Projektantrag für das Wintersemester 2015/2016
Kriminalität und Sucht – Prävention, Sanktionen und Soziale Hilfen
Kriminalität und Sucht als Formen abweichenden Verhaltens gehören zu den wichtigsten
Auslösern und Anknüpfungspunkten Sozialer Arbeit. In dem Projektseminar sollen aus
verschiedenen Perspektiven Wege in Sucht und Kriminalität und Strategien der Hilfe und
Prävention erörtert werden. Die 3 Lehrenden stehen dabei für interdisziplinäre
Kompetenzen aus Sozialer Arbeit, Rechtswissenschaften, Kriminologie und vielfältigen
Leitungserfahrungen einschlägiger Institutionen.
Straffälligenhilfe und Drogenhilfe sind Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit mit
Randgruppen, die sich oft und weitgehend überschneiden. Bei 50-70% aller registrierten
Straftaten spielt Alkohol eine Rolle und mehr als 50% aller Strafgefangenen haben in der
einen oder anderen Weise ein Problem mit illegalen Drogen. Die Verquickung der
Suchtproblematik mit der ohnehin oft schwierigen Lebenslage der in Haft befindlichen
oder damit bedrohten Personen soll für uns Anlass sein, uns mit beiden Systemen der
Hilfe
und
Prävention,
aber
auch
der
Sozialen
Kontrolle
und
Repression
auseinanderzusetzen.
Sozialarbeit hat es häufig mit abweichendem Verhalten zu tun. Aber in den
Arbeitsfeldern, um die es uns in diesem Projekt gehen soll, ist die (drohende)
Straffälligkeit direkter Auslöser für das Angebot von sozialarbeiterischen und/ oder
sozialpädagogischen Hilfen – häufig als Alternative zur strafrechtlichen Sanktion oder
gar zum Freiheitsentzug, manchmal auch zur Ergänzung. Das Verhältnis der
verschiedenen Formen sozialer Kontrolle ist schwierig und fordert von dem oder der in
der Praxis tätigen SozialarbeiterIn einen guten Überblick und Selbstbewusstsein – insb.
wenn die kriminalpolitische öffentliche Meinung den Wind ins Gesicht bläst und die
Forderungen nach Einsperren überhand nehmen.
Die Praxisfelder, um die es hier geht und die viele Praktikumsstellen und durchaus auch
Arbeitsstellen zur Verfügung stellen, sind beispielsweise
Bewährungshilfe,
Jugendgerichtshilfen, Sozialarbeit im Strafvollzug und Jugendstrafvollzug, TäterOpfer-Ausgleich und Opferhilfe, Drogenhilfe von Prävention über Beratungsstellen bis
Langzeittherapien, freie Straffälligenhilfe mit Entlassungshilfe und ambulanten
Maßnahmen, Jugendhilfeenrichtungen zur Vermeidung von Untersuchungshaft,
Schulsozialarbeit zur Prävention usw.
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Die Themen werden sehr vielfältig sein und je nach Interessen können die
TeilnehmerInnen auch ganz konkret an Projekten mit Straffälligen teilnehmen oder nach
entsprechender Vorbereitung kleinere Untersuchungsvorhaben in Praxisbereichen
durchführen, die dann in bachelorarbeiten münden können.
Alle TeilnehmerInnen sollen gestaltend mitwirken und zugleich erleben und erfahren,
wie in Gruppen neue Erfahrungen vermittelt werden können, so dass sie dies später selbst
mit KlientInnen durchführen können.
Über die inhaltlichen Schwerpunkte entscheiden die Gruppenmitglieder gemeinsam. Die
DozentInnen stellen ihre fachlichen Kompetenzen und ihre Moderation zur Verfügung.
Wir wollen uns beschäftigen:
•
mit dem System der Straffälligenhilfe,
•
der Suchthilfe (Alkohol, illegale Drogen, Glückspiel) in ihren verschiedenen
Institutionen
•
den Ursachen der Kriminalität und Sucht,
•
den Methoden der Sozialen Arbeit in diesen Arbeitsfeldern,
•
den rechtlichen Grundlagen,
•
mit freien und staatlichen Trägern, den Jugendgerichtshilfen, Bewährungshilfen,
dem Strafvollzug und den Haftentlassenenhilfestellen
•
mit Mediation insb. in Form des Täter-Opfer-Ausgleichs und neuen
internationalen Erfahrungen der Restorative Justice (z.B. in Neuseeland) als
Alternativen zum Strafrecht und insb. der Freiheitsstrafe
•
der Suchtprävention sowie
•
der Gewalt- und Kriminalprävention.
Das Ziel des Projekts wird nicht nur die Vermittlung von Wissen sein, sondern eine
Methodenkenntnis, bei der die TeilnehmerInnen erleben können, wie wichtig es ist, die
eigene Person einzubringen. Deshalb werden wir auch in praktischen Übungen
Gesprächsführungstechniken, Beratungs- und Therapiekonzepte sowie davon
abgeleitete Methoden kennen lernen. Daneben geht es in dem Projekt auch um das
Kennenlernen und theoretische Durchdringen der gesellschaftlichen Mechanismen der
Ausgrenzung und Kriminalisierung und der strukturellen Bedingungen von Sozialer
Arbeit in diesen Arbeitsfeldern. Natürlich reicht die Verwendbarkeit dieses Wissens und
der Fertigkeiten über die Straffälligenhilfe hinaus, denn es geht um exemplarisches
Lernen.
