1 Was Abiturienten wollen – Interessen, Motive und Entscheidungsprozesse der Berufswahl als Grundlage für ein wirksames Personalmarketing Valerie Bethke1, M.A. / Prof. Dr. Andreas Gourmelon 2 Dieser Beitrag behandelt das Entscheidungs- und Informationsverhalten schleswigholsteinischer Abiturienten 3 bei der Berufswahl. Er gibt einen aktuellen Einblick in die beruflichen Interessen sowie die Berufswahlkriterien dieser jungen Frauen und Männer. Im Sinne des Diversity Management werden Teilgruppen, die nach den Kriterien Geschlecht, Migrationshintergrund und schulische Leistungen, gebildet werden, genauer betrachtet. Die dem Beitrag zugrundeliegenden Daten stammen aus einer repräsentativen Querschnittstudie mit 338 Abiturienten aus dem Frühsommer 2013. Die dargestellten Ergebnisse stellen eine bedeutsame Grundlage für ein informationsbasiertes und wirksames Personalmarketing dar. I. Daten für ein wirksames Personalmarketing Bedingt durch den demografischen Wandel der Gesellschaft steht auch der öffentliche Sektor vor tief greifenden Veränderungen4. Um die Anforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft bewältigen zu können, muss der öffentliche Dienst in seine größte Ressource sein Personal - investieren. Die bloße Personalverwaltung ist deshalb zu einem ganzheitlichen und strategischen Personalmanagement weiterzuentwickeln. Der Handlungsbedarf umfasst dabei unter anderem die Arbeitsgestaltung und -organisation, die Gesundheitsförderung, das Wissensmanagement sowie die Personalbeschaffung5. In der hier vorgestellten Studie steht ein Teilaspekt der Personalbeschaffung im Vordergrund: das Personalmarketing. Das externe Personalmarketing hat in erster Linie die Funktion, neue Mitarbeiter zu akquirieren 6. Dabei spielen die objektiven Merkmale eines Arbeitsplatzes wie Entgelt und Arbeitszeit eine tragende Rolle. Welche Anforderungen ein potenzieller Mitarbeiter an einen Arbeitgeber stellt - das heißt, welche objektiven Arbeitsplatzmerkmale wichtig sind -, ist sehr unterschiedlich und richtet sich nach den persönlichen Umständen und Eigenschaften jedes Individuums. Das hat zur Folge, dass eine Personalmarketingstrategie nicht so gestaltet sein kann, dass sich jeder potenzielle Bewerber davon positiv angesprochen fühlt 7. Vielmehr besteht die Notwendigkeit, sowohl die Strategie als auch die Instrumente des Personalmarketing an den verschiedenen Anforderungen der einzelnen Bewerber 1 Die Verfasserin ist Master of Human Resource Management (M. A.) der Ruhr-Universität Bochum / FHöV NRW und an einer Obersten Landesbehörde in Kiel tätig. 2 Der Verfasser lehrt und forscht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen. 3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z.B. Abiturienten/Abiturientinnen verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten - soweit nicht anders angegeben - im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter. 4 R. Schulz, in: Gourmelon / Kirbach / Etzel (Hrsg.), Personalauswahl im öffentlichen Sektor, 2009, S. 13. BadenBaden: Nomos Verlagsgesellschaft. 5 U. Brandenburg / J.-P. Domschke, Die Zukunft sieht alt aus, 2007, S. 110. Wiesbaden: Gabler. 6 B. Tietz / R. Köhler / J. Zentes, Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, 1995, Bd. 4, S. 2009. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. 7 H. Simon / K. Wiltinger / G. Tacke / K-H. Sebastian, Effektives Personalmarketing: Strategien, Instrumente, Fallstudien, 1995, S. 16. Wiesbaden: Gabler. 2 auszurichten8. Daraus folgt, dass im Personalmarketing die Ermittlung von Bedürfnissen der Zielgruppe und das Signalisieren bzw. Realisieren ihrer Erfüllung im Vordergrund stehen 9. Da die Umstände der jeweiligen Organisationen unterschiedlich sind, hat jede Behörde oder Kommunalverwaltung ihr eigenes Personalmarketing-Konzept zu entwickeln 10. In Anlehnung an Behrens und Zempel 11 sind bei der Entwicklung und Umsetzung eines PersonalmarketingKonzepts im öffentlichen Sektor vier Schritte erforderlich, diese sind in Abbildung 1 aufgelistet. 1. 2. 3. 4. • Analyse der inneren und äußeren Faktoren einer Organisation • strategische Planung • Umsetzung des Plans • Kontrolle der Maßnahmen Ergebnis: ein für die jeweilige Organisation passendes Personalmarketing-Konzept Abbildung 1: Vier Schritte zu einem individualisierten Personalmarketing-Konzept. Bei der Analyse der inneren und äußeren Faktoren einer Organisation steht die Erhebung von entscheidungsrelevanten Informationen im Vordergrund. Der Blick richtet sich dabei in die Organisation (innere Faktoren) und in deren Umwelt (äußere Faktoren). In Tabelle 1 sind Beispiele für innere und äußere Faktoren aufgeführt, zu denen Informationen erhoben werden sollten. 8 innere Faktoren äußere Faktoren • quantitativer und qualitativer Personalbedarf • Arbeitsmarktlage insgesamt, Entwicklung des H. Simon / K. Wiltinger / G. Tacke / K-H. Sebastian, Effektives Personalmarketing: Strategien, Instrumente, Fallstudien, 1995, S. 16. Wiesbaden: Gabler. 9 B. Tietz / R. Köhler / J. Zentes, Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, 1995, Bd. 4, S. 2009. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. 