LÖSUNG zur Klausur Arbeitsrecht – SS 2015 I. 1. Zu

LÖSUNG zur Klausur Arbeitsrecht – SS 2015
I.
1. Zu den zentralen Begriffen des Arbeitsrechts gehören die des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers. Definieren und erläutern Sie beide Begriffe.
(10 P.)
Eine Legaldefinition des Begriffs des Arbeitnehmers gibt es nicht. Allerdings kann er in Abgrenzung zu
dem in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB definierten selbstständigen Handelsvertreter (=jemand, der seine Tätigkeit
im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit selbst bestimmen kann) im Wege des Umkehrschlusses definiert werden. Ebenso kann § 106 GewO mittelbar herangezogen werden, der das Weisungsrecht des Arbeitgebers konkretisiert und damit eine allgemeine gesetzgeberische Wertung zum
Ausdruck bringt. Auf dieser Grundlage haben Rechtsprechung und Literatur Kriterien entwickelt, anhand
derer die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft erfolgen kann. Arbeitnehmer ist demnach, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.
Durch das Merkmal eines privatrechtlichen Vertrages erfolgt die Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen
Rechtsverhältnissen (Beamte, Richter, Soldaten). Entscheidend für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstberechtigten, der aufgrund der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen ist. Maßgeblich
sind insoweit die das Rechtsverhältnis prägenden charakteristischen Merkmale, wie sie sich aus dem
Inhalt des Vertrages und der praktischen Durchführung sowie der Gestaltung der Vertragsbeziehungen
ergeben. Der Gesetzgeber wie auch die Rechtsprechung gehen somit nicht von einem starren Arbeitnehmerbegriff, sondern von einem Arbeitnehmertypus aus, also von einem normalen Arbeitnehmer, wie
er sich in der sozialen Wirklichkeit idealtypisch darstellt.
Die persönliche Abhängigkeit setzt voraus, dass der Vertragspartner hinsichtlich der näheren Umstände seiner Vertragsleistung einem umfassenden Weisungsrecht (= Direktionsrecht des Arbeitgebers)
unterliegt, und zwar in zeitlicher, örtlicher und sachlich-organisatorischer Hinsicht; der Arbeitnehmer also
in die durch den Arbeitgeber bestimmten Arbeitsorganisation eingebunden ist. Nicht notwendig ist hingegen, dass der Arbeitnehmer auch wirtschaftlich vom Arbeitgeber abhängig ist. Überwiegend werden
Arbeitnehmer auch wirtschaftlich von ihrem Arbeitgeber abhängig sein, doch dies ist nicht zwingend
notwendig.
Arbeitgeber ist entsprechend, wer zumindest einen Arbeitnehmer beschäftigt.
2. Die Lehre des „fehlerhaften/faktischen Arbeitsverhältnisses“ stellt eine Besonderheit des Arbeitsrechts dar. Erläutern Sie, was unter dieser Lehre zu verstehen ist. Gehen Sie dabei insbesondere auf die Rechtsfolgen und die Hintergründe für diese besondere Regelung ein. (10 P.)
Bei der Lehre vom fehlerhaften/faktischen Arbeitsverhältnis handelt es sich um eine richterrechtliche
Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht, die den Arbeitnehmer als sozial ( und zumeist auch wirtschaftlich) Abhängigen vor den für ihn negativen Konsequenzen der Regeln des Zivilrechts (BGB) zu schützen.
Angewendet wird diese Lehre in den Fällen, in denen der dem Arbeitsverhältnis zu Grunde liegende
Arbeitsvertrag mit Mängeln behaftet ist, die zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags führen. Das BGB
sieht für derartige Fälle normalerweise die Rückabwicklung des fehlerhaften Vertragsverhältnisses über
das Bereicherungsrecht (§§ 812ff. BGB) vor. In Fällen, in denen das fehlerhafte Arbeitsverhältnis jedoch
bereits in Vollzug gesetzt wurde, würde sich eine Rückabwicklung als problematisch erweisen. Als vollzogen gilt ein Arbeitsverhältnis, wenn bereits vertragstypische Leistungen ausgetauscht wurden, d. h.
der AN tatsächlich die Arbeit aufgenommen und der AG ggf. auch schon das arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt hat. Der Arbeitnehmer müsste sämtliche Zahlungen seines Arbeitgebers zurückzahlen, wobei sich der Arbeitnehmer u. U. auf Entreicherung (§ 818 BGB) berufen könnte; im Gegenzug müsste der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer gewährten Leistungen herausgeben. Naturgemäß
ist das bei Arbeitsleistungen unmöglich, sodass gem. § 818 Abs. 2 BGB ein Wertersatz erfolgen muss.