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Gendermainstreaming
Kriminalisierung ist eine Form sozialer Kontrolle, die vornehmlich Männer betrifft –
gleichwohl gibt es sowohl im Strafvollzug, als auch in der Straffälligenhilfe und Drogenhilfe
viele spezifische Institutionen und Hilfeangebote für Frauen.
Die Studierenden sollen die Relevanz des Geschlechts begreifen und befähigt werden, Gleichund
Ungleichbehandlungen
zu
verstehen
und
kritisch
nachzuvollziehen.
Die
geschlechtsspezifischen Formen abweichenden Verhaltens und der (institutionalisierten)
Reaktionen darauf werden thematisiert werden.
Interkulturelle Sensibilisierung
Die Studierenden sollen sowohl fähig sein, vergleichend den Umgang anderer Gesellschaften
mit abweichendem Verhalten zu bearbeiten als auch die Kriminalisierungen von
Nichtdeutschen in der BRD. Die Studierenden sollen befähigt werden, die Auswirkungen
unterschiedlicher Herkünfte und Traditionen auf die Rechtsverhältnisse, aber auch die
Konsequenzen der rechtlichen Regelungen auf Menschen verschiedenen Ursprungs zu
überblicken. Für die besonderen Benachteiligungen durch Instanzen sozialer Kontrolle sollen
sie sensibilisiert sein.
Praktika
Der Kontakt zur Praxis ist sehr nah und intensiv. In den letzten Jahren konnten die Studierenden
immer aus einer Vielzahl von Praxisplätzen in Berlin und Brandenburg auswählen.
Konkret haben wir Zusagen für jeweils mehrere
•
Plätze bei den Sozialen Diensten der Justiz Berlins und in Brandenburg
•
Plätze bei der Jugendbewährungshilfe
•
Plätze bei den bezirklichen Jugendgerichtshilfen
•
Plätze im Strafvollzug Berlins und in Brandenburg (einschließlich Frauenvollzug und
Jugendstrafvollzug)
•
Plätze in der freien Straffälligenhilfe bei mehreren Trägern
•
Plätze in der Drogenprävention und Drogenhilfeeinrichtungen
•
Plätze im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich
Darüber
hinaus
haben
wir
regelmäßig
PraktikantInnen
in
den
Bereichen
Erziehungshilfen, Allgemeine sozialpädagogische Dienste sowie im Ausland. In
vergleichbaren Projekten waren Studierende in den letzten Jahren in Brasilien,
Dänemark, Großbritannien, Irland, Namibia, Spanien, Russland, USA und Thailand.
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Die Lehrkräfte sind:
• Wolfgang Eichstädter, Diplomsozialarbeiter in der Bewährungs- und Gerichtshilfe,
Supervisor
• Kerstin Jüngling, Diplomsozialarbeiterin und Leiterin der Fachstelle Suchtprävention
im Land Berlin
• Prof.Dr.Heinz Cornel, Hochschullehrer, Diplompädagoge, Jurist und Kriminologe,
Präsident der Deutschen Bewährungshilfe
Anfang Mai hat sich eine Gruppe interessierter Studierender mit den Lehrkräften
getroffen, um Ihre Interessen einzubringen, die Gestaltung des Projektseminars zu
bestimmen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass das Projektseminar auch wirklich vom
Wintersemester 2015/2016 bis zum Sommersemester 2017 durchgeführt werden kann.
Eine Studienfahrt ist im Wintersemester 2016/2017 geplant.