10 I. Behrens / C. Zempel, Personalmarketing im öffentlichen Sektor, in: Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor, 2012, Band 2, S. 30. München: Rehm. 11 I. Behrens / C. Zempel, Personalmarketing im öffentlichen Sektor, in: Gourmelon (Hrsg.), Personalmanagement im öffentlichen Sektor, 2012, Band 2, S. 32 ff. München: Rehm. 3 • Werte und Leitbild der Organisation (z. B. Orientierung am Gemeinwohl oder Gewinnorientierung) • aktuelle und zukünftige Personalpolitik (z. B. Vereinbarkeit Familie und Beruf), Eckpunkte des Personalmanagements (z. B. Karrierepfade) • aktuelle und zukünftige Arbeitsinhalte und -bedingungen • Arbeitszufriedenheit und verhalten der Beschäftigten Fluktuations- Erwerbspersonenpotenzials • Lage auf Teilarbeitsmärkten, z. B. bezogen auf Berufe oder Regionen • Image von Berufen • Bekanntheitsgrad Arbeitsmarkt der Organisation am • Arbeitgeber-Image • Bedürfnisse und Wünsche von Bewerbern an den zukünftigen Beruf/Job • … • … Tabelle 1: Innere und äußere Faktoren, die bei der Entwicklung eines Personalmarketing-Konzepts beachtet werden sollten. Unter Berücksichtigung der im ersten Prozessschritt gewonnenen Informationen müssen Festlegungen darüber getroffen werden, welches die Grundzüge einer zukünftigen Personalpolitik sind und wie sich die Organisation nach außen darstellen will. Hier geht es weniger um die konkrete Ausgestaltung von einzelnen Werbemitteln, sondern um die Festlegung eines „roten Fadens“. Es soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden, weshalb sich die Bewerber gerade für die eigene Organisation interessieren sollen. Die Behörde positioniert sich – durchaus in Abgrenzung zu anderen Arbeitgebern – als Marke auf dem Arbeitgebermarkt („employer branding“12). Eine gute Marke zeichnet sich durch Klarheit der Botschaft, Unverwechselbarkeit, Stetigkeit und Verlässlichkeit aus; eine attraktive Arbeitgebermarke hilft, geeignete Bewerber anzulocken und das Bestandspersonal an die Organisation zu binden 13. Idealerweise weist eine Marke ein positives Alleinstellungsmerkmal am Arbeitsmarkt auf. Im dritten Schritt sind die Maßnahmen zur Umsetzung des Plans durchzuführen. Ein Schwerpunkt der Maßnahmen ist die Personalwerbung. Ziele der Personalwerbung sind z.B.: • den Bekanntheitsgrad des Arbeitgebers zu erhöhen, • das Image des Arbeitgebers an die Markenbotschaft anzugleichen, • die Anzahl der Bewerbungen zu erhöhen. Dreh- und Angelpunkt aller werberischen Maßnahmen ist die Kommunikation der Arbeitgebermarke sowie der zu besetzenden Stellen. Hierfür sind kreative Kampagnen zu entwickeln und die angemessenen Kommunikationskanäle zu verwenden. „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte“ – dieses dem Industriellen Henry Ford zugesprochene Zitat weist darauf hin, dass die 12 M. Kolb, Personalmanagement, 2010, S. 89. Wiesbaden: Gabler. 13 S. Döring, „Employer Branding“ – Wer oder was bin ich als Arbeitgeber? PersonalMentor, September 2012, S. 3. 4 Wirkung von Personalmarketing-Maßnahmen nicht selbstverständlich ist und deren Wirkung im vierten Schritt kontrolliert werden muss, um unnötigen Aufwand zu vermeiden. Die in diesem Artikel beschriebene Studie setzt nun am ersten Schritt der Entwicklung eines Personalmarketing-Konzepts an. Im Rahmen der Studie werden Informationen zu den Erwartungen und Wünschen von potenziellen Bewerbern an ihren zukünftigen Beruf oder Arbeitgeber erhoben. Als Zielgruppe sind in dieser Studie schleswig-holsteinische Abiturienten bestimmt. Ausgehend von der Überlegung, dass die Berufswahl als rationaler Entscheidungsprozess verstanden werden kann, befasst sich die Untersuchung mit folgenden Fragen: 1. Welche beruflichen Interessenschwerpunkte weisen die schleswig-holsteinischen Abiturienten auf? 2. Wo stehen schleswig-holsteinische Abiturienten kurz vor Ende der Schulzeit im Berufswahlprozess? 3. Welche Informationsquellen nutzen schleswig-holsteinische Abiturienten bei der Arbeitgebersuche/Berufswahl? 4. Welche Anforderungen stellen schleswig-holsteinische Abiturienten an einen Arbeitgeber? Welche Berufswahlmotive sind entscheidend für die Berufswahl? Diese Fragen werden nicht nur für die Gesamtheit der Abiturienten beantwortet. Darüber hinaus werden auch Antworten für Teilgruppen von Abiturienten erarbeitet. Teilgruppen werden nach den Merkmalen Geschlecht, Migrationshintergrund und Schulleistung gebildet. Mit der Ermittlung von Informationen zu diesen Teilgruppen soll der Informationsbedarf befriedigt werden, der entsteht, wenn vermehrt Bewerberinnen, Bewerber mit Migrationshintergrund oder sogenannte „high potentials“ angeworben werden sollen. Die Studie und deren Ergebnisse sind in Zusammenhang mit anderen Datenquellen zu betrachten. Studien zur Berufswahlmotivation im öffentlichen Sektor gibt es zumindest seit dem Jahr 196414, neuere Studien 15 unterscheiden sich hinsichtlich Methodik und ausgewählter Fragestellungen und Zielgruppen. II. Methodik der Studie Um die beschriebenen Fragestellungen zu beantworten, ist eine quantitative Querschnittstudie bei der oben genannten Zielgruppe durchgeführt worden. Nach Angaben des Statistikamtes Nord haben im Schuljahr 2012/2013 an 143 allgemeinbildenden Schulen in Schleswig14 z.B. G. Hartfiel / L. Sedatis / D. Claessens, Beamte und Angestellte in der Verwaltungspyramide, 1964; G. Etzkorn, Motive der Berufswahl, in: Bosetzky (Hrsg.), FHSVR-Absolventen in der Berliner Verwaltung, 1978, S. 8 ff; E. Pappermann / S. Frechen / H. Kauther / W. Pippke / S. Roters, Zur Bewährung der Ausbildung an Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst, 1982, Regensburg: Verlag Recht, Verwaltung, Wirtschaft. 