Dieser kann geringer ausfallen als das durch den Arbeitgeber tatsächlich gezahlte – und nun zurückzu-
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gewährende – Arbeitsentgelt, das auch bezahlte Freistellung (Erholungsurlaub) oder Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall enthält.
Deshalb verneint das BAG für in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnisse die Anwendung der allgemeinen
zivilrechtlichen Regelungen und behandelt das Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit so, als wäre es
fehlerfrei zustande gekommen. Folglich stehen dem Arbeitnehmer alle bisher entstandenen Ansprüche
weiterhin zu. Für die Zukunft kann jede Partei einseitig das Vertragsverhältnis lösen.
Nur in Fällen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gilt der täuschende Arbeitnehmer nicht als
schützenswert, sodass sich der Anspruch des Arbeitnehmers für die Vergangenheit auf die tatsächlich
geleistete Arbeit besteht, ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht besteht.
3. Nennen Sie fünf Beendigungstatbestände eines Arbeitsverhältnisses.
(5 P.)
Beendigungstatbestände eines Arbeitsverhältnisses sind:
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Ordentliche oder außerordentliche Kündigung
Eintritt einer auflösenden Bedingung
Ende der Befristung
Aufhebungsvertrag
Änderungskündigung
Anfechtung
Tod des AN
II.
1. Annika (A), Beate (B) und Christoph (C), drei Absolventen der Medienwirtschaft, haben sich
nach mehr oder weniger erfolgreichem Abschluss ihres Studiums selbstständig gemacht und
suchen nun personelle Unterstützung für die Erledigung der Büroorganisation und der Postbearbeitung. A und B sind der Ansicht, dass eine männliche Verstärkung dem Team gut täte und
schlagen folgende Formulierung für den Ausschreibungstext vor:
„Für unser junges Start-up-Unternehmen suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen erfahrenen Sekretär, der sich selbstständig und eigenverantwortlich um alle anfallenden organisatorischen Aufgaben in den Bereichen Büromanagement und Postbearbeitung kümmert. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung, wenn Sie jung (max. 30 Jahre), attraktiv (mindestens 1,85 m groß,
schlank und gut durchtrainiert, braune Haare und blaue Augen), deutscher Staatsangehöriger
und ungebunden sind.“
C möchte in Anbetracht dessen, dass das junge Unternehmen sich noch nicht am Markt etabliert
hat, flexibel hinsichtlich der künftigen Personalstrukturen bleiben und möchte sich mit folgendem Passus absichern:
„Die Stelle ist zur Erprobung auf drei Jahre befristet. In dieser Zeit behalten wir uns ein sofortiges Kündigungsrecht vor.“
Bewerten Sie diese Stellenanzeige rechtlich
(15 P.)
I. Verstoß gegen das AGG
Zunächst könnte in dem Formulierungsvorschlag von A und B ein Verstoß gegen § 11 i. V. m. § 7 Abs. 1
und § 1 AGG zu erblicken sein. Das AGG soll Benachteiligungen aus Gründen des Geschlechts, des
Alters, der Rasse etc. zu verhindern bzw. zu beseitigen und insbesondere Arbeitnehmer vor Diskriminierungen im Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber, Kollegen und Dritten schützen (vgl. §§ 1, 2
AGG).
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1. Schutzbereich des AGG
Dafür müssten bereits Bewerber auf eine ausgeschriebene Stelle in den Schutzbereich des AGG fallen.
Der persönliche Anwendungsbereich gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG bezieht Bewerber/-innen ausdrücklich in den Schutzbereich des AGG ein. § 11 AGG stellt klar, dass bereits Ausschreibungstexte den Erfordernissen des AGG genügen müssen. Somit werden auch Bewerber/-innen vor Diskriminierungen
durch das AGG geschützt und auch Stellenausschreibungen müssen diskriminierungsfrei i. S. d. AGG
formuliert werden.
Die vorliegende Ausschreibung könnte gegen das Benachteiligungsverbot nach §§ 7 Abs. 1, 1 AGG hinsichtlich des Alters, des Geschlechtes, der Herkunft und der sexuellen Identität verstoßen, sofern keine
Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung vorliegen. Liegt eine Benachteiligung wegen mehrerer in § 1 AGG genannten Rechtsgüter vor, hat eine Rechtfertigung für jeden Grund einzeln zu erfolgen (§ 4 AGG).
