3,13
<,001
Abwechslungsreiche Aufgaben
1,77
2,06
,001
Berufliche Erfüllung
1,59
1,96
,001
Weiterbildungsmöglichkeiten
2,03
2,35
,006
Gehalt
2,17
1,94
,008
Geregelte Arbeitszeiten
2,52
2,77
,035
Kriterium
Tabelle 6: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wichtigkeit von Berufswahlkriterien. Je kleiner der
Mittelwert, desto wichtiger wurde das Kriterium bewertet.
Das einzige Kriterium, welches den männlichen Abiturienten signifikant wichtiger ist als ihren
Klassenkameradinnen, ist das Gehalt. Die übrigen in der Tabelle aufgeführten Kriterien sind
den Abiturientinnen wichtiger als ihren männlichen Mitschülern.
Abiturienten mit Migrationshintergrund versus Abiturienten ohne Migrationshintergrund
Internationalität und Gehalt sind den Abiturienten mit Migrationshintergrund wichtiger als den
Abiturienten ohne Migrationshintergrund 25.
Notendurchschnitt <2,0 versus Notendurchschnitt >=2,0
24
25
Mann-Whitney-U-Test.
Mann-Whitney-U-Test, jeweils p=,013.
14
Eine eigenverantwortliche Tätigkeit 26, das Gehalt 27 und gute Aufstiegschancen28 sind den sehr
guten Abiturienten wichtiger als den Schülern mit einem schlechteren Notendurchschnitt.
Weniger gute Abiturienten legen mehr Wert auf einen heimatnahen Standort29 und
Teamarbeit 30 als die „high potentials“.
IV.
Handlungsempfehlungen
Aus den vorliegenden Daten können Handlungsempfehlungen in Bezug auf einen guten
Zeitpunkt für Personalmarketingmaßnahmen, effektive Kommunikationskanäle sowie
ansprechende Inhalte von Werbebotschaften abgeleitet werden. An dieser Stelle sollen die
wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Untersuchung genannt werden.
IV.1 Bewerbungsfristen verlängern
Die 13. Jahrgangsstufe ist der Zeitraum, in der sich nahezu die Hälfte der Abiturienten für
einen Beruf bzw. ein Studium entscheidet. Problematisch ist, dass die Bewerbungsfristen für
eine Einstellung beim Land Schleswig-Holstein zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen sind.
Momentan werden Nachwuchskräfte zum 01.08. / 01.09. / 01.10. (je nach Fachrichtung) eines
jeden Jahres eingestellt. Der Bewerbungsschluss ist in der Regel der 30.09. des Vorjahres,
also ein Zeitpunkt an dem sich 45 % der Abiturienten noch gar nicht entschieden haben, was
sie nach dem Abitur machen werden. Die Bewerbungsfristen sollten deshalb deutlich
verlängert werden. Würde der Bewerbungsschluss z. B. auf den 31.12. des Vorjahres fallen,
könnten sich (zumindest theoretisch) noch die Schüler bewerben, die sich im 1. Halbjahr des
13. Jahrgangs entscheiden - und das sind immerhin 24 %.
IV.2 Praktikumsangebote ausbauen
Praktika haben mit 92 % das zweithöchste Nutzungsniveau. Das hohe Nutzungsniveau könnte
man zwar darauf zurückführen, dass Praktika von den Schulen als obligatorische Maßnahme
im Rahmen der Berufsfindung durchgeführt werden. Allein die Verpflichtung bedingt jedoch
noch keine aktive Nutzung. Die Schüler können das Praktikum auch teilnahmslos über sich
ergehen lassen. Die Bewertung von Praktika liegt im Durchschnitt bei 2,49 und ist damit die
am besten bewertete Quelle außerhalb des Internet. Insofern kann davon ausgegangen
werden, dass Praktika von den Schülern aktiv genutzt werden, um sich über mögliche Berufe
zu informieren. Das hat jedoch nicht zwangsläufig zu bedeuten, dass sich die Bewerberzahlen
erhöhen, wenn man Praktika anbietet. Schließlich kann ein Praktikum in zweifacher Hinsicht
hilfreich sein. Entweder, der Schüler entscheidet sich für den Praktikumsberuf, weil dieser ihm
gefallen hat oder er entscheidet sich dagegen, weil er im Rahmen des Praktikums feststellt,
dass die Tätigkeit doch nicht so interessant ist wie angenommen. In beiden Fällen kann
jedoch auch die Praktikumsstelle davon profitieren. Entweder kommt es zu einer interessierten
Bewerbung oder die Bewerbung oder gar Einstellung eines nicht passenden Kandidaten bleibt
26
Mann-Whitney-U-Test, p<,001.