15 z.B. A. Gourmelon, Berufswahlmotive von Nachwuchsbeamten und deren Einfluss auf Studienleistungen, DÖD, 12/2005, S. 265 – 270; M. Oechsle / H. Knauf / C. Maschetzke / E. Rosowski, Abitur und was dann? 2009, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften; B. Neubach, Differenzierte Bewerberansprache von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund, Berufsbildung - Zeitschrift für Praxis und Theorie in Betrieb und Schule, 2012, 137, S. 37-39; A. Schmidt-Koddenberg / S. Zorn, Zukunft gesucht! Berufs- und Studienorientierung in der Sek. II, 2012, Opladen. 5 Holstein 9.616 Schüler die allgemeine Hochschulreife als Schulabschluss angestrebt. Aus der Gesamtheit dieser Schulen wurde eine geschichtete Zufallsstichprobe von 20 Schulen (14 %) gezogen. Von diesen 20 Schulen waren 8 (6 %) dazu bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Daraus ergab sich eine theoretische Anzahl von 572 teilnehmenden Abiturienten, von denen 53 % weiblich und 47 % männlich waren. Die regionale Verteilung (Nord-Süd, Ost-West) der Schulen in der Stichprobe war ausgewogen. Es waren sowohl städtische als auch ländliche Schulen vertreten. Hinsichtlich der Schulgröße ist die Stichprobe leicht zugunsten der größeren Schulen ausgefallen. Die kleinste Schule umfasste 720 Schüler, während die größte Schule von 1.175 Schülern besucht wurde. Als Erhebungsinstrument wurde ein Fragebogen mit 5 Fragen zur Untersuchungsthematik sowie 3 Fragen zu soziodemografischen Merkmalen eingesetzt (siehe Tabelle 2). Untersuchungsfragen Antwortmöglichkeiten 1. In wenigen Wochen verlassen Sie die Schule. 6 verschiedene Antworten in Wenn Sie an Ihre Pläne hinsichtlich Beruf/Studium Anlehnung an den Ablauf eines denken, welche Aussage trifft am ehesten auf Sie zu? Entscheidungsprozesses 2. Wenn Sie sich schon entschieden haben, wann ist 6 verschiedene Antworten in chronologischer Abfolge die Entscheidung gefallen? 12 Items mit bipolaren 3. Bitte kreuzen Sie für jede der nachfolgend Ratingskalen von genannten Tätigkeiten auf der Skala an, wie 1 (=sehr interessant) bis interessant Sie sie finden. 5 (=nicht interessant) 19 Items mit bipolaren 4. Welche Informationsquellen haben Sie genutzt, um Ratingskalen von sich über mögliche Berufe zu informieren und wie 1 (=sehr hilfreich) bis hilfreich waren diese Quellen? 5 (=nicht hilfreich) sowie „nicht genutzt“ 16 Items mit bipolaren 5. Unabhängig von den Tätigkeiten, die Sie Ratingskalen von interessieren, wie wichtig sind Ihnen folgende Kriterien 1 (=sehr wichtig) bis bei der Berufswahl? 5 (=nicht wichtig) 6. Geschlecht Weiblich / Männlich 7. Migrationshintergrund 16 Ja / Nein 8. Aktueller Notendurchschnitt Freitextfeld Tabelle 2: Inhalte des Fragebogens. Der Inhalt sowie die äußere Gestaltung des Fragebogens wurden bei einer Pilotbefragung getestet. Bei den Items zur Frage Nr. 3 handelt es sich um eine selbstentwickelte Kurzversion 16 Migrationshintergrund liegt vor, sofern der Schüler nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt oder er nicht in Deutschland geboren wurde oder mindestens einer der Elternteile nicht in Deutschland geboren wurde und nach 1949 nach Deutschland zugewandert ist. 6 des Allgemeinen Interessen-Struktur-Tests (AIST-R) 17. In der Pilotbefragung wurden diejenigen Items des AIST-R, die sich auf akademische Berufe beziehen lassen, einer Faktorenanalyse 18 unterzogen. Anschließend wurden für die Kurzversion die beiden Items pro Dimension ausgewählt, die am höchsten auf der jeweiligen Dimension luden. Exkurs: RIASEC-Modell der beruflichen Interessen nach John Holland Gemäß den Vorstellungen Hollands können mit dem RIASEC-Modell sechs grundlegende berufliche Interessen- oder Persönlichkeitsorientierungen unterschieden werden19: - Realistic (R) – Personen dieser Interessenorientierung bevorzugen Tätigkeiten, die Kraft, Koordination und Handgeschicklichkeit erfordern und zu konkreten, sichtbaren Ergebnissen führen, - Investigative (I) – hier werden Aktivitäten bevorzugt, bei denen die Auseinandersetzung mit physischen, biologischen oder kulturellen Phänomenen mithilfe systematischer Beobachtung und Forschung im Mittelpunkt steht, - Artistic (A) – bei dieser Interessenorientierung bevorzugen die Personen offene, unstrukturierte Aktivitäten, die eine künstlerische Selbstdarstellung oder die Schaffung kreativer Produkte ermöglichen, - Social (S) – Personen dieser Orientierung bevorzugen Tätigkeiten, bei denen sie sich mit anderen in Form von Unterrichten, Lehren, Ausbilden, Versorgen oder Pflegen befassen können, - Enterprising (E) – hier werden Tätigkeiten oder Situationen bevorzugt, bei