2. Benachteiligung aufgrund des Alters
Mit der Altersbegrenzung der Bewerber verstößt die Stellenausschreibung gegen §§ 7 Abs. 1, 1 AGG,
da alle Bewerber, die älter als 30 Jahre sind, pauschal ausgeschlossen werden. Eine Benachteiligung
aufgrund des Alters liegt somit vor. Rechtfertigungsgründe gem. §§ 8, 10 AGG sind nicht ersichtlich.
3. Benachteiligung aufgrund des Geschlechts
Der Ausschluss von Frauen stellt eine Benachteiligung gem. §§ 7 Abs. 1, 1 AGG aufgrund des Geschlechts dar. Grundsätzlich sind Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zu formulieren; auch in
Bereichen, in denen ein Geschlecht deutlich dominiert (z. B. Kindergärtnerinnen). Nur ausnahmsweise
ist eine geschlechtsspezifische Ausschreibung zulässig, wenn das Geschlecht eine wesentliche und
entscheidende berufliche Anforderung darstellt (§ 8 Abs. 1 AGG). Die Ausschreibung für männliche Bewerber basiert ausschließlich auf dem individuellen Wunsch von A und B, jedoch nicht auf einer objektiven Notwendigkeit. Eine Rechtfertigung i. S. d. § 8 Abs. 1 AGG liegt mithin nicht vor.
4. Benachteiligung aufgrund der Herkunft
Aufgrund der Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige liegt eine Benachteiligung aufgrund der
Herkunft vor. Ausländische Bewerber werden ausgeschlossen. Auch hierfür liegt keine Rechtfertigung
gem. § 8 Abs. 1 AGG vor, sodass von einem Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG auszugehen ist.
5. Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität
Schließlich ist fraglich, ob auch ein Verstoß gegen die sexuelle Identität vorliegt, wenn gefordert wird,
dass der Bewerber ungebunden sein soll. Ungebunden bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch "nicht
verheiratet", aber auch "nicht in einer festen Beziehung lebend". Im Rahmen von Bewerbungsverfahren ist dem Begriff eher die Bedeutung "nicht verheiratet" beizumessen [andere Ansicht mit entsprechender Konsequenz vertretbar]. Dabei handelt es sich um einen Aspekt der sexuellen Identität, da
nach deutschem Recht nur Mann und Frau heiraten können, gleichgeschlechtliche Paare gehen hingegen eine Lebenspartnerschaft ein. Die persönlichen Beziehungsverhältnisse sind für den potentiellen Arbeitgeber jedoch nicht von Relevanz. Ein Verstoß gegen §§ 7 Abs. 1, 1 AGG liegt mithin vor;
eine Rechtfertigung nach §§ 8 Abs. 1, 20 AGG kommt nicht in Betracht.
6. Benachteiligung aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes
Nicht vom AGG geschützt ist hingegen die Benachteiligung aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes. Da Attraktivität ein subjektives Kriterium ist, ist eine rechtliche Nachprüfung insoweit kaum möglich.
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7. Rechtsfolgen benachteiligender Stellenausschreibungen
Rechtsfolge einer gegen das AGG verstoßenden Stellenausschreibung i. S. d. § 11 i. V. m. §§ 7 Abs. 1,
1 AGG ist kein Einstellungsanspruch (§ 15 Abs. 6 AGG). Auch zieht die benachteiligende Stellenausschreibung keine weiteren Konsequenzen nach sich. Dem Bewerber steht jedoch ein Entschädigungsund Schadensersatzanspruch gem. § 15 AGG zu, wenn er aufgrund der in der Ausschreibung enthaltenen Benachteiligungen abgelehnt wird. Nach § 22 AGG wird dann vermutet, dass die Ablehnung/Nichteinstellung aufgrund einer ungerechtfertigten Benachteiligung erfolgte, d. h. es findet eine
Beweislastumkehr statt, sodass der Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Benachteiligung i. S. d.
AGG bei der Personalauswahl erfolgte, die Ablehnung ihre Ursache mithin in sachlichen Gründen hat.