Die Lerninhalte des Projektes lassen sich – vorbehaltlich der weiteren gemeinsamen
Diskussion der Projektgruppe über spezifische Schwerpunktsetzungen – durch folgende
Stichworte charakterisieren und den genannten Semestern zuordnen:
1. Projektsemester
• Arbeitsfelder und System der Straffälligenhilfe und Drogenhilfe
• Kriminologie, Ursachen von Kriminalität
• Methoden der Gesprächsführung (mit Übungen)
• Sucht – Ursachen und Auswirkungen
• Struktur und Funktion des Strafvollzugs
• Einführung in das Recht der Resozialisierung
• Einführung in die Kommunikationstheorie
• Gruppenarbeit und Gruppendynamik
2. Projektsemester
• Einführung zu den Methoden fachlicher Selbstreflexion
• Aktenführung
• Hilfeplan
• Risikoorientierung und Risikomanagement in der Bewährungshilfe und Führungsaufsicht
• Restorative Justice als Alternativen zum Strafrecht und insb. der Freiheitsstrafe
• Täter-Opfer-Ausgleich
• Case-Management mit Langzeitabhängigen
• Klientendokumentation, Vermerke und Berichte
• Methoden der Gesprächsführung (Fortsetzung der Übungen)
• Begleitung der Praktika
• Einschlägige Fachliteratur, Fachzeitschriften, Kommentare, Hand- und Lehrbücher
3.Projektsemester
• Strategien der primären, sekundären und tertiären Kriminalprävention
• Psychoanalyse und Delinquenz
• Polizei und Sozialarbeit
• Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen
• Untersuchungshaft, Haftvermeidung und Haftentscheidungshilfe durch Sozialarbeit
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•
•
•
•
Diversion, Vermeidung von förmlichen Strafverfahren und Kriminalisierung
Opferhilfe
Rechtsorientierte fremdenfeindliche Gewalt und Konzepte der Prävention
Planung und Vorbereitung einer Studienreise
4. Projektsemester
• Ursachen und Umgang mit Gewalt, unter anderem auch häuslicher Gewalt
• Kriminal- und Drogenpolitik
• Beratungskonzepte in der Sozialarbeit mit besonderem Bezug zur Straffälligenhilfe
• Akzeptierende Drogenarbeit am Beispiel von Drogenkonsumräumen
• Möglichkeiten der Drogenprävention
• Therapie statt Strafe, §§ 35ff.BtMG (Konzepte der Langzeittherapie)
• Obdachlosigkeit, Wohnhilfe und Wohnprojekte
• Schuldnerberatung in der Straffälligen- und Drogenhilfe
• Psychiatrisch klinische Krankheitsbilder mit Bezug zur Delinquenz und Sucht
• Forensische Psychiatrie, Begutachtung und Maßregelvollzug
• Sexualstraftäter und ihre Behandlung
• Begleitung der Erstellung der Bachelorarbeit
Daneben sind regelmäßige Besprechungen der Praxiserfahrungen während des Praxissemesters,
sowie zur Themenauswahl der Bachelorarbeit und die Begleitung von deren Erstellung
selbstverständlich.
Literatur
• Arbeitskreis HochschullehrerInnen Kriminologie/Straffälligenhilfe in der Sozialen
Arbeit (Hrsg), Kriminologie und Soziale Arbeit, Weinheim und Basel 2014
• Arnold, Helmut/ Schille, Hans-Joachim (Hrsg), Praxishandbuch Drogen und
Drogenprävention, Weinheim und München 2002
• Böllinger, Lorenz/ Stöver, Heino, Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik,
Materialien zur Suchtarbeit und Sozialpolitik Band 12, Frankfurt am Main 2002
• Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Die Drogenaffinität Jugendlicher in
der Bundesrepublik Deutschland 2011. Der Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen
Drogen: aktuelle Verbreitung und Trends, Köln 2012
• Bundeszentrale
für
gesundheitliche
Aufklärung,
Glücksspielverhalten
und
Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2013 und Trends, Köln
2014
• Cornel, Heinz (Hrsg), Recht der Resozialisierung, Baden-Baden 2012 (6.Auflage)
• Cornel, Heinz/ Daubitz, Stephan/ Jüngling, Kerstin/ Schmidt, Anke/ Seidel,
Alexander/
Straub,
Julia,
Berliner
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JDH-Studie
Jugend-Drogen-Hintergründe,
Ergebnisse einer Befragung junger Menschen in Berlin zu Einstellungen und
Haltungen zum Drogenkonsum, Berlin 20141
• Cornel, Heinz/ Kawamura-Reindl, Gabriele/ Maelicke, Bernd/ Sonnen, BerndRüdeger (Hrsg), Handbuch der Resozialisierung, Baden-Baden 2009
• Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, Jahrbuch Sucht 2014. Lengerich 2014
• Dollinger, Bernd/ Schmidt-Semisch, Henning (Hrsg), Handbuch Jugendkriminalität.
Kriminologie und Sozialpädagogik im Dialog, Wiesbaden 2010
• Hinsch, Rüdiger/ Pfingsten, Ulrich, Gruppentraining sozialer Kompetenzen,
Weinheim 2005
• Kraus, Ludwig/ Pabst, Alexander/ Gomes de Matos, Elena/ Piontek, Daniela,
Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey 2012. Tabellenband: Prävalenz des
Konsums illegaler Drogen, multipler Drogenerfahrung und drogenbezogener
Störungen nach Geschlecht und Alter im Jahr 2012.
• Neubacher, Frank, Kriminologie, Baden-Baden 2014
• Rollnick, Stephen/ Miller, William R, Motivierende Gesprächsführung, (4te
deutschsprachige Auflage für September angekündigt) Freiburg 2015
• Salman, Ramazan/ Tuna, Soner/ Lessing, Alfred, Handbuch interkulturelle Suchthilfe,
Gießen 2002
• Thomasius, Rainer/ Küstner, Udo, Familie und Sucht, Stuttgart 2005
• Walter, Michael/ Neubacher, Frank, Jugendkriminalität, Stuttgart 2011
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diese Studie wurde gemeinsam mit Studierenden eines früheren Projektseminars erstellt
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