denen die Personen andere mithilfe der Sprache oder anderer Mittel beeinflussen, zu etwas bringen, führen, auch manipulieren können, - Conventional (C) – es werden Tätigkeiten bevorzugt, bei denen der strukturierte und regelhafte Umgang mit Daten im Vordergrund steht, z. B. Aufzeichnungen führen, Daten speichern, Dokumentationen führen u. Ä. m. (ordnend-verwaltend). Die Interessensausprägung einer einzelnen Person kann aufgrund ihrer Nähe zu einer dieser Grundorientierungen zugeordnet werden, mit einer weiteren Differenzierung können 120 Subtypen gebildet werden (z. B. R-I-S – hier hat die Interessenausprägung einer Person die größte Nähe zum Typ R, die zweitgrößte Nähe zum Typ I, die drittgrößte Nähe zum Typ S). Auch Berufe und Tätigkeiten lassen sich mit diesen Interessentypen klassifizieren. Personen suchen gemäß dem Modell nach beruflichen Umwelten, die sich in höchstmöglicher Übereinstimmung mit der eigenen Interessensorientierung befinden. Je höher die Übereinstimmung – so die plausible Annahme –, desto größer die berufliche Leistung und C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005, Göttingen: Hogrefe-Verlag. 18 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse, Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. 19 C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005, S. 14. Göttingen: Hogrefe-Verlag. 17 7 Zufriedenheit und desto geringer die Fluktuation 20. Eine hohe Übereinstimmung läge z. B. vor, wenn ein junger Mensch mit einer „R“-Interessensorientierung sich für einen der Berufe Zahntechniker, Elektroingenieur, Bauingenieur, Kfz-Mechatroniker entscheiden würde, die sich durch Anforderungen im „R“-Bereich auszeichnen. I A R S C E Abbildung 2: Mit dem hexagonalen Modell kann die psychologische Verwandtschaft der einzelnen Interessenorientierungen zueinander bestimmt werden. Je geringer die räumliche Distanz, desto größer die psychologische Verwandtschaft. Beispiel: „Conventional“ und „Artistic“ weisen eine geringe psychologische Verwandtschaft auf (Abbildung nach: Bergmann / Eder, 2005, S. 16). Welcher RIASEC-Dimension ein Mensch angehört, kann mittels des Allgemeinen InteressenStruktur-Tests Revision (AIST-R) festgestellt werden. In der hier vorgestellten Untersuchung wurde der AIST-R in einer verkürzten Form verwendet (vgl. Frage 3 im Fragebogen), um die Gesamtheit der Abiturienten in die oben genannten sechs verschiedenen Interessensdimensionen einzuteilen und um interessensbezogene Unter-Zielgruppen zu bilden. Dies ist insofern nützlich, als dass es eine Interessensdimension gibt (Conventional), die grundsätzlich gut zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst passt, da sich Menschen dieser Orientierung für geordnete, systematische und verwaltende Tätigkeiten interessieren21. Die Haupterhebung der Studie fand im Mai 2013, also kurz vor den Abiturprüfungen, statt. Dabei wurden die Fragebögen in ausreichender Anzahl an die teilnehmenden Schulen versandt und von diesen ausgefüllt zurückgesandt. Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS 18. H. Schuler / S. Höft, Konstruktorientierte Verfahren der Personalauswahl, in: Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie, 2006, S. 101-144 (126). Göttingen: Hogrefe-Verlag. 21 C. Bergmann / F. Eder, AIST-R Allgemeiner Interessen-Struktur-Test mit Umwelt-Struktur-Test - Revision, 2005, S. 23. Göttingen: Hogrefe-Verlag. 20 8 III. Ergebnisse Die Rücklaufquoten der acht teilnehmenden Schulen reichten von 25 % bis 86 %. Von den 572 Abiturienten, die theoretisch an der Erhebung hätten teilnehmen können, haben 338 einen Fragebogen ausgefüllt. Demnach betrug die Rücklaufquote insgesamt 59 %. Von diesen 338 Abiturienten waren 175 weiblich (52 %) und 160 (47 %) männlich. Drei Teilnehmer (1 %) haben ihr Geschlecht nicht angegeben. Von den 338 Abiturienten hatten 22 (7 %) einen Migrationshintergrund. Drei Teilnehmer haben auch hier keine Angabe getätigt. Insgesamt hatten 63 Schüler (19 %) einen sehr guten Notendurchschnitt (<2,0). 260 Abiturienten (77 %) hatten einen Notendurchschnitt von 2,0 und schlechter. 15 Schüler (4 %) haben ihre Note nicht angegeben. III.1 Berufliche Interessen der Abiturienten Der berufliche Interessenschwerpunkt der teilnehmenden Abiturienten (in Anlehnung an das RIASEC-Modell nach John Holland) ist aus nachstehender Abbildung 3 ersichtlich. Realistic 12% gemischte Interessen 20% Investigative 9% Conventional 4% Artistic 20% Enterprising 21% Social 14% Abbildung 3: Berufliche Interessen der befragten Abiturienten insgesamt. Die knappe Mehrheit der Schüler ist unternehmerisch (Enterprising = 21 %) orientiert. Fast ebenso viele Zuordnungen hat die künstlerisch-sprachliche Interessensdimension (Artistic = 20 %). 20 % der Schüler sind unter der Kategorie gemischte Interessen erfasst. Diese Schüler lassen sich keiner Dimension eindeutig zuordnen, da sie eine vielseitige Orientierung zeigen und zwischen 2 und 4 Dimensionen gleichermaßen interessant finden. Konventionell orientiert sich lediglich 4 % der Abiturienten. III.2 Entscheidungsphase und -zeitpunkt In welcher Phase des Entscheidungsprozess sich die Abiturienten kurz vor Schulende befinden, ist aus Abbildung 4 ersichtlich. 