II. Verstoß gegen das TzBfG
In dem Vorschlag des C könnte ein Verstoß gegen das TzBfG liegen. Grundsätzlich ist die Befristung
eines Arbeitsverhältnisses zur Erprobung eines Mitarbeiters zulässig (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG). Die
Erprobung ist ein anerkannter sachlicher Grund für die Befristung. Das Gesetz macht keine Aussage,
auf welchen Zeitraum sich ein solches Erprobungsverhältnis erstrecken kann. Die zulässige Höchstdauer sollte sich dabei an den Anforderungen des Arbeitsplatzes orientieren. Außerdem sollten die gesetzlichen Wertungen/Vorgaben zur Probezeit in § 1 Abs. 1 KSchG und § 622 Abs. 3 BGB berücksichtigt
werden. Demnach genügt für die Erprobung des Arbeitnehmers eine Frist von sechs Monaten; nur in
Ausnahmefällen, in denen aus bestimmten Gründen eine längere Erprobungsfrist erforderlich ist, ist eine
Fristverlängerung möglich. Eine Befristung wegen Erprobung für drei Jahre ist eindeutig zu lang. Ob die
Kenntnisse und Fähigkeiten eines/r Bewerbers/in den Anforderungen des Arbeitsplatzes genügen oder
nicht, kann im Falle einer Stelle als Sekretär/in auch innerhalb eines halben Jahres beurteilt werden,
sodass die Klausel zur Erprobungsbefristung rechtswidrig ist.
III. Verstoß gegen § 626 BGB – Kündigung aus wichtigem Grund
Hinsichtlich der Festlegung eines jederzeitigen und sofortigen Kündigungsrechtes während der dreijährigen Probezeit könnte ein Verstoß gegen die Grundsätze des Kündigungsrechts von Arbeitsverhältnissen
vorliegen. Gem. § 626 Abs. 1 BGB ist jeder Teil zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes steht sowohl dem Arbeitgeber, als auch dem Arbeitnehmer
die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung offen. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs.
1 BGB liegt vor, wenn unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht m ehr zugemutet werden kann. Der Grund muss mithin generell bzw. abstrakt geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen. Ist dies zu bejahen, ist zu prüfen, ob der Grund im
konkreten Einzelfall derart erheblich ist, dass den Parteien eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen nicht mehr zumutbar ist. Damit ist ausgeschlossen, dass
ein Arbeitsverhältnis aufgrund jedweder denkbarer Gründe mit sofortiger Wirkung beendet werden kann.
Der anzugebende Grund muss einen gewissen Grad an Wichtigkeit/Erheblichkeit aufweisen; ein pauschaler Verweis auf das außerordentliche Kündigungsrecht ist nicht möglich. Eine fristlose Kündigung
kann auch der Arbeitgeber nur vornehmen, wenn er einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB
vorzubringen hat.
[Eine Antwort in diesem Umfang kann nicht erwartet werden. Es sollten aber alle Diskriminierungstatbestände einzeln betrachtet werden. Eine pauschale Betrachtung ist nicht ausreichend. Dabei sollte stets
Bezug auf die einschlägigen Normen genommen werden.]
2. Der drogenabhängige Arbeitnehmer Alf (A) ist seit 20 Jahren im Unternehmen des Ullrich (U)
beschäftigt. Zunächst war A als Kraftfahrer tätig. Nachdem A des Öfteren unter Drogeneinfluss
zur Arbeit erschien und sich auch nach mehreren Personalgesprächen und Abmahnungen an
diesem Zustand nichts änderte, versetzte U den A auf eine Stelle im Innendienst. A war fortan für
die Bedienung und Überwachung der weitgehend automatisierten LKW-Waschanlage zuständig.
Schon kurz darauf fiel A wieder negativ auf, weil er „zugedröhnt“ auf Arbeit erschien. U erkannte
die Gefahr, dass A sich möglicherweise selbst verletzten könnte, wenn er sich zur täglichen Kontrolle in die Anlage begeben muss oder durch unsachgemäße Bedienung Schäden an der Anlage
verursachen könnte. Eine andere Stelle, auf die A hätte versetzt werden können, stand nicht zur
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Verfügung. Zudem führte der Drogenkonsum des A zu 10 Wochen Arbeitsunfähigkeit innerhalb
eines Jahres.
Das Angebot des U, in der unternehmensinternen Sozialstelle eine Therapie zu machen, lehnte A
vehement ab. Trotz einer weiteren Abmahnung erschien A wiederum unter Drogeneinfluss auf
Arbeit. Daraufhin kündigte U ihm fristgerecht. A legte fristgerecht Kündigungsschutzklage ein
und begab sich in eine Entzugsklinik, in der er erfolgreich therapiert wurde.
War die Kündigung des A gerechtfertigt? (20 P.)
Bearbeitungshinweis: Gehen Sie von der Anwendbarkeit des KSchG auf den Sachverhalt aus.
Die Kündigung des A durch U könnte gerechtfertigt sein, wenn sie sozial gerechtfertigt i. S. d. § 1 KSchG
ist.