Mann-Whitney-U-Test, p=,034.
28
Mann-Whitney-U-Test, p=,045.
29
Mann-Whitney-U-Test, p=,009.
30
Mann-Whitney-U-Test, p=,019.
27
15
erspart. In jedem Fall kann eine Organisation ein Praktikum dazu nutzen, sich gegenüber
potenziellen Bewerbern positiv darzustellen. Praktikanten können außerdem ihre (hoffentlich
guten) Erfahrungen mit ihren Mitschülern teilen und so langfristig zu einer Imageverbesserung
des öffentlichen Dienstes beitragen. Es wird dem öffentlichen Sektor deshalb empfohlen,
vermehrt Praktika für Gymnasialschüler der Oberstufe anzubieten.
Es ist wichtig, dass sich in den Dienststellen Mitarbeiter finden, die motiviert sind, diese
Aufgabe zu übernehmen und einen oder mehrere Schüler zu betreuen. Denn nur ein
motivierter und kompetenter Mitarbeiter kann einem Praktikanten einen guten Eindruck von
der Behörde vermitteln. Für die Mitarbeiter könnte die Betreuung von Praktikanten mit einem
Anreiz verbunden werden (z. B. anschließend ein Tag Dienstbefreiung).
IV.3
Investitionen in Apps und nicht in Facebook
Bei den für die Berufswahlentscheidung verwendeten Informationsquellen steht das Internet
an erster Stelle, gefolgt von Praktika, Freunden/Bekannten, Eltern/Verwandten sowie Büchern
oder Zeitschriften zur Berufswahl. Am Ende stehen soziale Netzwerke – wie z.B. facebook –
sowie Informationsangebote von Unternehmen. Das Internet, Praktika, Freunde und Eltern
werden eher als hilfreiche, soziale Netzwerke, Lehrer, Radio/Fernsehen eher als wenig
hilfreiche Informationsquellen gewertet. Insofern ist der Hype um die Verwendung von social
media im Bereich der Personalwerbung angesichts dieser Daten kritisch zu bewerten.
Facebook und ähnlichen Medien wird von vielen Personalmanagern eine zu hohe Bedeutung
für die Personalwerbung zugesprochen. Die knappen Ressourcen sollten hier eher nicht
investiert werden. Wichtiger erscheint derzeit die Informationsmöglichkeiten über das
allgemeine Internet weiter zu verbessern und hier insbesondere das mobile Internet (Zugriff
via smartphone) zu berücksichtigen.
IV.4 Zielgruppenspezifisch werben
Folgende Berufswahlkriterien sind im Durchschnitt den Abiturienten am Wichtigsten: Spaß bei
der Arbeit, ein sicherer Arbeitsplatz, berufliche Erfüllung, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt,
abwechslungsreiche Aufgaben sowie eine eigenverantwortliche Tätigkeit. Es ist offensichtlich,
dass der öffentliche Dienst die wichtigsten Bedürfnisse der Abiturienten erfüllen kann. Spaß
bei der Arbeit und berufliche Erfüllung sind natürlich subjektiv und können nicht pauschal
gewährleistet werden. Ein sicherer Arbeitsplatz, abwechslungsreiche Aufgaben und eine
eigenverantwortliche Tätigkeit sind hingegen nahezu garantiert. Auch die guten Chancen auf
dem Arbeitsmarkt sind gegeben, wenn man sie in der Hinsicht interpretiert, dass nach dem
Vorbereitungsdienst zumeist keine Arbeitslosigkeit zu befürchten ist. Dem öffentlichen Dienst
stehen somit genügend attraktive Eigenschaften zur Verfügung, mit denen um die Gunst der
Abiturienten geworben werden kann. Die Empfehlung lautet jedoch nicht, mit allen eben
genannten Kriterien gleichzeitig zu werben, und zwar aus folgendem Grund: In Bezug auf die
einzelnen Teilgruppen differenziert nach Geschlecht, Migrationshintergrund und
Notendurchschnitt konnten zahlreiche Unterschiede in den Präferenzen festgestellt werden.