9 Ich habe mich schon entschieden und bin mir meiner Entscheidung sicher. 39% Ich habe mich schon entschieden, bin mir aber nicht ganz sicher. 19% Ich entscheide mich derzeit zwischen mehreren Alternativen. 18% Ich möchte mich entscheiden und sammle derzeit Informationen. 8% Ich habe andere Pläne und entscheide mich später hinsichtlich Beruf/Studium. 11% Ich habe noch gar keine Ahnung, was ich machen werde. 5% Abbildung 4: Phase im Berufswahl-Entscheidungsprozess (N=338). Von den 338 Abiturienten haben 58 % kurz vor Ende ihrer Schulzeit bereits eine Entscheidung hinsichtlich ihrer beruflichen Pläne getroffen. 26 % der Abiturienten befinden sich noch im Entscheidungsprozess, während die übrigen 16 % noch nicht in den Entscheidungsprozess eingetreten sind. Abbildung 5 gibt Informationen zum Entscheidungszeitpunkt wieder. Kann ich nicht sagen. 8% Bereits vor Beginn des letztes Schuljahres. 26% Im letzten Schuljahr (unabhängig vom Wirtschaftspraktikum). Im Rahmen des Wirtschaftspraktikums im letzten Schuljahr. 18% 3% Im 1. Halbjahr des aktuellen Schuljahres. 24% Im 2. Halbjahr des aktuellen Schuljahres. 21% 0% 10% 20% Abbildung 5: Entscheidungszeitpunkt von denjenigen Abiturienten, die bereits eine berufliche Entscheidung getroffen haben (N = 196). Von den 196 Abiturienten, die schon Pläne hinsichtlich Studium und/oder Beruf hatten, haben sich 45 % im 13. Jahrgang und 21 % im 12. Jahrgang entschieden. Weitere 26 % haben ihre Entscheidung bereits vor Beginn des 12. Jahrgangs getroffen. III.3 Informationsquellen Welche Quellen die Abiturienten genutzt haben, um sich über mögliche Berufe zu informieren, geht aus Tabelle 3 hervor. 10 Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 Quelle genutzt von Internet allgemein (z. B. google) Praktika Freunde / Bekannte Eltern / Verwandte Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und Berufswahl Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein Webseiten von Hochschulen Infomaterialien / Flyer / Broschüren / Plakate Webseiten von Unternehmen / Behörden Veranstaltungen und Angebote der Schule Job-Messen Berufseignungstests / Persönlichkeitstests BiZ / Arbeitsagentur Lehrer Angebote von Hochschulen (z. B. Studienberatung) Radio / Fernsehen Soziale Netzwerke im Internet (z. B. facebook) Angebote von Unternehmen / Behörden (z. B. Tag der offenen Tür) Girls' Day / Boys' Day 95,24 % 91,96 % 89,29 % 87,80 % 86,90 % 81,55 % 79,46 % 78,27 % 75,89 % 69,64 % 69,35 % 64,58 % 62,20 % 60,12 % 55,65 % 53,87 % 51,79 % 42,86 % 22,62 % Tabelle 3: Nutzungsgrad der Informationsquellen (Mehrfachantworten möglich). Die am häufigsten genutzte Informationsquelle ist das allgemeine Internet. Weitere häufig genutzte Quellen sind Praktika mit fast 92 % Nutzungsniveau sowie Freunde / Bekannte und Eltern / Verwandte. Ebenfalls beliebt sind Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und Berufswahl sowie Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein. Soziale Netzwerke im Internet werden von rund der Hälfte aller Abiturienten genutzt und rangieren auf dem drittletzten Platz. Angebote von Unternehmen / Behörden nutzen lediglich 43 %. Die am wenigsten genutzte Quelle sind Girls‘ Days bzw. Boys‘ Days. Als wie hilfreich die genutzten Quellen bewertet worden sind, kann aus Tabelle 4 entnommen werden. Die Quellen sind aufsteigend nach ihrem Mittelwert sortiert, wobei die Quelle umso hilfreicher eingeschätzt wurde je kleiner der Mittelwert ist. Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Quelle Internet allgemein Webseiten von Hochschulen Webseiten von Unternehmen/Behörden Praktika Freunde/Bekannte Angebote von Hochschule Eltern/Verwandte Bücher zur Studien-/Berufswahl Job-Messen Berufseignungstests/Persönlichkeitstests Mittelwert 1,84 2,07 2,33 2,49 2,53 2,55 2,55 2,64 2,82 2,91 Standardabweichung ,903 1,001 1,090 1,113 1,049 ,996 1,068 1,037 1,103 1,257 11 11 12 13 14 15 16 17 18 19 2,93 2,97 3,10 3,11 3,41 3,47 3,52 3,54 4,38 Zeitung/Zeitschriften allgemein Flyer/Broschüren/Plakate Angebote von Unternehmen/Behörden BiZ / Arbeitsagentur Soziale Netzwerke im Internet (facebook) Lehrer Radio/Fernsehen Schulveranstaltungen Girls‘Day/Boys‘Day 1,041 1,054 ,980 1,078 1,217 1,202 1,041 1,077 1,107 Tabelle 4: Einschätzung der Abiturienten, wie hilfreich die jeweilige Informationsquelle war. Auch hier steht das allgemeine Internet an erster Stelle. Ebenfalls als ziemlich hilfreich wurden Webseiten von Hochschulen sowie Webseiten von Unternehmen und Behörden empfunden. Wenig hilfreich waren Lehrer, Radio und Fernsehen, soziale Netzwerke sowie Schulveranstaltungen. Am wenigsten hilfreich waren Girls‘ Days bzw. Boys‘ Days. III.4 Anforderungen an einen Arbeitgeber / Berufswahlmotive Wie wichtig den Abiturienten die im Fragebogen genannten Kriterien bei der Berufswahl sind, ist aus Tabelle 5 ersichtlich. Die Kriterien sind aufsteigend nach ihrem Mittelwert sortiert, wobei das Kriterium umso wichtiger bewertet wurde je kleiner der Mittelwert ist. Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 Kriterien Spaß bei der Arbeit Sicherer Arbeitsplatz Berufliche Erfüllung Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt Abwechslungsreiche Aufgaben Eigenverantwortliche Tätigkeit Gute Aufstiegschancen Gehalt Vereinbarkeit von Beruf und Familie Weiterbildungsmöglichkeiten Teamarbeit Geregelte Arbeitszeiten Soziales Engagement Internationalität Gesellschaftliches Ansehen Heimatnaher Standort Mittelwert 1,41 1,70 1,77 1,80 1,91 1,95 2,02 2,06 2,09 2,18 2,52 2,64 2,67 2,78 2,92 3,28 Standardabweichung ,689 ,749 ,906 ,885 ,932 ,826 ,962 ,829 1,084 ,979 1,080 1,169 1,237 1,194 1,081 1,303 Tabelle 5: Bedeutung von Berufswahlmotiven. Das mit Abstand wichtigste Kriterium bei der Berufswahl ist der Spaß bei der Arbeit. Es folgen ein sicherer Arbeitsplatz, berufliche Erfüllung sowie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur mittelmäßig wichtig sind unter anderem Internationalität und das gesellschaftliche Ansehen. Das im Durchschnitt am wenigsten wichtige Berufswahlkriterium ist ein heimatnaher Standort. 12 III.5 Unterschiede von Teilgruppen Die Verteilung auf die beruflichen Interessensdimensionen innerhalb der Geschlechter ist in den Abbildungen 6 und 7 dargestellt. Männer Frauen gemischt =20% R=3% I=9% gemischt =21% R=22% C=3% C=5% A=26% I=10% E=15% E=27% A=13% S=23% Abbildungen 6 und 7: Berufliche Interessenschwerpunkte der Abiturienten getrennt nach Geschlechtern (R=Realistic, I=Investigative, A=Artistic, S=Social, E=Enterprising, C=Conventional, gemischt=gemischte Interessen). Während die männlichen Abiturienten überwiegend unternehmerisch (E = 27 %) orientiert sind, zeigen die Abiturientinnen vornehmlich künstlerisch-sprachliche Interessen (A = 26%). Die Dimension Realistic ist bei den Männern sehr beliebt, bei den Frauen hingegen eher unbeliebt. Bei der Dimension Social verhält es sich genau umgekehrt: sozial orientiert sind 23 % der Abiturientinnen, jedoch lediglich 3 % der männlichen Abiturienten. In welcher Phase des Entscheidungsprozesses sich die Schüler befinden, ist signifikant22 vom Geschlecht abhängig. Deutlich mehr Abiturientinnen (15,4 %) als ihre männlichen Klassenkameraden (5,6 %) haben nach dem Abitur zunächst andere Pläne und entscheiden sich deshalb später über Beruf / Studium. Außerdem haben dreimal so viele männliche Abiturienten (6,9 %) als ihre Mitschülerinnen (2,3 %) noch gar keine Ahnung, was sie nach dem Abitur machen werden. Auch mit der Entscheidung zwischen Alternativen sowie mit der Sammlung von Informationen sind etwas mehr männliche Schüler als Schülerinnen befasst. Unterschiede zwischen den Teilgruppen differenziert nach Migrationshintergrund oder Notendurchschnitt weisen keine Signifikanzen im Hinblick auf Entscheidungsphase und – zeitpunkt auf. Bei der Nutzung und Bewertung der Informationsquellen sind einige statistisch signifikante 23 Unterschiede zwischen den nachfolgend genannten Teilgruppen vorhanden. Frauen versus Männer 22 23 Chi-Quadrat-Test, p=,030. Exakter Test nach Fisher bei Quellennutzung, p<,05; Mann-Whitney-U-Test bei Quellenbewertung, p<,05. 13 • • • Job-Messen und Internet allgemein werden von den Abiturientinnen häufiger genutzt als von ihren männlichen Klassenkameraden. Bücher oder Zeitschriften zur Studien- und Berufswahl, Zeitung / Zeitschriften allgemein sowie Girls‘ Day / Boys‘ Day werden von den Abiturientinnen besser bewertet als von ihren männlichen Mitschülern. Lehrer als Informationsquelle sind für die männlichen Abiturienten hilfreicher als für die Abiturientinnen. Notendurchschnitt <2,0 versus Notendurchschnitt >=2,0 • • • Job-Messen, Zeitungen / Zeitschriften / Magazine allgemein und soziale Netzwerke im Internet wie facebook werden von den „high potentials“ weniger häufig genutzt als von den übrigen Schülern. Webseiten von Hochschulen werden eher von den „high potentials“ frequentiert als von ihren Mitschülern mit einem weniger guten Notendurchschnitt. Girls‘ Day / Boys‘ Day sind für die Abiturienten mit einem weniger guten Notendurchschnitt hilfreicher als für die „high potentials“. Hinsichtlich der Anforderungen an einen Arbeitgeber bzw. den Berufswahlmotiven unterscheiden sich die Teilgruppen in vielerlei Hinsicht. Frauen versus Männer Die Unterschiede zwischen den Abiturientinnen und Abiturienten sind mit Tabelle 6 dargestellt. Mittel Frauen Mittel Männer Signifikanz 24 Vereinbarkeit von Beruf und Familie 1,81 2,41 <,001 Soziales Engagement 2,26 3,13 <,001 Abwechslungsreiche Aufgaben 1,77 2,06 ,001 Berufliche Erfüllung 1,59 1,96 ,001 Weiterbildungsmöglichkeiten 2,03 2,35 ,006 Gehalt 2,17 1,94 ,008 Geregelte Arbeitszeiten 2,52 2,77 ,035 Kriterium Tabelle 6: Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wichtigkeit von Berufswahlkriterien. Je kleiner der Mittelwert, desto wichtiger wurde das Kriterium bewertet. Das einzige Kriterium, welches den männlichen Abiturienten signifikant wichtiger ist als ihren Klassenkameradinnen, ist das Gehalt. Die übrigen in der Tabelle aufgeführten Kriterien sind den Abiturientinnen wichtiger als ihren männlichen Mitschülern. Abiturienten mit Migrationshintergrund versus Abiturienten ohne Migrationshintergrund Internationalität und Gehalt sind den Abiturienten mit Migrationshintergrund wichtiger als den Abiturienten ohne Migrationshintergrund 25. Notendurchschnitt <2,0 versus Notendurchschnitt >=2,0 24 25 Mann-Whitney-U-Test. Mann-Whitney-U-Test, jeweils p=,013. 