Sozialgerechtfertigt ist die Kündigung eines Arbeitnehmers, wenn Gründe, die in der Person oder im
Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, vorliegen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
I. Verhaltensbedingte Kündigung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 KSchG
Vorliegend könnte zunächst eine verhaltensbedingte Kündigung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 KSchG in
Betracht kommen. Dann müsste es sich um ein steuerbares Verhalten des A handeln. A konnte seiner
Tätigkeit aufgrund einer Sucht nicht ordnungsgemäß nachkommen. Suchtbedingte Handlungen sind
nach der Rechtsprechung kein steuerbares Verhalten, da suchtbedingte Handlungen nicht beeinflussbar
seien. Daher scheidet eine verhaltensbedingte Kündigung aus.
II. Personenbedingte Kündigung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 KSchG
Weiterhin könnte eine personenbedingte Kündigung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 KSchG in Frage kommen. Dafür müssten Gründe, die in der Person des A liegen, Grund für die Kündigung des U gewesen
sein. Es könnte hier aber eine krankheitsbedingte Rechtfertigung vorliegen. Dafür bedarf es zunächst
einer Erkrankung des A. Eine Sucht ist im medizinischen Sinne eine Krankheit und deshalb auch im Sinne des Kündigungsschutzrechtes als Erkrankung zu werten. A ist drogenabhängig und damit erkrankt i.
S. d. Kündigungsschutzrechtes. Bei krankheitsbedingten Kündigungen muss eine dreistufige Prüfung
erfolgen: erstens muss eine negative Gesundheitsprognose vorliegen, zweitens müssen die prognostizierten Fehlzeiten zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen führen und drittens
muss eine umfassende Interessenabwägung ergeben, dass diese Beeinträchtigung zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers führt.
1. Negative Gesundheitsprognose
Hat ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Drogenabhängigkeit bereits erhebliche Fehlzeiten vorzuweisen
und ist nicht erkennbar, dass er die Krankheit aktiv bekämpft, kann davon ausgegangen werden, dass
auch künftig ein nicht unerheblicher Arbeitsausfall zu verzeichnen sein wird. Deshalb kann im vorliegenden Fall auch angenommen werden, dass eine negative Prognose vorliegt. A hat sich jedoch infolge der
Kündigung erfolgreich einer Therapie unterzogen und ist nun „clean“. Vor diesem Hintergrund würde die
Prognose gegenteilig ausfallen, sodass künftig nicht mehr mit suchtbedingten Ausfallzeiten zu rechnen
ist. Fraglich ist vorliegend, wie es sich auswirkt, dass A erst nach erfolgter Kündigung eine Therapie begonnen hat. Durch eine Prognose soll zu einem bestimmten Zeitpunkt eingeschätzt werden, wie sich die
Sachlage in der Zukunft entwickeln wird. Dafür maßgeblich können alleine die zum Zeitpunkt der Kündigung vorliegenden objektiven Anhaltspunkte sein. Als U die Kündigung aussprach, war objektiv davon
auszugehen, dass A zu einer Therapie auch weiterhin nicht bereit ist. Dass die Kündigung einen Sinneswandel bei A hervorgerufen hat, ist für die Prognose nicht entscheidend.
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2. Erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen
Die Erkrankung des A müsste weiterhin zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Das ist ua dann der Fall, wenn aufgrund von Fehlzeiten der betriebliche Ablauf gestört wird
oder der Arbeitgeber erhebliche Entgeltfortzahlungen zu leisten hat. A ist insgesamt zehn Wochen alleine aufgrund seiner Suchterkrankung arbeitsunfähig. Erheblicher dürfte noch sein, dass A für sich selbst
und die Betriebsmittel des U eine Gefahr darstellt. Das damit verbundene Sicherheitsrisiko muss U nicht
hinnehmen, da es die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt. Eine nochmalige Versetzung
kommt zur Lösung des Problems ebenfalls nicht in Frage.
3. Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers
Die erheblichen Beeinträchtigungen der Arbeitgeberinteressen sind mit den Interessen des Arbeitnehmers abzuwägen. U hat über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder Abmahnungen ausgesprochen, den A versetzt und ihm damit deutlich zu verstehen gegeben, dass er für eine Weiterbeschäftigung nur dann eine Möglichkeit sieht, wenn A seine Sucht effektiv bekämpft. Zudem hat U dem A sogar
eine Therapie angeboten. A hat unterdessen gegenüber U nicht zu verstehen gegeben, dass er an seiner Situation ernsthaft etwas ändern möchte. Allein die lange Betriebszugehörigkeit vermag gegenüber
den Bemühungen des U und dessen erheblichen Interessensbeeinträchtigungen aber nicht zu überwiegen.
III. Ergebnis
Im Ergebnis ist die Kündigung des A durch U sozial gerechtfertigt.
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