Aus dieser Tatsache lässt sich ein wesentlicher Grundgedanke ableiten: Werbebotschaften
müssen sich stets an bestimmte Teilgruppen richten und auf diese zugeschnitten sein. Anstatt
also alle wichtigen Kriterien z.B. in einem einzigen Werbemedium aufzulisten, sollten mehrere
Werbemedien (z.B. eines für weibliche, eines für männliche Bewerber, eines für Migranten,
16
eines für sehr gute Schüler) mit unterschiedlichen Slogans gestaltet werden. Dadurch würde
sich jede Teilgruppe individuell angesprochen fühlen und sich besser mit der Botschaft
identifizieren können. Weitgehend individualisierte Botschaften werden eine größere Wirkung
entfalten als generelle Darstellungen.
IV.5 Spaß bei der Arbeit: genau hinterfragen!
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass „Spaß bei der Arbeit“ ein sehr bedeutsames Kriterium bei
der Berufswahl von Jugendlichen ist. Nicht nur Eltern verzweifeln jedoch daran zu verstehen,
was die die jungen Frauen und Männer damit eigentlich genau meinen. Der Zugang zum
Verständnis von „Spaß bei der Arbeit“ (oder dem „cool“-sein eines Berufs) kann über das
Konstrukt „berufliche Interessen“ gelingen. Mit der Studie wurde erfasst, welches die
beruflichen Interessenschwerpunkte der Abiturienten sind, was ihnen also Spaß macht.
Personalmarketing-Konzepte sollten nun auf der Grundlage dieser Informationen zu den
Interessenschwerpunkten gestaltet werden.
V.
Kritik und Ausblick
Die Aussagekraft dieser Studie unterliegt einigen Einschränkungen. So wird im Rahmen der
Studie von einem rationalen Entscheidungsprozess der Abiturienten ausgegangen. Es ist
jedoch bekannt, dass auch andere Faktoren als die rationale Entscheidung des Jugendlichen
einen erheblichen Einfluss auf die Berufswahl haben können. Des Weiteren haben rund 60 %
der aufgeforderten Schulen bei der Befragungsaktion nicht mitgewirkt. Zwar ist bei den
Absagen eine Systematik nicht erkennbar, diese lässt sich aber auch nicht ausschließen.
Damit kann die Repräsentativität der Daten beeinträchtigt sein. Zur Erfassung der beruflichen
Interessen wurde eine Kurzversion eines bewährten Interessentests verwendet. Inwieweit
diese Kurzversion die Testgütekriterien erfüllt - die beruflichen Interessen also tatsächlich
zuverlässig und valide erfasst - konnte im Rahmen der Studie nicht geklärt werden.
Hinsichtlich der Fallzahlen konnten genügend große Teilgruppen für die Merkmale
„Geschlecht“ und „high potentials“ gebildet werden; bei dem Merkmal „Migration“ ist die
entsprechende Teilgruppe zahlenmäßig recht klein. Dadurch werden tatsächliche
Unterschiede durch die verwendeten statistischen Methoden nur schwer entdeckt. Es handelte
sich fürderhin hinsichtlich des Informationsverhaltens und der Berufswahlkriterien um Fragen,
bei denen eine Reihe von Antwortmöglichkeiten vorgegeben wurde. Ob noch weitere
Informationsquellen oder Berufswahlkriterien von den Abiturienten verwendet werden, ist nicht
bekannt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es vermutlich nicht zulässig ist, die
erhobenen Daten aus Schleswig-Holstein ohne Weiteres auf andere Regionen Deutschlands
zu übertragen. Sofern beispielsweise in Süddeutschland andere Arbeitsmarktbedingungen
vorherrschen, ist z.B. von anderen Bedeutsamkeiten im Hinblick auf die Berufswahlkriterien
auszugehen.
Dennoch bietet die Studie den Personalverantwortlichen eine Fülle von Informationen an, mit
denen sich zielgruppenorientiertes Personalmarketing bewerkstelligen lässt. Angesichts der
dargestellten beruflichen Interessen und Erwartungen der Abiturienten kann die Frage nach
der grundsätzlichen Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes auf dem Arbeitsmarkt
eindeutig bejaht werden. Den Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte kann man
allerdings nur dann gewinnen, wenn man ihn bestreitet.