14 Eine eigenverantwortliche Tätigkeit 26, das Gehalt 27 und gute Aufstiegschancen28 sind den sehr guten Abiturienten wichtiger als den Schülern mit einem schlechteren Notendurchschnitt. Weniger gute Abiturienten legen mehr Wert auf einen heimatnahen Standort29 und Teamarbeit 30 als die „high potentials“. IV. Handlungsempfehlungen Aus den vorliegenden Daten können Handlungsempfehlungen in Bezug auf einen guten Zeitpunkt für Personalmarketingmaßnahmen, effektive Kommunikationskanäle sowie ansprechende Inhalte von Werbebotschaften abgeleitet werden. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Untersuchung genannt werden. IV.1 Bewerbungsfristen verlängern Die 13. Jahrgangsstufe ist der Zeitraum, in der sich nahezu die Hälfte der Abiturienten für einen Beruf bzw. ein Studium entscheidet. Problematisch ist, dass die Bewerbungsfristen für eine Einstellung beim Land Schleswig-Holstein zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen sind. Momentan werden Nachwuchskräfte zum 01.08. / 01.09. / 01.10. (je nach Fachrichtung) eines jeden Jahres eingestellt. Der Bewerbungsschluss ist in der Regel der 30.09. des Vorjahres, also ein Zeitpunkt an dem sich 45 % der Abiturienten noch gar nicht entschieden haben, was sie nach dem Abitur machen werden. Die Bewerbungsfristen sollten deshalb deutlich verlängert werden. Würde der Bewerbungsschluss z. B. auf den 31.12. des Vorjahres fallen, könnten sich (zumindest theoretisch) noch die Schüler bewerben, die sich im 1. Halbjahr des 13. Jahrgangs entscheiden - und das sind immerhin 24 %. IV.2 Praktikumsangebote ausbauen Praktika haben mit 92 % das zweithöchste Nutzungsniveau. Das hohe Nutzungsniveau könnte man zwar darauf zurückführen, dass Praktika von den Schulen als obligatorische Maßnahme im Rahmen der Berufsfindung durchgeführt werden. Allein die Verpflichtung bedingt jedoch noch keine aktive Nutzung. Die Schüler können das Praktikum auch teilnahmslos über sich ergehen lassen. Die Bewertung von Praktika liegt im Durchschnitt bei 2,49 und ist damit die am besten bewertete Quelle außerhalb des Internet. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass Praktika von den Schülern aktiv genutzt werden, um sich über mögliche Berufe zu informieren. Das hat jedoch nicht zwangsläufig zu bedeuten, dass sich die Bewerberzahlen erhöhen, wenn man Praktika anbietet. Schließlich kann ein Praktikum in zweifacher Hinsicht hilfreich sein. Entweder, der Schüler entscheidet sich für den Praktikumsberuf, weil dieser ihm gefallen hat oder er entscheidet sich dagegen, weil er im Rahmen des Praktikums feststellt, dass die Tätigkeit doch nicht so interessant ist wie angenommen. In beiden Fällen kann jedoch auch die Praktikumsstelle davon profitieren. Entweder kommt es zu einer interessierten Bewerbung oder die Bewerbung oder gar Einstellung eines nicht passenden Kandidaten bleibt 26 Mann-Whitney-U-Test, p<,001. Mann-Whitney-U-Test, p=,034. 28 Mann-Whitney-U-Test, p=,045. 29 Mann-Whitney-U-Test, p=,009. 30 Mann-Whitney-U-Test, p=,019. 27 15 erspart. In jedem Fall kann eine Organisation ein Praktikum dazu nutzen, sich gegenüber potenziellen Bewerbern positiv darzustellen. Praktikanten können außerdem ihre (hoffentlich guten) Erfahrungen mit ihren Mitschülern teilen und so langfristig zu einer Imageverbesserung des öffentlichen Dienstes beitragen. Es wird dem öffentlichen Sektor deshalb empfohlen, vermehrt Praktika für Gymnasialschüler der Oberstufe anzubieten. Es ist wichtig, dass sich in den Dienststellen Mitarbeiter finden, die motiviert sind, diese Aufgabe zu übernehmen und einen oder mehrere Schüler zu betreuen. Denn nur ein motivierter und kompetenter Mitarbeiter kann einem Praktikanten einen guten Eindruck von der Behörde vermitteln. Für die Mitarbeiter könnte die Betreuung von Praktikanten mit einem Anreiz verbunden werden (z. B. anschließend ein Tag Dienstbefreiung). IV.3 Investitionen in Apps und nicht in Facebook Bei den für die Berufswahlentscheidung verwendeten Informationsquellen steht das Internet an erster Stelle, gefolgt von Praktika, Freunden/Bekannten, Eltern/Verwandten sowie Büchern oder Zeitschriften zur Berufswahl. Am Ende stehen soziale Netzwerke – wie z.B. facebook – sowie Informationsangebote von Unternehmen. Das Internet, Praktika, Freunde und Eltern werden eher als hilfreiche, soziale Netzwerke, Lehrer, Radio/Fernsehen eher als wenig hilfreiche Informationsquellen gewertet. Insofern ist der Hype um die Verwendung von social media im Bereich der Personalwerbung angesichts dieser Daten kritisch zu bewerten. Facebook und ähnlichen Medien wird von vielen Personalmanagern eine zu hohe Bedeutung für die Personalwerbung zugesprochen. Die knappen Ressourcen sollten hier eher nicht investiert werden. Wichtiger erscheint derzeit die Informationsmöglichkeiten über das allgemeine Internet weiter zu verbessern und hier insbesondere das mobile Internet (Zugriff via smartphone) zu berücksichtigen. IV.4 