TITEL WISSEN & GESUNDHEIT Zellgift schützt vor einem Infarkt F ikret Kale fühlt sich jung mit seinen 54 Jahren. Ist schlank, raucht nicht, trinkt nicht und betreibt jeden Tag zwei Stunden Walking. Doch vergangenen November hatte er das Gefühl: „Etwas stimmt nicht.“ Erhöhte er das Tempo, spürte er einen fiesen Druckschmerz unterm Brustbein. Im normalen Herz-EKG konnte sein Hausarzt nichts Ungewöhnliches erkennen. Erst beim Belastungs-EKG und der anschließenden Untersuchung mit dem Herzkatheter spürte der Kardiologe die Ursache von Kales Problemen auf: fünf Engstellen an den Herzkranzgefäßen. Volker Schächinger, Chef der Kardiologie am Herz-Thorax-Zentrum des Klinikums Fulda, erklärt an der Geschichte des Patienten Kale, wie Kardiologen und Herzchirurgen im HerzTeam heute mehr denn je miteinander sprechen müssen: „Der Austausch ist enorm wichtig, um für jeden Herzkranken die optimale Therapieentscheidung 82 Fikret Kale, 54, wurde von einem Herzzu treffen.“ Auch bei Kale diskutierten Team betreut sie die Frage „Bypass oder Stents?“. Der Übersetzer aus Fulda (M.) hatte fünf Engstellen in den Koronararterien. Seine Ärzte Volker Schächinger (r.) und Margit Niethammer beraten das Vorgehen mit Chirurg Hilmar Dörge (l.) Sind mehrere Gefäße betroffen, gilt ein Bypass vom Chirurgen langfristig als die bessere Wahl. Er näht dafür eine Vene oder Arterie als Überbrückung auf die erkrankten Gefäße. Je komplizierter die Engstellen, desto eher braucht es eine OP am offenen Herzen. Doch die Kardiologen haben ihr Handwerk perfektioniert und nehmen sich heute auch Herzen vor, an denen mehrere Adern verengt sind. Sie führen über Katheter einen Draht ein bis in die feinen Gefäße am äußeren Herzmuskel. Von außen gesteuert, pusten sie darin einen winzigen Ballon auf und weiten so die Engstelle. Zur Stabilisierung setzen Ärzte heute fast immer ein zweieinhalb bis vier Millimeter dünnes Drahtgeflecht (Stent) ein. Es drückt die Plaques beiseite. Das Blut kann wieder fließen. „Die Ergebnisse einer großen 5-Jahres-Studie zeigen, dass einfache Mehrgefäßerkrankungen auch gut mit Stents behandelt werden können“, sagt Schächinger. Die Drahtgeflechte sind mit Zellgiften beschichtet, damit sich an der reparierten Stelle möglichst keine neue Verstopfung bildet. „Sogenannte DES (drug eluting stents) sind heute Standard“, sagt Schächinger, „denn die zweite Generation der mit Medikamenten überzogenen Stents sind effektiv und einem Geflecht ohne Beschichtung deutlich überlegen“. Innerhalb eines Jahres liege damit die Gefahr einer erneuten Einengung bei weit unter zehn Prozent, fasst er die Studienlage zusammen: „Ein echter Fortschritt.“ Früher waren bereits nach einem halben Jahr 30 bis 50 Prozent der Stents wieder dicht. „Beim Aufblasen des Ballons spürte ich kurz ein Druckgefühl, ähnlich dem Schmerz beim Walking“, erzählt Kale über den Eingriff, den er bei vollem Bewusstsein auf dem Bildschirm mit verfolgt hat. Seit die Stents gesetzt sind, ist der Druck wie weggeblasen. ■ FOCUS 21/2015 Foto: Jonas Ratermann für FOCUS-Magazin Stent oder Bypass? Kardiologen wagen sich heute auch an Herzen mit mehreren Engstellen. Neue Medikamente verbessern die Gefäßprothesen
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