Zielgruppenspezifisch werben Folgende Berufswahlkriterien sind im Durchschnitt den Abiturienten am Wichtigsten: Spaß bei der Arbeit, ein sicherer Arbeitsplatz, berufliche Erfüllung, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, abwechslungsreiche Aufgaben sowie eine eigenverantwortliche Tätigkeit. Es ist offensichtlich, dass der öffentliche Dienst die wichtigsten Bedürfnisse der Abiturienten erfüllen kann. Spaß bei der Arbeit und berufliche Erfüllung sind natürlich subjektiv und können nicht pauschal gewährleistet werden. Ein sicherer Arbeitsplatz, abwechslungsreiche Aufgaben und eine eigenverantwortliche Tätigkeit sind hingegen nahezu garantiert. Auch die guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind gegeben, wenn man sie in der Hinsicht interpretiert, dass nach dem Vorbereitungsdienst zumeist keine Arbeitslosigkeit zu befürchten ist. Dem öffentlichen Dienst stehen somit genügend attraktive Eigenschaften zur Verfügung, mit denen um die Gunst der Abiturienten geworben werden kann. Die Empfehlung lautet jedoch nicht, mit allen eben genannten Kriterien gleichzeitig zu werben, und zwar aus folgendem Grund: In Bezug auf die einzelnen Teilgruppen differenziert nach Geschlecht, Migrationshintergrund und Notendurchschnitt konnten zahlreiche Unterschiede in den Präferenzen festgestellt werden. Aus dieser Tatsache lässt sich ein wesentlicher Grundgedanke ableiten: Werbebotschaften müssen sich stets an bestimmte Teilgruppen richten und auf diese zugeschnitten sein. Anstatt also alle wichtigen Kriterien z.B. in einem einzigen Werbemedium aufzulisten, sollten mehrere Werbemedien (z.B. eines für weibliche, eines für männliche Bewerber, eines für Migranten, 16 eines für sehr gute Schüler) mit unterschiedlichen Slogans gestaltet werden. Dadurch würde sich jede Teilgruppe individuell angesprochen fühlen und sich besser mit der Botschaft identifizieren können. Weitgehend individualisierte Botschaften werden eine größere Wirkung entfalten als generelle Darstellungen. IV.5 Spaß bei der Arbeit: genau hinterfragen! Seit vielen Jahren ist bekannt, dass „Spaß bei der Arbeit“ ein sehr bedeutsames Kriterium bei der Berufswahl von Jugendlichen ist. Nicht nur Eltern verzweifeln jedoch daran zu verstehen, was die die jungen Frauen und Männer damit eigentlich genau meinen. Der Zugang zum Verständnis von „Spaß bei der Arbeit“ (oder dem „cool“-sein eines Berufs) kann über das Konstrukt „berufliche Interessen“ gelingen. Mit der Studie wurde erfasst, welches die beruflichen Interessenschwerpunkte der Abiturienten sind, was ihnen also Spaß macht. Personalmarketing-Konzepte sollten nun auf der Grundlage dieser Informationen zu den Interessenschwerpunkten gestaltet werden. V. Kritik und Ausblick Die Aussagekraft dieser Studie unterliegt einigen Einschränkungen. So wird im Rahmen der Studie von einem rationalen Entscheidungsprozess der Abiturienten ausgegangen. Es ist jedoch bekannt, dass auch andere Faktoren als die rationale Entscheidung des Jugendlichen einen erheblichen Einfluss auf die Berufswahl haben können. Des Weiteren haben rund 60 % der aufgeforderten Schulen bei der Befragungsaktion nicht mitgewirkt. Zwar ist bei den Absagen eine Systematik nicht erkennbar, diese lässt sich aber auch nicht ausschließen. Damit kann die Repräsentativität der Daten beeinträchtigt sein. Zur Erfassung der beruflichen Interessen wurde eine Kurzversion eines bewährten Interessentests verwendet. Inwieweit diese Kurzversion die Testgütekriterien erfüllt - die beruflichen Interessen also tatsächlich zuverlässig und valide erfasst - konnte im Rahmen der Studie nicht geklärt werden. Hinsichtlich der Fallzahlen konnten genügend große Teilgruppen für die Merkmale „Geschlecht“ und „high potentials“ gebildet werden; bei dem Merkmal „Migration“ ist die entsprechende Teilgruppe zahlenmäßig recht klein. Dadurch werden tatsächliche Unterschiede durch die verwendeten statistischen Methoden nur schwer entdeckt. Es handelte sich fürderhin hinsichtlich des Informationsverhaltens und der Berufswahlkriterien um Fragen, bei denen eine Reihe von Antwortmöglichkeiten vorgegeben wurde. Ob noch weitere Informationsquellen oder Berufswahlkriterien von den Abiturienten verwendet werden, ist nicht bekannt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es vermutlich nicht zulässig ist, die erhobenen Daten aus Schleswig-Holstein ohne Weiteres auf andere Regionen Deutschlands zu übertragen. Sofern beispielsweise in Süddeutschland andere Arbeitsmarktbedingungen vorherrschen, ist z.B. von anderen Bedeutsamkeiten im Hinblick auf die Berufswahlkriterien auszugehen. Dennoch bietet die Studie den Personalverantwortlichen eine Fülle von Informationen an, mit denen sich zielgruppenorientiertes Personalmarketing bewerkstelligen lässt. Angesichts der dargestellten beruflichen Interessen und Erwartungen der Abiturienten kann die Frage nach der grundsätzlichen Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes auf dem Arbeitsmarkt eindeutig bejaht werden. Den Wettbewerb um die besten Nachwuchskräfte kann man allerdings nur dann gewinnen, wenn man ihn bestreitet.
© Copyright 2025 ExpyDoc